The Project Gutenberg EBook of Dithyramben, by Iwan Goll

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Title: Dithyramben

Author: Iwan Goll

Release Date: September 19, 2014 [EBook #46899]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DITHYRAMBEN ***




Produced by Jens Sadowski





IWAN GOLL

DITHYRAMBEN

LEIPZIG
KURT WOLFF VERLAG

BÜCHEREI DER JÜNGSTE TAG BAND 54
GEDRUCKT BEI DIETSCH & BRÜCKNER • WEIMAR

GLAIRE STUDER ZU EIGEN

DER GROSSE FRÜHLING

DIE GÖTTLICHE ORGEL

Wer von euch hörte die hektische Orgel nicht über den Städten?

Straßen sirrten wie abgebrochene Kometenschweife um die rote Erde. Goldene Karussells des Sonntags umflogen die Wochenwelt wie große Ventilatoren.

Aus den Warenhäusern fielen die elektrischen Hesperidenäpfel. Und jeder arme Passant, dem die wächsernen Damen sich gaben, wurde zum Kind, zum Weihnachtskind.

Aber spitz und gotisch stand die Orgel über dem Quadrat der Städte: Orgel des Lebens, Orgel des Sterbens! Alle Stimmen der Menschen schrieen gegen den bleiernen Himmel.

Die Orgel wußte vom ewigen Skandal der Erde.

Sie war voll versoffener Männerstimmen, voll blecherner Klagen hungernder Witwen. Altes Husten klopfte aus Spitälern. Zimbeln schlugen aus Kinderschulen. Und das Frösteln einsamer Propheten gab sie wieder.

Die Orgel orgelte den hektischen Gesang der Erde. Sie strahlte groß und spitz über den aufgehäuften Häusern des Elends.

Ausgehöhlte Hotels zerbröckelten. Fabriken drohten mit ihren keuchenden Schloten. Schlafgemächer stürzten ein zu kalkigem Schnarchen. In den frühen Morgen schlotterten die eisigen Glocken.

Und die Orgel donnerte überall über der Welt!

DER KINODIREKTOR

Für einen Groschen öffnet sich euch das Paradies. Hier ist das einzige Paradies der Welt: Chemnitzerstraße 136. Am Eingang die goldenen Lettern leuchten es laut.

An die Kassa! Die Dame hat echte Brillantringe. Jedem schenkt sie ihr purpurnes Lächeln, dir, verschwitzter Dienstmann, und auch dir, hölzerner Soldat! Jedem will sie blonde Geliebte sein: für einen Groschen!

Die Welt sei euer. Der Portier im roten Frack ist euer Sklave. Kein anderes Gefühl hat der Kaiser, wenn er in sein Schloß tritt.

Hier allein gibt es die glücklichen Menschen. Für einen Groschen, o Brüder, könnt ihr glückliche Menschen sehn.

Da fächeln sich Damen über sonnige Parks hinweg. Straßen, himmlische Spiralen, entheben die Passanten der Erde. Und vor Tribünen fahren in überirdischen Galawagen die Präsidenten ferner Republiken auf.

Ihr Dumpfen, seht: ihr sollt angelisch werden! Hier im Kino seid ihr jenseits der Erde. Gut und Bös des Lebens sind ja nichts als ein Reflex wie Schwarz und Weiß auf dieser Leinwand. Nichts ist! Alles ist!

Ich schenke euch die Schöpfung Gottes: das Paradies, ohne Schlange und Apfel. Fluch dem Skeptischen, der lächelnd an die Leinwand klopft und sagt: Das ist ein weißes Tuch! Fluch diesem Lügner: denn das ist das Leben, das reellste Leben!

Das ist das Leben: wo Urwälder noch und Niagarafälle rauschen. Wo auf heißem Rennplatz ein Jockei sich den Hals bricht. Wo Mörder im Frack zu Engeln werden.

Das ist das Leben: Weinend sitzt ihr bei hungernden Witwen. In unendlichem Mitleid beugt ihr euch über den Bankier, der stehlen mußte, der armselige Mensch!

O Schöpfung Gottes! O paradiesisches Orchester! Die Geigen schluchzen Liebe. Flöten schaukeln wie Libellen über dem Teich des Cellos.

Und ich: seht in mir den letzten Apostel! Seht, wie ich kämpfe und leide und an euch sterbe. Ich muß für einen Groschen meine ganze Seele hergeben.

Ich muß euch den Kosmos herrollen. Ich muß euch alle Leidenschaften aufwühlen. Ich hin der Souffleur Gottes.

Hätte ich einen Groschen, wie selig wär ich! Nur einen Groschen! Kassandra sitzt an der Kassa und wird euch lächeln. Schenkt ihr einen Groschen!

DER STUDENT

Er kam aus den dunklen kleinen Pensionen. Da hatte er den Mittagstisch schon zur tollen Tribüne erhoben.

Aus Bakunin stand er auf. Aus zerkrampften Nächten. Aus den notwendigen Examen. Aus Zweifel und Spott. Aus tiefstem Schrei nach Gott.

Seine Augen zwei schwarze Löcher in die graue Maske des Alltags. Auf seinen Lippen schwebte wie ein Falter sein Herz.

Aber an jenem Tage war er überall, der Freund, der Bruder, der Mensch. Aus allen Pensionen trat so ein Student. In allen Versammlungen sprach so ein Fanatiker.

Er schleuderte den brennenden Spitzbart ums Kinn. Er schlug mit der hageren Faust die Schlangen der Zeit nieder.

Und um ihn die blassen Arbeiter der Vereine. Um ihn die stillen Jüdinnen. Um ihn die aufkeimenden Knaben des nächsten Jahrhunderts.

Hoch wuchsen seine goldenen Säulen am Eingang der Städte. Die Julis wälzten sich in den Mohnäckern naher Revolte. Die Menschenengel schwebten aus den Mansarden herab.

Mütter taumelten mit ihren Söhnen hinterher. Auf Denkmälern stand er und zerballte die Zeit. Im Volk war er und schrie nach Gerechtigkeit.

Überall in der Welt war so ein aufgepeitschter Student. Überall öffneten sich die Schleusen des Himmels.

MEETING DER FÜNFTEN KLASSE

Ihr Mitmenschen! So seid ihr alle gekommen, durch die abendgehöhlten Straßen, durch die Tunnels der Stadt: Ihr Gedrückten, ihr Flüchtigen aus der Zwielichtwohnung, aus haßgefüllter Kaserne und dumpfem Schlafloch! Euch alle, meine Brüder, hat mein weher Ruf durchdrungen! Oh ihr mußtet waten durch das grelle Gold des Boulevards. Ihr wurdet vom gelben Gezisch der Kinos angespieen. Es war so weit, so weit bis auf diesen offenen Abendplatz. Und nun?

Hier steh ich, der ich euch rief. Da steh ich auf hölzerner Estrade und habe nichts in den Händen als den großen Himmel, nichts in den Augen als den Glauben an euch, und nichts zu verschenken als ein Wort, ein einziges, schallendes, tiefes Wort. Erwartetet ihr mehr? Glaubtet ihr mich bereit, euch das Giftmittelchen Haß einzuimpfen? Ein Advokat würde euch mit grandioser Geste an seine Brust drücken? Oder ich sei ein Metzgerjunge, der je nach Bedarf ein Kilo oder ein Viertelpfund Befriedigung an jeden verteilt, ein bißchen Klassenkampf, ein paar Phrasen vom Kapitalismus und von Lohntarifen?

Meine Mitmenschen, wie habt ihr euch geirrt! Ich rief euch alle und habe doch nichts im Munde als ein einziges Wort, das wie eine blutige Sense über meine Lippen streift. Schaut mich nicht so an: Ich bin kein Prophet. Ich bin ein Mensch. Ich bin ein einsamer, nackter Mensch wie jeder von euch. Stürzt mir nicht zu Füßen! Schluchzet nicht! Jeder von euch könnte dasselbe tun und auf diese Tribüne steigen und könnte die Menschheit befreien helfen. Er brauchte nur wie ich sein aufgeblutetes Herz zeigen und das eine Wort aussprechen.

Das eine Wort, das ihr ja alle wißt! Das Wort, das mehr Geist enthält als die Literatur des gesamten neunzehnten Jahrhunderts, das mehr Revolte ist als alle Appells und Proklamationen eurer bisherigen Führer, ein Wort, das sich um die runde Erde wölbt wie der nächtliche Himmel, dunkel und so voller goldener Möglichkeiten doch. Ein Wort!

Ihr alle kennt es so gut, auch wenn ihr es immerzu verschweigt. Ihr fahrenden Zigeuner, die den bunten Wagen hinter der Schießbude stehen ließet. Du, zynischer Apache. Du Nachtasylenschläfer. Sträfling, dem die Nummer der Zelle noch immer weiß auf schwarz vor den Augen flimmert. Dienstmädchen, das in seiner Schwangerschaft nachher am Kanal ein dichtes Weidengestrüpp aufsuchen wird. Durchgefallener Student, der trotz Mythologie und Philosophie an diesem einen Wort, weil’s unausgesprochen blieb, scheitern mußte.

Ich könnte übrigens dies Wort wie ein Zauberer auf dem Markt aus der Tasche ziehen und vorgaukeln lassen. Ich könnte es euch hinwerfen, wie ehedem der Ritter seine goldene Börse unter das Fußvolk. Aber es ist nicht einmal nötig, es auszusprechen. Es gilt nur, davon zu wissen, bewußt zu sein, daß ein jeder es in sich trägt, wie der Chirurg behauptet, daß ihr alle ein Herz in euch tragt.

Schon brodeln eure dumpfen Stimmen. Schon bewegen sich eure schweren Füße. Eure Hände sind gezackt. Ich fühle, ich fühle, ihr habt mich verstanden! Wie könnte es anders sein? Ihr alle seid ja selbst schon einmal an diesem Wort gestorben. Ihr sahet Verwundete beschämt ihre Eingeweide mit den Händen verbergen. Sahet Familienväter sich toll über grünende Jünglinge stürzen. Und den Toten saht ihr ins verglaste Auge, und das Wort stand erstarrt auf ihrem schwarzen Mund.

Ich brauche es euch nicht zu sagen. Ich habe in euer Antlitz gesehen. Ich habe euer Herz geprüft an diesem goldenen Abend. Ich weiß, ihr seid bei mir, wie ich bei euch bin. Ich weiß, schon ist das Wort kein Wort mehr, schon ist es Tat, Sinn und Erleichterung: schon ist es die Menschenliebe selbst!

DER PFLICHTVERGESSENE GEISTIGE

Ich aber hab euch nicht befreien dürfen! Ich war der Wahre nicht, den ihr brauchtet! Ich hatte Gott bezwungen, aber nicht die Menschen!

Ich hatte Gottes Lächeln bekämpft. Das wallende Gewand vor Abendhorizonten zurückgeschlagen. Mitternachtssonne blühte aus blauen Sternwäldern auf.

Doch warum hab ich nicht die Menschen so bekämpft! Das graue Profil steinerner Avenuen mit heißen Fackeln erleuchtet Dem Arbeiter aus haariger Brust das Herz herausgerissen! Das starre Frackhemd des gecken Tänzers zerrissen!

Warum bin ich nicht in die Dörfer gegangen, wo Bauern wie schwarze Schatten an der Erde kleben. Warum bin ich nicht hingegangen, ihnen zu rufen: — Es ist draußen Abend! Kommt, wir wollen uns in die Augen sehn!

Warum hab ich die Knaben nicht aus den Waisenhäusern gerettet, zwei zu zwei an der Hand, alle im gleichen runden weißen Kragen, und bin mit ihnen auf den Hügeln gekniet: — Dort oben sind die Sterne: Küßt euch!

Was bin ich nicht in die Kontore gekommen, wo Knirschen des Telephons, Zorn zugeschlagener Türen mich empfing. Ich hätte die Tippfräuleins auf die Straße geführt und geschrien: — In den Potsdamer Platz mündet die Milchstraße! Oh, steigt mit mir in diesen Omnibus: Wir fahren zum Himmel!

Ich war der Starke nicht, den ihr brauchtet. Ich flüchtete trotzig in die Einsamkeit Gottes. Ich spielte mit roten Vögeln. Behängte mich mit redenden Steinen. Ich bin’s nicht wert, heute euren zerklüfteten Leichnam zu küssen.

Ich bin’s nicht wert, heute noch von Liebe zu singen. Ihr hasset mich, weil ich nicht mit euch hasse. Ihr wehrt mich ab wie den steigenden Schatten der Sühne. Ihr Sterbenden, ihr laßt mich nicht in eure Schuld einziehn!

DER STREIK

Schwält noch gelber Schnaps in euren Mündern, giert noch Dirnenblut in euren Augen: Hinter euch sind Schmerz und Qual und Not!

Hinter euch zerschlagen liegt das Haus der Nächte. Höllen des Asphalts sind eingestürzt. Alle Winter glitschrig aufgetaut.

Eure Fuselgassen sind gesäubert. Die mystischen Fabriken frieren nackt. Der Schlote steinerne Arme schleifen schlapp.

Vergangene Frühlinge auf Bahndammhügeln! Hungernde ihr vor vollen Bäckerein! O ihr armen Schläfer der Sonntagmorgen!

Auf, die Sonne häuft euch brennende Scheiterhaufen! Das Pflaster singt euch unter den tanzenden Stiefeln! O ihr alle!

Heiße Jünglinge reden selbstverständlich in die Menge. Männer tragen den Sonnenturban ums kurze Haar. O die Zeit ist neu! Der Mensch ist groß!

Der Tyrann hängt an den roten Schloten. Makler müssen die schweren Klumpen Goldes schwitzend schleifen. Und ihr Proletarier seid voran.

Morgenfrühe strahlt euch grünend um die Schläfen. Arbeit glüht nach euren starken Muskeln. Und der Menschheit Liebe ist bereit.

DIE PROZESSION

O da brannte die Stadt ihre goldenen Opfer an. Die Straßen waren mit Gold gepflastert. Unter den Dächern gingen Petroleumsterne auf.

Langsam wandelten die Männer in den Abend, des Strohhuts Heiligenschein rund um den schweren Nacken geflochten.

Sie kamen alle zurück aus der Erde. Fabrik und Werkstatt waren zu Asche zerfallen. Der Abend schwankte wie ein blauer Baldachin.

Kinderengel spielten vor den Spezereihandlungen mit Bonbons und Himmelskugeln. Junge Mütter gingen schwer, als trügen sie den Mond unter der Schürze.

Sie zogen, sie zogen alle herein. Leuchtende Prozession des Feierabends: Durch die Schenken flatterten die Kellnerinnen hell. Absinth schwenkte grüne Laternen.

Kinos rasten mit lärmenden Fackeln über die Boulevards. Stampfende Pianolas erlösten die steinerne Welt.

Rostige Glocken, aus schüchternen Türmen, zerklirrten an den Mauern Gottes. Des Menschen Stimme aber war lauter und reiner.

Der Mensch erhob sich zur Befreiung der Erde. In Vereinslokalen wurden die Weltbrüder begrüßt. Rote Meetings schlossen sich um die grellen Plätze.

Ladenmädchen öffneten die elfenbeinernen Altäre ihrer Brust. Heiße Bestimmung trieb den Volksschullehrer voran. Krämer verteilten ihre Orangen umsonst.

Mit Krawall stürzten die Scheiterhaufen der fremden Hotels. Dienstmänner rissen die grüne Sklavenmütze von der Schläfe.

Mittlerweile erstanden die starren Barrikaden. Flatternde Frauen hielten die roten Laternen darüber und sangen. An diesem Abend stieg die Menschheit in heiliger Prozession.

Sie kam zum Gipfel ihres Stadtgebirgs. Kometen fielen aus allen Horizonten herab. Kometen gingen rund und rot zwischen Menschenarmen und Erdeschloten auf.

Die Revolte begann.

Aber am nächsten Tat, da blühte der große Frühling über der Erde. Die Akazienalleen öffneten sich der unendlichen Prozession.

Sonne, Sonne war überall. Man trug sie in einer Blume einfach am Knopfloch. Aus jedem Fenster, winterblind, blühte sie mit roten Zacken.

Unendlicher Garten der Menschlichkeit! Menschen wandelnde Bäume! Gesang prasselte wie roter Wind über dem Asphalt.

Heilige schritten voran. Jünglinge den Adamsapfel aus schmutzigem Kragen stehend. Frauen mit den schreienden Menschen hart an der prallen Brust.

Frühling! Frühling! Arme streckten sich nackt wie brennende Fackeln. Alle tanzten in ihren Arbeitskleidern.

Goldene und blaue Trams flügelten ins Land der Freiheit. Lifts stiegen hell zum Himmel wie Jakobsleitern: und alle Menschen waren auf und ab wie Engel.

O großer Frühling der wiedererstandenen Menschheit!

DAS GOLDENE VLIES

Als der Mensch zurückkam, trug er das goldene Vlies. Er trug ums Haupt die Friedenskrone blauer Schwalben. Heller Mittag war’s: um seine Schultern drängten sich die Sterne.

Der zerbrochene Mond war in seine Stirn geätzt. Kometen neigten sich und sprangen wie Blumen um seinen Erdenwandel.

In seinem Blick wohnte die Güte. Aus seinen Wunden träufelte die Erkenntnis. Aus wehen Händen schüttelte er unendliche Verzeihung.

Da wurde vor ihm die blasse Blumenverkäuferin zur Madonna. Der heisere Schrei des Maklers duckte sich zum Gebet. Der graue Schaffner wandelte als ein Herrgott durch seinen Omnibus.

Am Tage, als das goldene Vlies über der Erde wogte, verstummte die Klage der tiefen Menschen. Das Lied der kleinen Plätterin wurde freudiger. Die Bitte des Bettlers klang ganz erlöst.

Die Blinden glaubten, sein Schimmern im Abendgold zu sehn. Die Sterbenden hofften, er sei das Tor in die Ewigkeit.

Smaragden rieselten die Kiesel hinter seinem Fuß. Betende Frauen im blauen Gewand waren die Schatten seiner Glorie. Er trug ums Haupt eine Krone von blauen Schwalben.

Als der Mensch zurückkam mit dem goldenen Vlies, war Friede auf Erden.

DIE ALPENPASSION

I.
FLUCHT

FLORIAN:

Wie Fremde wandern wir auf Erden. Jeder in seinem eigenen Käfig gefangen. Verschlammte moosige Steine sind wir am Grund der Erde: die wallenden Himmel kennen uns nicht.

STELLA:

Es ist keine Liebe mehr von Menschen zu Menschen! Es ist kein Schüttern von Einsamen zu Einsamen! Wir sind wandelnde Grotten, Granit, die keine Welle durchzittert!

FLORIAN:

O wir zu Pyramiden gehäuften Cafés, zu Meeren angeschwollenen Meetings, zu Gebirgen gesteigerten Konzertsäle: Wir lügen, wir lügen! Jeder von uns ist einsam, einsam!

STELLA:

Einmal, da näherten wir uns: und siehe, Haß glutete aus unsern Augen. Krieg spreizte die gierigen Finger. Und wir glaubten, unserm Schicksal zu entfliehn, wenn Blut aus unsern Körpern floh!

FLORIAN:

Wir wühlten uns in die Erde, unsere Schlechtigkeit zu verbergen: da wuchsen die monumentalen Gräber über uns! Wir rissen die Städte auf und wühlten uns in die Lust: da schrieen die Lachenden so bös wie im Tollhaus!

STELLA:

Und jeder Nachbar, den wir töteten, war ein Stab mehr an unserm Käfig! Jeder Bruder, den wir mordeten, war ein Schrei mehr in unserer Einsamkeit!

FLORIAN:

O wäre eine Flucht! O könnt’ ich mich in die Wolke Gottes hüllen! Den Himmel aufreißen und ihm zuschluchzen: Das ist meine Qual: Ich bin ein schlechter Mensch!

STELLA:

Ich bin ein schlechter Mensch! Alle Leiden der Erde sind in mir. Alle meine Schwestern bäumen sich in meinen Leidenschaften empor! Alle Mütter in mir beweinen einen Sohn!

FLORIAN:

Wir müssen uns selber fliehn: da werden wir uns wiederfinden. Wenn wir die Grate des Todes erst erklommen, dann wird das sausende Leben wieder um uns sein.

STELLA:

Wir wollen vor jeder gemeinen Butterblume knien: Dann wird die große Sonnenblume lauter um uns donnern! Wir wollen in uns selbst einkehren: dann wird die ganze Menschheit erlöst in uns Einzug halten!

II.
SCHLUCHT

FLORIAN:

O Mensch, bist du mein Schicksal oder mein Gespenst? Noch hockst du grau an allen meinen Wegen. Stöhnst aus Spitälern und spukst aus Spelunken.

Dein Klagen ist im Wind. Deine Kasernen sind bis ins Gebirg gestaut. Dein Schatten klebt an allen meinen Schritten.

Du schreist aus meiner Seele! Du klagst mich an, o Wegelagerer, mein Bruder, mein Schatten!

Und ach, ich leugne nichts: ich komm’ aus deinen Städten, deinen Kriegen. Ich hab es tief erlebt: ich bin von deinen Mördern!

Wirf Wahnsinn über mich! Kreuzige mich mit deiner Mitleidsgeste! Spieß auf mein Herz mit deinen Schreien!

Die Menschheit tief in mir ist schuldig! Und ich bin schuldig in der Menschheit! Ich hab’ den Mord gesehn und ihn geklagt!

Ich hab’ soviel gesehn: die grünen Leichen stürzend in die Äcker. Um schwarze Munde Speichel rot erfroren. Die Liebesleiber schwärend voller Ratten. Die Himmelsaugen aufgeschäumt zu Schwefel. Und abgeriss’ne Arme, die im Tod noch um Verzeihung flehten.

Von Feuersternen überblühte Wüsten. Von Bombendomen überplatzte Nächte. Und bunt besungene Begräbnisse.

Noch mehr: Zuchthäuser vollgeschwemmt. Kinder zu Hungertod geschändet. Vögel und Gärten ihres Lieds beraubt.

O Schlucht, o Mensch in mir, Erinnerung, Anklage, Reue und Gerechtigkeit: ich weiß nichts mehr, als daß ich Mensch und schlecht bin.

Doch, Bruderschatten, sag: ist Sühne nicht genug gebaut zu Massengräbern? Weht Trauer nicht genug um deine alten Fahnen?

Nun laß mich frei! Laß einen noch, der an Erlösung glaubt! Der hell zu Mitternacht den Engel flattern hört; und der zu Morgenaufgang Lächeln um der Sonne Lippen sieht.

Nun laßt mich fliehn, Schlucht, Schatten, Schmerz! Es gibt noch Wälder über euch, die singend schweben! Es gibt noch Gipfel, die mit Purpur uns umglühn! Es gibt noch Söhne, die uns glücklich brauchen!

III.
BERGWALD

STELLA:

O Wald, du bärtiger, lächelnder Gott,

Du nimmst mich auf mit deinen großen Armen, als wär’ ich eine Nymphe und keine Menschentochter,

Als spräng’ ich blond aus blauem Brunnen, und klebte nicht roter Staub an meinen Schuhn!

Deine wilden Tiere grasen aus meiner Hand, als schnüffelten sie nicht das Blut an mir:

O Wald, du leuchtender, tausendäugiger Freund,

Du nimmst mich auf!

In dein Zweigengewölk blitzen die Sonnenpfeile,

Erdbeer und Waldmeister tanzen

Um deine schwarze Erdebrust:

O du väterlicher Freund und Gatte,

Wald mit dem offenen Herzen im zottigen Blätterfell,

Du nimmst mich auf!

So sollen alle Frauen an dir Liebe und Mitleid und Demut lernen!

Daß sie wie junge Quellen über zermürbte Leiber sich ergießen,

Wie Palmen mit offenen Händen Sonne auf die Schlummerden träufeln.

O du friedensstarker, mächtiger Gott,

Gib mir soviel Arme, als Elende in den Ritzen der Erde sind,

Sie aufzuheben,

Gib mir soviel Munde, als Schreie und Qualen und Verbrechen sind,

Sie zu trösten,

Gib mir so ein tausendfältig Herz,

Als schluchzende Mütter in dunklen Alkoven hocken,

Als frierende Waisen an leeren Bäckereien vorüberhungern,

Als tolle Verwundete ihr Fleisch mit glühenden Nägeln hetzen,

Als Erblindete mit stochernden Stäben an stumme Wände pochen,

Gib mir so ein tausendfältig Herz,

Als du grüne Spiegel hast, zu zittern und zu schimmern,

Über die Menschheit mich zu beugen,

Über sie hinzurauschen

Wie du, ein Wald von Liebe.

IV.
GIPFELAN

FLORIAN:

Erde, du verquälte, schlaflose Magd,

Was wissen wir Menschen von deinem Schmerz!

Bist unsre Mutter doch, und wir schlagen dich

Wie die erwachsenen Jungen die buckligen Alten schlagen,

Verachten dich, wie die Bürger ihre verlassenen Dirnen verachten.

Wir kratzen uns in deine rindigen Höcker,

In deine verwitterten, knöchernen Felsen,

Wo du den krummen Adler beherbergst,

Doch über dich hinaus, du Tränenarme,

Steigen wir, den Himmel zu erobern!

Du bleibst unten, härene, nächtige Mutter,

In deinen Kriegstälern und steinernen Gräbern gefangen,

Wie in besudeltem Wochenbett:

Uns aber dürstet nach dem Wein der Wahrheit!

Aus deinen unergründeten Tiefen prallt unser Schrei

Und gellt die Qual unsrer vermummten Geschlechter!

Mit unsrem Geist, dem Menschengeist,

Der in den Feuern der Welt verbrennt,

Mit unsrem Geist, der über Nacht und Schmerz

Sich täglich aufwärts ringt zu dem Ewigen,

Wollen wir steigen, daß unsre runde Stirn

Als drittes Gestirn über dir leuchte, Mutter!

Wir wollen dir deinen Stolz wiedergeben,

Dein Lächeln und deine ewige Liebe:

Denn es ist wahr, o schüchterne Magd, o Erde,

Ein Gott ist dein Gatte, und heilig sind seine Söhne!

V.
PANORAMA

FLORIAN:

So ist es wahr! Die tausend Gipfel um mein Haupt sind Zinken meiner schwebenden Krone! Es schimmert die Erde um mich wie eine marmorne Kathedrale!

So ist es wahr! In meinen mürben Menschenhänden zittert der Schöpfung Allerheiligstes. Kristallene Türme hängen vom Himmel hernieder. Und Weihrauchsäulen wirbeln aus tiefgeknietem Tal.

So ist es wahr! Ich lasse die Erde und die Sonne um mich kreisen. Mein Geist führt zu Erkenntnis und Versöhnung. Ich bin ein Mensch: der Mittelpunkt der Welt!

STELLA:

Ja, es ist wahr! Die Welt ist deine Kathedrale. Du bist der Bischof ihrer Prozession. Du bist der Erste der Erkennenden.

Aber vergißt du, daß du Erde bist? Aus schwerem Stein gebaut ist dieser Dom. Aus Opfern ein gestützter Scheiterhaufen. Ein aus Jahrhunderten gesteilter Sonnenberg.

Und alles Elend ist in deiner Prozession! Die an der Diele Knieenden. Die mit den Säulen Emporgeschrieenen. Die Humpelnden und die Verstümmelten. Die Zaudernden und die Zornigen. Die Gedemütigten und die Verschüchterten.

Sie alle: Die blutgebäumten Mütter. Die grinsenden Selbstmörder. Die Glühenden zu Mitternacht. Die Fröstelnden zu Mittag.

Und die den Kelch ihres Herzens unter dem abgeschabten Mantel verbergen. Und die weißen Kerzen der Kindermelodien. Die von Leidenschaft verwaschenen Mienen. Und die von schandhaftem Lachen ausgehöhlten Schlüfte.

FLORIAN:

Die Menschheit zog mit mir wie dunkle Wolke. Doch wenn des Tags Erkenntnisgeist erstrahlt, taumelt die Nacht zurück zur äschernen Unterwelt.

Dann gibt es auch kein Elend mehr, ihr Schuldigen. Dann gibt es keine Schuld mehr, ihr Elenden. Wie unbewußte Quellen werdet ihr aus euren Qualen springen. Mit Gesten tiefen Wissens den erlösenden Strahl um euren Scheitel schlingen.

Hier ist der brennende Turm des Sonnenaufgangs. Hier ist die offene, schallende Halle Gottes. Hier ist in meiner Brust die Menschheit befreit!

STELLA:

Aus Leid und nicht aus Glück erbaut ist dieser Dom. Aus Schlucht und Schluchzen schöpft die Orgel ihre Fugen. Aus tiefer Demut kommen die goldenen Glocken.

Versteig dich nicht in deine Einsamkeit! Du wirst an zuviel Sonne blind, an zuviel Himmel wirst du irr! O Mensch, bleib deiner Menschheit treu!

Du hörst von Gipfel zu Gipfel säuseln die silberne Stimme der täglichen Ewigkeit. Doch ist es nicht dieselbe Stimme, wenn ein Mensch zum andern hinüberschreit?

VI.
GLETSCHER

FLORIAN:

Gletscher, du Einsamer, Einziger gegen den Sturm! Du nie Berauschter, nie Aufgetaner! Nie geschrieener Schrei! Im Sturz Erstarrter, Herber und Harter!

Männlicher Schmerz: Stumm in deinen Stolz gebeugt, steil in deinen Himmel gestemmt! Dunkles Genie, geizig über dein Leid gekrümmt wie die Buckligen. O nie schwingender Egoist; männlicher, heiliger Weltenschmerz!

STELLA:

Gletscher, ewige Mutter der Welt, deren Schoß das Blut der Liebe entquillt!

Überschwang, Überfluß, Überflut! Nie genug der Hände und Schreie und Küsse, zu lieben, zu lieben. Nicht genug der Wimpern zu weinen, zu schluchzen. Nicht genug der Arme, der klagenden, der flehenden, der umarmenden, nicht genug der Arme, zu umschlingen!

Nicht genug der Schreie zur Geburt und Revolte! Nicht Täler genug dich auszuschrein und zu vergeuden! Nicht Menschen genug zu trösten und zu laben!

O du allgemeine, ewige Mutter!

FLORIAN:

Gletscher, du steinerner Gott, dem täglichen Kampf Enthobener! Hier ist der Rand des Himmels, und der Turm der Erde stürzte zu Staub.

Säulen, hymnische, tragen die Arkaden deiner Gewalt. Wie in spielender Träumerei fügt sich des Schicksals geometrisches Gesetz.

Einziger du, in Einsamkeit verbittert, in Ewigkeit verknöchert. Einziger, an dem die Größe des Alls sich mißt!

STELLA:

Gletscher, aus dir erstieg das Volk und die Gemeinschaft! Aus dir kommen verbündet und vereint die Niederen und die Starken, die Nackten und die Schämigen, die Inbrünstigen und die Ungläubigen.

Deiner geöffneten Brust entstürzen die tausend Söhne des Tals, springen die Knabenbäche, rauschen die Arbeitsströme, steigen und steigen die Ozeane!

Dein ist der Ruf, wenn sie mit irren Zungen in Schlucht und Schlachtfeld den Frühling der neuen Welt verkünden!

FLORIAN:

Gletscher, Märtyrer der Erde, steiler Block vor des Himmels Geheimnis: bleib’, o bleib’ der Gefangene deiner Größe!

Nicht erschwachen darfst du und schmelzen, nicht dich lösen zum Tal der Qual, wo Hunde winseln, wo Menschen auf Krücken hüpfen über die Brücken.

Wo Schlachthaus mit rotem Auswurf dich bespeit, Fabrik mit eklem Atem dich beschmutzt; staubige Häfen und salzige Meere einander bekämpfen, einander vernichten.

Gletscher, du Starker, hüte dich vor dem Volk und der Freiheit! Bleibe der Knecht! Bleibe der König! Bleibe der Große, der Stumme, der Einzige!

STELLA:

Gletscher, steh auf, da die Tuba des Aufruhrs erschallt! O Völkerwanderung, o Auszug aus Verbannung und Verkennung! O Erlösung aus der tiefen Schmach!

O allgemeine Gleichheit, o befreiter Gletscher der Menschheit! Staubtropfen im Wind, fremder Passant auf dem Boulevard! Ihr alle und jeder!

Jeder von euch erhebt sich, schreit, erstrahlt! Bankier und Prolet verwechseln Spazierstock und Krücke, Bettler und Kaufmann küssen sich als Brüder!

Die Ketten klirren in den Kerkern. Die Köpfe lodern über der Erde wie Sterne. Alle Gletscher reißt es hin zu Tal. Alle Völker schmelzen zusammen in Liebe.

VII.
GRAT

FLORIAN:

Umsonst, umsonst! Ich hab’ mich an der Glasur des Himmels blutig gekratzt. Ich hab’ mir die Flügel an den Säulen des Himmels lahmgeschlagen. Umsonst hab’ ich mich aufgerissen.

Der Nagel der Sonne kreuzigt mich an die Erde. Die Gewölbe des Himmels zerplatzen über meinem schläfrigen Auge. Die Gletscher haben schwarzen Speichel um die Lippen.

Taub bin ich in der Symphonie der Welt. Denn mein Ohr ist wie die Muschel des fernsten Meers. Die schwarzen Horizonte der Erde tönen wie nächtliche Gongs. Und die Rufe der Menschen überdröhnen die Kantate der Berge.

O es schreit in mir der Abgrund und der Tod. Es schreit der Zweifel und der Streit. Es schreit Zerknirschung und das Kruzifix. Es schreit in mir die Erde.

Es schreit und zerrt mich bleischwer nieder. O Mutter Erde, du hast mich mehr geliebt, als ich wußte. O Menschheit, du bist größer, als ich wähnte! Alle Erkenntnis ist Lüge, die nicht der Liebe entflammt!

Jeder von euch, ein Bettler oder ein Siecher; er hat mehr Himmel in seinem Auge als über den Mont Blanc gewölbt ist! Jede von euch, eine Schwester oder eine Braut: sie hat mehr Tränen in ihrem Herzen als der sommerliche Gletscher!

Weil ihr dort unten seid, seid ihr Erhabene! Ihr werdet nichts von der Leere und Kälte des Himmels ahnen und von der Dunkelheit Gottes: aber ihr werdet an die ewige purpurne Flamme der Liebe glauben!

Weil ihr Schlechte seid, seid ihr gebenedeit! Euch werden die Guten ihre Liebe schenken, die Hellen ihre Schönheit und die Frommen ihren Gott.

Lieben, lieben will ich wieder lernen! Güte, Güte will ich wieder üben! Über sich selber sich erheben ist schwerer als über Berge schweben!

VIII.
NACHTHÜTTE

FLORIAN:

Auf der Welt ist graue Sintflut. Wolken rollen durch den Himmel. Platinmond zerschmolz im Gletschertiegel. Nacht hat alles überschwemmt.

STELLA:

Aber wir sind in der Arche schwankend, schwankend hingetragen. Ganz mit Wind die Wände ausgeschlagen. Schallende Musik die Fenster. Schütterer Schnee ein tiefer Teppich.

FLORIAN:

Hör’, die Stürme Gottes rauschen. Wölfe schleichen durch die Himmelsschluchten. Und Giganten schlagen ihre Keulen!

STELLA:

Nein, es sind Lawinen, die zu Tränenstürzen schmelzen. Donner wirbt wie eine Vaterstimme. Und die Engel sind uns nah.

FLORIAN:

Das Gewitter rauscht wie Heimatglocken. Von den Gletschern stürzen Schiffe, die uns Hochzeitsgäste bringen. Deine Stimme ist ein roter Wein.

STELLA:

Alle Sterne sind erloschen. Einzig unsre Liebesarche schaukelt auf dem Meer der Nacht. Eine rosa Ampel, wacht sie über der Menschheit.

FLORIAN

O ich fühl’ uns niederrauschen. Aus der Nacht schält sich das helle Tal. Wollen wir die weiße Taube senden?

STELLA:

Unsre Liebe schlingt sich um die ganze Erde. Tausend Vögel schwirren uns entgegen. Tausend Menschen schauen zu uns auf. O, wir wollen alle, alle lieben!

IX.
WASSERSTURZ

FLORIAN:

Wasser und Mensch,

Ihr seid die ewige Bewegung!

Ihr seid der Trieb von allen Trieben: ihr seid der Geist!

Da steht kein Felsen starr und keine Gottheit hoch:

Vor eurem Strahl zersplittern die Blöcke Granit,

Vor eurer Stimme birst das Schweigen des Todes.

O Wasserfall, du Perlentänzer,

Aus deinem steilen, einzigen Wasserstamm

Blühst du Millionen Wasserzweige an die Erde!

Der giftigen Nessel am Straßengraben gibst du dich hin,

Du treibst den grünen Springbrunnen der Palmen empor;

Vergißmeinnicht fröstelt in deinem Tau,

Und der fette Ölbaum saugt dich mit kupfernen Pumpen auf,

Du bist der unendliche Geliebte der Erde!

So will ich, dein unsterblicher Geliebter,

Über die Menschheit strömen und überströmen:

Hinunter, hinunter aus der Einsamkeit

Schäumend von Liebe niederschmelzen,

(An den Gipfeln ermaß ich die Tiefe der Täler)

Zurück zur Menschheit will ich mich ergießen,

Zu den dunklen Schluchten der Besiegten und Geknechteten,

Zu den grauen Wüsten der Streber und Unfruchtbaren,

Zu den endlosen Ebenen der Armen und der Tölpel,

Zu den rauchigen Häfen der Vertriebenen und Gezwungenen —

Hinab, hinab, dem ewigen Trieb muß ich gehorchen,

Wer sich verschenkt, bereichert sich am meisten.

Ich will mit sprudelndem Mund und lachenden Augen

Die große Liebe dieser Nacht vergeuden,

Mich geben und geben, da ich weiß:

Unversiegbar sind die Gletscher der Erde,

Unversiegbar sind die Quellen des Herzens!

DER PANAMAKANAL
(ZWEITE FASSUNG)

I.

Noch lagen die Jahrhunderte des Urwalds mitten zwischen den Meeren. Mit goldenen Zacken ausgeschnitten die Golfe und Buchten. Mit zähem Hammer zerschlug der Wasserfall die gestemmten Felsen.

Die Bäume schwollen in den sinnlichen Mittag hinein. Sie hatten die roten Blumenflecken der Lust. Schierling schäumte und zischte auf hohem Stengel. Und die schlanken Lianen tanzten mit weitoffenem Haar.

Wie grüne und blaue Laternen huschten die Papageien durch die Nacht des Gebüschs. Tief im fetten Gestrüpp rodete das Nashorn. Tiger kam ihm bruderhaft entgegen vom Flußlauf.

Feurig kreiste die Sonne am goldenen Himmel wie ein Karussell. Tausendfältig und ewig war das Leben. Und wo Tod zu faulen schien: neues Leben sproßte mit doppeltem Leuchten.

Noch lag das alte Jahrhundert zwischen den Menschen der Erde.

II.

Da kamen die langen, langsamen Arbeitertrupps. Die Auswanderer und die Verbannten. Sie kamen mit Kampf und mit der Not.

Mit keuchenden Qualen kamen die Menschen und schlugen die dröhnenden Glocken des Metalls.

Sie hoben die Arme wie zum Fluch und rissen den Himmel zürnend um ihre nackten Schultern.

Ihr Blut schwitzte in die Scholle. Wieviel magere Kinder, wieviel Nächte, angstvolle, wurden an solchem Tag vergeudet!

Die Fäuste wie Fackeln aufgereckt. Zerschrieene Häupter. Aufgestemmte Rümpfe. Es war Arbeit. Es war Elend. Es war Haß.

So wanden sich die Spanier einst am Marterpfahl. So krümmten sich die Neger einst in verschnürtem Kniefall.

Das aber waren die modernen Arbeitertrupps. Das waren die heiligen, leidenden Proletarier.

Sie hausten in Baracken und in Lattenhütten stumpf. Geruch des Bratfischs und der Ekel des Branntweins schwälten. Die hölzernen Betten stießen sich an wie Särge im Friedhof.

Am Sonntag sehnte sich eine Ziehharmonika nach Italien oder nach Kapland. Irgendein krankes Herz schluchzte sich aus für die tausend andern.

Sie tanzten zusammen mit schwerem, schüchternem Fuß. Sie wollten die Erde streicheln, die morgen aufschreien mußte unter der Axt. Dann schlürften sie für fünf Cents Himbeereis.

Und wieder kam das Taghundert der Arbeit.

III.

In ein Siechbett verwandelten sie die Erde. Die roten Fieber schwollen aus den Schlüften. Und die Wolken der Moskitos wirbelten um die Sonne.

Kein Baum mehr rauschte. Kein Blumenstern blühte mehr in dieser Lehmhölle. Kein Vogel schwang sich in den verlorenen Himmel.

Alles war Schmerz. Alles war Schutt und Schwefel. Alles war Schrei und Schimpf.

Die Hügel rissen sich die Brust auf im Dynamitkrampf. Aus den triefenden Schluchten heulten die Wölfe der Sirenen. Bagger und Kranen kratzten die Seen auf.

Die Menschen starben in diesem unendlichen Friedhof. Sie starben überall an der gleichen Qual.

Den Männern entfuhr der tolle Ruf nach Gott, und sie bäumten sich wie goldene Säulen auf. Den Weibern entstürzten erbärmliche, bleiche Kinder, als ob sie die Erde strafen wollten mit so viel Elend.

Von der ganzen Erde waren sie zum knechtischen Dienst gekommen. Alle die Träumer von goldenen Flüssen. Alle Verzweifler am Hungerleben.

Die Aufrechten und die Wahrhaftigen waren da, die noch an ein Mitleid des Schicksals glaubten. Und die dunklen Tölpel und die Verbrecher, die tief ins Unglück ihre Schmach verwühlten.

Die Arbeit aber war nur Ausrede. Jener hatte zwanzig verbitterte Generationen in seinem Herzen zu rächen. Dieser hatte die Syphilismutter in seinem Blut zu erdrosseln.

Sie alle schrien im Kampf mit der Erde.

IV.

Sie wußten aber nichts vom Panamakanal. Nichts von der unendlichen Verbrüderung. Nichts von dem großen Tor der Liebe.

Sie wußten nichts von der Befreiung der Ozeane und der Menschheit. Nichts vom strahlenden Aufruhr des Geistes.

Jeder einzelne sah einen Sumpf austrocknen. Einen Wald hinbrennen. Einen See plötzlich aufkochen. Ein Gebirge zu Staub hinknien.

Aber wie sollte er an die Größe der Menschentat glauben! Er merkte nicht, wie die Wiege eines neuen Meers entstand.

Eines Tages aber öffneten sich die Schleusen wie Flügel eines Engels. Da stöhnte die Erde nicht mehr.

Sie lag mit offener Brust wie sonst die Mütter. Sie lag gefesselt in den Willen des Menschen.

Auf der Wellentreppe des Ozeans stiegen die weißen Schiffe herab. Die tausend Bruderschiffe aus den tausend Häfen.

Die mit singenden Segeln. Die mit rauchendem Schlot. Es zirpten die Wimpel wie gefangene Vögel.

Ein neuer Urwald von Masten rauschte. Von Seilen und Tauen schlang sich ein Netz Lianen.

Im heiligen Kusse aber standen der Stille Ozean und der Atlantische Aufruhr. O Hochzeit des blonden Ostens und des westlichen Abendsterns. Friede, Friede war zwischen den Geschwistern.

Da stand die Menschheit staunend am Mittelpunkt der Erde. Von den brodelnden Städten, von den verschütteten Wüsten, von den glühenden Gletschern stieg der Salut.

Das Weltgeschwader rollte sich auf. Es spielten die blauen Matrosenkapellen. Von allen Ländern wehten freudige Fahnen.

Vergessen war die dumpfe Arbeit. Die Schippe des Proletariers verscharrt. Die Ziegelbaracken abgerissen.

Über den schwarzen Arbeitertrupps schlugen die Wellen der Freiheit zusammen. Einen Tag lang waren auch sie Menschheit.

Aber am nächsten schon drohte neue Not. Die Handelsschilfe mit schwerem Korn und Öl ließen ihre Armut am Ufer stehn.

Am nächsten Tag war wieder Elend und Haß. Neue Chefs schrien zu neuer Arbeit an. Neue Sklaven verdammten ihr tiefes Schicksal.

Am andern Tag rang die Menschheit mit der alten Erde wieder.






End of the Project Gutenberg EBook of Dithyramben, by Iwan Goll

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