The Project Gutenberg EBook of Die Jobsiade, by Carl Arnold Kortum

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Title: Die Jobsiade
       Ein komisches Heldengedicht in drei Teilen

Author: Carl Arnold Kortum

Commentator: Friedrich Schnettler

Release Date: December 9, 2014 [EBook #47608]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Die Jobsiade.

Ein komisches Heldengedicht in drei Teilen
von
Dr. Carl Arnold Kortum.

Mit einer literarhistorischen Einleitung
von
Friedrich Schnettler.

Mit 70 Illustrationen.

Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Der Jobsiadendichter Dr. Carl Arnold Kortum.

Fast ein Jahrhundert ist verflossen, seitdem die Jobsiade, natürlich nur der erste, abgerundete und abgeschlossene Theil, 1784 im Druck erschien; in vielen Tausenden von Exemplaren ist das „komische Heldengedicht“ verbreitet, mehr als drei Generationen haben sich an dem grobkörnigen Humor erfreut, aber über die Lebensumstände des Dichters ist im großen Publikum wie in seiner zweiten Vaterstadt, der Kreisstadt Bochum in Westfalen, wenig bekannt. Man wird dem Fremden dort auf Befragen das Wohnhaus des Dichters zeigen, welches durch eine im Jahre 1876 daran angebrachte Marmortafel kenntlich gemacht ist, und vielleicht auf das Grab desselben auf dem alten Theile des sogenannten „Todtenkirchhofes“. Damit hat aber die Kunde über „Leben, Meinungen und Thaten“ des Jobsiadendichters auch in seiner Vaterstadt so ziemlich ein Ende.

Das Wohnhaus des Dichters, auf der oberen Marktstraße gelegen, trägt die Nr. 23 und charakterisirt sich durch seine Bauart und Giebelverzierungen als aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts stammend. Die Inschrift der Marmortafel lautet:

In diesem Hause — lebte, dichtete und starb — der Königl. Hofrath — und doct. medicinae — Carl Arnold Kortum, — geboren den 5. Juli 1745, — gestorben den 15. August 1824.

Angebracht ist diese Tafel von den Berufsgenossen des Dichters, wohl zu verstehen von den Berufsgenossen in dessen ärztlichem Berufe, nicht in der Dichtkunst, und verdienen die Bochumer Aerzte für diesen Act der Pietät alle Anerkennung.

Der Name des Dichters wird meistens falsch angegeben; derselbe heißt nicht Kortüm, sondern Kortum. Nicht allein die Encyclopädien, sondern auch wissenschaftliche Werke haben die erste, falsche Form des Namens. Der Irrthum beruht auf einer Verwechselung mit dem Namen des bekannten Historikers Joh. Friedr. Kortüm, geboren den 24. Februar 1788 zu Eichhorst in Mecklenburg-Strelitz, gestorben am 4. Juni 1858 als Professor der Geschichte an der Universität Heidelberg.

Carl Arnold Kortum wurde am 5. Juli 1745 von protestantischen Eltern zu Mühlheim an der Ruhr geboren, wo sein Vater eine kleine Apotheke besaß. Dieser starb schon früh, aber die Mutter, eine geborene Maria Helene Severin aus Bochum, setzte das Geschäft des Verstorbenen fort, und da sie obendrein ein ziemliches Vermögen mit in die Ehe gebracht hatte, so konnte sie ihrem Sohne eine sorgfältige Erziehung geben. Nach Kortums eigener Aussage, welche in der Form seines Namens einen weiteren Anhalt findet, stammte seine Familie aus Friesland; dieselbe habe dort einst ein ausgedehntes und reiches Grundvermögen besessen, sei aber durch widrige Umstände um Ansehen und Besitz gekommen, in Folge dessen verzogen und zum Stande und Broderwerb des kleinen Bürgers herabgedrückt worden.

Die Liebe und Sorgfalt, mit welcher die Mutter der Erziehung des kleinen Carl Arnold oblag, fand in den ersten Jahren wenig Belohnung; alle Sorge und Mühe scheiterte an den geringen Anlagen des Knaben und man verzweifelte schon daran, ihm auch nur das Alphabet und damit die Grundlage aller Wissenschaft beibringen zu können. Was der Mutter und vielen Andern nicht gelingen wollte, gelang endlich durch den glücklichen Einfall eines damals in Mühlheim lebenden Candidaten Namens Grabow. Derselbe fand den Schlüssel zu dem Geiste des Knaben dadurch, daß er auf das sogenannte „letterbanket“ der Holländer verfiel; er ließ nämlich aus Kuchenteig Buchstaben bilden, und spendete diese gebackenen Buchstaben dem Knaben als süße Belohnung, wenn er wieder einen Buchstaben begriffen und behalten hatte. Es kam nunmehr ein ganz anderes Leben in den Knaben; er bekam Muth und Selbstvertrauen und hatte sich bald in einen solchen Eifer zum Lernen hineingegessen, daß er ungewöhnlich rasch lesen lernte und seine Mutter ihm bald nicht genug Bücher mit Fabeln, Märchen und allerhand Kindererzählungen verschaffen konnte.

Der verstorbene Vater des Dichters hatte gewünscht, daß der Knabe studiren und zur Universität übergehen sollte. Im Herbst 1753 kam der Knabe daher, acht Jahre alt, auf die protestantische Lateinschule seiner Vaterstadt; da sich dieselbe aber in einem jämmerlichen Zustande befand, sah sich die Mutter genöthigt, ihn von da fortzunehmen und in die katholische Schule des Ortes zu schicken, wo das Lateinische gründlich betrieben und das Französische ebenfalls gelehrt wurde. Mit fünfzehn Jahren wurde Carl Arnold Schüler des Gymnasiums zu Dortmund, wo er bei einem Onkel von väterlicher Seite Wohnung und Pflege fand. Ein Sohn dieses seines Hauswirthes ist Karl Georg Theodor Kortum, den Pierers „Universal-Lexicon“ s. v. „Kortum“ fälschlich als Sohn unseres Jobsiadendichters bezeichnet. Derselbe, 1765 zu Dortmund geboren, starb am 9. Februar 1847 als Physikus in Stollberg bei Aachen.

Am Gymnasium zu Dortmund gehörte unser C. A. Kortum zu den tüchtigsten Schülern, und waren es nach F. W. Ebeling vorzüglich zwei Lehrer, welche einen nachhaltigen Einfluß auf denselben ausübten, der Rector Gotthilf August Hofmann und der Professor Pilger. Letzterer gab sich Mühe, den jungen Studiosus für den geistlichen Stand zu bestimmen, aber vergeblich, denn die Lust und Liebe zur Medizin als zu seinem Brodstudium hatte der Jüngling in der väterlichen Apotheke zu tief eingesogen; trotzdem blieb ihm zeitlebens eine gewisse Vorliebe für theologische Dinge anhaften. Der Rector Hofmann, ein für seine Zeit sehr verdienter Schulmann (gestorben 1770), war zwar ebenfalls Theologe, aber nach der obigen Quelle zugleich ein warmer Freund der Dichtkunst, deren Nutzen und Werth er in mehreren lateinischen und deutschen Schulschriften zu erweisen versuchte. Derselbe weckte in seinem Schüler die Liebe zu den schönen Wissenschaften und beklagte nur unaufhörlich, daß derselbe in allen seinen freien Arbeiten einen ungemeinen Hang zur Satire verrieth. Er warnte ihn, seinen beißenden Witz zu unterdrücken und seine Spottlust zu zügeln, durch welche er sich nur Feinde und Unannehmlichkeiten im Leben schaffen werde; dabei hatte der Lehrer selbst aber eine satirische Ader, fluthete von Sarkasmen völlig über und war sogar in einer literarischen Fehde öffentlich als Satiriker aufgetreten. So wenig ein Lehrer, der den ganzen Tag die Pfeife nicht erkalten läßt, seinen Schülern das Unpassende und Schädliche des Rauchens begreiflich machen kann, so wenig war auch Rector Hofmann geeignet, dem jungen Kortum die Freude an lachendem Witz und scharfem Spott zu verleiden.

Mit tüchtigen Kenntnissen ausgerüstet bezog Kortum 1763, achtzehn Jahre alt, die Universität Duisburg, um Medicin zu studiren. Hier, in der Vaterstadt des bekannten Geographen Mercator (Kremer), welche 1609 mit der Clevischen Erbschaft an die Kurfürsten von Brandenburg gefallen war, hatte der große Kurfürst 1655 eine reformirte Universität gegründet, welche 1802 theilweise und 1818 ganz und förmlich aufgehoben wurde. In der medicinischen Fakultät waren es besonders zwei Männer, die Bedeutung und Ruf hatten: Johann Gottlieb Leidenfrost (1715-1791) und Christian Arend Scherer (1714-1777). Beide standen auf der Höhe der medicinischen Wissenschaft ihrer Zeit, und hat der junge Kortum namentlich die Fußstapfen des ersteren dadurch betreten, daß er sich gleich ihm bemühte, populäre Kenntnisse über das Wesen des menschlichen Körpers und dessen rationelle Behandlung zu verbreiten. Die 1779 in Wesel und Leipzig bei F. J. Röder und J. S. Heinsius erschienene Schrift Kortums: „Anweisung wie man sich vor alle ansteckende Krankheiten verwahren könne, für solche die nicht selbst Aerzte sind“ — gibt den größtenteils noch jetzt richtigen Ansichten Leidenfrost’s einen populären Ausdruck und scheint vielfach auf dessen Vorlesungen zu beruhen.

Nach drei Jahren bestand Kortum glücklich seine ärztliche Prüfung, erwarb sich durch eine 1766 gedruckte Dissertation über die Epilepsie den Doctortitel und ließ sich, nachdem er noch ein halbes Jahr in Berlin hauptsächlich Anatomie und Chirurgie studirt hatte, in der liebgewordenen Musenstadt Duisburg als Arzt nieder. Kaum 23 Jahre alt, verheirathete er sich hier 1768 mit Margaretha Ehinger aus Bochum und erwarb sich wegen seiner gediegenen Kenntnisse, einiger glücklicher Aufsehen erregender Curen, sodann aber wegen seines leutseligen Benehmens, seiner geistreichen Unterhaltung und seiner gesellschaftlichen Talente rasch eine ausgedehnte Praxis. Die Zahl der von ihm in Duisburg behandelten Kranken soll sich in einem Jahre auf 600 belaufen haben. In einer Zeit, wo tüchtige Aerzte noch selten waren, wo Charlatane, Dorfbader und Feldscherer fast noch allein das Feld behaupteten und ungestraft an dem gesunden Körper unserer Vorfahren ihre unvernünftigen Quacksalbereien und bedenklichen Hundecuren versuchen durften, waren wissenschaftlich gebildete Aerzte gesuchter als heutzutage, und schon bald bewarben sich die Städte Wesel, Lennep und Hagen um Kortum als Arzt; in Rees wurde ihm gar das Kreisphysicat angeboten. Seine Mutter und Gattin waren aber beide aus Bochum, und wol deren Vorliebe für ihre Vaterstadt war es, die den jungen Arzt bewog, sich im Jahre 1770 in Bochum niederzulassen. Bochum wurde seine zweite Vaterstadt, und bis zum Ende seiner Tage, länger als ein halbes Jahrhundert, blieb er derselben treu.

Klein und beschränkt war dieser Wirkungskreis, und es ist nicht ohne Interesse, den Dichter selbst über die einfach-spießbürgerlichen Verhältnisse seines neuen Wohnortes zu vernehmen. In einer hinterlassenen Schrift: „Bochumer Nachrichten“, welche von der „Westfälischen Volkszeitung“ in Bochum im ersten Jahrgange 1872 veröffentlicht wurde und welche, wie aus dem Inhalte zu schließen ist, im Winter von 1789 auf 1790 entstanden sein muß, äußert sich Kortum an verschiedenen Stellen wie folgt:

„Augenblicklich (im Jahre 1789) wohnen überhaupt 366 Familien in der Stadt; die Personenzahl beträgt 1474 Seelen, ausgenommen die hier im Dienst stehenden Soldaten. Hierunter sind 294 Männer, 385 Frauen, 332 Söhne, 348 Töchter, 11 Gesellen, 17 Knechte, 1 Junge und 86 Mägde. Von diesen sind 983 über und 491 unter zehn Jahren alt. Zum Militärstande gehören noch besonders 47 Personen, deren Weiber und Kinder eingerechnet.

„Die Einwohner der Stadt sind meist starke, untersetzte Leute. Man trifft hier wenig Krüppel und im Verhältniß der Einwohnerzahl sehr viele alte Leute beiderlei Geschlechts. Siebenzig- und Achtzigjährige sind durchaus nicht selten. Die einfache Lebensordnung, die hier geführt wird, ist neben der gesunden Luft die Hauptursache des außerordentlich günstigen Gesundheitszustandes. Der gemeine Mann nährt sich nur von Brod, Butter und Gemüse; Fleisch wird von ihm nur selten genossen, noch seltener Fische; Gewürze fallen fast ganz fort. Kaffee wird viel getrunken, aber sehr dünn; derselbe macht mit einem Butterbrode oft die Mittagsmahlzeit, fast immer die Abendmahlzeit der Familie aus, die vertraulich beim Scheine des Herdfeuers um den Kaffeekessel („Wippop“) oder Milchnapf sitzt. Der Hausvater raucht dabei wol sein Pfeifchen Kölnischen Tabak, und wenn er bei Vermögenden in Arbeit steht, trinkt er auch wol ein Glas Branntwein oder eine Kanne Bier. In solchem Falle ißt er auch besser, bekommt Speck und sonstiges Fleisch und Pfannkuchen, und ist dann vergnügt wie ein Fürst.

„Die Bürger ernähren sich größtentheils vom Ackerbau. Fast jeder wohlhabende Bürger hat eigen Feld; doch nur wenige haben eigene Pferde und Ackergeräthe. Sie lassen vielmehr von Bauern aus den benachbarten Ortschaften entweder für Geld oder gegen die Hälfte des Ertrages den Acker bearbeiten.

„Ein anderer Nahrungszweig ist die Viehzucht. Jeder Bürger, er sei vornehm oder gering, hat eine oder mehrere Kühe; die ärmsten haben wenigstens eine Ziege. Da die Bürger im Sommer auf der Vöde frei Vieh treiben können, so ist ihnen das Vieh wohlfeil zu halten. Im Jahre 1719 war der ganze Viehstand in der Stadt 24 Pferde, 402 Kühe und 2 Ziegen. Nach der Zeit hat der Viehstand abgenommen, denn jetzt (1789) sind nur vorhanden 287 Stück Rindvieh, aber 42 Ziegen und 27 Pferde. Schafe werden gar nicht gehalten.

„Auch das Kohlenbergwerk nährt manchen Bürger. Einige haben an den Bergwerken selbst Antheil, Andere arbeiten an denselben, Andere fahren auf Sturzkarren, Schiebkarren, Schleppen und Tragkörben Kohlen zum Verkauf in die Stadt oder holen dieselben für andere Leute.

„Die Classe der vornehmen Leute besteht aus königlichen Beamten, Geistlichen, Gelehrten, Kaufleuten, Künstlern und Handwerkern. Die übrigen geringeren Bürger sind Tagelöhner, welche sich mit Dreschen, Steinbrechen, Holzhauen, Futterschneiden u. dgl., so wie durch Hilfe beim Ackerbau, Branntweinbrennen, Brauen und sonstigen wirthschaftlichen Arbeiten ernähren.

„Als im Jahre 1753 die Grafschaft Mark in Landgerichte bestellt wurde, erhielt auch Bochum ein solches (1878 leider nicht. D. V.) und wurden dazu 1 Landrichter, 2 Assessoren, von denen der jüngste zugleich das Amt eines Actuars mit verwalten muß, nebst einem Gerichtsschreiber angeordnet. Zu diesem Landgerichte gehört nicht allein das Amt Bochum, sondern auch das Amt Hattingen und Blankenstein. Das Landgericht hat zur Vollziehung der Befehle zwei Gerichtsdiener. Die Sitzungen werden in einem Zimmer des Rathhauses abgehalten.

„Es geht zur Zeit (1789) hier noch kein Postwagen, wol aber kommt von Cleve über Duisburg die reitende Post Donnerstags und Sonntags hier an, und des Mittwochs und Sonnabends eine Fußpost von Lünen, welche desselben Tages wieder abgeht. An eben den Tagen kommt ein Postbote von Essen, geht hier durch nach Dortmund, und kehrt des anderen Tages zurück. Nach Hattingen geht auch ein Postbote Mittwochs und Sonnabends; außerdem sind noch besondere Postboten zur Ueberbringung etwaiger Briefe an die nahegelegenen Dörfer.“

Es waren demnach die philisterhaften Verhältnisse eines kleinen Landstädtchens, in welche der geistig und körperlich rege junge Arzt hineingezwängt war; aus ihnen ist die Jobsiade hervorgewachsen und aus dem Mangel an geistiger Anregung, den der reich angelegte und rastlos thätige Dichter doppelt fühlen mochte, erklärt sich die Entstehung und mancher Zug der Jobsiade. Der kleine Gesichtskreis genügte seinem regen Geiste nicht, und da er die kleinlichen Verhältnisse nicht ändern konnte, machte er sich in Wort und Schrift darüber lustig. Ferner erklärt sich hieraus, abgesehen von der natürlichen Anlage, seine ungemeine Vielseitigkeit und seine große schriftstellerische Fruchtbarkeit.

Mochte Bochum, welches bei der Volkszählung am 1. Dezember 1875 eine ortsanwesende Bevölkerung von 28,562 Seelen hatte, zur Zeit der Entstehung der Jobsiade aber auch nur kaum anderthalb tausend Seelen zählen: das alte Bochum brachte noch Originale hervor, kernige, gesunde, zufriedene Menschen, die sich als Bürger eines Gemeinwesens fühlten, sich bestens vertrugen, und mit allerhand lustigen Streichen und Einfällen aufzogen. Die leichtlebige und vergeßliche Gegenwart hat kaum noch eine Ahnung davon, welch’ originelle Menschen die Väter und Großväter der jetzigen Generation oft gewesen; nur mancher gute Einfall, manche gelungene Fopperei, mancher köstliche Eulenspiegelstreich klingt noch in die Jetztzeit hinüber. Und von diesem gesunden Sinne, dieser biederen Derbheit und urwüchsigen Originalität, vor Allem aber von dem grobkörnigen Humor des alten Bochums trägt die Jobsiade auch gar manchen Zug.

Unter rastloser Thätigkeit als Arzt und Schriftsteller verlebte Kortum in Bochum in Wohlstand und Ansehen seine Tage, umringt von Kindern, Enkeln und Urenkeln. Allerdings war sein Familienglück nicht ungetrübt; drei geliebte Kinder sanken vor ihm in das Grab, und der 1807 erfolgte Tod seines Sohnes, auf den er so große Hoffnungen gesetzt hatte und der ihm bereits nach glänzenden Studien als Gehilfe in seinem Berufe zur Seite stand, brach seine Lebensfreudigkeit und machte den sonst so heiteren Mann mürrisch, verschlossen und bitter. Von diesem Sohne, der als zweiter Bergarzt unter seinem Vater wirkte, stammt das im zweiten Theile, Kap. 32, Vers 10 erwähnte „Gesundheitsbüchlein für Bergleute.“ Bei Gelegenheit seines 50jährigen Doctorjubiläums im Jahre 1816 erhielt er vom Könige Friedrich Wilhelm III. den Titel „Königlicher Hofrath“; im Jahre 1818 feierte er seine goldene Hochzeit und im Jahre 1820 im engen Freundeskreise die Erinnerung an seine 50jährige ärztliche Wirksamkeit in Bochum. Gebeugt von der Last seiner Jahre, lebensmüde und verbittert starb er, im 80. Lebensjahre stehend, am 15. August 1824, wie es scheint, nach schmerzlichem Krankenlager. Darauf deutet wenigstens auf seinem Grabmonumente der Satz: „Non mihi mors gravis est — posituro morte dolorem,“ zu deutsch: „Der Tod wird mir nicht schwer, der ich durch den Tod den Schmerz ablege.“ Ihn überlebten seine Gattin, seine Tochter, sieben Enkel und zehn Urenkel. Noch jetzt leben Nachkommen von ihm in Bochum.

Was seinen Ruhm begründet hatte und in gesunden Tagen sein Glück gewesen war, seine Ader zu Witz und Humor, wurde ihm in den letzten Jahren seines Lebens zum Fluche. Er war ein strebsamer, tüchtiger Student gewesen und als junger Arzt gesucht und berühmt; er hatte sich zeitlebens bemüht, auf der Höhe seiner Wissenschaft zu bleiben, aber die Arzneikunde war gegen Ende des vorigen und namentlich im ersten Viertel dieses Jahrhunderts mit Riesenschritten vorwärts gegangen, und ehe er es sich versah, war er zurückgeblieben und wurde von jüngeren Kräften überflügelt. Der immer sichtlicher hervortretende Mangel an Vertrauen zu seiner Geschicklichkeit kränkte und verbitterte ihn und untergrub seine Berufsfreudigkeit und Heiterkeit. Aus dem Jüngling, der sich über Alles lustig machte, war ein Greis geworden, der sich über Alles ärgerte, und ein Convolut von hinterlassenen Papieren geschäftlicher Art, welches die Bochumer Gymnasialbibliothek aufbewahrt, zeigt keine Spur von dem Charakter und lachenden Humor, den man bei dem Dichter der Jobsiade voraussetzen sollte. Er hielt alle Menschen für undankbar und falsch, erblickte überall hämische Gegner und bösartige Feinde, verkannte die Liebe und Achtung, die ihm von Angehörigen und Fremden reichlich bezeugt wurde, und war in seiner bissigen Laune sich selbst zur Qual und Anderen zur Last geworden. Gewiß fiel ihm daher der Tod nicht schwer, der ihn dem Lebensüberdruß und der Selbstqual entrückte.

Die Grabstätte des Dichters auf dem ruhigen, schattigen alten Kirchhofe macht einen würdigen, ernsten Eindruck, und doch wird man davor stehend unwillkürlich an die launigen Verse erinnert, mit denen Kortum von der langen Reihe derer, die der dürre Knochenmann schon geholt, auf den Tod des Nachtwächter Jobs übergeht:

„Summa Summarum, weder vorn noch hinten

Ist in den Chroniken ein Exempel zu finden,

Daß Freund Hein etwa irgendwo leer

Bei Jemand vorübergegangen wär’.

Und was er übrigens noch nicht gefressen,

Wird er doch in der Folge nicht vergessen;

Sogar leider, lieber Leser, auch dich,

Und was das Schlimmste ist, sogar mich!“

Das Grabmonument bildet in seinem Haupttheile einen Würfel aus Sandstein, der auf einem verzierten Sockel ruht und von einem dachartigen Gesimse bedeckt wird. Oben auf dem Denkmal steht eine mit einer Schlange umwundene Urne. Das Monument zeigt auf der Vorderseite die Inschrift:

Hoc sub monumento quiescit
C. A. Kortum
Dr. medic. pro meritis
nominatus consiliarius aulicus.
Natus die 5. Juli 1745. Mortuus die 15. Aug. 1824.

Hier ruht die irdische Hülle
des Dr. medic. und Hofrath
C. A. Kortum.
geb. den 5. Juli 1745, gest. den 15. Aug. 1824.

Darunter befindet sich als Symbol der medizinisch-chirurgisch-poetischen Thätigkeit des Verstorbenen eine Leyer, und kreuzweise darüber gelegt das Emblem der Aerzte und Apotheker, der Aesculapstab.

Rechts von dem Beschauer steht die oben schon verdeutschte Inschrift:

Non mihi mors gravis est,
posituro morte dolorem.
Sirach, 22. v. 11.

Man soll nicht so sehr trauern.“

Unter der Inschrift befinden sich zwei Palmbüschel.

An der linken Seite findet der Verehrer des Dichters die Worte:

Per aspera ad astra!
Offenbarung. Joh. 14. v. 13.
Selig sind die Todten,
die in dem Herrn sterben.“

Wenn der deutsche Spruch jedesmal die Uebersetzung des lateinischen sein soll, so würde man damit allerdings als Quartaner oder Quintaner schlecht durchkommen, denn „Per aspera ad astra“ heißt wörtlich: „Durch Mühen zu den Sternen“. — Unter dieser Inschrift befindet sich eine Sanduhr.

Auf der hinteren Seite des Denkmals befinden sich als Symbol der Trauer zwei umgekehrte Fackeln und darüber die Worte:

Deploratus ab uxore, filia, septem
nepotibus decemve
pronepotibus.

Um ihn trauern seine Gattin,
seine Tochter, seine sieben Enkel
und zehn Urenkel.“

In der Nähe des hier beschriebenen Grabdenkmals liegen drei Verwandte des Dichters, seine Tochter Henriette Döring geborene Kortum, geboren den 1. März 1770, gestorben 5. Februar 1839, deren Schwiegersohn Constantin Brinkmann, geboren 9. März 1796, gestorben 9. Juni 1841, und dessen gleichnamiger Sohn, also ein Urenkel Kortums, Constantin Brinkmann, geboren 21. November 1821, der als junger Apotheker eines jähen, unerwarteten Todes, wahrscheinlich durch Gift, gestorben ist. Es heißt von ihm auf der Grabinschrift nicht ohne Phrasenschwall: „Er starb am 21. April 1851, ein früh gefällter, lebenskräftiger Baum. Geistesverwandt mit seinem Urgroßvater Dr. Kortum, dem bekannten Gelehrten, dessen späte Lebensjahre der hoffnungsvolle Enkel noch erheiterte, ruht er nun an dessen Brust. Das Grabmal des lichtvollen Vorfahren überschattet ihn, der Geist desselben geleite ihn zu den Thoren der ewigen Auferstehung!“

Nach Darlegung der äußeren Lebensumstände des Jobsiadendichters wollen wir nunmehr denselben als Schriftsteller betrachten, und dabei seine Versuche und Leistungen auf dem Gebiete der Poesie von seiner anderweiten literarischen Thätigkeit trennen.

Doctor C. A. Kortum begann seine fruchtbare schriftstellerische Thätigkeit bereits früh und schrieb über die verschiedensten, heterogensten Materien. Die meisten Arbeiten fallen in die Zeit von 1775 bis 1790, sind aber bis auf die Jobsiade so ziemlich alle der Vergessenheit anheimgefallen, obschon sich nicht läugnen läßt, daß manche derselben in der damaligen Zeit anregend und fördernd gewirkt haben. In den Jahren 1776 und 1777 erschienen in Bremen: „Der Kaffee und seine Stellvertreter“; — „Der Thee und seine Stellvertreter“; — „Grundsätze der Bienenzucht.“ Ueber letzteres Werkchen äußert sich der Verfasser in seinen „Bochumer Nachrichten“ etwas ärgerlich wie folgt:

„Einzelne Bürger treiben auch Bienenzucht, doch mehr zum Vergnügen als Nutzen. Es könnte dieser Nahrungszweig sehr verbessert und verdienstlich gemacht werden. Ich habe durch meine im Jahre 1776 herausgegebenen ‚Grundsätze der Bienenzucht‘ Anlaß genug dazu gegeben, aber es fehlt an gutem Willen und höherer Ermunterung.“

In das medicinisch-pädagogische Gebiet fällt Kortums „Märtyrer der Mode“; derselbe erschien 1778 anonym zu Wesel bei F. J. Röder. Es ist dies eine kleine, durch den weiten Druck auf 75 Seiten ausgereckte Satire auf die damals und noch jetzt grassirenden Modethorheiten und Lebensgewohnheiten vornehmer Stände, z. B. das Schnüren, Ammenwesen, Erziehung oder besser Vernachlässigung der Kinder durch fremdes Personal u. dgl. Der arme Märtyrer all dieser Moden, der von den ersten Anfängen seines Daseins bis zum Grabe bei all diesen Modekrankheiten schlecht genug wegkommt, erzählt sein Elend selbst. Der Verfasser hat dem Schriftchen nicht ohne Humor kurz und gut folgende „Vorrede an die Leser“ vorgesetzt:

„Es wäre zwar Mode, Ihnen erst ein Compliment zu machen und dann zu sagen, was vor hinreichende Gründe ich gehabt habe, diese Geschichte herauszugeben. Allein, zu dem ersten bin ich nicht aufgelegt, und das andere werden Sie schon selbst am Ende der Geschichte lesen. B-ch-m, 1778.“

Durch die letzte Bezeichnung verräth sich der Verfasser zur Genüge; nebenbei gesagt füllt diese bündige Vorrede zwei ganze Seiten.

Im Jahre 1779 erschien seine oben schon berührte populär-wissenschaftlich gehaltene „Anweisung wie man sich vor alle ansteckende Krankheiten verwahren könne“, und 1782 im Verlage der Helwingischen Universitäts-Buchhandlung zu Duisburg die von Lavater angeregte Schrift: „Anfangsgründe der Entzifferungskunst deutscher Zifferschriften.“ Beide sind je 114 Seiten stark; die erstere ist für den damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft bezeichnend und die letztere ist ebenfalls noch jetzt lesenswerth, sehr instruktiv und verräth eine große Uebung und Sicherheit in der immerhin geistig anregenden Spielerei, Ziffer- und Zeichenschriften zu enträthseln. — 1789 erschien zu Duisburg die „Verteidigung der Alchemie“, welche bereits im Jahre 1791 in Aachen eine zweite Auflage (oder einen Nachdruck) erlebte. Einen glücklichen Griff that endlich der „Arznei-Doctor“, wie er sich meistens betitelt, in seiner „Skizze einer Zeit- und Literaturgeschichte der Arzneikunst von ihrem Ursprunge bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts“, welche 1809 zu Unna erschien und 1819 eine zweite Auflage erlebte.

Das Verzeichnis dieser seiner gedruckten Schriften, noch mehr aber eine Uebersicht seines handschriftlichen Nachlasses zeigt die ungemeine Vielseitigkeit und Polymathie des Jobsiadendichters. Medicin, Pädagogik, Jurisprudenz, Naturkunde, Geschichte und Alterthumsforschung, Landwirtschaft, Technologie, Illustrationskunde u. s. w. sehen wir vertreten, und wenn das vorige Jahrhundert, wo die einzelnen Fachwissenschaften noch nicht den riesigen Umfang von heutzutage hatten, den studirten Leuten auch eher den Luxus einer solchen Vielwisserei gestattete, so muß man doch über die geistige Regsamkeit und den Bienenfleiß des Mannes füglich erstaunen. Namentlich zeigen auch die oben schon berührten, 1872 durch Clemens Ising aus dem handschriftlichen Nachlaß zum Druck beförderten „Nachrichten vom ehemaligen und jetzigen Zustande der Stadt Bochum“, wie rührig und eifrig der Autor sich umgesehen, Umfrage gehalten, gesammelt und gesichtet haben muß.

Den Ruhm und die Unsterblichkeit seines Namens hat Kortum jedoch auf einem Gebiete errungen, wo er sie selbst wol nicht erwartet hatte, auf dem Gebiete der Poesie, der komischen Muse. Wie nach seiner Naturanlage zu erwarten stand, fallen in dieses Gebiet auch seine ersten schriftstellerischen Versuche. Gebeten, für die in Wesel erscheinende Zeitschrift „Der Gemeinnützige“ und für die „Niederrheinischen Unterhaltungen“ Beiträge zu liefern, veröffentlichte er in denselben zunächst Anekdoten und scherzhafte Gedichte. Später folgten, zum Theil selbständig: „Lobschrift auf Herrn Ich.“; — „Komische Lebensbeschreibungen“; — „Die seltsamen Begebenheiten der Kinder des Medon und Sincer, ein Märchen nach dem Geschmack des vorigen Jahrhunderts“; — „Saadi oder der Lebensbalsam, eine arabische Erzählung“; — „Lebensgeschichte eines Carobuben“; — Alles kleinere Sachen zum Theil moralisirenden Inhalts in humoristisch-satirischer Behandlung. Den „Märtyrer der Mode“ (Wesel, 1778) kann man füglich auch hierher rechnen.

„Die magische Laterne, in dreimal dreißig Vorlesungen“ erschien 1784 zu Wesel; in dem ersten Dreißig führt der Autor Charakterfiguren von Ständen, Berufsclassen und moralischen Eigenschaften, wie Geizige, Stutzer, Modenärrin u. s. w. vor; im zweiten Dreißig erscheinen Personen und Vorfälle aus der biblischen Geschichte des alten Testaments, und im dritten Dreißig will der Verfasser zeigen, „was zu uns’rer Zeit geschah.“ Er führt darin als lebende Zeitgenossen vor: Joseph II., Friedrich d. Gr., Katharina II., erwähnte die Reise von Papst Pius VI. nach Wien 1782, den nordamerikanischen Freiheitskampf 1777-1783, die heldenmüthige Vertheidigung Gibraltars durch Elliot 1779-1782, das Auffliegen Montgolfier’s 1783 u. s. w. Wenn daher ein Berufsgenosse des Jobsiadendichters, Dr. Müller, im Jahre 1878 einen Neudruck des kleinen Zeitspiegels in Knittelversen veranstaltet hat (Frankfurt a. M., Druck von G. Horstmann) und als eigenen Versuch unter der Ueberschrift „Fünfzig Jahre später“ eine Darstellung des Krieges von 1870/71 anfügte, so ist das ein colossaler historischer Schnitzer und wäre „Hundert Jahre später“ beinahe richtig gewesen. Auch schätzt sich der Herausgeber in der Vorrede glücklich, die „magische Laterne“ gleichsam neu entdeckt zu haben, irrt sich in dem Geburtsjahre Kortums um etwa 30 Jahre, ebenso in dem Geburtsorte, schreibt den Namen fälschlich „Kortüm“ und ist der Neudruck durch viele sinnstörende Druckfehler entstellt. Dem Jobsiadendichter selbst aber wäre vielleicht ein Dienst damit erwiesen worden, wenn die Laterne vergessen geblieben wäre. — Weitere poetische Erzeugnisse Kortums, welche allerdings erst nach der Jobsiade erschienen, sind: „Adams Hochzeitsfeier, ein komisches Gedicht“, (Wesel, 1788), und „Elisabeth Schlunz, ein Anhängsel zur Jobsiade“, (Hamm, 1819).

Keins dieser vielen Geisteskinder hat jedoch den Verfasser überlebt, alle fielen bald nachher der verdienten Vergessenheit anheim, und nur ein einziges sichert dem fruchtbaren Schriftsteller für immer einen Namen in der deutschen Literatur, die allberühmte „Jobsiade“ oder, wie der Titel der ersten Ausgabe ausführlich und genau lautete:

„Leben, Meynungen und Thaten
Von Hieronimus Jobs, dem Candidaten,
Und wie Er sich weiland viel Ruhm erwarb,
Auch endlich als Nachtswächter in Sulzburg starb.

Vorne, hinten und in der Mitten

Gezieret mit schönen Holzschnitten.

Eine Historia lustig und fein

In neumodischen Knittelverselein.“

Der in diesem Titel inhaltlich resumirte erste Theil der Jobsiade bildet ein abgeschlossenes Ganzes und erschien im Jahre 1784 anonym in Münster und Hamm bei Philipp Perrenon. Der Druck war jedenfalls schon im Jahre 1783 vollendet, wenigstens trägt das in meinem Besitze befindliche Handexemplar des Dichters dessen eigenhändige Namenszeichnung und darunter die Jahreszahl 1783. Das Titelbild von dem besungenen Helden zeigt die Unterschrift: „Hieronimus Jobs, lutherischer Candidat der Theologie und Nachtswächter zu Sulzburg in Schwaben Aetat: XL.“ Aus dem „Sulzburg“ der ersten Ausgabe ist in späteren Ausgaben „Schildburg“ geworden, welches an die bekannten Streiche der „Schildbürger“ von Schilda (Schildau) bei Torgau, dem sächsischen Abdera, erinnern oder diesen Ort bedeuten soll. Dem Autor ist es übrigens nie eingefallen, sein Werk als „grotesk-komisches Heldengedicht“ zu bezeichnen; in der ersten Ausgabe fehlt jede weitere Bezeichnung, und erst später, als die ferneren Theile erschienen, gab er allen drei Theilen den Gesammttitel: „Die Jobsiade, ein komisches Heldengedicht in drei Theilen.“ Die Bezeichnung „burlesk“ würde ziemlich richtig sein, denn die Dichtung erhebt sich nicht über die niedere Komik.

Verleitet durch den Beifall, den dieser erste Theil der Jobsiade, zwar nicht ohne anfänglichen Tadel und Widerspruch, schließlich gefunden, fügte der Dichter noch einen zweiten und dritten Theil hinzu; durch einen höchst unwahrscheinlichen Hokuspokus ließ er den im ersten Theile als Nachtwächter verstorbenen Hieronimus wieder aus dem Grabe hervorgehen und machte aus dem mißrathenen Taugenichts erst einen musterhaften Pastor und dann gar einen reichen Dorfdynasten. Alle drei Theile erschienen unter dem gemeinsamen Titel „Jobsiade“ 1799 zu Dortmund in dem Mallinckrodt’schen Verlage. Die dritte Auflage besorgte Kortum im Jahre 1806, und von der vierten, welche in seinem Sterbejahre 1824 erschien, hat er noch die Revision des ersten Theiles selbst vorgenommen. Neben diesen rechtmäßigen Ausgaben erschien noch zu Lebzeiten des Dichters eine Menge von Nachdrucken.

Geben wir zur Beurtheilung der Jobsiade zunächst das Wort dem Literarhistoriker Heinrich Kurz. Derselbe sagt darüber, Band III. p. 307a: „Großen Beifall fand und findet noch immer die Jobsiade und zwar mit vollem Recht. Denn wenn sich die Dichtung auch nur im niedrigsten Grade des Niedrigkomischen bewegt, so hat auch dieses seine volle Berechtigung, wenn der Dichter es nur mit vollem Bewußtsein beherrscht und durchführt. Und daß dieses hier der Fall ist, wird Niemand bezweifeln wollen, der das Gedicht gelesen hat. Die Jobsiade verdient schon deshalb Anerkennung, weil in ihr Alles zusammenklingt: Charaktere, Begebenheiten, Darstellung, Sprache, Versmaß, Alles bewegt sich im gleichen Gebiete des Niedrigkomischen; nirgends wird der allgemeine Charakter unterbrochen oder gestört. Aber was der Jobsiade noch größeren, wahrhaft poetischen Werth gibt, das ist die Wahrheit, die ihr zu Grunde liegt. Wenn auch im burlesken Gewande, ist das Leben der deutschen Spießbürger und Philister, der deutschen Gelehrten und Pedanten in einer noch gar nicht so lange verschwundenen Zeit meisterhaft und in der vollsten Wahrheit geschildert; ja selbst das burleske Gewand ist keine Andichtung des Verfassers, sondern dem Leben abgelauscht. Es ist freilich schade, daß der Dichter noch einen Theil (resp. zwei) hinzufügte, in welchem Jobs, der scheintodt im Grabe gelegen, ins Leben zurückgerufen wird, nun ein neues Dasein beginnt und ein Muster von einem Pastor wird; allein abgesehen davon, daß man diese Fortsetzung als selbständiges Ganzes betrachten muß, und die poetische Einheit und Wahrheit des ersten Theiles dadurch also nicht beeinträchtigt wird, so möchten wir darin eine treffliche Satire auf die damaligen Dramen erblicken, in denen das Tragische durch einen unpoetischen Umschwung oder an den Haaren herbeigezerrte innere Unmöglichkeiten zu glücklichem Ende geführt wurde. Wie der erste Theil, so ist übrigens die Fortsetzung reich an glücklichen Einzelheiten, und wenn auch keine dem in seiner Art classischen Examen oder dem eben so trefflichen Briefe des Candidaten Jobs gleichkommt, so sind doch manche Stellen äußerst glücklich, so z. B. die Verspottung der damals herrschenden Empfindsamkeit.“

Gleich günstig urtheilt über die Jobsiade W. Lindemann in seiner „Geschichte der deutschen Literatur“, Buch XI., der sie geradezu als das eigentliche und einzige komische Heldengedicht der neueren deutschen Literatur bezeichnet. Auch er hält die Fortsetzung für eine Schädigung des ersten Theils; durch dieselbe gehe das komische Interesse auf Nebenpersonen über.

Nicht zum geringsten Theil verdankt der Verfasser diese Wirkung dem gewählten Versmaße und der Illustration der einzelnen Scenen durch die allerklotzigsten und unbeholfensten Bilder. Die drollige Willkür, mit welcher der Verfasser seine seitdem oft, jedoch selten mit Glück nachgeahmten Knittelverse allen rhythmischen Gesetzen zum Hohn handhabt, die Naivität, mit der er den Leser schadlos hält, indem er erklärt:

„Es werden zwar in den Reimen manche Strophen

Auf zu wenigen Füßen hinkend angetroffen,

Es sind aber auch manche Strophen wieder dafür

Länger, und mit zu viel Füßen laufend allhier,“

der glückliche Griff, mit welchem er häufig durch die Wahl eines verkehrten Casus oder einer falschen Form dem ausgedrückten Gedanken einen komischen Beigeschmack gibt und ihn so gleichsam zur erheiternden Caricatur umwandelt, das Alles verleiht den mitten aus dem Leben gegriffenen und lebenswarm dargestellten Vorgängen, außer dem inhaltlichen Interesse, auch noch den packenden Reiz der originellen Form. In richtigem Salondeutsch ausgedrückt, würde mancher Gedanke ohne Eindruck an dem Leser vorüberziehen; im Gewande der Kortum’schen Knittelverse aber prägt er sich dem Gedächtniß unauslöschlich ein und bleibt darin haften für immer.

Ein Pendant zu dem gewählten Versmaße bilden die Illustrationen. Eine Jobsiade, auf Velinpapier gedruckt und mit feinen Holzschnitten versehen, wäre gar keine richtige Jobsiade mehr; sie verlöre viel von ihrer Wirkung und ihrem eigenthümlichen Reize. Wer erinnert sich nicht mit Freuden des Autors, der wie ein zweiter Evangelist Lucas an seinem altmodischen Schreibtisch sitzt, seinem Büchlein den väterlichen Segen gibt und eine lange irdene holländische Pfeife vor sich liegen hat, oder der Schaar schnatternder Enten, die als Gevatterinnen bei der „Senaterin Jobsen“ Kindbettvisite machen, oder des steifen Reiters, der dem Reitersmann auf den Tabakpäckchen von Bönniger oder A. B. Reiter gleicht wie ein Ei dem andern und obendrein oft angebracht ist, wo er paßt wie Pilatus in’s Credo? Wie bezeichnend und hochkomisch ist nicht die Darstellung, „wie es mit Jobsens Gelehrsamkeit beim Abgange von der Universität bewandt war, fein artig in gegenwärtigem Kupfer vorgestellt“: ein leerer Rahmen ohne Inhalt? Wie stolz und dreist sieht der Hahn in die Welt, der in dem neuen A-B-C-Buche von Hieronimus Jobs ein Nest mit einem großen Ei hinter sich hat, „gleichsam als hätt’ er es selbst gethan“, wie glotzäugig verkündet die Nachteule den nahen Sturm in Ohnewitz, wie bezeichnend ist nicht der geschwätzige Papagei als Einführung in das Kapitel, in dem Amalie ihren nicht sehr erbaulichen Lebenslauf erzählt: „ein langes Kapitel, weil eine Frauensperson spricht; accurat hundert Verse?“ Gleich gelungen sind die Porträts der beiden Advocaten Schluck und Schlauch, die Silhouette und daran geknüpfte physiognomische Studie von Fräulein Esther, und das Titelbild zum dritten Theile, die beiden Liebenden in der Laube, wo „sie tranken des Mondes Silberschein und das Flimmern der lieben Sternelein“, ist der reinste Hohn auf die verliebte Mondscheinschwärmerei.

Die Bilder hat der Verfasser offenbar selbst entworfen; übrigens sind die kleinen, egal großen, mit Eckstein, Schüppen und Herz versehenen Bildchen mit den Beischriften Hogier, Hector, Judith so wie die inschriftslosen Bilder von dem jungen Baron und Esther ursprünglich Clichés von damaligen rohen Spielkarten.

Der Beifall, den die Jobsiade im großen Publikum fand, wurde anfangs von den Kritikern und Recensenten nicht allgemein getheilt; überhaupt ist Kortum, wie viele Stellen der Jobsiade zeigen, auf diese Herren herzlich schlecht zu sprechen. Namentlich wußte ein Recensent in der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“, (LIV. 72 ff.) nicht Worte genug zu finden, um „diese Mißgeburt, diesen Bastard der Komik, diese heillose Reimerei“ gebührend an den Pranger zu stellen. Alles sei darin zu finden, heißt es, nur nicht Witz, Ironie, scherzhafte Laune, Satire und treffende Charakteristik; überhaupt sei eine gröblichere, pöbelhaftere Darstellung in der ganzen deutschen Literatur nicht zu entdecken. Wahrscheinlich war dieser grimmige Recensent ein Berufsgenosse des verunglückten Studiosus Hieronimus, der durch solche maßlose und einseitige Kritik den seinem Stande vermeintlich angethanen Schimpf recht kräftig auswetzen wollte. Das erste Kapitel des zweiten Theiles, welches als Vorrede anzusehen ist, ergeht sich ausführlich über die Aufnahme, die der erste Theil gefunden. Eine sehr schmeichelhafte Besprechung findet sich im damaligen „Reichsanzeiger“, Jahrgang 1787, Nr. 123, Seite 1331. Wie Alles, was über das gewohnte alltägliche Geleise hinausgeht, sich nicht ohne Widerspruch Bahn bricht, so errang auch die Jobsiade, welche so ganz von dem hergebrachten Genre der zünftigen Poesie abwich, den allgemeinen Beifall nicht ohne Anfeindung. Gerade die günstige Aufnahme aber, welche der erste Theil trotzdem fand, war die Veranlassung, daß der Dichter die weiteren Theile folgen ließ; vielleicht mochte er, älter und ruhiger geworden, dabei auch beabsichtigen, Manches wieder gut zu machen, was er im ersten Theile am Stande der Theologen gesündigt hatte.

Ueber seine Absicht bei der Abfassung der Jobsiade sagt der Dichter im ersten Kapitel des dritten Theiles, er habe ein Scherflein dazu beitragen wollen, verdrießliche, trübe Stunden zu verjagen, habe nebenbei nützliche Winke und Kleinigkeiten zu verbreiten gesucht, „und wo ich Dummheit und Bosheit fand, gab ich wol ’nen Hieb en passant“. Trotz mancher anstößigen Stellen ist die Jobsiade im Grunde moralisch und moralisirend. Kortum will durch seine Satire bessern; er moquirt sich über Leben und Leute, weil er sie anders wünscht; er sucht dem spießbürgerlich genügsamen Philisterthum, welches ihn langweilte, wie dem sich spreizenden Pedantenthum, das ihn ärgerte, den Garaus dadurch zu machen, daß er beide in ihrer Lächerlichkeit hinstellte; seine komische Muse ist die eines launigen Sittenrichters, der durch beißenden Spott bessern will. Wenn er dabei oft zu unverblümt die nackte Wahrheit sagt, so muß man bedenken, daß die Jobsiade keine Lectüre für junge Mädchen ist und sein soll, und ferner seinen Stand und sein Zeitalter berücksichtigen. Seinen Stand, denn der Beruf des Arztes bringt es oft mit sich, daß er über delikate Verhältnisse kein Blatt vor den Mund nimmt, und sein Zeitalter, denn das vorige Jahrhundert war allerdings nicht prüde, aber trotzdem wol moralisch gesunder und besser wie die zimperlich thuende, blasirte Gegenwart.

Mag der gelehrte, ideale Aesthetiker die Jobsiade kritisiren, weil ihr derber Witz nicht salonfähig ist, mag der Moralist mit Recht Manches daran auszusetzen haben: die Jobsiade ist ein Volksbuch geworden, sie ist das versifizirte Lesebuch, in dem man Alles finden kann, und jedes andere Volk würde auf solch’ reiches Produkt der Komik stolz sein; hat doch der Candidat Jobs, der unter allgemeinem Schütteln des Kopfes von dem gelahrten Consistorio in Schwaben examinirt wurde, selbst in Amerika vor der Yankee-Kritik sein Examen ruhmvoll bestanden. In amerikanisch-englischen Knittelversen erschien er als:

The life, opinions, actions and fate

Of Hieronimus Jobs, the candidate,

And how he whilome won great renown

And died as night-watch in Schildebourg town.

Ferner hat das Buch der Malerei Stoff zu mancher bedeutenden Kunstleistung gegeben; es sei hier nur an die drei großen Oelgemälde des Malers Hasenclever erinnert „Jobs im Examen“, „Jobs als Schulmeister“, und „Jobs als Nachtwächter“, die sich sämmtlich unter Nr. 33, 34 und 35 in der Gemälde-Galerie des Herrn Ravené, Wallstraße 93, zu Berlin befinden.

Zum Schluß kommen wir noch auf die interessante Frage: Sind die in der Jobsiade vorkommenden Personen und Geschichten lediglich dichterische Erfindung oder liegen ihnen wirkliche Persönlichkeiten und Thatsachen zu Grunde? Jedenfalls steht zunächst fest, daß nach dem Erscheinen des ersten Theiles sich manche Personen getroffen fühlten und dem Dichter das mit altbochumer Offenheit vorgeworfen wurde. Dafür spricht auch die Entschiedenheit, mit welcher Kortum sich in den Einleitungskapiteln der beiden letzten Theile gegen die Insinuation verwahrt, er habe „überall satirisirt oder gar personalisirt“. Er behauptet.

„Nun kann ich aber, bei meiner Treu und Ehren!

Jedermänniglich laut und offen erklären,

Daß ich von persönlicher Beleidigung frei,

Und für Niemand das Büchel anstößig sei.

Wer sich also in Zukunft etwa würde vergessen

Und mir absurde Absichten beimessen,

Den erkläre ich hiermit rund

Für einen et cetera und bösen Leumund!!“

Wenn wir nun auch dem Dichter diese Erklärung, die er mit zwei !! am Ende bekräftigt, auf das Wort glauben, so ist doch zu bedenken, daß alte Leute in Bochum versichern, den leibhaftigen Hieronimus Jobs und dessen Brüder noch gekannt zu haben, und daß ein in „denen Studiis verunglückter Bochumer Bruder Studio“ Namens Boi, zu besagtem Hieronimus Porträt gesessen habe. Kortum habe den Namen desselben rückwärts gelesen, die körperkräftige Gestalt und viele „Meinungen und Thaten“ seien aber diesem „verbummelten Studenten“ abgelauscht. Als Stammhaus des weiland Hieronimus Jobs wird das Haus auf der oberen Marktstraße Nr. 8, den alten Bochumer noch jetzt als Flügel-Boi’sches Haus bekannt, mit aller Bestimmtheit bezeichnet. Ferner soll in dem arg mitgenommenen „Doctor Schneller“ ein ärztlicher Concurrent des Dichters versteckt, und in den beiden Advocaten Schluck und Schlauch auf damalige Personen angespielt sein. Uebrigens schonte Kortum auch seinen eigenen ärztlichen Stand keineswegs, wofür die Dichtung zahlreiche Belege bietet.

Die obige Versicherung des Dichters und diese Angaben lassen sich aber sehr gut vereinigen. Man schildert nur das lebenswahr und frisch, was man selbst innerlich oder äußerlich erlebt und durchgemacht hat. Wer sich von der geistigen Werkstatt eines Dichters eine Vorstellung machen kann, wird wissen, daß derselbe seinen rein erfundenen Gestaltungen entweder Züge, Einzelheiten, wirklich erlebte und bekannte Vorfälle unterlegen muß, oder daß er umgekehrt zur Unterlage, gleichsam zum Gerippe eines Charakters sich eine bestimmte Person nimmt, diese idealisirt, nach Anlage des Charakters freie Erfindungen anfügt, kurz Gestalten liefert, die einzelne bekannte Züge tragen, trotzdem aber völlig geistiges Eigenthum des Dichters sind. In beiden Fällen sagt der oberflächliche Leser, das soll der und der sein, und wenn er Züge oder zufällige Aeußerlichkeiten von sich selbst zu finden glaubt und im empfindlichen neunzehnten Jahrhundert lebt, kommt er wol gar dazu, den armen Poeten zu verklagen. Jedenfalls aber darf Bochum, in dem die Originale noch nicht ganz ausgestorben, stolz darauf sein, ein Original wie Hieronimus Jobs hervorgebracht zu haben.

Bochum in Westfalen.

Friedrich Schnettler.

Hieronimus Jobs,
lutherischer Candidat der Theologie und Nachtwächter
zu Schildburg in Schwaben.

Leben, Meinungen und Thaten
von
Hieronimus Jobs,
dem
Candidaten,

und wie Er sich weiland viel Ruhm erwarb,
auch endlich als Nachtwächter zu Schildburg starb.

Vorn, hinten und in der Mitten

Geziert mit schönen Holzschnitten,

Eine Historia lustig und fein

In neumodischen Knittelverselein.

Erster Theil.

Hieronimus Jobs,
lutherischer Candidat der Theologie und Nachtwächter
zu Schildburg in Schwaben.

Erstes Kapitel.
Vorrede, und der Autor hebt an, die Mähr von Hieronimus Jobsen seliger zu beschreiben, und er gibt seinem Büchlein den väterlichen Segen.

1.

Euch und mir die Zeit zu vertreiben,

Geneigte Leser! will ich itzt schreiben,

Eine extrafeine Historiam

Von Hieronimus Jobs lobesam.

2.

Mit welchem sich in seinem Leben

Viel gar Wunderbares hat begeben

Und welcher sowol in Glück als Gefahr

Ein rechter curioser Hieronimus war.

3.

Zwaren wäre Vieles von ihm zu sagen,

Der Leser möchte aber nicht Alles können tragen,

Und Papier und Raum wäre für der Meng’

Seiner Abenteuer zu eng.

4.

Zwaren weiß ich von ihm viele Data;

Ich erzähl’ aber nur die vornehmsten Fata,

Und was er von seiner Geburt an

Merkwürdiges hat gethan.

5.

Weil ich nun die preiswürdige Gabe

Zu dichten vom Sanct Apoll erhalten habe,

So habe, statt daß man sonst in Prosa erzählt,

Dafür einen sehr schönen Reim erwählt.

6.

Wenn ich aber nach rechtem Maß und Ehle,

Gleich nicht Alles, wie’s sich ziemt hätte, erzähle,

So weiß doch der geneigte Leser schon,

Daß man so was nennt Volkston.

7.

Von meinem Aeltervater Hans Sachsen

Ist mir die Kunst zu reimen angewachsen,

Drum lieb’ ich so sehr die Poesie

Und erzähl’ Alles in Reimen hie.

8.

Man brauchet gar nicht darob zu spotten,

Die Verse meines Vetters, des Wandsbecker Boten,

Bleiben gewiß noch weit zurück

Hinter den Versen aus meiner Fabrik.

9.

Ich habe mich zugleich emsig bemühet,

Wie der geneigte Leser mit Augen siehet,

Daß das Büchlein, wie sich’s gebührt,

Mit schönen Figuren würde geziert.

10.

Konnte aber nicht neue Kupfer bekommen,

Hab’ sie also anderswoher oft genommen,

Doch passen selbige von ohngefähr,

Wie man findet, genau hierher.

11.

Sind zwar nicht Chodowieckis Gemächte,

Können jedoch, wie ich fast gedächte,

Noch immer, wie jene gut genug,

Durch die arge Welt helfen das Buch.

12.

Und ob die Bilder gleich nicht sind die feinsten,

So sind die Verse ja auch nicht die reinsten;

Und darum ist’s ja löblich und gut,

Daß eins mit dem andern harmoniren thut.

13.

Nun, mein Büchlein, ich will’s nicht hindern,

Geh, ohne mich, zu den Menschenkindern;

Manches Büchel, nicht besser als du,

Eilt ja jährlich den Messen zu!

14.

Hiemit will ich förmlich nun legen,

Kraft meiner Finger und von Autors wegen,

Als dein zärtlicher Vater gar mildiglich

Meinen Segen, liebes Büchlein! auf dich.

15.

Der Himmel wolle dich fein lange bewahren,

Vor Kritiken, Motten und Fidibus-Gefahren,

Und was etwa noch sonst für Noth

Denen gedruckten Büchelchen droht!

16.

Du müssest in- und außerhalb Schwaben,

Deinem Vaterlande, viele Leser haben;

Damit Schrift, Papier und Druckerei

Nicht, Gott behüte mich! verloren sei.

17.

Allen und Jeden, die lesen und bezahlen,

Melde meinen Gruß zu tausend Malen,

Und jedem hochweisen Herrn Recensent

Vermelde insonders mein Compliment.

18.

Sag’ ihnen, doch demüthig, wie sich’s gebühret,

S’ hätten gepriesen und gerecensiret

Manches geringe Büchlein hoch,

Viel elender geschrieben als du noch.

Zweites Kapitel.
Von den Eltern unsers Helden und wie er geboren ward, und von einem nachdenklichen Traum, den seine Mutter hatte.

1.

Eh’ ich weiter gehe, muß ich etwas melden

Von den beiden Eltern unsers Helden,

Auch noch ein oder anders Wort,

Von seinem wahren Geburtsort.

2.

Und zwar war es ein Städtlein in Schwaben,

Wo seine Eltern gewohnet haben,

Alda sein Vater, Hans Jobs, ohne Gefahr

Erster ehrwürdiger Rathsherr war.

3.

Er war reich, hatte Schafe, Kühe und Rinder,

Auch außer unserm Helden noch viele Kinder,

Sowol von männlich- als weiblichem Geschlecht,

Und lebte übrigens schlecht und recht.

4.

Hatte dabei einen kleinen Weinhandel,

War aufrichtig im Leben und Wandel,

Und sowol im Rathhaus als daheim fromm,

Dabei auch ein großer Oekonom.

5.

Er war von Religion ein ächter Lutheraner,

In der Philosophie aber nicht Kartesian- noch Wolfianer,

Weil er überhaupt weder Kartes, Wolf oder Kant

Noch sonst eigentlich Philosophie verstand.

6.

Jedoch hatte er ein wenig studiret

Und ein Jahr lang das Gymnasium frequentiret,

Wußte folglich in so weit viel mehr

Als sonst gewöhnlich ein hochweiser Rathsherr.

7.

Er lieh gern Dürftigen und Elenden,

Wenn sie Etwas hatten zu verpfänden,

Nahm höchstens zwölf Procent davon

Und war sehr dick und klein von Constitution.

8.

Aß übrigens und trank nach Appetite

Und bei seinem phlegmatischen Geblüte,

Rauchte er manche Pfeife Tabak,

Und fand am Zeitungslesen Geschmack.

9.

Doch oft litte er von überlaufender Galle

An einem starken podagrischen Anfalle,

Doch hinderte ihn dieses niemals nicht

Zu verrichten als Rathsherr seine Pflicht.

10.

Die Mutter war von ehrsamem Stande,

Die beredtsamste Frau im ganzen Schwabenlande,

Groß und hager und tugendsam

Und so sanftmüthig als ein Lamm.

11.

Doch, wie es in den allermeisten Ehen

Leider! nicht selten pfleget zu geschehen,

Hatte sie im Hause dann und wann,

Bei Gelegenheit, die Hosen an.

12.

Dies gab nun zwar, wie leicht zu gedenken,

Zuweilen kleine Händel und Gezänken;

Im übrigen aber liebte sich

Dieses theure Paar gar zärtlich.

13.

Sie hatten nun seit etlichen Jahren

Die Geburt mehrerer Kinder schon erfahren,

Doch geschahe es abermals zur Hand,

Daß sich Frau Jobs wieder schwanger befand.

14.

Als sie nun nach etwa neun Monaten sahe,

Daß die Zeit ihrer Entbindung sich nahe:

So machte gedachte Frau Jobs alsbald

Zur Niederkunft die gehörige Anstalt.

15.

Ehe ich aber nun weiter hier dichte,

Erzähl’ ich erst eine besondere Geschichte,

Oder einen Traum dieser Frau vielmehr,

Welcher allerdings gehört hieher.

16.

Die Erfahrung lässet manches Mal sehen,

Daß die Träume gewiß nicht zu verschmähen,

Lieber Leser! das glaube mir,

Du siehst davon ein Exempel hier.

17.

Einst nämlich lag Frau Jobsen im Bette,

Und es kam ihr im Traum vor, als hätte

Sie ein gewaltiges großes Horn,

Statt eines kleinen Kindleins, geborn.

18.

Dieses Horn nun tönte und krachte

So mächtig, daß sie darob erwachte,

Und sie hat, seitdem sie erwacht,

Oefters darüber nachgedacht.

19.

Eine Frau, welche sie über die Deutung gefraget,

Hat ihr damals zu ihrem Troste gesaget:

Es zeige deutlich der Traum an,

Daß ihr Kind werde ein gewaltiger Mann.

20.

Und daß seine Stimme ihn würde ernähren,

Er würde sie als Pfarrer lassen hören;

Denn das beweise klärlich und schön

Das große Horn mit seinem Getön.

21.

Doch wir wollen uns hieran nicht kehren,

Die Zukunft wird die Bedeutung wol lehren,

Wenn das Kind zu seinen Jahren wächst.

Ich schreite nun wieder zum Text.

22.

Die Mutter legte nun Windel und Hemder

Zurechte, und am dreißigsten September

Wurde dieselbe zu rechter Zeit

Durch die Geburt eines Knäbleins erfreut.

23.

Welch ein Vergnügen gab dies dem Vater!

Himmel! wie freute sich der Senater!

Und wie sprang er nicht, als er da

Das artige Büblein zur Welt sah.

Drittes Kapitel.
Wie Frau Kindbetterin Jobsen einen Besuch von ihren Freundinnen bekam, und was Frau Gevatterin Schnepperle dem Kinde geprophezeit hat.

1.

Frau Jobsen war also, wie eben gesprochen,

Mit dem jungen Jöbslein in den Wochen,

Er selbst lag eingewickelt neben ihr da,

Schlief, und wußt’ nicht, wie ihm geschah.

2.

Wie voll Jubel Alles im Hause gewesen,

Das läßt sich nicht Alles genau lesen;

Verwandte und Nachbarn nahmen am Heil

Auch, wie leicht zu erachten ist, Theil.

3.

Täglich war in der Wochenstube Lärmen,

Als wenn im Maimonate Bienen schwärmen

Und es ging immer sum, sum, sum

Ums Wochenbette lustig herum.

4.

Es waren jetzt genau drei Tage,

Seitdem die Mutter im Wochenbette lage,

Als zum Kaffee auf den Nachmittag,

Ein ganzer Schwarm Frauen ihr zusprach.

5.

Und zwaren von allen diesen Madamen,

Die auf den Kaffee zu Frau Jobsen kamen,

Zeichnete sich bei dem braunen Schmaus

Frau Schnepperle durch Beredsamkeit aus.

6.

Der Vater des Jöbschens war ihr Vetter;

Zuerst sprach die Gesellschaft vom Wetter

Und von dergleichen Sachen mehr,

Die wichtig sind in das Kreuz und die Quer.

7.

Darauf forschte man, wie sich Frau Kindbetterin befinde?

Erkundigte sich auch nach dem jungen Kinde:

Ob’s mit Appetit den Futterbrei

Genösse und fein stille sei?

8.

Man that ihm hierauf nach der Reih’ die Ehre,

Hob es auf, rühmte seine Größe und Schwere,

Und bewunderte einmüthig weit und breit

Seine mehr als gemeine Artigkeit.

9.

„Meine hochgeehrte Frau Base!“

Schnatterte Frau Schnepperle, etwas durch die Nase,

„Das Kind wird wahrlich ein gelehrter Mann,

Ich seh’s ihm an seinem Gesichte an.

10.

Habe neulich ein schönes Buch gelesen,

Als ich auf der Rathsbibliothek gewesen,

Welches von der Kunst Physiognomei

Handelt, und was davon zu halten sei;

11.

Darin stunden schrecklich viele Gesichter,

Gelehrte, dumme, fromme Bösewichter,

Silhouetten von feiner und schlimmer Gestalt,

Auch Köpfe von Thieren, jung und alt.

12.

Wenn ich etwa nicht unrecht gesehen,

So glaub’ ich daraus zu verstehen,

Daß ein solches verkehrtes Gesicht

Viel zukünftiges Genie verspricht.

13.

Und wollte schier gewiß versichern:

Das Kind geht einst um mit Büchern;

Und ist wol gar zum Pfarrer bestimmt,

Wenn es künftig zu Jahren kümmt.

14.

Seine starke Stimme scheint es anzuzeigen,

Daß es einst werde die Kanzel besteigen.“

(Notabene: Der kleine Jobs schrie hier just,

Gerade als wenn er es hätte gewußt.)

15.

Die Frau Schnepperle sprach noch viel Worte,

Sie gehören aber nicht an diesen Orte.

Alle Frauen fielen mit großem Geschrei

Der Rede der klugen Frau Schnepperle bei.

16.

Nachdem nun die Visite war zu Ende,

Reichten sie alle der Frau Jobsen die Hände,

Dankten für alle genossene Ehr’

Und gingen hin, wo sie gekommen her.

17.

Die Wöchnerin bekam zwar vom Lärm Kopfschmerzen,

Nahm aber die Rede der Frau Schnepperle zu Herzen;

Zumal da diese im Ruf stand,

Als wäre ihr was von der Magie bekannt.

Viertes Kapitel.
Wie das Kindlein getauft ward, und wie es Hieronimus genannt ward.

1.

Als noch einige Tage waren vergangen,

Schien das Kind die Taufe zu verlangen,

Indem es immer erbärmlich schrie

Und seiner Mutter machte viel Müh’.

2.

Es half davor weder Brust noch Süppchen

Noch ein im Munde gestecktes Zuckerpüppchen,

Sondern es rief in einem fort,

Daß Niemand hören konnt’ sein eigen Wort.

3.

Man machte drum in Senator Jobsens Hause

Anstalten zum Kindtaufenschmause

Und schleppte der Speisen mancherlei

Zum morgenden Tractamente herbei.

4.

Auch wurden Torten, Kuchen und mehr Sachen

Zum Nachtische bereitet und gebachen,

Auch an Wein, und Tabak und Bier

War gewiß kein Mangel hier.

5.

Gevattern, Freunde und Verwandte,

Hebamme, Nachbarn und Bekannte

Stellten sich darauf artig und fein,

Zur gehörigen Stunde ein.

6.

Auch Küster und Pfarrer mit dem Formulare,

Wie leicht zu gedenken ist, da ware;

Imgleichen ein ganzer hochweiser Senat

Sich zeitig dabei eingefunden hat.

7.

Es waren auch sonst noch viele Gäste

Auf diesem großen und hohen Feste,

Und ich sag’ es zu Jobsens Ehr’:

Es ging Alles fein ordentlich her.

8.

Jedoch that sich ein Disput erheben,

Was man dem Kind für einen Namen wollt’ geben:

Heinz, Kunz, Matz, Peter oder Hans,

Diez, Jost, Hermann oder Franz.

9.

Von diesen sonst schönen Namen allen

Wollte keiner allgemein gefallen,

Und es würde gewiß noch zuletzt

Haben nicht geringe Händel gesetzt.

10.

Der Pfarrer aber, als ein kluger Herre,

That den Ausspruch, daß es rathsam wäre,

Bei diesem Zwist im Kalender zu sehen,

Was am Geburtstag möcht’ für ein Name stehen.

11.

Es ward also, ohne weiter zu fragen,

Vom Küster der Kalender aufgeschlagen,

Und man fand darauf ohne Müh’

Den Namen des heiligen Hieronimus hie.

12.

Solcher kluger Rath hat gleich Allen,

Sowol Gevattern, als Eltern gefallen;

Und man faßte also in pleno den Schluß,

Das Kind sollte heißen Hieronimus.

13.

Nachdem nun der wichtige Handel geschlichtet,

Ward der Actus vom Herrn Pfarrer verrichtet,

Und zwar nach dem gewöhnlichen Fuß,

Und nun hieß das Kind Hieronimus.

14.

Alles Uebrige ging ruhig und schöne,

Pfarrer und Küster thaten sich recht bene,

Und es wurde fast die halbe Nacht

Gegessen, getrunken, geraucht und gelacht.

Fünftes Kapitel.
Womit sich das kleine Kind Hieronimus beschäftiget hat.

1.

So lang Hieronimüschen in Windeln geblieben,

Hat er sich die Zeit damit vertrieben,

Daß er schlief, aß, sog oder trank,

Oder zuhörte der Mutter Wiegengesang.

2.

Und zwar schlief, aß, sog und trank er nicht minder,

Als sonst zu thun pflegen zwei oder drei Kinder;

Wurde dabei recht fleißig gewiegt,

War aber bei dem allen noch nicht vergnügt.

3.

Sondern lärmte schier oft ganze Tage

Und erhub in der Wiege bittere Klage,

Als wenn ihn was Großes hätte gequält,

Obgleich dem Schreier gar nichts gefehlt.

4.

Einige kluge Leute wollten behaupten,

Als wenn sie nicht ohne Ursache glaubten,

Daß etwa eine Behexerei

(Mit Respect zu melden) im Spiele sei.

5.

Drob ward oft der Arzt herbeigeführet

Und die Hebamme consuliret,

Und manches Rhabarbartränklein

Auch wol Mohnsaft gegeben ein.

6.

Er war also seiner Mutter fast beschwerlich,

Indeß befand er sich dabei gar herrlich,

Wuchs, und ward mit jedem Augenblick

Fett, groß, mächtig, stark und dick.

7.

Vater und Mutter hatten also beide

An diesem lieben Kinde viele Freude,

Und gaben manchen herzlichen Kuß

Ihrem kleinen Hieronimus.

8.

Mehr hab’ ich von den ersten drei oder vier Jahren

Des kleinen Jöbschen nicht können erfahren.

Beschließe also dies Kapitel hiemit

Und thue zum folgenden den Schritt.

Sechstes Kapitel.
Thaten und Meinungen des Hieronimus in seinen Knabenjahren, und wie er in die Schule ging.

1.

Von den andern Kinderjahren unsers Helden

Kann ich zwar ebenfalls nicht viel melden,

Sintemal die Laufbahn des Lebens sein

Bishero gewesen noch eng und klein.

2.

Gefolglich ist von seinen Thaten und Werken

Eben nichts Sonderliches anzumerken;

Jedoch blieb immer, so lang er noch jung,

Essen und Trinken seine Hauptbeschäftigung.

3.

Er hatte aber sonst noch viele gute Gaben,

Spielte lieber mit Mädchen als mit Knaben,

Zankte und neckte auch oft beim Spiel

Und machte der losen Streiche viel.

4.

Auch lernte er ohne sonderliche Mühe

Lügen, Fluchen und Schwören frühe,

Und hat dadurch in der Nachbarschaft

Bei andern Kindern viel Erbauung geschafft.

5.

Er schluckte und naschte ebenfalls gerne,

Aß Obst, Rosinen und Mandelkerne,

Und kaufte für sein bekommenes Geld

Die leckersten Sachen von der Welt.

6.

Mit seinen Geschwistern konnt’ er sich nicht vertragen,

Aber sein Vater that ihn nie schlagen,

Und seine Mutter, die gute Frau,

Nahm auch selten Alles so genau.

7.

Auch war er viel größer als andre Kinder,

Keiner seinesgleichen sprang und lief geschwinder,

Und kein einziger war so stark als er,

Und wer ihn erzürnte, den nahm er her.

8.

Da es ihm nun nicht fehlte an Kräfte,

So verrichtete er manche Hausgeschäfte,

Holte zuweilen Futter fürs Vieh

Und unterzog sich der Oekonomie.

9.

Oder er ritte die Pferde in die Tränke,

Oder er holte Bier aus der Schenke,

Brachte auch manches frische Ei,

Aus dem Hühner- und Gänsstall herbei.

10.

War auch sonst ein guter dummer Junge,

Hatte dabei eine starke kräftige Lunge,

Und predigte oft auf der Bank aus Scherz.

Dies alles ging seinen Eltern ans Herz.

11.

Denn sie sahen mit innigstem Vergnügen

Solche Talente im Hieronimus liegen,

Und dachten sehr oft in ihrem Sinn,

Da stecket gewiß ein Pfarrer in.

12.

Besonders die Mutter, wenn sie daran dachte,

Was ihr vormals Frau Schnepperle sagte,

Und an ehmals gehabten Traum,

Wußte sich für Freude zu lassen kaum.

13.

Denn Alles schien sich zusammen zu schicken

Und die Sache natürlich auszudrücken;

Und wenn sie dieses erwoge, so war

Der künftige Pfarrer hier offenbar.

14.

Er wurde also und dergestalten

Fleißig zur Schule angehalten,

Welches doch Hieronimo übel gefiel,

Denn er war viel lieber beim Spiel.

15.

Und die Bücher waren ihm zuwider,

Er warf sie oft auf die Erde nieder,

Und bei dem Lumpen A, B, C, D,

That ihm immer der Kopf weh.

16.

Zwar der Präceptor that sich bemühen

Ihn zu allem Guten zu erziehen,

Und er und die Ruthe in Compagnie

Arbeiteten fleißig an seinem Genie.

17.

Dieser Mann hatte vorzügliche Gaben

Zu erziehen muthwillige Knaben,

Und auf ihre Hosen und Rock

Spielte sehr oft sein mächtiger Stock.

18.

Nach vielem Bemühen und sauerm Schweiße

Gelang’s des Mannes herkul’schem Fleiße,

Und Hieronimus buchstabirte bald,

Als er ohngefähr war zehn Jahr alt.

19.

Wie alt er aber eigentlich gewesen,

Als er fertig das Deutsche konnte lesen,

Das weiß ich eigentlich in der That

Nicht so genau und accurat.

20.

Da er nun zu größern Jahren gekommen,

Ward er aus der Deutschen Schule genommen,

Und, um zu lernen das Latein,

Geschickt in die Lateinische Schule hinein.

21.

Wie es ihm nun daselbst ergangen,

Und was er Gutes sonst angefangen,

Dieses stell’ ich dem Leser hier

In dem folgenden Kapitel für.

Siebentes Kapitel.
Wie der Knabe Hieronimus in die Lateinische Schule kam, und wie er da nicht viel lernte.

1.

Hieronimus, um weiter zu studiren,

Fing nun an Mensa zu decliniren,

Trieb auch sonst jedes nöthige Stück

Aus der lateinischen Grammatik.

2.

Lernte danebst manche Vocabel auswendig,

Indeß ging doch Alles sehr elendig;

Denn das verwünschte Lauselatein

Wollte nicht in seinen Kopf hinein.

3.

Beim Conjugiren und beim Syntaxis,

Und bei der lateinischen Praxis

Da war vollends der Henker los,

Und er bekam manchen Rippenstoß.

4.

Denn der Rector, als ein Hypochondriacus,

Schonte gar nicht den Hieronimus,

Und prügelte oft, als wäre er toll,

Dem armen Knaben das Leder voll.

5.

Bei dieser peinlichen Lehrmethode

Grämte sich der Junge fast zu Tode,

Und wünschte oftmal in seinem Sinn

Den mürr’schen Rector zum Henker hin.

6.

Zwar spielte er ihm wieder heimlich viel Possen

Für die Schläge, welche er von ihm genossen,

Und der Mann hatte manchen Verdruß

Ob dem muthwilligen Hieronimus.

7.

Denn seine Papiere und große Perücke

Riß er ihm incognito oft in Stücke,

Und that auch sonst noch dem braven Mann

Alles gebrannte Herzeleid an.

8.

Auch brachte er seine Schulkameraden

Viel und manchmal in bittern Schaden,

Weil er sich mit keinem vertrug

Und sie öfters zu Boden schlug.

9.

Auch weder ihre Kleider, noch ihre Bücher

Waren vor seinem Muthwillen sicher,

Und er spielte viel Schabernack,

Meistens von bösem Nachgeschmack.

10.

Wenn auch einer etwa sich übel betragen,

Thät er ihn gleich beim Rector verklagen;

Dann ging’s über den armen Buben her

Und er freuete sich drob sehr.

11.

Der Schule übrigens überdrüssig

Ging er zu Hause größtentheils müßig,

Und so verstrich allmählich die Zeit

In unnützlicher Unthätigkeit.

12.

Vom Griechischen will ich gar nichts sagen,

Denn das wollte ihm nimmer behagen.

Und beim barbarischen Typto, Typteis,

Kam Hieronimus über und über in Schweiß.

13.

Er dachte also klüglich: das sei ferne,

Daß ich solch kauderwelsches Zeug lerne;

Und was nun noch das Hebräische betrifft,

Dieses floh er vollends als Gift.

14.

Er machte also gar wenig Progressen.

Außer im Lügen, Schwören, Trinken und Essen,

Auch etwa in Erfindung eines Fluchs

Ward der Knabe fein stark und wuchs.

Achtes Kapitel.
Wie die Eltern des Hieronimus mit dem Rector und mit andern Freunden zu Rathe gingen, was sie aus dem Knaben machen sollten.

1.

Nachdem nun der Knabe achtzehn Jahre

Und noch etwas darüber alt ware,

Auch wirklich schon eines halben Kopfs

Größer war, als der alte Hans Jobs;

2.

Fingen die Eltern an nachzusinnen,

Was nun ferner mit ihm zu beginnen,

Denn es war jetzt die höchste Zeit

Und die Sache von äußerster Wichtigkeit.

3.

Vor Allen that man den Rector fragen,

Was derselbe vom Knaben möchte sagen,

Und wozu er das meiste Geschick

Haben möchte zum künftigen Glück.

4.

Dieser Mann nun wollte nicht heucheln

Noch den Eltern mit leerer Hoffnung schmeicheln,

Drum sagte er ihnen gleich rund heraus:

„Aus dem Knaben wird nichts Rechtes aus.

5.

Das Studiren ist wahrlich nicht seine Sache;

Drum ist’s am klügsten gethan, man mache

Einen hiesigen Rathsherrn aus ihm,

Oder thu’ ihn sonst wo zum Handwerke hin.

6.

Ich habe es mannichmal in den Schulstunden

Zu meinem höchsten Leidwesen gefunden,

Daß in ihm nichts Besonders sitzt,

Welches einem ehrsamen Publico nützt.“

7.

Diese Rede hat den Eheleuten Jobsen,

Wie leicht zu schließen ist, heftig verdrobsen;

Drum hörten sie solche mit Verachtung an,

Und hielten den Rector für ’n dummen Mann.

8.

Es wurden nun mehr Freunde zu Rathe gezogen,

Und die Sache vernünftiger pro et contra erwogen,

Und ’s ging in der Versammlung gerade so her,

Als wenn der alte Jobs zu Rathhause wär’.

9.

Nämlich, nach etwa drittehalb Stunden

Ward ein Mittel zur Vereinigung funden:

Man stellte weislich auf ’n neuen Termin

Die Sache zur nähern Erwägung dahin.

Neuntes Kapitel.
Wie die Zigeunerin Urgalindine auch wegen des Hieronimus um Rath gefraget ward, welche die Kunst Chiromantia verstand.

1.

Die Gesellschaft war nun kaum in Frieden

Aus Rathsherrn Jobsens Hause geschieden,

So führte das Glück von ohngefähr

Eine alte Zigeunerin her.

2.

Sie war von einem uralten Stamme,

Urgalindine war ihr Name,

Und Aegypten ihr eigentliches Vaterland,

Und die Mutter ehemals als Hexe verbrannt.

3.

Sie konnte der Menschen Thun und Wesen

Deutlich in den Strichen der Hände lesen,

Sagte auch manches so deutlich vorher,

Als wenn’s wirklich schon geschehen wär’.

4.

Manches Mädchen hat sie recht sehr erfreuet,

Wenn sie ihm nahe Hochzeit geprophezeiet,

Und den Bräutigam so klärlich genannt,

Als hätte sie ihn schon längstens gekannt.

5.

Manchen unmuthsvoll wartenden Erben

Wahrsagte sie des reichen Onkels Sterben,

Und erfreuete solche oft;

Denn die Onkels starben unverhofft.

6.

Manchen fast verzweifelnden Ehegatten,

Welche, leider! böse Weiber hatten

Und den Tod derselben gerne sahn,

Kündigte sie nahe Erlösung an.

7.

Manchem Stutzer, der kräftig gerochen

Nach Jasmin und Pomade, hat sie versprochen,

Trotz aller seiner Lächerlichkeit,

Dennoch dummer Schönen Gewogenheit.

8.

Ihre Rede wußte sie stets also zu fügen,

Daß sie immer gereichten zum Vergnügen;

Doch half eine kluge Zweideutigkeit

Ihr manchmal aus der Verlegenheit.

9.

Jedem verkündigte sie eine besondere gute Märe,

Tapfern Soldaten Pulver, Kugeln und Ehre,

Armen Schluckern einen Haufen Geld,

Alten Matronen das Himmelszelt.

10.

Sie verstund noch viel mehr andere Künste;

Aber ihre große und seltene Verdienste

Machten sie nicht von Häschern frei,

Denn sie stahl ein wenig nebenbei.

11.

Kurz! man fand nirgends ihresgleichen,

Endors Hexe hätte ihr müssen weichen,

Wenigstens in Lügen und Chiromantie

War keine Zigeunerin klüger als sie.

12.

Als Frau Jobs ihre Ankunft vernommen,

Ist sie zu ihr hinaus gekommen,

Und hielte wol an des Hauses Thür

Folgende kurze Rede an ihr:

13.

„Meine geliebte Frau Urgalinde,

Kommen Sie doch einmal zu meinem Kinde,

Um ihm zu sagen gutes Glück

Von seinem zukünftigen Geschick.

14.

Sie werden hoffentlich die Güte haben;

Und mir es sagen, was von dem Knaben

Hieronimus eigentlich zu machen ist

Ohne Trug und arge List.“

15.

Madame“, antwortete sie, „das soll geschehen,

Lasse sie mich nur seine Hände sehen;

Dann sag’ ich als eine aufrichtige Frau

Ihm sein künftiges Schicksal genau.

16.

Man ließ also den Hieronimus holen,

Und Frau Urgalinde hat ihm befohlen,

Seine rechte Hand zu reichen dar,

Welche etwas beschmutzet war.

17.

Die Zigeunerin mit forschendem Blicke

Erkundete nun alle und jede Stücke,

Maß die Flächen und Linien auch,

Alles nach Chiromanten Gebrauch.

18.

Darauf ward sie einen Augenblick stille,

Endlich gleich einer Delphischen Sibylle

Murmelte sie etwas zwischen dem Zahn

Und hub folgende Prophezeiung an:

19.

Ich sehe, mein lieber Hieronimus, ich sehe,

Nach der Kunst, die ich gründlich verstehe,

Dein ganzes künftiges Schicksal. Mein Sohn!

Deines Halses gewaltiger Ton

20.

Wird manchen frechen Bösewicht schrecken,

Manchen schlafenden Sünder wirst du aufwecken,

Dermaßen, daß die ganze Stadt

An deiner Rede Erbauung hat.

21.

Fromme und Böse wirst du bewahren,

Sie warnen für Leibes- und Seelen-Gefahren

Und über Jung und Alt, Groß und Klein

Ein munterer getreuer Hüter sein.

22.

Jedermann wird deine weisen Lehren

In dieser Stadt dereinst öffentlich hören,

Und wenn dann dein geöffneter Mund spricht,

So antwortet dir Keiner nicht.

23.

Ich darf es für dieses Mal nicht wagen,

Dir ein mehrers von deinem Geschicke zu sagen,

Es ist auch dieses dermalen genug,

Nun gehe hin, mein Sohn, und sei klug.

24.

Hier endigte sich Urgalindinens Rede;

Sowol Mutter als Vater waren beede,

Ob dem, was itzo geprophezeit,

Sehr zufrieden und höchlich erfreut.

25.

Denn in ihren Gedanken war er

Ganz gewiß ein künftiger Pfarrherr,

Wenn anders die Weissagung träfe ein;

Denn wie könnte es deutlicher sein?

26.

Urgalindine ist drauf weggegangen,

Nachdem sie einen stattlichen Lohn empfangen.

Man saget, als sie linksum gemacht,

Habe sie über Eltern und Sohn gelacht.

27.

Nunmehr wurde dem Rector zum Possen

Sowol vom Herrn Jobs als Frau Jobs beschlossen,

Daß der geliebte Hieronimus

Werden sollte ein Theologus.

28.

Es wird also nach Akademien

Im folgenden Kapitel Hieronimus ziehen,

Wenn wir vorhero haben gesehn,

Was noch bei seinem Abschied geschehn.

Zehntes Kapitel.
Wie Hieronimus von seinen Eltern und Geschwistern Abschied nahm und nach der Universität verreiste.

1.

Ehe man den Hieronimus ließ gehen,

Wurde er erst im Ueberfluß versehen

Mit Kleidern, Wäsche, Büchern und Geld

Und was man sonst zum Studiren nöthig hält.

2.

Es ward gefolglich auf diese Weise

Alles bereitet zur nahen Abreise;

Aber beim Abschied ging’s bitter und schwer

Auf einer und der andern Seite her.

3.

Der gute alte Jobs, der dicke Senater,

Weinte laut, wie im Mai ein Kater,

Und reichte schluchzend den Abschiedskuß

Seinem theuern Sohne Hieronimus.

4.

Gab ihm auch den väterlichen Segen:

„Fahre wohl auf allen deinen Wegen

Und studire fleißig, mein Sohn,

Damit wir haben Freude davon!

5.

Wenn dir etwa künftig etwas fehlet

Und vielleicht ein Geldmangel quälet:

So schreibe nur immer kühnlich mir;

Was du verlangst, das schicke ich dir.“

6.

Hieronimus wurde, wie sich’s gebühret,

Ob des Vaters Rede höchlich gerühret,

Und versprach öfters zu schreiben hin,

Wenn ihm der Beutel würde dünn.

7.

Mit der Mutter ging es noch schlimmer,

Sie erhob ein jämmerliches Gewimmer,

Und durchdrungen vom herbesten Schmerz

Drückte sie den lieben Sohn lange ans Herz.

8.

Endlich trat sie auf einige Augenblicke

Mit Hieronimus ein wenig beiseite zurücke,

Und reichte ihm noch ein Päcklein dar,

Worinnen verschiedenes Geld war.

9.

Dieser fromme, mütterliche Segen

That den Hieronimus inniglich sehr bewegen,

Und er steckte, unter lautem Gewein,

Das erhaltene Päcklein ein.

10.

Nun kamen seine Geschwister an die Reihe,

Denen er, unter erbärmlichem Geschreie,

Allen nach einander die Hand gab

Und nunmehr reisete Hieronimus ab.

11.

Der lieben Eltern Trauern und Klage

Währte noch nachher verschiedene Tage

Und dem guten Vater schmeckte schier

Weder Wein, Zeitung, Tabak noch Bier.

12.

Bei der Mutter war die Betrübniß am größten,

Und man vermochte fast nicht sie zu trösten,

Doch bei den Schwestern und Brüdern war,

Wie ich vernommen, weniger Gefahr.

Eilftes Kapitel.
Wie Hieronimus zu Pferde bis zur Poststation kam, und wie er im Wirthshause einen vornehmen Herrn fand, Herr von Hogier genannt, welcher ihm heilsame Lehren gab und ein Spitzbube war.

1.

Hieronimus also nunmehro wegreitet,

Seines Vaters Hausknecht ihn begleitet

Bis zu dem nächsten Städtelein,

Da steigt er dann i’n Postwagen ein.

2.

Ob nun gleich der Abschied nahe gegangen,

So truge derselbe doch großes Verlangen

Nach der geliebten Universität,

Wo es täglich so lustig ergeht.

3.

Kaum hatte er nun Schildburg verlassen

Und er sich befand auf der Landstraßen,

Als er Vater, Mutter, Geschwister vergaß,

Und sich höchlich ergötzte, daß

4.

Er nunmehr, als ein freier Studente,

Baß sich täglich vergnügen könnte,

Und des mürrschen Rectors Prügel und Lehr’,

Dem Himmel sei Dank! entloffen wär’.

5.

Vorzüglich freuete er sich nicht wenig

Und dünkte sich reicher als ein König,

Wenn ihm das Geld im Sinne kam,

Das er von Hause mitte nahm.

6.

Vor Allem vergnügte ihn besonder

Das liebe Päcklein, welches er von der

Hochbetrübten Frau Mutter empfing,

Als es ans bittere Scheiden ging.

7.

Da es ihm nun an Zeitvertreib fehlte,

Zog er das Päcklein hervor und zählte

Das Geld, welches drin enthalten war,

Und fand mit innigster Freude baar

8.

Mehr als dreißig verschiedene Stücke,

Alle von Silber, groß, schwer und dicke,

Gulden und Thaler mannichfalt

Meistens von Gepräge rar und alt.

9.

Seine Mutter hatte sie nach und nach ersparet,

Und zum Nothpfennige aufbewahret,

Denn sie war eine weidliche Frau

Klug und sparsam, oder vielmehr genau.

10.

Zuweilen mußte ihm auch imgleichen

Der Knecht, sein Begleiter, etwas reichen

Zum Zeitvertreib von den Victualien,

Womit ihn die Eltern zur Reise versehn.

11.

Als nun unter diesen Gedanken und Dingen

Dem reisenden Hieronimus die Stunden vergingen:

So gelangte er endlich sehr müde und matt

Ins Wirthshaus der oben gedachten Stadt.

12.

Allhie befand sich nun der Postwagen,

Der ihn nach der Universität sollte tragen;

Selbiger war aber zu dieser Zeit

Noch nicht völlig zur Abfahrt bereit.

13.

Hieronimus ließ nun vor allen Dingen

Seinen getreuen Gaul zu Stalle bringen,

Welchem sein Knecht das Futter gab,

Und band den schweren Mantelsack ab.

14.

Er hat aber auch nicht vergessen,

Sich zu erlaben mit Trinken und Essen,

Und so ward er bald darauf am Tisch

Wieder gestärket, munter und frisch.

15.

Es war auch da ein fremder Herr logiret,

Mit einer großen Perücke und reich schameriret,

Welcher aus fernen Ländern kam,

Herr Baron von Hogier war sein Nam’.

16.

Dieser erzeigte unserm Helden viel Ehre

Und erkundete freundlich, wer er wäre.

Hieronimus antwortete drauf behend:

„Gnädiger Herr! ich bin ein Student

17.

Zu Hochdero Diensten, und ich ziehe

Gleich itzo nach der Akademie

Um zu studiren spät und früh

Die Wissenschaft der Theologie.“

18.

„So! dazu wünsch’ ich Ihnen viel Glücke!“

Antwortete der Herr mit der großen Perücke;

„Aber nehmen Sie sich wol in Acht,

Daß Sie nicht werden in Schaden gebracht!

19.

Ich hab’ auch hohe Schulen vormals gesehen

Weiß wol, wie’s da pflegt zu ergehen,

Mancher junge Bursche wird da ums Geld,

Durch das verwünschte Spielen geprellt.

20.

Und viele, anstatt fleißig zu studiren,

Lassen sich zu Ausschweifungen verführen,

Und verbringen die kostbare Zeit

In aller erdenklicher Liederlichkeit.

21.

Ich selbst habe öfters in jüngern Jahren

Die traurige Wahrheit davon, leider! erfahren,

Nehmen Sie also sich fleißig in Acht,

Und denken sie dran, ich hab’ es gesagt!“

22.

Hieronimus versetzte: „Lieber Heere!

Ich danke viel für die weise Lehre,

Und werde Ihren trefflichen Unterricht

In meinem Leben vergessen nicht.

23.

Uebrigens muß ich Euer Gnaden sagen,

Das Spielen thut mir zwar sehr behagen,

Hab’ die Ehre zu versichern doch,

Wenn ich spiele, spiel’ ich nicht hoch.“

24.

„Niedrige Spiele laß ich passiren,

Denn so kann man eben nicht verlieren,

Und man vertreibet sich doch die Zeit

Sehr angenehm und mit Artigkeit.

25.

Wir, zum Exempel, könnten nun Beide,

Blos zum Zeitvertreib und zur Freude,

Etwa ein kleines Spielchen auch thun.“

Erwidert der Herr mit der Perücke nun.

26.

Hieronimus, gleich im Augenblicke,

Fand den Vorschlag des Herrn mit der Perücke,

Ein Spielchen zu machen, sehr angenehm,

So lange bis der Postwagen käm’.

27.

Sie brauchten nun gar nicht lange zu warten,

Der Wirth brachte alsbald neue Karten

Für seine beiden Gäste heran,

Und nunmehr fing man zu spielen an.

28.

Anfangs ward niedrig pointiret,

Aber Hieronimus, durch Gewinnsucht verführet,

Fing nun höher zu setzen an,

Weil er die ersten Spiele gewann.

29.

Nun aber wendete sich das Glücke

Zum Herrn von Hogier mit der großen Perücke,

Als welchem itzo in jeglichem Spiel

Immer die Karte günstiglich fiel.

30.

Das Geld, welches Hieronimus zur Reise

Bestimmt hatte, ging auf diese Weise

Bald hin, und da er noch weiter verlor,

Zog er nun auch das Päcklein hervor.

31.

Aber das Glück warf stets noch günstige Blicke

Auf den Herrn mit der großen Perücke,

Und mit einem jeglichen neuen Satz,

Entstand im Päcklein ein leerer Platz.

32.

Und in weniger als dreiviertel Stunden

War der mütterliche Segen ganz verschwunden,

Und der Herr mit der großen Perück’

Hatte Alles gewonnen, Stück vor Stück.

33.

Denn, daß der Herr mit der großen Perücke

Ihn listiger Weise beim Spiele berücke,

Das merkte der gute Hieronimus nicht —

Denn Herr von Hogier hatte ein ehrlich Gesicht.

34.

Es wär ihm endlich gar noch eingefallen

Auch seinen Mantelsack loszuschnallen,

Und er hätte das drin erhaltene Geld

Auch noch auf die unglückliche Karte gestellt.

35.

Doch, zu des Hieronimus größtem Glücke

Und zum Leidwesen des Herrn mit der Perücke,

Blies grade itzo der Postillon

Und Hieronimus fuhre davon.

36.

Beim Abschied warf er viele unwillige Blicke

Auf den Herrn mit der großen Perücke,

Und mit einigem Ungestüm

Nahm er nunmehr Ade von ihm.

Zwölftes Kapitel.
Wie Hieronimus auf dem Postwagen fuhr, und wie er daselbst eine Schöne fand, welche er liebgewann, und welche ihm die Sackuhr stahl.

1.

Wie’s dem Hieronimus im Postwagen

Ferner erging, will ich nun sagen,

Denn er kam so noch nicht los,

Sondern hatte wieder einigen Anstoß.

2.

Er dachte hieselbsten öfters zurücke

An den Herrn mit der großen Perücke,

Und es fiele ihm itzo erst ein,

Er müsse ein Spitzbube gewesen sein.

3.

Das mütterliche Päcklein ging ihm sehr zu Herzen

Und er konnte dessen Verlust nicht verschmerzen.

Seufzte, und wünschte in seinem Sinn

Den Herrn mit der Perücke zum Henker hin.

4.

Er murmelte sogar unverständliche Töne,

Jedoch eine neben ihm sitzende Schöne,

Welche er anfangs bemerkte kaum,

Riß ihn bald aus dem schwermüthigen Traum.

5.

Sie schien alt zu sein etwa zwanzig Jahre,

Schön von Gesicht, schwarz von Augen und Haare,

Und rosenroth von Wangen und Mund,

Dabei auch von schönem Wuchse, und

6.

Kurz zu sagen, in ihrem ganzen Wesen,

Konnte man nichts als lauter Anmuth lesen;

Sie erkundigte sich in Kurzweil und Scherz

Alsbald nach des traurigen Hieronimi Schmerz.

7.

Wobei sie denselben freundlich anlachte;

Dies Lächeln that gute Wirkung und machte,

Daß er, da er dichte neben ihr saß,

Seinen Verlust des Päckleins vergaß.

8.

Er gerieth auch wirklich fast in Entzücken,

Weil er in ihrer ganzen Person und Blicken

So viel treffliche Reize fand,

Gefährlich vor sein bischen Verstand.

9.

Es hatte noch keine halbe Stunde gewähret,

Als er schon die Lieb’, in bester Form, ihr erkläret,

So bündig, als je ein Held im Roman

Die Brunst seiner Schönen erklären kann.

10.

Sie schien nicht ungern ihn anzuhören,

Und that ihn gar nicht im Vortrage stören,

Hieronimus ward also endlich so frei

Und rückte näher zu ihr herbei.

11.

Ich weiß nicht, ob sonst noch etwas passiret,

Was, laut zu sagen, sich nicht gebühret,

Genug, sie vertrieben sich beide die Zeit

In süßer, vertraulicher Zärtlichkeit.

12.

Als sie endlich zur Poststation gekommen,

Hat sie freundlich von ihm Ade genommen,

Wohin sie sich aber nachhero gewandt,

Das soll uns künftig werden bekannt.

13.

Da indessen nach einigen Stunden,

Seitdem die Schöne vom Wagen verschwunden,

Hieronimus nach der Sackuhr mal sah,

War auch diese verschwunden und nicht mehr da.

14.

Dieser abermalige fatale Possen,

Hat den guten Hieronimus mächtig verdrossen,

Denn er dachte alsbald daran,

Daß die Schöne den Diebstahl gethan.

15.

Indeß war nun für den guten Knaben

Weiter nichts übrig, als Geduld zu haben,

Es fiel ihm jedoch nun hintennach ein

Hinfüro etwas vorsichtiger zu sein.

16.

Er hat sich dabei feste vorgenommen,

Sobald er auf die Universität gekommen,

Um Geld und um eine neue Uhr

Seinen Eltern zu schreiben nur.

17.

Er ist endlich, ohne weitere Unfälle,

Angelangt glücklich an Ort und Stelle,

Folglich war unser Hieronimus

Nunmehro ein Academicus.

Dreizehntes Kapitel.
Wie Hieronimus auf der Universität gar fleißig die Theologie studiren thät.

1.

Als nun Hieronimus arriviret,

Ist er, stante Pede, immatriculiret

Und ward also sofort allhie

Ein Studiosus der Theologie.

2.

Sintemal sich nun auf Universitäten

Aus mancherlei Landen, Orten und Städten

Viele Studenten finden ein,

Junge und alte, groß und klein.

3.

Gleichergestalten und imgleichen fanden

Sich auch hier solche aus allerlei Landen

Und jährlich kamen noch viele herbei,

Um zu studiren Mancherlei.

4.

Zum Exempel: die Theologiam,

Jura, Medicin und Philosophiam,

Und was man sonst für gute Künste hält,

Zum Fortkommen dereinstens in der Welt.

5.

Die meisten aber, anstatt zu studiren,

Thaten nur ihre Gelder verschlemmiren

Und lebten lustig und guter Ding,

Indessen die edle Zeit verging.

6.

Hieronimus, dem’s Studiren zuwider,

Mengte sich bald unter die lustigen Brüder

Und betrug sich in kurzer Zeit schon so,

Als wäre er längstens gewesen do.

7.

Denn so gut als der beste Academicus

Lebte er täglich in Floribus,

Und es wurde manche liebe Nacht

In Sausen und Brausen zugebracht.

8.

Wein, Tabak und Bier war sein Leben,

Er that dabei die Stimme hoch erheben,

Wenn er mit lautem und starkem Klang

Das Gaudeamus igitur sang.

9.

Als ein wahres Muster fideler Studenten

Verfuhr er bei Allen, die ihn kennten,

Und lebte immer fein burschikos:

Sein drob erhaltener Ruhm war groß.

10.

Jene drei verhaßte Geschwister:

Häscher, Pedellen und Philister,

Hat Hieronimus als ein Held

Oeftermalen jämmerlich geprellt.

11.

Mehrmals hat er sie periiret,

Oder sie sonst lästerlich vexiret,

Ansonsten sich noch gezeiget auch,

Alles nach Renommistengebrauch.

12.

Des Sommers ist er fleißig ausgeritten,

’s Winters beim Schnee gefahren auf Schlitten,

Und keine Ergötzlichkeit überhaupt

Hielte Hieronimus für unerlaubt.

13.

Mehrmals ist er auch zum Vergnügen

Nach den benachbarten Dörfern gestiegen,

Allwo er dann meistens auf dem Land

Manche gutwillige Schöne fand.

14.

Die Fenster hat er oft nächtlich eingeschlagen,

Jungen Füchsen angethan viele Plagen,

Spielte Würfel, Karten und Billiard

Und also nicht sehr gelehrt ward.

15.

Im Raufen und Schlagen fand er Vergnügen,

Täglich that er in der Schenke liegen,

Ging aber auch, alle zwei Monat einmal

Zur Abwechselung in den Collegiensaal.

16.

Wenn er muthwillige Schulden gemachet,

Hat er die Gläubiger ausgelachet.

Auch ihnen gespielet manchen Betrug,

Sonst auch gemachet der Streiche genug.

17.

Kleider und Bücher that er versetzen

Und sich dafür mit Schmausen ergötzen,

Kurz zu sagen zu seiner Zeit

Uebertraf ihn Keiner an Lustigkeit.

18.

Zwar mußte er oft ins Carzer gehen,

Ist ihm auch sonst noch wol Strafe geschehen,

Hätt’ auch beinahe einmal zum Lohn,

Fast bekommen die Relegation.

19.

Drei Jahre lang hat er dies Leben getrieben

Und seinen Eltern oft um Geld geschrieben,

Doch waren die Briefe so eingericht’t,

Daß sie seine Aufführung merkten nicht.

20.

Zu unsers Hieronimus großem Lobe

Kommt im folgenden Kapitel eine Probe

Von dieser curiosen Correspondenz!

Beschließe also das itz’ge eilends.

Vierzehntes Kapitel.
Welches die Kopei enthält von einem Briefe, welchen nebst vielen andern der Student Hieronimus an seine Eltern schreiben thät.

1.

Sehr geliebteste Eltern!

Ich melde,

Hiebei, daß es mir fehlet an Gelde,

Habet also die Gewogenheit

Und schicket mir bald eine Kleinigkeit.

2.

Nämlich etwa 20 bis 30 Ducaten,

Denn ich weiß mich kaum mehr zu rathen,

Weil es alles so knapp geht hier,

Drum sendet doch dieses Geld bald mir.

3.

Alles ist hier ganz erschrecklich theuer,

Tisch, Stube, Wäsche, Licht und Feuer,

Und was sonst etwa vorfällt noch,

Drum schicket die 30 Ducaten doch.

4.

Kaum begreift ihr die starke Ausgabe,

Welche ich auf der Universität habe

Für so viele Bücher und Collegia,

Ach wären doch die 30 Ducaten schon da!

5.

Ich studire täglich recht fleißig.

Sendet mir doch nächstens die 30

Ducaten, so bald als möglich ist, her,

Denn mein Beutel ist jämmerlich leer.

6.

Wäsche, Schuhe, Strümpfe und Kleider,

Friseur, Nähterin, Schuster und Schneider,

Tinte, Federn, Bleistift, Papier,

Kosten viel, schickt die Ducaten mir!

7.

Das Geld, welches ihr hoffentlich bald sendet,

Wird, ich schwör’ es euch, gut angewendet.

Ja, liebe Eltern! ich behelfe mich

Sehr genau und höchst kümmerlich.

8.

Wenn andre Studenten saufen und schwärmen,

So entziehe ich mich allem wilden Lärmen,

Und schließe mich mit den Büchern allein

Auf meiner Studirkammer weislich ein.

9.

Außer den nöthigen Kosten und Speise

Erspar ich, liebe Eltern! auf alle Weise

Und trink vor’n Durst kaum einmal Thee,

Denn Geld ausgeben thut schrecklich mir weh.

10.

Andre Studenten, die lüderlich prassen,

Thun mich wegen meiner Eingezogenheit hassen,

Und sagen: da geht der Knicker einher,

Er studirt, als wenn er ein Pfarrer schon wär.

11.

Manchen Verdruß sie drob schon mir machten,

Ich thu aber ihre Spötterei verachten,

Und was man von meiner Frömmigkeit spricht.

Vergeßt doch die 30 Ducaten nicht!

12.

Täglich hab’ ich mich zehn ganze Stunden

In den Collegiis bisher eingefunden,

Und wann dann diese Collegia aus,

Studir’ ich in übrigen Stunden zu Haus.

13.

Die Professors sind trefflich mit mir zufrieden,

Und rathen fast, mich nicht so zu ermüden

In meinen beständigen Studiis

Philosophicis und Theologicis.

14.

Es möchte sich zwar nicht geziemen

Mich gegen euch, liebe Eltern! selber zu rühmen,

Doch sage und versich’r ich euch frei,

Daß ich der fleißigste von Allen sei.

15.

Oft will mir von allen gelehrten Dingen

Fast der Kopf, sammt dem Hirn, zerspringen,

Und manchmal wird mir gar wunderlich.

(A propos! die Ducaten erwarte ich.)

16.

Ja, liebe Eltern! ich lese schier beständig

Und strap’ziere meine Sinnen sehr elendig,

Und meistentheils wird sogar die Nacht

Mit tiefem Meditiren zugebracht.

17.

Nächstens gedenk’ ich auf die Kanzel zu steigen,

Und mich einmal im Predigen zu zeigen;

Ich disputir’ mich auch im Collegium

Ueber gelehrte Materien tapfer herum.

18.

Vergesset doch nicht die Ducaten zu schicken,

Damit ich sie schier baldigst möge erblicken.

Ihr bekommt einst dafür in meiner Person

Einen hochgelehrten und klugen Sohn.

19.

Da ich auch ein Privatissimum gesonnen

Zu halten und wirklich schon begonnen,

Welches 20 Reichsthaler kosten thut:

So erwart’ ich auch diese wohlgemuth.

20.

Auch thu ich euch, liebe Eltern! zu wissen,

Daß ich jüngst meinen Rock sehr zerrissen,

Also füget zu obigen Geldern doch

Zwölf Thaler zum neuen Rocke noch.

21.

Habe auch neue Stiefel sehr nöthig,

Es ist auch kein Schlafrock mehr vorräthig,

Imgleichen sind meine Pantoffeln und Hut

Auch andre Kleidungsstücke caput.

22.

Da ich nun dies alles nicht kann entbehren,

Wollt ihr mir noch a part 4 Louisd’or verehren,

Welche alsdann zur Nothdurft mein

Vielleicht möchten hinreichend sein.

23.

Ich bin auch kürzlich todtkrank gewesen,

Und kaum mit genauer Noth wieder genesen,

Doch versich’re ich euch mit Hand und Mund

Daß ich itzo sei wieder ziemlich gesund.

24.

Der Medicus, welcher mich curiret,

Hat dafür 18 Gulden aufgeführet,

Und die aus der Apotheke gebrauchte Arznei,

Machet, laut Rechnung, zwanzig und drei.

25.

Damit nun Arzt und Apotheker kriegen

Das Ihre, werdet ihr gütigst fügen,

Diese ein und vierzig Gulden dazu.

Seid übrigens wegen meiner Gesundheit in Ruh.

26.

Die Aufwärterin, welche mich that laben

In der Krankheit, möchte auch wol was haben.

Drum sendet noch sieben Gulden dafür

Und addressirt’s mit dem übrigen an mir.

27.

Für Citronen, Geleen und Confituren,

Zur Stärkung kranker und schwacher Naturen,

Steht auch noch als ein kleiner Rest,

Acht Gulden bei dem Conditor fest.

28.

Diese bemeldte Posten allzumalen

Möchte ich gerne nächstens richtig bezahlen,

Denn ich liebe Ordnung und hüte mich

Vor allen Schulden sorgfältiglich.

29.

Ich traue also zu euern milden Händen,

Daß sie mir Alles, nebst den 30 Ducaten senden,

Sobald als euch es möglich wird sein.

Noch fällt mir eine Kleinigkeit ein:

30.

Vor 15 Tagen hatte ich’s Ungelücke,

Und fiel hoch von der Treppe zurücke,

Als ich ging ins Collegium,

Und stieß mir den rechten Arm fast krumm.

31.

Der Chirurgus verlanget derohalben

Zwölf Thaler für Balsam, Pflaster und Salben,

Spiritus und sonstige Schmiererei;

Drum thut auch diese zwölf Thaler noch bei!

32.

Doch, damit ihr euch nicht alteriret,

Ich bin, Gottlob! ganz wieder curiret

Und geh’ mit gesundem Arm und Bein

Täglich in das Collegium ein.

33.

Nur habe ich einen sehr schwachen Magen,

Die Aerzte, die ich consulirt habe, sagen,

Das käme vom vielen Sitzen her,

Und weil ich so erstaunlich fleißig wär.

34.

Sie haben mir dieserhalben angerathen:

Warmen Burgunderwein, mit Zimmt und Muskaten,

Des Morgens zu trinken statt des Thee,

Das wäre gut für’s Magenweh.

35.

Leget also noch bei zwei Pistolen,

Um dafür Burgunder und Würze zu holen;

Gewiß, liebe Eltern! ich trinke es nur

Blos zur verordneten Magencur.

36.

Endlich habe ich noch einige Schulden

Von etwa 30 bis 40 Gulden,

Schicket mir also auch, ohne Fehl,

Liebe Eltern! dies Bagatell.

37.

Könnte ich, neben bei, für andere Ausgaben

Auch etwa noch ein Dutzend Louisd’or haben,

So käme mir dieses recht bequem,

Und wäre mir wirklich auch angenehm.

38.

Wenn ihr euch übrigens gesund befindet

Und nächstens im Briefe mir verkündet,

So wird mir dieses erfreulich sein,

Schließt aber auch ja das Geld mit ein.

39.

Hiemit will ich also mein Schreiben beschließen,

Meine Geschwister thu ich freundlich grüßen

Und verharre hierauf zum Schluß

Euer gehorsamer Sohn

Hieronimus

40.

Ich setze noch eilig zum Postscripte:

Meine hochgeehrte und sehr geliebte

Eltern! ich bitte kindlich,

Schicket doch bald das Geld an mich.

41.

Denn, lieber Vater! ich legte 14 französische Kronen

Zurück, sie bis zur äußersten Noth zu schonen,

Allein zum größten Schmerz und Verdruß

Stahl mir solche gestern ein Anonymus.

42.

Ich weiß, ihr ersetzt mir, ohne drum zu bitten,

Den Schaden, den ich unschuldig erlitten,

Denn Ihr, als ein hochvernünftiger Mann,

Begreift leicht, daß ich solchen nicht tragen kann.

43.

Ich werde indeß möglichst dafür sorgen,

Daß der Anonymus heute oder morgen

Zu eurer Beruhigung und Satisfaction

Bekomme den hanfenen Strick zum Lohn.

Funfzehntes Kapitel.
Folget auch die Kopei der schriftlichen Antwort des alten Senator Jobs auf vorgemeldeten Brief.

1.

Was hierauf des Vaters Antwort gewesen,

Das soll man gleichermaßen nun lesen:

Mein herzvielgeliebtester Sohn!

Dein Schreiben hab’ ich erhalten schon,

2.

Und deine Gesundheit und Wohlergehen

Mit Vergnügen aus demselbigen ersehen,

Jedoch vergnügt es mich eben nicht,

Daß dein Brief wieder von Geld spricht.

3.

Es sind noch nicht drei Monate vergangen,

Da du hundert und fünfzig Thaler empfangen,

Fast weiß ich nicht, wo in der Welt

Ich hernehmen soll alle das Geld.

4.

Ich höre gern auch, daß du studirest

Und dich fleißig und ordentlich aufführest,

Aber höchst ungern vernehme ich von dir,

Daß du 30 Ducaten forderst von mir.

5.

Fast, mein Sohn! sollte ich sagen und glauben,

(Du wirst mir meine Anmerkung erlauben)

Daß, wenn man auf der Universität

Sparsam ist, nicht so viel nöthig hätt’.

6.

Zwaren ist es wol gewiß und sicher,

Man hat nicht umsonst Collegia und Bücher,

Jedoch bekommt man für solche Summ’

Manches Buch und Collegium.

7.

Tisch, Stube, Wäsche, Licht und Feuer

Kann auch unmöglich sein so theuer,

Auch Federn, Bleistift, Tinte, Papier

Kaufst du für wenige Groschen g’nug dir.

8.

Ich vernehme es zwar auch sehr gerne,

Daß du dich von böser Gesellschaft ferne

Hält’st, und auf der Studirstube sitzst

Und bei den geliebten Büchern schwitzst;

9.

Auch daneben nur Thee thust trinken:

Indessen will’s mir wahrscheinlich dünken,

Daß, wenn man über den Büchern ruht

Und Thee trinkt, nicht 30 Ducaten verthut.

10.

Wenn dich Andre einen Knicker schelten,

So mag dir dieses gleich viel gelten;

Doch, wer so viel Geld verschwendet als du,

Dem kommt der Name Knicker nicht zu.

11.

Weil du übrigens von deinem Fleiße schreibest,

So rathe ich, daß du fein dabei verbleibest,

Damit das Geld und die edle Zeit

Angewandt werde in Nützlichkeit.

12.

Doch mußt du dich nicht so sehr angreifen

Und im Kopf so viel Gelehrsamkeit häufen,

Denn es trifft, leider! mannichmal ein,

Daß große Gelehrte meist Narren sein.

13.

Dein Vorsatz, zu predigen, thut mir gefallen,

Drum übe dich fleißig darin vor allem;

Aber, bei vieler Disputation

Kommt eben nichts Kluges heraus, mein Sohn!

14.

Wozu auch das Privatissimum nützet,

Wenn man schon zehn Stunden im Collegio sitzet,

Das begreif’ ich um destoweniger wol,

Da es 20 Reichsthaler kosten soll.

15.

Doch lasse ich’s vor allen andern passiren:

Denn das Geld, welches du zum Studiren

Gebrauchest, gebe ich gerne her,

Und wenn’s auch noch dreimal so viel wär.

16.

Da auch, wie du schreibst, dein Rock zerrissen,

So kannst du freilich einen neuen nicht missen;

Jedoch das Tuch würde suprafein

Für die verlangten zwölf Thaler sein.

17.

Wer aber zum Pfarrherrn will studiren,

Muß nicht mit kostbaren Kleidern stolziren;

Drum wäre ein etwas gröberes Tuch

Zum neuen Rocke dir gut genug.

18.

Auch für noch sonstige Kleidungsstücke

Willst du, daß ich vier Louisd’or schicke,

Nämlich für Schlafrock, Pantoffel und Hut,

Weil sie nicht zum Gebrauche mehr gut.

19.

Wenn ich aber solches allzumalen

Posten für Posten sonders soll bezahlen,

Wozu sollen dann, lieber Hieronimus mein!

Die verlangten dreißig Ducaten sein?

20.

Ich habe es mit Mitleiden gelesen,

Daß du jüngsthin todtkrank gewesen;

Aber du hast nicht wol gethan,

Daß du viele Arznei gewendet an.

21.

Denn ich habe oft und viel erfahren,

Daß, besonders in den jüngeren Jahren,

Die sich selbst überlaßne Natur

Mehr wirkt, als die beste Mixtur.

22.

Dein gebrauchter Arzt und Arzeneien,

Sind fast theuer zum Verabscheuen,

Und wie mir dünken sollte, so ist

Weder Apotheker, noch Arzt ein Christ.

23.

Da auch eine Wärterin, wie ich gelesen,

In der Krankheit bei dir ist gewesen;

So reichte für diese Aufwärterin,

Statt sieben, ein einziger Gulden hin;

24.

Wenn sie nicht etwa sonst, vor diesen,

Liebesdienste andrer Art dir erwiesen,

Denn, lieber Sohn! ich schließe dies

Schier aus den sieben Gulden gewiß.

25.

Was auch nun den Conditor anlanget,

Welcher ebenfalls acht Gulden verlanget,

So wäre gewesen ein Thaler genug,

Und du warest gewißlich nicht klug.

26.

Denn Citronen, Confituren und Leckereien

Geben eigentlich dem Kranken kein Gedeihen,

Aber ein Hafer- oder Gerstentrank

Nutzet weit mehr, wenn man ist krank.

27.

Es ist nicht gut, daß du bist gefallen

Von der Treppe, drum sorge ja für allen,

Daß du hinfüro nicht wieder fällst,

Denn die Cur beträget viel Gelds.

28.

Dein Wundarzt hat dich recht hergenommen,

Denn für zwölf Thaler, wie ich vernommen,

Heilt unser berühmter Stadtbalbier

Einen Arm- oder Beinbruch schier.

29.

Doch freut’s mich, daß dein Arm wieder curiret;

Denn wenn ein Pfarrer auf der Kanzel peroriret,

So muß der Arm geschmeidig und fein

Beim Klopfen und Gestusmachen sein.

30.

Ich muß dich ferner auch herzlich beklagen

Wegen deinem sehr schwachen Magen;

Mein Magen ist, leider! auch nicht viel nütz,

Weil ich sehr öfters zu Rathe sitz.

31.

Indeß thut Burgunder mit Gewürzen

Dich nur unnöthig in Kosten stürzen;

Schlucke lieber oft ein Pfefferkorn ein,

Das soll sehr gut für den Magen sein.

32.

Du willst auch noch 30 bis 40 Gulden

Haben, zur Bezahlung einiger Schulden;

Ich sinne nun hin, die Kreuz und die Queer,

Beim Himmel! wo kommen die Schulden doch her?

33.

Du hast ja schon Alles specificiret

Und Posten für Posten zum höchsten aufgeführet,

Und vierzig Gulden, bei meiner Seel!

Sind nicht, wie du glaubst, ein Bagatell.

34.

Endlich soll ich gar noch ein Dutzend Pistolen

Zu andern Ausgaben für dich herbei holen;

Es wäre dir vielleicht zwar angenehm,

Mir aber kommt’s höchst unbequem.

35.

Denn mit den verlangten 30 Ducaten

Kannst du dich wegen der Ausgaben schon berathen,

Dieses letztere Dutzend Louisd’or

Kommt mir also als Ueberfluß vor.

36.

Auch mit dem Ersatz der dir gestohlnen 14 Kronen

Hättest du mich billig sollen verschonen,

Denn, wahrlich! der Ersatz schmerzet mir

Weit mehr, als der angebliche Verlust dir.

37.

Daß du übrigens zu meinem Troste willst verlangen,

Man solle den Dieb sans façon drum aufhangen,

Dieses wäre gewiß gar nicht christlich,

Vielleicht bessert der Anonymus einst noch sich.

38.

Ueberhaupt muß ich dir im Vertrauen sagen:

In unsern heutigen aufgeklärten Tagen

Ist Gottlob! die heilige Justiz

Nicht wie ehemals so scharf und spitz.

39.

Und um den Raub solcher Kleinigkeiten

Braucht Keiner mehr die doppelte Leiter zu beschreiten,

Wenigstens in unserm klugen Schildburg

Gehen viel größere Diebe frei und frank durch.

40.

Wenn du künftig Gelder willst aufsparen,

So rathe ich, solche vorsicht’ger zu bewahren;

Denn auf keinem Dinge in der Welt

Wird so allgemein speculirt als auf Geld.

41.

Ich und deine Mutter verstehn es besser,

Wir bewahren unsre Baarschaft hinter Riegel und Schlösser

Und geben sowol bei Tag als bei Nacht

Darauf sehr sorgfältig und ängstiglich Acht.

42.

Doch um deinen Geldmangel zu stillen,

Will ich noch einmal dein Verlangen erfüllen,

Und ich sende die Gelder mancherlei

Im versiegelten leinenen Sacke hiebei.

43.

Jedoch muß ich dir hienebst andeuten,

Es sind heur gar nahrlose Zeiten,

Und es fällt mir wahrlich gar schwer,

Alle Gelder zu nehmen woher.

44.

Mit dem Handel gibt’s nur Kleinigkeiten,

Denn es ist kein Geld unter den Leuten,

Und die Rathsherrnschaft wirft auch nicht viel ab,

Drum sind meine Einkünfte so knapp.

45.

Ich werde es also sehr gerne sehen,

Wenn du von der Universität thust gehen,

Zumalen da du, zu dieser Frist,

Gewißlich schon ausgelernet bist.

46.

Denn wenn du noch länger alda bleibest

Und das kostbare Studiren forttreibest,

So werde ich noch zum armen Mann

Und keine Gelder mehr schaffen kann.

47.

Wir werden dich hier mit großem Verlangen

Als einen gelehrten Sohn stattlich empfangen,

Besonders freut deine Mutter sich

Auf deine Zuhausekunft inniglich.

48.

Ich möchte dir gern etwas Neues schreiben,

Es thut aber Alles hier beim Alten bleiben;

Ich bin indessen früh und spat

Nach Gewohnheit gewesen oft im Rath.

49.

Da haben wir, in Pleno, thun dichten,

Um verschiedene Aenderungen einzurichten,

Damit in der hiesigen Polizei

Alles fein sauber und ordentlich sei.

50.

Deine Mutter hat an Zähnen viel ausgestanden;

Aber ein großer Wundarzt aus fremden Landen

Vor einigen Tagen hier kam

Und die bösen Zähne wegnahm.

51.

Deine Schwester Gertrud hat einen Freier,

Es ist der Procurator Herr Geier,

Die Sache ist schon gekommen sehr weit,

Und die Gertrud ist schon ziemlich breit.

52.

Unser Pfarrer ist immer kränklich,

Man hält seinen Zustand für bedenklich,

Stürbe einst dieser rechtschaffene Mann,

So würd’st du vielleicht unser Pfarrer dann.

53.

Unsers reichen Nachbars sein Lieschen

Vermeldet dir ein herzliches Grüßchen,

Das Mädchen wird wirklich artig und fein

Und könnte einst deine Frau Pfarrerin sein.

54.

Endlich grüßen dich allesammt wieder

Deine sämmtlichen Schwestern und Brüder,

Sie freuen sich über dein Wohlergehn

Und hoffen schier baldigst dich hier zu sehn.

55.

Ich beharre übrigens

Dein treuer Vater

Hans Jobs, pro tempore Senater.

N. S. Dein Schreiben mir zwar gefällt,

Aber verschone mich weiter mit Geld.

Sechszehntes Kapitel.
Wie Hieronimus ausstudirt hatte, und wie er nach seiner Heimat reisete, und wie es mit seiner Gelehrsamkeit bewandt war; fein artig im gegenwärtigen Kupfer vorgestellt.

1.

Sintemal man nicht ewig auf Universitäten

Bleiben kann, so war’s endlich vonnöthen,

Daß nach verflossener drei Jahren Zeit,

Sich Hieronimus machte zur Abfahrt bereit.

2.

Um seiner Eltern Verlangen und Willen,

Die nun seine Heimkunft begehrten, zu erfüllen,

That er Alles zu dieser Frist,

Was zum Abmarsche nöthig ist.

3.

Zwar brauchte er nicht viel einzupacken;

Denn außer Stiefeln, Degen, Weste und Jacken,

Und was man an seinem Leibe sonst sah,

War nicht ’s mindeste Geräthe da.

4.

Nach Büchern brauchte man gar nicht zu fragen,

Denn diese thaten ihm niemals behagen,

Und außer einer einzigen Predigt nur

Besaß er nicht die geringste Scriptur.

5.

Ein Freund hatte ihm selbige verehret

Und sie ihm nach und nach auswendig gelehret,

Damit er doch einmal ohne Beschwer

Zu Hause könnt’ predigen, wenn’s nöthig wär.

6.

Es that also der Gedanke bei ihm aufsteigen,

Wie er sich daheim den Eltern könnt’ zeigen,

Damit man nicht auf diese Manier

Den kahlen Zustand der Sache erführ.

7.

Zuletzt fiel es ihm ein zu sagen,

Wenn man nach Koffer und Mantelsack wollt fragen,

Daß ihm Alles gestohlen wär

Auf seiner Reise gen Hause her.

8.

Auch thaten einige Seufzer entstehen;

Armer Hieronime! wie wird’s dir ergehen,

Wenn man dich einmal examinirt?

Denn du hast nichts gelernt noch studirt.

9.

Zwar hat’s ihm herzlich gereut und verdrossen,

So daß er fast Thränen darob vergossen,

Weil er für alle Kosten und Zeit

Nicht erworben mehrere Gelehrsamkeit.

10.

Aber alles sein Trachten, Dichten und Denken,

Wünschen, Seufzen, Jammern und Kränken

Brachten ihm itzo keinen Gewinn,

Denn die Zeit war einmal dahin.

11.

Um also seine Grillen zu verlieren,

Ließ er formaliter invitiren

Seine Freunde auf der Universität,

Und gab ihnen den Schmaus zum Valet.

12.

Hier wurde dann tapfer nochmal geschmauset,

Getrunken, gelärmet und gesauset,

Bis endlich der traurige Morgen kam

Und Hieronimus Abschied nahm.

13.

Dieser ging ihm recht sehr zu Herzen

Und erregte ihm fast herbe Schmerzen,

Ja, er hat wirklich laut geweint

Und im Arm seiner Freunde gegreint.

14.

Eh er aber sein Ade genommen,

Ist er vorher zum Professor gekommen,

Dieser hat ihm für baares Geld,

Ein academisch Zeugniß zugestellt.

15.

Es ist zwar nicht gar löblich gewesen,

Doch Hieronimus, ohne es zu lesen

(Denn es war gesetzt in Griechisch und Latein)

Steckte es in den Schubsack hinein.

16.

Ich lasse ihn also nach Hause reisen,

Und vorher will ich noch dem Leser weisen

Im oben bevorstehenden Kupferblatt,

Wie’s um seine Gelehrsamkeit gestanden hat.

Siebzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus mit Stiefeln und Sporen bei den lieben Seinigen wieder angelanget ist.

1.

Als einst nach eingenommener Mittagsspeise

Der Senator Jobs (denn es war so seine Weise)

Mit seinem Pfeifchen im Lehnstuhl saß

Und die politische Zeitung las;

2.

Indeß Frau Jobs einiger Sachen wegen

In der Küche ein kleines Lärmen that erregen,

Auch sonst einige Ordnung gemacht

Und keine Seel an was Böses gedacht;

3.

Kam ein stolzer Reiter mit starken Schritten

Auf der Straße eilig daher geritten,

Und gleich hörten sie, Knall und Fall

Vor der Hausthür einen Karbatschenschall.

4.

Ob diesem fast fürchterlichen Knallen

Ließ Jobs die Zeitung aus der Hand fallen,

Und die Pfeife selbst war in Gefahr;

Frau Jobs aber verstummte gar.

5.

Aber aus diesem recht panischen Schrecken

That sie der Reiter bald aufwecken;

Weil er, im völligen Reisestaat,

Zu ihnen in die Stube trat.

6.

Die Alten schienen beide ihn nicht zu kennen,

Er wollte sich auch vorerstlich nicht nennen,

Bis endlich der gute Vater da

In ihm seinen lieben Hieronimus sah.

7.

Es fehlt mir schier an allen nöthigen Dingen,

Die gewaltig große Freude zu besingen,

Welche der fromme Senator empfand,

Fast entging ihm aller Verstand.

8.

Auch die Mutter konnte sich nicht fassen,

Noch vor Freude Händ’ und Füße lassen,

Als sie eben itzt und nunmehr

Sah, daß es Hieronimus wär.

9.

Fast hätten im Uebermaß der Freude

Klare Thränen geweinet alle beide,

Und das Willkomm! und dem Himmel sei Dank!

Und so weiter, währete lang.

10.

Es waren auch darauf nicht minder

Des Senators Jobsens übrige Kinder

Alle zusammen bei der Hand,

Und kein einziges hat ihn gekannt.

11.

Es war recht spaßhaft anzusehen,

Wie sich die Kinder thaten begehen:

Eins hielt ihn für’n großen Herrn,

Welcher gekommen wär von fern;

12.

Das andere hielt ihn, wegen dem Degen

Und der übrigen gefährlichen Kleidung wegen,

Für einen, der Kinder im Sack steckt,

Besonders wurden die jüngsten erschreckt.

13.

Aber sehr lustig ging es mit der Esther,

Unsers Hieronimi allerjüngsten Schwester,

Denn sie hielt ihn noch lange hernach

Für’n fremden Oheim von Gengenbach.

14.

In den drei Jahren, die er dort verschlendert,

Hatte sich seine Person sehr verändert,

Und er war dick geworden am Bauch,

Sein Bart ziemlich gewachsen auch.

15.

Es war also eben kein Wunder zu nennen,

Wenn ihn anfangs niemand mochte kennen,

Besonders, da sein Studentenhabit

Auch nicht, wer er eigentlich war, verrieth.

16.

Ein sehr großer Hut mit einer Feder,

Hosen und Weste von gelbem Bocksleder,

Ein kurzes Collet von grauem Tuch

Verstellte den Hieronimus genug.

17.

Dabei kam ein mächtig großer Degen,

Welcher, der mehreren Sicherheit wegen,

Sowol zum Stich, als Hiebe im Streit

Eingerichtet war spitz und breit.

18.

Imgleichen die martialische Miene,

Welche Tod und Wunden zu drohen schiene;

Die Haare hingen struppicht am Kopf

Und den Nacken drückte ein dicker Zopf.

19.

Diese und mehr seltsame Kleidungsstücke

Zogen bald auf sich des Vaters Blicke,

Denn ein sittsames schwarzes Kleid

Hätte den Alten weit mehr erfreut.

20.

Auch wollte des Hieronimus übriges Betragen

Dem alten Vater Jobs nicht zum besten behagen,

Weil bei dem Hieronimus fort und fort

Flüche erfolgten auf jedes Wort.

21.

Er gab ihm also deutlich zu verstehen,

Daß er nun anders sich möchte begehen,

Denn ein junger Theologus

Müsse leben nach geistlichem Fuß.

22.

Als er kurz darauf nach dem Koffer gefraget,

Hat Hieronimus alsobald gesaget

Und dabei kräftig geschworen: daß er

Vom Postwagen jüngst ihm gestohlen wär’.

23.

Diese Nachricht, daß er den Koffer verloren,

Klang unangenehm in des Vaters Ohren

Und er fing zu knurren drob an,

Hätte es nicht die Mutter gethan.

24.

Denn sie hielte den Alten zurücke,

Sprach, das ist ja ein Ungelücke,

Woran unser lieber Sohn nicht schuld;

Er ergabe sich also in Geduld.

25.

Indessen verbreitete auch das Gerüchte,

Des Hieronimus Wiederkunftsgeschichte

Ueberall in dem Städtelein aus

Und wälzete sich von Haus zu Haus.

26.

Der ganzen Bürgerschaft schien dran gelegen,

Und überall that sich Verwunderung erregen,

Und wo ein Mensch nur den andern sah,

So hieß es: Hieronimus ist wieder da.

27.

Es wurde übrigens angenehm und freudig

In Senator Jobsens Hause allerseitig

Der Rest des übrigen Tages verbracht

Und weiter nicht an den Koffer gedacht.

28.

Hieronimus labte sich an Trank und Speise

Weidlich, denn er war matt von der Reise,

Rauchte dabei auch ohne Beschwer

Des Vaters großen Tabaksbeutel leer.

Achtzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus nun anfing geistlich zu werden und wie er ein schwarzes Kleid und eine Perücke bekam, und wie er auf der Kanzel zum ersten Mal predigte, u. s. w.

1.

Als nun der andere Morgen vorhanden

Und alles im Hause war aufgestanden

Und beim Frühstück und Kaffeetisch

Jeder sich befande munter und frisch,

2.

Hub der Vater an zu discuriren:

Mein lieber Sohn! es will sich gebühren,

Daß deine bisherige Kleiderei

Anders in Zukunft beschaffen sei.

3.

Vorab mußt du den schrecklichen Degen

Von deiner Seite, von nun an, legen,

Weil ein Geistlicher niemals nicht

Anders als mit der Bibel ficht;

4.

Auch das graue Collet und die lederne Weste

Nebst Hosen, Stiefeln und dem übrigen Reste,

Wie auch den mächtigen Federhut;

Denn alles dies steht keinem Geistlichen gut.

5.

Denn wenn Jemand diesen Anzug sähe,

Möchte er billig denken: o wehe,

Das könnte eher ein Kürassier

Sein, als ein künftiger Pfarrer hier!

6.

Wisse auch, daß eine runde Perücke

Auf den geistlichen Kopf sich besser schicke;

Denn diese lässet ehrwürdig und wohl,

Ein struppichtes Haar und Zopf läßt toll.

7.

Ich habe also mir vorgenommen,

Um zu lassen den Schneider kommen,

Damit dir dieser ein schwarzes Kleid

Und einen Mantel noch mache heut.

8.

Auch ist der Perückenmacher bestellet,

Damit er, wenn es dir gefället,

Zu deines Kopfes künftiger Zier

Eine Perücke bringe dir.

9.

Das wird ein ehrbares Ansehen dir geben,

Es ist aber auch nöthig daneben,

Daß du hinfüro nicht mehr so fluchst,

Sondern auch geistlich zu leben suchst.

10.

Hieronimus hörte zwar etwas spröde

Seines alten Vaters vernünftige Rede,

Doch ließ er sich endlich ebenfalls

Alles gefallen und bereden all’s.

11.

Man sah ihn darauf, eh der Tag noch vergangen,

Im schwarzen Kleide und Perücke prangen,

Es war auch ein weißes Krägelein da,

Gemacht von der Mutter manu propria.

12.

Geistlich staffirt vom Kopf bis zu’n Füßen,

That er nun den Eltern kund und zu wissen,

Daß er, zu predigen in dieser Livrei,

Am künftigen Sonntag gesonnen sei.

13.

Er hat sich auch treu des Versprechens entledigt,

Und am folgenden Sonntag gepredigt,

Und ohne einen sonderlichen Anstoß

Ward er glücklich der Predigt los.

14.

Denn, wie oben, Kapitel sechszehn, gehöret,

Hatte ein Freund ihm eine Predigt verehret,

Diese kam ihm vortrefflich zur Hand,

Weil er sie ganz auswendig verstand.

15.

Sie war gar vortrefflich componiret,

Mit vielen erbaulichen Sprüchen gezieret,

Und so voll vom gelehrten Tand,

Daß sie Hieronimus selbst nicht verstand.

16.

Auch sein äußerer Anstand war prächtig,

Seine Arme und Hände bewegte er mächtig,

Und der Stimme starker Tenor

Drang den Zuhörern stattlich ins Ohr.

17.

Es wurde übrigens von vielen hundert

Zuhörern seine Predigt bewundert,

Viele stießen die Köpfe an

Und sagten: „das gibt ein ganzer Mann!

18.

Wer Henker hätte das denken sollen,

Daß so was einst hätte werden wollen

Aus des Jobsens dummen Hieronimus?

Er erregt ja Verwundernuß!“

19.

Auch waren alle Verwandten gegenwärtig,

Gafften Hieronimus an, der so fertig,

Als hätte er längst gestanden im Amt,

Sie erbauen konnte allesammt.

20.

Aber, ich vermag nicht das Entzücken

Der beiden guten Eltern auszudrücken,

Denn sie hielten nun beiderseits

Ihn für den größten Redner bereits.

21.

Als nun der Gottesdienst verrichtet,

Ward ein groß Freudenmahl angerichtet,

Und in Senator Jobsens Haus

Kamen alle Verwandten zum Schmaus.

22.

Da hat man, während dem Mittagsessen,

Nichts zu Hieronimi Lobe vergessen,

Und man trank öfters zu dieser Zeit

Aus großen Gläsern seine Gesundheit.

23.

Es ward auch zu denselbigen Stunden

Von der ganzen Versammlung für gut befunden,

Daß bei obwaltenden Umständen nunmehr,

Zu des Hieronimus größerer Ehr,

24.

Er es nächstens müsse wagen

Und sich zum Candidaten lassen schlagen,

Damit er in optima Forma hie

Werde Candidatus Ministerii.

25.

Zwar wäre es dieserhalb wol vonnöthen

Vorerst vors Examen hinzutreten,

Doch bei der gezeigten Gelehrsamkeit

Hätte dieses keine Schwierigkeit.

26.

Um so mehr, da der hiesige Pfarrer schwächlich

Wäre, so könnte Hieronimus gemächlich

Und ohne allen Zank und Geschrei

Antreten die erledigte Pfarrei;

27.

Wenn es nämlich bald glücklich gelünge,

Daß der Pfarrer den Weg alles Fleisches ginge,

Denn seine kränkliche Constitution

Ließe dieses fest hoffen schon.

28.

Hieronimus vermochte so viel Gründen und Flehen

Nunmehro nicht länger zu widerstehen,

Er gab also, obgleich ängstlich genung,

Dazu seine Einwilligung.

29.

Er leerete übrigens zwar mit Vergnügen

Manches großes Glas in starken Zügen,

Doch wenn er ans künft’ge Examen gedacht,

So hat ihm dieses ein Grausen gemacht.

30.

Endlich suchte er seine traurigen Grillen

Durch einen tüchtigen Rausch zu stillen,

Obgleich sein Mißfallen der alte Jobs

Bezeigte, durch ernsthaftes Schütteln des Kopfs.

Neunzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus zum Candidaten examinirt ward, und wie es ihm dabei erging.

1.

Indeß ist es beim Entschlusse geblieben,

Und nach wenigen Wochen hat man verschrieben

Die ganze hochehrwürdige Klerisei

Zu Hieronimus Examen herbei.

2.

Jedoch, wie ihm ob solcher Gefahre,

Des nahen Examens zu Muthe ware,

Und sein gemachtes ängstliches Gesicht,

Dies alles begreift der Leser nicht.

3.

Es wäre also solches zu schildern vergebens.

Die fürchterlichste Stunde seines Lebens,

Nahte nunmehro endlich herzu;

Ach! du armer Hieronimus, du!

4.

Nenne mir nun, Jungfer Muse, die Namen

Der geistlichen Herrn, welche zum Examen

Aus jeder Gegend der Schwäbischen Welt

Am bestimmten Tage sich eingestellt.

5.

Der erste war der Herr Inspector,

In der Lehre stark wie ein andrer Hector,

Ein stattlicher dickgebauchter Mann;

Man sah ihm gleich den Inspector an.

6.

Seine Verdienste schafften ihm diese Würde;

Er trug übrigens seines Amtes Bürde

Geduldig und mit gar frohem Muth

Und aß und trank täglich gut.

7.

Nach ihm kam der geistliche Assesser,

Ein Mann von Person zwar etwas größer,

Doch an Körper und Waden dünn

Und von etwas mürrischem Sinn.

8.

Er triebe nebst der geistlichen Sache

Verschiedene Stücke aus dem ökonomischen Fache

Und trank nur Bier und schlechten Wein,

Denn seine Einkünfte waren klein.

9.

Auch Herr Krager, ein Mann von hohen Jahren,

In den Kirchenvätern sehr wohl erfahren,

Die er, so oft die Gelegenheit kam

Seinen Satz zu erweisen, hernahm.

10.

Auch Herr Krisch, ein Mann von guten Sitten,

Ungemein stark in Postillen beritten;

Wobei er sich so gut und noch besser befand

Als der beste Pfarrer im Schwabenland.

11.

Auch Herr Beff, ein weidlicher Linguiste,

Und im Leben und Wandel ein ziemlicher Christe,

Im Vortrag ein ewiges Einerlei,

Doch niemals gegen Orthodoxei.

12.

Auch Herr Schrei, stark in der Rede,

Weder in Gesellschaft noch auf der Kanzel blöde,

Lebte übrigens munter und frisch

Mit seiner Köchin exemplarisch.

13.

Auch Herr Plotz, ein Mann wie ein Engel,

Er hatte zwar in der Jugend viele Mängel,

Nachdem er aber sein Amt trat an,

Ward er ein gar frommer Mann.

14.

Er hielte seine hochgeliebte Gemeine

Von allen Lastern und bösem Wesen reine,

Und strafte zur Zeit und zur Unzeit

Alle und jede, doch nach Gelegenheit.

15.

Auch Herr Keffer, nie müde in Lehr’ und Strafen,

Er nahm sich treulich an seiner Schafen,

Doch fande sich in der Heerde sein

Mancher hartnäckige Bock mit ein.

16.

Oft war er, um sie zurechte zu führen,

Er deshalb genöthiget zu processiren,

Denn er verstand die Jura, in der That,

So gut als der beste Advocat.

17.

Außer diesen obengenannten kamen

Noch mehr geistliche Herren zum Examen,

Die ich nicht alle Mann für Mann

Sogar genau mehr nennen kann.

18.

Als nun die ganze geistliche Schaare

Der hochehrwürdigen Herren beisammen ware,

So setzten, praemissis praemittendis,

Sich alle um einen großen Tisch.

19.

Hieronimus trat mit Zittern und Zagen

Vor die sämmliche Gesellschaft der weißen Kragen

Und scharrete ihnen demüthig den Gruß.

O weh dir! o weh dir! Hieronimus!

20.

Zuvorderst erkundigten die Examinatores

Sich nach seinen bisherigen Sitten und Mores

Und fragten ihn bald, ob er auch hätt’

Ein Zeugniß von der Universität?

21.

Hieronimus, ohne sonderliche Umstände,

Gab das Attest in des Inspectors Hände,

Welcher dasselbe alsbald dann luß;

O weh dir! o weh dir! Hieronimus!

22.

Es war zwar, wie oben schon angeführet,

In Latein und Griechisch concipiret,

Folglich zu lesen ein schweres Stück;

Doch verstand zu allem Ungelück

23.

Der Inspector etwas von den Sprachen,

Um hier die nöthigste Dollmetschung zu machen;

Denn für jeden andern geistlichen Herr

War die Uebersetzung zu schwer.

24.

Damit nun hier nichts möge fehlen,

Will ich dem geneigten Leser erzählen,

Was eigentlich in dem Attestat

Von Wort zu Wort gestanden hat.

25.

Zuerst Name und Titel vom Professer

Und in drei Buchstaben etwas größer

Wünschte er, durch L. B. S. dem

Lectori Benevolo Salutem!

26.

Sintemal und immaßen drei Jahre

Und einige Wochen hieselbst ware

Herr Hieronimus Jobsius

Als Theologiä Studiosus;

27.

Derselbe aber abzureisen nunmehro

Ernstlich ist gesonnen, und dero-

halben um ein schriftlich Attestat

Mich geziemendermaßen bat:

28.

So habe ich nicht unterlassen können,

Ihme solches schriftliches Zeugniß zu gönnen:

Daß derselbe alle viertel Jahr

Bei mir einmal im Collegio war.

29.

Ob er sich sonst des Studirens privatim beflissen,

Wird ihm wol sagen sein eigen Gewissen,

Dann in diesem schriftlichen Bericht

Behaupte und zeuge ich solches nicht.

30.

Und von seinem sonstigen Betragen

Wäre zwar nicht viel Gutes zu sagen,

Allein die christliche Liebe will,

Daß ich davon schweige still.

31.

Uebrigens wünsch’ ich ihm auf alle Weise

Hiedurch eine glückliche Abreise,

Und der gütige Himmel leite ihn

Künftig zu allem Guten hin!

32.

Was man für große Augen gemachet,

Und daß Herr Hieronimus nicht gelachet,

Als man den Inhalt fand dergestalt,

Ein solches begreifet der Leser alsbald.

33.

Indeß ist es für diesmal geschehen,

Daß man die Sache hat übersehen,

Und man redete von dem Attest

Aus christlicher Erbarmung und Liebe das Best’.

34.

Denn die Herren dachten weislich zurücke,

Daß sie auch wol viele lustige Stücke

Auf Academien getrieben vor dem;

Man schritte also weiter ad rem.

35.

Der Herr Inspector machte den Anfang,

Hustete viermal mit starkem Klang,

Schnäuzte und räusperte auch viermal sich

Und fragte, indem er den Bauch strich:

36.

Ich, als zeitlicher pro tempore Inspector,

Und der hiesigen Geistlichkeit Director,

Frage Sie: Quid sit Episcopus?

Alsbald antwortete Hieronimus:

37.

Ein Bischof ist, wie ich denke,

Ein sehr angenehmes Getränke

Aus rothem Wein, Zucker und Pomeranzensaft

Und wärmet und stärket mit großer Kraft.

38.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes;

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

39.

Nun hub der Assessor an zu fragen:

Herr Hieronimus! thun Sie mir sagen,

Wer die Apostel gewesen sind?

Hieronimus antwortete geschwind:

40.

Apostel nennet man große Krüge,

Darin gehet Wein und Bier zur G’nüge,

Auf den Dörfern und sonst beim Schmaus

Trinken die durstigen Bursche daraus.

41.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

42.

Nun traf die Reihe den Herrn Krager

Und er sprach: Herr Candidat! sag’ Er,

Wer war der heilige Augustin?

Hieronimus antwortete kühn:

43.

Ich habe nie gehört oder gelesen,

Daß ein andrer Augustin gewesen,

Als der Universitätspedell Augustin,

Er citirte mich oft zum Prorector hin.

44.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

45.

Nun folgte Herr Krisch ohn Verweilen

Und fragte: Aus wie vielen Theilen

Muß eine gute Predigt bestehn,

Wenn sie nach Regeln sollte geschehn?

46.

Hieronimus, nachdem er sich eine Weile

Bedacht, sprach: die Predigt hat zwei Theile,

Den einen Theil Niemand verstehen kann,

Den andern Theil aber verstehet man.

47.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

48.

Nun fragte Herr Beff der Linguiste:

Ob Herr Hieronimus auch wol wüßte,

Was das hebräische Kübbuz sei?

Und Hieronimus antwortete frei:

49.

Das Buch, genannt Sophiens Reisen

Von Memel nach Sachsen, thut es weisen,

Daß sie den mürrischen Kübbuz bekam,

Weil sie den reichen Puff früher nicht nahm.

50.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

51.

Nun kam auch an den Herrn Schreie,

Den Hieronimus zu fragen die Reihe,

Er fragte also: Wie mancherlei

Die Gattung der Engel eigentlich sei?

52.

Hieronimus that die Antwort geben:

Er kenne zwar nicht alle Engel eben,

Doch wär ihm ein blauer Engel bekannt

Auf dem Schild an der Schenke, zum Engel genannt.

53.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

54.

Herr Plotz hat nun fortgefahren

Zu fragen: Herr Candidate! wie viel waren

Concilia oecumenica?

Und Hieronimus antwortete da:

55.

Als ich auf der Universität studiret,

Ward ich oft vor’s Concilium citiret,

Doch betraf solches Concilium nie

Sachen aus der Oeconomie.

56.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

57.

Nun folgte Herr Keffer, der geistliche Herre,

Seine Frage schien zu beantworten sehr schwere,

Sie betraf der Manichäer Ketzerei,

Und was ihr Glaube gewesen sei?

58.

Antwort: Ja, diese einfältigen Teufel

Glaubten, ich würde sie ohne Zweifel

Vor meiner Abreise bezahlen noch,

Ich habe sie aber geprellet doch.

59.

Ueber diese Antwort des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

60.

Die übrigen Fragen, welche man proponiret,

Lasse ich hier aus Mangel des Raums unberühret;

Denn sonst machte das Protocoll

Wol mehr als sieben Bogen voll.

61.

Sintemal man noch Vieles gefraget,

Worauf Hieronimus die Antwort gesaget

Auf obige Weise Stück vor Stück

Aus Dogmatik, Polemik und Hermeneutik.

62.

Imgleichen sonst noch manche Sachen

Aus der Kirchenhistoria und Sprachen,

Und was man einen geistlichen Mann

Sonst wo zur Prüfung noch fragen kann.

63.

Ueber alle Antworten des Candidaten Jobses

Geschah allgemeines Schütteln des Kopfes,

Der Inspector sprach zuerst: hem! hem!

Drauf die andern secundum ordinem.

64.

Als nun die Prüfung zu Ende gekommen,

Hat Hieronimus einen Abtritt genommen,

Damit man die Sache nach Kirchenrecht

In reife Ueberlegung nehmen möcht’:

65.

Ob es mit gutem Gewissen zu rathen,

Daß man in die Klasse der Candidaten

Des heiligen Ministerii den

Hieronimum aufnehmen könn’.

66.

Es ging also an ein Votiren,

Doch ohne vieles Disputiren

Ward man einig alsobald:

Es könne zwar dermal und solchergestalt

67.

Herr Hieronimus es gar nicht verlangen,

Den Candidaten-Orden zu empfangen,

Jedoch aus besondrer Consideration

Wollte man stille schweigen davon.

68.

Es hat auch wirklich in vielen Jahren

Kein Fremder davon etwas erfahren,

Sondern Jedermann hielt früh und spat

Den Hieronimum für einen Candidat.

Zwanzigstes Kapitel.
Wie der Autor gar demüthiglich um Vergebung bittet, daß das vorige Kapitel so lang gewesen und wie er verspricht, daß das gegenwärtige Kapitel desto kürzer sein sollte. Ein Kapitel, wovon die Rubrik länger ist, als das Kapitel selbst, und welches, unbeschadet der Geschichte, wol hätte wegbleiben können.

1.

Ich bitte um Verzeihung alle, die mich lesen,

Daß voriges Kapitel so lang gewesen,

Dabei soll auch dieses Kapitelein,

Lieber Leser! desto kürzer sein.

Einundzwanzigstes Kapitel.
Wie Vater Jobs der Senator dem Hieronimo eine Strafpredigt halten thät, und wie er vor Verdruß stirbt.

1.

Nun hätte man sollen das Lärmen sehen,

Was da in Jobsens Hause geschehen,

Weil es, wie gesagt, nicht allerding

Mit dem Examen nach Wunsche ging.

2.

Aber was that denn des Hieronimi Vater?

Lieber Leser! du magst wol fragen: was that er?

Er gerieth drob in gar großen Grimm,

Und sagte zu seinem Sohne: „du Lüm-

3.

mel! hab’ ich drum so viel angewendet

Und ganze Hände voll Geld verschwendet,

So daß fast worden zum armen Mann,

Und habe itzt nur Verdruß daran?

4.

Hättest du fleißiger gestudiret

Und dich rechtschaffener aufgeführet,

So wärst du itzo nunmehro hie

Ein Candidatus Ministerii!

5.

Und bekämest bald eine gute Pfarre;

Aber du bist nun ein ungelehrter Narre,

Der nichts von der Theologie versteht

Und sein Leben lang brodlos geht!

6.

Deine Mutter und ich hofften beide

An dir zu erleben viele Freude,

Und nun haben wir bittern Verdruß

Ob dich bösen Hieronimus!

7.

Alles was du vormals mir geschrieben,

Als hättest du die Studia getrieben,

Und wärest von allen der Fleißigste,

Sind lauter Lügen, wie ich nun seh.

8.

Auch was du vom Privatissimo

Und zehn Stunden im Collegio,

Von der Professoren Zufriedenheit,

Vom Theetrinken in der Einsamkeit;

9.

Item, von den vielen gelehrten Dingen,

Wovon dir der Kopf wollte zerspringen,

Vom Meditiren bis in die Nacht

Und sonst noch etwa hast vorgebracht;

10.

Auch daß dein Magen vom vielen Sitzen und Lesen

Geschwächet und verdorben gewesen,

Das alles ist, wie sich’s nun befind’t,

Nichts gewesen, als Lügen und Wind.

11.

Hätte ich doch ehmals unsers frommen

Rectors guten Rath angenommen,

Der es deutlich genug sagte mir:

Es würde niemals etwas Gutes aus dir!

12.

So wäre das viele Geld ersparet

Und manches Kapital rund bewahret,

Das du, böser, unnützer Knecht!

Auf der Universität verzecht.“

13.

So war ungefähr die Predigt beschaffen,

Die der Alte hielte, den Sohn zu bestrafen,

Und er hätte im ersten Affect,

Fast den Hieronimus mit Prügeln bedeckt.

14.

Weil indessen Zürnen und Schelten

Für die Gesundheit zuträglich ist selten,

So fiel auch den guten alten Mann

Gleich eine heftige Krankheit an.

15.

Denn er litte oft in gesunden Tagen

Vom schmerzlichen Podagra viele Plagen;

Sein Rathsherrnstand, guter Appetit und Ruh

Disponirten den Körper dazu.

16.

Nun aber verließen ihn plötzlich die Schmerzen

Und das Podagra trat ihm zum Herzen,

Und nach vierundzwanzig Stunden Zeit

Wanderte er aus der Zeitlichkeit.

17.

Alles im Hause rang nun die Hände

Und des Klagens und Jammerns war kein Ende,

Daß Hieronimus selbst sogar

Kaum darüber zu trösten war.

18.

Der Leser möchte vielleicht gähnen,

Wenn ich diese traurigen Scenen

Näher beschrieb, ich lasse drum nun

Den Senator Jobs in Frieden ruhn.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus beinahe ein Informator eines jungen Barons geworden wäre.

1.

Obgleich nunmehro schon vierzehn Tage

Der alte Senator Jobs im Grabe lage;

So dachte doch noch dann und wann

Die Wittwe Jobsen an den seligen Mann.

2.

Hieronimus bekam indessen sein Futter

Bisher noch zu Hause von der Mutter,

Und hätte in solchem Müßiggang

Zugebracht gerne sein Leben lang;

3.

Wenn ihm nicht wäre der Vorschlag geschehen,

Sich nunmehro anderswo umzusehen,

Wo er in der Zukunft bequem

Seinen Unterhalt gebührlich hernähm.

4.

Denn die Hoffnung, eine Pfarre zu bekommen,

War dem armen Schelm gänzlich benommen,

Nachdem die gelernte Predigt einmal

Gehalten war auf den Dörfern überall.

5.

Sintemal nun manche große Geister

Ihr Glücke gemacht als Hofmeister,

So fiel es auch dem Hieronimus ein,

Irgendwo Hofmeister zu sein.

6.

Das Glück schien ihm nicht ungeneiget,

Denn es hat sich ohngefähr gezeiget

Nach etwa dreier Monate Zeit

Für ihn eine schöne Gelegenheit.

7.

Denn ein benachbarter Herr von Adel

Suchte einen Informator ohne Tadel,

Für billige Kost und acht Gulden Lohn

Bei dem jungen Baron, seinem einzigen Sohn.

8.

Religion, Sitten, fünferlei Sprachen,

Schreiben, Rechnen und dergleichen Sachen,

Philosophie, Physik, Geographie,

Mathematik, Historie, Poesie,

9.

Zeichnen, Musik, Tanzen, Fechten, Reiten

Et caetera, waren blos die Kleinigkeiten,

Welche für die acht Gulden Lohn

Lernen sollte der junge Baron.

10.

Es ließen also Ihro Gnaden

Den Candidaten Hieronimus zu sich laden,

Und fragten: ob er für die acht Gulden Lohn

Uebernehmen wollte die Information?

11.

Hieronimus antwortete: Gnädiger Herre!

Das Informatoramt ist sauer und schwere,

Und es wären acht Gulden schier

Viel zu weniges Lohn dafür;

12.

Doch, um Eure Gnaden zu gefallen,

Entschließe ich mich sofort zu allen,

Und nehme den jungen Herrn Baron

Gleich in meine Information.

13.

Der Handel war also nun getroffen,

Bis sich zuletzt wider alles Verhoffen

Noch eine kleine Schwierigkeit fand,

Welche bloserdings darin bestand:

14.

Ob auch Hieronimus in den verlangten Sachen

Die erforderliche Probe könne machen,

Welche für die acht Gulden Lohn

Lernen sollte der junge Baron?

15.

Da hat sich aber balde gewiesen,

Daß Hieronimus von allen diesen

Sachen selbst nichts gewußt, die von

Ihm lernen sollte der junge Baron.

16.

Er ward also in Frieden entlassen,

Und zog wieder heim seine Straßen,

Und verwünschte die Information

Zum Henker, mit dem jungen Baron.

17.

Ihro Gnaden aber suchten kreuz und queere,

Ob ein andrer aufzutreiben wäre,

Welcher für die acht Gulden Lohn

Uebernähme die Information.

18.

Ob er für die acht Gulden bis zu heutigen Stunden

Einen solchen gelehrten Informator gefunden,

Ist etwas, das ich nicht sagen kann,

Es geht mich auch in der That nichts an.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus ein Hausschreiber ward bei einem alten Herrn, welcher eine Kammerjungfer hatte, mit Namen Amalia, und wie er sich gut aufführte bis im folgenden Kapitel.

1.

Unter allen Ständen, die da werden

Angetroffen auf unserer Erden,

Ist, zweifelsohne, wie bekannt,

Der Wittwenstand der betrübteste Stand.

2.

Wo der Mann, als das Haupt des Weibes,

Fehlt, da steht es um die Pflege des Leibes

Und um die ganze Haushaltung schlecht,

Und nicht das Geringste geht zurecht.

3.

Die Einkünfte werden nach und nach vermindert,

Die unentbehrliche Nahrung wird verhindert,

Und gleich wie in einem Jammerthal

Ist Angst, Noth, Elend überall.

4.

Frau Jobs hat dies auch, leider! erfahren,

Denn sie merkte, daß gleich in den ersten Jahren

Alles im Hause den Krebsgang ging,

Und sie arm an zu werden fing.

5.

Hieronimus nun hat dazu freilich

Das Seinige beigetragen getreulich,

Denn er lebte in müßiger Ruh,

Aß gut und trank noch besser dazu.

6.

Indessen ward doch nun auf die Dauer

Der guten Wittwe solche Wirthschaft zu sauer,

Und ihr Hieronimus gereichte fast

Der Oekonomie zur größten Last.

7.

Er hat es auch selbst eingesehen,

Daß es nicht länger gut werde gehen,

Und erkundigte sich also weit und breit

Um eine andre Gelegenheit.

8.

Wie nun gewöhnlich die Dummen und Frommen

Am allerbesten in der Welt fortkommen,

So bot auch bei einem Edelmann

Sich abermal für ihn eine Stelle an.

9.

Dieser Herr lebte auf dem Lande

In einem trefflichen ruhigen Stande,

Und verzehrte als ein biedrer Cavalier

Seine großen Einkünfte mit Pläsir.

10.

Er that in seiner Jugend einige Züge

Im damaligen siebenjährigen Kriege,

Doch lag er meistens in Garnison

Und schonte so viel möglich seine Person.

11.

Indeß ward er bald dieses Lebens müde,

Denn er haßte Krieg und liebte Friede,

Und hielt folglich als ein tapfrer Mann

Unterthänig um seinen Abschied an.

12.

Jedoch fand er noch immer viel Vergnügen,

Oft zu reden von verschiedenen Siegen,

Und wie er einmal von ohngefähr

Auf der Flucht beinahe gefangen wär’.

13.

Uebrigens war er geneigt zu spaßen,

Schoß auch wol auf der Jagd einen Hasen,

Trank bei der Tafel Burgunderwein

Und lebte ohne Gemahlin allein.

14.

Er war also, in soweit, ein Junggeselle,

Doch war bei ihm, an der Gemahlin Stelle,

Eine Kammerjungfer, die früh und spat

Die nöthigen Bedürfnisse besorgen that.

15.

Er sparte als Greis den Rest seiner Kräfte

Und bekümmerte sich um keine Geschäfte,

Sondern ein treues Bedienten-Paar

Besorgte, was zu besorgen war.

16.

Der eine war ein schlauer, alter,

Treubefundener Hausverwalter,

Und der andre Herr Bediente war

Ein also genannter Secretar.

17.

Der Verwalter war noch am Leben

Und befand sich beim Dienste nicht uneben,

Denn er sorgte klug und weislich

Wenig für’n Herrn und viel für sich.

18.

Der Secretar war vor einigen Tagen

Weil er todt war, zu Grabe getragen,

Und also und dergestalt fand

Sich diese wicht’ge Bedienung vacant.

19.

Nun war der Verwalter ein alter Bekannter

Von Hieronimi Eltern, und darum wandt’ er

Als ein treuer dienstfertiger Mann

Alle Müh’ für Hieronimus an,

20.

Und hat ihn sehr kräftig recommandiret,

Ihn darauf in Persona präsentiret

Bei der Jungfer und beim alten Herrn

Als einen fähigen Secretärn.

21.

Es hat auch seine Person für allen

Der Kammerjungfer nicht übel gefallen,

Drum versprach sie ihm steif und fest

Bei dem Herrn zu reden das Best’.

22.

Er schien ihr beim ersten Anblick schon besser

Als der vorige Schreiber, sein Antecesser;

Denn Hieronimus war stark und lang,

Der vorige aber war mager und krank.

23.

Alldieweil er nun, wie gesaget,

Der Kammerjungfer, als der Hauptperson, behaget,

So gab auch der alte Herr sofort

Dazu sein Fiat und adliges Wort.

24.

Um ihm desto mehr Gnaden zu erweisen,

Mußte er sogar diesmal mit ihm speisen,

Und der Herr sprach mit freundlicher Stimm’

Nach geendigter Mahlzeit zu ihm:

25.

„Seine Pflicht soll darin bestehen,

Daß Er nach Vieh und Gesinde muß sehen,

Und als der geheime Secretär

Schreibe, was etwa zu schreiben wär’.

26.

Wird Er nun diese seine Amtspflichten

Als ein braver Schreiber ausrichten;

So geb’ ich Ihm dafür alle Jahr

Vierzig harte Reichsthaler baar.

27.

Gefällt Ihm diese Bedingung, so bleib Er

Bei mir, sub titulo als Hausschreiber,

Und ich verspreche Ihm, wenn Er treu,

Noch manche Accidenzien dabei;

28.

Doch muß Er niemals probiren,

Mit der Kammerjungfer zu haseliren;

Denn solchen Unfug leide ich durchaus nicht,

Das sage ich Ihm trocken ins Gesicht.

29.

Der letzverstorbene Hausschreiber

Sah gerne Mädchen und junge Weiber,

Und es ward mir sogar kund,

Daß er mit meiner Jungfer gut stund.

30.

Ich hätte ihn prostituiret

Und ohne viele Umstände cassiret;

Weil er aber klein war und schwach,

So sah ich ihm noch den Fehler nach.

31.

Das Mädchen ist zwar schlau und witzig;

Aber dabei verzweifelt hitzig,

Und wie mir gar manchesmal däucht,

Zu allerlei schlimmen Sachen geneigt.

32.

Vor fünf Jahren, unvermuther Weise,

Traf ich sie an auf einer Reise;

Und ihr lustiges Wesen gefiel mir,

Machte also meine Jungfer aus ihr.

33.

Er wird übrigens, ohne zu fragen,

Leicht schließen, was ich hiemit will sagen;

Denn einmal vor allemal sage ich nu,

Halte Er mit Amalien nicht zu!“

34.

Hieronimus wäre nicht klug gewesen,

Wenn er nicht, ohne viel Federlesen,

Auf obige Bedingung geworden wär’

Sehr gern der geheime Secretär.

35.

Er trat also sein Amt an geschwinde,

Und sah täglich nach Vieh und Gesinde,

Schrieb auch auf öfters und viel,

Was etwa zu notiren vorfiel.

36.

Zum Exempel: eingekommene Pächte,

Ausgegebenes Lohn für Mägde und Knechte,

Der geschossenen Hasen und Rebhühner Zahl,

Oder wenn man den Herrn bestahl;

37.

Oder was der Hausadvocat bekommen,

Oder der Richter extra genommen,

Oder was auf dem Markte indeß

Man gelöset an Butter und Käs’.

38.

Oder wenn etwa der Hausschneider

Der frommen Amalia ihre Kleider

Unten und oben weiter gemacht,

Oder die Kuh ein Kalb gebracht.

39.

Oder wenn die Jungfer Unpäßlichkeit wegen

Zur Ader gelassen, oder krank gelegen,

Oder ein Huhn geleget ein Ei;

Ausgaben und Einkünfte mancherlei.

40.

Wenn auch etwa Briefe zu schreiben waren,

So ließ der alte Herr, all’s Schreibens unerfahren,

Dem Herrn Secretär auch diese Müh’,

Und Hieronimus besorgte treulich sie.

41.

Mit Hilfe von Talanders Briefsteller

Ward er in Briefen fertiger und schneller,

(Und dieses zwar gar in kurzer Zeit)

Als je ein Schulmeister in der Christenheit.

42.

In den übrigen Stunden ging er müßig,

Aß, trank und schliefe überflüssig,

So, daß er dieses Secretariat

Sich lebenslänglich gewünschet hat.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Wie dem Secretär Hieronimo curiose Sachen vorkamen, und er weggejagt wurde.

1.

Geneigter Leser! unsre alten Vorfahren

Waren gewiß keine dummen Narren,

Sie hatten vielmehr oftermal

Einen klugen und gesunden Einfall.

2.

Und sie haben in ihrem Leben

Den Nachkommen viel gute Lehren gegeben,

Mancher stets wahr befundener Spruch,

Zeiget noch ihre Weisheit genug.

3.

Es ist auch itzo fast in allen Landen,

Unter andern ein altes Sprüchwort vorhanden,

Dessen Gewißheit und Wahrheit man

Noch täglich vor Augen sehen kann.

4.

Nämlich: wenn Einer soll können tragen

Eine Last von lauter guten Tagen,

So muß er mit sehr starkem Gebein

Von der Natur versehen sein.

5.

Dieses alten Sprüchworts Wahrheit

Zeiget sich auch mit großer Klarheit

Im gegenwärtigen Kapitel, schon früh,

An dem Exempel Hieronimi.

6.

Dieser lebte gleich einem Fürsten,

Brauchte weder zu hungern, noch zu dürsten,

Schlief früh ein und erhub sich spät

Nach ruhigem Schlaf vom Federbett.

7.

Es mangelte ihm folglich an keinem Stücke;

Doch es war, zu seinem Ungelücke,

Bewußtermaßen die Jungfer da,

Welche er täglich verliebt ansah.

8.

In ihren Mienen und ganzem Wesen

Schien er deutlich zu können lesen,

Daß sie in ihn den Secretär

Ebenfalls sterblich verliebet wär’.

9.

Oft auch, wenn er sie ganz nahe

Mit Aufmerksamkeit ins Gesicht sahe,

So that der Gedanke bei ihm entstehn,

Als hätt’ er sie vormals mehr gesehn.

10.

Trotz dem Verbote des alten Herren

Wagt’ er’s nun, ihr die Liebe zu erklären,

Und so wurden sie bald so vertraut,

Als wären sie Bräutigam und Braut.

11.

Doch, in Gegenwart des alten Herren,

Schien er ihrer gar nicht zu begehren,

Und er nahm sich vor allem Verdacht

Weislich und, so viel möglich, in Acht.

12.

Aber, ohne desselben Willen und Wissen,

Brachte in allerlei Scherzen und Küssen

Manches geheimes Stündelein um

Amalia mit dem Hieronimum.

13.

Dieses des Hieronimi gutes Betragen

That dem Mädchen trefflich behagen,

Denn für die leere Schmeichelei

Des Herrn hielt sie der Schreiber frei.

14.

Er bekam auch dafür viel schöne Dinge,

Dosen und Hemder, Schnallen und Ringe,

Tücher, Manschetten, Strümpfe, Handschuh,

Halsbinden, Mützen und mehr dazu.

15.

Einst hatte er bei ihr, von Amts wegen,

Ein Schreibergeschäfte abzulegen,

Und da reichte sie ihm sogar

Ein fürtreffliche Sackuhr dar.

16.

Er hat sie gar dankbarlich angenommen,

Doch gleich, als er sie in die Hand bekommen,

Rief er: Potz tausend Element!

Diese Sackuhr habe ich gekennt.

17.

Amalia ward zwar betroffen,

Doch gestund sie ihm sofort offen-

herzig, sie habe von einem Student

Sie ehmals erhalten zum Präsent.

18.

Wie’s doch so wunderlich pflegt zu gehen,

Das kann man itzo deutlich hier sehen,

Erwiderte Hieronimus; sicherlich!

Dieser Studente war ich.

19.

Und nunmehr haben sich beide besonnen,

Daß schon vor fünf Jahren ihre Bekanntschaft begonnen,

Und aus der gestohlnen Sackuhr

Machte die Jungfer itzt Schnack nur.

20.

Und sie haben beide herzlich gelachet

Und über den Possen sich lustig gemachet,

Daß nunmehr in die rechte Hand

Sich die vermißte Uhr wieder fand.

21.

Uebrigens war es kein sonderlich Wunder,

Daß die Jungfer nicht im Hieronimus jetzunder,

Als Candidaten und Secretär,

Den vorigen Studenten kannte mehr.

22.

Indessen machte diese lächerliche Affaire,

Daß sich beide von nun an noch desto mehre,

Zum Possen des alten Edelmanns,

Geliebet haben von Herzen ganz.

23.

Ihr Umgang ward also auf die Dauer

Täglich vertrauter und genauer,

Und ihr Löffeln und Buhlerei

Trieben sie fast offenbar und frei.

24.

War die Jungfer im Keller und Garten,

So that der Herr Schreiber ihr aufwarten,

Und in Küche, Kammer und Stall

Folgte er nach ihr überall.

25.

Sogar, wenn sie etwa nicht, von Pflichtwegen,

Den alten Herrn mußte wärmen und pflegen:

So brach sich Hieronimus den Schlaf ab,

Und ihr nächtliche Visiten gab.

26.

Auch bei dem Schreiben und Notiren

That Amalia ihm treulich assistiren,

Und befand sich ohne Unterlaß

Bei ihm, wo er stand oder saß.

27.

Sie gab ihm auch manch schönen Leckerbissen

Von des Herren Tafel heimlich zu genießen,

Und vom Kälberbraten und Wildpret

Bekam er immer die Nieren und Fett.

28.

Sie brachte ihm noch dabei unter-

weilen manche Flasche Burgunder

Heimlich aus dem Kellerhaus,

Und Hieronimus trank sie aus.

29.

So verstrichen in lauter Wollust die Tage

Des Hausschreibers Hieronimi, und ich sage,

Daß kein hochwürdiger Herr Prälat

Jemals besser gelebet hat.

30.

Es konnte sich aber dergestalten

Dies Leben nicht lange so verhalten,

Denn der alte gnädige Herr

Merkte den Handel mehr und mehr.

31.

Und anstatt daß er sonst gelachet,

Hat er nun saure Gesichter gemachet,

Und er gab deutlich genug zu verstehn,

Die Sache müsse nicht länger so gehn.

32.

Zum Ueberfluß führte er noch in aller Güte

Dem Herrn Secretären zu Gemüthe,

Daß, wenn er Amalien nicht künftig vermied,

So ertheilte er ihm den Abschied.

33.

Hieronimus versicherte auf seine Ehre,

Daß nichts Schlimmes vorgegangen wäre,

Und er wollte lieber hinfort

Mit Amalia reden kein einziges Wort.

34.

Wenn Er das thut, so kann Er bleiben,

So lange Er will, und bei mir schreiben

Lebenslang, als mein Secretär!

Erwiderte nun der alte Herr.

35.

Obgleich nun seit diesem Augenblicke

Hieronimus die verliebten Tücke

Mit der Jungfer heimlicher trieb,

Und desto fleißiger notirte und schrieb:

36.

So hat sich dennoch nach einigen Tagen

Ein sonderlich Abenteuer zugetragen,

Als der alte Herr, Abends spät,

Schlaflos sich herumwälzte im Bett.

37.

Und deßwegen, wie er wol zu thun pflegte,

Einen Besuch bei Amalien ablegte,

Damit sie durch ihre Freundlichkeit

Ihm vertriebe die Schlaflosigkeit.

38.

Da geschah alsbald ein groß Wunder;

Denn er fand daselbsten itzunder,

Daß schon Hieronimus, der Secretar,

Bei der Jungfer im Bettlein war.

39.

Himmel! Tausend Element! Potz Velten!

Da ging es an ein Fluchen und Schelten,

Und es wurde noch in derselbigen Nacht

Hieronimus aus dem Hause gejagt.

40.

Es half hier weder Bitten noch Flehen,

Das Abenteuer war nun einmal geschehen,

Und selbst die Kammerjungfer sogar

Gerieth fast drob in große Gefahr.

41.

Doch ihre listigen Schmeicheleien

Thaten sie diesesmal noch befreien,

Aber dem unglücklichen Candidat

Zu helfen, war nun weiter kein Rath.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus bei einer frommen Dame in Dienste kam, welche eine Betschwester war, und seiner in Unehren begehrte, und wie er von ihr weglief.

1.

Die von Amalien erhaltenen Gaben,

Hemder, Ringe, Schnallen et caetera haben

Zwar wol noch eine kurze Zeit

Den Hieronimus aus der Noth befreit.

2.

Nachdem aber Alles verkauft und verzehret,

Was ihm die gute Jungfer hatte verehret,

So mußte er wieder nolens volens,

Zur Vermeidung Hungers und Elends,

3.

Und um nicht vor Kummer zu sterben,

Sich um eine neue Versorgung zu bewerben,

Und sich desfalls irgendwo nun

In eine gute Bedienung thun.

4.

Nun lebte auf einem einsamen Schlosse

Eine verwittibte Dame, die eine große

Also genannte Betschwester war,

Sie war alt und hatte schon graues Haar.

5.

Brachte darum mit Beten und Singen,

Und lauter andern geistlichen Dingen,

Als eine sehr große Heiligin,

Schon einige Jahre des Lebens hin.

6.

Sie litte nicht die allermindeste Sünde

An und bei ihrem sämmtlichen Gesinde,

Und versammelte sie täglich zweimal,

Zum Singen und Gebet, in ihrem Saal.

7.

Sie bestrafte bei ihnen auf liebreiche Weise

Das kleinste Vergehn mit Entziehung der Speise,

Und hielte viel vom Fasten und Kastei’n

Und von einem halben Nösel Branntewein.

8.

Da nun, ohne Zweifel, zu zweien

Sich besser läßt trinken und kasteien,

Auch überhaupt in Gesellschaft

Man singen kann mit größerer Kraft:

9.

So hatte sie schon längst sich umgesehen,

Einen frommen Menschen auszuspähen,

Welcher ihr, sowol spät als früh,

Möcht’ leisten geistliche Compagnie.

10.

Es waren nun zwar viele frommen

Müßiggänger zu ihr gekommen,

Und hatten, wie sich’s ziemt und gebührt,

Die geistlichen Dienste geofferirt;

11.

Aber bisher hatte keiner von allen

Das Glücke gehabt, ihr zu gefallen,

Denn bald schien ihr der eine zu alt,

Bald der andre zu jung noch, und bald

12.

War einer zu mager, bald einer zu schwächlich,

Bald einer ein Krüppel, oder sonsten gebrechlich,

Bald einer stumm, taub, scheel oder blind,

Oder ein häßliches Weltkind.

13.

Hieronimus that es endlich wagen,

Seine Dienste ihr anzutragen

Als geistlicher Assistent, und, siehe da!

Er gefiel ihr, sobald sie ihn sah.

14.

Denn er war weder krank noch schwächlich,

Weder stumm, taub, blind oder gebrechlich,

Weder zu jung und weder zu alt,

Auch eben nicht von magrer Gestalt.

15.

Seine halbgeistliche Kleidung und Perücke

Gefiel auch der Alten im Augenblicke,

Und er versicherte derselben geschwind,

Daß er wäre kein Weltkind.

16.

Er mußte also bei so gestalten Sachen

Die erste Probe noch heute machen,

Und er wohnte mit großem Geschrei

Der frommen, singenden Versammlung bei.

17.

Hat auch, mit einem ernsthaften Wesen,

Aus der Hauspostill eine Predigt gelesen

Und that alles mit besonderm Anstand,

Daß die Dame Vergnügen drin fand.

18.

Durch ihn ward ihr frommer geistlicher Eifer

Tagtäglich dann immer fester und steifer,

Und ihr ohnedem geistlicher Sinn

Mehr und mehr erbauet durch ihn.

19.

Sie ließ sich auch von dem frommen Candidaten

In allen ihren Handlungen leiten und rathen,

Und so ward in kurzer Zeit hier

Hieronimus der Liebling von ihr.

20.

Wenn er sich zuweilen auch etwa verginge,

Und sich ungeistlicher Dinge unterfinge:

So übersah sie doch immer dies

Als eine menschliche Schwachheit gewiß.

21.

Er brauchte auch, pro poena, solchergestalten

Das sonst eingeführte Fasten nicht zu halten,

Sondern er bekam vielmehr zum Trost

Lauter leckere und gesunde Kost.

22.

Champagner, Kaffee und Chocolade,

Liqueurs, Mandelmilch, Limonade

Bekam der fromme Hieronimus,

Auch täglich zu trinken im Ueberfluß.

23.

Er lebte also, mit einem Worte,

Sehr vergnügt an diesem heiligen Orte,

Wo er blos nur aß und trank,

Und zuweilen las und sang.

24.

Das Schlimmste war, daß er der frommen Dame

Fast gar nicht aus den Augen kame;

Denn sie hatte zu bilden im Sinn

Einen recht frommen Menschen aus ihm.

25.

Wenn er bei ihr im Canapee saße

Und aus einem frommen Buch was vorlase:

So streichelte sie das fromme Schaf,

Und rief entzückt aus: das ist brav!

26.

Oft schmiegte sie sich an seine dicken Wangen,

Wenn sie mit einander ein Lied sangen,

Und so lagen sie Arm in Arm,

Und sangen so rührend, daß Gott erbarm!

27.

Bei einem so vertraulichen Wandel,

Merkte zuletzt Hieronimus den Handel,

Daß es der alten Dame nun

Um etwas mehr, als Singen zu thun.

28.

Ob dieser so wichtigen Entdeckung

Ueberfiel ihn eine heftige Schreckung.

Und ob solcher großen Gefahr

Saß er da fast sprachlos und starr.

29.

Als er sich von der ersten Bewegung

Erholet, dachte er, mit vieler Regung,

An das vormals genossene Glück

Mit der schönen Amalie zurück.

30.

Diese war schön, lieblich und ohne Mängel,

Die Dame hingegen häßlich, wie ein schwarzer Engel,

Gelb, zahnlos, kahl, hager und grau,

Kurz, eine unerträgliche Frau.

31.

Nun hätte er sich sollen drücken

Und in die Umstände einstweilen schicken,

Und die Sache mit der alten Frau

Nicht eben nehmen so genau;

32.

Allein dies wollte ihm nicht passen,

Er hatte also freiwillig sie verlassen,

Und so blieb dann hinfort die Dame allein

Mit ihrem Gesangbuch und Branntewein.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus ein schlimmes und ein gutes Abenteuer hatte, und wie er einmal in seinem Leben eine kluge That verrichtet hat.

1.

Hieronimus, ehe und bevoren

Er die Abreis’ von der alten Wittwe erkoren,

Hat mit einem Beutel voll Geld sich schön

Aus dem Kasten der Dame versehn.

2.

Denn dafür, daß er gesungen und gebetet,

Und von frommen Dingen geredet,

Und die Caressen gehöret an,

Mußte er billig ja etwas han.

3.

Mit diesem Gelde that er nun wandern

Von einer schönen Stadt zur andern,

Und indem er also herumgeirrt,

Lernte er kennen manchen Wirth.

4.

Traf er etwa hin und wieder

Schöne Quartiere und lustige Brüder,

Oder eine gute Wirthin im Haus,

So ruht er gemeinlich einige Tage aus.

5.

Es hat sich aber einsmals begeben,

Daß er auf seiner Wanderschaft gar eben,

Als es schon war Nachmittags spat,

In einer großen Schenke abtrat.

6.

Es war das allerbeste Wirthshaus in Schwaben,

Man konnte viel fordern und wenig haben,

Und der Wirth war ein redlicher Mann,

Schrieb gerne mit doppelter Kreide an.

7.

Da waren ebenfalls, grade heute,

Noch angekommen zwei fremde Leute,

Welche Hieronimus, der Kleidung nach,

Für reisende Handelsmänner ansach.

8.

Zwaren hat gleich einer von ihnen

Ihm, von Person, etwas bekannt geschienen,

Wenn nur ein großes Pflaster nicht

Verstellet hätte das halbe Gesicht.

9.

Diese Herren haben gesellschaftlich indessen

Mit dem Hieronimus getrunken und gegessen,

Und in kurzem richtete drauf

Hieronimus mit ihnen Freundschaft auf.

10.

Denn der Mann mit dem Pflaster im Gesichte

Erzählte manche spaßhafte Geschichte,

Theils geschehen, und theils erdacht,

Worob sich Hieronimus fast krank gelacht.

11.

Auch Hieronimus hat ihnen erzählet

Seine Begebenheit, und nichts verhehlet,

Wie es alles gegangen wär’ her,

Als er war bei der Betschwester.

12.

Sie haben über diese wunderlichen Sachen

Ebenfalls recht herzlich müssen lachen,

Und Hieronimus, bei dieser Gelegenheit,

That mit dem eroberten Gelde breit.

13.

Nachdem nun lustig und guter Dinge

Der Tag dermaßen zu Ende ginge;

So eilte Hieronimus Abends spät,

Trunken vom Wein und Lachen, nach Bett.

14.

Er war kaum in tiefen Schlaf begraben,

Als sich die beiden Herren zu ihm begaben,

Und sie nahmen fein säuberlich

Den Beutel mit dem Gelde zu sich.

15.

Als Morgens spät Hieronimus erwachte,

Und gar nun nicht an was Böses gedachte,

So fand er, beim Ankleiden von ohngefähr,

Den Geldbeutel verschwunden, die Tasche leer.

16.

Zwaren sahe er hier anfänglich

Die Sache nicht eben für verfänglich,

Sondern als eine Kurzweile an,

Welche die lustigen Kaufleute gethan.

17.

Als er aber nach ihnen fragte,

Und der Herr Wirth ihm sagte:

Es wären schon in aller Früh

Diese Herren stille gereiset von hie.

18.

Da gehub er an zu lamentiren

Und großen Jammer und Klagen zu führen,

Und für Ungeduld blieb fürwahr,

In dem Kopfe kein einzig Haar.

19.

Ob seinem ängstlichen Klagen und Harmen

That sich der fromme Wirth bald erbarmen,

Und hat für Alles, was er verzehrt,

Weiter nichts, als seinen Rock begehrt.

20.

That ihm dabei den Rath ertheilen,

Sich nun nicht länger mehr zu verweilen,

Denn ohne baares Geld hätte hier

Niemals ein fremder Gast Quartier.

21.

Dieses Exempel Hieronimi kann uns lehren,

Wie sich die Sachen in der Welt verkehren,

Und wie sich manchesmal unverhofft

Das menschliche Glück verändert oft.

22.

Noch gestern besaß er reiche Beute

Und der Wirth hieß ihn Herr, aber heute

Jug ihn fort, ohne Rock und Geld,

Der fromme Wirth in die weite Welt.

23.

Er konnte nun, mit Muße, unterwegen

Seinen kläglichen Zustand überlegen,

Und er wünschte sich fast im Augenblick

Zu der Betschwester auf dem Schlosse zurück.

24.

Doch, wenn er an ihre Caressen gedachte,

Und ihre Person sich vorstellig machte,

So überkam ihn ein Grausen schier,

Und er verlangte nicht wieder zu ihr.

25.

Schon einige Tage hatte er mit rohen Rüben

Auf seiner Reise den Hunger vertrieben,

Und wie ein irrender Ritter sich

Beholfen elendig und kümmerlich.

26.

Gleichwie nun, wenn die Noth ist am größten,

Das nahe Glück einen pflegt zu trösten;

So war auch dem armen Hieronimus da

Nunmehro bald wieder Hilfe nah.

27.

Denn er hörte am vierten Nachmittage

In einem Wäldchen, das am Wege lage,

Ein erbärmliches lautes Geschrei,

Und dieses lockte ihn bald herbei.

28.

Er ist schnell an die Stelle gekommen,

Woher er das Jammergeschrei vernommen,

Und es entdeckte sich ihm alsbald

Eine Scene von traur’ger Gestalt.

29.

Eine stillstehende Kutsche mit vier Pferden,

Den bärt’gen Kutscher ohnmächtig auf der Erden,

Eine junge Dame, welche hie

Ganz erbärmlich heulte und schrie;

30.

Auch einen reichgekleideten Herren,

Bemüht, sich gegen zwei Räuber zu wehren,

Welche, wie’s schiene, waren fest

Entschlossen, ihme zu geben den Rest.

31.

Schon erkannte mein Held in einiger Weite

In ihnen die sogenannten zwei Kaufleute,

Er eilte also, wie eine Furie,

Mit aufgehobenem Stocke auf sie.

32.

Spitzbuben! wo ist mein Geldbeutel?

Rief er, und zerschlug den Scheitel

Des einen Räubers mit starker Hand,

Und streckt’ ihn also todt in den Sand.

33.

Mit eben solchen kräftigen Schlägen

Ging er drauf dem andern Räuber entgegen,

Welcher aber sogleich versucht,

Sich zu erretten mit der Flucht.

34.

Hieronimus wollte zwar ohn’ Verweilen

Auch noch dem fliehenden Buben nacheilen,

Allein der Räuber, schnell wie der Wind,

Floh aus seinen Augen geschwind.

35.

Uebrigens ist kaum zu schreiben und zu sagen,

Wie freudig sich der Herr und die Dame betragen,

Als die augenscheinliche Lebensgefahr

Nunmehro glücklich vorüber war.

36.

Sie haben beide ihn gar freundlich gegrüßet,

Und die schöne Dame hätte ihn fast geküsset,

Wenn sie hätte gescheuet nicht

Sein lange nicht gewaschnes Gesicht.

37.

Es war auch kein Lobspruch zu erdenken,

Welchen sie ihm nicht thaten schenken,

Denn als ihren Erretter sahn

Sie nun den lieben Hieronimus an.

38.

Sie nöthigten ihn mit freundlichem Muthe

Mitzureisen nach ihrem adligen Gute,

Wo man mit Gaben mancherlei

Würde belohnen die erwiesene Treu.

39.

In seinen so kümmerlichen Umständen

Ergriff er die Gelegenheit mit beiden Händen,

Und sofort, ohne weitere Bitt’,

Entschloß er sich gleich zu reisen mit.

40.

Er half den verwundeten Kutscher noch tragen,

Und sie legten denselben in den Wagen,

Und in des erschlag’nen Räubers Rock

Bestieg nunmehr Hieronimus den Bock.

41.

Ehe er aber noch aufgestiegen,

Suchte er, und fand mit Vergnügen

Seinen Geldbeutel beinahe noch voll

In des erschlagenen Räubers Camisol.

42.

Das sonderbarste von der ganzen Geschichte,

Betraf des Todten sein Angesichte;

Denn es war kein Pflaster mehr da,

Und, als ihn Hieronimus genau besah,

43.

Erkannte er in ihm, im Augenblicke,

Den Herrn von Hogier mit der großen Perücke,

Welcher ihn einstmals um vieles Geld

Beim Spiel auf seiner Reise geschnellt.

44.

So nahm dann dies Abenteuer behende

Für unsern Helden ein erwünschtes Ende,

Und gleich dem Ritter von der traur’gen Gestalt,

Fuhr er mit der Kutsche davon alsbald.

45.

Uebrigens, eh ich dies Kapitel will schließen,

Thu ich dem Leser kund und zu wissen,

Dies sei die einzige rühmliche That,

Die bisher Hieronimus verrichtet hat.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus vergnügt zu Ohnewitz ankam, und wie er da Schulmeister ward, in einer Schule von kleinen Knäblein und Mägdlein.

1.

Derjenige Herr und die junge Dame,

Zu deren Rettung Hieronimus herbei kame,

Waren ein liebes artiges Paar,

Welches kürzlich erst getrauet war.

2.

Der Herr hatte unter sein adliges Gebiete

Dörfer und Schlösser von mancherlei Güte,

Aber im Dörflein Ohnewitz

War eigentlich sein Rittersitz.

3.

Um seiner Gemahlin den Gefallen zu erweisen,

That er oft mit ihr kleine Reisen,

Denn er hielte große Freundschaft

Mit allen in seiner Nachbarschaft.

4.

Damalen hatte er auch eben

Einem benachbarten Edelmann den Besuch gegeben,

Und wurde bei der Rückkehr im Wald

Angegriffen von den Räubern bald.

5.

Sogleich warfen sie den Kutscher zu Boden,

Daß er da lag fast ohne Odem;

Drauf forderten sie mit Ungestüm

Sein Geld und sonstige Sachen von ihm.

6.

Sie rissen ihn auch aus dem Wagen

Und fingen an auf ihn loszuschlagen;

Als auf das ängstlich Geschrei der Dam’

Hieronimus, wie gesagt, zur Rettung kam.

7.

Diese Geschichte erzählten sie unter-

wegens ihrem Erretter, der nun munter

Daher fuhr mit gar leisem Schritt,

So gut es der gehabte Schrecken litt.

8.

Hieronimus hat ihnen gleichfalls erzählet,

Wie ihn das Schicksal bishero gequälet,

Und so gelangten sie, wie der Blitz,

Endlich an zu Ohnewitz.

9.

Hier vergaß man bald alles Leiden,

Lebete herrlich und in Freuden,

Und für den ehrlichen Hieronimus ward

Gesorget auf die liebreichste Art.

10.

Neue Kleider, Essen und Trinken,

Wein, Tabak, Braten und Schinken

Waren da, alles in Ueberfluß,

Zum Dienste unsers Hieronimus.

11.

Nach einigen so vergnügt verstrichenen Wochen

Hat auch der Herr dem Hieronimus versprochen,

Für seinen zukünftigen Unterhalt

Zu sorgen ferner bester Gestalt.

12.

Nun ist auch grade dazumalen

Ein absonderlicher Umstand vorgefallen,

Welcher für unsern Hieronimus gar

Sehr erwünscht und gelegen war.

13.

Nämlich, die Ohnewitzer Bauern haben

Eine Schule für kleine Mägdlein und Knaben,

Und der Herr, als des Dorfes Patron,

Hatte darüber die Collation.

14.

Das A, B, C, D zu studiren,

Und zu lernen Lesen und Buchstabiren,

Waren alleinig die Studia,

Welche man hieselbsten treiben sah.

15.

Alle Gelegenheiten, mehrers zu lernen,

That der Herr Patron weislich entfernen,

Denn ein Bauer, welcher gelehrt

Ist, wird hochmüthig und höchst verkehrt.

16.

Ja, die Erfahrung lehrt es, wenn der

Bauer schon versteht seinen Kalender

Und sein Katechismus-Büchlein,

So bildet er sich schon was Rechtes ein.

17.

Hat er sich nun noch höher verstiegen,

So läßt er gemeiniglich die Arbeit liegen,

Und dann sieht’s höchst elendig und kraus

Mit den Pächten und Abgaben aus.

18.

Außer dreißig Thaler Fixum trug dies Dienstchen

Dem Herren Schulmeister noch manches Gewinnstchen

An Eiern, Butter, Hühnern und Gäns

Und manchem ähnlichen Accidens.

19.

Auch ging er, wenn die Herrschaft zu Hause,

Am Neujahrstag bei ihr zu Schmause

Und bekam dann für die Gratulation

Noch ein Geschenk, nach Proportion.

20.

Nun hat es sich damals just begegnet,

Daß der Schulmeister dies Zeitliche gesegnet;

Und also war man weislich bedacht,

Daß ein neuer würde gemacht.

21.

Sobald dies der Herr Patron gehöret,

Hat er dem Hieronimus den Dienst verehret;

Und folglich trat Hieronimus dann

Das Amt des Dorfschulmeisters an.

22.

Zwar wollte nun anfangs das Schulleben

Ihm kein sonderliches Vergnügen geben,

Denn er hielte von Müßiggang mehr,

Als von solcher beschwerlicher Lehr’.

23.

Doch, da er auf dem herrschaftlichen Schlosse

Manche Wohlthat und Mahlzeit genosse,

Und sich nach geendigter Schule erquickt;

So hat er sich in das Lehramt geschickt.

24.

Und sich nunmehr ernstlich vorgenommen,

Seinen Pflichten möglichst nachzukommen,

Damit er nun lebenslang hinfort

Bleiben möchte an diesem Ort.

25.

Auch gedachte er, in verschiedenen Sachen

Einige wichtige Aenderungen zu machen,

Weil er im hiesigen Schulstand

Viele eingerissene Fehler fand.

26.

Er fing auch, nach langem Deliberiren,

Wirklich an, manches zu reformiren,

Jedoch bekam ihm dieses nicht wohl,

Wie der geneigte Leser bald hören soll.

Achtundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus ein Autor ward, und wie er ein neues A-b-c-Buch heraus gab, und wie er darob von den Bauern bei dem gnädigen Herrn hart verklagt ward.

1.

Gleich bei dem Antritt der Schulregierung,

Fand Hieronimus, mit äußerster Rührung,

Daß das eingeführte A-b-c-Buch

Nicht für Kinder sei faßlich genug.

2.

Denn da bisher die Mädchen und Knaben

Gebraucht hatten die Ballhornschen Ausgaben,

So nahm Hieronimus hier und da

Darinnen verschiedene Fehler wahr.

3.

Nachdem er nun bei sich zu Rathe gegangen,

Hat er zu veranstalten angefangen,

Unter folgendem Titel, davon

Eine nagelneue Edition:

4.

Neues A-b-c-Buch, verbessert

Und mit verschiedenen Zusätzen vergrößert

Von dem Autor Hieronimus

Jobs, Theologiä Candidatus.

5.

Zu den schon längst bekannten Buchstaben,

Welche wir im Alphabete haben,

Setzte er noch das fft,

Imgleichen das sch, und sp.

6.

Die Sporen des Hahns auf der letzten Seiten,

Und mehr andre solche Kleinigkeiten,

Ließ er hingegen, weislich und klug,

Aus dem nagelneuen A-b-c-Buch.

7.

Er fügte aber unterdessen nicht minder,

Zur Ergötzung der lernenden Kinder,

Ein Nestlein mit einem großen Ei

Dem ungesporneten Hahne bei.

8.

Kaum war dies Buch zu Ohnewitz eingeführet,

So ward es von den Bauern recensiret,

Und gab zu einem grimmigen Streit

Die allererste Gelegenheit.

9.

Denn es wollte keinem einzigen von allen

Recensenten die Einrichtung gefallen,

Und sie sahen alle, Mann für Mann,

Die Aenderung als höchst gefährlich an.

10.

Selbst den allerklügsten unter ihnen

Hat’s beim neuen A-b-c-Buch geschienen,

Als hätte Hieronimus dadurch gezeigt,

Wie sehr er zur Autorsucht geneigt.

11.

Wie wenn im Sommer von schwülen Düften

Ein Ungewitter entsteht in den Lüften,

So geht vor dem Donner ordinär

Erst ein gelindes Murmeln vorher.

12.

Gleichermaßen entstund unter den Leuten

Erst ein leises Gemurmel von allen Seiten

Und es zoge sich bald darauf

Ein Gewitter über Hieronimus auf.

13.

Er konnte nun zwar in Worten und Werken

Den Unwillen der Ohnewitzer leicht merken,

Doch verließ er, den Bauern zum Trutz,

Sich auf des gnäd’gen Patron seinen Schutz.

14.

Jedoch die Ohnewitzer wollten nun zeigen,

Daß sie länger nicht gesonnen zu schweigen;

Denn sie spürten je länger, je mehr,

An dem Schulmeister neues Beschwer.

15.

Sie traten also sämmtlich zusammen,

Und der Küster verfertigte in ihrem Namen

Eine Klagschrift in folgendem Ton:

Hochwohlgeborner, gnädiger Patron!

16.

Wir sämmtliche Bauern und Kossathen

In Hochderoselben Ohnewitzer Staaten

Nehmen in aller Unterthänigkeit

Unsern Schulmeister zu verklagen die Freiheit.

17.

Sintemal sich derselbe leider vergangen,

Und verschiedene Neuerungen angefangen,

Alles unter dem nichtigen Vorwand,

Zu verbessern den hiesigen Schulstand.

18.

Sich auch dabei nicht so aufführet,

Wie’s einem frommen Schulmeister gebühret,

Sondern vielmehr, ofte und viel,

Uns Bauern gibt ein böses Beispiel.

19.

Um von den Punkten, worüber wir queruliren,

Nur die vornehmlichsten anzuführen,

So hat er pro primo und erstens sich

Unterfangen eigenmächtiglich,

20.

Ein neues A-b-c-Buch zu verfassen

Und drin die Sporen des Hahnes auszulassen,

Da doch der Sporen, zu jeder Frist,

Ein wesentlich Stück des Hahnes ist.

21.

Dagegen hat er das Lernen selbst beschweret,

Weil er das Alphabet hat vermehret;

Denn fft, sp und sch,

Steht wider alle Gewohnheit da.

22.

Auch, obgleich die Hähne niemals pflegen

Hühnereier in Nester hinzulegen,

So liegt doch ein Ei nun bei dem Hahn,

Gleichsam als hätt’ es der Hahn gethan.

23.

Nun können solche Dinge beim Studiren

Die Kinder leicht auf Irrthümer führen,

Und ein neues A-b-c-Buch ist überhaupt

Eine Neuerung und unerlaubt.

24.

Pro secundo lassen wir nicht unberühret,

Daß von Alters her ein Eselskopf eingeführet,

Welchen in unsrer Schule zur Buß’

Jedes muthwillige Kind tragen muß.

25.

So hart und empfindlich nun diese Strafe

Sonst demjenigen war, den sie trafe,

So trugen die Kinder doch gern und mit Lust

Den Eselskopf an ihrem Hals und Brust.

26.

Herr Jobs ist aber nicht damit vergnüget,

Sondern er hat jetzt zum Kopfe gefüget

Einen Hals, Leib, Beine und Schwanz,

Und so ist es nun ein Esel ganz.

27.

Wie jämmerlich indeß die Kindlein klagen,

Wenn sie den ganzen Esel müssen tragen,

Und stehen da gleichsam zum Spectakel so,

Ist kaum zu glauben. Pro tertio

28.

Thut Herr Jobs mit mächtigen Ohrfeigen

Sich gar zu barbarisch in der Schule bezeigen,

Und einige Knaben sind wirklich schon

Taub und gehörlos worden davon.

29.

Pro quarto: sind die Kinder der ärmern Bauern,

Ob der vielen Prügel, höchlich zu bedauern;

Denn, wegen Ansehen der Person,

Kriegen sie meist doppelte Portion.

30.

Pro quinto: sucht er in den Taschen

Der Kinder nach, ob sie auch naschen,

Und findet er Aepfel und Nüsse allhie,

So nimmt er sie weg und isset selbst sie.

31.

Pro sexto: ist von seinem sonstigen Betragen

Noch allerlei Besondres zu sagen,

Denn mit des Schulzen Einliegers Frau

Lebt er, wie es heißt, gar zu genau.

32.

Auch besucht er fast täglich die Dorfschenke

Und genießt da allerlei hitziges Getränke,

Hat auch oft bis um Mitternacht

Mit dem Schulzen beim Spiel zugebracht.

33.

Wir hätten zwar noch mehrere Klagen

Allerunterthänigst vorzutragen;

Denn es sind noch viele Gravamina

Neben den schon erwähnten da.

34.

Wollen sie aber diesmal nicht berühren,

Sondern nur unterthäniglich suppliciren:

Daß Sie, lieber gnädiger Herr!

Uns geben einen andern Schulmeister.

35.

Beharren übrigens Eure Hochwohlgeborne Gnaden

Allerunterthänigste Bauern und Kossathen.

Im Dorfe Ohnewitz gegeben.

N. N. N. N. N. N.

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Wie die klagenden Bauern zu Ohnewitz von dem Herrn Patron eine gnädige Resolution bekamen, und wie sie zur Ruhe verwiesen wurden, und wie sie mit dem Loche bedrohet wurden. Alles im Canzlei-Stil.

1.

Es war nun durch zwei Deputaten

Die Klagschrift übergeben an Ihro Gnaden,

Und vom hochgedachten Herrn Patron

Erfolgte folgende Resolution:

2.

Wir haben mißfällig wahrgenommen

Aus der Vorstellung, womit ihr eingekommen,

Wasmaßen ihr gar große Beschwer

Führt über euern Schulmeister her.

3.

Ob Wir nun gleich höchst ungerne sehen,

Daß solche Streitigkeiten bei euch entstehen;

So haben Wir doch nach der Breite und Läng’

Erwogen eurer Beschwerden Meng’.

4.

Können indeß bis dato nicht finden,

Daß Beklagter Schuld sei großer Sünden,

Und daß man mit Recht, über die Sach’

Ein solches großes Allarm mach’.

5.

Zwaren ist es dermalen nicht ohne,

Herr Jobs hat in seiner Schule schone

Ein neues A-b-c-Buch eingeführt

Und Uns unterthänigst dedicirt.

6.

Auch ist von ihm, wie vor Augen lieget,

Einiges drin weggelassen, einiges beigefüget,

Jedoch leuchtet es gar nicht ein,

Wie dieses so schädlich könne sein.

7.

Denn obgleich hier der Hahn die Sporen

Aus Versehen des Kupferstechers verloren,

So kann man bei der zweiten Edition,

Den Fehler leichtlich verbessern schon.

8.

Auch die wenigsten Recensenten heutiger Zeiten

Merken in den Büchern auf solche Kleinigkeiten,

Sondern die guten lieben Herrn

Uebersehen solche kleine Fehler gern.

9.

Was betrifft die zugefügten Buchstaben,

So stehn selbige schon in ältern Ausgaben;

Wenigstens fft, sp und sch

Dienen als Varianten da.

10.

Es scheint zwar sich weniger zu schicken,

Bei dem Hahn ein Ei auszudrücken;

Doch braucht drum das Ei vom Hahn

Eben nicht zu werden weggethan.

11.

Denn vom Ei gleich aufs Legen zu schließen

Wäre unvernünftig und gegen Gewissen;

Denn es beweiset weiter nichts in der That,

Als bei Menschen der Titel und’s Prädicat.

12.

Ueberdem weiß man ja auch gar eben,

Daß Hähne sich oft mit Eierbrüten abgeben,

In hoc casu wäre also, traun!

Der Hahn eigentlich ein Kapaun.

13.

Wenn ihr pro secundo proponiret:

Daß Herr Jobs einen ganzen Esel eingeführet,

So hat er, Unsers Bedünkens, dran

Als ein vernünftiger Mann gethan.

14.

Denn er zeigt damit nichts mehr, nichts minder,

Als daß sowol ihr selbst als eure Kinder,

Alte und junge, groß und klein,

Leibhaftig vollkommene Esel sein.

15.

Pro tertio: wegen der Schläge an die Ohren,

Worüber einige Knaben ihr Gehör verloren;

Halten Wir es gar nicht für gut,

Daß euer Schulmeister solches thut.

16.

Auch was ihr pro quarto zu klagen findet,

Halten Wir in so weit für gegründet,

Denn ein Richter und Schulmann

Muß niemals sehn die Person an.

17.

Sondern Arme sowol als Reiche

Verdienen, wenn sie böse sind, gleiche Streiche,

Und man muß zu jeglicher Zeit

Strafen mit Unparteilichkeit.

18.

Jedoch, wenn er die Kinder visitiret

Und ihnen das Obst aus der Tasche entführet:

So zeigt er, pro quinto, artig und wohl,

Daß ein Kind in der Schule nicht naschen soll.

19.

Weil auch die Kinder im zarten Magen

Nicht zu viel Aepfel und Nüsse können vertragen,

So ist ja des Schulmeisters Absicht hier gut,

Wenn er selbst alles verzehren thut.

20.

Was ihr da noch, pro sexto, klaget,

Und von des Schulzen Einliegers Frau saget,

Item von der Schenke und Kartenspiel,

So wäre zwar dies von Herrn Jobs zu viel.

21.

Indessen ist es Unser gnädiger Wille,

Daß man von solchen Dingen schweige stille,

Denn wer davon etwas saget noch,

Der soll zur Strafe zwei Tage ins Loch.

22.

Uebrigens sollen sämmtliche Beschwerden

Künftig genauer untersuchet werden,

Wenn von der vorhabenden Reise Wir

Glücklich sind retourniret allhier.

23.

Bis dahin befehlen Wir, bei Hals und Kragen!

Euch ruhig und stille zu betragen.

Gegeben auf Unserm Rittersitz.

Resolution für die Bauern in Ohnewitz.

Dreißigstes Kapitel.
Wie zu Ohnewitz an einem Mittwochen ein Aufruhr entstand und allerlei Wunderzeichen vorhergingen, und wie Herr Hieronimus mit Prügeln u. s. w. fortgetrieben wurde.

1.

Und diese Resolution machte durchgehends

Im ganzen Dorfe viel Aufsehens,

Und es entstand überall herum

Unter den Bauern ein mächtig Gebrumm.

2.

Denn sie sahen itzo offenbare,

Daß der Patron Jobsens Gönner ware,

Und daß nichts auszurichten mit Glimpf

Und sie schwuren also zu rächen den Schimpf.

3.

Dieser wichtigen Ursache wegen kamen

Sie oftmals in der Schenke zusammen,

Und überlegten bei Tabak und Bier,

Wie die Sache anzugreifen allhier.

4.

Sie haben auch sämmtlich alsobalden

Ihre Kindlein alle zu Hause gehalten,

Und kein’s von ihnen, weder groß noch klein,

Ferner geschickt in die Schule hinein.

5.

Aber die Vernünftigsten von den Bauern

Riethen, auf gute Gelegenheit zu lauern,

Da alsdann alle mannichfalt

Gebrauchen könnten Ernst und Gewalt.

6.

Dieser gar kluge Vorschlag hat ihnen

Sämmtlich gut und thunlich geschienen,

Und man bestimmte dazu nunmehr

Die Zeit, wenn der Patron verreiset wär’.

7.

Zwar wurden alle diese Anstalten

Noch zur Zeit höchst geheim gehalten,

Bis endlich der erschreckliche Tag kam,

Da die Unruhe den Anfang nahm.

8.

Ehe aber dieses alles geschehen,

Sind zu Ohnewitz große Zeichen gesehen,

Wie denn vor wicht’gen Begebenheiten sich

Vorbedeutungen zeigen gemeiniglich.

9.

So hat zum Exempel eine kleine Weile

Vorhero eine sehr große Eule

Auf dem Kirchthurm, um Mitternacht,

Ein erschrecklich Geschrei gemacht.

10.

Auch hat einer von den Ohnewitzer Leuten,

Als er aus der Schenke kam, die Glocke hören läuten,

Auch fiel der sehr alte Schornstein

Auf der Schule mit Geprassel ein.

11.

Auch hat des Küsters Kuhe geboren

Ein Kalb mit ungewöhnlich langen Ohren,

Auch viel Hunde führten zum Theil

In dem Dorfe ein gräßlich Geheul.

12.

Auch sah man hier und da Irrlichter,

Und sonst bei Nacht wunderbare Gesichter,

Auch trug sich’s zu, im hellen Mittag,

Daß des Müllers Esel ein Bein brach.

13.

Dieses alles schiene anzuzeigen,

Daß sich bald etwas werde ereigen;

Doch merkte man da erst die Gefahr,

Als schon alles erfüllet war.

14.

Nun war es gerade ein Mittwochen,

Da der Aufruhr endlich ausgebrochen

Und jeder Bauer, um Glocke acht,

Hat sich Morgens aus dem Hause gemacht.

15.

Es war recht gräulich anzusehen,

Wie sich ein jeder mit Waffen versehen,

Prügel und Flegel in großer Zahl

Hatten die Zusammenverschwornen all’.

16.

Alles ward nun in dem Dorfe rege,

Und man weissagte Tod und Schläge,

Und jeder Hund und jeder Hahn

Fing zu bellen und zu krähen an.

17.

Auf der Haide, die beim Dorfe ware,

Versammelte sich die ganze Schaare,

Und nun gingen sie in Procession

Nach des Schulmeisters Wohnung schon.

18.

Ihnen folgten zu beiden Seiten

Viele Kinder, welche sich sehr freuten,

Daß sie nunmehro würden heut

Vom bösen Schulmeister befreit.

19.

Noch lag Herr Jobs ruhig in seinem Bette,

Als wenn alles sicher gestanden hätte,

Bis da plötzlich der ganze Schwarm

Hereinbrach mit großem Allarm.

20.

Aber sobald er vom Schlaf erwecket,

Hat er sich darob heftig erschrecket,

Weil er nun erst den Hochverrath

Wider ihn gespürt und gemerket hat.

21.

Ohne ihm viele Zeit zu lassen,

That man ihn gleich derbe anfassen,

Und zur genauen Noth erlaubte man,

Daß er sich vorhero kleidete an.

22.

Man that ihm nun sehr ernstlich bedeuten,

Nie Ohnewitz wieder zu beschreiten,

Sagte ihm auch manches Scheltwort,

Und jug mit Prügeln unsern Held fort.

23.

Also war dieser Handel geschlichtet,

Und die Expedition glücklich verrichtet,

Und mit einem lauten hu! hu!

Eilte man nun der Schenke zu.

24.

Jeder behauptete itzt steif und feste,

Er habe bei der Sache gethan das Beste,

Und jeder wollt’ nun beim Branntewein

Der größeste Held gewesen sein.

25.

Jedoch einige, anstatt sich zu freuen,

Wollte nun der Handel schier gereuen,

Und es ahneten sie gleichsam von fern

Brüchte und Loch bei der Rückkunft des Herrn.

Einunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus auf seiner Flucht nach dem Bayerlande ein neues Abenteuer hatte, indem er seine geliebte Amalia in der Komödie antraf. Sehr freundlich zu lesen.

1.

Wie der Fuchs, wenn er den jagenden Hunden

Endlich aus dem Gesicht ist verschwunden,

Froh ist, daß nur ein Maul voll Haar,

Und weiter nichts, diesmal verloren war.

2.

So wußte sich auch in seinem größten

Ungelücke Hieronimus damit zu trösten,

Und war froh, daß er eben mit hei-

ler Haut den Bauern entgangen sei.

3.

Zwar hat, seitdem er sich von Ohnewitz entfernet,

Er mit seinem eigenen Schaden gelernet,

Wie gar sauer, elend und schwer

Es im Schulamte gehet her.

4.

Er nahm sich auch vor, nie in seinem Leben

Wieder Bücher im Druck herauszugeben,

Denn blos und allein von Autorsucht

Rührte sein Unglück und jetzige Flucht.

5.

Indeß, da der Patron nach dem Bayerlande

Sich jetzt mit der Gemahlin auf Reisen befande,

So wollte auch Hieronimus dort bei ihm

Schutz suchen vor der Bauern Grimm.

6.

Er hat sich also nicht lange besonnen,

Sondern auch seine Reise dahin begonnen,

Jedoch hielte bald seinen Lauf

Ein neues Abenteuer auf.

7.

Denn er hat, wider alles Verhoffen,

Auf der Reise ein Hinderniß angetroffen,

Als er just in einer großen Stadt

Einige Tage ausgeruhet hat.

8.

Hier, um seine melancholischen Grillen

Einigermaßen zu dämpfen und zu stillen,

Fiel es ihm einmal des Abends ein,

Zu gehen in die Komödie ein.

9.

Er ward bald unter den Schauspielerinnen

Einer wohlgeputzten Schönen innen,

Welche an Gesicht, Stimme, Wuchs und Haar,

Seine ehmals geliebte Amalia war.

10.

Himmel! wie ward er da entzücket,

Als er selbige so unvermuthet erblicket!

Fast wäre das ganze Parterre davon

Gerathen in schreckliche Confusion.

11.

Sie hatte kaum ihre Rolle geendet,

Als er sich sofort zu ihr gewendet,

Und nun gab’s manchen Freudenkuß

Zwischen ihr und dem Hieronimus.

12.

Beide waren begierig zu vernehmen,

Durch welchen Zufall sie hier zusammen kämen,

Hieronimus eilte drum bald mit ihr

Höchst vergnügt ins sichre Quartier.

13.

Da hat erst Amalia alles vernommen,

Was ihm Wunderbares vorgekommen,

Seitdem ihn damals, in der Nacht,

Der alte Herr hatte fortgejagt.

14.

Und wie’s ihm mit der frommen Dame gegangen,

Und was sie gedachte mit ihm anzufangen,

Und wie man ihm nachhero einmal

Des Nachts sein Geld im Wirthshause stahl.

15.

Und wie er im Wald einen Räuber getödtet

Und einem Gnädigen das Leben gerettet,

Und er darauf zu Ohnewitz gar

Ein Schulmeister geworden war.

16.

Und das Unglück, welches ihn betroffen,

Und wie er jetzt, wider alles Verhoffen,

Sie in der Komödie gefunden allhier,

Dies alles erzählte er weitläuftig ihr.

17.

Nunmehr war auch des Hieronimi Begehren,

Von ihr alle Begebenheiten zu hören,

Und die Schöne erzählte darauf

Ihm folgendermaßen ihren Lebenslauf.

Zweiunddreißigstes Kapitel.
Wie die Jungfrau Amalia dem Hieronimus ihren Lebenslauf erzählen that. Ein sehr langes Kapitel, weil eine Frauensperson spricht. Accurat hundert Verse.

1.

Amalia Ripsraps ist eigentlich mein Name.

Derjenige Ort, wo ich zur Welt kame

Und das Tageslicht zuerst gesehn,

Ist die berühmte Stadt N. N.

2.

Mein Vater war dort ein Advocate,

Welcher viele Processe zu führen hatte,

Sintemal er die Jura aus dem Grund

Und das Chicaniren verstund.

3.

Auch die allerverworrensten Rechtssachen

Wußte er noch weit verworrener zu machen,

Und durch manche List und Rank

Zoge er kurze Processe lang.

4.

Seine Geschicklichkeit that erretten

Manchen guten Schelm von Galgen und Ketten;

Und ein grade zu gehöriger Zeit

Von ihm angerathener falscher Eid

5.

Machte manchen muthwilligen Betrüger

Ueber seinen ehrlichen Gegner zum Sieger,

Und half theils manchen aus harter Noth,

Theils manchen armen Teufel vom Brod.

6.

Er haßte herzlich Frieden und Verträge,

Und riethe viel lieber in alle Wege,

Auch bei der geringsten Kleinigkeit,

Zum Processe und Rechtsstreit.

7.

Seine Clienten ließ er immer tanzen

Durch alle mögliche rechtliche Instanzen,

Bis dann endlich selbige zuletzt

Ihren letzten Heller zugesetzt.

8.

Uebrigens diente er mit möglichsten Treuen

Seinen sich ihm anvertrauenden Parteien,

Jedoch nahm er auch dann und wann

Von der Gegenpartei Geschenke an.

9.

So erwarb er sich ein ziemliches Vermögen;

Was andern ein Fluch war, war ihm ein Segen,

Und wenn andre gezankt und gekriegt,

Zog er den Vortheil und war vergnügt.

10.

Meine selige Mutter war die Tochter

Von einem ehemaligen reichen Pachter,

Der, weil er sehr gerne geprocessirt,

Sich und sein Vermögen geruinirt.

11.

Mein Vater hatte ihm als Advocate

Gedient mit seinem getreuen Rathe,

Und er truge dafür zum Lohn

Die artige Tochter des Pachters davon.

12.

Sie hatte schon viele ausgeschlagen,

Welche sich, sie zu freien, angetragen,

Als sich noch ihr Vater im Wohlstand

Und bei gutem Vermögen befand.

13.

Jedoch als sich die Actien verschlimmert,

Hat sich keiner mehr um sie bekümmert;

Denn auch das schönste Mädchengesicht

Reizt ohne Geld zum Ehestand nicht.

14.

Indessen hat es ihr doch geglücket,

Daß sie endlich meinen Vater bestricket,

Denn höchst gründlich verstand sie

Alle Künste der Galanterie.

15.

Mein Vater hatte sie sehr oft gesehen,

Und da ist es dann, wie gesagt, geschehen,

Daß er dieselbige unbeschwert

Von dem Pachter zur Frau begehrt.

16.

Sie schmeckten zusammen in ihrer Ehe

Vieles Vergnügen und weniges Wehe,

Wenigstens im ersten Vierteljahr

Da ihnen die Ehe noch neu war.

17.

Sie wußten von den processirenden Partieen

Für die Küche manchen Vortheil zu ziehen,

Denn die Frau Advocatin bekam,

Was etwa der Herr Advocate nicht nahm.

18.

Auch zog sie noch manche heimliche Gewinnste

Durch ihr schönes Gesicht und galante Künste,

Wenn etwa eine verliebte reiche Partie

Sich besonderlich bewarbe um sie.

19.

Wenn der Herr Gemahl Acten geschrieben,

So ist sie selten auch müßig geblieben,

Und sie nahm in der Schlafstube dann

Gemeiniglich geheime Audienz an.

20.

Ob ich’s nun gleich eben nicht will wagen,

Drauf zu schwören und als gewiß zu sagen,

Daß just gedachter Herr Advocat

Mein Vater gewesen in der That;

21.

So habe ich doch niemals es gehöret,

Daß sich derselbe hätte beschweret,

Als mich, nach ohngefähr einem Jahr,

Meine Mutter zur Welt gebar.

22.

Von meinen ersten Kinderjahren

Habe ich zwar nichts Sonderliches erfahren,

Doch liebten mein Vater und Mutter mich

Als ihr einziges Töchterlein zärtelich.

23.

Man sparte auch gar keine Bemühung

An meiner Bildung, Pflege und Erziehung,

Und schickte mich frühe, da ich noch klein,

Fleißig zu lernen, in die Schule hinein.

24.

Jedoch schonte man an mir in alle Wege

Vorwürfe, herbe Verweise und Schläge,

Und richtete in jeder Kleinigkeit sich

Nach meinem Willen sorgfältiglich.

25.

Als ich kaum zehn Jahr alt gewesen,

Fing ich schon an Romane zu lesen,

Und ward von der Liebe schon mehr gewahr,

Als andre Mädchen im achtzehnten Jahr.

26.

Mit muntern Jünglingen und artigen Knaben

Mochte ich herzlich gerne zu schaffen haben,

Und fing gar manchen prakt’schen Roman

In meinem dreizehnten Jahre schon an.

27.

Vielleicht war es ein Fehler der Erzeugung,

Daß ich auch sehr frühe eine Neigung,

Die auch nachher niemals verschwand,

Eine Neigung zum Stehlen empfand.

28.

Meine Eltern, geschlagen mit Blindheit,

Hielten dieses für Triebe der Kindheit,

Und haben, wenn ich was Böses gemacht,

Nur über ihr schlaues Töchterchen g’lacht.

29.

Mein funfzehntes Jahr war kaum verschwunden,

Als sich schon Freier bei mir eingefunden,

Denn bei meinem nicht häßlichen Gesicht

Fehlte es mir an Anbetern nicht.

30.

Ob nun gleichwol mancher von ihnen

Meinem Vater nicht verwerflich geschienen,

So fande indessen meine Mutter jedoch

Vieles an ihnen zu tadelen noch.

31.

Nur einen Mann von sehr hohem Stande,

Allenfalls aus den Vornehmsten im Lande,

Bestimmte sie einzig und allein

Für mich, ihr artiges Töchterlein.

32.

Es kam aber kein Mann von hohem Stande,

Der mich zur Frau zu machen rathsam befande,

Mir wurde indessen dabei recht bang,

Denn die Verzög’rung fiel mir zu lang.

33.

Ich suchte also und dergestalten

Mich anderweitig schadenfrei zu halten,

Und ließ zum geheimen Rendezvous

Manchen jungen artigen Herrn zu.

34.

Aus Furcht, etwas Schlimmes zu erleben

Und daß es künftig möchte geben

In meiner Heirath ein Hinderniß,

Wenn sie mir zu viel Freiheit ließ,

35.

Fing die Mutter an ernstlich drauf zu denken,

Meine Liebesstreiche einzuschränken,

Und gab sowol bei Tag als bei Nacht,

Auf meine Schritte und Tritte Acht.

36.

Ward nun gleich dadurch meine Neigung gehindert,

So ward sie doch mehr vermehrt als vermindert,

Denn eine stark verbotene Frucht

Wird nur desto emsiger gesucht,

37.

Und je größer Hinderniß, je mehr Verlangen.

So ist es auch mit meiner Neigung gegangen,

Denn ich suchte zu jeder Zeit

Sie zu befriedigen Gelegenheit.

38.

Des Nachts ließ ich oft durch mein Fenster

Manche mit Fleisch und Bein versehene Gespenster,

Die dann meistens die halbe Nacht

Bis am Morgen bei mir zugebracht.

39.

Auch konnte ich oft mir die Zeit vertreiben

Mit manchem erhaltenen Liebesschreiben

Von so herzbrechendem Inhalt, als man

In jedem Romane lesen kann.

40.

Ich ging grade im zwanzigsten Jahre,

Als ich einstmals auf einem Balle ware;

Da ward ich mit einem Herren bekannt,

Herr Baron von Hogier genannt — —

41.

Hier fiel ihr Hieronimus ins Wort plötzlich:

„Herr von Hogier? — — das ist entsetzlich!

Sein Name sowol als sein eigentlicher Stand

Ist mir, meine Seele! nicht unbekannt;

42.

Herr von Hogier war ein Bärenhäuter!“

Ja, das war er, sprach Amalia weiter,

Und Sie sollen, lieber Hieronimus! sehn,

Was zwischen mir und ihm ist geschehn.

43.

Herr von Hogier hat mir dazumalen

Von Person und Wesen höchlich gefallen,

Denn sein reiches Kleid und große Perück’

Nahm mich schon ein im Augenblick.

44.

Er that mir höchst verliebte Anträge

Und mir gefielen seine Vorschläge,

Um desto mehr, da er hoch und theuer schwur:

Ich sei seine einzige Göttin nur.

45.

Auch sprach er viel von seinen Gütern und Vermögen,

Welche im Lande Sachsen wären gelegen,

Ob er gleich bishero nur so

Reisete durch die Welt incognito.

46.

Er that mir auch deutlich proponiren,

Er wolle mich gerne von Hause entführen,

Ich möchte nur mit vielen Juwelen und

Geld mich versehn auf die bestimmte Stund.

47.

Als mich nun Nachts nichts verhindert,

Hab ich zu Hause Kisten und Kasten geplündert;

Steckte, was ich da bekam, zu mir

Und entfloh mit dem Herrn von Hogier.

48.

Wir eilten, bis wir uns endlich befanden

Fast an den äußersten Grenzen der schwäbischen Landen,

Und haben in den ersten vier Tagen fast

Keine zwölf Stunden ausgerast’t.

49.

Was wol die Eltern gedacht, als sie gefunden

Ihre Kasten leer und die Tochter verschwunden,

Und wie sie geweinet, geflucht und geschmählt,

Das bleibt an seinen Ort gestellt.

50.

Als wir endlich in X. angekommen,

So haben wir uns einmal vorgenommen,

Einige Tage da auszuruhn

Und uns etwas zu Gute zu thun.

51.

Wir blieben da also ruhig liegen,

Lebten in Wonne und Vergnügen,

Und der Herr Baron von Hogier

Stellte sich zärtlich gegen mir.

52.

Ich hielte mich nun in meinem Sinne

Glücklicher als eine Prinzessinne,

Und gedachte an nichts als Freud,

Lust, Liebe und Ergötzlichkeit.

53.

Doch war nunmehro mein Unglück nahe;

Denn ehe ich es mir versahe,

Hat sich einst heimlich in der Nacht

Herr von Hogier per Post davon gemacht.

54.

Auch mein Geld, lieber Hieronimus! denk’ Er!

Nebst meinen Juwelen waren zum Henker,

Auch alle Kostbarkeiten zumal,

Welche ich vorher meinen Eltern stahl.

55.

Nun sah ich alsobald offenbare,

Daß Herr von Hogier ein Spitzbube ware,

Und daß es nicht allzurichtig stand

Mit seinen Gütern im Sachsenland.

56.

Es ist also leichtlich zu gedenken,

Wie sehr mich diese Sache mußte kränken,

Denn ich hätte vom Herrn von Hogier

Nie eingebildet den Streich mir.

57.

Einsam nunmehr und von allen verlassen,

Konnte ich vor Betrübniß mich kaum fassen,

Und wußte nicht, wohin und woher

Für mich eine sichere Zuflucht wär’.

58.

Wieder nach meinen Eltern zu gehen,

Das durfte unmögelich geschehen;

Denn es wäre da sicherlich

Gar nicht gut gegangen für mich.

59.

Indessen waren zu allem Gelücke,

Noch vierundzwanzig Ducaten zurücke,

Welche ich mit aller Vorsichtigkeit

Genäht hatte in mein Unterkleid.

60.

Diese übrige vierundzwanzig Ducaten

Kamen mir diesmal recht gut zu statten,

Denn sie waren nun, um und um,

Mein ganzes Vermögen und Reichthum.

61.

Ich wollte nun nicht länger verweilen

Dem Herrn von Hogier nachzueilen,

Sondern jug gleich am selbigen Tag

Ihm ebenfalls mit der Post nach.

62.

Denn ich hatte im Posthause vernommen,

Daß er da Extrapost bekommen,

Und daß er also im Schwabenland

Sich noch vermuthlich reisend befand.

63.

Hätte ich ihn unterweges attrapiret,

So wäre er sogleich arretiret,

Und so hätte ich gewiß alsdenn

Meine Sachen wieder bekommen.

64.

Mein Lieber! es war grade diese Reise,

Als ich auf die bewußte Weise

Sie auf dem Postwagen traf an,

Wo unsre Bekanntschaft zuerst begann.

65.

Uebrigens ist es mir niemals geglücket,

Daß ich Herrn von Hogier hätte erblicket,

Und ich habe auch niemals nachher

Gehöret, wo er geblieben wär’ — —

66.

Hier ist Hieronimus abermalen

Der Amalia in die Rede gefallen:

„Potz tausend! ich weiß es, wo der Dieb,

Der Herr von Hogier, der Schurke, einst blieb!

67.

Kurz vor unsrer Bekanntschaft, liebe Amalie!

Hatte mich Herr von Hogier, die Canaille,

Im Wirthshause um vieles Geld

Mit seinem falschen Spiele geprellt;

68.

Dies war die Ursache meines Kummers

Und meines melancholischen Schlummers,

Den ich endlich bei Ihnen vergaß,

Als ich damals auf dem Postwagen saß.

69.

Auch war Herr von Hogier einer der beiden

Angetroffenen verkleideten Kaufleuten,

Welche im Wirthshause hernachmal’n,

Mir den Beutel mit dem Gelde stahl’n.

70.

Auch der Räuber, den ich getödtet,

Als ich jenen Herrn mit der Dame gerettet,

War wahrlich, von Person und Gesicht,

Kein andrer als dieser Bösewicht.

71.

Sie können sich also zufrieden geben,

Der Spitzbube ist nicht mehr am Leben,

Und ich habe uns also mit Recht

Für alle Betrügereien gerächt.“

72.

Amalie versetzte: diese Geschichten,

Welche Sie, mein Lieber! mir da berichten,

Sind wahrhaftig recht sehr curios,

Und meine Verwunderung drob ist groß!

73.

Das Sprüchwort: was auch gar klein gesponnen,

Kommt doch endelich an die Sonnen,

Trifft auch gewiß hier haarklein

Bei dem Schurken von Hogier ein.

74.

Doch, um im Erzählen fortzufahren,

Als wir damalen getrennet waren,

Setzte ich wegen der Sackuhr

Meinen Weg fort, doch zu Fuß nur.

75.

Gleich drauf mußte es sich zutragen,

Daß ein alter Herr mit seinem Wagen

Grade auch diese Straße kam,

Welcher mich, da gehend, wahrnahm.

76.

Er nöthigte mich durch sein freundlich Bezeigen,

In seinen Wagen bei ihm einzusteigen;

Und weil ihm meine Person gefiel,

Gab er mir der guten Worte viel:

77.

Immer bei ihm als Kammerjungfer zu bleiben

Und ihm die Zeit angenehm zu vertreiben;

Denn er wäre mit Leib und Seel’

Unbeweibt und noch Junggesell.

78.

Nun ware es eines Theils gefährlich,

Andern Theils, wie ich itzt dachte, auch thörlich

Gehandelt und gethan von mir,

Ferner zu suchen den Herrn von Hogier.

79.

Was mir der alte Herr angetragen,

Wollte ich also nicht ausschlagen,

Obgleich sein Alter und graues Haar

Mir so recht nicht anständig war.

80.

Ich bin also bei ihm geblieben,

Habe ihm die Zeit gut vertrieben,

Und ich betrug mich gegen ihn,

Als wäre ich seine Gemahlin.

81.

Er hat mich deswegen hochgehalten,

Ließ mich im Hause schalten und walten,

Und über Gesinde, Mägde und Knecht’,

Hatte ich zu befehlen ein Recht.

82.

Ich durchsah Stuben, Küche und Keller,

Scheunen, Kammern, Boden und Söller,

Besorgte die Wäsche, Tische und Bett

Und was noch sonst vorfallen thät.

83.

Von allen Kasten hatte ich die Schlüssel!

Jedes Geschirre bis zur kleinsten Schüssel,

Sogar Silbergeräthe und Leinewand,

Stunde alles unter meiner Hand.

84.

Auch von manchem Abend bis zum Morgen

Trug ich für den alten Herrn alle Sorgen

Und beruhigte ihn, wenn er allerhand

Gewisse geheime Bedürfnisse empfand.

85.

Denn der gute alte Herre thate

Nicht das mindeste ohne meinen Rathe,

Und nichts geschahe überall

Ohne meinen gegebenen Beifall.

86.

Ich bekam, wie leicht zu gedenken,

Von ihm viel ansehnliche Geschenken,

Stahl auch überdies von Zeit zu Zeit

Noch heimlich manche Kleinigkeit.

87.

Ob’s nun gleich äußerlich an nichts fehlte,

So war doch noch etwas, welches mich quälte,

Und mir fiele deswegen im Anfang

Bei dem alten Herren die Zeit lang.

88.

Zwar in der Folge war der Hausschreiber

Zuweilen wol mein Zeitvertreiber,

Doch weil er sich meist kränklich befand,

So war sein Umgang nicht interessant.

89.

Es gereichte mir also zum wahren Vergnügen,

Nach seinem Tode einen neuen Hausschreiber zu kriegen,

Und Sie, mein Lieber! waren just der

Damals neu angesetzte Secretär.

90.

Sie gefielen mir gleich, da ich Sie gesehen,

Ich muß es Ihnen offenherzig gestehen,

Und dieses war dann die Ursach,

Warum ich für Sie so kräftig sprach.

91.

Uebrigens ist Ihnen von den Dingen allen,

Welche damals unter uns vorgefallen,

Bis er Sie Nachts einst bei mir fand,

Lieber Hieronimus! nichts unbekannt.

92.

Als er Sie damals dimittiret,

Hat mich Ihr Abschied sehr gerühret,

Er fuhr aber noch destomehr

Ueber mich mit Verweisen her.

93.

Fast hätte ich ebenfalls müssen reisen,

So zornig that er sich beweisen,

Und gewiß mit sehr vieler Müh’

Befriedigte ich ihn mit Caressen noch hie.

94.

Indessen war doch seit diesen Stunden

Seine Neigung zu mir sehr verschwunden,

Weil eine junge neue Küchenmagd

Ihm besser als meine Person behagt.

95.

Um nun meinen Kummer und Melancholeien

Wegen Ihrer Abwesenheit zu zerstreuen,

Lebte ich nachhero etwas frei

Mit des alten Herren Lakei.

96.

Als er aber unsre Vertraulichkeit gesehen,

Da half mir kein weiter Bitten noch Flehen,

Sondern ich mußte allsofort

Mit Sack und Pack wandern von dort.

97.

Da ich nun mit Geld ziemlich versehen,

Entschloß ich mich so lange durch die Welt zu gehen,

Bis eine neue Gelegenheit sich

Zeigte zum künft’gen Unterhalt für mich.

98.

Auf meiner Reise durch diese Lande

Stieß ich auf eine Schauspielerbande,

Und auf meine Bitte nahm man

Mich als eine neue Actrice an.

99.

Schon hab’ ich mich bei ihnen solchergestalten

Einige Monate lang aufgehalten,

Und gespielet sehr gut und wohl

Jede mir aufgegebene Roll’.

100.

Uebrigens ist’s mir eine große Freude,

Daß uns das Schicksal nunmehr beide

Wieder hat so gesund und vergnügt

Zum dritten Male beisammengefügt.

Dreiunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus Lust bekam, ein Schauspieler zu werden, und wie er dazu von der Jungfrau Amalia überredet ward.

1.

Hieronimus hat die in vorigen hundert

Versen erzählte Geschichte sehr bewundert,

Und vergaß, in seinem jetzigen Zustand,

Den Herrn Patron und das Bayerland.

2.

Er that vielmehr von nun an den Schluß fassen,

Amalien niemals wieder zu verlassen,

Und nahm sich desfalls vor zur Hand,

Auch zu werden ein Komödiant.

3.

Als dieses Amalia gemerket,

Hat sie ihn in seinem Vorsatze gestärket,

Und rühmte drauf diesen Stand hoch

In dem folgenden Apolog:

4.

„Ich weiß es aus sehr vielen Proben,

Daß der Schauspielerstand höchlich zu loben

Vor einem jeglichen andern Stand,

Der da ist in der Welt bekannt.

5.

Denn man sieht darin deutlich und eben,

Wie es in dem ganzen menschlichen Leben

Bald sehr böse und bald sehr schön,

Unter einander pflegt herzugehn.

6.

Bald gibt’s gar lustige Komödien,

Bald aber jammervolle Tragödien,

Bald lachet man, tanzet und singt,

Bald greint man, seufzet und hinkt.

7.

Bald sieht man recht komische Possen,

Bald werden Thränen und Blut vergossen,

Bald ist man dürftig, bald ist man reich,

Bald jung und roth, bald todt und bleich.

8.

Bald ist man Bauer, bald ist man Kaiser,

Bald ist man ein Narre, bald ein Weiser,

Bald ist man vornehm, bald ist man arm,

Bald ist man kalt und bald wieder warm.

9.

Bald General, bald ein Gemeiner,

Bald Kapuziner, bald ein Zigeuner,

Bald ein Bettler, bald ein Baron,

Bald ein Büttel, bald ein Herr von.

10.

Bald Renommist, bald ein Stutzer,

Bald Kammerherr, bald Schuhputzer,

Bald Passagier, bald ein Wirth,

Bald ein Abbé, bald ein Kühhirt.

11.

Bald ein Pfarrer, bald ein Küster,

Bald ein Dummkopf, bald Polyhister,

Bald Monarch, bald Unterthan,

Bald Scharfrichter, bald Amtmann.

12.

Bei dergleichen Abwechselungen

Hat man immer neue Vergnügungen,

Und es wird der Lauf der Welt

Gar artig dadurch fürgestellt.

13.

Wenn wir die aufgetragenen Rollen

Nur klug und vernünftig spielen wollen,

So lohnt ein Klatschen der Händ’

Unsre Actionen am End’.

14.

Hingegen wenn wir irgendwo gefehlet,

Dann wird die Haut uns voll geschmälet,

Und alle Zuschauer im Schauspielhaus

Lachen, zischen und pfeifen uns aus.“ —

15.

Der Stand, liebe Amalia! den Sie da zeichnen,

Ist angenehm, ich kann es nicht läugnen,

Antwortete darauf mit einem Kuß

Der neue Schauspieler Hieronimus.

16.

Er ward nun dem Director präsentiret,

Und ihm von Amalia recommandiret,

Der nahm denn des folgenden Tages drauf

Ihn unter die spielende Gesellschaft auf.

Vierunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus ein wirklicher Schauspieler ward, und wie ihm Jungfrau Amalia untreu ward und mit einem reichen Herrn davon ging, und wie er auch in Desperation von hinnen ging.

1.

Geneigter Leser! jetzt will ich dir sagen,

Wie sich Hieronimus im Spielen betragen,

Nachdem ihn der Director examinirt

Und seine Fähigkeiten probirt.

2.

Tartüffische Schurken, verdorbene Priester,

Trunkene Studenten, lächerliche Küster,

Bange Poltrons, verliebte Schreiber

Und dergleichen ähnliche Rollen mehr

3.

Spielte er alle sehr manierlich,

Denn ihre Rollen waren ihm natürlich,

Und er bekam darin jedes Mal

Der Zuhörer lauten Beifall.

4.

Auch wenn er den Schulmeister hatte,

Oder als Autor auf die Bühne trate,

So sah man ihm auch dann und wann,

Den Schulmeister und Autor leibhaftig an.

5.

Hingegen war im ernsthaften Philosophen

Für ihn nicht der mindeste Beifall zu hoffen,

Auch im zärtlichen Schäferspiel

Leistete Hieronimus gar nicht viel.

6.

Imgleichen spielte er sehr ungeschicklich

Den vornehmen Herrn und war unglücklich

So oft er etwas Vernünft’ges bekam,

Oder eine sehr lange Rolle nahm.

7.

Hieronimi jetzige Tage verflossen

Indessen in Vergnügen und unverdrossen

Im Arm seiner schönen Schauspielerin,

Im Arm seiner lieben Amalie hin.

8.

Er hätte, von der Liebe gleichsam berauschet,

Mit keinem Könige nunmehro getauschet,

Und alle sein Trübsal und Elend

Schien nun gekommen zu sein zum End’.

9.

Aber leider ist, wie das Sprüchwort heißet,

Nicht alles Gold und Silber, was gleißet,

Und das unbeständige Glück

Zeiget oft unvermuthete Tück’.

10.

So erfuhr auch Hieronimus in folgenden Zeiten

Bald des Glückes Veränderlichkeiten,

Denn, da er’s am wenigsten geglaubt,

Ward ihm sein größtes Vergnügen geraubt.

11.

Und es hat sich mit ihm begeben

Der schmerzlichste Vorfall in seinem Leben,

Denn es wurde ihm untreu

Seine geliebteste Amalei.

12.

Nämlich: es traf sich von ohngefähre,

Daß ein junger, vornehmer, reicher Herre

Einstmals in der Komödia

Die schöne Amalia spielen sah.

13.

Gleichwie es nun überall Narren gibet,

So hat auch er sich in sie verliebet,

Und Amalia ware so klug,

Daß sie seinen Antrag nicht ausschlug.

14.

In ihrer Geschichte können wir es lesen,

Daß sie ohnehin sehr geneigt gewesen

(Sie war ja eine Frauensperson)

Zur oftmaligen Variation.

15.

Der reiche Herr that sie oft besuchen,

Hieronimus fing drob an zu fluchen,

Und hat theils geweint, theils gedroht,

Und wünschte sich in der Verzweiflung den Tod.

16.

Dadurch ward er aber nur täglich

Bei Amalien mehr verhaßt und unerträglich,

Und sie sagte ihm bald darauf

Ihre Liebe formaliter auf.

17.

Da er nun ihren Entschluß vernahm, so hat er

Abschied bald genommen vom Theater,

Und er ging in äußerster Desperation

Wenige Tage nachhero davon.

18.

Was indessen Amalia thut anlangen,

So ist selbige mit dem Herren davon gegangen,

Und soll bei demselbigen zwei Jahre hernach

Gestorben sein, als sie im Wochenbette lag.

Fünfunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus nach seiner Heimat gen Schildburg gereiset ist und wie er da allerlei Veränderungen fand.

1.

Es befande sich nun auf diese Weise

Hieronimus abermals auf der Reise,

Doch war er gereist kein einziges Mal

So mißvergnügt als im gegenwärtigen Fall.

2.

Amaliens nie vermuthete Untreue

Ware seinen Gedanken stündlich neue,

Und er hätte aus Verzweifelung

Fast gewagt einen gefährlichen Sprung.

3.

Zwar wäre in seinem betrübten Zustande

Für ihn beim Herrn Patron im Bayerlande

Die beste Zuflucht gewesen wol,

Wenn ich mein Gutachten sagen soll.

4.

Aber einer, der mit Betrübniß besessen,

Pflegt oftermal sich zu vergessen,

Und ist gemeinlich zu solcher Zeit

Mehrmals ein Thor und nicht gescheidt.

5.

Also statt sich andershin zu wenden

In seinen gegenwärtigen Umständen,

Stellte Hieronimus seinen Sinn

Nach seinem Geburtsorte Schildburg hin.

6.

Weil ihm nun eben keine Hindernissen

Auf der Heimreise sonderlich aufstießen,

So ist er, dem Himmel sei gedankt!

Wohlbehalten endlich da angelangt.

7.

Hier hat er bei seiner Ankunft gesehen,

Daß große Veränderungen waren geschehen

In manchen Sachen, während der Zeit

Seiner so langen Abwesenheit.

8.

Seine Mutter war zwar noch am Leben,

Aber ihre äußerlichen Umstände standen eben

Nicht allzu wohl, sondern jämmerlich

Und sie ernährte sich kümmerlich.

9.

Einer seiner Brüder war gegangen

Den Weg alles Fleisches, einer hat angefangen

Einen kleinen Nürnberger Kram,

Wovon er seinen Unterhalt nahm.

10.

Der älteste Bruder lebte im Ehestande

Mit dem häßlichsten Weibe im ganzen Lande,

Doch machte das Geld, welches sie besaß,

Daß er ihre Häßlichkeit vergaß.

11.

Seine älteste Schwester hatte

Den Küster Loci zum Ehegatte,

Und dieselbige lebte ziem-

lich vergnügt und wohl mit ihm.

12.

Die Schwester Gertrud hatte ein Kind vom Procrater

Geier, welcher, als er worden war Vater,

Sich davon hatte gemacht geschwind

Und die Braut verlassen sammt dem Kind.

13.

Sie suchte sich so gut als möglich zu ernähren,

Hatte vielen Umgang und Verkehren

Mit jungen Leuten von reichem Stand,

Bei welchen sie ihren Unterhalt fand.

14.

Eine andere Schwester war bei einem alten

Wittwer, ihn zu wärmen und hauszuhalten;

Und auch diese lebte mit ihm insoweit

In Friede und guter Einigkeit.

15.

Und seine allerjüngste Schwester,

Ein blühendes Mädchen, genannt Esther,

War noch bisher der Mutter Trost

Und bekame von ihr die Kost.

16.

Ob nun gleich des Hieronimi Ankunft zware

Mutter und Geschwistern angenehm ware,

Weil es sehr lange hatte gewährt,

Eh sie von ihm gesehn oder gehört:

17.

So wollte es sich doch für ihn nicht fügen,

Als ein Faulenzer müßig da zu liegen,

Man ware also darauf bedacht,

Daß er irgend würde untergebracht.

Sechsunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus Nachtwächter ward in Schildburg, und wie seiner Mutter Traum und Frau Urgalindinens Weissagung erfüllet ward.

1.

Nun ware gerade in diesen Tagen

Der Nachtwächter in Schildburg zu Grabe getragen,

Und seine Bedienung war bisher

Noch unbesetzet, vacant und leer.

2.

Da nun in allen gutgeordneten Staaten

Man den Nachtwächter nicht kann entrathen,

So ward von den Bürgern deliberirt,

Damit ein andrer würde ordinirt.

3.

Nun fanden sich zwar fähige Subjecte,

Denen der entledigte Dienst wol schmeckte,

Doch wegen der Stimme starkem Ton

Nahm man auf Hieronimus Reflexion.

4.

Zwar machten Anfangs einige Personen

Dagegen Einwürfe und Objectionen,

Als wenn Hieronimus eben nicht sehr

Zu dieser Bedienung geschicklich wär’.

5.

Denn weil man ihm die Nachrede machte,

Daß er lieber schliefe als wachte;

So wäre infolglich auf diese Art

Das Städtlein nicht gehörig bewahrt.

6.

Indessen ward er doch bald einhellig

Von der ganzen Bürgerei, förmlich und völlig,

So daß am Berufe nichts gefehlt,

Zum neuen Nachtwächter erwählt.

7.

Jedoch mußte er sich vorhero bequemen

Des vorigen Wächters Wittwe zur Frau zu nehmen,

Denn der verstorbene selige Mann

Nahm sich gar treulich des Städtleins an.

8.

Um also seine Treue zu vergelten

An der hochbetrübten Wittwe, so stellten

Die Bürger die Heirath ihrer Person

Als eine Conditio sine qua non.

9.

Weil sie nun erst alt war dreißig Jahre

Und ihre Person nicht häßlich ware,

So nahm Hieronimus den Vorschlag an

Und wurde also ihr Ehemann.

10.

Es wurden nunmehro Alten und Jungen

Die Stunden der Nacht wieder vorgesungen,

Denn der neue Wächter Hieronimus

Nahme das Horn vor’s Maul und blus.

11.

Und so oft er die Glocke hörte schlagen,

Hub er an Folgendes zu sagen:

„Höret ihr Herren in der Still,

Was ich euch singen und sagen will:

12.

Die Kirchglocke hat so eben

Eilf, zwölf, ein, zwei, drei Schläge gegeben,

Bewahret, wenn ich euch rathen soll,

Das Feuer, das Licht und eure Töchter wohl;

13.

Damit sich Niemand etwa verbrenne,

Oder sonst Schaden entstehen könne,

Und seid sehr wohl auf eurer Hut,

Hut, Hut, Hut, Hut, Hut, thut gut.“

14.

Er hat sich übrigens stets aufgeführet,

Wie’s einem frommen Nachtwächter gebühret,

Er schlief am Tage desto mehr,

Damit er des Nachts fein wachsam wär’.

15.

In aller Zeit, da er gewacht und gesungen,

Ist es keinmal einem Diebe gelungen,

Daß in Schildburg eine Räuberei

Irgendwo nächtlich geschehen sei.

16.

Und jeder Bürger, wenn er noch so hart schliefe,

Erwachte, wenn Hieronimus blies oder riefe,

Und seines Horns und Halses Schall

Hörte man im Städtlein überall.

17.

So hat sich denn alles curios gereimet,

Mit dem, was Frau Jobs Kapitel zwei geträumet,

Und alles trafe nun haarklein,

Bei dem Nachtwächter Hieronimus ein.

18.

Auch von dem, was Urgalindine gesaget,

Als man sie um das Schicksal des Knaben gefraget,

Nach den Gründen der Chiromantia,

Ware nunmehro die Erfüllung da.

19.

Man konnte, nach nun vollendeten Sachen,

Von allem diesem die beste Deutung machen,

Wie’s dann mit Prophezeiungen überhaupt geht,

Daß man selbige hernach erst versteht.

20.

Was indessen Frau Schnepperle gesprochen,

Als Frau Jobs war mit dem Kind in den Wochen,

(Wie Kapitel drei zu ersehn)

Das ist vor diesesmal nicht geschehn.

21.

Aus demjenigen, was wir nunmehro wissen,

Lässet sich gegen Frau Schnepperle schließen,

Daß sie in der Kunst der Physiognomei

Nicht genug erfahren gewesen sei.

Siebenunddreißigstes Kapitel.
Wie Hieronimus einen Besuch bekam von Freund Hein, der ihn zur Ruhe brachte. Ein Kapitel, so gut als eine Leichenrede.

1.

Es ist gewesen schon sehr lange,

Wie uns Gelehrten bewußt ist, im Gange,

Ein gar kluges Sprüchwort, es hat’s

Der alte Kirchenvater Horaz:

2.

Sowol gegen die Paläste der Großen,

Als gegen die Hütten der Armen pflegt zu stoßen

Der überall bekannte Freund Hein

Mit seinem dürren Knochenbein.

3.

Das will eigentlich nach dem Grundtext sagen:

Alles, was da lebt, wird zu Grabe getragen,

Sowol der Monarch als der Unterthan,

Sowol der reiche als der arme Mann.

4.

Sintemal Freund Hein pflegt unter beiden

Nicht das mindeste zu unterscheiden,

Sondern er nimmt alles, weit und breit,

Mit der strengsten Unparteilichkeit.

5.

Und er pflegt immer schlau zu lauern

Sowol auf den Cavalier, als auf den Bauern,

Auf den Bettler und Großsultan,

Auf den Schneider und Tatar-Khan.

6.

Und er geht mit der scharfen Sensen

Zu Lakeien und Excellenzen,

Zu der gnädigen Frau und der Viehmagd

Ohne Distinction auf die Jagd.

7.

Es gilt bei ihm gar kein Verschonen,

Er achtet weder Knotenperücken noch Kronen,

Weder Doctorhut noch Hirschgeweih,

Zierathen der Köpfe mancherlei.

8.

Er hat bei der Hand tausend und mehr Sachen,

Welche ein End’ mit uns können machen;

Bald gibt ein Eisen, bald die Pest,

Bald eine Weinbeere uns den Rest.

9.

Bald eine Krankheit, bald plötzlicher Schrecken,

Bald Arzeneien aus den Apotheken,

Bald Gift, bald Freude, bald Aergerniß,

Bald Liebe, bald ein toller Hundsbiß.

10.

Bald ein Proceß, bald eine blaue Bohne,

Bald eine böse Frau, bald eine Kanone,

Bald ein Strick, bald sonstige Gefahr,

Wofür uns alle der Himmel bewahr’.

11.

Da helfen, um sich zu befreien,

Nicht d’Arçons schwimmende Battereien;

Denn Freund Hein, der hungrige Schelm,

Fürchtet weder Festung, Schild, Degen noch Helm.

12.

Der Commandant in den sieben Thürmen,

Der Großvezier zwischen hundert Dirnen,

So wie Diogenes in seinem Faß

Waren alle für ihn ein Fraß.

13.

So ist es von jeher gehört und gewesen,

Wie wir in den Geschichtbüchern können lesen:

Jakob Böhme und Aristoteles,

Klaus Narre und Demosthenes,

14.

Der ungestalte Aesop und die schöne

Weltberühmte griechische Helene,

Der arme Job und König Salomon

Mußten endlich alle davon.

15.

Kaiser Max und Jobs der Senater,

Virgil und Hans Sachs mein Aeltervater,

Der kleine David und große Goliath

Starben alle, theils früh, theils spat.

16.

Niclas Klimm und Marcus Aurelius,

Cato und Eulenspiegelius,

Ritter Simson und Don Quixot,

Sind leider nicht mehr, sondern todt.

17.

Auch Cartouche und König Alexander,

Einer nicht ein Haar besser als der ander’,

Held Bramarbas und Hannibal,

Sie starben alle Knall und Fall.

18.

Auch August der Held Polens,

Und Karl der Zwölfte mußten volens nolens,

So wie der Perser Schach Kulikan,

Und der große Czaar Peter dran.

19.

Item, Xerxes mit seinem ganzen Heere,

Potiphar mit seiner Hausehre,

Und der einäugige Polyphem,

Und der alte Methusalem.

20.

Alle, alle mußten in die schwarze Bahre,

Calvin und der Pater von Sanct Clare,

Auch der Patriarch Abraham,

Und Erasmus von Rotterdam.

21.

Auch Müller Arnold und die Advocaten

In den weitläufigen preußischen Staaten,

Tribonian und Notar April,

Der zu Regensburg von der Treppe fiel.

22.

Alles, alles sank vor seiner Sichel,

Hippocrates Magnus und Schuppachs Michel,

Galenus und Doctor Menadie

Mit der Salernitanschen Akademie.

23.

Keiner konnte seiner Faust entfliehen,

Nicht Nostradamus und Superintend Ziehen.

Mit Doctor Faust und Träumer Schwedenburg

Ging er ohne Umstände durch.

24.

Orpheus den großen Musikanten,

Molière den Komödianten,

Und den berühmten Maler Apell

Nahm Freund Hein sämmtlich beim Fell.

25.

Auch den Midas mit den langen Ohren,

Den Dichter Homerus blind geboren,

Den lahmen Tamerlan und Tänzer Vestri;

Kein einz’ger von allen entsprang ihm hie.

26.

Ach ja, lieber Leser! dies Furchtgerippe

Fraß die Penelope, Xantippe,

Judith, Dido, Lucretia

Und die Königin aus dem Reiche Arabia.

27.

Den lachenden Demokrit und den Murrkopf Timon,

Gaukler Schröpfer und den Zauberer Simon,

Den Sokrates und jungen Werther, fürwahr

Jenen als Weisen, diesen als Narr.

28.

Selbst Bucephalus und Rosinanten,

Und Abulabas den Elephanten,

Roß Bayard und Bileams Eselin

Nahm Freund Hein zum Morgenbrod hin.

29.

Summa Summarum, weder vorn noch hinten

Ist in den Chroniken ein Exempel zu finden,

Daß Freund Hein etwa irgendwo leer

Bei Jemand vorübergegangen wär’.

30.

Und was er übrigens noch nicht gefressen,

Wird er doch in der Folge nicht vergessen,

Sogar, leider! lieber Leser, auch dich,

Und was das schlimmste ist, sogar mich.

31.

So ward es nun auch gleichergestalten

Mit dem Nachtwächter Hieronimus gehalten,

Denn auch bei ihm stellte Freund Hein

Sich nach vierzig Jahr und drei Wochen ein.

32.

Er bekam nämlich ein hitziges Fieber,

Das wäre wol nun bald gegangen über,

Wenn man’s seiner guten Natur

Hätte wollen überlassen nur.

33.

Jedoch ein berühmter Doctor im Curiren

Brachte ihn durch seine Lebenselixiren,

Nach der besten Methode gar schön,

An den Ort, dahin wir alle einst gehn.

34.

Als man ihn nun zu Grabe getragen,

Führten die Schildburger große Klagen,

Denn seit undenklichen Zeiten her

War kein so berühmter Nachtwächter als Er.

Herr Hieronimus Jobs,
ehemals verstorbener Nachtwächter zu Schildburg, jetzt
wohlverdienter Pfarrer zu Ohnewitz.

Leben, Meinungen und Thaten
von
Hieronimus Jobs,
weiland
Candidaten,

der zwar als Nachtwächter zu Schildburg starb,
doch endlich die Ohnwitzer Pfarre erwarb.

Ebenfalls so gut es konnte geschehen,

Durchgehends mit Holzschnitten versehen,

Zum Theil neu und zum Theil alt,

Sauber gemacht und wohlgestalt.

Zweiter Theil.

Erstes Kapitel.
Wie der Autor sich und die Leser zum zweiten Theile präparirt mit Complimenten und et cetera’s. Als eine Vorrede anzusehen.

1.

Hätte es nie können ahnen noch glauben,

Daß mir Zeit und Umstände würden erlauben,

Von Hieronimus Jobs einen zweiten Band

Einem ehrsamen Publikum zu machen bekannt.

2.

Denn die Herren Kritiker und Recensenten

Machen heuer mit solchen Producten kein’ Complimenten,

Und verfahren überhaupt bunt und kraus,

Wenn ein Autor gibt ein Büchlein ’raus.

3.

Drum war auch mir schon bei dem ersten Gange

Schier nicht gut zu Muth, sondern herzlich bange,

Und ich zoge, so gut es konnte sein,

Das Aushängeschild der Autorschaft ein.

4.

Mochte auch eben Niemanden groß flattiren,

Noch gelehrten Journalisten die Hände schmieren;

Denn ich dachte: es falle wie es fällt,

Ich schreibe incognito und behalte mein Geld;

5.

Und posito! mein Büchlein würde tüchtig gepeitschet,

Weil es so erbärmlich gereimet und gedeutschet;

So geht es doch nach löblichem Brauch,

Nicht anders bessern Schriftstellern auch.

6.

Indeß ist es meinem Kindlein besser ergangen,

Als ich’s jemals hätt’ können wünschen und verlangen,

Denn selbst große Leute haben oft und viel

Damit gehabt ihre Lust und ihr Spiel.

7.

Ein und andrer gab ihm zwar kleine Stöße

Und hier und da etwas vor seine Blöße;

Jedoch für muthwillige Kinder klein

Muß ja billig gute Zucht und Strafe sein.

8.

Ich weiß doch, man ist so artig gewesen,

Hat meinen Hieronimus Jobs weit und breit gelesen,

Und über den Spaß, den er gemacht,

Das Zwerchfell geschüttelt und oft gelacht.

9.

Man sagt sogar, er wirkte besonder

Als ein Specificum gegen das Hypochonder,

Und wäre so gut als das beste Laudan

Bei dem, der für Sorge nicht schlafen kann.

10.

Das will nun wahrlich in unsern Tagen,

Die so aufgeklärt sind, viel sagen;

Denn manches Buch in Prose und Gedicht,

Hat bekanntlich so viele Verdienste nicht.

11.

Ich bin dergestalt, auf vielfältiges Bitten,

Zur Ausgabe eines zweiten Theiles geschritten,

Und behalte drin die gewohnte Reimerei

Nach Hans Sachsens schöner Manier, bei.

12.

Es werden zwar in den Reimen manche Strophen

Auf zu wenig Füßen hinkend angetroffen;

Es sind aber auch manche Strophen wieder dafür

Länger und mit zu viel Füßen laufend allhier.

13.

Darob macht vielleicht mancher Herr Kunstrichter

Zwar Grimassen und saure Amtsgesichter;

Ich kehr’ mich aber dermal wenig oder gar nicht

An ein solches ernsthaftes Kunstgesicht.

14.

Es werden auch die vornehmsten Geschichten und Dinge,

Welche ich allhier bekannt mache und besinge,

Wie gebräuchlich im saubern Holzschnitt

Zur Anschaulichkeit getheilet mit.

15.

Ob Herr Unger in Berlin, oder wer sonst, sie geschnitten,

Dies zu untersuchen will ich mir sehr verbitten;

Ist die Arbeit nur gut, so liegt nichts dran,

Was für ein Holzschneider sie gethan.

16.

Zwar hatte ich diesen Theil schon längst geschrieben,

Der Druck ist aber versäumet und unterblieben;

Denn ich litte leider auch manchen Verdruß

Ob des Büchleins, welches ich klagen muß.

17.

Nämlich, man hat mir boshafter Weise Schuld gegeben,

Als wenn ich in des Hieronimus Jobs Thaten und Leben

Ueberall hätte satirisirt,

Oder gar personalisirt.

18.

Nun kann ich aber, bei meiner Treu’ und Ehren!

Jedermänniglich laut und offen erklären,

Daß ich von persönlicher Beleidigung frei,

Und für Niemand das Büchel anstößig sei.

19.

Wer sich also in Zukunft etwa würde vergessen

Und mir absurde Absichten beimessen,

Den erkläre ich hiemit und rund

Für einen et caetera und bösen Leumund!!

20.

Ich hoffe, der hochgeneigte Leser nimmt diese

Ganz gehorsamste Protestation und Excüse

Gütig auf, und so schreite ich dann

Weiter, und fange die Geschichte an.

Zweites Kapitel.
Wie der zweite Theil des Lebens von Hieronimus Jobs sich mit seinem Leichenbegängnisse anhebt.

1.

Hat man wol je irgend gehört und gelesen,

Daß ein Lebensbeschreiber in der Welt gewesen,

Welcher den zweiten Theil der Lebensgeschichte anhebt,

Da, wo der Held der Geschichte nicht mehr lebt?

2.

Dennoch soll dieses, wie wir nun werden sehen,

Von mir ohne alles Bedenken geschehen;

Ich passire folglich in diesem Fall

Für ein leibhaftes Schriftstelleroriginal.

3.

Alles, was ich in den folgenden Jahren

Von Hieronimus Jobs ferner gehört und erfahren,

Das erzähl’ ich ohne Umstände getreu,

Und thue davon weder etwas ab, noch bei.

4.

Indessen was ich nun von ihm singe und sage,

Geschiehet freilich nicht immer und alle Tage;

Doch ist’s auch überall nicht so bestellt

Wie im Lande Schwaben und in der Welt.

5.

Es gingen fast alle Bürger, arme und reiche,

Mit dem wohlseligen Hieronimus in Schildburg zur Leiche,

Und es schallte traurig aufs offne Grab

Glockengeläute vom Kirchthurm herab.

6.

Hinter dem geistlichen Herrn im Trauerornate,

Folgten sämmtliche Glieder vom Magistrate;

Jeder Mann, und noch mehr jede Frau

Beobachtete Rang und Etikette genau.

7.

Der Pfarrer schien noch während dem Marschiren

Seinen wohlgewählten Leichtext zu studiren,

Und Küster und Schulkinder sangen jämmerlich

Das bekannte Lied: „Herzlich thut mich“ &c.

8.

Die Reihe der Leidträger war ungewöhnlich

Lang, und der Zug traurig und ansehnlich;

Fast jeder weinte und manchen Flor

Sah man flattern vom langen Ohr.

9.

Denn kein Nachtwächter seit undenklichen Zeiten,

War so beliebt gewesen bei allen Leuten,

Und jeder, der ihn kannte, behauptete kühn:

Daß er gestorben, sei mordschade um ihn.

10.

Der armen Wittwe ihr Leid schien am größten

Und man vermochte sie kaum zu trösten;

Obgleich sie noch war gesund, frisch und jung

Und allenfalls zur dritten Ehe gut genung.

11.

So kam der Leichenzug im langsamen Trabe,

Zum Kirchhofe bei dem schaudervollen Grabe,

Und man machte feierlich alsobald

Zur Einsenkung des Sarges die Anstalt.

12.

Da hub der Pfarrer, im Peroriren nicht blöde,

Erst an zu sagen eine stattliche Leichenrede,

Worin er, wie Recht ist, mit großem Lob

Anfangs die Verdienste des Sel’gen erhob:

13.

„Wie daß er in seinem ganzen Wandel und Wesen,

Ein getreuer Nachtwächter des Städtleins gewesen,

Und daß er dafür im Grabe nun

Nach so langem Wachen, könne friedlich ruhn.“

14.

Er hatte aber noch gar nicht lange gesprochen,

Da wurde er durch ein Geräusch unterbrochen,

Und ehe er mit dem Exordium

Zu Ende kam, ward er plötzlich stumm.

15.

Dies große Geräusch, Stöhnen, Pochen und Prallen,

That aus dem Sarge des weiland Jobs schallen;

Jeder stutzte und spitzte das Ohr

Und manches Haar sträubte sich hoch empor.

16.

Himmel, was gab dies für ein Spectakel!

Alles schrie laut: Mirakel, Mirakel!

Alt und jung, Küster und geistlicher Herr,

Flohn, als ob Feuer hinter sie wär’.

17.

Alle und jede erschreckte die Meinung:

Es spuke hier eine Gespenstererscheinung;

Denn im Schwabenland war man in dem Stück

Der Aufklärung noch etwas weit zurück.

18.

Da flogen im Fliehen Flöre und Tücher,

Trauermäntel, Alongeperücken und Bücher,

Hauben, Haarbeutel, Handschuh umher,

Und plötzlich wurde der Kirchhof schier leer.

19.

Aber Herr Schneller, seit geraumen Jahren

In Heilkunde und Physik weidlich erfahren,

Welcher zum Glücke dem Sarge nah stand,

Merkte sogleich, wie die Sache bewandt.

20.

Er schrie laut zu dem fliehenden Haufen,

Man möchte nicht so erschrecken, noch weglaufen,

Denn das Ding wäre nicht so arg.

Er warf indessen den Deckel vom Sarg.

21.

Als dieses von Herrn Schneller geschehen,

Hat man mit großer Verwunderung gesehen,

An Bewegung der Hände, des Leibes und Kopfs,

Den wieder auflebenden Nachtwächter Jobs.

22.

Dieser Vorfall ist zwar sonderbar zu hören,

Indeß läßt er sich ganz natürlich erklären,

Weil der gute Hieronimus zwar

Todt schien, aber nicht eigentlich todt war.

23.

Jener Doctor hatte ihm auf Tod und Leben

Ein seinsollendes Lebenselixir eingegeben,

Welches aber, als ein starkes Opiat,

Drei Tage lang seine Wirkung that.

24.

Man hatte ihn also und dergestalten

In seinem Schlafe für wirklich todt gehalten.

Dieses Beispiel lehret nun jedermann,

Wie leicht man sich am Tode irren kann.

25.

Man sagt, es hätte schon andre Fälle gegeben,

Daß man ohnmächt’ge Menschen, bei noch leben-

digem Leibe, aus Irrthum hab’

Zu frühzeitig gebracht in die Erde hinab.

26.

In unsern Tagen ist’s also ’ne rühmliche Mode,

Daß man vorsichtig ist bei der Menschen Tode,

Und daß nun niemand mehr in die Erde sinkt,

Bis er, salva venia, faul ist und stinkt.

27.

Beiläufig führ’ ich dies jedem zu Gemüthe,

Damit man überall ein Unglück verhüte;

Denn ein jeder ehrlicher Biedermann

Könnte sonst mal erschrecklich laufen an.

28.

Auf Herrn Schnellers Veranstaltung faßten

Nun die Träger den Sarg mit dem weiland Erblaßten,

Trugen ihn geschwinde ins nächste Haus,

Zogen die Todtenkleider ihm aus,

29.

Und Herr Schneller, der rüstige Bader,

Schlug ihm drauf tüchtig eine Ader,

Rieb Stirn und Schläfe mit Salmiak,

Und setzte ein Klistier von Rauchtabak.

30.

Der Leib ward mit warmen Tüchern frottiret,

Die Nase mit Essig und Spiritussen geschmieret,

Und so kehrte Hieronimus zum Glück,

Bald wieder ganz ins Leben zurück.

31.

Er hat sich darauf seit diesen Stunden,

Völlig gut und gesund befunden,

Und des Herren Schnellers Arzenei

Truge dazu augenscheinlich bei.

32.

Nur behielt er noch lange eine blasse Farbe

Und am Kopf vom Stoßen im Sarge eine Narbe,

Wurde jedoch von solcher Zeit an

Ein sehr vernünftiger und braver Mann.

33.

Ob etwa die Herren Psychologen

Die Ursach’ einer so günstigen Aenderung erwogen,

Und ob davon mehr Exempel sein,

Dieses zu erfahren sollte mich freun.

Drittes Kapitel.
Worin die Frau Nachtwächterin Jobs plötzlich stirbt, aber Hieronimus selbst sich wohl befindet.

1.

Nach dem gemeinen Sprüchwort ist große Freude

Gemeiniglich gemischt oder befolgt mit Leide,

Und vom lustigen Hopsa und Fröhlichkeit

Ist Jammer, Auweh und Trauer nicht weit.

2.

Dies Sprüchwort hat auch leider bald nach diesen

Geschichten in Hieronimi Hause als wahr sich gewiesen,

Wo nur ein Schritt, ja nur ein Haar,

Zwischen dem Tode und Leben war.

3.

Denn kaum war Hieronimus wieder auferwecket,

So ward seine Frau davon so heftig erschrecket,

Daß alles Blut im Leibe bei ihr erstarrt

Und sie plötzlich eine Leiche ward.

4.

Da half weder Aderlassen noch Klystiren;

Sie blieb todt, ohne einmal sich zu rühren,

Und Herrn Schnellers erhabene Kunst

Erschöpfte sich an ihr ganz umsunst.

5.

Ob etwa die schnelle Freude sie so verdorben,

Daß sie davon so geschwinde gestorben,

Dieses, sowol als anders noch mehr,

Genau zu erörtern, gehört nicht hieher.

6.

Einige haben wollen behaupten und sagen,

Als ob Frau Jobs schon in den ersten zwei Tagen

Der Wittwenschaft mit einem andern sich

Hätte verlobt und eingelassen ehelich;

7.

Des erblaßten Gatten Auferstehung aber wäre

Nun bei ihr gekommen in die Quere,

Und dieser unvermuthete große Schmerz

Hätte ihr gebrochen das empfindliche Herz.

8.

Allein, es ist Sünde sich so zu übereilen

Und von armen jungen Wittwen so lieblos zu urtheilen;

Das sicherste, was man davon sagen kann,

Ist: der Tod will eine Ursache han.

9.

Sie ward nach vier Tagen zur Erde bestattet,

Und Hieronimus, zwar noch etwas ermattet,

Gab doch mit aller Zärtlichkeit

Ihr zur Ruhestatt das Geleit,

10.

Froh, daß er diesmal dem Grabe entnommen

Und mit dieser Kleinigkeit glücklich davon gekommen;

Denn er dachte, besser heißt’s: Heute dir

Und nach Gelegenheit erst morgen mir.

Viertes Kapitel.
Allerlei Bewegungen und Reden, welche nach diesen Begebnissen entstanden, und von der Verordnung, welche der Magistrat herausgab, niemand zu begraben, als wenn er todt sei; bei 14 Goldgulden Brüchte zum Behuf der Kämmerei.

1.

Das Gerücht von dem geschehenen Abenteuer

Verbreitete sich überall wie ein laufend Feuer,

Und ward bald durch ganz Schwabenland,

Theils mit, theils ohne Zusatz bekannt.

2.

Mancher hielt es für eine ersonnene Märe,

Was da in Schildburg neulich geschehen wäre,

Und jeder nach seiner besondern Manier,

Disputirte davon, theils wider, theils für.

3.

Andre erzählten, daß man letzthin habe

In Schildburg gebracht einen Mann zu Grabe,

Welcher nunmehr in Gespenstergestalt

Herumging und erschreckte Jung und Alt.

4.

Andre haben sogar behauptet und gesprochen,

Er habe, als Geist, seiner Wittwe den Hals gebrochen,

Weil sie einen jungen Menschen geküßt;

Und was des dummen Zeugs mehr ist.

5.

Aber vor allen andern betrug sich

Der Magistrat von Schildburg sehr kluglich;

Denn sobald der erste Schrecken verschwand,

Nahm man das wichtige Geschäft zur Hand,

6.

Und that in pleno deliberiren,

Damit nicht künftig was Aehnlich’s möge passiren,

Und machte sub Dato den 21ten Hornung

Von Wort zu Wort folgende Verordnung:

7.

„Sintemal und alldieweil in diesen Tagen

Sich der besondere Casus zugetragen,

Daß man jemand beinahe mit Haut und Haar

Begraben hätte, der noch lebendig war;

8.

Also findet ein hochweiser Magistratus

Schildburgensis, daß es ein fürchterlicher Status

Sei, wenn man jemanden steckt ins Loch,

Welcher bei diesem Actu lebet noch.

9.

Dergleichen Excessen nun künftig vorzubeugen,

Wollen wir alle obrigkeitliche Mühe bezeigen,

Und geben hiemit das ernstliche Gebot:

Niemand zu begraben, er sei dann todt.

10.

Wer sich das Gegentheil läßt kommen zu Schulden,

Soll gestraft werden um 14 Goldgulden,

Und dieses verwirkte Strafgeld sei

Dann für’s Aerarium der Kämmerei.

11.

Damit es zu jedermanns Kenntniß mög’ gelangen,

Soll man dies an der Rathhausthür festhangen,

Imgleichen noch sonst hier und dort,

An den Kirchen und andern öffentlichen Ort.

12.

Auf daß jeder Bürger dasselbe sehe

Und sich nach dem Inhalte pünktlich begehe,

’S findet folglich bei diesem Placat

Keine Excüse der Unwissenheit statt.

13.

Datum im völligen plenissimo magistratu,

Coram sämmtlichen gegenwärtigen Senatu.

Affigatur et bublicetur

Et ad Prutacollum notetur.“

Fünftes Kapitel.
Wie diese Wundergeschichte vom Magistrate protocolliret ward. Item gelehrte Nachricht von der Schildburgischen Chronik.

1.

Anfangs vermochte niemand es zu errathen,

Was die Herren ohnedem noch vorhatten und thaten,

Denn sie hielten nicht lange nachher,

Eine Rathsversammlung extraordinär.

2.

Drin wurde der Vorfall protocolliret

Und von Wort zu Wort geregistriret,

Damit dereinst Kind und Kindeskind

Dies Wunder zum ewigen Andenken fünd’.

3.

Nämlich zwischen manchem von Mäusen zernagten Briefe,

Lag wohlverwahrlich im Stadtarchive

Ein besonders ehrwürdiges Stück,

Genannt Schildburger Chronik.

4.

Die Tinte war vor Alter sehr erbleichet,

Das Papier von Nässe durch und durch erweichet,

Wobei auch der starke schweinslederne Band

Sich wurmstichicht und gar zerlumpt befand.

5.

Der Titel, welcher noch halb gut geblieben,

Zeigte, wer ehmals den Anfang davon geschrieben,

Nämlich Meister Lolf Didrich Lax,

Schildburger Historiograph und Scribax.

6.

Von wannen und in welchem Jahr der Autor gewesen,

Das konnt’ man auf’m Titel leider nicht mehr lesen,

Auch Jöchers Gelehrten-Lexikon,

Welches ich nachschlug, meldet nichts davon.

7.

Darf ich indeß bei dieser dunkeln Sache es wagen,

Meine unmaßgebliche Meinung zu sagen:

So lebte Meister Lolf Didrich Lax, um

S’ funfzehnte, sechzehnte oder siebenzehnte Säculum.

8.

Man wird es mir auch hoffentlich erlauben,

Vor der Hand zu behaupten und fest zu glauben,

Wegen der deutschen Schreiberei,

Daß er ein Deutscher gewesen sei.

9.

Wahrscheinlich hat der, der die Chronik geschrieben,

Zugleich das löbliche Schusterhandwerk getrieben;

Denn diese rare Antiquität

War mit Pechdraht geheftet und genäht.

10.

Er war übrigens ein Erzspaßvogel;

Denn er führte bald vom Papst, bald vom Großmogel,

König Jan Böckels, Knipperdolling und Lipstullian,

Anekdoten bunt durcheinander an.

11.

Weiters wird man schwerlich von ihm was erfahren,

Bis vielleicht andre geschickte Antiquaren

Des Autors genaue Biographie

Untersuchen und beschreiben spät oder früh.

12.

Der Schreibstil war zwar in den meisten Stücken

Elendig wie in andern alten Chroniken,

Auch war nur drin zu sehn hie und da ’ne Spur

Einer mit Tinte gemalten Figur;

13.

Aber es war doch drin ausführlich zu lesen,

Was in Schildburg von Anfang der Welt Merkwürdig’s gewesen,

Und wie die Arche Noäh nach der Sündflut

Auf dem Alpengebirge Ararat geruht,

14.

Und wie die Deutschen von Japhet abstammen,

Und zum Theil nach dem Städtchen Schildburg kamen,

Als zur babylonischen Thurmzeit

Sich die Nationen hin und her zerstreut;

15.

Auch von Nimrod dem gewaltigen Jäger,

Und Goliath dem renommirten Philister und Schläger;

Ferner von Abraham, Isaak und Jakob

Und vom geduldigen Mann Hiob;

16.

Die Bauzeit der ägyptischen Pyramiden;

Nachricht von den Alrunen und Druiden;

Und mehr Dinge bald aus alter, bald neuer Zeit,

Nach der Umstände und des Reims Gelegenheit;

17.

Der Kinder Israels Marsch durch das rothe Meer;

Und wie Pharao drin ersoff mit seinem ganzen Heer,

Da doch einige Zeit hernach der große Christoph

Durch eben dies Meer ging und nicht ersoff;

18.

Der Juden in Aegypten erlittenes Bedrängniß;

Ihre nachherige babylonische Gefängniß;

Salomons Tempelbau, und wie nach der Hand

Jerusalem wurde vom Titus verbrannt;

19.

Josua’s Vertilgung der bösen Canaaniten,

Lojola’s Stiftung der kreuzbraven Jesuiten,

Amerika’s Entdeckung von Colon und Vesputs,

Aussprüche des weisen Griechen Solon und Chinesen Confuts.

20.

Der Hamelschen Kinder Ausgang nach Siebenbürgen,

Die Tödtung des Lindwurms durch Ritter Sanct Jürgen,

Simsons bekannte lustige Fuchsjagd,

Des deutschen Hermanns große Befreiungsschlacht.

21.

Auch von Mahomet dem großen Lügenpropheten,

Anton von Padua dem frommen Anachoreten,

Item von den heiligen drei Königen

Sowol in Mailand als in Köln noch jetzt zu sehn.

22.

Noch sonst viel Merkwürdiges von den Hebräern

Und von den Wundern unter den Makkabäern,

Und was sonst alles noch unbeschwert

Genau zur Schildburger Chronik gehört.

23.

Daß lange die Türken und Hünen das Land besessen,

Welche Heiden gewesen und Menschen gefressen,

Bis der heil’ge Bonifaz rund herum

Die Schildburger gebracht zum Christenthum;

24.

Auch daß Karl der Große sie vollends bekehret,

Indem er das Land überall verheeret;

Auch wie sein Vetter der große Roland,

Das Fechten aus dem Fundament verstand;

25.

Auch wie zur Zeit der leidigen Kreuzzüge,

Unter Gottfried von Bouillon im heiligen Kriege,

Aus Schildburg und dem benachbarten Land,

Sich mancher Kämpe beim Heer befand;

26.

Wie bald darauf, vor ein paar hundert Jahren,

Die Kirchen in Schildburg gebauet waren,

Und wer darin, genau Jahr vor Jahr,

Küster, Schulmeister und Pfarrer war;

27.

Auch was zur Reformationszeit passiret,

Wie man sich da geprügelt und disputiret,

Und wie drauf mancherlei Ketzerei

Erreget öfters Lärm und Geschrei;

28.

Auch wann das Rathhaus zu Schildburg aufgeführet

Und man drin zum ersten Mal consultiret,

Nebst Rechnung der gehabten Kosten bei

Der damals geschehenen Schmauserei;

29.

Wie der Ort selbst nur im Anfange

Ein Dorf gewesen, und erst lange

Nach Christi Geburte, erhalten da

Vom Fürsten Stadtsprivilegia,

30.

Nebst einem Galgen für arme Sünder

Zum Behuf ihrer und ihrer Kinder,

So daß man zu ewigen Zeiten dran

Nur Schildburger Bürger hängen kann;

31.

Auch sonst der lieben Bürgerschaft zum Guten

Unverbrüchliche besondere Statuten,

Welche durch die Länge der Zeit

Gekommen außer Gebräuchlichkeit.

32.

Es war ferner in dem Buche beschrieben,

Was sonst in Schildburg geschehen und betrieben,

Alles mit Tag und Datum aufgeführt,

Und durch fremde Hände continuirt.

33.

Zum Exempel: Blutige Balgereien,

Bestechungen und andre Teufeleien

Bei Rathmannswahlen; item Hagelschlag;

Stadtprocesse und sonstige Landplag’;

34.

Die Erscheinung furchtbarer Kometen

Mit ellenlangen Schwänzen, welche als Propheten

Krieg, Pest, Seuchen und theure Zeit

Den armen Schildburgern geprophezeit;

35.

Viele schreckliche Sonn- und Mondfinsternisse,

Windstürme, Wasserfluten und Regengüsse,

Erdbeben, Mißwachs an Korn und Wein,

Erzählte die Chronik umständlich und haarklein.

36.

Auch waren darin keinesweges vergessen,

Alle Schildburgische Criminalprocessen,

Besonders wie viel Unholdinnen und Hexen man

Nach gehöriger Wasserprobe verbrann;

37.

Merkwürdige Todesfälle und Ungelücken,

Reparirung der Kirchen, Thoren und Brücken;

Verstorbener Betschwestern fromme Stiftung;

Der bösen Juden Brunnenvergiftung.

38.

Mißgeburten, rathhäusliche Decreten,

Kluge Anstalten in allgemeinen Nöthen,

(Doch letztere eben nicht interessant)

Machte die Chronik gleichfalls bekannt.

39.

Auch Scheibenschießen und feierliche Aufzüge,

Klage über erlittenes Drangsal im Kriege;

Feindliche Durchmärsche und Einquartirung,

Contributionen und Fouragirung;

40.

Auch Nachrichten von erfolgten Feuersbrünsten,

Und berühmten Schildburgern, und erfund’nen Künsten;

(Doch von letzten war Verzeichniß und Bericht

Weder lang, noch von sonderbarem Gewicht.)

41.

So ward dann auch, wie ich oben that sagen,

Das erwähnte Wunder in die Chronik eingetragen,

Woselbst es jeder neugierige Mann

Noch jetzt folgendermaßen lesen kann:

42.

„Im tausend siebenhundert und drei und achtzigsten Jahre

Starb ein Mann hieselbst und war auf der Bahre,

Woselbst er bis an den dritten Tag

Als eine leibhafte Leiche lag;

43.

Man war schon mit ihm auf dem Gottesacker,

Da wurde er wieder lebendig und wacker,

Und ward darauf völlig gesund, durch

Einen geschickten hiesigen Chirurg.

44.

Die klare Wahrheit dieser Begebnissen

Bezeugen unterzeichnete Subscripti auf Pflicht und Gewissen.

Lippel Schnack, erster Burgermeister und Schenkwirth.

Kunz Jack, zweiter Burgermeister und Schweinehirt.

45.

Görgel Peter, erster Rathsherr und Blaufärber.

Michele Krummholz, zweiter dito und Gerber.

Hännsle Damm, Hopfenhändler und Kamerar.

Max Grunz, Lumpensammler und Archivar.“

46.

Nota bene! es ware hiebevoren

Altissimum silentium bei allen Autoren,

Von dieser höchstschätzbaren Antik,

Der noch ungedruckten Schildburger Chronik;

47.

Ich habe also bei dieser Gelegenheit geeilet

Und der gelehrten Welt Nachricht davon ertheilet;

Vielleicht macht nun irgend ein Verleger sein Glück

Mit dem Drucke der Schildburger Chronik.

Sechstes Kapitel.
Beschreibet die Verdienste des Herrn Schnellers.

1.

Ehe wir nun weiter zur Geschichte schreiten,

Ist es nöthig den Leser zu bedeuten,

Was Herr Schneller gewesen für’n Mann,

Durch den Hieronimus dem Tode entrann.

2.

Er hatte, wie gesagt, viel und große Verdienste,

War erfahren und kannte alle Heilkünste,

Uebte sie immer gar fleißig, und

Machte Gesunde krank und Kranke gesund.

3.

Er hatte in Straßburg die Baderkunst studiret,

Und daselbst, qua talis cum Applausu cursiret;

Auch manches pergament’ne Testimonium

Mit Siegel dran, erhöhte seinen Ruhm.

4.

Er war ungemein berühmt im prakticiren,

Durch vomiren, purgiren, klystiren,

Scarificir’n und kauterisir’n,

Accuschir’n und amputir’n,

5.

Saliviren, fomentiren, anatomiren,

Pflasterschmieren, und andere iren,

Und dieses machte ihn durch ganz Schwabenland

Als einen Wunderdoctor bekannt.

6.

Keiner that sich so, wie er, auf den Puls verstehen,

Keiner konnte, so wie er, das Wasser besehen,

Und Keiner sagte so gewiß, wie er,

Gesundheit, oder vielmehr den Tod vorher.

7.

Keiner war mit der Säge und dem Messer

Bei chirurgischen Operationen fixer und besser,

Und er nahm bei jedem schicklichen Umstand

Sofort die Section vor die Hand.

8.

Glücklicher als mancher promovirter Doctor

Steckte er oft dem Freund Hein den Stock vor,

Und machte also mit aller Gewalt

Durch schöne Mittel in der Krankheit Halt.

9.

Denn entweder den einen Weg oder den andern

Mußten die Patienten in weniger Zeit wandern,

Und sie wurden, wie sich’s gebührt,

Sicher zur Behörde expedirt.

10.

Fieber, Schwindsucht, ansteckende Seuchen,

Wassersucht, Schlag, Lähmung und dergleichen,

Krätze, Wahnsinn, Stein und Skorbut,

Curirte er alle, meist kurz und gut.

11.

Eine seiner Pillen that mehr Zeichen

Als zehn andre Pillen ihres gleichen;

Und was er gewöhnlich den Kranken gab,

Das führte nach allen Seiten schnell ab.

12.

Kurz! seine Arzneien waren durchgehend kräftig,

Purgirten wenigstens 40 mal heftig,

Und wer sie nahm morgens nüchtern und frisch,

Dem ward Magen und Darm so rein wie ein Fisch.

13.

Seine Arcana pflegte er selbst zu bereiten,

Und verkaufte sie theuer, doch nur reichen Leuten;

Von Armen nahm er nur mäß’gen Profit

Als ein gewissenhafter Mann beiläufig mit.

14.

Und weil sich auch in benachbarten Landen

Käufer für seine herrliche Composita fanden,

So gab er sie erga 50 Procent davon,

Andern zu verhandeln in Commission.

15.

Er ersann schlau für seine Arzneimittel

Des mehrern Abgangs wegen, prächtige Titel,

Obgleich sich meistens es so befand,

Daß alles aus simpeln Sachen bestand.

16.

Eine Unze vom Pulvis aureus Doctoris Schneller

Kostete bei der Anlage nicht mal ’nen Heller;

Denn es war Salz mit Ziegelstein,

Zu einem Pulver gerieben gar fein.

17.

Sein Praeservans contra alle Krankheiten,

Bestand aus Honig und einigen Kleinigkeiten;

Und etwas Eichenrinde mit Fliedermus war

Das königliche Restaurativ Electuar.

18.

Sein Elixir tonicum universale

Bestund aus Weinessig und gefeiltem Stahle,

Und seine Essentia stomachalis pretiosa

Aus Wasser mit abgekochter Menta.

19.

Die Pilulae purgantes miraculosae

Bestunden aus Aloe, nebst einer guten Dose

Von Jalappenharz und Gummigutt,

Elaterium und Semen Cataput.

20.

Sein berühmter Trank, die Lebensgeister zu wecken,

War der Absud von Haferkörnern und Quecken,

Und das Decoct ad omnes morbos pectoris,

War eine Brühe von Süßholz und Anis.

21.

Das Specificum infallibile contra Fieberhitze,

War eine Mixtur von Salpeter und Gerstengrütze,

Und die Tinctura contra Gicht und Stein,

War Terpentinöl mit Branntewein.

22.

Das Extract imperiale, die Ausdünstung zu mehren,

Bestand aus Bier, gekocht mit Wachholderbeeren,

Und sein Balsam vulnerar für Leib und Seel’

War etwas Kampher mit Rüböl.

23.

Seine Species nobiles confortantes

Waren gleichfalls etwas ganz Bekanntes;

Sie bestanden aus Kreide, Salbei,

Und etlichen Körnern von Carwei.

24.

Seine incomparable visceral-Tropfen

Waren ein Extract von Wermuth und Hopfen,

Und sein Unguent nervin war Theer,

Stark vermenget mit Schweineschmeer.

25.

Sein Emplastrum summum für Hauen und Stechen,

Beinbrüche und ähnliche Gebrechen,

Bestand, so viel ich mich erinnern kann,

Aus Schuhpech, Bleiglätte und Fischthran.

26.

Sein Egregium linimentum zum Schmieren beim Anwachsen,

Und in Sugillationen vom Stoßen, Fallen oder Baxen,

Oder wenn etwa der Unterleib schwall,

War grüne Seife und Ochsengall.

27.

Sein Cataplasma gegen alte Geschwüre und Scirrhen

War Mehlkleister mit etwas Asa und Myrrhen,

Und sein Spiritus magnus resolvens war

Bierhefen mit ana Urin gar.

28.

Sein Arcanum arcanorum Supracoeleste

War, trotz des hohen Titels, auch nicht das Beste,

Weil es aus geraspelten Knochen und

Gedörretem Hammelblute bestund.

29.

Sein Lapis excellens et divinus

Bestund aus etwa zwei Theilen plus minus,

Von Alaun, und von Zucker einem Theil;

Das stopfte jeden Blutsturz in Eil’.

30.

So war auch weder mehr noch minder

Seine Emulsio nobilis für kleine Kinder,

Bei Verstopfung, Würmern und schwerer Noth,

Ziegenmilch mit zerriebenem Mäusekoth.

31.

Sein Antidotum Dominae Principissae

Waren zerquetschte unreife welsche Nüsse,

Und seine Orientalis Confectio

War Syrup mit zermalmtem Bohnenstroh.

32.

Es fanden sich salva venia in seiner Apotheke

Noch mehr Büchsen mit ähnlichem Drecke,

Von dem ich die Bereitung, nebst dem Preis,

Nicht so genau mehr kenne noch weiß.

33.

Lange hatte er vormals in fremden Landen

Oeffentlich als ein leibhafter Doctor ausgestanden,

Wodurch er sich, obgleich mancher Kranke starb,

Doch ein ziemliches Vermögen erwarb.

34.

Endlich ließ er sich in Schildburg nieder,

Legte flott daselbst alle seine Collegen und Brüder,

Und fand auf Kosten der Kranken alsbald

Reichlich allda seinen Unterhalt.

35.

Denn er war der ganzen Gegend Orakel,

In seinem Hause war immer Gewühl und Spectakel,

Reiche und Arme, groß und klein,

Drängten sich beständig aus und ein.

36.

Gelückte eine Heilung unter seinen Händen,

So war ein Posaunen hier und an allen Enden,

Und es hieß: „Da hat der hochberühmte Mann

Abermal eine treffliche Cur gethan“;

37.

Hingegen, wenn seine Patienten verdarben,

Oder gar bald in seiner Cur starben;

So hieß es: „Je nun mein lieber Christ!

Für ’n Tod kein Kräutlein gewachsen ist.“

38.

Er pflegte auch wol zu thun kleine Reisen

Und seine Hilfe dringend anzupreisen,

Und Keiner, dem etwas fehlte nur,

War sicher vor seinen Pillen und Cur.

39.

Auch junge Weibchen, denen was quälte,

Oder Mädchen, denen es heimlich wo fehlte,

Gingen weit und breit, mit frohem Sinn,

Zu Niemand als zu Doctor Schneller hin;

40.

Denn sie konnten in jedem weiblichen Anliegen

Immer bei ihm sichre Specifica kriegen,

Dabei unterhielt er gewöhnlich sich

Als ein artiger Mann mit ihnen vertraulich.

41.

Auch für Männer, die ihre ehliche Pflichten,

Wegen ihrer Jugendsünden, nicht konnten verrichten,

Hatt’ er ein geheimes Aphrodisiak,

Von herrlicher Wirkung und gutem Geschmack.

42.

Das wachsame Collegium medicum des Landes,

Welches viel von ihm hörte, verstand es

Unrecht und nannte es Pfuscherei,

Weil er nicht rite promotus sei,

43.

Und ließ ihn oft zur Verantwortung citiren;

Er blieb aber vor wie nach beim Practiciren

Und nannte diese Zudringlichkeit,

Offenbare Mißgunst und Nahrungsneid.

44.

Er wußte übrigens weder Latein noch andre Sprachen,

Und was sollte er auch eigentlich damit machen?

Denn mit Griechisch und Lateinisch wird

Doch nie, sondern mit Arzneien curirt.

45.

Er haßte alle sogenannte Methoden und Secten,

Wünschte gar, daß alle Dogmatiker verreckten,

Und verließ sich einzig im Curiren nur

Auf Erfahrung und des Kranken starke Natur.

46.

Von medicinischen Büchern, sowol neuen als alten,

Pflegte er ebenfalls gar nichts Gescheidtes zu halten;

Nur besaß er ein geheimes Manuscript

Und war in dessen Lectüre geübt.

47.

Zwar war’s schon alt, ohne Namen und Titel,

Doch zeigte es lauter schöne Hausmittel,

Und enthielte für allerlei Weh,

Manch sicheres Geheimniß und Recipe.

48.

Es will mir übrigens hier nicht geziemen,

Diesen Wundermann länger zu preisen und zu rühmen;

Genug, es war der Retter des Hieronimus,

Es lebe Herr Schneller, der Medicus!

Siebentes Kapitel.
Wie Hieronimus Verdrießlichkeiten bekam, wegen seines Auflebens, mit dem Todtengräber und seinem Amtssuccessor.

1.

Als Hieronimus wieder zu Kräften gekommen,

Hat er sein altes Amt wieder übernommen,

Jedoch bei dieser Gelegenheit

Gerieth er in bittre Verdrießlichkeit.

2.

Denn schon gleich nach seinem vermeinten Ableben,

Wurde der Wächterdienst einem andern übergeben,

Folglich hatte dieser etliche Tage schon

Das Nachtwächterhorn in Possession.

3.

Dieses aber bei Hieronimi neuem Leben,

So mir nichts, dir nichts, ihm wieder abzugeben,

Ginge freilich in der Güte nicht;

Drum kam die Sache vor Gericht.

4.

Jeder suchte sich also einen Advocaten,

Um in dieser kritischen Sache ihm zu rathen,

Und vor der Hand ward rechtlich decretirt:

Daß das Wächteramt entweder würd’ suspendirt,

5.

Oder, weil die Unterlassung der Nachtwache

Eine gar zu bedenkliche Staatssache

Und bei Feuersbrunst und Dieberei

Für das Städtlein gefährlich sei:

6.

So könnten beide Competenten gebührlich,

Des Nachts jeder für sich unpräjudicirlich,

So daß darin keine Verwirrung sei,

Anstimmen ihre nächtliche Melodei.

7.

Das Gehalt aber könnte pendente lite,

Unter ihnen getheilet werden in Güte;

Allenfalls könnten auch um die andre Nacht

Sie halten die gewohnte Wacht.

8.

Dies war nun zwar schon eine verdrießliche Geschichte,

Doch eben nicht von so gar großem Gewichte;

Indessen kommt selten ein Uebel allein,

Und wo Kreuz ist, findet sich Plage leicht ein.

9.

Denn auch der Todtengräber hob wegen seiner Gebühren,

Mit Hieronimus Jobs an zu queruliren,

Und verlangte von ihm außer Jura und Lohn,

Noch besondre Abbitte und Satisfaction.

10.

Da ginge es nun von beiden Seiten

An ein heftiges Processiren und Streiten,

Weil der Fall so sehr sonderbar,

Ja gar einzig in seiner Art war.

11.

Keine Partei wollte der andern weichen,

Kein Advocat verlangte auch sie zu vergleichen;

Denn jedem Künstler, Krämer und Dieb,

Ist sein Verdienst und seine Nahrung lieb.

Achtes Kapitel.
Charakter und Porträt der Herren Advokaten Schluck und Schlauch.

1.

Im Städtchen Schildburg wohnten zwei treffliche Männer,

Mit beiden Rechten wohlgerüstete Kenner,

Die besten Advocaten im Schwabenland,

Einer Schluck, der andre Schlauch genannt.

2.

Herr Schluck war ein Mann von hohen Jahren,

In allen Künsten der Themis sehr erfahren,

Und hatte lange mit Haar und Haut,

Das Corpus juris sammt den Pandecten verdaut.

3.

Er war kinderlos und unbeweibet,

Und darum wohlbewadet und stark beleibet;

Denn er aß und trank täglich gut

Und alles ward bei ihm zu Fett und Blut.

4.

Das Podagra und die blinden Hämorrhoiden

Ließen zu gewissen Zeiten ihn nicht mit Frieden,

Welches Leid doch meistens anfing,

Wenn er sich manchmal in der Diät verging.

5.

Er suchte durch alle Wege seinen Zweck zu erreichen

Und seinen Vortheil meisterlich zu erschleichen,

Es sei nun der ihm vorkommende Fall

Legal, oder auch illegal.

6.

War etwa eine Erbschaft oder dergleichen zu haschen,

So flog dies alles in seine hungrigen Taschen,

Und er dachte weislich: es kümmert mich nicht,

Was die Welt von mir urtheilt, denkt oder spricht.

7.

Bei Contracten und gerichtlichen Verkäufen

Pflegte immer für ihn etwas abzuträufen;

Er schmiedete manch nützliches Document,

Und manches ihm heilsame Testament.

8.

Er schonte weder seine Gönner noch Freunde,

Sondern behandelte sie als seine ärgsten Feinde;

Denn um seinen selbst eigenen Vortheil

War ihm alles in der Welt feil.

9.

Auch wußte er mit manchen Nebensachen

Seinen Schnitt nach Herzenslust zu machen;

Zum Exempel: er half oft schlau

Manch Mädchen zum Mann und manchen Mann zur Frau.

10.

In jedem ihm vorkommenden Rechtshandel

Ging er den gewöhnlichen Curialwandel,

Weshalb dann auch sein Advocatenstil

Sprachkennern eben nicht sehr gefiel.

11.

Jedoch wußte er seine Gegenparteien

Durch manche Chicane weidlich zu casteien,

Und wer ihn persönlich griffe an,

Dem wiese er keck die Faust und den Zahn.

12.

Er pflog übrigens tüchtig zu sportuliren

Und seine Clienten lang herum zu führen;

Denn mit jeglichem neuen Termin

Gingen ihm leicht etliche Thaler in.

13.

War gleich die Sache eine faule oder schlechte,

So verfochte er sie doch für Geld mit dem Rechte,

Denn er verstund die herrliche Kunst,

Zu machen dem Richter ’nen blauen Dunst.

14.

Hatte Client nicht viel einzubrocken,

So ließ er den Rechtshandel meistens stocken,

Und selbst die gerechteste Sache kam

Dadurch in leidige Contumaciam.

15.

Er hatte zwar, wie gesagt, keine Leibeserben,

Doch war’s auch sein Wille nicht, so bald zu sterben;

Denn er gedachte in jener Welt

Wär’ ihm die Küche vielleicht schlecht bestellt.

16.

Auch Herr Schlauch verstund alle Rechtspfiffe,

War ein Genie und steckte voller Kniffe,

Und feuerte bei jeder Gelegenheit

Seine Parteien an zu Proceß und Streit.

17.

Er war zwar am Körper dürre und hager,

Aber im Beutel und am Verstande nicht mager,

Lebte gleichfalls im Junggesellenstand

Mit einer Jungfer, wobei er sich wohl befand.

18.

Er wußte auch artig durch mancherlei Manieren,

Die Parteien am großen Seil herum zu führen,

Und wenn er den Proceß auch nicht gewann,

So sprach er doch: ich hab’ das meinige gethan.

19.

Er konnte die geradeste Sache stattlich verdrehen,

Und wußte klug sich in allem zu begehen,

Und mancher Casus sehr krumm und schlecht,

Ward unter seinen Händen grade und recht.

20.

In seinen Schriften und Libellen verstand er

Die Zeilen zu setzen drei Zoll von einander,

Und er citirte, als wäre er toll,

Manchen Autor aufs Gerathewohl.

21.

Denn er ließ sich von den Parteien jedesmalen

Seine Schriften bogenweise bezahlen,

Und jedes wohlangebrachte Citat

Kostete besonders einen Viertels-Ducat.

22.

Er wußte trefflich seinen Beutel zu spicken

Und durch Sporteln seine Clienten zu zwicken,

Nahm aber als ein genügsamer Mann

Nicht nur große, sondern auch kleine Präsente an.

23.

Er ließ sich auch zu den meisten Zeiten

Im voraus bezahlen seine Arbeiten;

Dieses belief sich meistens schon hoch,

Ohne was er forderte extra noch.

24.

So bekam er für außerordentliche Mühe,

Kälber, Hammel, oder gar melke Kühe;

Auch Korn, Bäume, und so weiter, nahm er mit,

Denn er hatte zu allem App’tit.

25.

Andre Kleinigkeiten, zum Exempel: Eier, Butter,

Gänse, Hühner und dergleichen Küchenfutter,

Nahm noch obendrein die Jungfer Köchin

Quasi ohne sein Vorwissen hin.

26.

Von solchem überflüssigen Küchensegen

Konnte sie für ihn manchen Thaler zurücklegen;

Denn sie trieb damit anderwärts

Einen vortheilhaften Handel und Commerz.

27.

So begab sichs, daß den Clienten, eh sie kaum anfingen,

Schon die Augen für Angst übergingen,

Und wenn einer auch endlich den Streit gewann,

So war er doch geworden ein armer Mann.

28.

Denn obgleich der Proceß war gewonnen,

So war doch das Vermögen schier dabei zerronnen,

Und Herr Schlauch nahm das Restchen vom Gewinn

Pro studio et labore flugs hin.

29.

Gern hätt’ mancher sich Anfangs wollen vergleichen,

Herr Schlauch wußt’ aber demselben auszuweichen,

Und schwur, die Sache stünde trefflich und gut;

Das machte der Partei dann neuen Muth.

30.

Da trank er dann mit seinen Clienten

Schnaps, Punsch, oder was sie ihm sonst gönnten;

Besonders kam ihm beim edlen Wein

Manch schöner Einfall aus’m Corpus Juris ein.

31.

Er war stark belesen in allen juristischen isten,

Civilisten, Criminalisten, Publicisten,

Und so weiter; übrigens hielt sich der Mann

An den gewöhnlichen Rechtsschlendrian.

Neuntes Kapitel.
Wie der Jobsische Proceß geführet ward. Ein Kapitel, welches man überschlagen kann, weil es nur den gewöhnlichen Weg Rechtens enthält.

1.

Diese waren dann die beiden Advocaten,

Welche die Jobsischen Processe führen thaten.

Sein Assistent war Herr Schluck, der Dickbauch,

Und seiner Gegner Assistent war Herr Schlauch.

2.

Die Sachen wurden getrieben anfangs sehr hitzig;

Die Gründe pro et contra waren erbaulich und witzig,

Und vielleicht gibt Herr Schlauch oder Herr Schluck

Einst noch den ganzen Proceß in Druck.

3.

Beide Herren waren im Grunde gute Freunde,

Nur in ihren Schriften agirten sie als Feinde;

Fochte dann einer recht mit Chicane und Grimm,

So dacht’ der Client froh: Ha seht, der kann’s ihm!

4.

Es war eine Lust zu sehn in den Acten,

Wie sich beide Gegner bissen und packten.

Ich führe nur hier, so gut ich es kann,

Eines und anderes in der Kürze an.

5.

Doch will ich die eigentlichen Chicanen übergehen,

Denn ich thu’ mich als juristischer Laie drauf nicht verstehen,

Und halte mich also, so gut als es geht,

Blos an des Processes Realität.

6.

Ich erzähle auch nicht in der Advocaten Sprache,

Weil das nur möchte verwirren die ganze Sache,

Und vom sogenannten Stilus Curiae

Thun ohnehin dem Leser leicht die Ohren weh.

7.

So sagte klagend, zum Exempel, der Todtengraber:

„Das Grab und die übrigen Anstalten hab’ er

Für niemand als Hieronimo gemacht, fürwahr

Das Factum sei notorisch und sonnenklar.

8.

Ferner, wie jedem bekannt sei, leb’ er

Blos von seinem Metier als Todtengräber;

Ihm competire also, ohn’ Contradiction,

Für seine Arbeit der verdiente Lohn.

9.

Zudem hab’ Beklagter, statt sich zu lassen verscharren,

Ihn, Klägern, öffentlich gehabt für’n Narren;

Denn jedermann habe ihn ausgelacht,

Weil er das Grab vergeblich gemacht.

10.

Kläger glaub’ also, es sei höchst gerecht und billig,

Daß Beklagter die Begräbnißkosten willig

Auskehre, oder allenfalls jetzt noch,

Kriech’ in das für ihn gemachte Loch.

11.

Daneben ihm öffentlich und förmlich erkläre:

Wie es ihm höchst verdrösse und leid wäre,

Daß er ihn, Klägern, als ’nen ehrlichen Mann,

So getäuschet und schrecklich geführet an.“

12.

Diese Klaggründe ließen sich nun zwar gut hören,

Allein Hieronimus ließ im Termino dagegen erklären:

„Daß pro primo alles, was geschehn,

Von ihm weder gebilligt sei, noch gesehn;

13.

Hoffe also, er habe nicht nöthig dermalen

Die vergebliche Mühe des Todtengräbers zu bezahlen.

Pro secundo sei es so klar als das Licht,

Daß er, Beklagter, sei todt gewesen nicht.

14.

Nun aber streite es wider alle Gebräuche

Zu begraben eine noch lebendige Leiche;

Ex eo ipso gebühre also davon

Ihm, Klägern, kein Todtengräberlohn.

15.

Pro tertio sei noch zu bedenken: es habe

Kläger ihn ja nicht wirklich gescharret im Grabe;

Folglich falle das wesentlichste Stück

Der Klage in Nullität zurück.

16.

Pro quarto sei Kläger ja schadlos auf alle Fälle,

Indem er Beklagtens Frau begraben an seiner Stelle,

Und er wolle ihm herzlich gerne dafür

Doppelt bezahlen die Begrabungsgebühr.

17.

Auch könne man in keinem Gesetzbuche den Fall lesen,

Daß man Abbitte thun solle, weil man nicht todt gewesen.

Uebrigens protestire er dagegen hoch,

Daß er jetzt gar sollte noch kriechen ins Loch.“

18.

Dies sind nun ohngefähr kürzlich die wichtigsten Gründe,

Die ich in Actis hujus causae, pro et contra, finde;

Es versteht sich aber, daß mancher Punkt dabei,

Als unerheblich, von mir übergangen sei.

19.

Ich habe ex post erfahren und gehöret,

Daß der Proceß habe lange gewähret;

Denn erst nach der dritten Rechtsinstanz

Endigte sich dieser verdrießliche Tanz.

20.

Denn in dieser Sache ein passend Urtheil zu sprechen,

Verursachte dem Richter gewaltiges Kopfbrechen,

Bis sie doch endlich zu Ende kam

Durch folgende Final sententiam.

Zehntes Kapitel.
Enthält finalem Sententiam in Causa des Todtengräbers zu Schildburg, qua Klägers eines Theils; contra und gegen den weiland todtgewesenen und nun wieder lebendigen Nachtwächter Hieronimus Jobs, qua Beklagten andern Theils; worin abseiten des letzteren succumbirt wird, cum omnibus Expensis; mit Rationibus dubitandi et decidendi gehörig bekräftigt.

1.

„In Sachen Klägers und Beklakten,

Erkennet man nach durchgesehenen Acten,

Mit Vernunft und Billigkeit für Recht:

Daß Beklagter Hieronimus schlecht-

2.

erdings dem Kläger satisfacire

Und den Begräbnißlohn ohne Verzug abführe;

Jedoch bleibt ihm bei diesem Proceß

Vorbehalten an Herrn Schnellern der Regreß.

3.

Auch in alle muthwillig verursachte Kost und Gebühren

Thut man Beklagten dabei condemniren;

Jedoch kann er erga condignum davon

Bei uns nachsuchen erst rechtliche Moderation.

4.

Uebrigens will man aus Schonung und andern Gründen,

Ihn von Abbitte und Ehr’nerklärung diesmal entbinden;

Jedoch gibt man die Warnung für künftig ihm mit:

Wenn er wieder stirbt, den Todtengräber zu foppen nit.

5.

Denn obgleich Beklagter das Begräbniß nicht gebilliget,

Und in dem, was Kläger gethan, nicht eingewilliget,

So hat doch diese Einwendung nicht

Das erforderliche rechtliche Gegengewicht.

6.

Sintemal alle gesittete Völker haben,

So viel constirt, ihre ehrlichen Todten immer begraben,

Und man braucht, wenn dieser Actus geschicht,

Dazu den Consens des Verstorbenen nicht.

7.

Auch obgleich er nicht wirklich todt gewesen,

Sondern aus dem Sarge wieder lebendig genesen,

So konnte doch der Todtengräber nicht

Davor, sondern war willig zur Pflicht.

8.

Succumbens hat auch damals als Todter wirklich gehandelt,

Und war still, als man mit ihm zum Kirchhofe gewandelt;

Folglich alterirt es nichts, obschon

Die Einscharrung nicht gediehn zur Excution.

9.

Von Abbitte, Ehr’nerklärung u. s. w. ihn zu dispensiren,

Will sich aber darum geziemen und gebühren,

Weil’s ihm billig nicht kann werden verdacht,

Daß man für ihn vergeblich das Grab gemacht.

10.

Zudem war ja Klägers Arbeit nicht gar verdorben,

Sintemal Beklagtens Frau bald darauf gestorben,

So daß man sie folglich an seiner Statt hab’

Versenkt in das schon fertige Grab herab.

11.

Billig ist auch der Punkt des zu habenden Regresses

An Herrn Schneller, wegen aller Kosten des Processes,

Denn dieser hat ihn wieder zur Gesundheit gebracht,

Und also die ganze Unordnung verursacht.

12.

Dieserwegen hat man dann diesmal nicht können

Anders in dem wichtigen Handel erkennen;

Bleibet es also bei der Sentenz.

Von Rechtswegen.

Judex Peter Squenz.

13.

Pro Abfassung der Sentenz sind judici ohn’ Beschweren

Vom Succumbenten 20 Thaler auszukehren.

Auch muß er erlegen noch 4 Thaler von

Der Sententiae Publication.

14.

Pro communicatione sententiae an beide Partien

Muß er noch 3 Thaler hervorziehen.

Item pro duplo mundo et Copei

Noch Gulden sieben und Groschen drei.

15.

Pro decreto ad audiendum publicare

Bezahlt er noch extra gleich 4 baare

Gulden, und für die Registratur

Rechnet man sieben dito nur.

16.

Noch 3 Thaler und 4 Groschen für die Geschäften,

Die Acten gehörig zu ordnen und zu heften.

Similiter drittehalb Thaler für

Tinte, Oblaten und Stempelpapier.

17.

Für schleunige Expedition sind dermalen

5 Thaler und 8 Groschen zu bezahlen,

Und für dieser Rechnung Specification

Sind 1 Thaler und 12 Groschen der Lohn.

18.

Dem Gerichtsdiener besonders, competiren

22 Groschen für Insinuationsgebühren.

Nota bene! alle diese benannten Sumtus

Betreffen nur lediglich den Sentenzschluß;

19.

Denn die eigentlichen Sporteln bei der Proceßführung

Werden bestimmt bei besonderer Specificirung,

Und die Gelder alle deponirt Succumbens

Bei dem Herrn Richter Peter Squenz.

20.

Dem Herrn Schluck pro defensione et labore,

Werden vorläufig zuerkannt 8 Louisd’ore,

Und des Triumphanten Advocaten Herrn Schlauch

Passiren 4 Louisd’ore auch.“

21.

Ob Succumbenten hier Recht oder Unrecht geschehen,

Ich finde noch immer ein Sprichwort bewährt,

Es heißt: „Wer gut schmieret, gut fährt.

22.

Daß Hieronimus bei der Behörde

Ueber die Sportelrechnung geführet Beschwerde,

Und daß man da ein Weniges wegstrich

Und moderirte, versteht von selbst sich.

23.

Mit dem andern Proceß, wegen dem neuen Nachtwächter,

Wär’ es vermuthlich gegangen noch schlechter,

Wenn nicht durch ein besonders Ohngefähr

Die Sache glücklich beendigt wär’;

24.

Und man würde vielleicht nach sehr langen Jahren

Erst davon das Ende haben erfahren;

Oder sogar wäre bei Herrn Judex Squenz

Noch jetzt, da ich dies erzähle, Lis pendens.

Eilftes Kapitel.
Lobrede auf die verstorbene Frau Jobs; sehr beweglich zu lesen.

1.

Von welcher Art jenes Ohngefähr gewesen,

Das soll man erst im 17ten Kapitel lesen,

Denn ich bringe vorher noch ein und anderlei,

Was zur Nebengeschichte gehöret, herbei.

2.

Wir haben im dritten Kapitel schon vernommen,

Wie Hieronimus um seine Frau gekommen,

Und daß ihm solche Freund Hein geraubt,

Welches er sobald nicht gehofft noch geglaubt.

3.

Er empfand ihren Verlust eben nicht schmerzlich,

Denn dies Ehepaar liebte sich nie herzlich;

Die Ursache aber davon zu verstehn,

Wollen wir die selige Frau etwas näher besehn.

4.

Sie war von einem wohlerwürdigen Stande,

Die Tochter eines braven Pfarrherrn vom Lande,

Welcher bei seinen Einkünften klein

Doch lehrte und lebte orthodox und rein.

5.

Gleichwie nun gemeinlich die Landpfarrer haben

Wenig Bücher und Geld, aber viel Mädchen und Knaben;

So traf auch dies bei ihren Eltern ein,

Denn sie war das Kind an der Numero neun.

6.

Sie lernte frühzeitig beten, lesen und schreiben

Und allerlei nützliche Hauskünste treiben;

Sie nähte, strickte, wusch und spann

Und nahm sich der Küche und des Stalles an.

7.

Sie wurde sogar von ihren lieben Alten

Fleißig zu Landarbeiten angehalten,

So daß sie des Morgens so fix und rasch

Wie ein gelernter Drescher drasch.

8.

Sie besaß dabei die ruhmwürdige Tugend,

Daß sie gerne schon früh in der Jugend

Mit den Dorfjungen schäkern that;

Denn sie war nicht stolz noch delicat.

9.

In der Ernte und beim Weinlesen

Hatte sie recht ihr Treiben und Wesen,

Ueberwarf sich mit manchem Buben zum Spaß

Und wälzte sich herum im Heu und Gras.

10.

Sie übertraf in Stärke der Knochen und Glieder

Alle ihre übrigen Schwestern und Gebrüder;

Und darum nannte man sie allgemein

Des Herrn Pfarrers starke Katharein.

11.

Sie war mit Schönheit zierlich ausgerüstet,

Bei guter Taille und ziemlich bebrüstet,

Und darum brauchte ihr Mieder und Gesicht

Falsche Ausstopfung und Schminke nicht.

12.

Bis ins achtzehnte Jahr ist sie Jungfer gewesen,

Da sie dann eines kleinen Kindleins genesen,

Welches aber gleich nach der Geburt starb,

Folglich nichts Sonderliches an ihr verdarb.

13.

Sie hätte bei dermaß bewandten Sachen

Wol einmal ihr Glück durch Heirathen können machen,

Wenn’s ihr nur nicht am Gelde gefehlt,

Welches man beim Heirathen fürs Nöthigste hält.

14.

Ihr ist dabei noch das Unglück begegnet,

Daß ihr Vater bald drauf das Zeitliche gesegnet,

Und da fand sich beim Inventar,

Daß wenig oder nichts vorhanden war.

15.

Denn außer einigen alten Perücken und Postillen,

Abgetragenen Röcken, zerbrochnen Stühlen und Brillen,

War beim Nachlaß des Seligen

Kaum etwas zu finden noch zu sehn.

16.

Dabei ergaben sich noch einige Schulden

Von etwa 120 bis 130 Gulden,

Drum so hieß es bei Wittwe und Kindern dann:

Jedes helfe sich, so gut es kann.

17.

Die Wittwe blieb bis an ihr Ende im Dorf wohnen,

Nährte sich redlich von Buttermilch, Pfannkuchen und Bohnen,

Und was sonst die Bauern ihr noch, aus Respect

Für den Wohlseligen, kümmerlich dargestreckt.

18.

Mit unsrer Katharine ging es etwas besser;

Denn Schildburgs Nachtwächter, des Hieronimi Antecesser,

Der sie nach seinem Geschmacke befand,

Knüpfte mit ihr das ehliche Band.

19.

Er brauchte gar nicht lange um sie zu freien,

Denn sie that ihn gleich mit ihrer Hand erfreuen,

Und eh’ er sich ihrer Einwilligung versah,

Sprach sie über Hals und Kopf: Ja!

20.

Aber schon in den ersten Ehstandstagen,

Wollte ihm dies Bündniß so recht nicht mehr behagen,

Denn des Olim Pfarrers Katharin

Fuhr beim geringsten Anlaß her über ihn,

21.

Und die sonst üblichen Flitterwochen

Wurden wider alle Gewohnheiten schnell abgebrochen,

So daß der arme junge Mann da

Eigentlich nicht wußte, wie ihm geschah.

22.

Ueberall that sie den Herrn im Hause spielen,

Und ließ es ihn tagtäglich empfinden und fühlen,

Daß sie die Tochter einer Dorfpfarrei,

Er aber nur ein Halunke von Nachtwächter sei.

23.

Indessen mußte er sich in die Umstände fügen,

Und unter ihren großen Pantoffel geduldig schmiegen,

Bis ihn endlich von allem Kreuz und Leid,

Der so oft gewünschte Tod befreit.

24.

Wie nachher Hieronimus Jobs gekommen

Und sie mit dem Nachtwächterdienst zugleich übernommen,

Dieses wissen wir allerseits

Aus dem 36ten Kapitel des ersten Theils bereits.

25.

Ihm ging’s mit ihr nicht besser als seinem Antecesser;

Ja sein Elend war gewissermaßen schier größer;

Denn es ging fast kein Tag vorbei

Ohne Haarcollation und Prügelei.

26.

Sie verstund sich trefflich aufs Beißen und Kratzen,

Uebertraf in dieser Kunst manche Hunde und Katzen,

Machte oft die Augen geblaut und blund

Und des armen Mannes Nase und Haut wund.

27.

Auch alle Einkünfte und geringen Gewinnste

Von seinem blutsauern Nachtwächterdienste,

Versoff Olim Pfarrers Katharein

Theils in Kaffee, theils in Branntewein.

28.

Und wenn er dem nächtlichen Berufe nachginge,

Trieb sie manche sich nicht geziemende Dinge,

Und gleichwie in einem Taubenhaus

Flog einer ein und der andre aus.

29.

Da brauchte dann vom Abend bis zum lichten Morgen,

Hieronimus für keine Hörner zu sorgen;

Denn es verstrich keine einzige Nacht,

Oder es wurde ihm ein neues gemacht.

30.

Wenn er sich dann durstig und müd gesungen und gewachet

Und nunmehro sich wieder nach Hause gemachet,

Fand er zur Erquickung, Gott erbarm’s!

Weder Thee, Kaffee, noch sonst was Warm’s.

31.

Wollte er etwa zuweilen bei hellem Tage,

Ein wenig ausruhn von seines Amtes Plage,

So hieß es: „Heraus aus dem Schlaf und der Ruh’,

Du infamer fauler Räkel und Schlingel du!“

32.

Und so war in diesem Hause gewöhnlich

Ein Tag dem andern, wie ein Ei einem Ei ähnlich,

Und des Pantoffels monarchisches Regiment

Hielte weder Maß, Ziel, noch End’.

33.

Doch lief auch dem Hieronimus zuweilen die Galle über,

Und dann ging’s kraus und bunt, drunter und drüber,

Und die Frau bekam dann oft ein Bagatell

Von ihrem Ehemann wieder aufs Fell.

34.

Denn zuweilen dacht’ er an des Pfarrers Lehre

Bei der Copulation: daß der Mann Herr wäre,

Und so übte er das gebührliche Recht im Haus

Nebst dazu gehöriger Execution aus.

35.

Aber niemals konnte es ihm doch gelingen,

Seine theure Ehehälfte ganz zur Raison zu bringen,

Und der Handel lief immer so ab,

Daß er wieder die ersten guten Worte gab.

36.

Mancher andrer hätte indeß, ohne zu erkalten,

Diese Lebensart so lange nicht ausgehalten,

Denn es weiß leider mancher Ehemann,

Wie eine böse Frau einen quälen kann.

37.

Es war dem Hieronimo folglich nicht zu verdenken,

Daß seiner Frauen Tod ihn nicht thäte kränken,

Er war vielmehr herzlich erfreuet und froh

Und sange darob: in dulci jubilo.

Zwölftes Kapitel.
Wie Hieronimus der Wittwer sich sehr vernünftig betrug. Ein rares Kapitel.

1.

Wittwer Hieronimus lebte nun auf diese Weise,

Wie in Abrahams Schooße und im Paradeise,

Suchte anderswo seinen Zeitvertreib,

Aß, trank, und pflegte seinen Leib.

2.

That auch seit seinem damaligen Auferstehen,

In allen Stücken sich sehr vernünftig begehen,

Und erlangte im ganzen Lande herum

Wegen seines Abenteuers Bekanntschaft und Ruhm.

3.

Er blieb auch bei dem eisenfesten Fürnehmen

Alle Begierde zur neuen Heirath zu bezähmen;

Denn er dachte: Wer sich einmal verbrannt,

Kennet das Feuer und hütet die Hand.

4.

Zwar schien es ihm an Gelegenheit nicht zu fehlen,

Sich eine neue Gattin zu auserwählen,

Denn er war ledig und kinderlos

Und dabei rüstig, stark und groß;

5.

Auch erst alt etwas über 40 Jahre,

Jetzt auch gescheidter als er vormals ware,

Uebrigens befand sich Hals, Kehle und Lung’

Zum Singen und blasen noch kräftig und jung;

6.

Hatte folglich alle Eigenschaften und Qualitäten,

Welche Wittwen und Mädchen beim Heirathen vonnöthen;

Allein vergeblich war jeder Versuch,

Er blieb Wittwer und dran that er vernünftig und klug.

7.

Nun verrichtete er auch mit dem andern Wächter, seinem Collegen,

Sein Amt cum applausu, mit Frucht und mit Segen;

Zuweilen aber machte der Nahrungsneid

Eine kleine Collision und Uneinigkeit.

8.

Er sang vor wie nach: „Bewahrt das Feuer, das Licht und eure Töchter;“

Allein sein College, der andre Nachtwächter,

Stimmte aus Caprise einen andern Ton,

Und machte folgende Variation:

9.

„Hört ihr Herren, was ich euch hiemit sage,

Verwahrt des Nachts sowol als bei Tage,

Das Feuer, das Geld und eure Weiber wol,

Sonst geht es überall schlecht und toll,

10.

Und es entstehen Feuersbrünste und Hörner,

Concurse, Bankerotte und was ferner

Alles daraus für Unheil erwächst“ —

Das Uebrige ließ er beim alten Text.

11.

Doch um dergleichen geringe Kleinigkeiten

Sich ernstlich zu hassen und mit einander zu streiten,

Wäre, traun, gewesen ganz überlei,

’S geschah ja doch alles zum Frommen der Bürgerei.

Dreizehntes Kapitel.
Potz Blitz! da kommt der Herr von Ohnewitz.

1.

Es kamen fast täglich viele Damen und Herren

Gen Schildburg hin, aus der Nähe und von Fernen,

Um den besondern Mann persönlich zu sehn,

An welchem jenes Wunder geschehn.

2.

Da bekam er dann, wie leichtlich zu gedenken,

Von ihnen manche ansehnliche Geschenken,

Und dies brachte ihm weit mehr Gewinnst

Als der karge halbe Nachtwächterdienst.

3.

Er lebte also sehr reputirlich,

Aß, trank und kleidete sich manierlich,

So daß er sich dabei so glücklich befand,

Als ein Bürger im Priester-Johannisland.

4.

Einsmal ließ sich bei unserm Geschichtshelden

Ein hochansehnlicher reisender Herr melden,

Und so bald sie einer den andern sahn,

Himmel, wie staunten sie beide sich an!

5.

Der Herr sah hier vor sich seinen ehmaligen Retter,

Hieronimus vice versa seinen alten Wohlthäter;

Da hieß es: „Ist Er’s, Herr Hieronimus? Potz Blitz!“ —

„Ja ich bin es! Sind Sie’s, Herr von Ohnewitz?“

6.

Ueber 16 Jahre waren schon verstrichen,

Seitdem Hieronimus von Ohnwitz war entwichen,

Und es hatte seit dieser Zeitstation,

Sich manches verändert in beider Person.

7.

Dennoch erkannte man sich plötzlich jetzunder,

Und da sahe man recht seinen blauen Wunder,

Denn wer hätte jemals kaum

So etwas zu denken gewagt im Traum?

8.

Den eigentlichen Willkomm hab’ ich nicht gesehen,

Will also seine Beschreibung übergehen,

Und melden im folgenden Kapitel nur

Wie die Hauptgeschichte ferner fortfuhr.

Vierzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus dem Herrn von Ohnewitz seine Geschichte treulich erzählet, mit Uebergehung desjenigen, was ihm unerheblich dünkte.

1.

Erst hub an Hieronimus seine Geschichten

Dem Herrn Patron ganz unterthänig zu berichten,

Und machte den ersten Anfang von

Der Ohnewitzer Rebellion:

2.

Wie da sowol die Alten als die Jungen

So unsäuberlich mit ihm umgesprungen,

Und er mit großer Lebensgefahr,

Den wüthigen Bauern entgangen war.

3.

Ferner, wie er auf der Reise zum Herrn Patron nach Bayern

Herumgetrieben sei von manchen Abenteuern,

Und wie er demnächst auf seiner Flucht

Manchen Unbill erlitten und versucht.

4.

Doch die Geschichte mit Amalien überging er

Als ganz unerheblich, dagegen fing er

Ferner von seinem Theaterstand an

Zu erzählen, und was er dann weiter gethan.

5.

Wie er nämlich nach seiner Heimat gekommen,

Den vacanten Nachtwächterdienst übernommen

Und gewacht und gesungen früh und spat;

Item von seiner Heirath.

6.

Auch von seinem Abschiede von der Erden,

Und wie er habe sollen wirklich begraben werden,

Aber wie ihn aus Freund Heins Klauen noch hätt’

Herrn Schnellers Geschicklichkeit errett’t.

7.

Wie drauf seine Frau vom Schreck erblasset,

Welche Sentenz im Proceß man abgefasset

Und dieser traurigen Dinge noch mehr.

Die Erzählung selbst ging ohne Thränen nicht her.

8.

Als er nun damit war gekommen zu Ende,

Schlug Herr von Ohnwitz für Erstaunen in beide Hände,

Und erzählte im folgenden Kapitel drauf

Von der Ohnwitzer Geschichte den weitern Verlauf.

Funfzehntes Kapitel.
Scharfe Gerechtigkeitspflege in Ohnewitz.

1.

Als er von der Reise damals zurückgekommen,

Habe er des Breitern mit Unwillen vernommen,

Was da in seiner Abwesenheit

Gewesen für Unordnung und Streit;

2.

Darauf alle Ohnwitzer lassen förmlich citiren,

Und durch Fiscum genau inquiriren,

Welche da alle an dem großen Unheil

Gehabt hätten Part und Antheil.

3.

Habe demnächst über Junge und Alten

Ein unbarmherziges Gerichte gehalten

Und den Ohnewitzer unerhörten Fall

Durchaus behandelt als criminal.

4.

Man habe ihn durch vielfältiges Suppliciren

Zwar versucht zu besänftigen und zu rühren;

Allein er wäre vor wie nach die Bahn

Der strengsten Gerechtigkeit gegahn.

5.

Denn bei solchen und derlei Revolutionshändeln

Lange zu zaudern und ängstlich zu tändeln,

Halte er gar nicht für dienlich und gut;

Besser sei Entschlossenheit und ernster Muth.

6.

Er hätte gern gesehen, daß man nach aller Strenge

Die allerschlimmsten Bellhämmel aufhänge,

Und nach dem peinlichen Halsgericht

Den Handel mit Strick und Schwert geschlicht’t.

7.

Aber um die Scharfrichterkosten zu ersparen,

Habe er wollen etwas gelinder verfahren,

Weil doch ohnehin zu dieser Frist

Das Hängen fast aus der Mode ist.

8.

Indessen habe er die Auctores Rixae

Tüchtig lassen blasen in die Büchse,

Und mit dieser Uebung der Gerechtigkeit

Zugleich das Interesse Fisci erfreut.

9.

Auch weil alle übrigen Socii Rixae

Verdient hätten, daß Fiscus sie brav wixe,

So hätte auch jeder von ihnen den Lohn

Erhalten nach gehöriger Proportion.

10.

Um die nöthigen Exempel zu statuiren,

Habe er die ärmeren Teufel lassen incarceriren,

Und solche zehn Wochen bei Wasser und Brod

Hungern lassen fast bis auf den Tod.

11.

Die Schlimmsten wären mit Willkomm und Abschied entlassen,

Und, jedoch salva fama, gejagt auf fremde Straßen,

Und ihr ganzes Gut und Vermögen sei

Cassirt zum Behuf der Kasse der Canzlei.

12.

Denn sie auf die Vestung zu condemniren,

Habe sich nicht können fügen noch gebühren,

Weil im ganzen Ohnwitzer Land

Sich weder Stadt, geschweige Vestung befand.

13.

Nachdem aber jeder gebührliche Strafe erhalten,

Habe er wieder seine Gnade lassen walten,

Und mit landesväterlicher Hulde sie

Erfreuet durch völlige Amnestie.

14.

Einige würden’s jedoch lebenslang fühlen

Und nie wieder so strafbare Rollen spielen;

Denn manche Familie wäre herab

Durch Fiscum gebracht an den Bettelstab.

15.

Nach einigen publicirten Warnungsmandaten,

Wäre nun wieder in den Ohnewitzer Staaten

Alles in Ordnung, Friede und Ruh’.

Ich der Autor wünsche Glück dazu.

Sechszehntes Kapitel.
Bei welcher guten Gelegenheit Herr von Ohnewitz nach Schildburg gekommen, thut der Autor hier aufrichtig erzählen.

1.

Gleich darauf ist auf des Herrn Patrons Verlangen,

Hieronimus mit ihm in sein Logis gegangen,

Um daselbst bei einem Gläslein Wein

Sich des Wiedersehens desto mehr zu freun.

2.

Denn gemeinlich läßt sich unterm Trinken und Zechen

Vernünftiger und vertraulicher mit einander sprechen,

Und mancher sonst gar trockne Discur

Bekommt da gleichsam eine andre Natur.

3.

Herr von Ohnewitz sagte, mit der gegenwärtigen Reise

Verhalte es sich eigentlich auf folgende Weise:

Eine alte Tante im Schwabenland,

Welche sich sehr schwach und kränklich befand,

4.

Wollte noch vor ihrem Gott gefälligen Absterben,

Herrn von Ohnwitz, ihren Pathen, einsetzen zum Erben,

Entbote also schleunig den Herrn Cousin

In dieser Absicht nach Schwabenland hin.

5.

Sobald nun die gedachte liebe Tante

Diese Nachricht ihrem lieben Cousin sandte,

So ermangelte derselbe nicht,

Ihr zu entrichten die christanverwandtliche Pflicht,

6.

Um zu erhalten ihren letzten frommen Segen;

Denn sie besaß ein großes Vermögen,

Theils in Natura, theils auf’m Papier,

Nebst Möbeln, Juwelen und Silbergeschirr.

7.

Nun lauerten zwar lange auf ihr Absterben

Im Schwabenlande andre Collateralerben;

Jedoch der Herr Pathe von Ohnwitz allein

Sollte nach ihrem letzten Willen der Erbe sein.

8.

Er hatte sie höchst schwach angetroffen,

So gar daß sie, wider alles Verhoffen,

Drei Tage nach gemachtem Testament,

Heimfuhre aus diesem Elend.

9.

Herr von Ohnewitz, den ihr Betragen sehr rührte,

Besonders als er sah, daß sie agonicirte,

Drückte ihr persönlich die Augen zu

Und wünschte ihr eine angenehme ewige Ruh.

10.

Nachdem er drauf in Kurzem alles das Seine

Von dieser Erbschaft gebracht hatte ins Reine,

Kehrte hochgedachter Herr von Ohnewitz

Wieder zurück nach seinem freiherrlichen Sitz.

11.

Und da mußte, zu beiderseitigem Vergnügen,

Es das Schicksal so wunderbar drehen und fügen,

Daß Herr von Ohnwitz in seinem Retour,

Durch Schildburg bei dieser Gelegenheit fuhr.

12.

Weil nun bekanntlich die Gastwirthe in Schwaben

Besondre Fertigkeit im Schneiden und Erzählen haben,

So machte auch Herrn von Ohnwitz Wirth zur Hand

Ihn mit des Hieronimi Geschichte bekannt.

13.

Folglich läßt sich nun ohne Lügen und Mühe,

Die im dreizehnten Kapitel erzählte Entrevüe

Erklären, und daß solche geschehen sei

Ohne Wunderwerk und ohne Hexerei.

Siebzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz reiset und sein Abschied von seinen Freunden in Schildburg, item von Herrn Judex Squenz.

1.

Nachdem nun diese Erzählung war abgebrochen

Und man noch manches andre gesagt und gesprochen,

Legte der reiche Herr Patron folgenden Plan

Zu Hieronimi künftigem Glücke an:

2.

Vorab sollte er wieder mit ihm nach Ohnwitz reisen,

Bei ihm auf dem Schlosse wohnen und speisen,

Und dann könnte man ferner warten und sehn,

Was zu seiner Versorgung möchte geschehn.

3.

Diese Offerte that Hieronimo gaudiren;

Denn ohne lange zu complimentiren,

Empfahl er sich zur hohen Gewogenheit

Und war zu allem unterthänigst bereit.

4.

Nun war am Reisewagen was zu bessern und zu putzen;

Diesen Aufenthalt suchte Hieronimus zu benutzen.

Er ging vorerst und nahm mittlerweil’

Abschied von seinen Freunden in der Eil’.

5.

Um sich aber zur Abfahrt desto besser zu berathen,

Schenkte ihm der Herr Patron einen Beutel voll Ducaten;

Diesen ließ aber der gute Hieronimus

Halb seiner Mutter und jüngsten Schwester zum Abschiedsgruß;

6.

Gab auch der Mutter noch alle seine Habe zum Erbe.

Der Abschied war übrigens traurig, bitter und herbe;

Sie hing lange weinend an seinem Hals

Und seine Schwester Esther ebenfalls.

7.

Den Proceß mit dem Nachtwächter, seinem Collegen,

Schlug er nieder und wünschte ihm allen Segen,

Und in seinem Beruf Wachsamkeit und Geduld;

Bezahlte auch den größten Theil der Proceßschuld.

8.

Auch Herrn Schneller that er freundlich begegnen,

Unterließ nicht ihn nochmals für seine Rettung zu segnen,

Und dieser gab ihm auf die Reise noch mit

Eine große Flasche voll Aquavit.

9.

So letzte er sich zärtlich mit allen seinen Freunden,

Vergab seinen ehmals nächtlichen Schwägern und allen Feinden;

Aber dem Herrn Judex Peter Squenz

Wünschte er noch heimlich die Pestilenz.

10.

Nunmehr hat er sich höchlich vergnüget

Wieder zum Herrn Patron ins Quartier verfüget.

Alles war fertig, man trank noch ein Glas,

Stieg ein in den Wagen und reisete fürbaß.

Achtzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz auf der Reise ist, und was sich da zugetragen hat, weil er vernünftig befunden ward.

1.

Auf der Reise ist ihnen nichts Sonderliches passiret,

Außer was jedem Reisenden durch Deutschland arriviret,

Und was zu bemerken die Mühe nicht lohnt,

Weils längst so jeder Passagier gewohnt.

2.

Nämlich hier und da bei Nacht leuchtende Irrgeister,

Und bei Tage viele grobe Postmeister;

Meist schlechte Wege und langsame Post;

In den Quartieren magre, doch theure Kost;

3.

Verfallene Nachtherbergen, aber drinnen

Gutherzige Mägde und freundliche Wirthinnen,

Wo man um manchen baaren Thaler Geld

Auf feine und grobe Art wird geprellt;

4.

Kalte Stuben; alte Schlafstätten;

Zur nächtlichen Ruhe unreine Betten,

Wornach, wenn’s sonst nicht schlimmer noch geht,

Doch ein wenig Jucken der Haut entsteht;

5.

Statt guter Pferde elende Schindmären;

Ueberall Zölle, Schlagbäume und Barrieren;

Scharfer Krätzer, statt gutem Wein;

Und was derlei Kleinigkeiten mehr sein.

6.

Sie vertrieben sich auf die bestmöglichste Weise

Die Zeit auf ihrer langwierigen Reise,

Und ein gut gefülltes Flaschenfutt’ral

Kam ihnen dabei zu statten mannichmal.

7.

Ueber viele ihnen vorkommende Sachen

Wußte Hieronimus seine Anmerkungen zu machen;

Und der staunende Herr von Ohnewitz fand

Darin überall großen Witz und Verstand.

8.

Einmal that er den Finger an die Nase legen

Und schien lange genau etwas zu erwägen,

Bis er plötzlich das Stillschweigen brach

Und Folgendes zu Hieronimo sprach:

9.

„Lieber Hieronimus! höre Er, was ich von Ihm halte:

Ich sehe, Er ist vernünftig und nicht mehr der Alte,

Und finde Ihn im Gehirn und Verstand

Ganz und gar gleichsam umgewandt;“

10.

(Hieronimus machte hier sehr ehrerbietig

Einen Bückling und erwiderte: „Sie sind sehr gütig!“

Doch diesen Umstand erzähle ich hie

Nur gleichsam als in Parenthesi.)

11.

„Der Himmel gebe ferner dazu sein Gedeihen,

So wird mich solches sehr herzlich erfreuen!

Denn ich bin von fest entschlossnem Sinn

Noch etwas Rechtes zu machen aus Ihm.

12.

Meinen Sohn, den ich will lassen studiren,

Soll Er auf die Universität als Hofmeister führen,

Ich schieße gerne die Kosten all’ her

Und geb’ Ihm 400 Gulden und mehr.

13.

Indem Er dann diese Bedienung verwaltet,

Kann Er, denn Er ist noch nicht veraltet,

Allda das Studium theologicum dann

Wieder anfangen gleichsam von vorne an;

14.

Und wenn Er einst, wie ich hoffe, hochgelehret,

Wieder von der Academie zurücke kehret,

So geb’ ich, bei meiner hochadligen armen Seel’!

Ihm zu Ohnwitz die erste vacante Pfarrstell’.“

15.

Hier wollte Hieronimo für Freude das Herz brechen;

Nur stammelnd vermochte er Folgendes zu sprechen:

„Tausend Dank — Ach ja — gnädiger Herr Patron!

Will gern Hofmeister sein bei Ihrem Herrn Sohn.“

Neunzehntes Kapitel.
Wie Hieronimus zu Ohnewitz ankam, und wie er mit dem jungen Herrn als Hofmeister nach der Universität reiset, und so weiter.

1.

Ich habe von der Reise nichts weiter zu sagen,

Als daß man ohne Anstoß nach einigen Tagen,

Ins Ohnewitzer Territorium kam

Und die Reise ein glückliches Ende nahm.

2.

Als sie aber beide dem Dorf waren nahe

Und Hieronimus den Kirchthurm zu Ohnewitz sahe,

Liefe ihm über die Haut der Schweiß

Kalt wie im Wintermonate das Eis.

3.

Denn er erinnerte sich mit erneuerten Schmerzen,

Wie sehr ihm das Exil damals gegangen zu Herzen,

Und was er alles seit seiner Flucht

Sonst noch erfahren hatt’ und versucht.

4.

An seinem Beispiel läßt sich greifen mit beiden Händen,

Wie wunderlich die menschlichen Fata sich oft wenden;

Vormals jug man ihn mit Prügeln fort

Und nun erscheint er als Hofmeister dort.

5.

Als sie endlich in den Schloßplatz gefahren,

Demnächst aus dem Wagen gestiegen waren,

Und Herr von Ohnwitz seine Dame embrassirt,

Hat er ihr seinen Gast bald präsentirt.

6.

Sie hat ihn beim ersten Anblick wieder erkennet,

Ihn ihren alten Freund und Erretter genennet,

Und ließ hierauf den frohen Hieronimus

Allerhöchstgnädigst zum Rockkuß.

7.

Aber nun ging’s aufs neue an ein Fragen,

Was sich wol alles mit ihm habe zugetragen?

Wo er gestecket, und warum er

Nicht eher nach Ohnwitz gekommen wär’?

8.

Man sagt, Damen wären überhaupt neugierig,

Drum war auch diese Dame alles zu wissen begierig,

Und wirklich erfuhr auch die gnädige Frau

Von ihm alle passirte Dinge genau.

9.

Sie hat ihn herzlich ob seinen Schicksalen bedauert,

Besonders über die Flucht von Ohnewitz getrauert,

Und daß man mit so grobem Ungestüm

So unschuldig damals begegnet ihm.

10.

Aber über einige ihm arrivirte Sachen

Wollte sie auch fast sich zu Tode lachen;

Besonders machte es ihr große Lust,

Daß seine Frau die Zeche bezahlen gemußt.

11.

Uebrigens hat sie von ihrem Gemahl vernommen,

Daß Hieronimus nach seinem Tode mehr Verstand bekommen,

Und deswegen stimmte sie auch gern bei,

Daß er Hofmeister des jungen Herren sei.

12.

Er ward noch baß auf dem Schlosse von Jungen und Alten,

Als im 27ten Kapitel des ersten Theils, Vers 9 und 10 gehalten,

Und er hatte niemals, weder vorher noch hernach,

In seinem Leben so gute Tag’.

13.

Aber mancher Ohnwitzer Flegel von Bauer

Sah über seine Ankunft sehr scheel und sauer,

Denn sie dachten aufs neue daran,

Was ihnen Fiscus seinetwegen gethan.

14.

Der brave Hieronimus aber schlug sich

Alle ehemalige Schmach aus dem Sinn und betrug sich

Gegen Reiche und Arme, Alt und Jung,

Vor wie nach mit Klugheit und Mäßigung.

15.

Der junge Herr Baron ward ihm bald gewogen,

Denn er war sehr artig und gut erzogen,

Und hatte dabei weit mehr Verstand,

Als sonst meistens ein junger Herr vom Land.

16.

Auch hatten, sowol sein nicht ungelehrter Herr Vater,

Als auch sein bisheriger geschickter Informator,

Mit Ernst auf seine Bildung bedacht

Ihm alle seine Kenntnisse beigebracht.

17.

Nun ließ sich Hieronimus von dem jungen Herren

In vielen nöthigen Sachen unvermerkt belehren,

Also legte er nach und nach, in Sprachen und

Humanioribus, einen guten Grund.

18.

Auch so lang sein Aufenthalt zu Ohnwitz gewähret,

Hat er fleißig mit allerlei Büchern verkehret,

Und manchesmal die ganze liebe Nacht

Auf der Schloßbibliothek studirt und gewacht.

19.

Zur Erholung spazierte er dann und wann mit seinem Eleven

In Feld, Wald, oder nach den Bauerhöfen,

Und da lernte er beiläufig noch manches Stück

Aus der Oekonomie und der Physik.

20.

Mit dem jungen Herrn von Ohnwitz zu ziehen

Abgeredetermaßen nach Akademien,

War endlich die bestimmte Zeit da

Und man machte die Präparatoria.

21.

Westen, Nachtmützen, Strümpfe, Halstücher,

Hemden, Schlafpelze und mancherlei Bücher,

Packte man ein im Ueberfluß,

Sowol für den jungen Herrn als Hieronimus.

22.

Kisten und Koffer waren fast schier zu enge,

Denn von allem war da die schwere Menge,

Doch billig zieh ich allem übrigen vor

Die mitgegebenen 500 Louisd’or.

23.

Ein Lakei mußte sie zur Bedienung begleiten.

Wir lassen sie nun in Gottes Namen fahren oder reiten,

Genug, Baron, Hieronimus und der Lakei

Kamen glücklich an auf der Akademei.

Zwanzigstes Kapitel.
Seine diesmaligen Studia und glückliche Beendigung derselben.

1.

Diesmal hat Hieronimus sich trefflich aufgeführet,

Tag und Nacht emsig gelernet und studiret,

Und er versäumte in seinem Studium

Nicht ein einziges Collegium.

2.

Er hat sogar oft Trinken und Essen

Und andre Bedürfnisse vernachlässigt und vergessen,

Saß manchmal da, hörte und sahe nicht,

So sehr war er aufs studiren erpicht.

3.

Er ward zwar oft von andern Studenten vexiret,

Bei Gelegenheit auch wegen seines Alters cujoniret;

Allein, er als ein vernünftiger Mann

Achtete das nicht, und that gar nicht übel dran.

4.

Wenn aber einige, die seinen ehmaligen Stand kannten,

Ihn den Nachtwächter von Schildburgs Zion nannten,

So ärgerte er sich doch heimlich oft drob,

Denn er fand den Spaß zu gemein und zu grob.

5.

Die Beschreibung seines Studirens will ich unterlassen

Und nur hiemit in Kürze alles zusammenfassen:

Er lebte ganz nach dem Gegenfuß

Des vormaligen fidelen Burschen Hieronimus.

6.

Er hatte den Beifall aller seiner Lehrer,

War von allen ihr fleißigster Zuhörer,

Und nach weniger Jahre Müh’

War er wirklich viel gelehrter als sie.

7.

Auch an seinem Eleven sah er nichts als Freude;

Und so endigten nach drei Jahren rühmlich beide,

Der eine das Studium juridicum,

Der andere das theologicum.

8.

Ich mag es diesmal nicht weitläuftig beschreiben,

Wie es dagegen viel andre Studenten thaten treiben;

Denn dies ist alles schon, wie man nach kann sehn,

Im 13ten Kapitel des ersten Theils geschehn.

9.

Mit den lobvollesten Testimoniis versehen

Endigten sie nun in Gesundheit und Wohlergehen

Den wohlgeführeten Burschenlauf

Und machten sich beide gen Ohnewitz auf.

10.

Sie langten daselbst an wohlbehalten,

Fanden alles und jedes noch bei dem Alten,

Nicht das Geringste war verändert alldo,

Sondern alles wie vorher in statu quo.

11.

Aber sie wurden stattlich aufgenommen und empfangen,

Denn die gnädige Frau Mama trug längst Verlangen

Nach ihrem so zärtlich geliebtesten Sohn,

Den seit drei Jahren nicht gesehnen Baron.

12.

Weder seine Gesundheit noch seine Sitten

Hatten sich verschlimmert noch sonst gelitten,

Wie’s doch meist auf der Universität

Bekanntlich den jungen Leuten sonst geht.

13.

Es war vielmehr seine Statur etwas vergrößert

Und sein äußerer Anstand verschönert und verbessert,

Und die gnädige Frau Mama konnte, traun!

Sich kaum satt an ihm lecken, küssen und schaun.

14.

Auch der alte Herr war voll Entzücken

Ueber seinen Sohn in allen und jeden Stücken;

Besonders fand er ihn hochgelehrt und klug,

Denn er sprach überall wie ein Buch.

15.

Daß Hieronimus an diesem freundlichen Willkommen

Auch einen nicht geringen Antheil genommen,

Weil er den jungen Herrn gehofmeistert so,

Das versteht sich ex eo ipso.

16.

Da war im freiherrlichen Schlosse ein prächtiges Leben;

Ein Tractament ward fürstlich angerichtet und gegeben,

Und gleichsam wie zu Frankfurt bei der Kaiserwahl,

Sprang roth und weißer Wein im Speisesaal.

17.

Ja es ging, sans comparaison, dem jungen Barone,

Wie in der Geschichte jenem verlornen Sohne,

Als dieser wiederkam mit reuigem Muth

Aus dem Bordell und von der Schweinehut.

Einundzwanzigstes Kapitel.
Ein braves Kapitel; enthaltend Geld und einen Brief des Hieronimi an seine Mutter.

1.

Ich lasse Hieronimum nun auf’m Schlosse weilen und walten,

Denn er kann es da recht gut aushalten,

Und mache aus seinem letzten Studentenstand

Noch etwas Rühmlich’s von ihm bekannt.

2.

Er konnte in gedachten seinen Studierjahren

Vieles vom Hofmeistergehalte ersparen,

Und hatte sicher alle Quartal

Uebrig ein 60 Gulden Kap’tal.

3.

Dieses wußte er nicht besser anzuwenden,

Als es seiner Mutter nach Schildburg zu senden,

Und solches thate er dann auch baar

Richtig und rein alle Vierteljahr.

4.

Aus dem Inhalte vom folgenden Briefe,

Welcher mir von ohngefähr in die Hände liefe,

Erhellt es dem geneigten Leser zur Genüg’,

Daß ich die Wahrheit rede und nicht lüg’.

5.

Geliebte Mutter!

meine kindlichen Pflichten

Schuldigermaßen gegen Euch zu verrichten,

Sende ich gegenwärtig abermal

60 Gulden zum gewohnten Quartal.

6.

Wollte Euch herzlich gerne mehr senden,

Habe aber diesmal nichts weiter in Händen

Und bin selber bis aufs nächste Kap’tal,

Das ich von Ohnwitz erhalte, schier kahl.

7.

Hoffe jedoch, es werde heut oder morgen

Der Himmel mich irgendwo als Pfarrer versorgen,

Und dann sollt Ihr, geliebte Mutter mein!

Lebenslang bei mir zugleich versorget sein.

8.

Ihr könnt nicht glauben, wie sehr mich’s noch kränke,

Wenn ich meinen vormaligen Jugendlauf bedenke,

Und wie ich Euch dadurch gar zuletzt

In die schofelsten Umstände versetzt.

9.

Gott halte Euch gesund und bei langem Leben,

Da will ich dann alles Ernstes mich bestreben,

Daß alles wieder werde gut gemacht,

Was ich verdorben und durchgebracht.

10.

Mit meinem Studiren geht’s, Gottlob! ziemlich,

Auch mein Eleve beträgt sich höchst rühmlich;

Herr von Ohnewitz freuet sich sehr darob

Und gibt uns beiden oft schriftlich sein Lob.

11.

Neuigkeiten wollte ich Euch gerne schreiben;

Allein, was die Musensöhne hier machen und treiben

Ist meistens nicht von gar großem Gewicht

Und interessirt Euch sonderlich nicht.

12.

Ich bin immer gesund an Leib und Gemüthe

Und erhalte von des alten Herrn von Ohnewitz Güte,

Zu jeder vierteljährigen Frist,

Was mehr als zum Bedürfniß hinreichend ist.

13.

Ich mache mir also noch die kleine Freude

Und sende, etwa zu einem neuen Kleide,

Beiliegende 2 Louisd’or für

Schwester Esther, im besondern Papier.

14.

Uebrigens beharre ich bis an mein Ende,

Nebst einem großen und zärtlichen Complimente

An meine Schwester vom jungen Baron,

Euer treuer und gehorsamer Sohn.

15.

Auf die vorgedachten rührenden Zeilen

Schrieb, ohne lange damit zu verweilen,

Die alte Frau Jobs, die Senatorin,

Ihrem guten Sohne folgende Antwort hin.

16.

Sie enthält gar viel und mancherlei Sachen;

Will drum draus ein neues Kapitelchen machen,

Man würde sonst, weil der Brief etwas lang,

Beim Durchlesen desselben müde und bang.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Worin länglich die Antwort der Frau Wittwe Schnaterin Jobs zu lesen, auf den Brief ihres Sohnes.

1.

Mein geliebtster Sohn!

An dich zu schreiben

Konnte ich nicht lassen unterbleiben,

Besonders rührte es mich, daß du

Mir wieder 60 Gulden sandtest zu.

2.

Alles ist mir richtig gekommen zu Handen,

Und ich habe aus deinem Briefe verstanden

Deine Herzensgüte und Zärtlichkeit,

Und das hat mich mehr als das Geld erfreut.

3.

Zwar ist mir letztes sehr gut zu statten gekommen,

Denn Geld gereicht immer zum Nutzen und Frommen;

Aber deine gutartige Kindlichkeit

Geht, so wahr ich ’ne ehrliche Wittfrau bin! weit.

4.

Ich hab’ mich vormals freilich sehr müssen behelfen

Und nach dem nöthigsten Unterhalt kümmerlich gelfen,

Und, wahr ist’s, aus Ungeduld

Gab ich dir davon oft alleine die Schuld.

5.

Allein, alles ist längst vergessen und vergeben,

Denn du erleichterst mir und unsrer Esther das Leben,

Schickst uns so viel Geld, und seitdem

Leben wir gemächlich und sehr bequem.

6.

Ehmals schmachteten wir in Frost und Hitze,

Aßen kaum satt Wasserschnell, Brei und Grütze,

Trunken nur Kofent und kahlen Thee,

Und in der Haushaltung war lauter Weh.

7.

Uns borgte weder Schuster, Weber noch Schneider

Die nöthigen Schuhe, Leinwand und Kleider,

Und in unsrer Wohnung überall

War’s durchlauchtig wie in ’nem Nothstall.

8.

Zwar suchten deine Schwester und ich uns mit Ehren

Durch fleißige Handarbeiten zu ernähren,

Allein, wir kamen damit nicht weit

In dieser so hoch schwer theuern Zeit.

9.

Esther hätte zwar extra was können acquiriren,

Denn viele junge Herren suchten sie zu verführen,

Doch weil sie ihnen keine Audienz gab,

So zogen sie mit der langen Nase ab.

10.

Nun aber sind wir frei von Nahrungssorgen,

Brauchen nicht mehr zu darben und zu borgen,

Und danken den frohen Lebensgenuß

Dir, mein geliebter Hieronimus!

11.

Der Himmel wolle ferner dich beglücken

Und dir einst eine fette Pfarre zuschicken;

Dann beschließ’ ich, wie du es schreibest mir,

Meine alten Tage, so Gott will, bei dir.

12.

Deine Schwester grüßt dich zu hunderttausend malen,

Denn sie kann deine brüderliche Lieb’ nicht anders bezahlen,

Und sie bedankt sich hiemit herzlich vor

Die ihr gesandten zwei schönen Louisd’or.

13.

Apropos! was soll ich eigentlich daraus schließen,

Daß der junge Herr Baron sie so zärtlich läßt grüßen?

Ich hoffe, er hat doch wol auf sie nicht

Eine besondere unlautere Absicht?

14.

Nun will ich zu verschiedenen Neuigkeiten,

Welche hieselbst vorgefallen sind, schreiten;

Sie sind zwar meist unangenehm und schlecht,

Aber doch alle authentisch und ächt.

15.

Das Gewitter hat vor etwa vierzehn Tagen

In Herrn Advocaten Schlucks Garten eingeschlagen,

Davon sind viele Bäume zerknickt,

Und das Lusthaus ist gleichfalls zerstückt.

16.

Man hat dies als eine Vorbedeutung angesehen

Dessen, was drei Tage hernach geschehen,

Da der liebe Mann, gesund und guter Ding,

Plötzlich den Weg ad patres ging.

17.

Er hat zwar keine Kinder, die um ihn trauern,

Auch glaub’ ich nicht, daß seine Erben ihn bedauern,

Denn er saß sehr warm in der Woll’

Und hat seine Kisten von Thalern voll.

18.

Man hat ex post vieles gesagt und geplaudert,

Wofür einem die Haut grauset und schaudert,

Nämlich es ginge gedachter Herr Schluck

Bei hellem Mittag herum als Spuck.

19.

Einige haben ihn gesehn durch dem Fensterglase

Mit seiner Brille auf der großen Nase,

Und sein Advocatengewand

Leuchtend wie höllischer Feuerbrand;

20.

Und in seinem Hause höret man Jammer und Gepolter,

Als läg’ einer auf der peinlichen Folter;

Und er rasselt mit Ketten an der Thür;

Gott bewahre jeden Christenmenschen dafür!

21.

Man hat einen Währwolf hier kürzlich gesehen

In Gestalt eines großen Hundes herumgehen;

Auch spricht man von mancher Behexerei,

Welche hieselbst geschehen sei.

22.

Ich aber wollte schier gewiß darauf wetten,

Daß die Seher und Erzähler sich geirret hätten;

Denn in Schildburg trau’ ich keinem einzigen Mann

Es zu, daß er die Kunst des Hexens kann.

23.

Der vorige Winter war hieselbst sehr strenge,

Es gab Schnee, Schloßen und Eis in Menge;

Melde mir, ob vielleicht dorten bei dir

Der Winter gleichfalls so streng war als hier.

24.

Man hat auch damals mit Schrecken gesehen

Am Himmel ungewöhnliche Zeichen stehen,

Und es schosse daselbst wunderlich überall

Am Firmamente heftiger Feuerstrahl;

25.

Davon glauben nun billig die Schildburger Leute,

Daß es ein Unglück für unser Städtlein bedeute;

Doch Herr Schneller sagt, es bedeute dies nicht,

Sondern das Ding würde genannt Nordlicht.

26.

Indeß hat man doch aus der Zeitung gesehen,

Daß vielleicht ein Krieg werde entstehen;

Und, gib Acht, so wahr ich ehrlich bin!

Unser Schildburg kommt dann auch mit drin.

27.

Die Ernte ist dies Jahr sehr gut gediehen,

Weil der Himmel günstiges Wetter dazu verliehen;

Hoffentlich wird dann der liebe Branntwein und ’s Brod

Wolfeil und mindert die Hungersnoth.

28.

Aber dagegen sind die Weinlesen

Desto kümmerlicher in diesem Herbst gewesen;

Denn die Stöcke standen meistens kahl,

Und der Most ist theils sauer, theils schal.

29.

Dieses macht denn nun wol leider heuer

Den guten Wein noch seltner und theuer,

Und die vielen lustigen Zecher allhier

Müssen sich dann helfen mit Wasser und Bier.

30.

Den hiesigen Kirchthurm will man ausbessern

Und die Kirche selbst etwas vergrößern;

Denn man sagt, unsers Städtleins Christenheit

Habe sich vermehret seit kurzer Zeit.

31.

Einige hartnäckige Herren Consistorialen

Wollen aber nicht einwilligen, vielweniger was zahlen,

Man hofft aber die Kosten zu bringen herbei

Durch eine Collectensammelei.

32.

Freilich, der Kirchthurm ist sehr verfallen und zerborsten,

So daß Eulen und Dohlen drin hausen und horsten,

Aber für die wahren Christen, die hier sein,

Ist, wie mir däucht, die Kirche selbst nicht zu klein.

33.

Seitdem unsre Herren jene Verordnung gaben,

Hat man keinen lebendigen Menschen wieder begraben;

Da sieht man, was ein gescheidtes Mandat

Für wohlersprießliche Folgen hat.

34.

Sonst, wenn unsre Herren was commandiren,

Pflegt niemand den Befehl zu vollführen,

Weil ihre Obrigkeitsautorität

Nicht gar weit bei der Bürgerschaft geht.

35.

Unser Fürst ist neuerdings durch’s Städtel passiret,

Da hat die Bürgerschaft das Gewehr gepräsentiret,

Und mit Trommel und Fahne und großer Pracht

Ein kostsplitterlichen Aufzug gemacht.

36.

Nur ein einziger that beim Feuern und Schießen

Unvorsicht’ger Weise sein Leben einbüßen;

Sonst ging alles, zu Schildburgs Ehr’,

Ohne sonderliches Unglück her.

37.

Unser alter Pfarrer hat’s Zeitliche gewechselt,

Man hat zwar ’nen neuen herausgedrechselt,

Doch bei der angestellten Pfarrerwahl

Geschah, wie gewöhnlich, viel Zank und Scandal.

38.

Herr Lippel Schnack, unser dicker Bürgermeister,

Wird tagtäglich älter, dümmer und feister,

Und bekommt jetzt zum verdienten Arbeitslohn

Aus der Kammerkasse eine Pension.

39.

In der Stadt und auf’m Lande herrscht eine Seuche,

Da gibt es also natürlich manche Leiche;

Doch an Oertern, wo keine Aerzte sind,

Sterben sie nicht so häufig noch so g’schwind.

40.

Im vor’gen Jahr hat sich’s Unglück zugetragen,

Daß ein Mensch jämmerlich ward todtgeschlagen,

Und der ergriffene Thäter kam

Dafür ein Vierteljahr zur Vestung lobesam.

41.

Es ist alles jetzt sehr dürftig und theuer,

Dennoch sinnet man auf Vermehrung der Steuer;

Denn man versteht sich hieselbst eben so

Aufs leidige Plusmachen als anderswo.

42.

Nachbars Minchen hat einen kleinen Knaben,

Ich hab ihn als Pathin aus der Taufe gehaben,

Wer sie eigentlich gebracht hat zu Fall,

Erzählt man sich sub rosa überall;

43.

Es ist als wär’s Unglück in unserm Städtchen

Mit den jungen mannbaren Dirnen und Mädchen;

Denn es trägt sich zu fast alle Monat,

Daß eins eine Tochter oder ’nen Sohn hat.

44.

Man hält fleißig hier Bälle und Assambleen

Und thut sich da recht herrlich und lustig begehen;

Doch vielleicht folgt einst dieser freudigen Sach’

Bei manchen der hinkende Bote nach.

45.

Man hat das Rathhaus kürzlich renoviret

Und in der Polizei manches repariret;

Zum Exempel: man ist nun von Bettelei,

Doch weiß Gott, wie lange es dauert, frei.

46.

Auch hat man sehr lange nichts gehöret,

Daß irgend die Nachtruhe wäre gestöret,

Durch Einbruch oder nächtliche Dieberei;

Das macht gleichfalls die gute Polizei.

47.

Item, man gibt fleißig Acht auf Maß und Gewichte,

Nimmt Bäcker, Krämer und Brauer in Brüchte,

Wenn etwa Brod und Waare nicht gehörig schwer

Oder das Bier zu leicht und zu dünne wär’.

48.

Man hat auch durchgehends die Stadtstraßen

Mit neuen Steinen wieder pflastern lassen,

Weil das neue Pflaster vom vorigen Jahr

Nicht zum Besten gerathen war.

49.

Die Stadtthore hat man abgebrochen

Und solche aufs neue künftig zu bauen versprochen,

Man kaufte auch gern eine neue Kirchuhr,

Hätte man dazu das Geld nur.

50.

Die Schloßwarte will man demoliren,

Und die Steine anderweitig emploiren,

Und damit das Obere von selbst folgen kann,

Fängt man mit der Abbrechung von unten an.

51.

Einige andere nöthige Ausbesserungen

Hat man dem Meistfordernden verdungen;

Denn es sieht leider elend und kraus

Mit andern öffentlichen Gebäuden aus.

52.

Man probirte bei dieser greulichen Hitze

Sehr oft unsre große Brandspritze;

Denn man hat gefunden, wenn Brand entsteht,

Daß sie meistens nicht richtig geht.

53.

Man hat noch kürzlich in diesen Tagen,

Einige junge Männer zu neuen Bürgern geschlagen,

Und für die übermorgende Nacht

Oeffentlich angesagt eine Gaudiebsjagd.

54.

Neulich fiel ein Kind in den großen Stadtbrunnen,

Und ist drin kaum dem Ertrinken entrunnen;

Da hat man nun gleich die Cautel erdacht,

Und den Brunnen vernagelt und zugemacht.

55.

Weil man sich im Finstern auf der Straße leicht verletzet,

So hat man alle sechs Schritt Nachtlaternen gesetzet;

Aber noch zur Zeit fehlet es an

Dem nöthigen Fond zu Oel oder Thran;

56.

Denn aus den ehmaligen publiken Kapitalen

Läßt sich seit langen Jahren nichts bezahlen;

Man sagt, es wäre alles Stuck vor Stuck,

Sowol Kapitale als Zinsen caduc.

57.

Man hat der Bürgerei zum Besten vor 14 Tagen

Die Stadtbleiche verkäuflich losgeschlagen,

Und das Plätzchen, wo sonst der Galgen stand,

Ist gemacht zu schönem Ackerland.

58.

Das Rathhaus wird an den, der’s Meiste bietet,

Nächstens verpachtet oder auf 8 Jahr vermiethet;

Nur ein Zimmerchen bleibt vacant davon,

Um drin zu verrichten die Session.

59.

Man bezeiget vielen guten Willen,

Die Stadtgräben zu verschütten und auszufüllen,

Weil doch ohnehin ein jedermann

Ins offne Städtel ’reinkommen kann.

60.

Ein fremder Spitzbub ward gestern attrapiret,

Den hat man zur Strafe durch alle Straßen geführet

Mit einer großen Kappe mit Schellen dran,

Und ihn dann wieder seines Weges laufen lan.

61.

Einige Bürger gehn Nachts fleißig patroulliren,

Um etwa verborgene Diebe aufzuspüren,

Und melden es immer durch der Klapper Getön,

Woher sie kommen und wohin sie gehn.

62.

Es ist befohlen, daß jeder vor seiner Thür fleißig putze,

Weil die Straßen beständig stinken von Mist und Schmutze;

Denn es gibt, wie dir bekannt ist, allhie

Viele Kühe, Schweine und andres Vieh.

63.

Man spricht von noch mehr Projecten im hiesigen Staate,

Allein sie beruhn noch blos heimlich im Senate,

Welcher mit aller Anstrengung und Macht

Aufs Wohl der Bürger tagtäglich bedacht.

64.

Hier ist angekommen eine Puppenspielerbande,

Die schleppet gewaltig viel Geld aus dem Lande,

Vornehme und Geringe gehen täglich viel

Um zu besehen das herrliche Spiel;

65.

Vorgestern haben sie „Doctor Fausts Leben,“

Gestern die „Heilige Genoveva“ gegeben,

Und am heutigen Abend gibt man

Die gräßliche Tragödie von „Don Juan.“

66.

Was nun noch betrifft deine hiesigen Verwandten,

Freunde oder sonstigen Bekannten,

So ist da des Dinges noch mancherlei,

Was dir zu wissen angenehm sei.

67.

Deinen Successor, den bewußten Nachtwächter,

Findet die ganze Bürgerschaft je länger je schlechter,

Denn er thut meistens die nächtliche Pflicht

So recht, wie es sich gehöret, nicht.

68.

Er kann lange nicht so gut wie du ehmals blasen,

Singet auch etwas undeutlich durch die Nasen,

Deswegen spricht man durchgehends hier

Noch immer mit allem Ruhme von dir.

69.

Herr Schneller pflegt sich oft bei mir zu erkünden,

Wie es stehe mit deinem Wohlbefinden;

Er curirt noch immer frisch drauf los

Und purgirt mit seinen Pillen Klein und Groß.

70.

Vetter Kaspar hat gestern den Ehbund erneuert

Und seine goldne Hochzeit hoch gefeiert,

Doch über die Freude, die da regiert,

Haben sich viele Bürger moquirt;

71.

Weil mancher guter Ehemann wol eben

Solche Jubelei nicht verlangt zu erleben,

Denn die Zeit kam ihnen zu lang an

Mit seinem theuren Ehegespann.

72.

Der junge Kunz hat ’ne Erbschaft erworben

Von ’nem reichen Onkel, welcher gestorben.

Und was dieser geizig zusammen gescharrt,

Verzehrt jener nun mit guter Art:

73.

Er hält Kutschen, Pferde und Maitressen,

Beschäftigt sich täglich mit Spielen, Trinken und Essen,

Und ist für 100 Reichsgulden baar

Neulich geworden ein Hofrath gar.

74.

Ich leide zuweilen mancherlei Schmerzen

Bald im Kopf, bald im Magen, bald am Herzen,

Bald geht’s mir im Leibe rundherum,

Herr Schneller nennt’s: Malum historicum;

75.

Ich kann aber gemeinlich diese Plagen

Mit ’nem Schlückchen Kümmel oder Anis verjagen,

Deswegen nehm’ ich Abends und Morgens davon

Gewöhnlich eine etwaige Portion.

76.

Dein zweiter Bruder zieht fleißig auf Kirmsen und Messen,

Ihm fehlt es nicht am nöth’gen Unterhalt und Essen;

Denn er führet noch immer lobesam

Seinen kleinen Nürnberger Puppenkram.

77.

Er hat sollen Rathmann hieselbst werden,

Fürchtet aber die rathhäuslichen Beschwerden,

Denn man geht alle vierzehn Tage ’rauf,

Und sitzt da und sperrt das Maul weit auf;

78.

Und die etwa damit verbundne Ehre

Lohnet kaum, daß man sich drum beschwere,

Denn außer einem Hasen und ’nem Viertel Wein,

Bringet der ganze Dienst nichts ein.

79.

Dein ält’ster Bruder mit dem häßlichen Weibe

Sucht sich auswärtig allerlei Zeitvertreibe;

Denn er hat zu Hause sein Kreuz

An seines Weibes Gesicht und Geiz.

80.

Was betrifft deine ält’ste Geschwister,

So lebt diese mit ihrem Gatten, dem Küster,

Noch immer in ehlicher Einigkeit,

Ausgenommen dann und wann ’ne Kleinigkeit.

81.

Er hat andershin einen Ruf bekommen,

Aber denselben weislich nicht angenommen,

Denn sein hiesiger Dienst nährt ihn treu

Und er wird reich und porculent dabei.

82.

Deiner Schwester Gertrud ihren wackern Knaben

Vom Procrater Geier, hat man vor Kurzem begraben;

Uebrigens lebt besagte Schwester Gertrud

Als Putzmacherin hieselbst wohlgemuth.

83.

Schade, daß der Junge nicht mehr am Leben!

Er hätte auch einst ’nen guten Procrater abgegeben;

Denn er war an Einfällen sehr schlau

Und im Fordern und Nehmen fix und gau.

84.

Die andre Schwester hat noch beim alten

Wittwer treulich bisher ausgehalten,

Und als eine wack’re Haushälterin

Pflegt sie ihn noch immer und wärmet ihn.

85.

Was endlich betrifft deine jüngste Schwester,

So ist sie noch immer die vorige gute Esther,

Sie nimmt vorlieb mit geringer Kost

Und gereichet mir zur Stütze und zum Trost.

86.

Möchte wünschen, daß ’nen reicher und vornehmer Mann käme

Und das Mädel zu seiner Ehegattin nähme;

Denn, findet sich nicht eine gute Partie,

So heirathet sie, wie sie versichert, nie.

87.

Denn sie ist gar nicht aufs Mannsvolk beflissen,

Hält nichts von Tanzen, Pfänderspielen und Küssen,

Ist auch, wie sonst die meisten Mädchens, nicht

Aufs leidige Romanenlesen erpicht.

88.

Judex Squenz ist vom Fürsten cassiret,

Weil er oft zu parteiisch hat judiciret;

Hier trügt also vom Krug das Sprüchwort nicht:

Er geht so lange zu Wasser, bis er bricht.

89.

Ich hätte dir zwar gern mehr wollen schreiben,

Lasse es aber bei diesen paar Zeilen diesmal verbleiben;

Vielleicht, ob Gott will, schreibe ich schier-

künftig etwas ausführlicher dir.

90.

Alle Freunde und Lieben lassen dich herzlich grüßen,

Und weil die Post abgeht,

will ich eilig schließen.

Ich verbleibe immer mit dem zärtlichsten Sinn,

Deine liebe Mutter

Wittwe Jobs Schnaterin.

91.

Ich muß noch eben zu deinem Ergötzen

Ein kleines Postscriptchen hier nachsetzen,

Denn es fehlet mir, dem Himmel sei Dank! hier

Weder an Zeit, noch Tinte, noch Papier.

92.

Gevatter Theis ist vor anderthalb Wochen

In den Ehstandskittel förmlich gekrochen,

Die Hochzeit war lustig, doch höre ich heut,

Die ganze Affaire sei ihm schon leid.

93.

Nichte Trine hat von ihrem lieben alten

Kobus neulich ein Kind erhalten,

Doch durchgehends glaubet und denket man,

Daß er selbst wenig darzu gethan.

94.

Herrn Thums seine Porzellanfabrikaten

Wollen bisher noch nicht recht gerathen,

Denn es fehlet an guter Erde nicht nur,

Sondern auch an Arbeitern und Glasur;

95.

Ueberhaupt scheinen vernünftige Dinge und Fabriken

In unserm Städtlein nicht recht zu gelücken;

Ob’s am Klima oder sonst wo fehlt,

Lasse ich an seinen Ort gestellt.

96.

Man will eine Lesegesellschaft hier errichten

Von Historien und anmuthigen Gedichten,

In dem Verzeichniß finde ich mit

Den „Eulenspiegel“ und „Gehörnten Siegfried.“

97.

Der alte Schmudel aus dem Hebräerorden

Hat’s Judenthum quittirt und ist Christ geworden;

Dagegen bei uns manch sogenannter Christ

Ein unbeschnittner Jude längst war und ist.

98.

Der Kaffee ist im Preise sehr hoch gestiegen,

Dies erregt allgemeines Mißvergnügen,

Denn in diesem ausländ’schen Product

Wird hier mancher Gulden verschluckt.

99.

Ich höre, man will deine Thaten und dein Leben

In Dortmund verbessert und vermehrt herausgeben,

Denn sowol lust’ge als ernsthafte Herrn

Lesen von dir und deinen Thaten gern.

100.

Herr Schlauch wird, wie ich von Herrn Schneller vernommen,

Bald die Schwindsucht an den Hals bekommen.

Ich schließe nunmehr vergnügt und bin

Ut supra

deine Mutter Schnaterin.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Wie der junge Herr mit Hieronimus die Welt besehen soll und der Schulmeister loci einen unvorgreiflichen Reiseplan überreichen that.

1.

Jetzt ist es wieder hohe Zeit zu besehen,

Wie die Affairen auf dem Schlosse zu Ohnwitz stehen,

Und was nach einigen Tagen allda

Weiter wegen Hieronimus geschah.

2.

Daß ihn die gnädigste Herrschaft aufs beste tractirte

Und auf alle menschenmögliche Weise flattirte,

Wer das nicht ohne mein Erinnern sähe ein,

Der müßte ein Einfaltspinsel sein.

3.

Auch will ich nichts von den Geldgeschenken,

Welche ihm der alte Herr machte, gedenken,

Auch nicht sagen, daß er davon in Eil’

Seiner Mutter gesandt einen ansehnlichen Theil.

4.

Ich will vielmehr ad rem fortfahren und sagen,

Daß man nach verstrich’nen Willkommstagen

Faßte einen ganz nagelneuen Entschluß

Wegen des jungen Barons und Hieronimus.

5.

Den jungen Herren in seinen Vollkommenheiten

Noch zu verfeinern und weiter auszubreiten,

Beschloß dessen gnädiger Herr Papa,

Mit Consens der gnädigen Frau Mama:

6.

Ihn einige Zeit durch die Welt zu lassen reisen;

Hieronimus könnt’ dann ihn ferner begleiten und unterweisen,

Und Deutschland, Frankreich, Italien,

Engelland und so weiter besehn.

7.

Die Sache wurde mit Muße erwäget,

Und der Reiseplan sehr herrlich angeleget,

Vom Hofmeister Hieronimus, so wie auch von

Dem alten und jungen Herren Baron.

8.

Auch im Dorfe entstund viel vernünftiges Discuriren

Ueber die Reise und wie solche zu vollführen;

Unter andern gab der Schulmeister einen Plan

Sonntags Nachmittags in der Schenke an.

9.

Der ward bald von einem Viertelhundert

Bauern angestaunt und als gelehrt bewundert;

Doch ob er so ganz nach der Geographie

Richtig sei gewesen, behaupte ich nie.

10.

Erst sollte der junge Herr Franken und Schwaben besehen,

Von da weiter ins heilige römische Reich gehen

Durch die Moldau und Wallachei

Bis an die Grenze der Türkei.

11.

Ferner seine Route durch die Schweiz nehmen

Nach Siebenbürgen, Polen, Schweden und Böhmen,

Und sorgen, daß er von da aus bequem

Durch Dänemark weiter ins Ungerland käm’.

12.

Von da nach Norwegen, Preußen und Westphalen,

Aber zu Wasser von da nach Frankreich dermalen,

Und nehmen dann in Hamburg oder Calais

Nach England hin ’ne Chaise und neues Relais.

13.

Von England könne er nach einigen Zeiten

Ein bischen hinüber nach Spanien reiten,

Und er sähe dann auf diesen Fall

Noch unterwegens das Land Portugal.

14.

Von da müsse er nach Venedig kutschiren,

Und wenn er da sei, weiter spazieren

Nach Moskau, quer durch Sicilia,

Von da nach Schottland und Hibernia.

15.

Von da könne mit Extrapostpferden

Die Reise leicht fortgesetzt werden

Nach Italien bis zur Stadt Rom,

Um zu besehn den Sanct-Peters-Dom.

16.

(Aber dem heiligen Vater den Pantoffel zu küssen,

Davon wollte der Schulmeister durchaus nichts wissen,

Weil er, als ein noch crasser Protestant,

Im Papste den leidigen Antichrist fand.)

17.

Von Rom aus könne er nach Liefland gehen

Und bei dieser Gelegenheit Malta besehen:

Von da führ’ er mit der Post nach Lappland,

Und von da auf einige Tage nach Brabant.

18.

Er könne en passant bei der ottomannischen Pforten

Eben anklopfen, aber dann bald von dorten

Nach Holstein und Neapolis reisen thun

Und daselbst einige Tage ausruhn.

19.

Aber alsdann etwa nach Siberien wandern

Und von da aus über Wien zu Schiffe nach Flandern,

Und so hätte er dann, auf die kürzeste Weise beinah

Besehen das ganze Europia.

20.

Wenn er nun auf dickbesagte Weise

Vollbracht hätte die vorhabende Reise,

So käm’ er durch den großen Ocean

Endlich zu Ohnewitz wieder an.

21.

Es ist aber nicht blos beim mündlichen Vortrag geblieben,

Sondern der Schulmeister hat den Plan sauber abgeschrieben;

(Die Beschreibung selbst in Currentschrift nur,

Aber Länder und Städte mit großer Fractur.)

22.

Demnächst dem gnädigen Herrn, der eben zur Tafel saße

Und gerade damals den dritten Ortolan aße,

Ueberreichet in eigener Person

Mit unterthänigster Devotion.

23.

Man hat darüber allerlei Glossen gemachet,

Sich fast das Zwerchfell zerschüttelt und zerlachet,

Und jeder, der den Plan las, nahm

Davon abschriftliche Copiam.

24.

Die Reise selbst ward jedoch nicht vorgenommen,

Weil ein mächtiges Hinderniß dazwischen gekommen,

Was aber dies für ein Hinderniß war,

Macht das 25te Kapitel klar.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimo aufgetragen ward, zum Spaß eine Reisekarte nach dem Plan des Schulmeisters anzufertigen; welche hier im saubern Kupferstich mitgetheilet wird.

1.

Hierauf wurde Hieronimo aufgetragen,

Den Homann’schen Atlas nachzuschlagen,

Und zum Spaß nach des Schulmeisters Plan

Eine Reisekarte zu fertigen an.

2.

Sobald man sich also von der Tafel erhube,

Ging Hieronimus auf seine Studierstube,

Verfertigte die Zeichnung ohne Müh’

Und überreichte des andern Morgens sie.

3.

Herr von Ohnewitz ward davon außerordentlich munter

Und sein Frühstück ging desto besser herunter;

Ich aber habe dies saubere Stück

Ex post erhalten im Original, zum Glück.

4.

Ich will sie im Kupferstiche beifügen,

Sowol zum Nutzen als auch zum Vergnügen

Aller etwa künftig Reisenden,

Welche Europia wollen besehn.

5.

Sie zeiget, trotz den besten Postkarten,

Die kürzesten Wege und leichtesten Fahrten,

Wie man von jedem Orte gleich

Reisen kann aus einem ins andere Reich.

6.

Sie ist sehr gemächlich zu verstehen;

Denn der große Fleck, den wir in der Mitte sehen,

Ist Deutschland, und der dicke Punkt drein,

Soll dermalen der Ort Ohnewitz sein.

7.

Hieraus kann man nun ohne Kopfbrechen

Die Lage der übrigen Länder leicht berechnen;

Zum Exempel: die 3 Klexe oben gegen linker Hand,

Bedeuten Irland, Schottland und England.

8.

Das Land unten gegen der linken Seiten,

Sollen die Reiche Spanien und Portugal bedeuten,

Und der Stiefel fast unten da

Ist das berühmte Italia.

9.

Oben gegen rechts ist’s Land der Siberiter,

Drunter gegen das Mittel wohnen die Moskowiter,

Und noch drunter sieht man zierlich und schön

Die Ottomannische Pforte stehn.

10.

Die vornehmsten hierauf verzeichneten Länder,

Haben zierlich und accurat punktirte Ränder,

Und um die Jungfer Europa rund her

Siehet man nichts als Himmel und Meer.

11.

Um diese Karte noch nützlicher zu machen,

Hätte man zwar noch allerlei nöthige Sachen

Darauf gerne, wie sich’s gebührt,

Zum Behuf der Reisenden gezeigt und notirt;

12.

In specie deutliche Handweiser

Auf die vorzüglichsten Wirthshäuser,

Und wie der brave Mann jedes Orts heißt,

Wo man für sein Geld bestens trinkt und speist.

13.

Denn den meisten Herren Passagieren

Pflegt dieses am mehresten zu interessiren;

Denn sie nehmen sich ja selten die Zeit,

Zu untersuchen andre Merkwürdigkeit.

14.

Indessen habe ich von solchen schönen Dingen

In der Karte nichts können anbringen,

Denn der Stich davon ist gar zu fein

Und der Raum selbst dazu zu klein.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Hieronimus soll Pastor werden. Item, Beschreibung seiner Pfarre.

1.

Siehe da! es starb der Pfarrer zu Ohnewitz plötzlich.

Dieser Vorfall ist zwar ganz entsetzlich

Unglaublich und sehr curios,

Aber doch in Romanen kein Wunder groß.

2.

Der Ehrenmann hatte noch Abends vorher gehalten

Eine gute Mahlzeit von Schinken und kalten

Hammelbraten, mit Salat und Selerei,

Und ein Rebhühnle verzehrt dabei.

3.

Auch seine täglich gewohnte zwei Rastadter Mäßle

Getrunken aus dem alten Rheinweinfäßle;

War also, Gottlob! weder krank noch voll,

Sondern befand sich bis dahin gesund und wohl;

4.

Und seine Constitution schien versprechen zu wollen,

Daß er ein alter Mann hätte werden sollen;

Denn er war sehr stark und corpulent,

Und dacht’ an nichts weniger als an sein End’.

5.

Er hatte erst kaum 4 oder 5 Jahre

Lang genossen die Ohnwitzer Pfarre,

Und diese schlug bei dem lieben Mann,

Ratione seiner Gesundheit, trefflich an;

6.

Um so mehr, da er vorher auf dem Lande

Lange in einer schmächtigen Pfarre stande,

Dabei blieb dann sein Bauch und Kinn,

Wie leicht zu schließen ist, mager und dünn.

7.

Aber sobald er nach Ohnwitz gekommen,

Hat er augenscheinlich zugenommen,

Und die Nase, vorher blaß und spitz,

Ward bald roth und rund zu Ohnewitz.

8.

Schade also, daß so schnell und behende

Der Tod mit ihm machte ein Ende,

Und ihn aus diesem Jammerthal

Transportirte in den Freudensaal!

9.

Die gnädige Herrschaft lag noch im tiefen Schlafe,

Als diese Nachricht im Schlosse eintrafe,

Denn es war noch früh und höchstens nur

Des Morgens um 9 oder 10 Uhr.

10.

Doch der junge Herr und Hieronimus waren schon lange

Auf einem unterhaltenden Spaziergange;

Denn sie glaubten dem Sprüchwort fest:

Aurora musis amica est.

11.

Sie fanden nach geendigtem Spazieren

Um halb 12 Uhr die Herrschaft dejeuniren,

Und Herr von Ohnwitz, als er Hieronimum sah,

Rief ihm laut zu: „Victoria!

12.

Ich gratulire Ihm zur Ohnwitzer Pfarre!“

Hieronimus stund da vor Erstaunen wie ein Narre,

Und wußte nicht eigentlich, ob dies da

Aus gnädigem Spaß oder Ernst geschah.

13.

Aber er ließ sich bald näher überführen,

Daß es Ernst sei mit dem Gratuliren,

Und für Spaß ihm hier nicht Noth sei,

Sintemal der Pfarrer wirklich todt sei.

14.

Nun überlege einmal der Leser mit kaltem Blute,

Wie da dem Hieronimus geworden zu Muthe,

Als er so urplötzlich unverhofft da

Zum Pastor sich metamorphosirt sah.

15.

Denn diese Pfarrei war einträglich und wichtig,

Und trug jährlich ganz gewiß und richtig,

Ohne die Accidentien, rein

Blanke 900 Gulden ein.

16.

Die Accidentien waren gleichfalls ansehnlich,

Etwa 100 Gulden pro Jahr gewöhnlich;

Also kamen nach der Summa Summarum draus

Des Jahrs circa 1000 Gulden zu Haus.

17.

Davon ließ sich nun sehr gemächlich leben,

Auch zum Sparpfennig etwas aufheben;

So daß sich kein Pfarrer im ganzen Land

So reputirlich als der Ohnwitzer stand.

18.

Wenn etwa andre dorfgeistliche Herren

Sich von ihrem kleinen Dienstchen mußten kümmerlich nähren

Und bei Wasser, oder höchstens Koventbier,

Krumm liegen und verdursten schier,

19.

Und kaum hatten, was sie am nöthigsten brauchten,

Aus kurzen Tabakspfeifen ihren Kneller rauchten,

Und bei Sauerkohl, Kartoffeln und Erbsenbrei,

Sungen die erbärmlichste Litanei;

20.

Da befand sich hingegen ein Ohnewitzer Paster

Bei seiner langen Pfeife mit virginischem Knaster

Und einem gut gefüllten Weinfaß

Und Schinken, Braten und Wildpret, baß.

21.

Dabei thät er in mächtig großem Ansehen,

Wie ein Klosterguardian, bei seinen Amtsbrüdern stehen,

Und bei der Synode oder bei dem Convent,

Bekam er das größte Compliment.

22.

Selbst wenn er auf dem freiherrlichen Schlosse

Visiten gab und Mahlzeiten genosse,

So saß er aus Regard während der Mahlzeit

Der gnädigen Frau immer nahe zur Seit’.

23.

Der vorige Pfarrer wußte sowol Junge als Alten

Vorzüglich in Furcht und Respect zu halten,

Und behauptete überall, spat und früh,

Seine Oberautorität in der Parochie;

24.

Und bei vorfallenden Kindtaufenschmäusen,

Oder bei Hochzeiten, oder bei Leichenspeisen,

Saß er oben an und führte immerfort,

Als wär’ er in der Kirche, das große Wort.

25.

Wer nicht wollte ganz nach seiner Pfeife tanzen,

Den pflegte er verblümt auf der Kanzel zu kuranzen,

So daß ihm Hören und Sehen verging,

Und er aus Angst ein neues Leben anfing.

26.

Er befand sich zwar weder kränklich noch gebrechlich,

Sondern gut bei Leibe, war aber sehr gemächlich:

Drum hielt er sich einen Candidat als Caplan,

Welcher die Pfarrdienste für ihn gethan;

27.

Aber Copulationen, Taufen und derlei Pflichten

Pflegte er doch gewöhnlich in persona zu verrichten;

Wenigstens wohnte er der Schmauserei,

Welche dabei vorfiele, bei.

28.

Er war übrigens in der Lehr’ weder Heterodoxe,

Noch im gemeinen Umgang ein knurrender Ochse,

Sondern führte seine Ohnwitzer Schäfelein

Auf ’ner Weide vom ketzerischen Unkraut rein;

29.

Und seine Gemeinsgliederinnen,

Besonders junge, wurden oft innen

Seiner guten Laune, denn der lose Pastor

Machte ihnen manch Späschen, doch in Ehren, vor.

30.

Kurz! ein Ohnwitzer Pfarrer lebt wie ein Engel,

Hat wenig Arbeit, denn sein Kirchensprengel

Ist nicht weitläuftig sondern klein und eng,

Und der Communicanten ist ’ne geringe Meng’.

31.

Er kann im Schlafrock, Pantoffeln und Nachtmützen

Im Großvaterstuhl fast den ganzen Tag sitzen,

Und verrichten gewissenhaft allesammt,

Was da vorfällt in seinem Pfarreramt.

32.

Nur des Sonntags einmal zu kanzliren,

Alle Vierteljahr ein Paar zu copuliren,

Nebst Taufen, Begraben und ein bischen Kinderlehr’,

Dieses ist alles und sonst kein Haar mehr.

33.

Das Dorf selbst ist sehr herrlich gelegen,

Ueberall blühet und lachet der Segen,

Und alles, was die ländliche Natur

Schönes hat, zieret Ohnwitzens Flur.

34.

Weiden, Wälder, Gebüsch und Gesträuche,

Schattige Haine, glatte Bäche und Teiche,

Wiesen, Obstgärten, Hügel und Thal,

Garten und Feld, wechselt ab überall.

35.

Da kann mit Vögelfangen und Fischereien,

Sich der Pfarrer nach Gefallen zerstreuen,

Wenn ihn etwa ein sauers Amtsgeschäft

Zu sehr angegriffen und entkräft’t;

36.

Oder auch manchem Kirschvogel, Rebhuhn und Hasen,

Das Lebenslicht auf der Jagd ausblasen;

Denn er hat Vogelfang, Jagd und Fischerei,

Nebst Taubenflug bei seiner Pfarre frei.

37.

Wenn er sich dabei gut insinuiret

Und die Bauern nicht zu sehr cujoniret,

So kann er mit Frau und Kinderlein

Bei einem oder andern täglich Gast sein.

38.

Wir wollen also, was wir ohn’ unsern Schaden auch können,

Dem Hieronimus sein künftiges Glücke gönnen,

Und in dem folgenden Kapitelchen

Mit ihm ins geistliche Examen gehn.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus in dem Examen gut bestand und mehr wußte als seine Examinaters.

1.

Ehe er die Pfarre wirklich konnte antreten,

War der Ordnung wegen, ein Examen von nöthen,

Und er meldete sich bald darum

Beim hochwürdigen Ministerium.

2.

Es geschah mit allen Umständen, wie sonst bräuchlich.

Hieronimus betrug sich diesmal unvergleichlich,

Und beantwortete Augenblicks

Jeden Artikel frei und fix.

3.

Das erregte nun bei sämmtlichen Examinatoren

Ein mächtiges Spitzen ihrer ansehnlichen Nasen und Ohren,

Weil ihnen noch nie ein Fall war bekannt,

Daß ein Ordinandus so gut bestand.

4.

Die Herren konnten ihn nichts mindeste fragen,

Oder er wußt’ ihnen gleich alles vollkommen zu sagen,

Ja, es fand sich, daß er weit mehr verstund,

Als jeder von ihnen ihn fragen kunt.

5.

Keiner brauchte nun nach der Antwort auf die Fragen,

So wie ehmals im Examen, Hem! Hem! zu sagen;

Sondern es hieß nun: Domine Hieronime!

Respondisti bene benissime!

6.

Sie fragten zwar mitunter einfältige Fragen,

Worauf ein Schulkind hätte Antwort können sagen,

Wie’s wol mal im Examen ergeht,

Wenn man beim Exam’nator gut steht.

7.

Doch einige wünschten ihn zu fangen durch verfängliche Fragen,

Sie konnten ihn aber dadurch nicht ins Bockshorn jagen;

Gaben ihm also sämmtlich den Ruhm

Als ’nen hochgelehrten Theologum.

8.

Das Testimonium ward förmlich concipiret,

Mit dem großen Ministerialsiegel sigilliret,

Alsdann ihm überreicht, und jeder hat

Ihm gratulirt vorerst als Candidat.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Wie Hieronimus nun Pastor ward und für künftigen Sonntag auf seine Antrittspredigt studirte, welche im 29ten Kapitel zu lesen sein wird.

1.

Daß er so gut hatte thun bestehen,

Gab ihm auf dem Schlosse ein wichtiges Ansehen,

Und Herr von Ohnewitz hieß hinfort Hie-

ronimum nicht mehr Er, sondern Sie.

2.

In folgenden Zeiten und Tagen heckte

Man noch aus für ihn manche gute Projecte,

Besonders wie er hübsch einrichten könnt’

Sein zukünftiges Etablissement.

3.

Unter anderm wollte man ihm nebenbei rathen,

Die Wittwe des Seligverstorbenen zu heirathen;

Allein, als man ihm dieses kund gab,

Schlug er diesen Antrag rund ab.

4.

Zwar war die Wittwe ein herzensgutes Weibchen,

Noch jung und liebevoll wie ein Turteltäubchen;

Hatt’ nur ein einzigs Kind, dies aber gab,

Weil’s kränkelte, Hoffnung zu sterben bald ab.

5.

Sie hatte sich manches Kapitälchen ersparet,

Und zum Nothpfennig dafür sich aufbewahret,

Wenn etwa ihres Herren Mannes Tod

Sie setzte außer Nahrung und Brod.

6.

Sie wußte aus Butter, Käse und vielen andern Sachen,

Sich manchen Extragroschen zu erwerben und zu machen,

Verkaufte jährlich viel Honig und Wachs,

Und spann fleißig aus selbst gezogenem Flachs.

7.

War auch sehr beliebt in der ganzen Gemeinde,

Alle Bauern waren ihre Gönner und Freunde,

Und sonntäglich trug manche Bäuerin

Ihr Geschenke für die Küche hin;

8.

Sie besaß übrigens viel Herzensgüte,

War gar nicht von zanksüchtigem Gemüthe,

Und kurzum, insoweit wäre sie

Wol gewesen für Hieronimum ’ne gute Partie.

9.

Aber er hielt es für Unrecht, durch eine Quarre

Anzutreten eine geistliche Bedienung oder Pfarre,

Er dachte auch ohnehin noch immer dran,

Wie’s ihm mit der ersten Ehe gegahn.

10.

Zum Beweis aber, daß er uneigennützig verfahre,

Verglich er sich mit der Wittwe wegen dem Nachjahre,

Und sicherte aus den Pfarreinkünften ihr

Jährlich 100 Gulden dafür;

11.

Jedoch nur so lange als ihr Wittwenstand bestehe

Und sie nicht schritte zu einer neuen Ehe,

Sollte bestehen dieser Pakt;

Aber es endigte sich bald der Contrakt.

12.

Denn es hat kaum anderthalb Jahr gewähret,

Da sie schon wieder zu heirathen begehret

Und genommen einen andern Mann;

Ich führe solches nur beiläufig an.

13.

Hieronimus ward bald drauf als Paster ordniret,

Und hat auf eine feine Antrittsrede studiret,

Und man machte für nächstkünftigen Sonntag schon

Anstalten zur Introduction.

Achtundzwanzigstes Kapitel.
Unruhe der Ohnwitzer Gemeinde über die Anstellung des neuen Pastors.

1.

Aber die Ohnwitzer Kossaten und Bauern

Wollten hierüber für Aerger fast versauern,

Und wo sie einer den andern sahn,

Stießen sie brummend die Köpfe an:

2.

„Da schickt uns nun der gnädige Herr wieder den Narr her

Und gibt uns denselben gar zum Pfarrherr! —

Nein, das soll durchaus nit geschehn,

Und sollte es auch drunter und drüber gehn.

3.

Denn es ist ja ein unerhörtes Exempel,

Daß ein Nachtwächter in der Kirche oder im Tempel

Weder in Ohnewitz noch in der Welt,

Als Pastor oder Priester ward angestellt.“

4.

Eine Supplik, welche der Schulmeister vom Dorfe

In der Schenke, vigore commissionis, entworfe,

Nebst förmlicher Erklärung der Protestation,

Ware das Resultat davon.

5.

Als nun solche in geziemenden Ausdrücken fertig,

Waren des andern Tages alle Bauern gegenwärtig,

Und damit wallte der ganze Troß

Durch Dick und Dünne zum Herren aufs Schloß.

6.

Aber der gnädige Herr auf dem Schlosse

Fürchtete sich nicht vor diesem großen Trosse,

Nahm zwar die Supplik an mit Freundlichkeit,

Gab ihnen aber mündlich folgenden Bescheid:

7.

„Ihr Ochsen, ihr Räckel, ihr Esel, ihr Flegel!

Nehmt einmal für allemal euch dies zur Regel:

Herr Hieronimus soll euer Pfarrer doch sein,

Oder ich laß euch alle sperren ins Hundeloch ein!“

8.

Da hingen nun auf einmal die armen Tröpfe

Ihre breiten Mäuler und dicken Köpfe,

Sagten: Ach ja, lieber gnädiger Herr!

Und gingen hin, wo sie gekommen her.

9.

Aber einige von ihnen nahmen, aus Rache

Gegen den neuen Pfarrer, hoch und theuer Absprache,

Seiner künftigen Predigt und Lehr’

Nicht zu geben das mind’ste Gehör;

10.

Auch von allem, was er aus Gottes Worte

Ihnen vortrüg’ an diesem oder jenem Orte

Zu ihrem Seelenheile, kurzum,

Immer zu thun das Contrarium;

11.

Ihn auch sonst auf alle Weise zu kränken,

Nie ihm etwas in die Küche zu schenken,

Selbst jedes pflichtschuldige Accidens so klein

Und so knapp, als möglich sei, zu richten ein.

12.

Als man indeß Sonntags die Glocke geläutet

Und zur Antrittspredigt alles war bereitet,

Fanden sich alle Ohnwitzer, groß und klein,

Höchst zahlreich in die Kirche hinein.

13.

Selbst die, welche vorher das Gegentheil abgesprochen,

Haben aus Neugier ihren Vorsatz gebrochen,

Und sagten: Ich will doch einmal ’neingehn,

Und, was der Kerl da saget, besehn.

14.

Der neue Herr wies recht seine Rednertalente

In der Oration. Ich zeige die Hauptcontente,

So viel ich davon mich erinnern kann,

Im folgenden neuen Kapitel an.

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Eintrittspredigt des neuen Herrn Pfarrers; sehr erbaulich, aber abgebrochen, damit der Leser nicht einschlafe.

1.

„Geliebtesten Freunde und Zuhörer! ich betrete

Hiemit zum erstenmal diese geweihte Stätte,

Und zeige euch heute öffentlich

Als euern rechtmäßigen Seelsorger mich.

2.

Der Himmel hat dieses ohn’ alles mein Denken,

Ohne mein Suchen und Zuthun also wollen lenken,

Indem er mich zum Prediger schüf

Und mich zu euch nach Ohnewitz rief.

3.

Zwar weiß ich, meine Hochtheuer- und Vielgeliebte,

Daß manchen von euch dieser Ruf herzlich betrübte,

Sintemal ich in euerm Sinn

Nur ein Aergerniß und Thorheit bin.

4.

Weil ich vorher euer simpler Schulmeister gewesen,

Ja gar zu Schildburg als Nachtwächter gebläsen,

Darum nun glaubet und denket ihr,

Es stecke kein rechtschaff’ner Lehrer in mir.

5.

Allein ich will euch aus alten Geschichten

Viele auffallende Beispiele berichten,

Daß oft aus einem simpeln Ding und schlechten Mann,

Was Rechtschaff’nes und Großes werden kann.

6.

Ihr könnt selbst gehörigen Ortes nachschlagen

Alles, was ich euch hier werde vortragen.

Wer war unser erster Stammvater Adam?

War’s nicht ein Erdenkloß, wovon er herkam?

7.

Abram ging als Exulant aus Haran,

Jakob hütete die Schafe bei Laban;

Und dennoch wurden sie beide nachher

Hochberühmete Erzväter.

8.

Ismael mußt’ als Jungfernkind fast todt dürsten

Und ward doch ein Vater von 12 Fürsten.

Joseph, erst Sklave und Arrestant,

Ward Finanzminister in Egyptenland.

9.

Moses lag als Findling am Ufer im Schilfe,

Wäre ertrunken ohne ohngefähre Hilfe,

Und dennoch wurde er hernachmal

Der große Israeliten-General.

10.

Gideon, erst Drescher, schlug die Midianiter.

Jephtha, ein Hurkind und simpler Gileaditer,

Schlug die Kinder Ammon und war

Richter in Israel sechs Jahr.

11.

Saul triebe zuerst die Langohren,

Ward doch hernächst zum König erkoren,

Und David mit seinem Hirtenstab

Ward König, that auch den Goliath ab.

12.

Hiob ward vom Satan arm geschlagen,

Aber doch reich in seinen alten Tagen,

Und Ruth, die Aehrenleserin,

Wurde die reiche Frau Boasin.

13.

Jehu bedeutete erst als Capitain wenig,

Ward doch nachher in Israel ein König,

Und rottete des gottlosen Ahabs Haus,

Bis zum letzten, der an die Wand pißt, aus.

14.

Nebucadnezar ging eine Zeitlang auf allen Vieren

Und fraß Gras und Heu gleich andern Thieren,

Und man nahm ihm Purpur und Königskron’;

Doch bestieg er nachher den verlornen Thron.

15.

Esther, ein blutarmes Waisenwichtchen,

Das nichts hatte als ein hübsches Gesichtchen,

Ward doch eine große Königin

Und des Ahasverus liebe Gemahlin.

16.

Auch unter den Propheten und Aposteln waren Leute

Von geringer Abkunft und wenigem Bedeute;

Hirten, Zöllner, Fischer, ein Teppichfabrikant,

Und von anderm schlechten Gewerbe und Stand.

17.

Ich gehe zur mehrern Erweckung lieber,

Meine Geliebten! zur Profangeschichte hinüber;

Ob ich gleich, aus altem und neuem Testament,

Euch viele Exempel noch nennen könnt’.

18.

Der allgemein bekannte große Artaxerxes,

Jeder von euch, meine theuern Zuhörer, merk’ es!

Stand erst in sehr geringem Ansehn

Und ward doch König in Persien.

19.

Darius war gar nun ein ehrlicher Büttel,

Bekam doch den Perserthron und Königstitel,

Und Agathokles, eines Töpfers Sohn,

Bestieg den sicilianischen Thron.

20.

Telephanes, ein Wagner, legte das Handwerk nieder

Und ward ein großmächtiger König der Lyder.

Hyperbolus fabricirte Leuchten zum Sehn,

Und ward hernächst Fürst zu Athen.

21.

Vom berühmten Phokion kann man lesen,

Daß er eines Löffelmachers Sohn gewesen,

Und Egyptens große Rhodopin,

Ward aus ’ner Bordellschwester Königin.

22.

Romulus und Remus, zwar vom Götterstamme,

Hatten als Findlinge eine Wölfin zur Amme,

Da doch Roma, die große Stadt,

Von ihnen den ersten Ursprung hat.

23.

Vom König Tullius Hostilius melden die Schreiber,

Er sei gewesen ein lumpichter Kühtreiber,

Und vom Böhmer-König Primislas

Melden die Chroniken eben das.

24.

Kaiser Valentinian drehte anfangs Seile und Stricke;

Den Kaiser Probus hob aus dem Gärtnerstaub das Glücke;

Bonosus und Johann Zimisces waren vorher

Schulmeister und hernach Kaiser.

25.

Kaiser Aurel war ein Bauernbube vom Lande,

Der große Tamerlan gleichfalls vom Bauernstande,

Kaiser Mauriz, der Cappadocier,

War gar, wie ich ehmals, Nachtwächter.

26.

Papst Niklas quintus war erst Mediciner;

Der große Fürst Narses ein verschnittener Diener;

Kaiser Justin, und Galer, und Papst Sixt, alle drei,

Hüteten in ihrer Jugend die Säu’.

27.

Lutherus, ein armer Augustiner Pater,

Ward nachher der so große Reformater,

Schaffte das Fasten ab und machte die Klerisei

Vom beschwerlichen Cölibate frei.

28.

Auch hat man viel alte Poeten und Philosophen,

Welche blutarm waren, angetroffen:

Plautus mußte die Mühle drehn,

Arm waren Codrus, Epiktet, Demosthen.

29.

Euripid, Aesop, Horaz und andre Poeten

Waren anfangs arme Schlucker und in Nöthen;

Und es geht auch noch in der neuern Zeit

Meist den Philosophen und Poeten nicht breit.

30.

Ich könnte noch gar leicht aus unsern Tagen

Euch nicht nur viele Exempel, sondern auch Beispiele sagen,

Wie das Glücksrad sich wunderlich dreht

Und Geringe aus dem Staube erhöht.

31.

Mancher anfänglich elender Schuhputzer

Ist jetzt ein ansehnlicher Herr und Stutzer,

Und ihr müßt nolens volens für ihn

Eure Mütze und Hut tief abziehn.

32.

Auch manche Frau thut mit Titeln stolziren,

Und mit seidenen Kleidern schwenzeliren,

Und ist, obgleich vom Mistfinken-Stamm,

Nunmehr eine großherrliche Madam.

33.

Wenn ihr die angeführten Exempel genau betrachtet

Und mich dann noch wegen meines vorigen Zustandes verachtet:

So würde das, ihr sehet es selbst ein,

Höchst ungerecht und unbillig sein.

34.

Ihr sollt’s in der Folge finden und erleben,

Daß ich mir alle Mühe werde geben,

Für euch alle, klein und groß insgesammt,

Redlich zu führen mein Pfarreramt.

35.

Ich liebe euch alle hochtheuer und herzlich,

Und würde es empfinden höchst schmerzlich,

Wenn ich einen von euch dereinst sollte sehn

Zur Linken unter den Böcken stehn.

36.

Auch meinen Feinden will ich gerne vergeben,

Und ihr wahrer Freund zu sein, mich bestreben“ — —

Den Rest der schönen Predigt übergeh’ ich,

Als hieher eigentlich nicht gehörig.

Dreißigstes Kapitel.
Was diese Rede für Sensation machte, und die Wirkung, welche sie hervorbrachte.

1.

Was diese Rede für Sensation machte,

Und die Wirkung, welche sie hervorbrachte,

Das übersteigt gewißlich hoch und weit

Alle menschliche Begreiflichkeit.

2.

Alle Bauern saßen stumm und starr wie Pfeiler,

Sperrten thürweit auf Augen, Nasen und Mäuler;

Und die Bäurinnen, als von sensiblerer Haut,

Weinten Thränen und schluchzsten laut.

3.

„Nun wahrlich! wir müssen es bekennen und sagen,

Wir haben doch in allen unsern Lebenstagen,

Keine Predigt so gelehrt und schön,

Als diese vom neuen Herrn Pfarrer gesehn!

4.

Das ist ein Mann, ein Mann ohne Gleichen,

Der kann einem ’s harte Herz recht erweichen,

Und weiß von Adam an bis zu dieser Frist

Alles, was in der Welt passiret ist.

5.

Alles, was er sagt, kann man begreifen und verstehen,

Dabei thut er sich so sanftmüthig begehen,

Und er spricht und redet kein einziges Wort

Ueberflüssig und am unrechten Ort.

6.

Unser vor’ger Ehrnpfarrer konnte zwar auch gut fegen

Und den Text stattlich sagen und auslegen,

Und führte als ein sehr gelehrter Mann

Manchen uns unbekannten Spruch an;

7.

Allein er konnte bei allem Ermahnen und Schändiren,

Uns doch nie so das Herz prickeln und rühren,

Und ihn übertrifft an Gelehrsamkeit,

Unser lieber neuer Herr Pfarrer weit.“

8.

So lautete ohngefähr der Ohnwitzer jetzige Sprache,

Und es hatte sich verändert der ganze Status der Sache,

So daß, wer ihn vorher am meisten gehaßt,

Jetzt für ihn war der größte Enthusiast.

9.

Kurz, nie war eine Predigt, wie diese so allgewaltig,

Nie der Beifall so groß und so mannichfaltig,

Und nie hat je eine solche Frucht und Kraft,

Als diese Antrittsrede verschafft.

10.

Das konnte schon sofort an Thaten und Werken,

Herr Hieronimus bei der neuen Gemeine sehn und merken;

Denn man schleppte reichlich allerlei

Geschenke für ihn ins Pfarrhaus herbei:

11.

Tische, Bänke, Spiegel, Kasten, Stühle,

Oefen, Bettstellen, Betten, Polstern, Pfühle,

Werg, Baumwolle, Leinewand, Flachs,

Holz, Kohlen, Oel, Unschlitt, Schmalz, Wachs;

12.

Kaffeekannen, Theepötte, Dosen, Töpfe,

Teller, Schüsseln, Löffel, allerlei Näpfe,

Speck, Schinken, Fleisch und was sonst zur Noth

Zur Haushaltung gehört unters tägliche Brod.

13.

Gerste, Hafer, Rocken, Weizen für den Söller,

Wein, Bier und dergleichen für den Keller,

Schweine, Kühe, Hämmel fett und schön,

Tauben, Enten, Hühner, Gänse, Truthähn’.

14.

Das Pfarrhaus war schön getünchet und gezieret,

Vor der Thür ein grüner Bogen aufgeführet,

Und so führte man unter Jubel und Juchhein,

Ihn ins Ohnewitzer Pfarrhaus hinein.

15.

Auch machten dabei ein Paar Musikanten,

Die sich als Virtuosen im Dorfe befanden,

Mit ihrer Leyer und Schalmei

Ein sehr anmuthiges Dudeldumdei.

16.

Es haben auch die Herren Consistorialen

Zu Ohnewitz angerichtet damalen

Eine herrliche Mahlzeit mit Kosten und Müh’,

Wozu Herr von Ohnwitz seinen Pariser Koch lieh.

17.

Auch ward in der ganzen Ohnwitzer Gemeine

(Und jeder gab dazu reichlich das Seine)

Eine Collecte von baarem Geld

Für den neuen Herrn Pfarrer angestellt.

Einunddreißigstes Kapitel.
Der neue Pfarrer schreibet mit frohem Sinn seiner Mutter noch einen Brief hin.

1.

Alsbald nun Ehren Jobs dergestalten

Seinen Einzug ins Pfarrhaus hatte gehalten,

So schriebe er mit ganz frohem Sinn

Seiner Mutter folgenden Brief hin.

2.

Meine theure Mutter!

Ich eile Euch zu sagen,

Was sich mit mir kürzlich hat zugetragen;

Erschrecket nur nicht so sehr davor,

Ich bin zu Ohnewitz geworden Pastor.

3.

Nach meiner Retour von Akademien,

Dachte ich zwar mit dem jungen Herrn auf Reisen zu ziehen,

Aber der Himmel disponirt,

Wenn gleich der Mensch proponirt.

4.

Denn als schon alles zur Reise war veranstaltet,

Hat das Glück so über mich gewaltet,

Daß der hiesige Pfarrer den Schlagfluß bekam

Und aus dieser Welt sein Adieu nahm.

5.

Herr von Ohnwitz, qua Patron der Pfarreie,

Bezeigte nun für mich die Gnade und Treue,

Daß er mir bald und allsofort

Die Pfarre ertheilte an diesem Ort.

6.

Es setzte zwar unter den hiesigen Leuten

Anfangs einige Händel und Schwierigkeiten,

Wie dann gemeinlich Zank und Geschrei

Entsteht bei Besetzung einer Pfarrei.

7.

Allein es ist bald alles nach Wunsch und Verlangen

Bei dieser mir interessanten Sache gegangen,

Ich bin als Pfarrer geordinirt

Und wirklich ins Pfarrhaus eingeführt.

8.

Die ganze liebe Ohnwitzer Gemeine,

Reiche und Arme, Große und Kleine,

Freuen sich, ehren und lieben mich,

Als ihren neuen Pfarrer zärtlich.

9.

Man hat mich reichlich mit Hausrath versehen,

Das sollt Ihr selbst künftig finden und verstehen,

Auch in Söller, Keller, Küche und Stall

Sind Lebensmittel in großer Zahl.

10.

Die Pfarre selbst ist sehr einträglich

Und für ihren Besitzer nicht ungemächlich,

Sie bringt gewöhnlich Jahr aus, Jahr ein,

Reine 1000 Gulden baar ein.

11.

Meine Wünsche sind also alle gestillet,

Nur ein einz’ger noch ist bisher unerfüllet,

Nämlich Euch bald im Wohlergehn,

Nebst Schwester Esther bei mir zu sehn.

12.

Ich bitte Euch also, nicht zu verweilen,

Sondern je eher, desto lieber zu mir zu eilen,

Und dann lebenslänglich bei mir

Zu nehmen Euer künftig Quartier.

13.

Man ging im Dorf collectiren herumme

Und sammelte für mich eine artige Summe;

Dieses Geld sende ich Euch allhier,

Um die Reisekosten zu bestreiten dafür;

14.

Denn ich habe ohnehin zu meiner Etablirung

Und der vorläufig nöthigen Regulirung,

Nebst zu einem Alltags- und Sonntagskleid

Geld genug von des gnädigen Herrn Gewogenheit.

15.

Mit Euern dortigen Möbeln und sonstigen Sachen

Könnt Ihr meinen andern Geschwistern ein Geschenk machen;

Weil, so lange mir selbst nichts gebricht,

Euch soll bei mir nichts gebrechen nicht.

16.

Denn ich will stets im Wittwerstande bleiben

Und niemals eine neue Heirath treiben,

Nur Ihr und mein liebes Schwesterlein

Sollt meine Haushälterinnen sein.

17.

Und thäte ich etwa früher als Ihr sterben,

So werdet ihr doch deswegen nicht verderben,

Denn Herr von Ohnewitz hat auf diesen Fall schon

Mir für Euch versprochen ’ne Pension.

18.

Euch die Reise desto besser zu bequemen,

Könnt Ihr eine commode Extrapost nehmen.

Ich erwarte mit kindlicher Sehnsucht Euch

Und meine jüngste Schwester zugleich.“

19.

Um nun desto eher das Vergnügen zu genießen

Seine Mutter und Schwester in die Arme zu schließen,

Ward vorgedachtes Schreiben, zur Hand,

Durch einen Expressen abgesandt.

20.

Daß Frau Jobs sich sehr gefreut und gelachet

Und mit Estherchen sich bald aufgemachet,

Und die commode Extrapost nahm,

Und so endlich bei ihrem Sohn ankam,

21.

Das läßt sich alles wol von selbst verstehen.

Wir wollen nun weiter schreiten und sehen,

Wie der Herr Pfarrer sich fein und klug

In seinem neuen Amte betrug.

Zweiunddreißigstes Kapitel.
Hier werden die seltenen Verdienste eines Herren Dorfpfarrers beschrieben.

1.

Es war ein Plaisir Sonntags anzuhören

Seine vortrefflichen Predigten und Lehren;

Auch seine übrigen Amtsgeschäfte all’

Hatten höchstwohlverdienten Beifall.

2.

Auch in allen übrigen Stücken wußt’ er

Zu geben allen seinen Amtsbrüdern ein Muster

Der Tugend und der Rechtschaffenheit,

Der Weisheit und der Gelehrsamkeit.

3.

Er suchte auch in andern Nebensachen,

Sich seiner Gemeinde hochnützlich zu machen,

Und war als allgemeiner Geheimerath

Ihnen ersprießlich mit Rath und That.

4.

Waren etwa irgend Streitigkeiten,

So suchte er gleich Frieden zu verbreiten,

Schlichtete Processe bald, und so entriß

Er den Advocaten manchen fetten Biß.

5.

Auch in manchen ökonomischen Affairen

Suchte er sie zu leiten und zu belehren,

Und wer seinen Vorschlägen Gehör gab,

Mit dem lief es immer erwünscht ab.

6.

Die Kranken suchte er bestmöglichst allenthalben

Abzuhalten von Pfuschern und Quacksalben,

Gab oft selbst Hilfe durch Diät an,

Oder wiese sie zu ’nem studirten Mann.

7.

Noch in mehr andern Sachen und Dingen

Wußte er ihnen aufgeklärte Begriffe beizubringen,

Ueber Kalendersachen, Jahrswechsel, Witterung,

Und was man lase in der Zeitung.

8.

Vom Aberglauben und Alfanzereien

Suchte er die Ohnwitzer besonders zu befreien,

Und es währte daselbst keine volle zwei Jahr,

Daß weder Hexe noch Gespenst mehr da war.

9.

Saßen sie zur Erholung in der Schenke beim Biere,

So verschaffte er ihnen daselbst nützliche Lectüre;

Führte Faustens Katechismus ein

Und Beckers Noth- und Hilfsbüchlein.

10.

Auch Kortums Gesundheitsbüchlein für Bergleute,

Theilte er aus in der Nähe und in der Weite;

Weil in Ohnwitz und benachbartem Land

Sich manches gefährliche Bergwerk befand.

11.

Aber nicht nur um Alte, sondern auch nicht minder

Um die ehmals verwahrlosete Jugend und Kinder

Gab er sich unbeschreibliche Müh’

Und bildete zur Tugend und Weisheit sie.

12.

Unterdessen, in einem einzigen Stücke,

Hatte er bei der Gemeine anfangs kein Glücke;

Ich meine das neue Gesangbuch,

Welches er einzuführen vorschlug.

13.

Länger als andre Gemeinden hatten beim alten

Gesangbuche die Ohnwitzer festgehalten;

Denn sie sagten öffentlich, ’s sei

Das neue Gesangbuch voll Ketzerei;

14.

Ihren Eltern und Großeltern wär’ es gelungen,

Daß sie sich selig aus’m alten Gesangbuch gesungen,

Und darum hielten sie auch beim Spruche sich:

Altes Gesangbuch, dir leb’ ich, dir sterb’ ich!

15.

Diesen Starrsinn ihnen aus den Köpfen zu bringen

Und sie einmal vernünftig zu lehren singen,

War freilich Arbeit eines Herkules,

Es gelang dem Herren Pfarrer Jobs indeß.

16.

Denn er zeigte ihnen sonnenklar und deutlich,

Aber doch geziemendlich und bescheidlich,

Daß in dem alten Gesangbuch weit mehr

Von Ketzerei anzutreffen wär’.

17.

Ein gar frommer Arzt im benachbarten Lande,

Der sich etwas auf derlei Sachen verstande,

Half ihm darin getreulich und klug

Und schrieb darüber ein kleines Buch.

18.

(Denn die eigentlichen geistlichen Amtsbrüder

In der Nähe kümmerten sich nicht um die Lieder,

Sondern ihnen war es vielmehr lieb,

Wenn’s fein beim alten Gesange blieb.

19.

Denn da brauchten sie nicht sich zu incommodiren,

Das neue Gesangbuch durchzustudiren,

Und sie stießen so auch beim gemeinen Mann

Nicht wegen vermeinter Ketzerei an;

20.

Weil man schon in einigen Gemeinden gesehen,

Daß dadurch viele Unruhen geschehen

Und man sich manches Geschenk entzog,

Was sonst für den Pfarrer in die Küche flog.)

21.

Da hat sich endlich die Gemeinde geresolviret

Und zu Ohnwitz das neue Gesangbuch eingeführet,

Und die ganze Sache nahm behend

Ein vergnügtes und vernünftiges End’.

Dreiunddreißigstes Kapitel.
Wie sich Ehren Jobs im guten Wohlstande bis dato befindet, und wie seine Mutter starb, und wie seine Schwester ihm gut haushält.

1.

Ehren Jobs befand sich immer im Wohlstande

Und ward bald berühmt im ganzen Lande,

So daß manche ansehnliche Stadt

Ihn zum Pfarrer verlanget hat.

2.

Aber er schlug aus alle Vocationen,

Entschloß sich bis ans Ende zu Ohnwitz zu wohnen,

Und bleibet auch, seinem Entschlusse getreu,

Bis auf die jetzige Stunde dabei.

3.

Er hätte auch schon können werden Professer,

Aber er steht sich als schlichter Pfarrer weit besser,

Weil meistens ein Professoriat

Viel Arbeit und wenig Einkünfte hat.

4.

Auch einige ansehnliche Provinzen ernennten

Ihn schon lange zum Superintendenten;

Allein er zieht wieder den simpeln Pastor

Jedem großen Superintendenten vor.

5.

In manchem gedruckten gut recensirten Werke

Bewies er in der Gelehrsamkeit seine Stärke;

Jedoch schrieb der Autor Hieronimus

Aus Bescheidenheit immer als Anonymus.

6.

Von seinem ehmaligen A-b-c-Buche waren

In Ohnwitz noch hie und da Exemplaren;

Diese kaufte er, wo er sie fand,

Und opferte sie dem Vulkan zur Hand.

7.

Wollten manche Autoren sich dies wol merken

Und eben so thun mit ihren frühern Werken;

So handelten sie wahrlich weislich und klug,

Denn man hat der elenden Bücher genug.

8.

Viele Gesellschaften nützlicher Künste,

Nahmen ihn wegen seiner großen Verdienste,

Auf in ihre hochgelehrte Zahl,

Und machten ihn förmlich zu ihrem Sodal.

9.

Auch eine der berühmtesten Akademien

Krönte gratis sein gelehrtes Bemühen,

Und sandte ihm mit großem Compliment

Das Doctoris Theologiae-Patent.

10.

Auch hat der Fürst ohne sein Wissen und Begehren

Ihn mit Consistorialrathstitel thun beehren;

Er hat zwar alle diese Ehren nicht veracht’t,

Aber doch davon nie Gebrauch gemacht.

11.

Seine Mutter hat leider nur vier Jahre

Vergnügt durchlebt bei ihm auf der Pfarre,

Und er hat immer als treuer Sohn sie

Geliebt und gepfleget spat und früh.

12.

Sie war sehr geplagt mit hysterischen Schmerzen,

Hatte öfters Drücken am Magen und Herzen,

Und längst schon traf man keinen einzigen Zahn

In ihrem Munde zum Beißen mehr an.

13.

Drum verschlang sie meist die Speisen ungekauet,

Diese wurden also nicht gehörig verdauet;

Das erregte nun manche Indigestion,

Und Wassersucht war endlich die Folge davon.

14.

Auch ward die Frau leicht zum Aerger beweget

Und so die Galle heftig oft erreget,

Denn, um ’ne Nadel oder ein Ei,

Erhub sie manchmal Zetergeschrei.

15.

Der Kümmelbranntwein konnt’ zwar oft lindern

Und ihr Magen- und Herzweh augenscheinlich mindern,

Denn er trieb die Winde salva venia in die Höh’,

Und curirte, wie sie sagte, das „historische“ Weh.

16.

Drum machte sie’s, wie viel andre alte Frauen,

Welche sich oft ärgern und nicht gut verdauen,

Nämlich, weil sie sich dabei so wohl befand,

Hatte sie den Branntweinskrug immer zur Hand.

17.

Sie hätte gerne noch länger hier geweilet,

Aber der Sensenmann hatte mit ihr geeilet,

Und weil es dann nicht anders konnte sein,

So schlief sie als ’ne gute Christin ein.

18.

Man wollte sie in der Kirche bei der Orgel begraben,

Das wollte Herr Hieronimus aber absolut nicht haben;

Denn er glaubte, der Kirchhof sei schicklicher zu

Der abgestorbenen Leiber Ruh’.

19.

Er hat deswegen auch nachdrücklich befohlen,

Daß, wenn Freund Hein ihn dereinst würde abholen,

Man auch an ihm gleichfalls bei Leibe nicht

In der Kirche vollstrecke die letzte Pflicht.

20.

Darin ist er nun billig hoch zu rühmen;

Denn für ein Gotteshaus will’s sich nicht geziemen,

Daß darin garstiger Leichengestank

Die Zuhörer mache übel und krank.

21.

Er hat sogar gethan vernünftige Vorschläge,

Daß man den Kirchhof auswärts des Dorfs verlege,

Damit nicht etwa ’ne zu nahe Gruft

Seuchen bringe und verpeste die Luft.

22.

Besonders pflag er noch immer dran zu denken,

Daß man ihn einst hatte wollen lebendig versenken,

Er war also fleißig darüber aus,

In Ohnwitz zu errichten ein Leichenhaus.

23.

Weil aber solches Gebäude gegenwärtig

Wegen allerlei Hinderniß schwerlich wird fertig,

So macht er sich es zur strengsten Pflicht,

Die Todten vor’m fünften Tag zu begraben nicht.

24.

Sintemal wir vom Erzbischof Willigis lesen,

Welcher eines Rademachers Sohn gewesen,

Daß er zum Andenken ein Wagenrad

Zu Mainz sich zum Wappen gewählet hat:

25.

So ließ auch er, um des vorigen nicht zu vergessen,

Noch sich seines jetzigen Standes zu übermessen,

In seinem Musäo über der Thür vorn,

Malen ein großes Nachtwächterhorn.

26.

Damit hat er andern ein Exempel gegeben,

Daß man sich im Glücke nicht müsse überheben;

Denn gewöhnlich thut einer groß und dick,

Wenn ihn aus dem Staube hebet das Glück.

27.

Seine Schwester geht jetzt im 23ten Jahre

Und ist noch immer bei ihm auf der Pfarre,

Sie liebt ihn und hält ihm trefflich Haus,

Sieht auch noch immer schön blühend aus;

28.

Ist gefolglich zum Heirathen nicht verdorben,

Deswegen haben viel Freier um sie geworben,

Aber sie fand noch keinen bequem,

Daß sie ihn zu ihrem Manne nähm’.

29.

Einige wollen unmaßgeblich meinen,

Als thät es manchmal nicht undeutlich scheinen,

Daß der junge Herr Baron von Ohnewitz hätt’

Absicht auf sie fürs Ehebett.

30.

Wenigstens ist sie sehr gut von ihm gelitten,

Und hat wegen ihrer Artigkeit und guten Sitten,

Es auf dem freiherrlichen Ohnwitzer Schloß

Auch beim Herrn und der gnädigen Frau gar groß.

31.

Alle Ohnwitzer mögen sie gut leiden,

Denn sie behandelt sie freundlich und bescheiden,

Erkundigt sich bei ihnen nach Kindern und Vieh,

Nach Knechten und Ochsen, und Mägden und Küh’.

32.

Bauern, welche für die Küche was präsentiren,

Pflegt sie mit Tabak und Schnaps zu regaliren,

Und die Bäurinnen bekommen den Thee,

Oder, wenn’s Präsent der Müh’ werth ist, Kaffee.

33.

Uebrigens ist gewiß, daß in keinem Dorfe nirgends,

Weder im römischen Reiche noch sonst irgends,

So gute und vernünftige Leute sind,

Als man sie jetzt zu Ohnewitz find’t.

34.

Da sieht man, wie schön eine geistliche Heerde

Unter guter Anführung gebildet werde;

Indeme hier das Sprüchwort eintraf:

Wie der Hirte ist, so ist das Schaf.

Vierunddreißigstes Kapitel.
Zeiget kürzlich, wie sich alles weit besser hier gereimet habe, als im ersten Theile.

1.

Ich kann mich mit der Geschichte von Hieronimi Leben

Dermalen nun nicht weiter abgeben,

Sondern lasse ihn im vergnügten Besitz

Der schönen Pfarre zu Ohnewitz.

2.

Sintemal wider jedes Denken und Verhoffen,

Im zweiten Theile alles besser eingetroffen,

Als es vormals im ersten Theile geschah;

Denn nun ist die Erfüllung von allem da,

3.

Was der Traum der Frau Jobs ihr geprophezeiet,

Und Frau Schnepperle gephysionomeiet,

Und Frau Urgalindine gesaget wahr;

An allem fehlt nicht ein einziges Haar.

4.

Indessen muß man doch darum nicht trauen

Und auf dergleichen Vorbedeutungen bauen;

Denn ich sage es und bleibe dabei,

Es ist Aberglauben und Dummerei.

5.

Wir wollen uns vielmehr zum Beschluß bemühen,

Aus der Geschichte einige Lehren zu ziehen;

Denn ein solch Büchlein ohne Moral

Schließt sich zu trocken und schmecket zu schal.

6.

Ob noch ein dritter Theil künftig werde erscheinen,

Will ich weder bejahen noch verneinen,

Doch glaub ich, ein geehrtes Publikum hat

An den zwei Theilen schon genug und satt.

7.

Sonst läßt sich von Herrn Jobs künftigem Betragen

Noch manches, theils Lustig’s, theils Ernsthaftes, sagen,

Welches ich mir dann auch in der Still’

Zum möglichen Gebrauch notiren will.

8.

Da könnte es mir dann auch vielleicht gelingen,

Seine Schwester Esther gut unterzubringen:

Auch machte vielleicht der Franken Revolution

Bei seinem Schicksal eine Diversion.

9.

Kurz, an Stoff zum Lügen und zum Erzählen

Würde es mir schwerlich auch künftig nicht fehlen,

Und zu einem solchen Knittelgedicht

Gehört auch eben kein Kopfbrechen nicht.

Fünfunddreißigstes Kapitel.
Hier folgt zum Beschluß die Moral und das Buch nimmt ein trocknes Ende.

1.

Pro primo kann man überhaupt hieraus sehen,

Daß oftmals sonderbare Dinge geschehen,

Und es auf unserm Lumpenerdenplanet

Kraus und bunt durcheinander geht.

2.

Denn wenn wir die sämmtlichen Avantüren

Des Hieronimi vernünftig ponderiren,

So finden wir, daß in keinem Roman

Etwas Curiosers geschehen kann.

3.

Pro secundo kann man hier erfahren

Den Unterschied der jüngern und ältern Jahren,

Und wie wahr das gemeine Sprüchwort spricht:

Der Verstand kommt oft vor dem Alter nicht.

4.

Denn Hieronimus war vormals in seiner Jugend

Eben kein Liebhaber der Gelehrsamkeit und Tugend,

Bis er, als Schwabe, nach 40 Jahr,

Ein vernünft’ger und gelehrter Mann erst war.

5.

Pro tertio muß man niemals verzagen

In trüben und finstern Elendstagen,

Weil im künftigen Lebenslauf

Die Glückssonne sich oft kläret auf.

6.

Denn als Hieronimus im Nachtwächterstande,

Ja gar als Todter im Sarge sich befande,

Ging es ihm traurig und schlecht, nachher

Ging es ihm desto angenehmer.

7.

Pro quarto wirkt ein vermeintes Ungelücke

Manchmal günstige Aenderung im Menschengeschicke,

Und aus Dornen sprießen sehr oft

Gleichsam Rosen hervor gar unverhofft.

8.

Denn der Schlaf, drin Hieronimus drei Tage gelegen,

Gereichte ihm zu seinem Glücke und Segen,

Und sein ganzer Charakter und Verstand

Wurde dadurch gleichsam umgewandt.

9.

Pro quinto notiren wir uns hier die Lehre,

Daß Wohlstand, Reichthum, Glück und Ehre

Oft von einer ohngefähren guten That

Ungesucht ihren ersten Ursprung hat.

10.

Denn hätte Hieronimus auf der Reise den reichen Herren

Nicht gefunden sich gegen die Räuber wehren

Und ihm seinen Beistand geleistet darob,

So wär’ er vielleicht jetzt noch so arm wie Job.

11.

Pro sexto muß man die große Pflicht betrachten,

Daß man keinen Menschen dürfe verachten,

Wenn ihn auch das Schicksal verächtlich neckt,

Weil man nicht weiß, was hinter ihm steckt.

12.

Denn wer hätte im ersten Theil es sagen wollen,

Daß Hieronimus der Mann hätte werden sollen,

Der er, wie ich hoffe, mit guter Art,

Im jetzigen zweiten Theile ward.

13.

Pro septimo läßt sich nicht undeutlich merken,

Groß Glück sei nicht immer Folge von Müh’ und Werken,

Sintemal es oft mancher im Schlaf

Ohn alles sein Zuthun und Mühe antraf.

14.

Denn hätte Hieronimus kein Opiat genommen

Und wäre nicht dadurch in Todesschlaf gekommen,

So wär’ auf ihn von niemand reflectirt,

Noch Herr von Ohnewitz zu ihm geführt.

15.

Pro octavo läßt sich finden und verstehen,

Wie gut und ersprießlich alle Sachen ergehen,

Wenn man nicht nur in Wort sondern auch That

Reiche Patronen und Freunde hat.

16.

Denn wäre Herr von Ohnewitz, wie wir gelesen,

Nicht sein wahrer Gönner und Freund gewesen,

So bekleidete er jetzt nicht im Wohlstand

Die reichste Pfarrstelle im ganzen Land.

17.

Pro nono ist es eine sehr geringe Mühe,

Daß man daraus noch manche andre Lehre ziehe,

Und das mögen nach bestem Gefallen nun

Die hochgeehrten Leser allenfalls selbst thun.

18.

Pro decimo will ich nur noch den Rath ertheilen,

Sich nie im Urtheilen zu übereilen,

Sondern daß jeder das Respice finem,

So wie ich jetzt, sich zur Regel hinnehm’.

Sie tranken des Mondes Silberschein

Und das Flimmern der lieben Sternelein.

Kap. XI. V. 26.

Leben, Meinungen und Thaten
von
Hieronimus Jobs,
Excandidaten,

Exnachtwächter, Ohnwitzer Expfarrherr
und endlich zu Schönhain gar Herr.

Abermals mit viel schönen Gebilden:

Nachtstücken, Porträten, Monumenten und Schilden;

Verfertigt von des Autors eigner Hand

Nach Poussin, Raphael, Rubens und Rembrand.

Dritter Theil.

Erstes Kapitel.
Wie der Autor noch einmal den Gaul Pegasus zäumet und ihn nach der Hippokrene reitet, welche ist eine Poetenschwemme in der Landschaft Boetia. Nebst mancherlei Präliminarien zum dritten Theile der Jobsiade.

1.

Noch einmal will ich den Gaul Pegasus zäumen,

Und um ’nen dritten Theil zusammen zu reimen,

Reiten in die Tränke Hippokrene hinein,

Und damit soll es dann Punktum sein.

2.

Weil seit dem zweiten Theil von Hieronimi Leben

Sich manche Veränderung mit ihm hat begeben;

Denn in der Welt überhaupt wechselt’s sich,

Besonders in unsern Tagen, gar wunderlich.

3.

An meinem guten Willen soll es nicht fehlen,

Alles ausführlich und anmuthig zu erzählen,

Und mit diesem dritten Theile steht

Also die Jobsiade complet.

4.

Auch viel hübsche in Holz geschnittene Bilder,

Monumente, Porträte, Wappenschilder,

Imgleichen ein gar niedliches Nachtstück,

Siehet man hier aus neuer Fabrik.

5.

Mit dem zweiten Theil bin ich, wie ich vernommen,

Bei den Lesern ziemlich gut weggekommen,

Und das machte natürlicher Weise dann,

Daß ich gleich den dritten zu fabriciren begann.

6.

Zwar konnte freilich mein Büchlein allen

Und jeden nicht eben gleich gut gefallen;

Allein, daß nicht allen alles gefällt,

Ist ja, wie bekannt, so der Lauf der Welt.

7.

Ich wollt’ auch nicht für alle und jede schreiben;

Wer’s nicht lesen will, kann’s ja lassen bleiben,

Mancher ist doch, der die Finger darnach leckt,

Was einem andern so delicat nicht schmeckt.

8.

Es kommt leider auf unserm Erdenrunde

Manche trübe und verdrießliche Stunde,

Theils durch eigne, theils durch fremde Schuld;

Davon entstehen im Herzen Ungeduld,

9.

Finsterniß in der Seele, Grillen im Hirne,

Runzeln auf den Wangen, Furchen auf der Stirne,

Im Systeme der Vena porta

Symptomata hipochondrica,

10.

Gallenkrankheiten und allerlei Malheuren,

Welche nach und nach die Kräfte zerstören,

Und endlich heißt’s: Ade Partie!

Er ist gestorben und nicht mehr hie!

11.

Da wollt’ ich nun gern ein Scherflein beitragen,

Um einige dergleichen trübe Stunden zu verjagen;

Wahrlich, dieses und etwas anders nicht,

War bei der Jobsiade meine Absicht.

12.

Ich selbst habe, indem ich sie geschrieben,

Mir manche Grillen aus dem Kopfe vertrieben,

Und wenn ich war bei dieser Reimerei,

Ging mir oft das Hypochonder vorbei.

13.

Ist mein Zweck erreicht, so wird’s mich erfreuen,

Und mein Büchlein soll mich nicht gereuen,

Posito, es enthielt’ solches auch nur

Eine blose Palliativkur.

14.

Nebenbei suchte ich nützliche Kleinigkeiten,

Wo es geschehen konnte, hier und da zu verbreiten,

Und wo ich Dummheit und Bosheit fand,

Gab ich wol ’nen Hieb en passant.

15.

’S kann sein, daß ein oder andrer griesgrammet,

Und mich wegen dieser Hiebe hart verdammet

Und denket: Ich glaube sicherlich,

Der hämische Autor meinet mich.

16.

Ich für mein Theil aber kann’s vertragen,

Daß er dieses möge gedenken oder sagen;

Denn ich versicher’s ihm ins Gesicht:

Ich meine nur seine Handlungen, ihn nicht.

17.

Ich lasse es übrigens auch gern geschehen,

Daß Recensentenwetter über mich ergehen,

Denn der Autor’n Haut ist bekanntlich dick

Und fragt heuer nicht viel nach Kritik.

18.

Aber dem unbedeutenden Gekläffer

Kleiner Geister und elender Käffer

Gehe ich mitleidig und lächelnd vorbei,

Und achte nicht auf das leere Geschrei.

19.

Alles, worüber man etwa kritisiret,

Hab ich mir schon selbst zu Gemüthe geführet;

Denn ich fühl’ es unerinnert gar wohl,

Das Ding ist nicht ganz wie es sein soll.

20.

Ich will auch forthin mit Knittelversschreiben

Die Zeit nicht mehr mir und andern vertreiben,

Und nehme hiemit förmlich von

Den geneigten Lesern Dimission.

Zweites Kapitel.
Darin wird ausführlich gehandelt von dem braven Betragen des Herrn Jobs in seinem Pfarramte.

1.

Welch schönes Exempel in Lehr’ und Leben

Herr Pfarrer Jobs den Ohnwitzern gegeben,

Das haben wir, obgleich kurz und in Eil’,

Schon gesehn Kapitel 32 im zweiten Theil.

2.

Es glich ihm im ganzen Schwabenlande

Kein Amtsbruder an Frömmigkeit und Verstande,

Und keiner streuete so wie Er

Den Samen des Guten um sich rund her.

3.

An seinen vortrefflichen Kanzelgaben

Konnten nicht blos die Ohnwitzer sich laben,

Sondern auch aus der Ferne durch Dick und Dünn

Ging man Sonntags, um ihn zu hören, hin.

4.

Denn seine Reden waren kräftig und rührend,

Seine Spruchbeweise ächt und überführend,

Und Ausführung und Application

Alles im populären Ton.

5.

Seine Antecessores im Pfarramte

Hatten geschriebene Predigten für gesammte

Sonntage im ganzen Jahr,

Auch für jedes hohe Fest ein paar.

6.

Da brauchten sie also sich nicht zu geniren,

Um auf neue Predigten zu studiren,

Sondern sie hielten jene, Jahr aus Jahr ein,

Von Neujahr bis zu den unschuldigen Kinderlein.

7.

Auch für außerordentliche Begebnissen,

Copulationen, Taufen und Begräbnissen,

Hatten sie in ihrem Pulte früh und spat

Einige hübsche Reden im Vorrath.

8.

Diese wußten sie dann nach Standesgebühren,

Nach Proportion der Zahlung zu extendiren;

Denn wo es nur wenig Gebühren gab,

War die Rede meist etwas schal und knapp.

9.

Einige trieben ihre Kunstgriffe noch weiter,

Und nahmen sogar als rüstige Reiter,

Aus der Postille sich dann und wann

Sonntags eine Predigt zum Vorspann.

10.

Herr Pfarrer Jobs hatte aber gar nicht nöthig

Seine Predigten zu haben vorräthig,

Denn sein geistiges Rednertalent

War, wie wir schon wissen, excellent.

11.

Er brauchte nur einmal am Aermel zu rütteln,

So konnte er gleich ’n halb Dutzend heraus schütteln;

Das heißt: Ihre Verfertigung that gar nicht weh,

Er konnte sie machen ex tempore.

12.

Ohne sich an gewöhnliche Texte zu binden,

Pflegte er immer solche zu wählen und zu finden,

Welche die Gelegenheit oder sonst’ges Bedürfniß

Ihm als nützlich für die Leute anwies.

13.

Seine Bibliothek war schön und auserlesen,

Größer als je bei einem Dorfpfarrer gewesen,

Jedoch unter allen seinen Büchern traf man

Keine einzige Postille an.

14.

Wenigstens in seinen öffentlichen Reden und Lehren

Ließ er nie etwas Heterodoxes hören,

Und er wiche keinen Fingerbreit von

Der Augsburgischen Confession.

15.

Er vergab sich nicht die allerkleinsten Partikeln

Von den einmal beschwornen Schmalkald’schen Artikeln,

Und daran handelte er klüglich gewiß,

Denn er vermied dadurch manches Aergerniß.

16.

Zwar war er Punkto der symbolischen Bücher

Hier und da nicht so ganz feste und sicher,

Doch hielt er sich bei solchem Dubium

Gegen andere gewöhnlich dumm.

17.

Wenn ein Schaf seiner Heerde abwärts wiche,

Oder auf verbot’nen Wegen herumschliche,

So war er immer auf seiner Hut,

Und lockte es wieder mit Pfiffen der Sanftmuth.

18.

Er betrachtete im Strafen keine Personen,

Achtete nicht auf Stand, Würden und Connexionen,

Sondern schor jedes Ohnwitzer Schaf und Lamm

Unparteiisch über einen Kamm.

19.

Obgleich diejenigen, welche Bockstreiche machten,

Ihm ansehnliche Küchengeschenke brachten,

Nahm er sie drum nichts desto weniger

Privatim unter vier Augen her.

20.

Der Herr Amtmann so wie der Küchenschreiber,

Der erste Schulze so wie der Kühtreiber

Galten ihm alle insoweit eins,

Denn er schonte, wo’s nöthig war, keins.

21.

Selbst der gnädigen Frau und dem gnädigen Herren

Gab er scharfe Vermahnungen und derbe Lehren,

Wenn er etwa an ihrem Seelenzustand

Eine Kleinigkeit auszuflicken fand.

22.

Doch pflegte er niemals öffentlich zu schmälen,

Und jeden Unfug des Sonntags zu erzählen,

Schlug auch nie im geistlichen Eifer und Wuth

Seine Hand und das Kanzelbänkchen caput.

23.

So gewann er vollkommene Liebe und Vertrauen

Im Dorfe bei allen Mannen und Frauen,

Und sein gutes Gerüchte erschall

Im ganzen Lande rund überall.

24.

Die Ohnwitzer alle, Grobe und Feine,

Alte und Junge, Große und Kleine,

Wären allenfalls gerne kühn

Aus Liebe durch’s Feuer gelaufen für ihn.

25.

Die Bauern machten gemeinlich schon von ferren

Einen Kratzfuß für den lieben geistlichen Herren,

Und jede Bäu’rin war schnell und fix,

Wenn sie ihn sahe, mit ihrem Knix.

26.

Ja sogar die kleinen Mädchen und Knaben,

Wenn Herr Jobs ihnen begegnete, gaben

Ihm mit allem möglichen Anstand

Verehrungsvoll und freundlich die Kußhand.

27.

Ehmals waren leider die Ohnwitzer Kinder

Erzogen schlimmer wie Böcke und Rinder;

Aber seit Pfarrers Hieronimi Zeit

Lernten sie Zucht und Ehrbarkeit.

28.

Denn er machte es zur Pflicht bei ihren Alten,

Sie fleißig zu Schulen und Sitten anzuhalten,

Und ließ es seinerseits auch ermangeln nicht

An ’nem guten christlichen Unterricht.

29.

Er gab öfters in der Schule Visiten,

Um bei dem Dorfschulmeister zu verhüten,

Daß seine künftige Pädagogei

Nicht so pedantisch wie vormals sei.

30.

Denn ehmals gab’s von der Ruthe und dem Bakel

Auf’m Hintern und Rücken manchen blauen Makel,

Oft wurden gar Rippen und Arme krumm,

Und die Kinder vom Lernen vollends dumm.

31.

Diesen Uebeln in der Schule auszuweichen,

Pflegten sie vormals gerne vorbei zu schleichen,

Und sie sahn das in die Schule Gahn

Als ihr größtes Kreuz und Unglück an.

32.

Aber jetzt wurden die Prügel abgeschaffet,

Und die fehlenden Kinder mit Worten bestrafet,

Drum gingen sie nunmehr sittig und fein

Gern in die Schule, um zu lernen, hinein.

33.

Da thaten sie also mächtig profitiren

Im Schreiben, Lesen und Buchstabiren,

So daß ein unmündiges Kind von acht Jahr

Jetzt gelehrter wie der alte Dorfschulz war.

34.

Auch die vorigen Ohnwitzer Herrn Pastores

Bekümmerten sich nicht viel, wie es um die Mores

Ihrer anvertrauten Heerde stand,

Wenn sich sonst nur alles in statu quo befand.

35.

Drum war im Dorf Haß, Streit, Fressen, Saufen,

Büberei, Unzucht, Balgen und Raufen,

Dieberei, Prellerei, Neid und Betrug

Sehr gemein und schier täglich genug.

36.

Fast alle Sonntage war in der Schenke

Schlägerei, Schimpfen, Lärm und Gezänke,

Und immer in jeder folgenden Woch’

Mußten ein Paar zur Strafe ins Hundeloch.

37.

Auch gab’s dabei viele ansehnliche Brüchten

In die Canzleikasse gewöhnlich zu entrichten,

Und insoweit sahn die Justizherrn

Dergleichen Unfug eben nicht ungern;

38.

Aber seitdem Herr Jobs die Pfarre bekommen,

Hat man wenig oder wol gar nicht vernommen,

Daß es Brüchten gab oder einer ins Hundeloch

Wegen verübeter Excesse kroch.

39.

Denn seine vortrefflichen Kanzellehren

Mußten fast jeden Sünder bessern und bekehren,

Besonders sein eigenes Leben war

Ein ächtes Tugenden-Exemplar.

Drittes Kapitel.
Fortsetzung des vorigen.

1.

Seine Vorgänger thaten bei gutem Muthe

Sich gerne bei andern bene und zu gute

Und waren mit Weib und Kindern viel,

Wo was zu essen oder trinken vorfiel.

2.

Er aber ging höchst selten zum Schmause,

Und geschah es, so eilte er doch früh nach Hause,

Denn er haßte alle Schmarozerei

Und blieb seiner geistlichen Würde getreu.

3.

Er war auch zu Hause kein heimlicher Prasser,

Trunk wie Timotheus nur wenig Wein, doch mit Wasser,

Bei der Tafel und sonsten nur für

Den Durst ein leichtes Hausmannsbier.

4.

Bei gewissen hochfeierlichen Gelegenheiten

Pflegte er wol bis zum halben Räuschlein zu schreiten,

Aber er behielt doch immer den Verstand rein,

Stank übrigens nie nach Tabak und Branntwein.

5.

Auch war er kein Leckermaul noch Fresser,

Sein Magen- und Mundbedürfniß war selten größer,

Als Suppe, ein Stückchen Fleisch und Zugemüß’,

Oder sonst wo ’ne Kleinigkeit zum Anbiß.

6.

Die etwaigen Tafelüberflusse

Hatten immer die Armen zum Genusse,

Und diese hielten, Jahr ein Jahr aus,

Offne Tafel in seinem Vorhaus.

7.

Besonders geschah dieses seit den Jahren,

Als seine Mutter Schnaterin Todes verfahren;

Denn die liebe, gute, selige Frau

War zuweilen etwas ängstlich und genau.

8.

Hatte er dann und wann seltne Leckerbissen,

So pflegte er selbst nur wenig davon zu genießen,

Sondern dürftige Kranke bekamen davon

Meistens die größeste Portion.

9.

Ueberhaupt war er voll Mitleid und Erbarmen

Für alle und jede Nothleidenden und Armen,

Und war mit möglichstem Rath und That

Ihnen zu helfen immer parat.

10.

Er unterließ nicht, mit vollen Händen

Almosen den Hilfsdürftigen auszuspenden,

Und wo er einen nackt und unbekleidet sah,

War er gleich mit Hemd, Rock, Schuh, Hosen da.

11.

Morgens war oft seine Kasse und Ficke

Von eingekommenen Geldern voll und dicke,

Aber Abends beim Zubettegehn

War kein Batzen mehr drin zu sehn.

12.

Er gab aber alles in größester Stille

Ohne Prahlerei, Vorwürfe oder Gebrülle,

Und immer blieb gleichsam der linken Hand,

Was die rechte machte, unbekannt.

13.

Er war stets freundlich und dienstfertig

Und gleich bei Tag und Nacht gegenwärtig

Zur Menschenliebe und zur Dienstpflicht,

Und so commod’ wie sein Antecessor nicht.

14.

Besonders achtete er weder Frost noch Hitze,

Wind und Regen, Donner und Blitze,

Wenn ihn etwa dringende Noth

Zu einem Kranken zu eilen gebot.

15.

Nie war er kriechend oder niederträchtig,

Aber doch in Reden und Aeußerungen bedächtig,

Und im Umgang kein pietistischer Murrkopf,

Noch in Gesellschaften ein Sauertopf.

16.

Vielmehr suchte er im Umgang mit Leuten

Frohsinn um sich her zu verbreiten.

Denn er gedachte: das ächte Christenthum

Besteht nicht im Kopfhängen oder Gebrumm.

17.

Doch Possen und zweideutige Narrendeutungen

Trieb er nie bei Mädchen und bei jungen

Weibern, sondern er bezähmte sein Fleisch

Und blieb durchaus ehrbar, züchtig und keusch.

18.

Deswegen konnten mannbare Töchter und Frauen

Ihm sicher alle Geheimnisse anvertrauen,

Und weder Vater noch Ehmann sahen dazu,

Wenn er bei jenen allein war, jaloux.

19.

Entfernt vom geistlichen Stolz und Hochmuthe,

Blieb er vor wie nach bei kaltem Blute,

Wenn man ihn just nicht „Herr Doctor“ hieß,

Sondern es beim simpeln „Herr Pfarrer“ ließ.

20.

Drum will auch ich beim gewohnten Stil bleiben

Und nicht Doctor, sondern Pfarrer Jobs meist schreiben,

Weil ohnehin heut zu Tag der Doctorgrad

Eben nicht hoch ansehnlich mehr staht.

21.

Allen Eigennutz und Geiz haßt’ er

Als ein häßliches ungeistliches Laster,

Und gab viel lieber, als daß er nahm,

Wenn Geben und Nehmen in Collision kam.

22.

Deswegen wollte er auch nie wegen der Pfarrpächten

Mit seinen Pfarrkindern krakelen oder rechten,

Und er that nie mit seinen Schuldnern so

Wie der Schalksknecht im Evangelio.

23.

War wo ’ne Kleinigkeit zu repariren,

So ging er nicht gleich betteln und collectiren,

Und enthielt sich von jeder Prellerei,

Sie mag Namen haben, wie sie wolle, frei.

24.

Seine Vorgänger suchten durch Plusmachen sich zu bessern,

Und die Pfarreinkünfte jährlich zu vergrößern,

Und hatten immer bald hinten bald vorn

Etwas zu tadeln an Beichtpfennig und Korn.

25.

Zwar geschah dies nicht immer ohn’ Ursach aus Geize;

Denn viele Ohnwitzer waren schlimme Käuze,

Und hielten es eben für kein Scandal,

Wenn man den Pfarrer betrog oder bestahl.

26.

Drum gaben sie manchen falschen Beichtdreier

Und Hühner, die den Pips hatten, und faule Eier,

Und bei dem Getreide das mehreste mal,

Fehlte es an Maß, Qualität und Zahl.

27.

Nie mischte er sich in fremde Händel und Sachen,

Dachte vielmehr an die Lehre des alten Sirachen:

Was deines Amts nicht ist zu Ohnwitz.

Da laß, liebes Kind! deinen Vorwitz!

28.

Ehestiftungen und niederträchtige Kuppeleien

Haßte er besonders bis zum Verabscheuen,

Obgleich dies Geschäft seinem Amtsvorfahr

Durch manchen Kuppelpelz einträglich war.

29.

Gegen andre Religionsverwandten

Bezeigte er sich immer als einen Toleranten,

Und schlug bei geringen Ketzerei’n

Nicht gleich mit dem Prügel des Anathema drein.

30.

Er hielte, sowol Katholiken als Calvinisten,

Für seine lieben Mitbrüder und Mitchristen,

Und verdammte keinen mit kaltem Blut,

Wär’s auch gewesen Türk’, Heid’ oder Jud’.

31.

Kurz, er machte seinem Amte und seiner Lehre

Als ein ächter Religionsprediger, Ehre,

Und in der ganzen Gegend umher

War ein so braver Pfarrer nicht mehr.

Viertes Kapitel.
Wohlstand in Ohnewitz.

1.

Gleichwie während Hieronimi Nachtwächterstande,

In Schildburg sich alles ruhig und wohl befande,

Und, so viel ich sicher weiß, allda

Weder Einbruch noch Räuberei geschah;

2.

So und dermaßen, als nun geistlicher Hüter,

Stimmte er die Ohnwitzer Seelen und Gemüther,

Obgleich unter manchem Seufzer und Schweiß,

Zur Rechtschaffenheit, Ordnung und Fleiß.

3.

Sie hatten zwar, wie wir schon wissen, harte Häute,

Und wurden doch in kurzer Zeit die besten Leute,

Und jeder wunderte sich schier sehr zu sehn

Der Ohnewitzer vernünftigs Begehn.

4.

Sie heiratheten und urbarten wüste Räume,

Zeugten fleißig Kinder und pflanzten Bäume,

Gingen oft in die Kirch’ und aufs Feld,

Hatten Verstand und Courage und Geld.

5.

Arbeiteten auch sonst wacker im Berufe,

Baueten manche neue Scheune und Hufe,

Und im ganzen Ohnwitzer Dorfe blieb

Kein einziger müßiger Bettler noch Dieb.

6.

Sie zahlten die Martinspächte ohne Fehle,

Thaten auf Zinse manche neue Kaptäle,

Und so stieg in kurzem im schönsten Flor

Das kleine Dorf ansehnlich empor.

7.

Zwar wuchsen auch mittlerweil’ Luxus und Moden

Auf dem bisher altfränkisch ländlichen Boden,

Und statt gesundem Bier und Milchbrei

Trank man Kaffee und Zucker dabei.

8.

Die reichsten Männer spazierten in Pantoffeln,

Aßen Braten und Blumenkohl statt Speck und Kartoffeln,

Und trunken statt Kovent alten Pontak,

Und rauchten vom allerbesten Tabak.

9.

Auch die jetzigen Ohnwitzerinnen,

Statt Käse zu machen und Flachs zu spinnen,

Lasen Romanen und strickten Filet,

Hielten Visiten und trugen sich nett.

10.

Sogar die stolzirenden Dorfmädchen

Zierten sich wie Jungfern in kleinen Städtchen,

Trugen Kattun mit Zitz statt Leinwand

Und aufgesteckte Mützen mit fein Band.

11.

Die jungen Kerls verließen oft Pflug und Flegel,

Gingen des Nachmittags und schoben Kegel

Und trunken in der Schenke firnen Wein

Und luden zum Tanzen die Dirnen ein.

12.

Doch ward darin eben nichts übertrieben,

Sondern alles ist in Fuhrmannswegen geblieben,

Denn Herr Pfarrer Jobs hielte Tag und Nacht

Ueberall getreu seine geistliche Wacht;

13.

Und steuerte überhaupt an seinem Theile

Aller bösen Neuerung und jedem Unheile,

Er hielt also wenigstens in essentialibus

Alles auf dem alten deutschen Fuß.

14.

Auch der gnädige Herre auf dem Schlosse

Geruhten zu haben eine sehr große

Freude und Wohlbehagen dran,

Wenn Hochdieselben diesen Wohlstand sahn.

15.

Sie entschlossen sich von nun an, zu verschonen

Die Bauern mit den bisher beschwerlichen Frohnen,

Und haben auch die uralte Leibeigenschaft

Bei denselben allergnädigst abgeschafft.

16.

Das mehrte nun natürlich der Unterthanen Liebe,

Und minderte die Zahl der Bettler und Diebe,

Denn jeder konnte gemächlicher nun

Für sich selbst arbeiten und gehörig ausruhn.

17.

Zuweilen gab der Herr ländliche Feste,

Und da waren die Bauern sämmtlich seine Gäste,

Und immer ginge lustig die Gei-

ge und der ernste Brummbaß dabei.

18.

Die gnädige Frau hielt es nicht zu geringe,

Mit dem Dorfschulzen zu machen einige Sprünge,

Und der gnädige Herr öffnete jedes Mal

Mit der artigsten Bäurin den Ball.

19.

Besonders gern tanzte der junge Herre

Mit den hübschesten Mädchen ins Kreuz und die Quere

Manches Menuet und englische Stück,

Nach allen Regeln der Tanztaktik.

20.

Kam er mit Mamsell Esther an den Reihen,

So that sich sein Herz vorzüglich erfreuen,

Und es geschah alsdann hinc inde da

Mancher Ausglitscher und faux pas.

21.

Da es nun zuging in allen Ehren,

So mochte Herr Pfarrer Jobs es auch nicht wehren,

Ja vielmehr billigte er ganz

Einen unschuldigen ländlichen Tanz.

22.

Hätt’ auch wol selbst eins mögen mitmachen,

Aber er enthielt sich gerne, um den Schwachen

Nicht zu geben ein Aergernuß;

Welch’s man dann auch von ihm rühmen muß.

23.

Auch ich meinerseits kann keine Sünden

In dergleichen Leibesübungen finden,

Wenn nur das Exercitium der Tanzkunst

Geschieht ohne Anstrengung und Brunst.

24.

Wir werden übrigens in der Folge sehen,

Was für gute Früchte daraus entstehen,

Wenn regierender Herr und Unterthan

Sich fein freundlich zusammen begahn.

Fünftes Kapitel.
Dieses Kapitel handelt von des Herrn Pfarrers Jobs’ häuslichem Leben.

1.

Nun will ich auch von Herrn Jobs häuslichem Leben

Noch eine vollständige Nachricht geben,

Und wir sehen dann auch zugleich dabei,

Ob auch auf’m Schlosse noch alles richtig sei;

2.

Denn beider Schicksal verwebt sich enger

Mit einander desto mehr, je länger

Die Erzählung der Geschichte währt

Und man geduldig zu lesen fortfährt.

3.

Herr Jobs that, wie gesagt, mit aller Treue,

Alles was gehörte zu seiner Pfarreie;

Auch in seiner Oeconomie befand sich

Alles fein sauber und ordentlich.

4.

Er konnte sich zwar selbst damit nicht befassen,

Mußte sie also seiner Schwester überlassen;

Denn sie war, nachdem die Mutter storb,

Das Factotum und allein Henne im Korb.

5.

Er befand sich dabei auch gar nicht übel,

Und seine Bücher, besonders das Studium der Bibel,

Vertrieben ihm angenehm die Zeit

In seines Musei Einsamkeit.

6.

Er ging auch, um sich zu divertiren,

Bei guter Witterung zuweilen spazieren;

Wobei er dann fein gesund blieb

Und verhütet wurde das malum Hyp.

7.

Auch pflegte er sich oft persönlich zu erkünden

Nach der herrschaftlichen Familie Wohlbefinden,

Und sowol die gnädige Frau als beide Herrn

Sahen ihn jedesmal herzlich gern.

8.

Er war auf dem freiherrlichen Ohnwitzer Schlosse

Gleichsam Spiritus familiaris und Hausgenosse,

Und wenigstens jeden Sonntag fast

Nach geendigtem Gottesdienst Gast.

9.

Auch hat sich der junge Baron oft zu ganzen Stunden,

Zum Besuche im Pfarrhause eingefunden,

Und es verginge kein einziger Tag,

Daß er nicht wenigstens en passant einsprach.

10.

Doch was diese Besuche betrifft, so scheinet,

Daß er eben nicht immer damit den Bruder gemeinet;

Denn es kümmerte ihn nicht, wenn er vor der Hand

Nur blos die Schwester zu Hause fand.

11.

Er ging am liebsten in der Pfarrgegend jagen,

Auch der hübsche Garten da that ihm behagen,

So daß er beständig einen Vorwand

Zu seinen frequenten Visiten erfand.

12.

Zum Exempel: Abends fand er in diesem Reviere

Das sanfte Wehen der kühlen Zephyre

In den Bäumen daselbst sehr angenehm,

Und das Wäldchen da zum Spazieren bequem.

13.

Oder, er hatte über gewisse gelehrte Sachen

Mit Herrn Doctor Hieronimus etwas zu sprachen;

Oder er brachte ein Häschen oder Rebhühnlein,

Das er geschossen, in die Küche hinein;

14.

Oder er pflegte ins Pfarrhaus zu eilen,

Angenehme Neuigkeiten dort zu ertheilen;

Oder er kam, und es war noch zu früh,

Zum sonntäglichen Gottesdienst hie;

15.

Oder er hatte Aufträge und Freundschaftspflichten

Von seinen Eltern an Herrn Jobs zu entrichten;

Oder er erkundigte sich auch wol blos,

Ob nichts zu bestellen sei fürs Schloß.

16.

Die Ohnwitzer haben mit Verwunderung gesehen

Ihn so ofte ins Pfarrhaus hinein gehen;

Denn es begab sich, daß er Gelegenheit nahm

Und täglich wol zwei- bis dreimal kam.

17.

Kurzum, auch im häuslichen Geschicke

Lächelte dem Herrn Pfarrer Jobs das Glücke,

Besser als manchem Prinzen und Rex,

Oder in neuerer Zeit einem Pontifex.

Sechstes Kapitel.
Wie Herr Jobs auch sein Hauskreuz hatte, ob er gleich keine Frau hatte und von seiner Schwester Krankheit.

1.

Indessen das Erdenglück hat hinten und vornen

Doch immer etwas von Stacheln und Dornen,

Und nach diesem Sprüchwort ging es auch so

Dem Doctor und Pfarrer Hieronimo.

2.

Seine Haushälterin die geliebte Schwester,

Das sonst muntre Mädchen, die gute Esther,

Nahm, dies bemerke er schon einige Zeit,

Augenscheinlich ab an Lebhaftigkeit.

3.

Zwar versah sie ziemlich alle Geschäfte,

Es fehlten ihr auch eigentlich dazu keine Kräfte,

Und sie befolgte treulich spät und früh

Die beste Aufsicht in der Oeconomie.

4.

Allein sie schien oft in Gedanken zerstreuet,

Ward durch gewöhnliche Sachen nicht erfreuet,

Und man sah, daß sie nicht so gar flink,

Wie vormals, in allem zu Werke ging.

5.

Auch Seufzer, sowol publice als im Stillen,

Entstiegen oft der Brust ohne ihren Willen,

Wenn sie bei ihrem Spinnrädchen saß,

Oder gar indem sie trank oder aß.

6.

Ja man sah nicht selten auf ihrem Backenpärchen

Hangen einige perlfarbene Zährchen,

Und ihre klaren blauen Aeugelein

Waren oft roth, naß und unrein.

7.

Auch hörte man einigemal in ihrer Schlafkammer

Des Nachts ein heimliches Stöhnen und Gejammer,

Und dennoch sagte oder klagte sie

Ihr dringendes heimliches Anliegen nie.

8.

Auch die frische Farbe ihrer runden Wangen

Ist nach und nach verloren und vergangen;

Vormals war sie schön rosenroth,

Und nun ward sie schier blaß wie der Tod.

9.

Ehmals war sie immer bei gutem App’tite,

Dies setzte bei ihr natürlich gesundes Geblüte;

Aber nun war App’tit, Durst, froher Sinn,

Nächtliche Ruhe et caetera dahin.

10.

Auch hatte sie zuweilen mit Nervenkrämpfen

Und kleinen Anfällen von Ohnmachten zu kämpfen,

Und die allergeringste Kleinigkeit

Erregte Vapeurs und Uebelkeit.

11.

Sie suchte sich allen Vergnügungen und Compagnien,

So oft es der Wohlstand nur litte, zu entziehen,

Und ihre beste Unterhaltung blieb,

Wenn sie einsam etwa was las oder schrieb.

12.

Dies alles merkte, wie gesagt, Herr Jobs lange,

Drum ward er ob ihres Zustandes sehr bange,

Und dachte, sie laborire an der Atrophie,

Und Freund Hein kriegte in seine Klauen bald sie.

13.

Um ihre Krankheit zu erklären und zu curiren,

That er oft studirte Leute consuliren,

Und mancher berühmter Aesculap

Gab drüber seine Meinung und Recepte ab.

14.

Der eine suchte den Quell des Uebels im Magen,

Und gab Vomitive, ihn draus zu verjagen,

Aber es begab sich, daß’s mit dem Vomitiv

Immer schädlich für die Patientin ablief.

15.

Andre riethen auf vorhandene Würmen

Und suchten sie mit Wurmmitteln zu bestürmen;

Einer wagte sogar einen schrecklichen Landsturm

Auf einen vermeinten langen Bandwurm.

16.

Andre suchten das vorhand’ne Uebel zu stillen

Mit Aloe, Galbanum, Stahl und Polychrestpillen;

Denn sie leiteten die ganze Krankheit perfect

Aus einem gewissen weiblichen Defect.

17.

Andre suchten sie mit starken Purganzen

Wegen vermeinter Verschleimung zu curanzen;

Andre curirten gradezu auf Schwindsucht nur

Und riethen Isländisches Moos und Milchcur.

18.

Andre meist alte practische Polipheme

Suchten der Krankheit Sitz im Nervensysteme,

Und nach reiflicher Erwägung riethen sie an

Moschus, Teufelsdreck, Bibergeil und Baldrian.

19.

Andre versicherten dem Herrn Jobs aufrichtig,

Jedoch sub rosa, sie würde wassersüchtig,

Und sagten, seiner Schwester Krankheit sei

Wiß und wahrhaftig eine Kachexei.

20.

Aber alle ihre häufig verschrieb’ne Arzneien

Wollten nicht bei ihr anschlagen noch gedeihen,

Und sie ward nach dem Gebrauch vielmehr

Täglich schlimmer und kränklicher.

21.

Einige alte ehrbare sachkundige Dorffrauen

Sagten sich eine der andern im Vertrauen,

Die Krankheit der Mamsell Esther wäre nur klein,

Und hätte Leben, Kopf, Hals, Arm und Bein.

22.

Aber wir werden’s künftig finden und sehen,

Daß dem guten Mädchen drin zu viel geschehen,

Denn die Folge bewies es genung,

Daß jene Sage nur sei Verleumdung.

23.

Dem Pfarrer Jobs däuchte es unerhörbar,

Daß seiner Schwester Krankheit so verschieden erklärbar

Bei den Kennern der Arzneikunst sei,

Und dachte heimlich das Seine dabei.

24.

Er hielt es darum für klug und vernünftig,

Daß sie gar keine Arznei mehr brauche künftig,

Und daß man sie fortan in Gottes Namen nur

Blos überließ ihrer eigenen Natur.

25.

Und das war ihm dann auch gewiß gerathen;

Denn unter den Händen der Herrn Hippokraten

Wäre sie bei dem gesundesten Blut

Doch endlich unfehlbar gemachet caput.

26.

Er suchte aber sie möglichst aufzuheitern,

Und damit sich das Uebel nicht möchte erweitern,

Rieth er, als ein vernünftiger Mann,

Spazieren und angenehmen Umgang ihr an.

Siebentes Kapitel.
Wie auch der junge Herr von Ohnwitz krank ward, und wie ihm keine medizinische Fakultät helfen konnte, wie dieses wol oft in Krankheiten der Fall sein thut.

1.

Sonderbar ist’s zu vernehmen und zu hören,

Daß auch bei dem jungen adligen Herren

Von Ohnwitz, jedoch mutatis mutandis,

Sich eine ähnliche Krankheit anwies.

2.

Er war sonst ein herzlieber edler Junge,

Hatte großen Verstand und ’ne geläufige Zunge,

Und ein gar vornehmes adliges Ansehn,

Und war von Angesicht bräunlicht und schön.

3.

Auch hatte der junge Herr, Ihro Gnaden,

Ziemlich runde Wangen und passable Waden,

Und übte mit seinen Muskeln voll Kraft

Immer eine gute Ritterschaft.

4.

Ich will hier zur Ergötzung und zum Vergnügen

Sein Porträt einsweilen beifügen;

Es gleicht ihm zwar nicht, doch stelle ich’s her,

Man muß sich nur vorstellen, als wenn er es wär’.

5.

Aber, wie gesagt, seit einigen Zeiten

War auch er geplagt mit Uebelkeiten,

So daß er weder app’titlich trank noch aß,

Und dabei verginge wie Laub und Gras.

6.

Er schlich traurig oft weg ins Geheime,

Hatte Nachts allerlei beschwerliche Träume,

Und weder sein Lakei noch Reitknecht

Konnten ihm je etwas machen recht.

7.

Weder Musik, Spiel oder Studiren,

Konnten ihn aufmuntern oder amüsiren,

Denn, gleich dem ärgsten Hypochondricus,

Hatte er an allem und jedem Verdruß.

8.

Er verfiel dabei augenscheinlich,

Sein Embonpoint wurde mehr und mehr kleinlich,

Das machte dann viel Sorge beim Herrn Papa,

Und noch mehr dito bei der Frau Mama.

9.

Manche Arztfacultät ward zu Rath gezogen,

Da hat man den Zustand collegialisch erwogen,

Aber in methodo medendi war

Einer dem andern directe contrar.

10.

Der eine focht mit medicin’schen Sophismen,

Der andre mit Hippokratis Aphorismen,

Ein andrer berief sich mit guter Art

Auf langjährige Praxis und grauen Bart.

11.

Der eine verschrieb Pulver und Mixturen,

Der andre Latwergen und Tincturen,

Der eine rieth zum Purgiren und Schweiß,

Der andre zu einer Brunnenreis’.

12.

Doch nach langem Fechten und Disputiren

Und pro et contra Deliberiren,

Kam man, nach geendigtem gelehrten Zank,

Drin überein: der junge Herr sei krank.

13.

Aber ob diesem Lärm, Disputiren und Zanken,

Hätte Patient schier mögen erkranken.

Drum that derselbe weislich und klug,

Daß er alles Einnehmen rund abschlug.

14.

Er nahm indeß täglich an Munterkeit abe,

Schien fast zu stehn mit einem Fuß im Grabe,

Obgleich weder an Lunge noch sonst innerlich

Eigentlich befande kein Fehler sich.

15.

Es schien doch, als könn’ er seine melanchol’schen Grillen

Am besten damit wegjagen und stillen,

Wenn er ein bischen spazierte aus

Nach dem Ohnewitzer Pfarrerhaus.

16.

Sintemal nun für junge, kränkliche Naturen

Die Heirathen oft sind die zuträglichsten Curen,

So fielen auch seine gnäd’gen Eltern für ihn

Auf diese besondre Art von Medicin.

17.

Es waren aber im District von rund um einigen Meilen

Viele mannbare sehr artige Freiinnen und Fräulen,

Welche wol eine schier baldige Heirath

Gleichfalls gehalten hätten für ’ne Wohlthat.

18.

Ihm ward also von den Eltern dringend empfohlen,

Sich ein Fräulein daher bald heimzuholen,

Und sie gaben ihm gerne im voraus, wenn’s

Nur ritterbürtig sei, ihren Consens.

19.

Denn sie hielten große Stücke auf ihren Adel,

Der war auch bisher blieben ohne Tadel,

Und von allem unsaubern bürgerlichen Blut

Noch unvermischt und durchaus kerngut.

20.

Alles andre hielten sie für Kleinigkeiten,

Welche bei Convenienz-Ehen nichts bedeuten;

Es war ihnen sogar durchaus einerlei,

Ob die künftige Schwiegertochter reich oder arm sei.

Achtes Kapitel.
Wie man den jungen Herrn, um ihn zu curiren, mit der Fräulein Judith verheiraten will, und wie er diese Medicin nicht nehmen will.

1.

Es wohnte aber an der Ohnewitzer Grenze

Eine freiherrliche Wittwenexcellenze

Auf einer alten, ehmals festen Burg,

Welche jetzt verfallen war durch und durch.

2.

Ihre Ahnenzahl war längst übervollwichtig,

Und der Stammbaum bis zur Wurzel ächt und richtig:

Aber (nichts ist ja vollkommen in der Welt)

Es fehlte ihr am Besten: an Geld.

3.

Sie hatte deswegen nicht viel zu verzehren,

Aber erzog doch in allen Züchten und Ehren

Eine einzige Fräulein Tochter zart,

Sehr reizend und von englischer Gemüthsart.

4.

Sie war eine ächte Perle des Landes,

Sehr geehrt wegen ihrer Schönheit und ihres Verstandes,

Und mancher Cavalier hatte wol Appetit

Zu der angebeteten Fräulein Judith.

5.

Aber weil diese sonst nicht verwerfliche Sachen

Doch das Wesentlichste bei der Heirath nicht ausmachen,

So hatte auch eigentlich keiner dafür Sinn,

Sie zu wählen zu einer Gemahlin.

6.

Sie fuhr oft, in Ermang’lung ’ner ordentlichen Kutsche,

Nach Ohnwitz mit ihrer Mutter in ’ner schlechten Birutsche,

Weil sie daselbst sehr dick und groß stand,

War auch von Noah her noch etwas verwandt.

7.

(Denn ich bemerke solches nur beiläufig,

Die Ohnwitzer Vons befanden sich sehr häufig

Unter dem Adel überall hier und da

Zerstreuet im Lande Germania.)

8.

Sie weilten daselbst gemeinlich viele Tage,

Vergaßen pro tempore ihre sonst dürftige Lage,

Aßen und tranken allda wohlgemuth

Und befanden sich auch im übrigen gut.

9.

Ihre sämmtlichen mitgenommenen Domestiken

Konnten sich gleichfalls daselbst mal erquicken;

Es war zwar ihrer keine große Schaar,

Sondern in toto nur ein einziges Paar.

10.

Nämlich: Johann, Jäger und zugleich Kutscher,

Gärtner, Kellermeister und Schuhputscher,

Geheimer Kammerdiener, Lakei, Friseur,

Und bei Ihro Excellenz sonst noch allerlei mehr.

11.

Nebst dem das 46jährige Käthchen,

Sie war Köchin und zugleich Kammermädchen,

Flickte die Strümpfe und kehrte die Flur,

War Viehmagd und zugleich Dame d’atour.

12.

Sogar das Pferdegespann, zwei magere Gerippe,

Wieherte froh zu Ohnewitz an der Krippe,

Denn sie aßen da, vom vielen Fasten matt,

Im Marstall in Hafer und Häcksel sich satt.

13.

Auch der Fräulen Judith Schooßhund, ein schmächtiger Pudel,

Aße sich da bald rund wie eine Nudel,

Bekam Suppe, Braten und fettes Butterbrod,

Und vergaß alle seine vorige Noth.

14.

Der junge Herr sahe von Kindesbeinen

An gern die Judith zu Ohnwitz erscheinen,

Und auch sie spielte und tändelte schon

Als Kind gerne mit dem jungen Baron

15.

Auch in ihren Jünglings- und Mädchenjahren

Thaten sie noch gern sich zusammen paaren,

Ja man sahe auch später ex post

Auf der alten Liebe noch keinen Rost.

16.

Indeß seit Herr Jobs die Pfarre bekommen,

Hat sich der junge Herr ganz curios benommen;

Denn er zog sich mit guter Manier,

Unvermerkt, nach und nach zurücke von ihr.

17.

Papa und Mama hätten allenfalls gern gesehen

Eine Mariage zwischen beiden entstehen;

Denn sie liebten, wie gesagt, die Fräulen Judith

Wegen ihrer Artigkeit und dem guten Gemüth.

18.

Allein der junge Herr wollte davon nichts hören,

Suchte überhaupt alle Vermählung abzukehren

Ob er gleich an und für sich eben zwar

Kein Feind des schönen Geschlechtes war.

19.

Den Schlüssel zu allen diesen Curiositäten

Und zu der Brunnquelle der Leibesnöthen

Des jungen Herrn und der Mamsell Esther

Zeigt das folgende Kapitel näher.

Neuntes Kapitel.
Wie eine Liebschaft sich angesponnen hat zwischen dem jungen Herrn und der Jungfer Esther.

1.

Wir müssen jetzt auf einige Augenblicke

In der Geschichte wieder ein wenig zurücke,

Und fangen nachher aufs neue dann,

Wo wir eben aufhörten, wieder an.

2.

Möchte wol wagen eine ansehnliche Wette,

Daß mancher es längst schon gemerket hätte,

Oder es wenigstens doch jetzo begreift,

Daß das Ding auf ’ne Liebesgeschichte ausläuft.

3.

Schon habe ich wohlbedächtlich im zweiten

Theile, Kapitel 33, suchen vorzubereiten

Den geneigten Leser auf den Roman,

Der sich mit dem jungen Herrn und Esther anspann.

4.

Nun wollen wir, um methodisch zu gehen,

Stück vor Stück ordentlich besehen,

Wie alles vom ersten Anfang

Nahm den gewöhnlichen Romangang.

5.

Schon auf der Akademie hatte der Baron viele

Dunkele angenehme Vorgefühle

Für Esther, und gab dem Hieronimus,

Wenn er nach Haus schrieb, an ihr ’nen Gruß.

6.

Denn mit Bücherschreiben und Verlieben

Wird manches seltne Abenteuer getrieben;

Beides kostet heuer wenig Müh’,

Und man kommt dazu und weiß nicht wie?

7.

Und weil Hieronimus seine Schwester sehr schätzte,

Und an ihrem Andenken sich sehr ergötzte,

So sprach er von ihr dem Baron oft vor,

Und das hob sein Gefühl noch mehr empor.

8.

Als sie nachher selbst nach Ohnwitz gekommen,

Hat seine Liebe mehr überhand genommen,

Und flammte und brannte lichterloh,

Aerger als Flachs und lichtes Stroh.

9.

Denn sie hatte ein Gesichtchen wie ein Engel,

Eine Taille schlank wie ein Rohrstengel,

Rabenschwarzes Haar, einen schönen Mund,

Und Wangen et caetera zart und rund.

10.

Er mußte es sofort bei sich gestehen,

Daß er so ein Mädchen noch nie gesehen,

Und durch ihren himmlischen Verstand

Ward er vollends noch ärger verbrannt.

11.

Er hielte zwar lange seine verliebte Grillen

Für sich allein, incognito und im Stillen,

Und wagte es durch Liebeserklärung nicht,

Von sich zu wälzen das schwere Gewicht.

12.

Auch Esther, als sie zuerst den Baron sahe,

Wußte nicht recht, wie und was ihr geschahe;

Denn ein unbekanntes Etwas innerlich

Bemächtigte ihrer gewaltsam sich.

13.

Sie hatte noch nie eigentlich geliebet,

War auch in Romanenlectüre nicht geübet,

Sonst hätte sie es wol gleich gewußt,

Was da so wurmte in ihrer Brust.

14.

Nach und nach entwickelten sich ihre Triebe,

Wuchsen, und sie merkte, es sei die Liebe,

Und sie gestand sich, sie hätte nie gesehn

Einen jungen Herrn so artig und schön.

15.

Aber sie suchte die Gefühle zu bestreiten,

Und die aufwachsende Liebe auszureuten;

Jedoch sahe sie immer den jungen Herrn,

Wenn er zu ihnen ins Pfarrhaus kam, gern.

16.

Und oft, wenn sie ihn in der Nähe erblicket,

Ward ein aufsteigender Seufzer in ihr zerdrücket,

Und es ging hervor aus ihres Herzensschrein

Manchmal ein gewagtes Wünschlein klein.

17.

Allein sie war bemüht in kältern Augenblicken,

Alle diese Wünsche in der Geburt zu ersticken;

Denn als ’ne vernünft’ge Person gedachte sie:

Die Wünsche würden doch realisiret nie.

18.

Freilich für ’nen Herrn solch hohen Standes,

Einz’gen Sohn des reichsten Cavaliers des Landes,

War sie zur Abkühlung für’s adlige Blut,

Nur höchstens allenfalls als Maitresse gut.

19.

Aber sie ware seit ihrer frühen Jugend

Eine Bewahrerin unverdorbener Tugend,

Und hätte so was selbst keinem Königssohn

Für jährlich Lohn von tausend Ducaten gethon.

20.

Auch der junge Herr konnte sich nicht bequemen,

Die Sache auf einem solchen Fuße zu nehmen;

Denn er hielte es für eine große Sünd’,

Zu verführen andrer Leute Kind.

21.

Auch hätte er alles in der Welt lieber

Gesehen gehen darunter und darüber,

Als seinem lieben Freunde Hieronimus

Zu machen einen so bittern Verdruß.

22.

Er wußte aber mit vollkommenster Ueberzeugung

Seiner freiherrlichen Eltern Ekel und Abneigung

Gegen jede Beschmutzung des Stands

Durch eine niedrige Mesalliance.

23.

Saße folglich mit seinen zärtlichen Gefühlen

Gleichsam geklemmt zwischen zweien Stühlen,

Und so ginge er lange und trug sich stumm

An seiner Liebe fast lahm und krumm.

24.

Was sonst hinc inde noch passiret,

Wird in jedem Romanbuche recitiret,

Darauf beziehe ich mich, weil jedermann

Es umständlich und genau da lesen kann.

Zehntes Kapitel.
Wie die Liebschaft weiter gehen und zu einer förmlichen Liebeserklärung kommen thut.

1.

Indessen konnt’ es nicht immer so sein und bleiben,

Amor mußte das Spiel weiterhin treiben,

Und so kam’s binnen einem Vierteljahr

Zu einer Liebeserklärung baar.

2.

In welcher Form dergleichen Erklärungen geschehen,

Kann man in Romanbüchern gleichfalls nachsehen;

Denn sie besonders zu beschreiben hier,

Verdürbe nur die Zeit und ’s Papier.

3.

Daß der Baron am ersten sich erkläret,

Sich Esther aber anfangs sehr gewehret,

Und alles geschah mit herzbrechendem Weh,

Versteht sich von selbst als latus per se.

4.

Den Zeitpunkt, in welchem er’s erst gewaget,

Und ihr sein Herzensanliegen geklaget,

Weiß ich nicht genau, doch mein’ ich, es sei

Ohngefähr gewesen anfangs Mai.

5.

Denn in diesem wonniglichen Monate

Geschehen Liebesanträge früh und spate,

Theils an Toiletten, theils in Büschen, theils im Stall,

Von jungen Herrn bis zu Kater und Nachtigall.

6.

Esther hörte zwar mit vielem Entzücken

Den schönen Baron so zärtlich sich ausdrücken,

Und wurde innerlich so tief gerührt,

Als hätte sie Mesmer magnetisirt.

7.

Aber sie führte ihm vorab zu Gemüthe,

Daß ihr bürgerliches und sein adliges Geblüte

Zu einem ernsthaften Liebesverein

Sich so wenig fügten, wie Wasser zu Wein.

8.

Und sie gegen jede andre Art der Verbindung

Und unerlaubte Leidenschaft und Empfindung,

Bei aller sonstigen Seelenharmonie,

Hätte eine ewige Antipathie.

9.

Um sich also der Liebe zu entschlagen,

Suchte sie allerlei Vernunftgründe vorzutragen,

Jedoch mittlerweile sie also sprach,

Floß aus ihren Aeuglein ein Thränenbach.

10.

Sie hatte noch allerhand gewöhnliche Ausflüchte,

Theils von größerm, theils geringerm Gewichte,

Fügte auch manches von der Untreu

Und dem Wankelmuthe des männlichen Geschlechts bei.

11.

Er aber versicherte hoch und theuer:

Er sei kein Lügner oder Alltagsfreier,

Und noch vielweniger wolle er

Ueber ihre jungfräuliche Unschuld her.

12.

Schwor gar, daß die Bäume hätten mögen krachen:

Bei Cav’lierparol’ und derlei zuverlässigen Sachen,

Er würde seine heftige Liebe und Sie,

So lange er athmete, quittiren nie.

13.

Redete auch von Verzweiflung, Degen und Pistolen,

Von Halsbrechen, ja gar von Teufelholen

Und andern Dingen, welche rührend schön

In Werthers Leiden beschrieben stehn.

14.

Von diesen so fürchterlichen Schwüren

Ließ sich Esther endelich rühren;

Denn sie dachte, sie möcht’ den verliebten Baron

Sonst wirklich bringen zur Desparation.

Eilftes Kapitel.
Wie aus obgedachter Liebschaft endelich gar ein Siegwartsfieber entstehet.

1.

Die Liebe des Barons und der Mamsell Esther

Wurde nun tagtäglich stärker und fester,

Nachdem man auf der schlüpfrigen Liebesbahn

Den ersten und schweresten Schritt gethan.

2.

Schon gleich auf die wechselseitigen Entschlüsse,

Sich ewig zu lieben, folgten einige Küsse,

So wie nach dem gemeinen Sprüchwort auf A B,

Wie schon die Kinder wissen, folgt das C D.

3.

Man hat alle Gelegenheit wahrgenommen,

Oft bei einander und zusammen zu kommen,

Und der junge Herr hatte fortan nun

Immer was im Pfarrhaus zu thun.

4.

Es traf sich bei seinen Besuchen auf der Pfarre,

Daß Herr Jobs meistens nicht zu Hause ware,

Oder daß er auf seiner Studierstube saß,

Und für sich andächtig studirte oder las.

5.

Aber der artige, liebe, junge Herre

Bat ausdrücklich, daß man ihn ja nicht störe,

Viel weniger daß er es übel nahm,

Wenn Herr Jobs nicht ’runter zu ihm kam.

6.

Denn die eigentlichen importanten Sachen,

Welche er im Pfarrhause hatte auszumachen,

Gehörten wenigstens das meiste mal

In des Gott Amors Cameral.

7.

Auch Jungfer Esther hat fast alle Wochen

Mehrmals ins herrschaftliche Schloß eingesprochen,

Wenn etwa ein Geschäft sie dazu veranließ,

Und hatte sie kein Geschäft, so machte sie’s.

8.

Man conferire über diesen besondern Titel

Die Verse 9 bis 16 im fünften Kapitel,

Woselbst ich schon lang und breit beschrieb,

Wie der Baron seine Besuche betrieb.

9.

Um ja im Liebeswandel nichts zu versäumen,

Thaten sie gar des Nachts von einander träumen,

Und da wurde dann, was des Tages passirt,

Des Nachts weitläufiger ausgeführt.

10.

Er, um seiner noch besser zu gedenken,

Ueberreichte ihr manche schöne Geschenken,

Zum Beispiel: einen herrlichen Brillantring,

Und viele andre Galanterie-Ding’.

11.

Weil es ihr aber an Golde und Juwelen

Vielleicht dermalen mochte fehlen,

So flochte sie ihm dafür fein und rar

Einen Ring von ihrem eignen Haar.

12.

Er gab ihr auch eingefaßt im goldnen Rahmen

Sein Portrait, nebst dem Zug von seinem Namen,

Nahm dagegen beim Lichte an der Wand

Ihre Silhouette mit eigner hoher Hand.

13.

Viele Liebende müssen sich bequemen,

Mit solchen Kleinigkeiten vorlieb zu nehmen,

Denn eine Copie ist doch allenfalls

Ein Behelf in Ermanglung des Originals.

14.

(Apropos! ich will einmal probiren,

Drüber ein bischen zu physiognomisiren,

Denn in diesem tiefsinnigen Studium

Bin ich so wenig als Herr Lavater dumm.)

15.

„Man sieht in dem etwas zurückstehenden Hute

Gar deutliche Züge vom Edelmuthe,

Und es zeugt die gerundete große Stirn

Vom drinliegenden guten Gehirn.

16.

Die etwas hervorstehenden Augbraunen

Beweisen ein Mädchen von muntern Launen,

Und das Näschen, etwas mehr stumpf als spitz,

Zeigt eine künftige Frau von Ohnewitz.

17.

Das hier kaum bemerkbare Backengrübchen

Beweiset ein immer freundliches Liebchen,

Und der ein wenig geöffnete Mund

Machet süße Gesprächigkeit kund.

18.

Die ein wenig hängende Unterlippe

Zeigt an, daß sie sei keine Xantippe,

Sondern daß etwas Hang zur Schwärmerei

In ihrem sanften Temperamente sei.

19.

Die nette Ründung und das Pünktchen am Kinne

Deutet auf etwaigen Hang zur Minne,

Und die ziemliche Stärke des Hinterkopfs

Zeiget deutlich an eine noch Jungfer Jobs.

20.

Das hangende Haar auf Nacken und Rücken

Scheint ein je ne sais quoi auszudrücken,

Und des Halses und der Brust Contour

Deutet auf eine gute Natur.“

21.

Der Baron machte also, wie leicht zu ermessen,

In seiner Liebe erstaunliche Progressen,

Verfertigte auch manches Schäfergedicht,

Wo beim Lesen einem das Herz schier bricht.

22.

Oft wandelten sie in einsamen Feldern,

Oder spazierten in schattigen Wäldern

Hand in Hand und Arm in Arm,

Und wurden inner- und äußerlich warm.

23.

Auch an sanft rieselnden Silberbächen

Pflegten sie über ihre Liebe sich zu besprechen,

Und, siehe da, ihr zärtlichs Gespräch ergoß

Sich so sanft und glatt, wie der Bach floß.

24.

Oder sie sanken aufs weiche Moos nieder,

Hörten des Hänflings und andrer Vögel Lieder,

Und ahmten ihnen in der zärtlichen Klag’,

So viel als es nur menschmöglich war, nach.

25.

Am zärtlichsten waren ihre Wechselgefühle

Auf den Wanderschaften in der Abendkühle,

Bei dem melodisch rührenden Schall

Der Philomel’, sonst genannt Nachtigall.

26.

Sie saßen auch in mancher Abendstunde

Unterm blauen Himmel mit offnem Munde,

Tranken des Mondes Silberschein

Und das Flimmern der lieben Sternelein[1].

27.

Oder sie saßen und liebelten in der Laube,

Wie ein trauter Tauber und eine zärtliche Taube,

Und dann schmolzen ihre Herzen stracks

In einander wie Unschlitt und Wachs.

28.

Oder sie weilten in der abgelegnen Grotte,

Spielten daselbst fast den Werther und die Lotte,

Und hantierten und koseten so süß,

Wie vielleicht Adam und Eva im Paradies.

29.

Kurz, das Liebesleben ging je länger je lieber,

Ward endlich ein ordentliches Siegwartsfieber,

Denn diese gar närrische Krankheit

Grassirte ohnedem damals weit und breit.

30.

Oft traf der Baron sein Mädchen bei der Toilette,

Einmal überraschte er sie gar im Bette,

Jedoch bei aller dieser verdächtigen Liebschaft

Behielte Esther ihre Jungferschaft.

31.

Ueberhaupt versichere ich’s hoch und theuer:

So groß auch ware ihrer Liebe Feuer,

So ward doch dadurch in der Tugendpflicht

Kein unglücklicher Brand angericht’t.

32.

Bei allem dem war die Aussicht ihrer Liebe

Im ganzen genommen sehr neblig und trübe,

Denn man kam mit allem diesen Spiel

Doch nicht zum reellen Zweck und Ziel.

33.

Denn Hieronimus konnte dies Bündniß nicht billigen,

Die gnädigen Eltern noch weniger einwilligen,

Es blieb also blos bei den Präliminarien,

Ohne im Hauptartikel weiter zu gehn.

34.

Da kann man nun leicht bei sich gedenken,

Wie sehr das den guten Kindern mußte kränken,

Und wie allgemach ein heimlicher Gram

Bei dem einen und der andern überhand nahm.

35.

Der arme junge Herr, wie weiland Werther,

Besuchte einsame melancholische Oerter,

Und die noch ärmere Esther weinte baß

In der Einsamkeit ihre Aeugelein naß.

36.

Indessen war nichts übrig, als sich zu fassen

Und das Ende dem Schicksale zu überlassen,

Und man kam darinnen überein,

Sich auf künft’ge bessere Zeiten zu freun.

37.

So kann man nun hier das Räthsel lösen,

Was die Kapitel 6 und 7 beschrieb’ne Krankheit gewesen,

Von der kein studirter Arzt den Grund fund,

Und noch weniger sie curiren kunnt.

[1]  Man sehe das Titelkupfer zum dritten Theile.

Zwölftes Kapitel.
Wie die Buhlschaft ganz incognito getrieben ward, ohne daß wenigstens der Herr Pfarrer Jobs etwas davon merken kunnt.

1.

Es geht den Liebhabern wie den Gaudieben,

Beide pflegen ihr Gewerb im Geheimen zu üben;

Und nach dieser wohlhergebrachten Manier

Verfuhren auch unsre Liebenden hier.

2.

Herr Hieronimus hat in einigen Jahren

Vom ganzen Handel nicht ’s mindeste erfahren;

Denn, nach dem Sprüchwort, gewöhnlich sind

Die Menschen in den nächsten Sachen blind.

3.

Aber Esthers Mutter war pfiffiger und schlauer,

Und sie merkte es endlich und auf die Dauer,

Daß ein verliebtes Geschäfte vorging;

Denn sie kannt’ noch aus alter Erfahrung das Ding.

4.

Sie ließ, ohne die Sache selbst zu verstärken,

Sich doch gegen andre davon nichts merken;

Denn sie übertraf an Verschwiegenheit

Alle andre Frauen, alt und jung, weit.

5.

Auch im Dorf war schon lange ein Gerüchte

Von des Barons und der Esther Liebesgeschichte,

Und es hatte sogar fast jedes Kind

Von den geheimen Händeln Wind.

6.

Selbst die alte Herrschaft merkte diese Händel,

Und aus manchem verstohlnen Getändel,

Was ihr Herr Sohn mit Esther gemacht,

Schöpften sie allgemach Verdacht.

7.

Zwar hielten diese ihre verliebten Blicke

In Gegenwart der Schloßherrschaft möglichst zurücke,

Und ratione ihres Betragens und Gesichts

Hätt’ man sollen denken: mir nichts, dir nichts.

8.

Aber Verliebte können just in allen Fällen

Nicht andre täuschen und sich immer verstellen;

Das Ding währet höchstens eine Zeitlang,

Denn Naturtrieb gehet vor Zwang.

9.

Besonders erregten die Besuche und Gänge

Nach dem Pfarrhause, wegen ihrer Menge,

Aufmerksamkeit und gerechten Argwohn

Ueber Jungfer Esther und den jungen Baron.

10.

Aber daß es Ernst sei mit dieser Minne,

Stieg ihnen nie zu Gedanken oder zu Sinne,

Vielmehr glaubten beiderseits sie,

Es sei nur ’ne spaßhafte Galanterie.

11.

Der alte Herr wußte aus jüngern Zeiten,

Wie wenig dergleichen Buhlschaften bedeuten,

Denn er hatte selbst manchen temporellen Roman

Mit unadligen Mädchen gesponnen an.

12.

Und die gnädige Frau that mit allem Vertrauen

Auf die hochadlige Gesinnung ihres Sohnes bauen,

Der nie durch eine Mesalliance

Verdunkeln würde des Geschlechtes Glanz.

13.

Hatte übrigens einen baumstarken Glauben,

Der Herr Sohn würde Esthern ihr Kränzchen nicht rauben,

Sondern daß alles nur abgesehn sei

Auf eine platonische Löffelei.

14.

Man ließ also diese Liebesgeschichten,

Ohne den Herrn Jobs davon zu benachrichten,

Als ein Bagatell auf sich beruhn,

Wie wir dann vor der Hand auch thun.

Dreizehntes Kapitel.
Wie Herr Jobs die Liebenden in der Laube attrapiren that, zur Nacht und Unzeit.

1.

Phöbus hatte vollbracht auf gewöhnliche Weise

Um die Erde herum seine Tagereise,

Und die Postpferde schon abgeschirrt,

Und die Räder für morgen eingeschmiert.

2.

Verschlossen waren Kramläden und Buden,

Sowol bei beschnittenen als christlichen Juden,

Und im Dachstübchen im Hinterhaus

Blies ein Philosoph sein Thranlämpchen aus.

3.

Auf den Schneidertischen lagen pêle-mêle

Gestohlne Lappen, Scheere und Ehle,

Und müßig in des Schreiners Werkstätt’

Säge und Hobel auf halbfert’gem Brett.

4.

Vom Armenwächter bis zum Staatsminister,

Vom Erzbischof bis zum Hundeküster,

Vom Profoß bis zum General hinzu,

Hatte alles von der Amtspflicht Ruh.

5.

Gott Morpheus streuete Schlummerkörner,

Luna zeigte ihre glänzenden Hörner,

Und manchem abwesenden Ehemann

Ward ein Horn zu Hause zugethan.

6.

Ueberall herrschte feierliche Stille,

Nur hier und da zirpte eine Grille,

Oder ein wachsamer Kettenhund

Machte in ihrem Beruf gehende Diebe kund.

7.

In der unermeßlichen weiten Ferne

Schimmerten droben tausend freundliche Sterne,

Und das azurne Himmelblau

Ward durch kein Wölkchen noch Nebel grau.

8.

Auf des verflossenen Tages Schwüle

Folgte eine sanfte erquickende Kühle;

Ich erinnere mich, es war grade just

Um die Mitte des Monats August.

9.

Das Mondlicht fiel hell durch Ritzen und Fenster,

Manches Sonntagskind sah Phantome und Gespenster,

Die Eule flog auf die Fledermaus-Jagd,

Mit einem Wort: Es war Mitternacht.

10.

Wer gewohnt ist, seine Menschenpflichten

Des Tages durch gehörig zu verrichten,

Und dabei satt gegessen und getrunken hat,

Dem ist die Nacht eine wahre Wohlthat.

11.

Denn weder sein leerer Magen noch volles Gewissen

Plagt ihn mit Drücken und peinlichen Bissen,

Und nach ausgezogenem Pantoffeln oder Schuh

Kommt er im Bette sofort zur Ruh.

12.

Herr Hieronimus hat baß, als manche Großen,

In seinem Pfarrstande dies Glücke genossen,

Denn kein Hunger noch Gewissensgewicht

Drückte seinen Unterleib noch Kopf nicht.

13.

Jedoch hat es sich einsmalen zugetragen,

Daß er, vielleicht wegen überladenem Magen,

Die oben beschriebene Augustnacht

Etwas schlaflos hat zugebracht.

14.

Er entschloß sich sofort aufzustehen,

Und im Garten ein wenig spazieren zu gehen,

Um durch diese kleine Motion

Zu fördern den Schlaf und die Concoction.

15.

Er fand die Hinterthür seines Hauses offen,

Und ward davon zwar ein wenig betroffen,

Doch glaubte er, die Hausmagd habe dies

Vielleicht gethan gestern per abus.

16.

Er wandelte im Schlafrock mit langsamem Schritte

Ohngefähre bis zu des Gartens Mitte,

Wo unfern davon, linker Hand,

Sich eine kleine dichte Laube befand.

17.

Aber plötzlich ward sein Spazieren unterbrochen,

Denn es wurde in dieser Laube laut gesprochen,

Und es däuchte sogar, indem er horchte, ihm,

Es sei seiner Schwester Esther Stimm’.

18.

Er schlich näher, sehr langsam und leise,

Ohngefähr wie Katzen nach dem Gerispel der Mäuse,

Und hörte drauf im wohlbekannten Ton

Auch die Stimme vom jungen Herrn Baron.

19.

Er erstaunte natürlicher Weise darüber,

Ja sein Erstaunen ging in Erstarren gar über,

Als er fürder zur Laube kam,

Und den Inhalt des Gesprächs vernahm.

20.

Denn er hat da nun deutlich erfahren,

Daß man schon seit mehrern Jahren

Diese Laube hatte gewählet zu

’nem nächtlichen geheimen Rendezvous.

21.

Er hat sogar mit Schaudern vernommen,

Daß die Sache sehr weit mit beiden gekommen,

Und daß vielleicht eine Entführung gar,

Wie es schiene, auf’m Tapete war.

22.

Ohne vorerst weiter was anzufangen,

Ist er stille zurücke ins Haus gegangen,

Um zu überlegen bei kaltem Blut,

Wie das böse Ding sei zu machen gut.

23.

Wie lang das Rendezvous in der Laube gewähret,

Drüber bin ich so genau nicht belehret;

Es kann dieses, lieber Leser mein,

Dir und mir auch wol gleiche viel sein.

Vierzehntes Kapitel.
Wie Herr Hieronimus mit seiner Schwester ein Kapitel hält, ohne jedoch so niederträchtig zu schimpfen, wie mancher andere in seiner Stelle würde gethan haben und hier anfangs zu lesen ist.

1.

„Schämst du dich nicht, du liederliche Metze!

Du et cetra! du schmutzige Petze!

Ist denn all’ Ehre, Reputation und Respect

In deinem jungfräulichen Herzen verreckt?

2.

Pfui dich! ba! du garstige Esther!

Es verdreußt mich zu han eine solche Schwester,

Die wider alle Regeln der Moral

Treibet ein solch ärgerlich Scandal!

3.

Was wird nun ’s Publikum davon sagen,

Daß sich bei mir so ’n Aergerniß zugetragen?

Gibt es nicht für den Pfarrer zu Ohnewitz

Wegen seines Amtes Stank und Präjudiz?

4.

Ich soll, wird man nun sagen, als Paster

Bestrafen andrer Leute Fehler und Laster,

Und doch treibt’s in meinem eig’nen Haus

Meine Schwester so malhonett und kraus!

5.

Du hast doch die Kinderschuh schon verschlissen,

Müßtest längst weg sein über Tändeln und Küssen,

Und bist nach richtiger Rechnung bald

Sechsundzwanzig Jahr, oder gar was drüber, alt!

6.

Oder meinest du etwa, daß ich es glaube,

Daß ein Mädel mit ’nem Buhler allein in der Laube,

Besonders zur Nachtzeit, was Gutes üb’?

Es heißt ja: Gelegenheit machet Dieb’!

7.

Aber warte, ich will es schon verfügen,

Daß ihr sollt, ehe ihr’s vermuthet, kriegen,

Du sowol, als dein verliebter Hasenpfot,

Die hunderttausend Element Sakerlot!“

8.

So hätte vielleicht mancher in Zorn und Eifer

Seine Drohung, Gift, Galle und Geifer

Ueber das arme Mädchen ausgeschüt’t;

Aber das that Herr Pfarrer Hieronimus nit.

9.

Er hielt es zwar für’s erste nöthige Mittel

Mit seiner Schwester zu halten ein geheimes Kapitel,

Aber es geschah doch mit möglichstem Glimpf,

Ohne alle obige Drohung und Schimpf.

10.

Nämlich, Herr Jobs hatte vollbracht unter viel Sorgen

Den Rest der Nacht, und entbot gleich am Morgen

Die Schwester zu sich nach der Studierstub’,

Wo er das geheime Examen anhub.

11.

Sie vermuthete nur blos häusliche Aufträge,

Denn sie glaubte, ihr Bruder hätte durch keine Wege

Von ihrer Liebe zum jungen Baron

Die geringste Nachricht noch Suspicion.

12.

Sie erschien vor ihm etwas schüchtern,

Ihr Auge blickte noch ein wenig trübe und nüchtern,

Wegen der nächtlichen Assemblee,

Und sie war noch im Negligee.

13.

Herr Jobs wollte sie nicht zu sehr erschrecken,

Noch das erfahrne Abenteuer plötzlich aufdecken,

Denn er fürchtete vorerst davon

Eine gar zu heftige Alteration.

14.

Sprach erst überhaupt von ihrem Lebenswandel,

Kam allgemach näher zum Liebeshandel,

Ging aber so vorsichtig herum dabei,

Wie die Katze um einen heißen Brei.

15.

Vorab mußt’s ihm am meisten interessiren,

Sich ausdrücklich bei ihr zu informiren,

Ob bei verloffenen Händeln sie

Noch ächt seie im puncto puncti.

16.

Da versicherte sie nun unter vielen Thränen,

Mit unterbrochnem Schlucksen, Händeringen und Stöhnen,

Daß bei aller geschehenen Liebelei

Noch res integra in puncto puncti sei.

17.

Ich wette, jedes andre Mädchen hätte

Noch alles übrige geläugnet an ihrer Stätte,

Nach der wohlerfundenen prima regula

Juris: si fecisti, nega.

18.

Aber Esther hatte ein zu gutes Herze,

Das, gar bei gegenwärtiger Scham und Schmerze,

Doch haßte jeden Lug und Betrug,

Und für Wahrheit und Tugend schlug.

19.

Sie gestund, daß schon seit vier Jahr und sechs Wochen

Sich der Baron ehelich mit ihr versprochen,

Und daß sonst in allen Züchten und Treun

Gemeinet sei ihr geheimes Verein.

20.

Zwar kenne sie längst gar wol und wisse

Die große Schwierigkeit bei ihrem Bündnisse,

Doch habe der Baron und sie oft

Auf künft’gen guten Ausgang gehofft.

21.

Ihr Gewissen gebe ihr übrigens das Zeugniß,

Daß nichts Strafbares sei in diesem Ereigniß,

Und daß der Baron sowol als sie

Diese Liebe würden quittiren nie.

22.

Sie sagte auch noch manches Specielle

Ueber die hiebei vorgekommenen Fälle,

Kurz, sie that aufrichtig Confession

Ueber den ganzen Handel mit dem Baron.

23.

Während der Relation ihrer Geschichte

Stieg manche Röthe auf in ihrem Gesichte,

Und von ihren glühenden Wangen floß

Manche Thräne wie ’ne Haselnuß groß.

24.

Herr Jobs zeigte ihr mit vernünftigen Gründen,

Welche Obstacula vor ihrer Liebe stünden;

Obgleich er froh war, als er befand,

Daß die Sache selbst nicht noch ärger stand.

Funfzehntes Kapitel.
Wie Herr Jobs den jungen Herrn gleichfalls coram nimmt; item wie er Löschanstalten des Liebesbrandes macht, nach den Regeln einer guten Polizei.

1.

Als nachher der junge Herr gekommen,

Hat Herr Jobs ihn gleichfalls coram genommen,

Und erschöpfte seine ganze Redekunst,

Um zu löschen seine zärtliche Brunst.

2.

Er suchte ihn besonders zu belehren,

Daß, wenn er sie auch meinte in allen Ehren,

So könne doch seine Schwester nie

Für ihn sein eine schickliche Partie.

3.

Sintemal nach des Kirchenlehrers Ovids Spruche

Besser sei, daß Gleich und Gleiches sich suche,

Und im Gegenfalle manch Leid und Unheil

Entstehe für den einen oder andern Theil.

4.

Gesetzt auch, man könnte in den ersten Tagen

Sich gut mit einander begehen und betragen,

So wäre nach verfloss’ner Flitterwoch’

Immer der Henker los doch.

5.

Der junge Baron aber hatte dagegen

Viele exceptiones einzulegen

Und zeigte, daß hoch, gering, arm und reich

In der Liebe so wie in der Natur sei gleich.

6.

Bewies auch aus der Geschichte alter und neuer Häuser,

Daß nicht nur Edelleute, sondern auch Kön’ge und Kaiser

Aus niedrigem Stande sich eine Braut

Mit glücklichem Erfolge hätten angetraut.

7.

Bat auch und beschwor ihn, daß er von seiner Seite

Ihm kein Hinderniß in der Liebe bereite,

Sondern zur Erfüllung des Wunsches vielmehr,

So viel ihm möglich, behilflich wär’.

8.

Er versprach auch bei seinen gnädigen Eltern

Den Consens dereinst herauszukeltern.

Aber was that dann Herr Jobs? Je nu!

Er schüttelte vor wie nach den Kopf dazu.

9.

Und gleichwie man bei guten Polizeianstalten

Es überall also pfleget zu halten,

Daß bei einer heftigen Feuersbrunst,

Wenn sie nicht zu löschen ist durch Kunst,

10.

Man das benachbarte Gebäude einreiße

Und das brennende selbst zusammenschmeiße,

Und so der Flamme Ausbreitung stör’,

Damit der Brandschaden sich nicht vermehr’;

11.

So that auch Herr Jobs, als er befande,

Daß bei obgedachtem heftigen Liebesbrande

Durch die Brandspritze der Moral und Vernunft

Wenig Hilfe sei für die Zukunft.

12.

Denn er gab von nun an nächtlich und täglich

Auf seine Schwester Achtung, so viel ihm möglich,

So daß wenigstens der Laubenbesuch

Sich bei Nacht und Unzeit etwas verschlug.

13.

Aber ein verliebtes Mädchen zu bewachen,

Dazu gehören 50 Riesen und 20 Drachen

Und eine viermal ummauerte Burg,

Und wenn es will, so geht es doch durch.

14.

So knüpfte auch die Liebe den Baron und die Esther

Bei allen Hindernissen nur enger und fester;

Jedoch ward alles von Stunde an

In noch strengerm Geheime gethan.

Sechszehntes Kapitel.
Wie die alte Herrschaft zu Ohnwitz ihre silberne Hochzeit feiert mit allen Solennitäten.

1.

Wir wollen nun in den närrischen Liebessachen,

Auf ein Weilchen eine Pause machen,

Und einmal hinüber aufs Schloß gehn,

Denn da gibt’s was Neues zu besehn.

2.

Dort war ein Gewühl, Treiben und Rennen,

Als säh’ man irgendwo ein Gebäude brennen,

Und vom Kammerdiener bis zum Küchenjung’

War alles gestimmt zu Laufen und Sprung.

3.

Von der Kammerzofe bis zur Viehmagd befande

Sich alles geputzt im festlichen Gewande,

Und vom Schweinhirten bis zum Leiblakei

Prangte jeder in Sonntagslivrei.

4.

Alle Schornsteine des Schlosses schmauchten,

Mehr als hundert Kochtöpfe dampften und rauchten,

Und dreißig Braten, theils zahm, theils wild,

Wurden am Feuer gar und mild.

5.

Auch viel Flaschen stunden mit allerlei Weine

Aus Ungarn, Frankreich, Spanien und vom Rheine,

Theils leicht bestöpselt, theils verpitschirt,

In zierlicher Ordnung aufrangirt.

6.

Ein Chor früh versammelter Violinisten,

Flötisten, Hauboisten, Waldhornisten,

Saßen bei Schnaps und Notenmusik

Und machte im Vorhaus zur Probe ein Stück.

7.

Kurz, alle Anstalt schien zu prophezeien

Ein großes Triumphiren und Jubeleien;

Denn die gnädige Herrschaft feierte heut

Ihre sogenannte silberne Hochzeit.

8.

Es erschienen zu diesem herrlichen Feste

Frühzeitig viele eingeladene Gäste

Vom benachbarten Adel, zu Kutsch’ und zu Roß,

Auf dem freiherrlichen Ohnwitzer Schloß.

9.

Der ganze Vormittag ging schier zu Ende

Mit Scharrfüßmachen und Küssen der Hände,

Und Complimenten und Gratulation,

Nach dem gewöhnlichen vornehmen Ton.

10.

Mittlerweile ward auf dem gepflasterten Saale

Alles bereitet zum hohen Mittagsmahle,

Und der Hörner und Trompeten Schall

Gab zum Sitzen das frohe Signal.

11.

Es wurde da alles recht fürstlich gehalten,

Man aß herrlich und trank blos alten;

Herr Doctor Jobs, der vor allen mit aß,

Sprach’s Benedicite und Gratias.

12.

Auch konnten an einigen Nebentischen

Sich noch andere eingeladene Gäste erfrischen,

Sie waren alle nur von Bürgerart,

Saßen folglich, wie billig war, a part.

13.

Zum Exempel der Hausadvocate,

Welcher sein Glas fleißig leeren thate

Und nebst dem dicken Justitiar

Am ersten von allen berauschet war.

14.

Auch einige geistliche Freunde des Hauses,

Gleichfalls keine Verächter eines guten Schmauses,

Item der herrschaftliche Secretär

Und der gnädigen Frauen Leibaccoucheur.

15.

Alle leerten, als bekannte brave Zecher,

Fleißig ihre gefüllten großen Becher

Und tranken im hochedlen Rebensaft

Aufs hohe Wohl der gnädigen Herrschaft.

16.

Da hatten nun der gnädige Herr und gnädige Frau, beide,

Ihren tausend Spaß und übergroße Freude,

Denn ein jeder Betrunkner war

Auf seine eigne besondre Art ein Narr.

17.

Auch ein in der Nachbarschaft wohnender Poete

Hatte von dieser bevorstehenden Fête,

Durch die Posaune der Fama, Wind,

Und verfertigte drauf ein Carmen geschwind;

18.

Kam also, kurz vor der Mahlzeit, herbeischleichen,

That das Carmen mit tiefster Reverenz überreichen,

Und empfing höchst graziös davor

Ein Almosen von zwei blanken Louisd’or;

19.

Wurde dabei aus überschwenglichen Gnaden

Mit an die Nebentafel eingeladen,

Saß aber, wie man leicht denken kann,

Wegen seines kahlen Rockes, untenan.

20.

Man schenkt’ ihm oft ein und er ward trunken;

Dies erregte nun sehr seine poetischen Funken,

Und man transportirte mit guter Manier,

Weil er zu laut wurde, ihn vor die Thür.

21.

Der Rest des Tages verstrich unter Tanz und Springen

Und derlei zeitvertreiblichen schönen Dingen;

Abends war schöne Illumination,

Wobei man eine Tonne Oel verbronn.

Siebzehntes Kapitel.
Wie der junge Herr das Eisen schmieden will, weil es noch warm ist, und wie es ihm damit nicht nach Wunsch erging.

1.

Nach und nach verloren sich vom Balle

Gäste und Gästinnen, meist paarweise, alle

Stammelten ihren schuldigen Dank;

Die meisten waren berauschet und krank.

2.

Frau Hochzeiterin und Herr Hochzeiter

Waren heute außerordentlich heiter;

Doch zweifle ich sehr, ob’s ganz so war,

Wie heute vor fünfundzwanzig Jahr.

3.

Diese Stimmung schien in puncto und von wegen

Seiner Liebe dem jungen Baron sehr gelegen;

Denn er dachte, nach dem Sprüchwort sei’s gut

Das Eisen zu schmieden, wenn’s ist in Glut.

4.

Er schritt also, obgleich ängstlich und blöde,

Bei seinen Eltern zur nöthigen Vorrede,

Und bate sie außerordentlich sehr

Um ein geneigtes geheimes Gehör.

5.

Man ist drauf ins Apartement gegangen,

Und da hat der junge Herr den Text angefangen,

Und machte ihnen den schrecklichen Brand

Seines Herzens zu Mamsell Esther bekannt.

6.

Der alte Herr wurde höchst sehr frappiret,

Fast hätte ihn die Apoplexie gerühret,

Und die gnädige Frau von Ohnewitz

Fuhr zusammen, als träf’ sie der Blitz.

7.

Allgemach hat man sich ein wenig gesammelt,

Ihm etwas Zweideutiges als Trost zugestammelt;

Denn man merkte aus seiner Sprache wol,

Die Sache sei zu ernsthaft und toll.

8.

Er ist bald nach dem Schlafgemach geschieden;

Die Sache war zwar noch nicht nach Wunsch entschieden,

Aber sein Herz war doch ein Centner und mehr

Leichter, als es gewesen vorher.

9.

Aber seiner Eltern zärtlichen Herzen

Erregte diese neue Mär heftige Schmerzen;

Denn eine solche bürgerliche Heirath

War ihnen eine unverantwortliche That;

10.

Ihr Sohn hatte sich seit seinen Kindestagen

Immer gehorsam und vernünftig betragen,

Nun aber wollte er was fangen an,

Was kein Herr von Ohnwitz noch je gethan.

11.

Versalzen ware nunmehro bei beiden

Die Suppe ihrer heutigen großen Freuden,

Und der froh angefangne Hochzeitstag

Nahm ein End’ mit Schrecken und Ungemach.

12.

Aber so geht’s: auf einen hellen und frohen Morgen

Folgt oft ein Abend neblig und voll Sorgen,

Und wo ein Heil’genhaus ist, hat auf der Stell’

Nahe dabei der Schwarze eine Kapell’.

13.

Was weiter hinter der Gardine passiret

Und wie man über die Sache deliberiret,

Nämlich wie solche anzugreifen sei,

Weiß ich nicht, denn ich war nicht dabei.

Achtzehntes Kapitel.
Enthält allerlei Anstalten, pro und contra.

1.

Herr Jobs ward Tags drauf zu Rath gezogen,

Und da hat man alles vernünftig erwogen,

Und es folgte zuletzt der Schluß:

Weit davon sei gut für’n Schuß.

2.

Das heißt: aus Erfahrung hat man oft gelernet,

Daß, wenn man Stroh vom Feuer entfernet,

Nicht so leicht ein Unglück oder ein Brand

In Scheunen und Herzen nimmt überhand.

3.

Das Beste sei folglich, die Liebenden zu trennen,

Vielleicht würde es dann wol aufhören zu brennen;

Weil eine persönliche Abwesenheit

Oft tilget die Freundschaft und Zärtlichkeit.

4.

Der Baron sollte also nicht lange anstehen,

Italien, England und Frankreich zu besehen,

Mittlerweile würde er in seinem Gefühl

Für Mamsell Esther vielleicht kühl.

5.

Eine Signora, Lady oder Marquise,

Die das Ohngefähr ihm irgendwo anwiese,

Würde in Rom, London oder Pareis

Ihn dann vollends bringen ins rechte Geleis.

6.

Er hat deswegen von seinen lieben Alten

Den Befehl zur Reise vorläufig erhalten;

Es ist leicht zu denken, wie delicat

Ihm diese Ankündigung schmecken that.

7.

Aber um diese Pille zu vergulden,

Rieth man ihm, sich wegen Esthers zu gedulden,

Bis etwa zu seiner Zurückkunft Frist

Einst geschehen möchte, was Rechtens ist;

8.

Aller Umgang und ferners Caressiren

Müsse indessen zwischen ihnen cessiren.

Dieses versprach der Baron nun wol,

Doch eben nicht auf Cavaliersparol’.

9.

Drum hat er vor wie nach, vor der Abreise,

Auf verschiedene klug ersonnene Art und Weise,

Meist aber Abends und bei der Nacht

Bei Esther einige Augenblicke zugebracht.

10.

Das gab dann ein Gewimmer und Lamentiren,

Daß es einen Stein hätte mögen erbarmen und rühren;

Denn die Trennung ist ein sehr bitteres Kraut

Und verwundet der Liebenden Herz und Haut.

11.

Es ward auch zu beiderseitigem Erquicken

Verabredet, sich fleißig Brieflein zu schicken,

Und ’nen ehmaligen Diener des Baron

Wählte man zum Liebespostillon.

12.

Dieser hatte seit sehr geraumen Jahren

Die Kutsche der Herrschaft zu Ohnwitz gefahren

Und nun ohnlängstens als Veteran

Seine eigne kleine Wirthschaft gefangen an.

13.

Schon zu des alten Herren Jugendzeiten

Besaß er in Bestellung der Liebesangelegenheiten,

Zu aller Menschen Verwundernuß,

Eine besondere Fertigkeit und Habitus.

14.

Er hieß Jürgen und war nun in allen Ehren

Auch willig zu des jungen Herrn Liebesbegehren,

Und übernahm in diesem Fall der Noth

Gegen gute Geschenke den Briefdepot.

15.

Uebrigens qualificirt sich dieser Titel

Der Liebesbriefe zu ’nem neuen Kapitel;

Ich will darum mit möglichstem Fleiß

Alles Nöthige sagen, was ich davon weiß.

Neunzehntes Kapitel.
Dieses Kapitel enthält manche schöne Betrachtung über Liebesbriefe in genere.

1.

In genere ist’s um die verliebte Briefsprache

Eine curiose und sehr närrische Sache,

Denn durchgehends gebraucht man hie

Eine eigene besondere Terminologie.

2.

Da schlagen oft gar fürchterliche Flammen

Ueberm Kopfe der Verliebten zusammen:

Und wenn man’s eigentlich besieht bei Licht,

So brennt’s nur auf dem Papier, sonst nicht.

3.

Man spricht drin von Sichtodtstechen und Sterben

Und von vielem Weinen, wovon die Augen verderben;

Und eigentlich verspritzt man doch kein Blut,

Und die Augen verbleiben klar und gut.

4.

Da läßt man’s an Pretiosen nie fehlen,

Da sind die Menge Perlen und Juwelen

Und süßer Nektar und Ambrosia

Und Gold aus Peru und Arabia.

5.

Da finden sich Mündchen von Karmin und Korallen,

Und Aeuglein heller wie geschliffne Krystallen,

Hälse von Alabaster und Elfenbein,

Herzen von Demant und Marmorstein.

6.

Man spricht von Sympathien und Magneten,

Anziehenden Kräften und Elektricitäten,

Und bei jedem dieser physischen Dinge hat

Eine besondere mysteriöse Deutung statt.

7.

Da gibt’s Veilchen, Rosen und schöne Nelken,

Vergißmeinnichtchen, die nie verwelken,

Tausendschön, Maiblümelein, Jasmin,

Sonnenblumen und die schwere Meng’ Immergrün.

8.

Bei etwa geringern Liebesprogressen

Spricht man jämmerlich von Myrten und Cypressen,

Von Todtenkränzen, Ysop und bitterm Wermuth,

Und was man bei Leichen gebrauchen thut.

9.

Es kommen auch nach der allgemeinen Regel

Drin vor allerlei Gethiere und Gevögel,

Vorzüglich die bekannte Philomel’

Ist darin des Sommers ohne Fehl.

10.

Item, anmuthig girrende Turteltäubchen,

Auch Sperlinge, Hänflinge, Männchen und Weibchen,

Auch wol ein Zeisig oder Distelfink,

Imgleichen mancher bunter Schmetterling.

11.

Zuweilen gar grausame Löwinnen

Und unbarmherzige Tigerinnen,

Aber doch meist manch Schäfchen und Lamm,

Sanftmüthig, dumm, geduldig und zahm.

12.

Sogar Geschöpfe aus höhern Regionen,

Engel und Sylphen zu Millionen,

Und selbst der kleine blinde Gott Amor —

Kommen in derlei Briefen oft vor.

13.

Sonne, Kometen, Nordlicht und Sterne

Gebraucht man in den Liebesbriefen auch gerne;

Besonders aber wird der liebe Silbermond

Am wenigsten von allen Planeten geschont.

14.

Noch tausend und mehr andre Hieroglyphen,

Sehr gebräuchlich in Liebesbriefen,

Trifft man in jedem bekannten Roman

Der ältern und neueren Zeiten an.

15.

Man hält es auch nicht für sehr uneben,

Seiner Schönen einen zartern Namen zu geben,

Oder, ist etwa der Taufname zu dumm,

So ändert man ihn wol ganz und gar um.

16.

Da sagt man zum Exempel statt Karoline Line,

Statt Leopoldine Poldchen oder Dine,

Imgleichen Trina statt Katarein,

Item Beta statt Elsabein.

17.

Da kommt oft vor: Stella, Minna, Reta,

Imgleichen: Bella, Zinna und Meta;

Namen, welche bisher in Deutschland

Außer in Romanen, sind unbekannt.

18.

Ferner lieset man statt Klara Kläre,

Und wie im gegenwärt’gen Casus, statt Esther Stehre,

Statt Wilhemina, Mina und sofort,

Wie zu sehen am gehörigen Ort.

Zwanzigstes Kapitel.
Anweisung zum neuesten verliebten Briefstyle, in feinen Exempeln nach Siegwart und Werther; oder von der Liebescorrespondenz des jungen Barons und der Mamsell Esther in specie.

1.

In dem vorherbeschriebenen Kraftstile

Klagte nun auch der Baron seine Gefühle

Und der vorstehenden Trennung Ungemach

Mit untermengtem manchen Oh! und Ach!

2.

Denn er hatte viele Romane studiret,

Hier und da auch vielleicht excerpiret,

Wo er was Herzzerbrechendes las,

Und dieses kam ihm nun trefflich zu paß.

3.

Esther aber, nicht in dergleichen belesen,

Machte mit ihren Briefen weniger Wesen,

Und antwortete gewöhnlich kurz nur,

Ohne Kunst, blos nach der Natur.

4.

Hier erfolgen einige genaue Copeien;

Der Leser wird mir dieses hoffentlich verzeihen,

Weil mancher verliebter junger Mann

Sie als Briefmuster weiter gebrauchen kann.

5.

„Ach, meine Stehra! Auserwählte! Geliebte!

Denke, wie mich der Donnerantrag betrübte:

Meine Eltern sagten mir gestern, ich soll mich

Trennen, o wer weiß wie lange? von Dich!

6.

Mir ist zugleich der Blitzbefehl ernstlich geschehen:

Dein Engelsgesicht nicht mehr so oft zu sehen —

Dich, meine Beste! — Du Einzige!

Gar nicht mehr persönlich zu sprechen — Au weh!

7.

Aber ich will’s hoch und theuer beschwören,

Dich ewig zu lieben, soll mir niemand wehren,

Und meines Herzens treue Sympathie

Soll für Dich — Du Himmlische! verlöschen nie.“

8.

Antwort: „Mein Schatz! Was Du mir hast geschrieben,

Thut mich innerlich in der Seele betrüben;

Denn ich halte der künft’gen Trennung Graus

Gewißlich keine acht Tage Dir aus.

9.

Mein Herz ist krank und meine Augen fließen,

Ich thue Dich hunderttausendmal begrüßen

Und bleibe immer und ewig dabei:

Lieber gestorben als ungetreu.“ —

10.

„O mein Engel! Mein Seraph! Meine Stehre!

Vormals schwamm ich in ’nem Wonnemeere,

Und ein Blick aus den blauen Augen von Dir

War mehr als Gold und Seligkeit mir.

11.

Aber bald, ach bald soll ich Dich verlassen,

Mein banges Herz vermag dies nicht zu fassen,

Es tobt wüthend, und ich erliege fast

Unter dieser schweren Centnerlast.

12.

Draußen wall’ ich in Wäldern auf und nieder,

Horche nicht mehr auf der Vögel zärtliche Lieder,

Mir duftet nicht mehr das Blümchen im Thal,

Mir lächelt nicht mehr der freundliche Mondstrahl.“

13.

Antwort: „Wenn der ganze Himmel Papier wäre,

Und alle Sterne Schreiber und Secretäre,

Und schrieben fort bis zum jüngsten Gericht,

So klecksten sie doch zur Beschreibung meiner Liebe nicht.

14.

Darauf kannst Du Dich gar sicher verlassen;

Wir wollen uns also in Geduld fassen;

Du bleibest trotz aller Trennung mein,

Und ich will ewig Deine Stehra sein.“ —

15.

„O wie war die Nacht so schlaflos, so traurig!

Wie heulte der Sturm draußen so schaurig!

In meiner geängstigten Seele brüllt

Ein Sturm, noch weit schauriger und wild.

16.

Ach, meine einzige Göttin! meine Cythere!

Du, mir mehr als Himmel! meine Stehre!

Schwebst im reizenden Bilde immer vor mir —

Ach, wär’ ich heute ein Stündchen bei Dir — —

17.

Ich wollte gerne, um Dich persönlich zu sehen,

Durchs Feuer und über Eisgebirge gehen — —

Denn Dein lieblich lächelndes Angesicht

Erquickt mich mehr als des Monds Silberlicht.“

18.

Antwort: „Mein Liebster! Freilich die Nacht war böse,

Ich hörte auch des Sturms Brüllen und Getöse,

Und ich habe auch, wie Du, die ganze Nacht

An Dich denkend schlaflos zugebracht.

19.

Komme heute Abend um eilf Uhr in’n Garten,

Da will ich Dich mit offnen Armen erwarten;

Brauchst da nicht über Eisgebirge zu gehn,

Denn der Weg dahin ist grün und schön.“

20.

„Amor hüpft um mich mit seinen Gehilfen,

Göttliches Mädchen! mich umtanzen Sylphen,

Und wie der silberne Wasserquell,

Ist nun meine düstre Seele hell.

21.

Der heil’ge keusche Mond wird uns lächeln,

Zephyr wird uns in den Abendstunden fächeln;

Ich eile auf der Liebe schnellem Fittich

Und bin um eilf Uhr präcis bei Dich.

22.

Hoch pocht mein Herz voll von tausend Dingen,

Ich kann Dir mein’ Gefühle nicht alle singen;

Aber dann sink’ ich für seligen Schmerz,

Du meine Auserwählte! an Dein Herz.“

23.

Antwort: „Ich hoff’, es werd’ nicht an Gelegenheit fehlen,

Mich langsam aus dem Pfarrhause zu stehlen.

Es bleibet dabei, mein Schatz! komm nur

Im Garten zu mir um eilf Uhr.“ —

24.

„Schon in beinah anderthalb bangen Tagen

Habe ich’s Dir mündlich nicht können sagen,

Wie, meine Grazie! Dein göttliches Bild

Meine liebevolle Seele erfüllt.

25.

Kronen und Reiche wollte ich gerne hingeben,

Um mit Dir ewig verbunden zu leben,

Und weder Teufel noch die ganze Höll’

Tilget Dein Bild aus meiner Seel’ — —

26.

Ach, die Fühllosen! Ach, die Tyrannen!

Die mich von Deiner Seite wollen verbannen!!

Aber posito, man trennte auch Dich und mich,

So schlägt doch immer mein Herze für Dich — —“

27.

Antwort: „An Deiner Liebe hab’ ich keinen Zweifel,

Aber ich bitte Dich, sprich nicht so viel vom Teufel;

Denn mir grauset jedesmal recht sehr,

Wenn ich seinen Namen nur nennen hör’.

28.

Hoffnung auf künftige günstige Zeiten

Soll uns in der Liebe immer begleiten;

Das übrige sag’ ich diesen Abend mündlich

Und erwarte am gewöhnlichen Orte Dich.“ —

29.

„Morgen — ach! Morgen droht die fürchterliche Stunde,

Lange Trennung unserm zärtlichen Bunde;

Denn, himmlisches Mädchen! ach! es ist

Alles zur Abreise zugerüst’t.

30.

Laß mich noch einmal beim keuschen Mondlichte

Sehn Dein unvergeßlich Seraphinsgesichte,

Und gib, weil es nun so sein muß,

Mir zur Stärkung den Abschiedskuß.“

31.

Antwort: „Ach, ach! werd’ ich’s auch können ertragen,

Dir das letzte Lebewohl mündlich zu sagen,

Ohne daß mein empfindliches Herze nicht

In hunderttausend Stücke zerbricht!!

32.

Indessen, mein Geliebter! ich will im Garten

Dich zur gewöhnlichen Stunde erwarten,

Und da nehm’ ich, weil’s so sein muß,

Deinen zärtlich getreuen Abschiedskuß.“

33.

Es sind dergleichen Billetsdoux noch mehre

Gewechselt zwischen dem Baron und seiner Stehre;

In des Barons seinen war lauter Unsinn,

Und in Stehrens ihren nicht viel Vernünftiges drin.

34.

Ich will also diese Materie enden

Und mich lieber zu einer andern wenden,

Und verweise allenfalls über dies Stück

Auf Siegwart, Werther und Consorten zurück.

Einundzwanzigstes Kapitel.
Ade! der junge Herr reiset ab.

1.

Nicht immer kann man in Rosen sich baden,

Man muß auch oft durch dick und dünne waten;

Denn so ist es auf unsrer Lausewelt

Leider von Alters her bestellt.

2.

Das heißt: wir können manch angenehmen Bissen

In unserm Erdenleben hier und da genießen,

Und der thut gar nicht übel dran,

Der’s Gute mitnimmt, wenn er’s kriegen kann;

3.

Aber es ist uns auch manches bitteres Essen,

Mancher Kummer, manches Leid zugemessen,

Und da ist nun mein Rath unmaßgeblich,

Daß man geduldig drin ergeb’ sich.

4.

Auf diese sehr vernünftigen Reflexionen

Hat mich zum Glück die Abreise des Baronen

Und seine Trennung von Stehre gebracht;

Ich hätt’ sie sonst nicht aus mir selbst gemacht.

5.

In der Nacht vor seiner Abreise

Hatte er und seine Geliebte verstohlnerweise

Noch eine Zusammenkunft zuguterletzt,

Wie wir oben gehört haben, angesetzt.

6.

Da gab’s hinc inde ein Gewimmer, ein Gewimmer,

Ein Gewimmer, wie es vielleicht nimmer

Zwischen zwei Verliebten je geschehn,

Welche sich zu Nacht alleine sehn.

7.

Ich vermag’s nicht in extenso zu beschreiben,

Wie weinerlich es sie allda mochten treiben,

Meine Augen würden dabei zu naß,

Und zu leer an Tinte mein Tintenfaß.

8.

Es ward da noch einmal mit den feierlichsten Eiden

Die ew’ge Treue befestigt zwischen beiden,

Und Frau Echo mit ihrem Widerhall

Bekräftigte alles dazu noch dreimal.

9.

Auch hat man unverbrüchlich abgesprochen,

Sich Briefe zu schreiben wenigstens alle vier Wochen

Durch die bishero gebrauchte Adress’,

Damit einer den andern nicht vergess’.

10.

Schon öffnete die alte Jungfer Aurore

Droben die schönblauen Himmelsthore

Und erschien im Rosenkleide hübsch und fein,

Und Herr Phöbus kutschirte hinterdrein;

11.

Das ist verdolmetschet in der gewöhnlichen Sprache:

Man blieb beisammen bis der Morgen anbrache,

Und endlich unter vielem Ach und Weh

Erfolgte das schmerzlichste Adieu.

12.

Ach, ach! das letzte Küssen und Umarmen

War eine Scene jämmerlich und zum Erbarmen,

Bis zuletzt ein jeder für sich

Mit rothgeweinten Augen nach Hause schlich.

13.

Als hernach, circa ein Viertel nach neun auf der Uhre,

Der junge Baron von Ohnewitz wegfuhre

Und Esther ihm im Wagen nachsah,

Fiel sie in eine Ohnmacht beinah.

14.

Sie ist auf ihr Zimmer alleine gegangen,

Thränen rollten reichlich von ihren Wangen,

Ein Schnupftuch verhüllte Stirn und Gesicht

Und sie aß und trank den ganzen Tag nicht.

15.

Klagte auch schrecklich über Kopfschmerzen

Und winselte über Drücken und Noth am Herzen,

Sodaß ihr Bruder fast drob erschrak,

Obgleich er merkte, was dahinter stak.

16.

Auch der junge Herr im Reisewagen

War similiter sehr zu beklagen,

Denn man sah’s ihm gar deutlich an,

Es sei ihm innerlich was angethan.

17.

Ich selbst habe ihn zwar nicht gesehen,

Doch kann ich es wol von selbst verstehen,

Und jeder andrer Vernünftiger schließt dies

Aus den vorhergegangenen Prämissis.

18.

Indessen bekam er bald wieder Courage,

Denn er hatte eine schöne Equipage

Und gutes Reisewetter, und saß bequem,

Und hatte in seiner Chatoulle noch außerdem

19.

Nicht allein baares Geld wie Häcksel,

Sondern auch noch manche wichtige Wechsel,

Sammt und sonders so eingericht’t,

Daß sie gleich bezahlt wurden nach Sicht;

20.

Ja sogar schriftliche Recommandationen

An viele hohe und berühmte Personen;

Und so hätte ich ohne eigenes Geld

Mit ihm reisen mögen durch die halbe Welt.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Hier wird kürzlich erzählet, was sich auf der Reise mit dem jungen Herrn hätte zutragen können.

1.

Hier könnte ich nun vieles herleiern

Von seinen auf der Reise gehabten Abenteuern,

Und was er in jeder fremden Stadt

Merkwürdigs gehört und gesehen hat.

2.

Ich könnte, um dieses Kapitel gemächlich zu füllen,

Aus manchen alten und neuen Reisepostillen

Und aus Berkenmeyer und Büsching

Hervorsuchen manch geographisches Ding.

3.

Ich könnte erzählen, daß er zum Vergnügen

In der Schweiz die gefährlichen Gletscher bestiegen,

Und daß er in diesem arkadischen Land

Manche reizende Alpenschäferin fand.

4.

Ich könnte erzählen von prächtigen Kunstwerken,

Welche damals in Rom waren zu bemerken,

Ob sie gleich von den Herrn Franken nachderhand

Wurden nach Paris ins Museum gesandt.

5.

Ich könnte erzählen von Cardinälen und Prälaten,

Von schönen Sängerinnen und von Castraten,

Von dem großen Sanct-Peters-Dom

Und raren Antiquitäten in Rom.

6.

Ich könnte erzählen von den Pontinischen Sümpfen

Und von den italienischen Freudennymphen

Und vom feuerspeienden Vesuv,

Alle drei im ungesunden und schmutzigen Ruf.

7.

Ich könnte erzählen von Redouten und Maskeraden,

Wozu man ihn zum öftern eingeladen,

Und von Gondelfahrten und vom Carneval

Und manchem prächtigen Concert und Ball.

8.

Ich könnte erzählen von großen Bibliotheken,

Von gelehrten Denkmälern und alten Schartäken,

Welche er im Lande Italia

Oder sonstwo mir nichts dir nichts besah.

9.

Ich könnte erzählen, wie er nach anderthalb Jahren

Erst nach Frankreich, dann nach England gefahren,

Und wie er nach manchem begafften Ding

So klug als vorher wieder nach Hause ging.

10.

Ich würde noch viel mehr erzählen können;

Allein ich muß es offenherzig bekennen,

Daß ich während seiner ganzen Reis’

Von dem jungen Herrn nichts weiter weiß,

11.

Als daß er fleißig an seine Stehre geschrieben,

Ihr auch abwesend immer getreu verblieben,

Und daß in langer Zeit kein andrer Mensch

Etwas erfuhr von dieser Correspondensch.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Wie die Correspondenz der beiden Liebenden an den Tag kommt, und wie Jürgen zur Verantwortung gezogen wurde und Esther nach Rudelsburg verschickt wurde.

1.

Jedoch fiele einmal von ohngefähre

Ein Brief des Barons an seine liebe Stehre

Dem alten Herren in seine Hand,

Und da wurde die Correspondenz bekannt.

2.

Er mußte drin mit großem Verdrusse lesen,

Daß alles noch war, wie es vormals gewesen,

Und daß der Briefwechsel, je länger je mehr,

Die Liebe des einen zur andern nähr’.

3.

Der Veteran Jürgen mußte sein Vergehen

Vorab bereuen und umständlich gestehen,

Und kam zum Liebesbotenlohn

Mit achttägigem Arreste davon.

4.

Um aber den fernern Briefwechsel bei Stehren

Für die Zukunft völlig abzuwehren,

Beschloß man, dieselbe heimlich allsofort

Zu verschicken an einen andern Ort.

5.

Zwölf Meilen von Ohnwitz lag ein kleines

Gütchen, nahe am Ufer diesseit des Rheines,

Wo, mit dem Ohnwitzer Hause verwandt,

Frau von Rudelsburg sich seßhaft befand.

6.

Dahin ward dann Esther recommandiret

(Ihr Herr Bruder selbst hat sie escortiret)

Als eine Jungfer Gesellschafterin,

Und Esther ergab sich geduldig drin.

7.

Ob alle Fehde sich hiemit geendet,

Oder das Blatt sich etwa anders gewendet,

Und was sonst Wichtiges noch geschehn,

Das alles wird man in der Folge sehn.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Wie die Revolution der Neufranken einen Einfluß hat auf das Schicksal des Herrn Jobs und der adeligen Herrschaft zu Ohnwitz, und wie sie emigriren müssen.

1.

Nichts ist wunderlicher als das menschliche Glücke,

Es verändert sich oft in einem Augenblicke,

Es ist, nach dem Sprüchwort, kugelrund,

Und bald oben, bald unten, bald weiß, bald bunt.

2.

Das haben besonders seit ein halb Dutzend Jahren

Viele große Herren hier und da erfahren,

Könige, Prinzen, Grafen und Dücs

Fühlten bekanntlich den Wechsel des Glücks.

3.

Es erniedrigt und stürzt bald jenen, bald diesen,

Macht Sprachmeister aus ehmaligen Marquisen

Und aus Comten, Chevaliers und Messieurs

Tanzmeister, Friseurs und Serviteurs.

4.

Es necket Großmeister, Dogen und Hohepriester,

Favoritinnen und fromme Staatsminister,

Und es ist ihm durchaus einerlei,

Weß Standes oder Würden jemand sei.

5.

Ja wahrlich, man muß billig erstaunen

Ueber der Frau Fortunens Wechsellaunen;

Wir machen indessen nur hievon

Auf Herrn Pfarrer Jobs Application.

6.

Daß dieser ein wahrer Glücksball gewesen,

Haben wir im ersten und zweiten Theile gelesen,

Und dasselbe ist nun abermal

Im jetzigen dritten Theile der Fall.

7.

Nämlich es war damals die Epoche der Ohnehosen,

Und in Deutschland hausete ein Heer von Franzosen;

Auch predigte man zu derselbigen Zeit

Ueberall von Freiheit und Gleichheit.

8.

Auch in Ohnwitz schien unter einigen Leuten

Sich der Sansculottismus hier und da zu verbreiten,

Und Herr von Ohnwitz fürchtete für sein Theil

Daraus endlich ein großes Unheil;

9.

Hat drum dem Herrn Pfarrer Jobs aufgetragen,

Auf der Kanzel einmal der Gemeinde zu sagen,

Sie sollten sehn den biblischen Spruch an:

Ein jeder sei der Obrigkeit unterthan.

10.

Dieser hat dann auch dergestalten

Bald drauf eine scharfe Predigt gehalten,

Welche, als einzig stark in ihrer Art,

Gleich auch im Drucke gegeben ward.

11.

Nicht allein in der Ohnwitzer Gemeine,

Sondern auch in der ganzen Gegend am Rheine

Wurde dieselbe verbreitet im Land,

Folglich auch den Herren Franken bekannt.

12.

Sie haben sich dieses ad notam genommen,

Und als sie ex post nach Ohnwitz gekommen,

So hieß es: „Le diable emportera

Le curé d’Ohnwitz, ce coquin là!

13.

Kaum konnte er in diesen dringenden Nöthen

Sich eilig genug aus dem Dorfe retten

Und brachte nichts auf der Flucht davon

Als mit genauer Noth seine eigne Person.

14.

Hätte man ihn damals selbst gefangen,

Er wäre guillotinirt oder aufgehangen,

Doch vorläufig plünderte man das Pfarrhaus

Von oben bis unten rein und gar aus.

15.

Auch Herr von Ohnwitz war damals in

Großer Gefahr mit seiner Gemahlin,

Denn auch ihm wenigstens hätte man

Vielleicht am Halse was angethan.

16.

Aber seine Unterthanen wagten Leib und Leben,

Für ihre gute liebe Herrschaft hinzugeben,

Und retteten sie mit Gewalt für diesmal;

Denn der Franken war keine große Zahl.

17.

Indessen war keine Zeit zu verlieren,

Herr und Frau mußten schleunig emigriren,

Und höchstens ein paar hundert Gulden baar

War alles, was noch mitzunehmen war.

18.

Die Franken sind bald stärker wiedergekommen,

Haben die Ohnwitzer erschrecklich mitgenommen,

Und auf dem Schlosse ward unversäumt

Alles, was vorräthig war, ausgeräumt.

19.

Auch wurde ein Freiheitsbaum aufgepflanzet

Und lustig ein’ Runde darum her getanzet,

Und jeder im Dorfe nahm alsdann

Theils gern, theils ungerne theil daran.

20.

Auch alle übrige Güter und Schlösser

Des Herrn von Ohnwitz hatten’s nicht besser,

Man machte es überall, in groß und klein,

Wo er was besaße, besemrein.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Wie Herr Jobs ärmlich herumwandert, und wie er endlich im Dorfe Schönhain ankommt.

1.

Weil Herr von Ohnwitz sich im neutralen Lande

Mit seiner Gemahlin bald sicher befande

Und nun auch, wie gesagt, mit einem paar

Hundert Gulden baar noch versehen war:

2.

So wollen wir diesmal von ihm abbrechen

Und nur vorerst vom Herrn Pfarrer Jobs sprechen,

Denn dieser war bei seiner Flucht durchaus

So blutarm wie eine Kirchenmaus.

3.

Er setzte tagtäglich seinen Wanderstab weiter,

Blieb aber dabei immer ruhig und heiter,

Schlief sanft und tröstete damit sich:

Der Himmel läßt die Seinen nicht im Stich.

4.

Erst besuchte er auf der Reise hin und wieder

Die Herren Geistlichen als seine Amtsbrüder,

Aber fast alle schickten ihn ohne Geld und Kost fort,

Blos mit einem geistlichen Trostwort.

5.

Drum suchte er hernächst die Priester und Leviten

Auf seiner Wanderung möglichst zu verhüten,

Denn er traf durchgehends beim Samaritan

Größers Mitleid und mehr Theilnahme an.

6.

Auch fand er in kleinen ländlichen Hütten,

Ohne lange drum zu betteln und zu bitten,

Ein freundlicher Gesicht und besser Quartier

Als beim reichen Bürger oder Cavalier.

7.

Zwar versäumte er nicht, in Schlössern und Städten

Bei Vornehmen anfänglich einzutreten,

Und bote seine Dienste als Kapellan

Oder etwa als Informator an.

8.

Aber er hat nirgend Aufnahme gefunden,

Man hielt ihn vielmehr für ’nen Vagabunden,

Fragte nach seinem Reisepaß,

Und sagte ihm, ich weiß nicht alles was.

9.

Am sechzehnten Tage der Jobsischen Hegire

Kam er Nachmittags zwischen drei und viere

Bei einem an der Thür sitzenden alten Mann

Hungrig und durstig in ’nem Dorfe an.

10.

Der hat ihn sehr treuherzig invitired,

Ihn zu seiner Gattin ins Häuslein geführet,

Und diese machte freundlich alsbald

Zu seiner Erquickung einige Anstalt.

11.

Er bekam Milchsuppe, Brod und gekochte Eier,

Erzählte mittlerweile seine Abenteuer,

Und sowol der Mann als seine Frau

Horchten drauf, was er erzählte, genau.

12.

Beide waren schon grau von Haaren,

Hatten selbst manches Ungemach erfahren

Und lebten höchst einförmig und knapp

Von dem, was ihre kleine Hufe gab.

13.

Doch baten sie ihren Gast, sich zu bequemen,

Auch das Nachtquartier bei ihnen zu nehmen,

Und daß eine sammetweiche Moosstreu

Ihm in ihrer Hütte schon zu Dienste sei.

14.

Dies hat er ihnen dann auch zugesaget,

Weil ihm ihr Betragen außerordentlich behaget;

Ja, es kam ihm natürlich vor, es sei dies

Ein Paar, wie weilend Philemon und Baucis.

15.

Der fromme Greis mit seinem guten Weibe

Erzählten ihrem Gaste zum Zeitvertreibe

Manches aus alter und neuerer Zeit,

Auch sprach man von des Dorfes Gelegenheit.

16.

Besonders vom Schloß Schönhain, das man in der Nähe

Zwischen dem Lindengebüsch auf’m Hügel dort sähe,

Und daß allda der vorige Schössermann

Den Bauern viel Herzeleid angethan.

17.

Aber der jetzige Herr Amtsschösser

Sei kein solcher Schinder noch Bauernfresser;

Sondern, grade als wenn man Seinesgleichen sei,

Könne jeder Bauer mit ihm sprechen frei.

18.

Als Herr Jobs nach dem Gutsbesitzer gefraget,

Haben die alten Leutchen ihm zur Antwort gesaget,

Eine Dame von gar vortrefflichem Sinn

Seie davon die Besitzerin.

19.

Sie erzählten zu ihrem Ruhme und Lobe

Manche preiswürdige schöne Probe,

Versicherten ihm dabei zugleich,

Man halte sie für unermeßlich reich.

20.

Aber leider sei sie schon lange kränklich

Und ihr Zustand werde täglich mehr bedenklich,

Und schon habe man ein Vorgeschäft gesehn,

Daß sie bald würde von hinnen gehn.

21.

Herr Jobs spürte die herzlichste Theilnahme

An dem Schicksale dieser so würdigen Dame

Und nahm sich alsbald fest für,

Morgen einen Besuch zu machen bei ihr.

22.

Er vermied zwar gern große Häuser und Schlösser,

Trauete auch keinem herrschaftlichen Schösser;

Aber man hat doch nie eine Regulam,

Oder sie leidet wol eine Ausnahm’.

23.

Unter solchen und dergleichen Gesprächen

Sah man endlich die Nacht hereinbrechen,

Und Hieronimus ruhte auf der Streu von Moos

So sanft, als läg’ er in Abrahams Schooß.

24.

Als er Morgens etwas späte erwachet,

Hat er sich aus dem Moose aufgemachet,

Ergriff seinen knotigen Wanderstab,

Drückte dem Wirth dankbar die Hand und reisete ab.

25.

Er wandte sich zum Schlosse zwischen den Linden,

Um sich wegen der Dame näher zu erkünden;

Denn es ware, als zöge ihn

Ein unwiderstehlicher Trieb dahin.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Wie Herr Jobs eine alte bekannte Freundin antrifft. Eine wunderbare Geschichte.

1.

Es haben überall die Vornehmen und Reichen

Ihre mancherlei eigne Sitten und Gebräuchen,

So daß ein gemeiner ehrlicher Mann

Sich drin so gar gut nicht finden kann.

2.

Zum Exempel: wenn man zu ihnen will gehen,

Muß man erst lange im Vorzimmer stehen,

Und dann läßt Ihro Gnaden oder Excellenz

Einen endlich gnädigst zur Audienz.

3.

Ohne diese Bemerkung weiter zu treiben,

Mag es meinethalben immer so bleiben;

Wenigstens mach’ ich jetzt nicht davon

Auf gegenwärt’gen Casum Application.

4.

Denn als Herr Jobs ins Schloß gekommen

Und man sein Begehren kürzlich vernommen,

Ließe ihn die Frau Gebieterin

Sofort nöthigen in ihr Zimmer herin.

5.

Er fand sie im Kanapee einsam sitzend,

Nachdenkend den Kopf auf die Arme stützend,

Gekleidet in ’nem weißen Négligée,

Und vor ihr stund auf’m Tischchen der Thee.

6.

Herr Jobs fing an gleich im Hereintreten

Seine Entschuldigung und Compliment herzubeten;

Sie blickte auf, erhob ein großes Geschrei,

Auch Herr Jobs stürzte näher zu ihr herbei.

7.

Beide haben sich alsofort erkennet,

Sich voll Erstaunen mit ihren Namen genennet;

Denn die gute liebe Dame da

War des Herrn Jobs alte Amalia.

8.

Sie ist fast in Ohnmacht dahin gesunken,

Herr Jobs taumelte, als wär’ er betrunken,

Und sowol ihr als ihm erschien

Alles vor den Augen blau, gelb und grün.

9.

Nach dem ersten sehr angenehmen Schrecken

Suchte einer den andern allgemach zu wecken,

Und eine trauliche Umarmung war

Der Beweis ganz überwundner Gefahr.

10.

Mir däucht, ich hör’ hier den Leser mich fragen:

„Herr Autor, wie kann Er doch so etwas sagen?

Er meint gar, Er hätte ein Kind vor,

Daß Er uns da macht solchen Wind vor!

11.

Haben wir nicht im ersten Theile gelesen,

Daß Amalia lange nicht mehr gewesen?

Sie starb ja, dem vierunddreißigsten Kapitel nach,

Als sie in den Kindbetterwochen lag!“

12.

Ich will mich zwar eben jetzt nicht entschuldigen,

Bitte aber vorläufig, sich zu geduldigen;

Denn was ich erzählte, war ja weiter nicht

Als ein damals von mir geglaubtes Gerücht.

13.

Zudem hat man ja an Herrn Jobs schon gesehen,

Daß Leute sterben und wieder auferstehen,

Und in jedem alten und neuen Roman

Trifft man noch weit größere Wunder an.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Worin unter anderm die im ersten Theile gestorbene Amalia ihren fernern Lebenslauf erzählet.

1.

Sie sind darauf näher zusammen gerücket,

Haben sich am Thee und Frühstücke erquicket,

Und erfreueten beiderseits sich

Des Wiedersehens gar inniglich.

2.

Was zwischen beiden vormals war geschehen,

Wollen wir nach christlicher Liebe übergehen;

Aber jetzt passirte im mindesten nicht,

Was nicht hätte können vertragen das Licht.

3.

Zwar Herr Jobs hatte nichts verloren,

War von guter Positur wie zuvoren,

Ja sein Corpus ware vielmehr

Seit dem Pfarrerstande ansehnlicher.

4.

Aber Amaliens Reize waren verblichen,

Seitdem ungefähr jene 15 Jahre verstrichen,

Und es sproßte schon hier und dar

Auf ihrem Kopfe ein graues Haar.

5.

Auch an Körperkräften und Taille

War sie nicht die vor’ge schöne Amalie:

Vormals war sie rund, roth und dick,

Und nun ein leibhaftig Bild der Hektik.

6.

Ihre Augen, vormals glänzend von Liebe,

Waren nun eingefallen, dunkel und trübe,

Und in ihrer ganzen Physiognomie

Herrschte eine stille Melancholie.

7.

Nicht allein gegen Herrn Jobs war sie sehr gütig,

Sondern auch im ganzen Wesen sanftmüthig,

Und sie ertrug ihr körperliches Leid

Ohne Murren und Verdrießlichkeit.

8.

Sie fühlte täglich die Kräfte mehr schwinden,

Hatte längst bereut ihre vorigen Sünden,

Und brachte nun in völliger Gewissensruh’

Ihre noch übrigen Lebenstage zu.

9.

Eigentliche sogenannte Liebessachen

Waren also nicht weiter bei ihr zu machen;

Auch Herr Jobs fand längst nicht mehr Geschmack

An jedem unschicklichen Liebesschnack.

10.

Er mußte jedoch die Versicherung ihr geben,

Nicht weiter zu reisen, sondern bei ihr zu leben,

Und dieses wünschte sie um desto mehr,

Weil er ein geistlicher Doctor wär’.

11.

Auch mußte er, ohne das Geringste zu verhehlen,

Ihr seine ganze Lebensgeschichte erzählen,

Besonders was er von ihrer Trennung an

In den letzten funfzehn Jahren gethan.

12.

Er that dies auch alles sehr ausführlich,

Seine Erzählung war aufrichtig und manierlich,

Sodaß Amalia sogleich drin fand,

Er sei nun ein Mann von großem Verstand.

13.

Die Erzählung selbst können wir gut missen,

Sintemal wir seine Geschichte schon wissen,

Und man hört ohnedem auf keinen Fall

Eine so närr’sche Geschichte gern zweimal.

14.

Sie gabe gleichfalls von ihrer Geschichte

Folgende kurze aufrichtige Berichte,

Seitdem sie aus dem Schauspielerstand

Mit einem reichen Herren verschwand:

15.

„Der Herr, mit welchem sie davongegangen,

Habe geheißen Herr van der Tangen;

Er habe, als ihre Person ihm gefiel,

Ihr Anträge gemachet oft und viel.

16.

Aber sie habe gar nicht darnach gehöret

Und anfangs mit ihme gar nicht verkehret,

Weil sie entschlossen gewesen sei,

Ihrem Hieronimo zu bleiben getreu.

17.

Erst damals habe sie den Vorsatz gebrochen,

Als Herr van der Tangen ihr die Ehe versprochen;

Es sei auch am folgenden Tage schon

Erfolgt eine heimliche Copulation.

18.

Nachdem sie nun gedachten Herrn van der Tangen

Einmal im ehlichen Netze habe gefangen,

So habe sie mit ihm in der ganzen Zeit

Gelebet in treulichster Einigkeit.

19.

Sie habe von ihrem Gatten, dem Herrn van der Tangen,

Nach zwei Jahren einen kleinen Sohn empfangen,

Habe aber auch damals gefährlich krank

Gelegen fast sieben Wochen lang.

20.

(Notabene: Daher entstand das Gerüchte

Von ihrem Tode im ersten Theil der Geschichte;

Denn Frau Fama machet zu jeder Frist

Immer ein Ding größer, als es ist.)

21.

Was im übrigen thate anlangen

Die Umstände ihres Gatten, des Herrn van der Tangen,

So sei er gewesen der einzige Zweig

Des alten Herrn van der Tangen und erschrecklich reich.

22.

Er sei zwar gewesen nur vom bürgerlichen Stande,

Aber fast der reichste Privatmann im Niederlande,

Weil sein seliger Vater in Kauffahrtei

Außerordentlich glücklich gewesen sei.

23.

Mancherlei Gründe hätten ihn bewogen,

Daß er aus seinem Vaterlande weggezogen,

Und er hätte auch bald darauf

Das Gut Schönhain hier erstanden durch Kauf.

24.

Ihre Bekanntschaft mit dem Herrn van der Tangen

Habe bewußtermaßen damals angefangen,

Als er sich eine Zeit lang in Deutschland

Zum Vergnügen auf der Reise befand.

25.

Ihre Ehe habe zwölf Jahre lang gewähret,

Darauf hätte Freund Hein dieselbe gestöret,

Und Herrn van der Tangen zu ihr’m größten Leid

Geholet aus dieser Zeitlichkeit.

26.

Auch ihr Sohn sei nach fünf Vierteljahren

Seinem Vater ins Elysium nachgefahren,

Und seitdem lebe sie höchstbetrübt

Kinderlos und ungleich verwittibt.

27.

Zwar besitze sie jetzt sehr große Güter,

Aber doch sei ihr des Lebens Rest bitter,

Und sie mache zur großen Reise nach jenseit

Sich nun täglich immer mehr bereit;

28.

Denn sie empfinde es, daß sie laborire

An einem innerlichen Lungengeschwüre,

Spüre auch, daß jede gebrauchte Arznei

Zu ihrer Heilung unwirksam sei.

29.

Sie suche schon längst mit tugendhaften Werken

Sich zu einem seligen Abschiede zu stärken,

Und gebe als eine bekehrte Sünderin

Ihrem Schicksale sich willig hin.“

30.

Herr Jobs suchte nun bestmöglichstermaßen

Alles dasjenige beisammen zu fassen,

Was ein vernünftiger geistlicher Mann

In solchem Fall zur Tröstung nur sagen kann.

31.

Blieb folglich auf ausdrückliches Verlangen

Nun auf dem Gute bei der Frau van der Tangen,

Und seine traurige Exulantenschaft

Hatte für diesmal ihre Endschaft.

32.

Es fand auch wirklich die Frau van der Tangen

In des braven Herrn Jobsens Umgang manchen

Christerbaulichen Beruhigungsgrund,

Den sie vorher nicht so gut verstund.

Achtundzwanzigstes Kapitel.
Wie die Frau van der Tangen dem Herrn Jobs all ihr Vermögen schenket, und wie sie stirbt, und wie Herr Jobs ihr ein Monument errichtet, und wie dieses Kapitel sehr traurig zu lesen ist.

1.

Eines Morgens kam mit reputirlichen Schritten

Ein bejahrter Herr in den Schloßhof geritten,

Und stieg nach geendigtem succesiven Trab

Etwas mühsam auf eine nahstehende Bank ab.

2.

Er saß auf dem Pferde steif wie ein Schneider,

Trug am Leibe altmodische Kleider,

Hatte graue wollene Gamaschen an

Und pro forma Sporen ohne Räder dran.

3.

Eine Perücke mit einem kleinen Haarbeutel

Und ein plattgespitzter Hut deckte den Scheitel,

Und an seiner linken Hüfte, etwas hoch, hing

Ein langer Degen, der Griff war von Messing.

4.

Seine Person schien etwas Wichtiges zu bedeuten,

Das merkte man an seinem Wesen schon von weiten,

Und er war weder zu mager noch zu fett,

Aber übrigens voll Gravität.

5.

Er wurde gleich von der Frau van der Tangen

Gar höflich bewillkommet und empfangen;

Sie schlosse sich sofort mit ihm ein

Und blieb bei ihm den ganzen Tag allein.

6.

Herr Jobs konnte sich nicht besinnen,

Was sie beide beisammen wol möchten beginnen,

Und dachte allenfalls, der altfränksche Knab’

Sei vielleicht ein fremder Aesculap.

7.

Aber er irrte; denn der Herr, welcher heute

Mit seinen Gamaschen und dem Spieß an der Seite

Den ganzen Tag mit Amalien allein war,

War ein Caesareus publicus Notar.

8.

Nachdem derselbige war weggeritten,

Ließ Frau van der Tangen Herrn Jobs ins Zimmer bitten;

Er fand sie am Pult sitzend und vor ihr

Lag ein zusammengefaltnes Papier.

9.

Herr Jobs zeigte sich etwas blöde und verlegen,

Aber sie lächelte ihm beim Eintritt entgegen,

Und als er sich näher bei ihr befand,

Reichte sie ihm liebreich die hagere Hand.

10.

Sie schien seit dem Geschäfte mit dem Reiter

Höchst vergnügt und ungewöhnlich heiter,

Und hielte, obgleich mit schwächlicher Stimm’,

Nun folgende kurze Oration zu ihm:

11.

„Schon habe ich es dir gesagt, mein Lieber!

Ich geh’ nun bald jenseits hinüber,

Und habe deswegen vor meinem End’

Heute gemachet mein Testament.

12.

Schon längstens ware ich von wegen

Eines Erben meiner Güter besorgt und verlegen,

Denn meines Wissens ist nirgend jemand

Mit mir durch Blutsfreundschaft verwandt.

13.

Der Gedanke quälte mich vor allen,

Daß mein Gut in schlechte Hände könnt’ fallen;

Ich habe darum mit Wohlbedacht

Dich zum Universalerben gemacht.

14.

Außer ein paar tausend Lauseducaten

Ad pios usus und andere Legaten,

Gehört meine ganze Habe fortan

Nur dir, meinem alten Freunde, an.

15.

Willst du meine gute Meinung nicht verschmähen,

So werde ich ruhig aus dieser Welt gehen,

Und du erleichterst mittlerweile mir,

So viel du kannst, die Reise von hier.

16.

Du wirst aber auch die Freundschaft haben,

Mich zu lassen dort bei den drei Linden begraben,

Und du pflanzest zu meinem Andenken auch

Auf mein Grab eine Laube von Rosenstrauch.“

17.

Herrn Jobs flossen hier häufig die Thränen;

Er antwortete nur mit Schlucksen und halben Tönen;

Acceptirte übrigens utiliter

Die vorliegende Donation ohnschwer.

18.

Von nun an verließ er seine Freundin fast nimmer,

Denn ihr Zustand wurde augenscheinlich schlimmer,

Und Frau van der Tangen und Herr Hieronimus

Lebten auf brüder- und schwesterlichem Fuß.

19.

Er unterließ nichts an Tröstung und Pflege,

Suchte ihre Linderung auf alle mögliche Wege,

Hat sogar selbst fast in jeder Nacht

In ihrem Krankenzimmer gewacht.

20.

Endlich war doch alle Hoffnung des Lebens

Und alle Mühe und Arznei bei ihr vergebens,

Weil Freund Hein wirklich hereinkam

Und ihren letzten Athemzug wegnahm.

21.

Herr Jobs beklagte ihren Tod aufrichtig,

Und sein Schmerz war weder verstellt noch flüchtig,

Sondern er hat länger und mehr geweint,

Als mancher Mann um seine todte Frau greint.

22.

Am Gartenende, dort bei den drei Linden,

Kann der geneigte Leser ihr Grab finden,

Wenn er etwa von ohngefähr vorbei passirt,

Oder nach Schönhain expreß hinspaziert.

23.

Ueber ihrem dort nun modernden Staube

Steht eine gar niedliche Rosenlaube,

Und Vergißmeinnicht und weißen Jasmin

Sieht und riecht man da des Sommers blühn.

24.

Auch sieht man bei einem marmornen Aschtopfe,

Die Figur von einem weißen Todtenkopfe,

Dabei steht ein großes lateinisches A,

Und es bedeutet solcher Buchstabe: Amalia.

25.

Herr Jobs ging um dieses Monuments willen

Abends und Morgens oft dahin im Stillen,

Und da fielen ihm gemeiniglich allerlei

Erbauliche und traurige Gedanken bei.

Neunundzwanzigstes Kapitel.
Wie Herr Jobs nun ein reicher Mann war, und wie er sich nach dem Tode der Frau van der Tangen beging.

1.

Besage der vorhandenen Annotationsbücher,

Fand Herr Jobs 2800000 Reichsthaler sicher

Zu Amsterdam, London und Hamburg blank

Als Kapitalien stehen in der Bank.

2.

Das übrige Gut an Wechseln und Obligationen

Betrug mit obigen ohngefähr drei Millionen,

Und der Werth von dem Gute Schönhain

War, bei meiner Treue! auch nicht klein.

3.

Er war bemüht, der Frau van der Tangen letzten Willen,

Ratione der Legaten pünktlich zu erfüllen,

Und alles übrige in runder Summ’

War nun sein rechtmäßiges Eigenthum.

4.

Er ehrte zwar dies übergroße Vermögen

Als einen unverhofften, nicht verwerflichen Segen,

Hielt sich aber doch weder glücklicher

Noch größer, als er ware vorher.

5.

Er befand sich vielmehr bei seinem Gelde und Gute

Lange nicht so behaglich noch bei gutem Muthe,

Als er im Ohnwitzer Pfarrstand

Sich noch vor einigen Monaten befand.

6.

Es ist ihm damals vor andern allen

Sein Eintritt in Schönhain eingefallen,

Und da gedachte er an das alte Paar,

Deren Gast er bei seiner Ankunft war.

7.

Um sie in ihrem Alter baß zu erfreuen,

Kaufte er eine der schönsten Meiereien,

Und gab seiner Baucis und ihrem Philemon

Dieselbe für damalige Bewirthung zum Lohn.

8.

Er hat auch an seine Schwester Esther geschrieben,

Damit sie es wisse, wo er sei geblieben,

Und daß sie bei ihm in seinem Schönhain

Nächstens würde willkommen sein.

9.

Auch seinen Schildburger Anverwandten

Und den daselbst wohnenden Bekannten

Machte er seinen jetzigen Wohlstand

Zu ihrer freudigen Nachricht bekannt.

10.

Auch hielt er’s für eine der größten Pflichten,

Dem Herrn von Ohnwitz sein Glück zu berichten,

Bekam aber gar keine Antwort;

Denn bekanntlich war der Herr von da fort.

11.

Was er sonst Gutes zu Schönhain verrichtet,

Davon bin ich nicht genau unterrichtet,

Wir sind also nun darauf bedacht,

Zu sehen, was seine Schwester Esther macht.

12.

Aus folgendem Briefe läßt sich ersehen,

Wie auch alle übrigen Sachen sonst stehen,

Er lief mit der Post nach Schönhain

Als Antwort von Mamsell Esther ein.

Dreißigstes Kapitel.
Ein Brief von Mamsell Esther an Herrn Jobs, worin viele neue Märe enthalten ist, von dem alten Herrn von Ohnwitz, wie auch von dessen Herrn Sohne, und so weiter.

1.

Mein theuerster Bruder! Dein gutes Geschicke

Gereicht mir zum größesten Vergnügen und Glücke,

Auch noch mehrere Deiner Freunde sind hier

Und alle freuen sich herzinnig mit mir.

2.

Denn es haben zu Rudelsburg vor einigen Wochen

Der alte Herr von Ohnwitz und seine Gemahlin eingesprochen,

Und hieselbsten eine sichere Zuflucht

Für die Verfolgung der Feinde gesucht.

3.

Auch ist vorgestern wider alles Verhoffen

Der junge Herr von seiner Reise eingetroffen,

Denn ihm ward schon der traurige Zustand

Von Ohnwitz an der Grenze bekannt.

4.

Entblößt von Geld und andern Nothdürftigkeiten

Erwarten sie hier alle zwar bessere Zeiten;

Aber ich denke, bei Dir zu Schönhain

Werden sie besser als in Rudelsburg sein.

5.

Es ist Dir also, mein bester der Brüder!

Ihr Besuch angenehm und nicht zuwider?

Ein Brief noch von Dir und alle wir

Machen uns auf die Reise zu Dir.

6.

Tausend Grüße und herzliche Empfehlungen

Von der gnädigen Frau und dem alten und jungen

Baron. Ich verbleibe, nach altem Gebrauch,

Deine treue Schwester bis zum letzten Hauch.“

7.

Dieser Brief verursachte gewaltige Regung

Bei Herrn Jobs, und ohne lange Ueberlegung

Packte er ein Paar tausend Thaler ein

Nebst einer Invitation nach Schönhain.

8.

Er sandte alles durch eine Staffette,

Und als wenn es irgendwo gebrennet hätte,

Jug dieselbe Tag und Nacht durch,

Bis sie ankam zu Rudelsburg.

9.

Ohngefähr nach verstrichenen vierzehn Tagen

Trafe in einem gemächlichen Wagen

Die Ohnwitzer Familie zu Schönhain

Und Mamsell Esther zugleich mit ein.

Einunddreißigstes Kapitel.
Wie Herr Jobs und die herrschaftliche von Ohnwitzische Familia sich des Wiedersehens gefreuet haben, und wie Herr Jobs seinen lieben Gästen alles zum besten gibt, als wäre es ihr pröperliches Eigenthum, und wie man da alle Kriegesplage vergessen hat, und auf einem freundschaftlichen Fuß gelebet hat, und daß es Ueberfluß sei, die Freude des Hieronimus besonders zu beschreiben.

1.

Wie man sich des Wiedersehens gefreuet

Und zu Schönhain ein jeder gejubeleiet,

Und besonders die Freude des Herrn Hieronimus

Hier zu beschreiben, wäre Ueberfluß.

2.

Er gab seinen angenehmen Ohnwitzer Gästen

Alles, was er hatte, dermaßen zum besten,

Als wäre zu Schönhain rund herum

Alles ihr pröperliches Eigenthum.

3.

Man vergaß gerne in dieser fröhlichen Lage

Die vorherige erlittene Kriegesplage,

Und lebte auf dem Gute des Hieronimus

Zusammen auf dem freundlichsten Fuß.

Zweiunddreißigstes Kapitel.
Fortsetzung des funfzehnten Kapitels, und wie Umstände die Sachen verändern, und wie die Liebe des jungen Barons und seiner Stehre einen guten Fortgang zu gewinnen scheinet.

1.

Wir wollen jetzt einmal wieder zurückkehren

Zum jungen Herrn von Ohnwitz und seiner Stehren,

Damit der geneigte Leser seh’,

Ob die Liebe noch beim Alten besteh’.

2.

Seit Stehrens Rudelsburger Aufenthalte

Entstund in dem Romane zwar etwas Halte,

Weil auf jeden Brief, den der Baron schrieb,

Von Ohnewitz die Antwort ausblieb.

3.

Er kam also auf den fatalen Gedanken,

Stehrens Liebe möchte vielleicht etwas wanken,

Oder, welches gar noch schlimmer sei,

Sie möchte ihm völlig sein ungetreu.

4.

Nachdem er nun seine Reise hatte geendet,

Und sich nach Rudelsburg aus Noth gewendet,

Welch Glück, als er unvermuthet da

Seine geliebte Stehre hier wieder sah!

5.

Ware gleich ihre Liebe einige Zeit gehindert,

So war sie doch um kein Quentchen schwer gemindert,

Und so fing der abgebrochne Roman

Zu Schönhain wieder de novo an.

6.

Manches Spiel mit zärtlich gegnenden Blicken,

Heimliches Seufzen, verstohlnes Händedrücken,

Einsames Spazieren, abendlicher Convent

Bei den Linden und Amaliens Monument,

7.

Wandeln Hand in Hand durch blumige Thale,

Sich erquicken am keuschen silbernen Mondstrahle,

Girren und Tändeln und verliebte Sprach’,

Hatte alles seinen Fortgang vor wie nach.

8.

Der alte Herr hat dies nun zwar gesehen,

Ließ es aber diesmal tacite geschehen;

Auch die vernünftige gnädige Frau

Nahm dies Ding nicht mehr so genau.

9.

Denn Umstände pflegen in menschlichen Sachen

Mancherlei wichtige Veränderungen zu machen,

Und nach dem latein’schen Sprüchwort heißt es:

Circumstantiae variant res.

10.

Auch Herr Jobs hat dazu stillgeschwiegen,

Mochte die Liebenden nicht kränken oder rügen,

Und dachte vielleicht in seinem Herzen dabei,

Daß es alles so der Wille des Himmels sei.

11.

Als der junge Herr noch einmal bei den Alten

Um die Einwilligung in seine Liebe angehalten,

Nahm man ihm solches so übel nicht mehr,

Als man es hatte genommen vorher.

12.

Es entstanden doch noch zuweilen abseiten

Der gnädigen Eltern einige Schwierigkeiten;

Denn ein bürgerliches Mädchen zu trau’n,

War ihrem Magen noch schwer zu verdau’n.

13.

Herr Jobs ward dieses mehrmalen inne,

Und nun kam ihm von ohngefähr im Sinne,

Daß er von seinem Vater es mehrmals vernahm,

Die Jöbse wären vom altadligen Stamm;

14.

Auch daß die Vorfahren mütterlicher Seite

Wären gewesen gar ansehnliche Leute,

Und davon ein schriftliches Dokument

In Schildburg bei seinem Bruder sich fänd’.

15.

Er hat darum sofort an ihn geschrieben,

Auf Uebersendung der gedachten Schrift getrieben,

Und der sandte dann auch des Documents

Original ihm nach Schönhain eilends.

16.

Es enthielt die Jobsschen Familiennachrichten

Und manche drin vorgekommene Geschichten;

Ich liefere davon kürzlich und exact

Im folgenden Kapitel einen Extract.

Dreiunddreißigstes Kapitel.
Nachricht von der Jobsischen adligen Familie, welche anfangs von Schöps hieß.

1.

Erstlich ist zu merken, daß die männlichen Jöbse

Anfangs hießen die Herren von Schöpse;

Draus ward hernach der Name von Schops,

Ex post Schops und endlich gar Jobs.

2.

Aber der Stammbaum der Herren von Schöpse

Oder der nachherigen Herren Jöbse

War unwidersprechlich sehr alt,

Und ihr Geschlechtswappen von guter Gestalt.

3.

Denn es ist längst irgendwo zu lesen,

Daß in Noahs Arche schon ein Schöps gewesen;

Weil aber damals noch Niemand war Baron,

So schrieb sich derselbe auch nicht Herr von.

4.

Ja, wollte man der Geschichte weiter nachspüren,

So würde sich leicht der Schöpsen Ursprung verlieren

In das allergraueste Alterthum,

Vielleicht gar bis ins erste Weltsäculum.

5.

Aber dieses genauer auszumachen,

Würde zu viel Untersuchung verursachen,

Und zu einem ganz completen Stammbaum

Der Schöpsenfamilie wäre kaum Raum.

6.

So viel ist gewiß, daß die Vorfahren

Dieses Geschlechts ansehnliche Personen waren,

Und sowol im Lehr- als im Wehrstand

Viel wichtige Stellen bekleideten im Land.

7.

Die authentisch eingezogenen Nachrichten

Aus alten Geschichtschroniken berichten,

Daß schon zur Zeit des Majordomus Pipin

Mancher Schöpse bei Hofe erschien.

8.

Auch zu Kaisers Caroli magni Zeiten

Thaten ihn einige Schöpse im Kriege begleiten,

Und einer, genannt German von Schöps, war

Titularhofrath beim ersten Lothar.

9.

Dessen Sohn Bruno heirathete an Ludwigs Hofe

Eine artige kaiserliche Kammerzofe,

Und bekam im ersten Vierteljahr schon

Von ihr einen unerwarteten Sohn.

10.

Die Geschichte verschweiget seinen Taufnamen;

Aber zur Zeit, als die Hunnen nach Deutschland kamen,

Lebte er auf einem eignen Gut

Und zahlte geduldig Schatzung und Tribut.

11.

Er hinterließ einen Sohn, der war Fähnrich

Unterm berühmten Vogelfänger Kaiser Henrich;

Ob er vielleicht weiter avancirt,

Wird in der Stammgeschichte nicht berührt.

12.

Er hieß Wilhelm und blieb unter zwei Ottonen

Ruhig und still auf seinem Gute wohnen;

Im übrigen weiß man von ihm gewiß:

Er erzielte mit seiner Gemahlin Margaris

13.

Verschiedene Kinder, sowol Söhne als Töchter;

Davon entsprossen viele Nebengeschlechter

Des uralten Schöpsenstamms, die nach der Zeit

Sich durch’s ganze Europa befinden zerstreut.

14.

Dieser obgedachte Herr Wilhelmus

Hatte unter andern ’nen Sohn, genannt Anselmus;

Diesem gab man aus dringender Noth schon früh

Eine kluge Gattin zur Compagnie;

15.

Denn nach dem Bericht des Stammbaums befande

Er sich sehr schwach und elend am Verstande.

Dieses war dann auch wol mehrmal

In der von Schöpsschen Familie der Fall.

16.

Herr Anselm ließ, ohne sich zu geniren,

Von seiner Frau in allem sich leiten und führen,

Und aus dieser Ehe kam ein Sohn herfür,

Den nannte man in der Taufe Kasimir.

17.

Dieser half dem Kaiser im Feldzug gegen die Vandalen

Durch Verproviantirung der Armee damalen

Mit zweihundert Stück fetten Hämmeln aus,

Er für seine Person blieb aber zu Haus;

18.

Kam deswegen sehr beim Kaiser in Gnaden,

Hat ihn gar einmal selbst zu Gaste geladen,

Und dieser that ihm dafür die Ehr’,

Dem Schöps im Wappen zu geben ein Horn mehr.

19.

(Denn im uralten Familienschilde

War auf’m rothen Balken ein Schöpsgebilde

Zierlich bis zur Hälfte aufgestellt,

Von schwarzer Farbe im silbernen Feld.)

20.

Dieser Vorzug läßt, jedoch in allen Ehren,

Sich vielleicht aus Nebenursachen erklären,

Denn die Geschichte sagt, Casimirs Hausfrau

Seie gewesen sehr schön und schlau.

21.

Dessen Sohn Guido war fast immer kränklich;

Dies machte nun das Kinderzeugen etwas bedenklich,

Jedoch der brave gesunde Burgpastor

Sorgte mittlerweile davor.

22.

Denn Guido’s Gemahl Hedwig war desto gesünder,

Und sie brachte ein Stück oder sieben Kinder,

Außer dem ältesten Sohne Christheld,

Ohne sonderliche Wehen zur Welt.

23.

Christheld ist vorzüglich im Stammbaum wichtig,

Denn er wog im vierundzwanzigsten Jahre richtig

328 Pfund, und weder vor- noch nachher

Ward kein Schöps erfunden so schwer.

24.

(Zwaren war’s der Familie schier eigenthümlich,

Denn alle aus ihr, besonders die Männer, waren ziemlich

Fett, und diese Constitution

Erbte immer vom Vater auf’n Sohn.)

25.

Sein Bauch glich schon früh einem Braukessel;

Er trauete sitzend in einem Polstersessel

Die durch ihre Schönheit berühmte Gordoin,

Aus welcher Ehe ein Sohn erschien,

26.

Namens Peter, ihm fast gleich an Dicke;

Seine Gemahlin aber hieße Friederike,

Welche ihm einen Sohn hinterließ,

Der ebenfalls, wie sein Vater, Peter hieß.

27.

Ich kann übrigens von diesen beiden Helden

Eben nichts Rühmliches sagen oder melden,

Als daß des letztern Gemahlin ’nen Sohn gebar,

Der Großvaters und Vaters Bilde ähnlich war.

28.

Er hieß Florenz und war ein Gebieter

Ueber verschiedene sehr ansehnliche Güter,

Lebte, aß, trank, schlief als ein Dynast,

Und war andern und sich selbst zur Last.

29.

Doch erweckte er seiner Hausfrau Magdalene

Nebenbei einige Töchter und Söhne;

Vor allen bemerkt die Geschichte davon

Den ältesten Sohn, genannt Gideon.

30.

Der ging als Schildknapp’ zum Herzog Welfen,

Um dem Papst wider die Ghibelliner zu helfen;

Er machte auch jenen berühmten Ritt

Auf einem Mädchen aus Weinsberg mit.

31.

Dieser Ritt war lieblich anzuschauen;

Er nahm es hernach zu seiner Hausfrauen,

Denn das Mädchen war zärtlich und fein

Und gebar ihm gar bald ein Töchterlein.

32.

Er hinterließ auch noch vor seinem Absterben

Einen Sohn, genannt Reimarus, zum Erben;

Der ward getauft, nahm eine Gemahlin

Und ward versammelt zu seinen Vätern hin.

33.

War aber bei Leibes Leben lustig und gutes Muthes;

Seine Gattin, eine adlige Wittwe, hieß Gertrudes,

Und er zeugte mit ihr auf gewöhnliche Art

Einen gesunden Sohn, genannt Gerhard.

34.

Dieser saß gern bei vollen Humpen und Kannen,

Hatte im Solde viele streitbare Mannen,

Vermehrte, wo er konnte, stattlich sein Gut

Und vergoß durch Faustkriege vieles Blut.

35.

Er beraubte auß- und innerhalb seiner Veste

Sowol reisende Fremde als einkehrende Gäste,

Und wurde deswegen zugenannt:

Junker Gerhard mit der eisernen Hand.

36.

Er entführte einst zu seinem Ehebette

Ein sehr hübsches Fräulein, genannt Hette,

Vergaß eine Zeitlang das Waffengeklirr

Und zeugte mit ihr den Sohn Lodomirr.

37.

Gerhard war sonderlich ein Feind der Pfaffen,

Machte benachbarten Klöstern viel zu schaffen,

Fing mit Nonnen allerlei Streiche an,

Und kam darüber sogar in Bann.

38.

Um nun wegen begangner vielen Sünden

Beim annahenden Alter Absolution zu finden,

Ergriff er in der Angst den Pilgerstab

Und wallte nach Jerusalem zum heil’gen Grab.

39.

Mittlerweil er wiederkam von der Pilgerstraßen,

War, außer dem Sohn, den er hinterlassen,

Mirakulöser Weise von Frau Hetta

Noch ein vierteljähriges Söhnlein da.

40.

Lodomirr war ein gar frommer Herre,

Stiftete viel Heiligenhäuser und Altäre,

Gab Mönchen und Nonnen reichlich Brod,

Und litte darob fast selber Noth.

41.

Seine adlige Hausfrau, Anna mit Namen,

Ware gleichfalls eine der frömmsten Damen

Und hielt für ihren Leibs- und Seelenzustand

’nen Beichtvater auf ihre eigne Hand.

42.

Aus dieser gar frommen Ehe entsprosse

Florian, mit dem Zunamen der Große;

Denn er maß richtig 14 Zoll

Und war täglich toll und voll.

43.

Dieser hatte mit seiner Gemahlin Otilie

Eine ziemlich zahlreiche Familie,

Und unter andern einen artigen Sohn,

Der ward genannt der galante Leon.

44.

Er pflegte sich in Waffen und Turnieren

Fleißig in damaliger Zeit zu exerciren,

Und zerbrach dem schönen Geschlecht zur Ehr’

In Scherzritterspielen manchen Speer.

45.

Dieses, sowie sein Tanzen und Courtesiren,

Mußte die Schönen der Zeit sehr charmiren,

Und ob er gleich weiter nichts verstand,

Bekam er doch eines reichen Fräuleins Hand.

46.

Denn in einer reizenden Schäferstunde

Gab ihm die extraordinärschöne Kunigunde

Mit allen ihren Gütern zugleich ihr Herz.

Der Sohn aus dieser Ehe hieß Adelberts.

47.

Der hatte nach und nach vier Gemahlinnen,

Sie schieden aber alle zeitig von hinnen;

Von der ersten, genannt Rosemon,

Blieb ein Sohn zurück, der hieß Anton.

48.

Nach dem Absterben seiner letzten Frauen

Ließ Adelberts ein Nönnchenkloster bauen,

Und hat dasselbe reichlich begabt,

Und starb drinnen als der Nonnen Abt.

49.

Man sprach viel von seiner Canonisirung,

Aber bei der geistlichen Proceßführung

Hinderte Advocatus Diaboli

Durch manchen wichtigen Einwand sie.

50.

Von Herrn Anton kann ich nichts sonders melden;

Er gehörte nicht unter die Kriegshelden,

War auch weder Abt noch Bischof,

Weiß auch nicht, daß er übermäßig soff.

51.

Er blieb immer in der adligen Hütte,

Heirathete nach der väterlichen Sitte,

Sorgte für seinen eigenen Mund

Und starb nach dem bewußten alten Bund.

52.

Er hinterließ einen Sohn, der hieß Steffen,

Dieser blieb zu Mühldorf beim bekannten Treffen

Unter Seyfried Schweppermann als Officier,

Weil er’s Fieber hatte, ruhig im Quartier;

53.

Verließ gleich darauf gänzlich die Fahnen,

Kehrte zurück zum Herde seiner Ahnen,

Schritte demnächst fort zur Heirath,

Und einer seiner Söhne hieß Vollrath.

54.

Von diesem Vollrath sagen die Stammbaumsautoren,

Daß er seine untergebenen Bauern baß geschoren,

Und übrigens unterm Kaiser Wenceslas

Nichts thate, als daß er soff und fraß.

55.

Seine Gattin, die gute Adelheide,

Hatte mit ihm in der Ehe wenig Freude;

Denn er prügelte sie oft und viel,

Und trieb mit andern Weibern sein Spiel.

56.

Sein Sohn Balthsar ware zwar frümmer,

Aber bei dem allen doch ungleich dümmer;

Er theilte Mönchen und Klöstern reichlich mit

Und starb endlich im Franciskanerhabit.

57.

Seine gottesfürchtige Gemahlin Susanne

Lebte gar friedlich mit dem frommen Manne,

Und aus dieser keuschen Ehe erschien

Ein wackerer Sohn, genannt Augustin.

58.

Dessen Gemahlin hieß Frau Petronelle,

Den mit ihr erzielten Sohn hieß er Nölle,

Und er starb im neunzigsten Jahre als Greis,

Dies ist das einzige, was man von ihm weiß.

59.

Aber sein gedachter Herr Sohn Nölle

Bekleidete eines Landvogtes Stelle,

Und zog diese Einkünfte wohlgemuth

Ruhig wohnend auf seinem Landgut.

60.

Er hatte durch Umgang mit einer Landschöne

Zwar verschiedene unächte Töchter und Söhne,

Hinterließ aber doch einen Sohn ohnehin

Von Frau Irmgard, seiner Gemahlin.

61.

Der ward nach seiner Geburt genannt Heine,

War ein Liebhaber vom Wildpret und vom Weine,

Und obgleich sonst nicht zur Arbeit geneigt,

Hat er doch einen Sohn, Philipp, gezeugt.

62.

Seine Gemahlin, die Dame Sophie,

Verstund sich baß auf Oekonomie,

Hielt alles im Hause sauber und rein,

Trank auch wol ein Gläschen Branntewein.

63.

Herr Philipp war ein guter Haushalter,

Ward sogar geizig in seinem Alter,

Trieb oft mit eigener Hand den Pflug

Und trank sich und aß sich kaum satt genug.

64.

Seine Gattin, die geduldige Frau Jütte,

Starb an der Zehrung in ihrer Jahre Blüte,

Hinterließ doch, der Familie zum Glück,

Nach ihrem Tode einen Sohn zurück.

65.

Indeß heirathete der junge Wittwer Philipp

Abermals, und zwar eine alte Wittib,

Die hungerte er bald hin zur andern Welt

Und erbete ihre Güter und Geld.

66.

Sein Sohn hieß Weinrich mit der kupfernen Nase,

Der trank viel und ehelichte seine Base

Käthe, und kaum war Robert, sein Sohn, da,

So starb er am Zurücktritt des Podagra.

67.

Gedachter Sohn Robert bekam Lust zum Kriege,

That als Freiwilliger einige Feldzüge,

Und ließ in ’nem Scharmützel ritterlich

Den Haarzopf und ’nen halben Finger im Stich.

68.

Um nun nicht noch was mehr zu verlieren,

That er sich auf seine Güter retiriren,

Heirathete im sechsundzwanzigsten Jahr,

Und starb, als er dreißig und ein halbes alt war.

69.

Seine Ehegenossin hieße Frau Ide;

Er hatte gelebt ziemlich mit ihr in Friede,

Denn er war von tolerablem Gemüth.

Sein hinterlaßner Sohn hieße Siegfried.

70.

Siegfrieds Umgang mit den Bauern war vertraulich,

Und mit den Bäuerinnen noch mehr erbaulich,

Und nie waren im Revier des von Schöps’schen Gebiets

So viel Hahnreie als zur Zeit Siegfrieds.

71.

Doch suchte er auch mit seiner Hausfrauen

Sein grades adliges Geschlecht zu erbauen,

Denn seine Gattin Fredegund gebar

Einen wohlgebildeten Sohn ihm dar.

72.

Dieser war ein sehr gewaltiger Jäger,

Hubertus, zugenamset der Schläger,

Denn er erschlug einst einen Wilddieb,

Welcher das verbotene Jagen trieb.

73.

Seine Gattin, die schmutzige Gertrude,

War sehr filzig und karg wie ein Jude,

Sie molke die Kühe und fegte den Stall,

Und ihre Hand war im Hause überall.

74.

Huberts Sohn, Werner, erbte Flinte und Büchse

Nebst den übrigen Gütern, prellte Füchse,

Und verdarb mit Hasenjagen rund herum

Der Bauern Aecker und Eigenthum.

75.

Aber seine Ehefrau, die bärtige Trine,

Machte ihm zu Hause manche böse Miene,

Und fing oft mit ihm Gezänke an,

Und er blieb ihr gehorsamster Unterthan.

76.

Jedoch erzeugte mit ihr Herr Werner

Erst einige Töchter, und demnächst ferner

Einen artigen Sohn, und dieser ward

In der Taufe genennet Eberhard.

77.

Auch dieser blieb treu der väterlichen Sitte,

Und heirathete eine Frau, genannt Brigitte,

Bekam unter andern den Sohn Johann,

Der war ein stattlich gelehrter Mann.

78.

Er ist der erste des von Schöps-Geschlechts gewesen,

Der da selbst konnte schreiben und lesen,

Hat auch durch dieses Stammbaums Geschrift

Sich bei der Nachwelt ein Denkmal gestift’t.

79.

Vormals war es wenigstens unerhöret,

Daß man in der Familie hätte schreiben gelehret,

Und selbst bei Documenten kleckste man

Statt Unterschrift blos ein Wachssiegel an.

80.

Er conversirte gern mit studirten Leuten,

Machte gar zu gewissen launigten Zeiten

Bei seiner Hausfrau Lina daheim

Einen nach damal’ger Art feinen Reim.

81.

Er las Zeitungen und hatte eine große

Kenntniß von Staatssachen, und schlosse

Im Großvaterstuhl für sich als Politicus

Den berühmten westphälischen Friedensschluß.

82.

Notabene! als ein vernünft’ger Gelehrter

Haßte er den Schöpsnamen, darum kehrt’ er

Das ö im Wort Schöps, in o ohne Strich

Und schrieb am ersten von Schops sich.

83.

Er zeugte succesive nicht mehr noch minder

Als siebenundzwanzig eheliche Kinder,

Sowol Töchter, als Söhne; davon

Erwähn’ ich nur Kunz, den ältesten Sohn.

84.

Dieser ward gleichfalls gelehrt unterweiset,

Und nachdem er viel Geld hatte verreiset,

Brachte er mit nach Hause als Gemahlin

Eine großvornehme Donna Italienerin.

85.

Sie liebte hohe Spiele und Assembléen,

Hatte viele Lakaien und Cicisbeen,

Prätendirte auch im gemeinen Umgang

Ueber alle andre Damen den Rang.

86.

Zu dieser hochgedachten Donna Zeiten

Entstunden schon allerlei Verdrießlichkeiten,

Denn es ging manches Familiengut

Durch die zu große Verschwendung caput.

87.

Herr Kunz, um sich aus dem Verderben zu ziehen,

Spielte fleißig hoch in Lotterien,

Suchte auch hier und da überall

In neuangelegten Bergwerken Metall.

88.

Das war aber noch lange nicht das Schlimmste;

Sondern unter allen war dies das Dümmste,

Daß er sich mit Advocaten abgab,

Denn diese brachten ihn noch tiefer herab.

89.

Auch legte er sich mit vielen Kosten und Wachen

Auf den Stein der Weisen und das Goldmachen,

Und verwendete also des Vermögens Rest

Vergeblich auf’m chimischen Alkahest.

90.

Er kam also in kurzem um das Seine,

Und ware nunmehr gar blank auf das Reine,

Und im unersetzbaren Ruin

Sank dies sonst reiche Geschlecht dahin.

91.

Sein Sohn Fritz erwählte das Militäre,

Erlangte wegen seiner Bravour viel Ehre,

Bis er zuletzt gar ein Bein und ein Ohr

Ehrenvoll in einer Schlacht verlor.

92.

Er bekam drauf den Abschied und einen Orden,

Ist aber dabei arm und dürftig geworden,

Und ernährte ex post kümmerlich

Auf einem gar kleinen Gütchen sich.

93.

That jedoch, obgleich mit hölzernem Beine,

Bei der Fortpflanzung des Geschlechts noch das Seine,

Und erzeugte zu seines Alters Trost

Einen Sohn mit seiner Suse, den nannte er Jost.

94.

Der ist noch dem Adelstande getreu geblieben,

Und hat keine bürgerliche Nahrung getrieben;

Denn noch im Jahr tausendsiebenhundertacht

Hatte Jost eine kleine Hufe in Pacht.

95.

Er war übrigens der leibliche Vater

Von dem berühmten Schildburger Senater,

Hielt indeß auf gute Oekonomie

Mehr als auf die adlige Genealogie.

96.

Vergaß deswegen bei seiner Frau Marianen

Seinen vornehmen Stand und alle seine Ahnen,

Und wandelte den bisherigen Namen von Schops

In den schlichtbürgerlichen Namen Jobs.

97.

Als ein Feind aller Pracht und neuen Mode

Zeugte er nach der wohlbekannten Methode

Eines jeden andern bürgerlichen Manns

Den gedachten Schildburgschen Senater Hans.

98.

Dieser wurde sehr gut bürgerlich erzogen,

War klein, hat aber schwer gewogen,

So wie seine meisten Ahnen, denn es war dies,

Wie schon oben bemerkt ist, ein Fideicommiß.

99.

Daß Herr Hieronimus sein Sohn gewesen,

Und seine Frau mehrerer Kinder genesen,

Das alles, wie auch sein Rathsherrnstand,

Ist uns allerseit’gen Lesern bekannt.

100.

Ich habe die Geschichte der Jobsschen Lebensläufen

Mit zu viel Nebensachen nicht wollen häufen,

Weil ich beim nähern Nachsehen find’,

Daß schon hundert Verse drüber da sind.

Vierunddreißigstes Kapitel.
Genealogie der Frau Senatorin Jobs nach aufsteigender Linie.

1.

Die Ehegenossin des Schildburgschen Senaters,

Als unsers Herrn Hieronimi würdigen Vaters,

Der notorie mehr Kinder hatte, war

Eine geborne Mammesell Plappelplar.

2.

Ihre Stammtafel ist weniger weitläufig,

Und die Merkwürdigkeiten drin sind nicht so häufig;

Indessen wollen wir doch ordentlich gehn,

Und dieselben in diesem Kapitel durchsehn.

3.

Ihre Familie war zwar nicht von Adel,

Aber doch ohne allen Vorwurf und Tadel,

Und unter dem schwäbischen Plebejerstand

Eine der ersten im ganzen Land.

4.

Sie war ansehnlich, groß und lang von Leibe,

Und ein Muster von ’nem schönen und guten Weibe,

Und ihr eheleiblicher Vater war

Der Consistorialrath Herr Plappelplar.

5.

In seinen Handlungen und Reden war er eifermüthig,

Von Temperament etwas cholerisch und vollblütig,

Er zerklopfte oft im Affect die Kanzelbank,

Denn er war von Person robust und lang.

6.

Er war mächtig in Lehr’ und reich an Worten,

Stund erst als Pfarrer an verschiedenen Orten,

Ward im vierzigsten Jahre Consistorial,

Und starb im funfzigsten Knall und Fall.

7.

(Von seiner Suade im Peroriren

Scheint es als Erbtheil herzurühren,

Daß die ehmalige Mamsell Plappelplar,

Nachherige Frau Jobs, so wortreich war;

8.

Auch daß sie an dem geistlichen Stande

Ein so außerordentliches Vergnügen fande,

Und den Hieronimus, den sie gebar,

Schon früh bestimmte zum Dienst der Pfarr’.)

9.

Er hinterließ nicht blos Kindertücher

Oder eine Sammlung alter Schriften und Bücher,

Sondern auch viel Gut immobil und movent,

Denn er war ziemlich reich und potent.

10.

Von seinen sonstigen Lebensumständen

Habe ich nicht viel Nachricht in Händen,

Doch merke ich noch von ihm an, daß

Er gerne gebratne Truthähne aß.

11.

Daher entstand vermuthlich die Sitte und Regel,

Daß man die Truthähne Consistorialvögel

Seitdem im schwäbischen Lande heißt,

Und sie gern bei Pfarrschmäusen speist.

12.

Doch dem sei übrigens wie ihm seie,

Er verwaltete sein Amt mit aller Treue,

Und sein eheleiblicher Vater war

Fürstlicher Amtmann und Justitiar.

13.

Der war in seinen Aemtern und Pflichten strenge,

Machte weder große Umstände noch Gepränge,

Wenn einer nicht gleich seinem Mandat

Oder der Citation pariren that.

14.

Er stund wegen seinem ernsthaften Amtsgesichte

Rund herum in sehr gutem Gerüchte,

Und sein eheleiblicher Vater war

Fürstlicher geheimer Consiliar.

15.

Man muß aber eben nicht meinen oder träumen,

Es hätte der Fürst wegen ’s Prädicat ’nes Geheimen

Rathes nichts ohne ihn gethon;

Er kannte nicht einmal seine Person.

16.

Er starb als ein treuer Diener des Staates,

Ohngeachtet des Titels eines geheimen Rathes,

Und sein eheleiblicher Vater war

Bei ’ner verwittweten Fürstin Leibhusar.

17.

Dieser stand bei Hofe sehr hoch in Gnaden,

War ein hübscher Husar von Bart und Waden,

Und sein eheleiblicher Vater war

In Schildburg der zweite Consular.

18.

Im Stadtarchiv findet man oft seinen Namen;

Er sagte zu allen Rathsdecreten: Amen!

Und sein eheleiblicher Vater war

Seligen Andenkens Landcommissar.

19.

Jedoch zur Zeit seines Commissariats stand es

Eben nicht zum besten um die Wohlfahrt des Landes,

Und sein eheleiblicher Vater war

Commerzienrath titular.

20.

Der legte sein ganzes väterliches Erbe

An Fabriken und weitläufiges Gewerbe,

Brachte es aber durch Ehrlichkeit

Anfangs bei aller Mühe nicht weit.

21.

Er rettete sich jedoch noch bei zeiten,

Wie es Sitte ist bei viel Handelsleuten,

Denn ein starker honneter Bankrott

Half ihm aus aller seiner Noth.

22.

Man saget aber, seine Creditoren

Hätten dabei mehr als er verloren,

Und sein eheleiblicher Vater war

Adliger Verwalter und Secretar.

23.

Der konnte succesive etwas Vermögen

Extra per fas et nefas zurücke legen,

Und sein eheleiblicher Vater war

Der sieben freien Künste Baccalar.

24.

Dieser mußte sich sehr kümmerlich ernähren,

Hatte blutwenig oder nichts zu verzehren,

Und sein eheleiblicher Vater war

Ein kaiserlicher gekrönter Poete gar.

25.

Zwar erfahren in allen Dichterkünsten,

Hungerte er doch bei seinen Verdiensten,

Und wohnte mit Frau und Kinderlein

In einem kleinen Dachstübelein.

26.

Seinem leiblichen Vater ging es noch trister,

Er war der Weltweisheit Magister,

Wovon er sich höchst erbärmlich ernahr;

Wer aber des Magisters Vater war,

27.

Davon schweigen die vorhandnen Nachrichten;

Ich kann also davon weiter nichts berichten,

Als daß er auch ein Herr Plappelplar

Und vermuthlich ein redlicher Mann war.

Fünfunddreißigstes Kapitel.
Wie nunmehr nach wohlerwogenen Umständen der Consens zu der Vermählung des jungen Herrn Barons mit seiner Stehre erfolgt ist.

1.

Man fande bei wohlerwogenen Umständen

Nun wegen der Heirath nichts weiter einzuwenden;

Denn aus dem gelesenen Bericht war klar,

Daß Jungfer Esther von berühmter Familie war.

2.

Um damit zum erwünschten Ende zu kommen,

Hat Herr Jobs seiner Schwester Ausstattung übernommen,

Und diese fiele weit reichlicher aus,

Als bei manchem Fräulein aus ’nem großen Haus.

3.

Der beiden Liebenden Wonne und Entzücken

Vermag meine Feder nicht auszudrücken;

Sie hätten, von ihrem Glücke berauscht,

Mit keinem Monarchen der Erde getauscht.

4.

Denn es ist durchaus den Verlobten so eigen,

Zu sehen den Himmel voll Flöten und Geigen,

Und als wäre in dieser argen Welt

Alles für sie aufs beste bestellt.

5.

Dennoch folget nach geschloßner Ehe

Auf den ersten Jubel meist Reue und Wehe,

Und nach verschwundnem Rausche denkt man gar:

Ich war, als ich heirathete, ein Narr.

6.

Zu den Vermählungsfeierlichkeiten

Suchte man nun alles vorzubereiten,

Und es war wirklich vierzehn Tage hernach

Der längst erseufzete Hochzeitstag.

Sechsunddreißigstes Kapitel.
Die Vermählung des jungen Barons und der Esther geht wirklich hier vor sich, wie im Kupfer artig zu sehen ist.

1.

Gleichwie der Seefahrer den Tag hoch feiert,

Wenn sein Schiff nun in den Hafen steuert,

Nachdem er auf der langen nassen Bahn

Erfahren manchen Sturm und Orkan;

2.

Und wie der Wanderer, wenn’s regnet oder schneiet,

Oder die Sonne brennet, sich hoch erfreuet,

Wenn er Abends, hungrig und müd’,

Das lockende Schild des Wirthshauses sieht;

3.

Und wie nach dreijährigem Wachen und Fleiße,

Und vielem nicht fruchtlos vergossenem Schweiße

Ein auf der hohen Schul’ gewesner Student

Sich freuet über seines Studiums End’;

4.

Und wie der thätige Kaufmann sich baß entzücket,

Wenn er beim Schlusse eines Jahres erblicket,

Daß er nach richtigem Calcul und Stat

Abermal ein Kapital in salvo hat;

5.

So pflegen auch Verlobte nach langem Schmachten

Ihren Hochzeitstag freudig zu betrachten,

Und der wird nach viel überwundner Hinderniß

Nun erst destomehr schmackhaft und süß.

6.

Grade so beschaffen, wie ich sage, war es

Mit den Gefühlen unsers lieben Brautpaares,

Als jetzt des Priesters segnende Hand

Sie auf ewig zusammen verband.

7.

Von allen merkwürdigen Hochzeitsscenen

Dieses Tages will ich nur einer erwähnen;

Man sagt, des Herrn Jobs alter Philemon

Seie gewesen der Erfinder davon.

8.

Nämlich, die Schönhainer hatten seit ein paar Wochen

Sich zu einem glänzenden Aufzuge abgesprochen,

Und dieser ging dann auch feierlich

Am besagten Hochzeitstage vor sich.

9.

Drei Tage vor der Hochzeit kündete die Trommel

Im Dorfe durch ihr schnarrendes Gerommel

Allen Einwohnern, alt und jung,

Die Losung an zur Vergaderung.

10.

Längst war sie vergessen im Hintergehäuse,

War eine ruhige Wohnung der Ratten und Mäuse,

Denn im Dorf herrschte seit undenklicher Zeit

Stolze Ruhe und Friedlichkeit.

11.

Jedoch bei ihrem ungewöhnlichen Alarme

Ward alles reg gleich einem Bienenschwarme,

Und mit allerlei Unter- und Obergewehr

Zog man zum gewählten Waffenplatz her.

12.

Jedem Comparenten ward da unverweilet

Seine Charge nach Verdienst und Fähigkeit ertheilet,

Und der alte Philemon übernahm die Müh’

Und übte im Marschiren und Feuern sie.

13.

Er verstund gar herrlich das Manövriren;

Hatte die Schlacht bei Roßbach helfen verlieren,

Denn er war ein ganzes Jahr lang damal

Beim Kreiscontingente Corporal.

14.

Man sah frühmorgens in zwei Compagnien

Die Schönhainer Mannschaft in Parade ziehen

Mit Trommel und Pfeife und wehender Fahn’,

Und den alten Philemon als Oberster voran.

15.

Zwei auf dem Schloßplatz aufgepflanzte kleine Kanonen,

Geladen mit ein halb Loth schweren Patronen,

Gingen zur Losung fürchterlich los,

Daß schier erbebt hätten die Fenster am Schloß.

16.

Die sämmtliche Mannschaft gab eine Salve,

Es war aber eigentlich doch nur eine halbe;

Denn manches Gewehr versagte den Schuß,

Und ging aufs Commando: „Gebt Feuer!“ nicht luß.

17.

Doch gab’s beim Aufmarschiren und Kriegsgewimmel

Ein allgewaltiges Lärmen und Getümmel;

Man schrie Vivat! als wäre man toll,

Und jeder Jagdhund des Schlosses boll.

18.

Es schien, als ob sich alle Elementen

Bewegten und in einem Krieg befänden,

Und als ob in dem Dorfe Schönhain

Wirklich der jüngste Tag bräch’ ein.

19.

Nach dreimal wiederholten Vivat und Chargiren

Ließ man’s ganze Heer auf’m Schloßplatz campiren,

Und vom Obersten bis zum Musketier

Bekam jeder zu essen, und Branntwein und Bier.

20.

Als endlich die Nacht hatte angefangen,

Ist jeder seines Weges nach Hause gegangen;

Auch das Brautpaar entschliche schon früh,

Ich weiß nicht, wohin? warum? und wie?

21.

Dieses Wohin, Warum, Wie und Weswegen

Zu wissen, dran ist uns nichts gelegen;

Genug, Esther war von diesem Abend an genau

Eine leibhaftige gnädige Frau.

Siebenunddreißigstes Kapitel.
Wie sich die junge gnädige Frau von Ohnwitz beging, und wie sie nach neun Monaten eines Söhnleins genaß.

1.

Ich muß es der jungen Frau zum Ruhm nachsagen,

Daß sie sich immer gar zärtlich betragen,

Und es dem jungen Herren noch zur Zeit,

Sie zur Gattin zu haben, nicht gereut.

2.

Gar nach schon jetzt verfloss’nen vier Jahren

Habe ich nicht das mindeste davon erfahren,

Daß der böse Ehegeist Asmodees

Angestiftet hätte Streit oder Getös.

3.

Sie fanden darin ihr vorzüglichstes Entzücken,

Sich durch getreue eheliche Liebe zu beglücken,

Und die junge gnädige Frau hatte schon

Nach neun Monaten einen kleinen Sohn.

4.

Sie ist also, wie man deutlich siehet,

Ihrerseits ernstlich drauf aus und bemühet,

Daß der Ohnwitzer Nam’ besteh’

Und sein Stamm nicht so bald vergeh’.

5.

Sie hielte nichts von fremden Säugammen,

Wie sonst üblich ist bei vornehmen Madammen,

Sondern glaubte, ihn von eigner Milch

Zu ernähren, sei menschlich und bill’g.

6.

Sie blieb dabei nicht allein viel gesünder,

Sondern ihre Reize wurden eher größer als minder;

Denn eine so süße schuldige Mutterpflicht

Schadet der Gesundheit und Schönheit nicht.

7.

Auch die Kleinen pflegen baß zu gedeihen,

Daß sich Gott und Menschen drob erfreuen,

Auch der sonstige Nutzen dabei

Ist unwidersprechlich noch mancherlei.

8.

Sie ward auch in allem übrigen Verhalten

Für’n Muster einer braven Dame gehalten,

Und jeder Schönhainer Unterthan

Betete sie gleichsam als ihre Göttin an.

9.

Noch immer führete sie das Steuerruder

Der Oekonomie bei ihrem lieben Bruder,

Und hielte auf dem großen Gute Schönhain

Alles fein ordentlich, sauber und rein.

10.

Ihre Schwiegereltern thut sie höchlich ehren,

Handelt in allem nach ihrem Rath und Begehren,

Und diese lieben sie dafür fast mehr,

Als wenn sie ihre leibliche Tochter wär’.

Achtunddreißigstes Kapitel.
Wie Herr Jobs seine Schildburger Verwandten reichlich bedenket, und Schwester Gertrud den Schösser heirathet.

1.

Man denke aber nicht, als ob indessen

Herr Jobs seine andre Verwandten hätte vergessen;

Er hat vielmehr sie auch kräftig itzt

Mit Gelde in Schildburg geunterstützt.

2.

Zum Exempel: Er ließ große Kapitalen

Per Wechsel an seinen einen Bruder auszahlen,

Und dieser wurde schleunig also

Aus ’nem Krämer ein großer Kaufmann en gros.

3.

Auch sein ält’ster Bruder ward durch ihn glücklich,

Denn sein geiziges Weib starb augenblicklich

Für übermäßigem Freudenschreck,

Als sie sah die übersandten Geldsäck’.

4.

Sein Herr Schwager, der Schildburger Küster,

Bekam gleichfalls einen großen Tornister

Voll von Geschenken und Geld, und ward gleich

Reicher als ein Küster im römischen Reich.

5.

Die andre Schwester brauchte auch dem Alten

Nun länger nicht zu dienen und hauszuhalten,

Denn Herr Jobs machte ihr Jahr ein Jahr aus

Eine ansehnliche Rente zu verzehren aus.

6.

Seine noch übrige Schwester, die Gertrüde,

Ein Frauenzimmer von sehr gutem Gemüthe,

Invitirte er zu sich nach Schönhain,

Um ihm in der Wirthschaft behilflich zu sein.

7.

Versprach auch sonst, sie heute oder morgen

Reichlich und christbrüderlich zu versorgen;

Sie gab also ihre bisherige Geschäfte dran,

Und kam verlangtermaßen bald drauf an.

8.

Nun war zwar besagte Schwester Gertrüde

Eben nicht mehr in der besten Jahrblüte,

Aber doch für’s Haus, Bette und Tisch

Noch ziemlich munter, gesund und frisch.

9.

Auch nicht unangenehm im Umgange;

Drum währte es auch zu Schönhain nicht lange,

Daß der Schösser, der sich Wittwer befand,

Anhielte um ihr Herze und Hand.

10.

Was vormals mit Procrater Geyer geschehen,

Das konnte niemand ihr weiter ansehen,

Drum willigte Herr Hieronimus drin,

Und sie ward richtig Frau Schösserin.

Neununddreißigstes Kapitel.
Wie man allerseits wegeilet; die adlige Gesellschaft nach Ohnwitz und der Autor nach dem Ende des Büchleins. Sehr traurig zu lesen.

1.

Zwar der Franken siegreiche Kriegsheere

Verbreiteten sich weiter gleich dem flutenden Meere,

Und wohin sie kamen, ward Knall und Fall

Ueberall alles egal und kahl.

2.

Aber auf dem sichern Schönhainer Gute

War man freudig und bei gutem Muthe,

Und durchlebte ein paar Jahre Zeit

In ununterbrochener Einigkeit.

3.

Indessen ward durch einen Separatfrieden

Das Schicksal von Ohnwitz glücklich mit entschieden,

Und der alte Herr und Frau von Ohnwitz

Kehrten zurück nach ihrem vorigen Sitz.

4.

Sie fanden da fast alles jämmerlich zerstöret,

Und die Güter zum Theil vernichtet und verheeret,

Indessen ward doch durch Herrn Jobsens Geld

Alles bestmöglichst wieder hergestellt.

5.

Aber die junge Frau nebst ihrem Barone

Blieben beim Herrn Jobs mit ihrem Sohne,

Weil sich dieselbe vor der Hand

Abermals einer Niederkunft nahe befand.

6.

Sie kam auch glücklich zum zweitenmal wieder

Mit einem lieben jungen Barönlein nieder,

Und man nannte dasselbe nach seinem Ohm

Und Pathen in der Taufe Hieronom.

7.

Nach den zurückgelegten Kindbetterwochen

Sind auch sie nach Ohnwitz aufgebrochen,

Aber der Abschied vom guten Schönhain

Ging ihnen beiden durch Mark und Bein.

8.

Herr Jobs hat auf herzliches Bitten

Sie auf der Reise nach Ohnwitz beglitten,

Und übergab zur einstweiligen Obhut

Sein Gut dem Schwager Schösser und der Gertrud.

9.

Denn auch er konnte dem Trieb nicht widerstehen,

Seine lieben Ohnwitzer mal wieder zu sehen,

Und sein Herz blutete, als er fand

Ihren dermaligen traurigen Zustand.

10.

Er gab ihnen gerne die nöthigsten Gelder

Zur Reparirung der Häuser und verdorb’nen Felder,

Kaufte ihnen Schafe, Pferde und Küh’

Und unterstützte aufs mildeste sie.

11.

Seitdem ihn der Krieg von da vertrieben,

War die Pfarrstelle unbesetzet geblieben,

Aber sie war vom Herrn von Ohnwitz jetzt

Wieder durch ’nen trefflichen Mann besetzt.

12.

Das that Herrn Jobs ungemein gaudiren,

Denn es wollte sich ja hinfort nicht mehr gebühren,

Daß er die Pfarrstelle wieder übernähm’

Und als Herr von Schönhain nach Ohnwitz käm’.

13.

Als er ein paar Wochen noch da verweilet,

Hat er wieder nach seinem Schönhain geeilet;

Aber dieser sehr bittere Abschied

Erschütterte innerlich sein Gemüth.

14.

Eine Ahndung wollte schier bei ihm entstehen,

Als würde er Ohnwitz nie wieder sehen,

Doch er ergab sich endelich drein,

Und kam glücklich wieder an zu Schönhain.

Vierzigstes Kapitel.
Wie Herr Hieronimus zum zweiten Mal von Freund Hein einen Besuch bekam, welcher für diesmal länger dauert als der erste.

1.

Wir Menschen pflegen in unsern Erdensachen

Manche kluge Pläne und Entwürfe zu machen,

Aber ein unvermutheter Querstrich

Ist uns gar oft daran hinderlich.

2.

Auch Herr Jobs gedachte mit seinem Vermögen

Noch vielfältig zu stiften Nutzen und Segen,

Und auf seinem lieben Gute Schönhain

Sich eines längern Lebens zu freun.

3.

Aber es hat ihn neulich wider alles Verhoffen

Eine grassirende böse Krankheit betroffen,

Und er selbst prophezeite im ersten Anfang

Sich davon einen tödtlichen Ausgang.

4.

Er befahl ernstlich auf seinem Krankenlager

Drei Dinge seiner Schwester und seinem Schwager:

Erstlich, daß man ihn ja nicht eher begrüb’,

Bis er wirklich faul zu werden anhüb’;

5.

Man sollte während der Zeit mit ihm experimentiren,

Ob sein Leichnam etwa sich wieder würde rühren,

Und es sollte bei demselben Tag und bei Nacht

Fünf Tage lang jemand halten die Wacht.

6.

Zweitens, ihn dann ohne Leichengetümmel

Begraben unter Gottes freien Himmel,

Und neben Amaliens Leichenstein,

Bei den Linden, sollte sein Begräbniß sein.

7.

Drittens, sollte nach seinem erfolgten Absterben

Kein Gezänk entstehen zwischen seinen Erben,

Sondern sie sollten brüder- und schwesterlich

Darein alle egal theilen sich.

8.

Man war bemüht, diesen seinen letzten Willen

In allen drei Stücken pünktlich zu erfüllen;

Denn er beschloß nun wirklich seinen Lebenslauf

Und stund zum zweiten Mal nicht wieder auf.

Ende.

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einer anderen Schriftart markiert.

Die variierende und oft den Reimen angepasste Schreibweise des Originals wurde weitgehend beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden, teilweise unter Verwendung weiterer Ausgaben des Textes, wie hier aufgeführt korrigiert (vorher/nachher):






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Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
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License terms from this work, or any files containing a part of this
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that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.