Project Gutenberg's Reise in Südamerika. Zweiter Band., by Ernst von Bibra This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Reise in Südamerika. Zweiter Band. Author: Ernst von Bibra Release Date: June 30, 2014 [EBook #46154] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN SÜDAMERIKA. ZWEITER BAND. *** Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
von
Dr. Freiherrn Ernst von Bibra.
Zweiter Band.
Mannheim.
Verlag von Bassermann & Mathy.
1854.
Seite | ||
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VIII. | Die Cordillera (Chile) | 1 |
IX. | Valdivia (Chile) | 61 |
X. | Letzter Aufenthalt in Valparaiso (Chile) | 113 |
XI. | Die Fahrt nach der Algodonbai (Bolivia) | 145 |
XII. | Die Algodon-Bai (Bolivien) | 161 |
XIII. | Callao-Lima (Peru) | 261 |
XIV. | Von Peru nach Europa | 301 |
XV. | Meteorologische Beobachtungen | 345 |
Man trägt sich in Chile mit vielfachen Gerüchten über die Gefahren, welche mit Reisen in der Cordillera verknüpft sind, und in der That ist ein solches Unternehmen auch nicht ohne alle Gefahr. Abgesehen von den halsbrechenden Wegen, und von – obgleich selten – streifenden indianischen Räubern, kann selbst auf dem Wege von Santjago nach Mendoza, welches die gewöhnliche Straße ist, ein plötzlicher Schneefall Bedenkliches hervorrufen.
Ein deutscher Kaufmann, mit welchem ich häufig in der Fonda inglesa zusammentraf, ersuchte mich, als ich ihm meinen Entschluß mittheilte in die Cordillera zu gehen, höchst artig, im Falle ich seine große Zehe fände, welche er dort zurückgelassen, ihm dieselbe zu überbringen. Ich erfuhr, daß er mit einem Zuge von waarentragenden Maulthieren von Mendoza nach Santjago reisend, plötzlich von heftigem Schneefalle überrascht, Weg und Steg verloren und in Schluchten gerathen sei, aus welchen die kundigsten Führer, welche ihn begleiteten, keinen Ausweg mehr gewußt. Ein Theil der Thiere war bereits aus Mangel an Futter gefallen. Er selbst hatte in tiefem Schnee und heftiger Kälte sich die Füße und Hände erfroren, da nirgends Feuerung zu finden; da auch für die Menschen kein Mundvorrath mehr vorhanden, und Alle bereits der tiefsten Entmuthigung erlagen, so hatte man sich zum Sterben bereit gemacht und erwartete, in die Satteldecken gewickelt, den Tod. Da fand einer der Knechte in einer Satteltasche eine Flasche Portwein und einige Krumen Maisbrod. Man vertheilte dieses unter die sechs Männer der Gesellschaft und wurde durch den Genuß des Weins so belebt und aufgeregt, daß man beschloß, auf Tod und Leben einen letzten Versuch zu machen. Man bestieg die Pferde, welche noch am kräftigsten waren, klimmte auf die Gefahr hin zehnmal im Schnee zu versinken oder von den Felswänden zu stürzen, aufwärts, und gelangte nach einer halben Stunde auf ein Plateau, wo man Futter fand, und von welchem aus die Maulthiertreiber sich alsbald orientirten. Es gelang, den größten Theil der in der Schlucht befindlichen Thiere aufwärts und später auf die Straße zu bringen, und man erreichte nach einigen Stunden der äußersten Anstrengung eine entgegenkommende Caravane, welche Speisen mittheilte und die Vollendung der Reise ermöglichte.
Ein Engländer hatte einige Jahre vorher, ehe ich in Santjago war, sich vorgenommen, zu Fuße von dort über die Cordillera nach Mendoza zu gehen. Er machte sich trotz aller Abmahnung, mit einem Hunde und Schießbedarf versehen, auf den Weg; aber später nach Mendoza Kommende trafen ihn nicht daselbst, und man glaubte ihn sicher verloren. Nach etwa sechs Wochen erschien indessen der Reisende wieder in Santjago, fast unkenntlich und ohne Hund. Er hatte denselben in der äußersten Noth verzehrt. Nachdem er eine schwere Krankheit überstanden, kaufte er einen neuen Hund und machte sich wieder auf den Weg. Aber er erreichte weder Mendoza, noch kam er nach Santjago zurück; er verschwand spurlos in den Bergen.
Ich hatte mich besser vorgesehen als dieser Britte, und meine kleine Expedition war ganz nett ausgerüstet. Es begleitete mich der deutsche, bei Segeth in Diensten stehende Jäger, und außerdem hatte ich für die Dauer der Excursion zwei chilenische Knechte gedungen. Natürlich waren wir alle beritten und namentlich hatte ich durch die freundliche Gefälligkeit Segeth's ein vortreffliches im Klettern geübtes Pferd erhalten. Zwei Maulthiere trugen abwechselnd Mundvorrath und die nöthigen Instrumente; einige Reservepferde fehlten nach chilenischer Sitte ebenfalls nicht.
Der eine meiner Knechte war schon früh mit den übrigen Pferden und den Maulthieren vorausgegangen, und des Nachmittags folgten wir andern. Unser Aussehen mag so ziemlich die Mitte gehalten haben zwischen dem eines Jägers und eines Räubers, hatte aber für dort nichts Auffallendes.
Wir ritten scharf durch die Ebene von Santjago, um noch vor Nacht die Vorberge der Cordillera zu erreichen, und hielten nur einmal an, um rasch ein Glas jenes rothen Weines von Conception zu trinken, dessen ich bereits erwähnte. Die Gegend von Santjago ist wirklich reizend, indem sie vollkommen den Charakter der Fruchtbarkeit und Cultur trägt, ohne alles Romantische verloren zu haben, wie das sonst so häufig der Fall. Einzelne Landgüter, größere oder kleinere Besitzungen, erstere Reichthum verrathend, letztere voll malerischen Reizes, bilden auch dort, gegen das Gebirge zu, die Umgegend der Stadt, und sind häufig halb versteckt in Gruppen von Feigenbäumen und Pfirsichen, selbst die Orange fehlt nicht, den Typus des Südens vervollständigend. Einen zwar eigenthümlichen, indessen nicht eben angenehmen Anblick gewähren die Lehmmauern, mit welchen fast alle Grundstücke eingefriedigt sind, und welche sich mit hellbrauner monotoner Färbung allenthalben durch die Landschaft ziehen, so daß das Ganze in einiger Entfernung Festungswerken ähneln mag.
Aber auch abgesehen von den übrigen Schönheiten der Landschaft, überwiegt der großartige Rahmen, in welchen das Bild gefaßt ist, die Cordillera, kleinere Uebelstände desselben, und manchfache Staffage belebt das Ganze. Zwar ist das Thierreich eben nicht zahlreich vertreten, und selbst Vögel finden sich hier fast spärlich. Einige Raubvögel waren noch die zahlreichsten Repräsentanten derselben, und diese saßen meist ruhig, kaum sich um den Vorüberreitenden kümmernd, auf den erwähnten Lehmmauern; hier und da liefen der Turco und Tapaculo[28] mit Blitzesschnelle über den Weg und der rothbrustige Staar und einige andere weniger zierlich gefärbte seiner Geschlechtsverwandten wiegten sich in den Zweigen der am Weg stehenden Bäume.
Desto häufiger aber begegneten wir Reitern auf Maulthieren und Eseln. Ganze Züge von Maulthieren bringen Holz zur Stadt, Esel mit Futter beladen, ziehen trotz des noch überdem zwischen demselben sitzenden Führers, ziemlich rasch ihre Straße, und dazwischen galoppiren lustig Männer, Frauen und Kinder nach allen Seiten hin. Man sieht in Chile kaum einen Fußwanderer, da jeder ein Pferd besitzt, und dort ist ein ganz anständig gekleideter Fußreisender etwa so angesehen, wie bei uns zu Lande ein Reisender, der barfuß und ohne Rock seine Straße zieht, und statt des Hutes etwa einen Knotenstock führt.
Als wir uns beiläufig sieben bis acht Stunden von der Stadt entfernt hatten, machte der freundliche Charakter der Gegend allmälig einem ernsteren Platz. Selbst die kleineren Hacienden und Ansiedelungen wurden immer seltener und verschwanden endlich plötzlich. Wald und Felsen begannen, und wir hatten kurz vor Anbruch der Dunkelheit die Vorberge der Cordillera erreicht. Wir hatten beabsichtigt, in einer am Fuße der Cordillera liegenden kleinen Ansiedelung zu übernachten, wo von den Bergen gebrachte Silbererze verschmolzen werden, und woselbst der Jäger vor Jahren einmal eingekehrt war. Es zeigte sich indessen bald, daß wir den Weg verfehlt hatten.
Der Rio Mapocho strömt dort, aus den Anden hervorbrechend, mit Heftigkeit durch seine felsigen Ufer, und wir mußten fortwährend stromaufwärts seinen Lauf verfolgen, da weiter oben jenes kleine Hüttenwerk liegen sollte. Bald aber waren wir gezwungen über den Fluß zu setzen, indem das bischen Weg, auf dem unsere Pferde weiter kletterten, aufhörte und zur steilen Wand wurde. Mittlerweile war die Dunkelheit vollständig eingebrochen, und trotz des klaren Sternenhimmels war es in der Bergschlucht, in welcher wir ritten, so finster, daß man kaum den vor sich Reitenden unterscheiden konnte. Es wurde deshalb der eine meiner Knechte, der einen Schimmel ritt, an die Spitze des Zuges gestellt; aber es dauerte nicht lange, so mußte wieder der Fluß passirt werden, da jetzt auf der andern Seite der Weg zu schmal wurde, oder eigentlich besser gesagt, ganz aufhörte, und dieses Uebersetzen wurde während der Nacht etwa 10 bis 12 mal wiederholt.
Der vorausreitende Knecht, der den Weg suchen mußte, wurde nicht selten eine Strecke im Wasser abwärts gerissen und mußte dann eine andere Stelle ausfindig machen, welche, besonders der Lastthiere halber, leichter zu passiren war. Aber dies alles geschah von Seite des Knechts unter Scherz und Gelächter, wenn gleich mit manchem Caramba, dem scherzhaften und unschuldigen Fluchworte der Chilenen.
Der Fluß strömt schnell dahin, und obgleich wir selten bis über die Kniee in's Wasser kamen, hatten die Pferde genug zu thun sich zu halten, und verloren nicht selten den festen Grund, hatte gleich der Knecht die seichtesten Stellen ausgesucht. Ritten wir längs des Ufers, so mußten die Thiere im buchstäblichen Sinne des Worts, sich durch die am Ufer angeschwemmten Felsenblöcke winden, andere überspringen, während sie auf kopfgroßen Geschieben des Flusses Fuß zu fassen gezwungen waren, wenn sie eine plötzlich erscheinende tiefere Stelle nicht bis an die Kniee versinken ließ.
Wir waren eine Zeit lang auf dem linken Ufer des Flusses fortgeritten, als wir, wie uns dünkte, an die gesuchte Stelle gekommen waren, um nach nochmaligem Uebersetzen des Flusses auf eine Art von Weg zu gelangen, welcher zu dem ersehnten Hüttenwerk führen sollte. Als wir aber uns anschickten, in's Wasser zu reiten, fanden wir bald, daß der Fluß so bedeutend angeschwollen war und so heftig strömte, daß an kein Passiren desselben mehr zu denken. Wir hatten nicht daran gedacht, daß fast alle die von der hohen Cordillera kommenden Flüsse des Nachts bedeutend anschwellen, da das des Tages über durch die Sonnenhitze geschmolzene Schneewasser ihre Masse bedeutend verstärkt.
Es stand uns jetzt die wenig tröstliche Aussicht bevor, hungrigen Leibes auf den Geröllen des Mapocho Nachtlager zu halten, und vielleicht von dessen stets steigenden Fluthen noch einen Besuch zu erhalten.
Da erinnerte sich der Jäger, gerade zur rechten Zeit, daß etwas weiter oben sich die Schlucht öffnen müsse und dort die Hütten einiger Landleute seien, bei welchen er früher einmal in dieser Gegend mit einem deutschen Naturforscher jagend, eingekehrt war. Wir eilten weiter und bald öffnete sich wirklich die Schlucht in etwas, und die Abhänge derselben wurden flacher, so daß die Pferde sie erklimmen konnten. Als wir uns auf der Ebene befanden und einen Weg vor uns hatten, der für deutsche Pferde lebensgefährlich gewesen wäre, für die chilenischen aber analog einer Chaussee war, wurden Cigarren und Pfeifen angezündet und im Galopp dem vorausleuchtenden Schimmel nachgeritten, in fast gänzlicher Dunkelheit und ohne irgend eine weitere Kenntniß des Weges als die, daß in einer gewissen Richtung hin menschliche Wohnungen befindlich sein sollten.
Endlich begann der Jäger sich etwas besser in der Gegend zurecht zu finden, indem ihm einzelne Felsenparthieen erinnerlich waren, und bald sahen wir Bäume und zwischen denselben Feuerschein leuchten. Das Unvermeidliche einer chilenischen Ansiedelung, eine Meute von etwa zwanzig Hunden, umringte uns bald kläffend und bellend und wir hatten in Kurzem das Haus und seine Bewohner erreicht.
Es kamen uns die Männer entgegen und boten uns auf unsere Frage, ob wir bei ihnen übernachten könnten, freundlich ihr Haus und ganzes Besitzthum an, mit jener in Wirklichkeit uneigennützigen Bereitwilligkeit, welche die überwiegende Mehrzahl jenes wackeren Volkes charakterisirt.
Vor dem Hause war aus rohen Baumstämmen eine Art Vorhalle angebracht, welche mit Baumzweigen[29] gedeckt war und dort brannte das Feuer. Eine ältere Frau kauerte am Feuer, und vier bis fünf jüngere Frauen, alle in große Umschlagtücher gehüllt, waren, so wie mehrere Männer rings umher gelagert; Kinder, Hunde und Hühner, letztere durch unsere Ankunft aufgestört, durchkrochen die Winkel der Vorhalle, und das Ganze bildete ein zwar zigeunerartiges, aber nicht unschönes Bild.
Unsere Pferde und die Lastthiere wurden abgesattelt und sich selbst überlassen. Fast nie verläuft sich in solchen Fällen ein Pferd und die Thiere, welche nur ein paar Tage zusammen gelaufen sind, halten bald gute Kameradschaft. Wir baten um eine Hühnersuppe und Eier, was bald fertig war, als wir aber nach Wein frugen, war keiner vorhanden, indessen hieß es, daß in einem nahen Orte welcher zu haben sei. Ich gab einige Realen, und bald sprengte einer der jungen Leute mit einem Schlauche auf dem Pferde in die Nacht hinaus.
Während nun auf solche Weise alle Anstalten zum Mahle getroffen wurden, hatte ich Gelegenheit, den fast an Ostentation gränzenden Eifer meiner Knechte zu bewundern, mit welchem sie mich zu bedienen bemüht waren. Sie hatten unseren Gastwirthen erzählt, und hiebei half auch der Jäger getreulich, wie ich ein aus fremden Landen gekommener, ungeheuer reicher und gelehrter Herr, un mui grande caballero, sei, welcher die Cordillera zu besuchen gedenke, nachdem er schon alle anderen Länder der Erde bereist habe. Sie selbst reisten theils zum Vergnügen mit mir, theils weil sie von mir einen fabelhaften Lohn bekämen. Sie machten sich nun tausend Beschäftigungen um meine Person, zogen mir die Stiefel aus, boten mir aus der geöffneten Reisetasche ganz ungeeignete Kleider zu größerer Bequemlichkeit, wie sie sagten, stopften meine Pfeife, und hatten alle Augenblicke irgend eine Frage zu thun.
So dachten die beiden Schelme sich selbst in ein glänzendes Licht zu setzen, indem sie einen so vornehmen und mächtigen Herrn als Diener begleiteten[30].
Nach Beendigung des Schmauses kam der junge Mann mit dem Weine (rothen Conceptionwein), und war bis über den Gürtel durchnäßt. Der nahe gelegene Ort war sicher eine Stunde, wenn nicht weiter entfernt, und er hatte irgend ein Wasser mit dem Pferde durchschwimmen müssen. Bald kreiste nun der Schlauch unter Männern und Frauen, und letztere verschmähten nicht die Zigarren, welche ich ihnen bot, so daß wir bald wie alte Bekannte ein munteres kleines Gelage hielten, und fast bedauerten, als wir es aufheben und uns zur Ruhe begeben mußten, weil wir des andern Tages mit dem frühsten uns wieder auf den Weg begeben wollten.
Wir, die Gäste, schliefen im Freien, unweit des stets glimmenden Feuers, auf unsern Satteldecken, obgleich wir auf's Beste eingeladen waren, im Innern des Hauses Platz zu nehmen. Allein theils wollten wir unsere Gastfreunde nicht vertreiben, oder wenigstens belästigen, anderseits fürchtete ich die Unzahl jener hüpfenden Insekten, welche ohne alle Uebertreibung wirklich eine Schattenseite Chiles genannt werden darf, wenn es auf Comfort oder nur einigermaßen auf Ruhe ankömmt. –
Noch vor Tages-Anbruch waren wir wieder auf, tranken Kaffee von unserem Vorrathe, da im Hause blos Paraguay-Thee vorhanden, und luden unsere Wirthe zum Mittrinken ein, was angenommen wurde. Aber nur mit Mühe konnte ich die Frau bewegen, einen Peso anzunehmen, indem sie sagte, wir hätten mit ihnen getheilt, und sie mit uns. So schieden wir als die besten Freunde und einer der Männer begleitete uns eine Strecke, um uns eine minder tiefe Stelle des immer noch stark angeschwollenen Flusses zu zeigen.
Ich sah jetzt, daß man bei der Nacht leichter eine solche Passage ausführt als bei Tage, denn mir wurde bei dem reißenden und rasch vorüberstürmenden Wasser fast schwindlich, obgleich ich sonst wenig zu dergleichen geneigt bin. Es verloren bisweilen die Pferde festen Fuß und wurden schwimmend rasch abwärts getrieben, bis sie wieder Grund fanden, und so kamen wir öfters aus der Reihe, welche wir eingeschlagen hatten. Ein Hund, welcher uns begleitete, wurde fortgerissen, und wir hatten ihn schon verloren gegeben, als er etwa nach einer halben Stunde, nachdem wir längst auf dem Trockenen, keuchend und triefend uns wieder einholte.
Das Thal, in welches wir nach Uebersetzung des Flusses gekommen waren, war am Anfange ziemlich breit und es standen dort ebenfalls einige vereinzelte Wohnungen, bald aber wurde es enger, und wir folgten einem seiner Abhänge, indem wir anfingen, ziemlich steil aufwärts zu reiten.
Bald sahen wir in der immer enger werdenden Schlucht nur noch hie und da den Fluß seinen Lauf verfolgen, und die Gegend nahm in kurzer Zeit einen andern Charakter an.
Die unendliche Masse von scheinbar wild und ohne alle Ordnung durcheinander geworfenem Gesteine, in manchfachen pittoresken Formen hier ansteigend, dort eine tiefe Schlucht, wieder an einer andern Stelle einen mauerartigen Kamm bildend, entzückt den Landschaftsmaler und begeistert ihn, während der Geognost verwirrt wird, und anfänglich die Hoffnung aufgibt, irgend eine anständige Theorie zu finden, wie alle diese unendlichen Abstufungen und Varietäten von Porphyr, Diorit, Dolerit und andere verwandte Felsarten so bunt durcheinander gewürfelt dorthin gekommen sind.
Mit etwas Phantasie und einigem guten Willen läßt sich Vieles leisten, so ist denn endlich eine nothdürftige Erklärung fertig. Da tritt uns plötzlich ein Granit entgegen, wir finden Gneis, Sienit an einer Stelle so friedlich und unbefangen dastehen und leider so wenig in die eben fertige Erklärung passend, daß wir uns endlich gestehen müssen, ein flüchtiger Blick auf jene colossale Natur sei wohl halbweg hinreichend uns ihre Größe erkennen zu lassen, keineswegs aber, sie nur einigermaßen genügend zu erklären.
Manchfacher Baumschlag decorirt die Landschaft, indem die Abhänge der Schluchten meist bewaldet sind. So ritten wir einmal eine ziemliche Strecke unter einem natürlichen Bogengange von Pfirsichbäumen dahin. Im Uebrigen aber waren verschiedene Laurusarten und einige Species von Berberis das Einzige, was ich erkannte, indem mir, dem leider ziemlich Unkundigen in botanischen Studien, deren Betrieb während des Vorübergaloppirens noch schwerer fiel, als die Auffassung geognostischer Verhältnisse.
An andern Stellen schien der große, dort nicht selten eine Höhe von 20-30 Fuß erreichende Cactus und einige andere kleinere ebenfalls scharf mit Stacheln bewehrte Pflanzen, die ganze Vegetation zu bilden. Dort aber fallen die Abhänge steil ab und man reitet nicht selten auf einem Pfade, der links von einer senkrecht ansteigenden Felswand begrenzt wird, während rechts ein tausend Fuß tiefer Abgrund uns entgegen gähnt. Häufig ist ein solcher Pfad, den meine verwünschten Knechte einen ganz vortrefflichen Weg nannten, so schmal, daß der eine Fuß an der Felswand streift, während der andere sammt dem Bügel über dem Abgrund schwebt. Bisweilen lösen sich durch den Hufschlag der Pferde Steine und Geröll ab, und stürzen neben uns in die Tiefe. Aber all' das schadet nicht, man reitet vorwärts und macht aus der Noth eine Tugend, denn Umwenden geht aus moralischen und physischen Gründen nicht mehr an.
Weniger gefährlich indessen als es aussieht sind diese Bergpfade wegen der Güte und Sicherheit der chilenischen Pferde, aber sie werden bedenklich in hohem Grade bei Begegnungen. Da nur in seltenen Fällen ein Reisender jene Vorberge der Cordillera besucht, so sind die Wege derselben meist nur von holztragenden Maulthieren und ihren Führern betreten, diese aber halten bestimmte Tageszeiten zum Hin- und Zurückgehen ein, weil für alle blos Santjago das Ziel der Reise ist. Gegenseitiges sich Entgegenkommen ist also bei diesen ein seltener Fall. Ein anderes war es mit uns, die wir gerade entgegengesetzte Richtung mit den zur Stadt ziehenden Holzverkäufern hatten, und mir wäre fast ein Unfall begegnet der üble Folgen hätte haben können.
Schon einige Mal waren wir solchen holztragenden Maulthieren begegnet, aber stets an breiteren Stellen, wo man ausweichen konnte[31]. Jetzt aber ritten wir einen der schmalsten Pfade, der noch dazu sich öfters um den Fels bog, und ich war eben der letzte im Zuge, als der vor mir reitende Knecht mir zurief, rascher zu reiten. Ich gab dem Pferde die Sporen, aber schon stand ein Maulthier vor mir mit den Holzbündeln, die auf beiden Seiten des Rückens befestigt, seine Last bilden. Einige hundert Schritte rückwärts war eine breitere Stelle des Weges, auch vorn, durch die Felsenecke verborgen, mußte eine solche sein, da die Vorausreitenden den Lastthieren ausweichen konnten, aber zwischen diesen und mir stand das Maulthier und der Kopf des zweiten war bereits sichtbar. Umwenden schien mir unmöglich. Links eine steile Felsenwand, rechts ein jäher Abhang, auf dem kaum Fuß zu fassen. Mein erster Gedanke war das Maulthier vor den Kopf zu schießen, aber dann, welcher Scandal mit den nachfolgenden Treibern, und ferner wäre mir das vorwärts stürzende Thier eben so gefährlich als vorher gewesen. So blieb ich unentschlossen einige Augenblicke haltend, ausweichend so weit als möglich auf der Seite des Abhangs. Das Maulthier aber rannte vorwärts und stieß mich mit der Holzlast dergestalt an die Kniescheibe, daß ich fast sammt dem Pferde in den Abgrund geworfen worden wäre. Meine alten deutschen Jagdstiefel von starkem Rindsleder und handbreit über die Knie reichend, schützten mich in so ferne, daß ich nicht argen Schaden litt, doch hatte ich durch das verwünschte Holz eine ziemliche Contusion erhalten. Ich begriff jetzt, daß ich auf irgend eine Weise ausweichen mußte, denn schon stand das zweite Maulthier vor mir. So sprang ich denn auf der rechten Seite des Pferdes herab und suchte mich auf dem steilen Abhange festzuhalten, so gut es eben ging, und das zwar zuerst am Zügel meines Pferdes, den ich in den Händen behalten hatte. Das Maulthier aber rannte mit seinen Holzbündeln so heftig wider dasselbe, daß die zwei obersten Decken in Stücke zerrissen, der Gurt gesprengt wurde und das Pferd das Gleichgewicht verlor. Aber es stürzte nicht, sondern bäumte sich hoch auf, drehte sich auf den Hinterfüßen, fußte wieder auf dem Pfade und lief rückwärts hinter den Maulthieren her, bis an die vorher erwähnte, bereits passirte breitere Stelle des Weges, wo es, den Lastthieren ausweichend, stehen blieb. Der Zügel, an dem ich mich festgehalten hatte, war ein nach europäischer Art gefertigter, und bereits alt, er riß, und dieß war ein Glück, denn bei dem abhängigen und lockeren Standpunkte, den das Pferd hatte, wäre es ohne Zweifel durch mein Gewicht hinabgezogen worden, und auf mich gefallen. Aber das mir gehörige Zaumwerk nach der schweren und haltbaren Weise des Landes gefertigt, war dem Pferde am Kopfe etwas zu enge, und deßhalb entlehnte ich von Segeth ein anderes, dessen Zerreißen hier zu meinem Vortheile stattfand.
Ich selbst kugelte hierauf, ohne mich irgendwie halten zu können, fünf und zwanzig oder dreißig Schritte abwärts, faßte aber dort einen Strauch und kletterte oder kroch vielmehr dann wieder den Abhang hinan. Zehn Schritte unterhalb des rettenden Strauchs fiel die Felswand senkrecht ab. – Dort, d. h. etwa 800 Fuß tiefer, fließt der liebenswürdige Mapocho zwischen zierlich zugespitzten Felsen, und hie und da zerstreut zwischen ihnen bleichen fragmentarisch die Gebeine von Menschen und Thieren, die oben ebenfalls das Gleichgewicht verloren und zufällig nicht an einem Strauche hängen geblieben sind.
Einer der Knechte warf mir seinen Lasso zu, mit dessen Hülfe erreichte ich die Höhe und dort war meine erste Beschäftigung, eine Unzahl von Stacheln aus den Händen zu ziehen, Ueberbleibsel des rettenden Strauches. Dann wurde Sattel und Zeug wieder in Ordnung gebracht und weiter geritten.
Bald nachdem wir jene Stelle verlassen hatten, begann der Weg sich in etwas zu verändern.
Statt daß früher auf der einen Seite Felswand, auf der andern Abgrund war, mußten wir jetzt über einen drei Fuß breiten Felskamm reiten, dessen beide Seiten senkrecht abfielen. Natürliche Stufen von ebenfalls drei Fuß Höhe bildeten die Straße und so mußten die Pferde sprungweise anklimmen. Ich war thöricht genug, mich über die unschuldige Klippe zu ärgern und mein Pferd erhielt wohl manchen nicht nöthigen Spornstich, indem ich auf den Unsinn schalt, über Mauern zu reiten, anstatt außen herum. Ich weiß indessen nicht, ob dies überhaupt angegangen wäre.
Oben angelangt, wo die Felswand ein kleines Plateau bildete, legte sich plötzlich unser lasttragendes Maulthier ganz ruhig auf den Boden, und war auf keine Weise zu bewegen, wieder aufzustehen. Das Thier hatte die Augen geschlossen und sein Kopf hing, sammt dem einen Packe der Last, die es trug, über dem Abgrund. Wenn Maulthiere ihren Führern erklären wollen, daß sie genug gearbeitet, und keine Lust hätten, weiter zu gehen, nehmen sie stets dieses Manöver vor, und unsere Knechte sagten, sie thäten dies immer an der gefährlichsten Stelle, wo sie keine Schläge zu erwarten haben, da eine einzige unglückliche Bewegung sie in den Abgrund stürzen kann.
In der That wurden oben auf dem Plateau auch blos Schmeichelworte angewendet, um das Thier zum Aufstehen zu bewegen, aber umsonst. Es lag wie verendet und rührte kein Glied. Nun blieb nichts übrig, als dasselbe möglichst auf die Mitte des Plateaus zu ziehen, abzuladen, und so gut es ging, das andere Thier zu belasten. Ich leistete hierbei hülfreiche Hand und bedauerte, in meiner Jugend neben andern nützlichen Künsten, nicht auch die des Dach- oder Schieferdeckers erlernt zu haben, welche mir dort von bedeutendem Nutzen gewesen wäre.
Als wir auf der andern Seite der Wand wieder auf festen, d. h. breiten und geräumigen Boden gekommen waren, bearbeiteten die Knechte das Maulthier nach Herzenslust mit ihren zusammengedrehten Lasso's, um sich für die oben an dasselbe verschwendeten Artigkeiten zu revanchiren, und das Thier wußte genau den Grund, denn es schlug schon aus, als sie sich ihm nur von weitem näherten. Aber, als ich noch oben stand bei dem widerspenstigen Thiere und auf die erstiegene Strecke abwärts blickte, sie fast für gefährlich haltend, unbedingt aber wohl zufrieden, daß sie zurückgelegt, kam in sorglosen Sätzen am äußersten Rand, und wie es schien auf einen nur mittelmäßigen Klepper reitend, ein chilenisches Weib desselben Weges. Sie hatte die Zügel auf des Pferdes Hals gelegt und liebkoste einen Säugling, den sie im Arme hielt. Ich schämte mich, als ich eine Parallele zog zwischen des Weibes Reise und meinem Bedenken.
Es war die Wohnung jenes Weibes die letzte im Gebirge und nun begann die eigentliche hohe Cordillera, nachdem wir noch einige Stunden auf ziemlich guten Wegen scharf fortgeritten waren. Wir machten hierauf etwa gegen 1 Uhr des Mittags Halt, ließen die Pferde grasen und nahmen selbst ein kleines Mahl ein. Dort schon sammelte ich geognostische Handstücke und mehrere Insekten, worunter unter andern eine neue Art Proscopia tenuirostris, Sturm. Auch eine Menge von Scorpionen wurde gefunden und fast unter jedem Steine, den wir aufhoben, streckte uns einer seine Scheeren entgegen.
Nach anderthalbstündiger Ruhe stiegen wir wieder zu Pferde, und setzten nach einiger Zeit über einen kleinen Fluß, worauf wir mehrere Stunden steil bergauf eilten und endlich auf einem ziemlich breiten Bergrücken ankamen.
Der Charakter der Landschaft hatte sich allmälig bedeutend geändert. Wir hatten vorher wohl Wald und pittoreske Felsenparthieen, gefährliche Bergpfade und strömende Gewässer in wilden Schluchten, aber immer fehlte der Typus der tiefen Ruhe und Einsamkeit, der das eigentliche Hochgebirge bezeichnet. Jetzt aber war auf der Höhe der Pflanzenwuchs bereits verschwunden und nur in Schluchten tief unter uns zogen sich noch in schmalen Streifen die Vorposten der Vegetation dahin. Drohende Schneeberge hingen über uns, während wir auf kahlem nacktem Gesteine fortritten. Die Thäler wurden großartiger, und hie und da öffnete sich eine prachtvolle Fernsicht, um bald wieder durch einen schwarzen, halb mit Schnee bedeckten Bergriesen verhüllt zu werden. Es war die hohe Cordillera, in welcher wir uns befanden, das sagte uns schon der eisige Hauch, der bisweilen von den nächsten Bergen wehte, und uns den Poncho umnehmen hieß. Wir hatten während der Rast das Gepäcke vertheilt und die Reservepferde mit einem Theile belastet, so konnten wir um so rascher reiten, denn das that jetzt Noth. Der Jäger hatte früher diese Gegenden besucht und einen passenden Platz gefunden zum Lager. Wir mußten diesen wo möglich noch heute zu erreichen suchen, um Holz zur Feuerung, Futter für die Thiere und Wasser zu haben. Kurz vor Einbruch der Nacht lenkten wir wieder abwärts, meist auf Pfaden, die das Guanaco getreten hatte, kamen wieder in eine wenigstens etwas bewaldete Thalschlucht, und machten endlich an einer etwa 50 Schritte breiten Stelle desselben, unweit eines rasch strömenden Bergwassers Halt. Es wurde zur Entlastung der Thiere geschritten und rasch von zusammengelesenem Holze ein Feuer entzündet, von unseren Satteldecken ein Lager bereitet, und ein aus Maisbrod und rohem Charque bestehendes Abendbrod eingenommen. Dann legten wir uns zur Ruhe, und als ich des andern Morgens in meinen Mantel gewickelt, die Augen aufschlug, verwunderte ich mich fast, im Freien und nicht unter Segeth's gastlichem Dache zu Santjago erwacht zu sein.
Die Pferde hatten sich in jener ersten Nacht keine zehn Schritte von uns entfernt, sondern waren dichtgedrängt in unserer nächsten Nähe geblieben; als sie später das Terrain kennen gelernt hatten, entfernten sie sich stundenweit von unserm Lagerplatze, stets aber zusammenhaltend und eine kleine Heerde bildend.
Sogleich nach unserm Erwachen wurden Anstalten zu größerem Comfort getroffen. Die Schlucht, welche wir in Besitz genommen hatten, strich direkt von Nord nach Süd, und war gegen Ost und West durch steile Abhänge eingeschlossen. Der kleine aber reißende Gebirgsfluß floß auf der westlichen Seite, und wir brauchten auf diese Weise nur einige Schritte zu gehen, um frisches Wasser zu haben. Ich vermag kaum zu schildern, wie erquickend und stärkend das tägliche Baden in diesen lärmend und brausend dahin strömenden Fluthen auf mich eingewirkt hat, welches ich sogleich nach dem Erwachen vornahm, während die Knechte den Kaffee bereiteten.
Große und zum Theile vollkommen abgerundete Steine, welche ringsum zerstreut lagen, ohne Zweifel von mächtigen periodischen Anschwellungen des Flusses dorthin geführt, wurden von uns als Tische benützt, und während Jose Maria, der die Rolle des Kochkünstlers übernahm, einen derselben als Küchentisch in Beschlag nahm, wurde der andere von mir zum Präparir-Tisch bestimmt. Die Schlucht fiel gegen Süd ab und theilte sich in mehrere andere Thäler, während sie, gegen Nord aufwärts steigend, einige Stunden von unserem Lager durch schneebedeckte Felsmassen geschlossen wurde.
Der Jäger und ich richteten uns ein grobes Tuch, in welchem ein Theil der mitgebrachten Vorräthe eingeschlagen waren, zum Zelte zu, welches zwar nur etwa den Kopf und einen Theil des Leibes bedeckte, und vorne und hinten geöffnet war, indessen doch in Etwas gegen den fallenden Thau schützte. Wir hatten von Santjago Nägel mitgenommen, welche in einige Bäume geschlagen wurden und zum Aufhängen der Instrumente, des Barometers, Thermometers und Hygrometers, der Waffen und anderen Utensilien dienten, und so war unsere einfache Einrichtung bald vollendet.
Aehnlich wie in der Stadt wurde auch hier die Zeit eingetheilt, indem ein Tag zum Sammeln, Jagen und Beobachten, der andere zum Präpariren und Ordnen des Erworbenen bestimmt wurde. Bisweilen zusammen, meist aber vereinzelt, oder von einem der Knechte begleitet, unternahmen wir unsere Streifzüge, von welchen wir manchmal bei Zeiten, oft aber erst spät in der Nacht heimkehrten, denn wir hatten die Umgegend bald so kennen gelernt, daß an kein Verirren mehr zu denken war.
Große Gelehrte, so wie auch andere Reisende haben die Cordillera geschildert und die mächtigen Eindrücke, welche sie auf den Besuchenden hervorbringt, und ich glaube nicht, daß je einer derselben zu viel gesagt hat von der Großartigkeit jener Massen. Der Charakter des wild Pittoresken ist zwar stets der vorherrschende, aber in so unendlich vielen Abstufungen und häufig in so rascher Abwechslung, daß eben wie mir dünkt, hierin einer der größten Reize jenes mächtigen Gebirges liegt. Das Gebirge steigt fortwährend terassenförmig in die Höhe. Man steht auf einer solchen Terasse und vor uns steigt eine mit Firnschnee allenthalben bedeckte Felswand an, die man unbedingt für den höchsten Punkt der Umgebung halten muß. Endlich ist es gelungen, nicht ohne Gefahr einen Ausweg zu finden, man klettert an steilen Felsen, man geht über tiefe, hart gefrorene Schneemassen, welche glücklicherweise eine Schlucht ausfüllen, und der Fels, der anfänglich immer höher zu werden scheint, je höher man klimmt, ist endlich erstiegen. Man ist auf einer Ebene, wo sich kaum Schnee befindet, ja wo vielleicht selbst hie und da eine einzelne Saxi fraga am Gesteine wuchert. Aber in einiger Entfernung steigt eine neue Felswand empor, mächtiger als die vorige und spottend jedem Versuche, sie zu ersteigen. Ist aber bei einer oder der andern dies vielleicht doch gelungen, so wiederholt sich oben das Schauspiel und man sieht, daß in einer unzähligen Menge solcher Riesenstufen das Gebirge anwärts steigt. Häufig ist auf solchen Ebenen der lachendste Sonnenschein und eine fast drückende Hitze, aber vom Rande des Plateaus blickt man in ein Wolkenmeer, welches unterhalb sich ausbreitet und aus welchem in der Sonne glänzend, nur einzelne schneebedeckte Spitzen hervorragen. Plötzlich, man weiß nicht wie, denn nicht der leiseste Luftzug regt sich, sind die Wolken fast sämmtlich verschwunden, und nur in einer schwarzen kraterartigen Vertiefung mit steil abwärts fallenden Wänden, ist eine dichte Masse derselben geblieben. Ohne Zweifel sind solche Bildungen, die ich mehrfach getroffen, ausgebrannte Krater, oder wenigstens solche, die sich in tausendjähriger Ruhe befinden. Man wartet, um von oben herab gemächlich in's Innere des zu unsern Füßen liegenden vulkanischen Kessels blicken zu können, bis die Wolken auch aus ihm verschwunden sind, aber plötzlich gerathen dieselben in eine wallende Bewegung, sie erheben sich, breiten sich aus und man ist rasch und ehe man es vermuthet, selbst in eine Nebelschicht eingehüllt, so daß man kaum auf einige Schritte zu sehen vermag.
Schwer wäre in solchen Fällen der Rückweg zu finden, weilten jene Wolkenschichten lange auf ein- und derselben Stelle, aber rasch wie sie gekommen, verschwinden sie auch wieder. –
Einen eigenthümlichen Eindruck machen die oft mehrere Stunden langen Felsenthäler, die bald mehr erweitert, bald aber so enge geschlossen sind, daß ihre Sohle kaum zwanzig Schritte Breite hat. Während oben auf den Felskämmen, welche die Thalwände bilden, eine freundliche Sonne ruht, ja, erlaubt es der Stand derselben, Sonnenblicke oft bis in's Thal reichen, so ist nicht selten die Schlucht durch eine dichte Wolkenmasse geschlossen, welche Stunden lang an ein und derselben Stelle verweilt, bis sie sich gänzlich vertheilt oder verschwindet und ein doleritischer Kegel vor uns steht, der halb mit Gletschereis bedeckt ist, welches das tiefe Schwarz des Gesteins noch mehr hervorhebt. Aus solchen doleritischen oder basaltischen Kegelbergen brechen stets Quellen hervor, oder stürzen sich von den schneeigen Wänden derselben herab, wie denn wohl überhaupt die meisten dieser wild und tief gefurchten Thäler heftigen Wasserströmungen früherer Zeit ihren Ursprung verdanken mögen.
Auch der Proceß der Verwitterung hat an manchen Stellen stattgefunden und theilweise eine eigene Erscheinung hervorgerufen. Größere, häufig von der Sonne getroffene, bald wieder von ziehenden Wolken berührte Flächen nicht ganz abschüssiger Felswände, sind mit verwittertem und zersetztem Gerölle bedeckt. Durch eigenthümliche plattenförmige Spaltung mancher Gesteine hat das von oben herab kommende Wasser des gethauten Schnees sich hier bisweilen gefangen, aus den verwitterten Felsarten ist Erde geworden, stets befeuchtet durch nachsickerndes Wasser und so sind grünende Oasen entstanden unweit der Grenze des Schnees, und mitten auf einer kahlen und sonst allenthalben mit Gesteinfragmenten bedeckten Fläche. Eine mannshohe, gelb blühende ginsterartige Pflanze, eine Colletia, die Fabiana imbricata und einige Berberis-Arten bilden dort meist die Vegetation in dem sonst nicht selten sumpfigen Grunde.
Während man aber längere Zeit in einer der geschilderten Schluchten gewandert, oder eine Felswand erstiegen hat, um von einer zweiten oder dritten sich den weiteren Weg versperrt zu sehen und schon die Hoffnung aufgegeben hat, für den Tag etwas weiteres als Felsmassen, Wolken und Schnee zu sehen, biegt man um die Ecke eines Felsens, und bleibt plötzlich überrascht und entzückt stehen vor der prachtvollsten Fernsicht die sich bietet. Weit weg über das herrliche Chile bis an die Küste des Meeres schweift der Blick, nur begrenzt durch den tiefblauen Himmel der über jenem gesegneten Lande lacht. Auf eine prachtvolle Weise wird aber das in der Sonne glänzende Flachland gehoben durch die schwarzen Felsenmassen des Vordergrundes und die Gletschermassen, zwischen welchen hindurch sich jene Fernsicht öffnet. Der Mangel der Lichtperspektive, von dem ich schon vorher gesprochen, kömmt dem landschaftlichen Bilde hier unendlich zu statten, und man möchte fast sagen, daß bei der Großartigkeit des Ganzen die Natur hier keiner beschönenden Tinten bedürfe.
Der unbegreifliche und fast erschütternde Zauber, der für manche Gemüther in einer erhabenen und reizenden Fernsicht liegt, ist es aber nicht allein, was in jenen Bergen so mächtig das Herz erhebt, es ist das wohlthätige Gefühl absoluter Einsamkeit und Abgeschlossenheit, das Bewußtsein unbedingter persönlicher Freiheit und das Fernsein aller störenden Einflüsse, aller menschlichen Kleinlichkeit und Lüge. Ich habe mich dort sicherer und fröhlicher gefühlt, als irgendwo, freilich ohne daran zu denken, daß man auch auf der Spitze der Anden getäuscht und betrogen werden kann, wenn gleichwohl nur par distance.
Auf diese landschaftlichen Skizzen mag mit wenigen Worten der geognostischen Verhältnisse gedacht werden, und eines kleinen Theils der Gesteine, welche jene malerischen Massen bilden. Es ist unmöglich, ein klares Bild zu geben von dem geognostischen Charakter des von mir besuchten Theils der Cordillera, weil es unmöglich ist, ein solches aufzufassen in der kurzen Zeit meines Dortseins.
Im Allgemeinen muß ich wiederholen, was ich schon früher ausgesprochen, daß das Ganze den Eindruck macht einer unendlichen Menge der verschiedenartigsten Formen von Porphyren, Doleriten, Dioriten, Melaphyr und Trachyt-Gebilden nebst allen Verwandten ihres Stammes, welche wild über- und durcheinander aus der Tiefe empor geschoben worden sind, sich theilweise durchdrungen haben, theilweise wieder zusammen gestürzt, oder durch furchtbare Erschütterungen gespalten worden sind, während aus diesen Spalten neue Massen hervor drangen, welche stellenweise wieder ein ähnliches Schicksal erlitten. Granitisches Gestein, bisweilen verändert, manchmal aber vollkommen normal, steht hie und da an, offenbar gehoben von den vulkanischen Formen, öfter aber auch eingeschlossen in dieselben, losgerissen von unten und mit emporgetragen. Allgemeine weiter verbreitete Hebungen und Senkungen, bedingt durch den Vulkanismus der Tiefe, und kolossale Einstürzungen in Folge dieser, vermehren noch den Typus großartiger Verworrenheit in der Cordillera.
Häufig habe ich basaltische Breccie getroffen und will eine solche wirklich prachtvolle Felsparthie schildern, welche ich häufig besuchte, da sie nicht sehr weit vom Lager entfernt lag, und in ihrer Nähe, unweit des ewigen Schnees, Colibri zu schießen waren.
Eine ziemlich steil ansteigende Wand aus grau-rothem Dolerite, welche sich aber mehrfach in terassenartige Plateaus abflacht, und vollkommen gut erstiegen werden kann, bildet auf ihrer Höhe ein zweites Plateau, eine zweite Felsparthie, die vollständig mauerartig ansteigt, so daß sie kaum an einigen Stellen zu erklimmen ist, und selbst dort nur auf eine kurze Strecke.
Jene Felsenmassen gleichen, von einiger Entfernung aus gesehen, vollständig den Ruinen eines alten Schlosses, und die Tendenz des Gesteins, sich in größeren Parthien säulenförmig abzusondern, wodurch thurmartige Formen hervortreten, erhöht noch jene Aehnlichkeit. Der untere Theil dieser Felsmassen, welche einen bedeutenden Umfang haben, und wenigstens eine halbe Stunde Längen-Erstreckung, besteht aus Basalt, welcher indessen Olivinfrei ist. Auf diesem Basalte liegt, scheinbar aufgelagert, eine basaltische Breccie, in einer wechselnden Mächtigkeit von 80, 100, an manchen Stellen wohl 200 Fuß. Diese Breccie hat ein verwittertes, tuffartiges Ansehen. Sie besteht aus scharfkantigen Basalt-Fragmenten von sehr verschiedener Größe, und aus einem verwitterten Feldspathe, wohl Albit. Neben diesen Bestandtheilen, welche die Hauptmasse des Gesteins bilden, liegen noch hie und da andere Einmengungen von Felsarten zerstreut, welche indessen kaum zu bestimmen sind.
Das Cement scheint selbst wieder aus einem Gemenge von höchst kleinen und innig verbundenen Feldspath- und Basalttheilen zu bestehen. Nicht weit von dessen Bildung steht eine stark hervorgeschobene groteske Basalt-Masse, la casa de Dios meines poetischen Carlos. Jene Breccien-Masse habe ich Reinholdstein geheißen, und der Name wurde von meinen Chilenen sogleich angenommen und gebraucht, wenn es sich z. B. um die Bezeichnung einer Zusammenkunft handelte, aber schwer verstümmelt in der Aussprache. –
Hoch oben auf dem Gebirge, wo schon zwanzig bis dreißig Fuß hoher fester Firnschnee lag, habe ich eine Moräne getroffen, welche ein wahres mineralogisches und geognostisches Kabinet der Umgegend bildete; diese Moräne war indessen noch ziemlich weit vorgeschoben in die jetzt nicht mehr mit immerwährendem Schnee bedeckte Region und gab Zeugschaft von der Richtigkeit der Theorien, die unsere Geognosten aufgestellt haben. Ich fragte den einen der Knechte, wie diese Menge von Steinen wohl dorthin gekommen sei, und er gab mir zur Antwort: »das thut der Schnee!« Mit Vergnügen habe ich im fernen Lande und aus dem Munde eines einfachen Mannes die Bestätigung der Ansichten unserer Gelehrten gehört. Veränderungen der Form im größeren Maßstabe kommen gegenwärtig auf der Cordillera nicht mehr vor. Daß aber in der Nähe der thätigen Vulkane alles das stattfindet, was sich unter ähnlichen Verhältnissen anderwärts ereignet, Einstürzen alter Krater, Emporhebung neuer, mächtiger Lavaströme u. s. w. versteht sich von selbst, und ebenso braucht kaum erwähnt zu werden, daß die Schluchten und Thäler durch abwärts strömende Wassermassen fortwährend, wenn auch langsam erweitert werden. Auch die Erdbeben tragen zu kleinen Veränderungen das Ihrige bei. Häufig finden sich in den Schluchten große abgeschliffene fast glänzend polirte Blöcke der verschiedenen Gesteine des Gebirgs. Aber nicht selten liegen mitten unter ihnen scharfkantig und höchstens an einigen Stellen mit Anzeichen der Verwitterung versehen, Felsentrümmer, welche unmöglich wie die ersteren vom Wasser dorthin geführt worden sein können. Ich hatte das Vergnügen durch den Augenschein hierüber belehrt zu werden. Eines Morgens, während der Jäger und ich noch auf unseren Fellen lagen, wurden wir plötzlich ziemlich fühlbar geschüttelt, und zugleich hörten wir den, bei jedem Chilenen unerläßlichen Ruf unserer Knechte »il tiembla.« Es war ein nicht unbedeutender Erdstoß, der, wie alle derartigen Erschütterungen, im Flachlande stärker gefühlt wurde als auf dem hohen Gebirge, und unten auch, wie wir später erfuhren, an einigen Orten Schaden gestiftet hatte. Aber während des Stoßes, der etwa 5 bis 6 Sekunden anhielt, rollten Steine von nicht unbeträchtlicher Größe in's Thal, welche wohl durch frühere ähnliche Vorgänge gelockert und allmählig abgelöst, jetzt vollkommen losgerissen waren. Daher nun die scharfkantigen Felsfragmente in den Sohlen der Thäler und bisweilen auch auf den Plateaus, wohin sie von einer höher stehenden Terrasse aus gestürzt sind. Die zu Zeiten ansteigenden Wasser, welche die meisten dieser Schluchten durchströmen, führen einen Theil dieser Felsstücke wieder mit sich hinweg, um sie vielleicht weiter unten mehr oder weniger abgerundet abzusetzen, wohl auch später als Flußgerölle gänzlich der Cordillera zu entführen, wenn eben ihre Wassermasse stärker und anhaltender angeschwollen.
Schluchten und enge Thäler, welche nicht von Wasser durchflossen sind, werden oft auf eine nicht zu ermittelnde Tiefe mit solchen Fragmenten angefüllt getroffen, doch hat durch theilweise Verwitterung abgelöstes Gestein auch hier das Seinige beigetragen. –
Der Jagdfreund wird sich denken können, mit welchem Vergnügen ich meine Jagdzüge auf der Cordillera vollführt, da dort doppeltes Interesse im Spiel war, ganz abgesehen von dem alten Jagdteufel früherer Zeit, der, ich leugne es nicht, doch auch dort wieder ein wenig erwachte. Aber jedes erlegte Thier wurde mir, dem Naturforscher dort zum Exemplar, während es abgebalgt im Lager von Jose Maria als Wildpret in Empfang genommen wurde, war seine Eßbarkeit nur halbwegs zu vermuthen.
Häufig war der kleine zierliche Colibri, Trochilus leucopleurus, der Gegenstand meiner Mordlust. Rücken und Flügel des Thierchens sind graugrün, mit Metallglanz und die Kehle des Männchens ist prachtvoll goldgrün gefärbt, während das Weibchen etwas bescheidenere Farben trägt. In jenen bereits erwähnten Oasen schwärmt dieser Colibri um die Blüthen und kann so geschossen werden, wenn man sich ihm vorsichtig nähert, doch ist er ziemlich scheu und fliegt so schnell, daß man sein Schwirren von einer Blume zur andern kaum mit den Augen verfolgen kann. Zudem ist das erlegte Vögelchen schwer zu finden, da es bisweilen in den sumpfigen Grund des Bodens fällt, nicht selten aber auch in den Zweigen hängen bleibt an Stellen, wo man es am wenigsten vermuthet. Blos auf den höchsten Gegenden der Anden, ich weiß indessen nicht in welcher Verbreitung gegen Nord und Süd, wird dieser Colibri unweit der Schneegrenze getroffen. Der Trochilus Sephanoides hingegen kömmt blos im Flachlande vor und nie in den Bergen.
Auch der große in Chile sich findende Trochilus gigas, der fast die Größe einer Hausschwalbe hat, wird ebenfalls in der Cordillera getroffen, doch mehr noch in den Schluchten, als ganz oben in der Nähe des Schnees. Alle diese Colibri leben von ganz kleinen Insekten, welche sie mit der Zunge aus den Blüthenknospen ziehen, und ihr Magen ist stets mit denselben angefüllt. Zufällig wird hiebei denn auch Blüthenstaub eingeschluckt, weshalb man wohl geglaubt hat, daß sie vom Blumenstaub lebten. Ich habe indessen in ihren Eingeweiden Zucker nachgewiesen.
Ich will nach diesem kleinsten der Vögel sogleich des größten in Chile lebenden, des Condor, erwähnen, der nur auf den höchsten Regionen der Anden gefunden wird. Er soll zwar auch auf der Küsten-Cordillera vorkommen, allein ich bezweifle dies bedeutend. Ich habe nie dieses Thier dort gefunden, und so oft ich Nachricht erhielt, daß da oder dort sich ein Condor aufhielte, fand ich, wenn ich zum Schusse kam, oder das Thier schon kannte, stets, daß es andere Geier waren.
Es braucht das Thier, welches man gegenwärtig in jeder halbweg bedeutenden Naturaliensammlung sehen kann, nicht näher beschrieben zu werden, und man kann sich dort überzeugen, daß die Sagen, welche man über seine Stärke und Größe verbreitet hat, großenteils in's Reich der Fabel gehören. Kaum wird ein ausgewachsener Condor mehr als 15 Fuß Flugweite haben. Indessen thun sie den Viehherden dadurch Schaden, daß sie den Kühen, welche oben Kälber geboren, dieselben rauben; auch verfolgen sie vereinzelte jüngere Rinder. Es haben mir Landleute, welche die Cordillera und ihre Thierwelt genau kannten, versichert, daß die Condore solche Thiere einschließen und dann vereint den Angriff machen, indem sie theils nach den Augen ihres Opfers hauen, vorzüglich es aber im Rücken anfallen, es zu verwunden suchen, und ihm dann die Eingeweide aus dem Leibe ziehen. Ein krankes, oder vielleicht durch einen Sturz verwundetes Thier wird aber unbedingt ihre Beute, sei es auch noch so stark.
Legt man die Eingeweide eines getödteten Thieres an irgend einer Stelle nieder, so kann man gewöhnlich versichert sein, mehrere dieser Riesengeier zum Schusse zu bekommen; ein derartiger Versuch mit dem Ausbruche eines getödteten Guanaco mißlang uns indessen. Meist in bedeutender Höhe, selbst über den höchsten Gipfeln des Gebirges schwebend, zieht der Condor bisweilen doch seine Kreise auch tiefer. Man kann sich denken, mit welchem Vergnügen ich den ersten mir auf diese Weise näher kommen sah. Sie scheinen in solchen Fällen den unter ihnen am Boden umherkriechenden Herrn der Schöpfung vollständig zu ignoriren, kommen und entfernen sich wieder, ohne auf uns die mindeste Rücksicht zu nehmen. Ich schoß in einer Entfernung von etwa 30 Schritten auf den ersten, welcher sich mir so genähert hatte, und das zwar mit einer guten Ladung des stärksten Hagels. Es ist auch für einen wenig geübten Schützen kaum möglich bei der großen Flugweite des Vogels denselben zu fehlen. Ich hörte trotz der kurzen Entfernung die Schrote am Gefieder des Vogels anschlagen, derselbe stieß einige zornige Schreie aus, schwenkte den Hals und senkte sich rasch einige Schritte abwärts, als wolle er auf mich stoßen. Ich hatte im zweiten Laufe Vogeldunst, um vorkommenden Falles kleinere Vögel zu schießen. Eine Kugel in den Lauf rollen zu lassen, wäre es zu spät gewesen, so blieb mir nichts anderes übrig als das Thier in nächster Nähe zu erwarten, wo dann auf schuhweite Entfernung auch der andere Lauf wirksam gewesen sein würde. Aber der Condor hielt es doch für besser, das Weite zu suchen und entfernte sich gravitätisch. Dieses Stoßen auf den Schützen zu, und die bezeichneten Aeußerungen des Aergers habe ich meist an diesen Thieren bemerkt, wenn ich später ohne sie ihres dichten Gefieders halber zu verwunden, mit Hagel nach ihnen schoß.
Des ersten, den ich mit einer Kugel verwundete, wurde ich nicht habhaft. Ich lag hoch oben auf dem Gebirge hinter einem Felsblocke versteckt, um vielleicht einen Guanaco erlauern zu können, welche dort wechselten, als ich ohne vorher etwas gesehen zu haben, das ganz eigenthümliche Schwirren hörte, welches der mächtige Flügelschlag jener Thiere hervorbringt und welches schwer zu beschreiben ist. Aufblickend sah ich den Condor langsam vorüberschweben, kaum 30 Schritte hoch, den Hals gesenkt und offenbar mich genau beobachtend. Ich hatte eine gute Kugel im Rohr, und anschlagen und feuern war das Werk eines Augenblicks. Der Vogel überschlug sich in der Luft und stürzte in schiefer Richtung zu Boden, woselbst er auf den Füßen stehend in eigenthümlicher Bewegung Hals und Kopf schwang. Ich rannte, soll ich es gestehen, in toller Lust auf ihn zu, mich seiner zu bemächtigen, indem ich ein gutes, wenn gleich etwas schwerklingiges Jagdmesser führend, den Condor nicht fürchtete. Aber als ich näher kam, wendete er sich und ergriff rasch laufend die Flucht, jetzt blieb ich stehen und schoß zum zweitenmal mit starkem Hagel nach ihm, aber obgleich man auf solche Weise stark befiederte Vögel leichter tödtet, weil die Federn geringeren Widerstand leisten, und ich zugleich sicher war, nicht gefehlt zu haben, so hatte doch mein Schuß keine weitere Folge als die Flucht des Thieres zu beschleunigen, welches mit ausgespannten Flügeln laufend, am Rande des Plateau zu fliegen begann und mir das Nachsehen ließ. Er schwebte über niederer stehende Felsen hinweg, und stürzte dann endlich in eine entfernte Schlucht, jedenfalls verendet, aber für mich nicht mehr zu erreichen, da ich sicher vier Stunden bedurft hätte, um bis in die Schlucht zu gelangen, ohne die Gewißheit zu haben, das Thier zu finden.
Das Exemplar, welches ich mit nach Deutschland brachte, schoß ich in einer bedeutenden Entfernung ebenfalls mit einer Kugel. Es stürzte momentan und blieb auf einem Felsenvorsprung liegen, wo ich seiner mit leichter Mühe habhaft werden konnte.
Später hatte ich Gelegenheit mich von der außerordentlichen Schärfe des Auges dieser Thiere zu überzeugen. Ich trug eine rothe Schärpe, wie es dort im Lande gebräuchlich, diese befestigte ich einstens an meiner Jagdtasche, legte dieselbe auf einen Felsen und versteckte mich in die Nähe, indem ich mit einer Schnur die Vorrichtung bisweilen in Bewegung setzte, so daß das Ganze das Aussehen eines blutenden zuckenden Thiers hatte. Obgleich anfänglich kein Condor zu sehen war, schwebten doch bald einige, nur wie schwarze Punkte sichtbar, ober mir, und kamen dann, Kreise betreibend, näher. Aber nur kurze Zeit bedurften sie um zu unterscheiden, daß kein wirklicher Köder oder kein Thier sich unter ihnen befand und keiner näherte sich weiter als auf etwa 5 bis 600 Schritte, um sich hierauf wieder zu entfernen.
Unter den Jagden auf Vogelwild war für die Küche die ergiebigste jene auf eine wilde Taube, Chamae pelia melanura Reichenb., welche unserer Turteltaube sehr ähnlich ist, und am Spieße gebraten oder mit Zwiebeln und Pfeffer gedünstet eine gute Speise abgab. Ich habe diese Species nie im Flachlande von Chile getroffen, aber auf den Anden, und das zwar so weit aufwärts, als sich nur noch spärlicher Graswuchs findet, ist sie so häufig, daß wenn der Jäger und ich in Gesellschaft jagten, wir nie auf eine allein schossen, sondern es stets so einzurichten suchten, mehrere zugleich zu treffen.
Eine andere höchst mühsame aber deßhalb anregende und interessante Jagd war die auf eine sehr seltene, ebenfalls nur die Gebirgswasser der hohen Cordillera bewohnende Entenart, Merganetta armata. Das Thier hat an dem Flügelgelenke einen scharfen und fast dreiviertel Zoll langen Sporn. Es schwimmt rasch und selbst gegen die reißende Strömung jener Gebirgswasser und schwingt sich von Zeit zu Zeit auf aus dem Wasser hervorstehende Felsblöcke, wozu ihr die Spornen an den Flügeln behülflich sind. Längere Zeit verfolgt, taucht es unter und verschwindet. Man muß häufig die Wasser durchwaten oder überspringen, um der Ente folgen zu können, da oft die Ufer so steil werden, daß man auf der Seite, auf welcher man sich eben befindet, nicht mehr fortkommen kann, aber hat man auch die Ente auf Schußweite, was oft der Fall ist, wenn sie auf irgend einem Felsblocke ausruht, so ist es ganz nutzlos, sie hier zu schießen, indem sie in das Wasser stürzend, unbedingt für den Jäger verloren ist, und stets von der heftigen Strömung mit abwärts gerissen wird. Man muß ihr deßhalb so lange folgen, bis sie sich freiwillig erhebt und über eine größere Felsenplatte oder das Ufer hinwegfliegt und beim Stürzen auf festen Grund fällt. Ich habe blos ein Exemplar dieser Ente mit nach Europa gebracht. –
Andere Entenarten und verschiedene kleinere Vögel wurden eben so in mehr oder minder großer Anzahl erlegt. Ich erwähne z. B. der Muscisaxicola maculirostris, ein kleiner in der Färbung lerchenähnlicher Vogel. Er ist, ehe man seine Art und Weise kennt, schwer zu beschleichen, indem er sehr rasch fliegt und sich auf die Spitze eines kleinen Strauches niederläßt, aber nach einigen Sekunden verschwindet. Geht man an den Strauch, so ist der Vogel nirgends zu finden, denn wahrscheinlich um Insekten zu haschen, schlüpft er rasch von Zweig zu Zweig auf die Erde, läuft auf derselben durch das Gras verborgen fort, und erhebt sich dann, um auf einen andern Strauch fliegend, dasselbe Spiel zu wiederholen.
Häufig und in Zügen von etlichen Hundert zusammenlebend, aber auch nur auf den höheren Theilen des Gebirges, findet sich die Chrysomitris xanthomelaena Reichenb., eine neue von mir zuerst nach Europa gebrachte Art, glänzend schwarz und hochgelb gefärbt und in der Größe eines Zeisigs.
Auch der schon früher erwähnte und allenthalben in Chile anzutreffende Tapaculo und el Turco leben auf der Cordillera. Ersterer hat seinen Namen deßhalb erhalten, weil er stets mit hoch aufgerichteten Schwanzfedern einherläuft, denn Tapaculo heißt wörtlich: Bedecke deinen Steiß. Beide Vögel gewähren eine treffliche Speise, und ihr Fleisch kommt jenem des Haselhuhns sehr nahe. Auch Thinocorus Orbignianos, eine große Wachtelart, und paarweise nur dicht an der Schneegränze lebend, war ein schätzbares Wildpret.
Es fehlte uns, wie man sieht, nicht an frischem Vogelwild, und abgesehen von dem Interesse des Naturforschers und selbst der Nothwendigkeit, Material für unsere Küche beizuschaffen, bestand auch zwischen dem Jäger und mir eine Art Wettstreit, wer, jagten wir getrennt, des Abends am meisten heimbrachte. Die Knechte waren stets auf meiner Seite, und sahen es als eine Gunst an, wenn ich einen derselben, meist Carlos, mit mir nahm. –
Von Säugethieren bewohnen nur wenige Arten die hohe Cordillera, wie denn Chile überhaupt arm an denselben ist.
Der Cordillera-Fuchs, Canis Azarae, soll dort häufig vorkommen, aber ich habe nur ein einziges Exemplar erlegt. Oefters aber fanden sich des Morgens Fährten derselben um unser Lager, die Füchse umkreisten es, ohne Zweifel angezogen von dem Geruche der Speisen und der geschossenen Vögel. Der Cordillera-Fuchs ist etwas größer als der unsrige und ein wenig heller, in's Grau spielend. Aber sein Benehmen und seine Lebensweise gleicht ganz der des deutschen. Eben so vorsichtig, liebenswürdig und geschmeidig wie diese, sprang jener, den ich belauerte, von Stein zu Stein und drehte sich mit derselben Gewandtheit zur Flucht, als er plötzlich meiner ansichtig wurde. Ja, es gleichen sich alle Füchse, tragen auch nicht alle »rothe Bärte.«
Auch die Felis concolor, der sogenannte amerikanische Löwe, wird in der Cordillera getroffen. Als wir einstens schon bei vollkommener Dunkelheit von der Guanaco-Jagd heimkehrten, fanden wir das Feuer fast abgebrannt, die Speisen beinahe eingekocht, und Jose Maria verschwunden. Wir waren ängstlich, allein da auf Rufen und einige Signalschüsse keine Antwort erfolgte, warteten wir in Geduld das Weitere ab. Später erschien er mit den Pferden. Er hatte unfern des Lagers eine Löwenfährte gefunden, und war gegangen die Pferde einzufangen, um sie in der Nähe desselben zu versorgen.
Etwa gegen ein Uhr in der Nacht begann der Hund, den wir bei uns hatten, unruhig zu werden und zu knurren. Es war Mondschein, doch in der Thalschlucht ziemlich dunkel. Ich bedeutete durch Zeichen den Jäger nach der einen Seite der Schlucht hin aufmerksam zu sein, wand rasch meine Binde mir um den Leib, steckte meinen Dolch in dieselbe und kroch mit meiner Doppelflinte bewaffnet nach der Stelle zu, nach welcher hin der Hund Laute gegeben hatte. Stille und lautlos war ich, meiner Idee nach »indianerartig«, auf diese Weise etwa zwanzig Schritte weit in ziemlich hohem Grase vorwärts gekommen, als ich plötzlich ein leises Geräusch zu hören glaubte. Mein Herz pochte. Alle Indicien eines heftigen Jagdfiebers waren vorhanden! Ich nahm mir vor, der Puma »auf's Blatt zu halten,« um den Schädel nicht zu verderben. Da sah ich plötzlich im schwachen Strahle des Mondes, und etwa zehn Schritte von mir entfernt, zwei blitzende Augen, die mich anstarrten, wie ich sie. Aber unter den Augen war nicht der Rachen eines Löwen, sondern ein blitzendes Messer zwischen den Zähnen eines menschlichen, ziemlich braunen Antlitzes festgehalten. Indianer!
Wenn ich in Kapiteln schriebe – welch eine herrliche Gelegenheit hier ein frisches zu beginnen! Einfach im Texte forterzählend aber muß ich berichten, daß jene Augen Carlos gehörten, der durch den Hund geweckt, ohne von mir zu wissen, denselben Streifzug wie ich unternommen hatte. Er hob lautlos den Finger mit demselben die Richtung bezeichnend, ich nickte, und wieder im Grase untertauchend, setzten wir unsere Wanderung fort.
Der günstige Leser entschuldige, daß Alles blinder Lärm gewesen, wenigstens sahen wir nichts und krochen vom Thaue bis auf die Haut durchnäßt, wozu bei unserm Anzug nicht viel gehörte, in unsere Pelze zurück.
Es mochte vielleicht die Puma gewesen sein, vielleicht aber auch nur Füchse, welche das Lager umschwärmt hatten. Bessere Resultate erzielten wir auf der Guanaco-Jagd. Der Jäger berichtete eines Tages Eines geschossen zu haben, welches aber, schwer verwundet in eine unzugängliche Schlucht gestürzt sei. Zwar zogen hinter seinem Rücken die Knechte schauderhafte Fratzen, welche Zweifel und Unglaube beurkundeten. Aber es wurde doch beschlossen, des andern Tags eine große Jagd auf diese Thiere zu veranstalten.
Die Expedition wurde zu Pferde unternommen, einmal weil, wie die Knechte und selbst der Jäger sagten, es zu gefährlich sei jene Stellen zu Fuße zu besteigen, zweitens aber, weil wir ohne Pferde schwerlich in einem Tage hin- und zurückgekommen wären.
Ich will nicht wieder jene verwünschten Pfade beschreiben, welche wir zu reiten hatten, um den Jagdplatz zu erreichen. Es war jener schon vorher geschilderte Felskamm, die Mauer mit Stufen in erhöhter Potenz, aber dabei oft so steil aufwärts gehend, daß die Pferde sich häufig zu besinnen schienen, ob sie anklimmen, oder sich rücklings überschlagen sollten. Wir hatten fast vier Stunden zu reiten, bis wir auf dem gewünschten Platz angelangt waren.
Häufig trifft man auf der Cordillera Schluchten, ja selbst freistehende Ebenen mit zwanzig bis dreißig Fuß tiefem, festem und körnigem Schnee erfüllt und bedeckt, welcher Jahre lang nicht schmilzt, ja es treten ganze mit ewigem Schnee bedeckte Berge auf, aber in einiger Entfernung weiter oben, trifft man wieder auf ein Plateau, welches Graswuchs zeigt, und wo an den felsigen Wänden die zierliche Flora der höchsten Regionen erst den letzten Markstein der Vegetation anzeigt.
Ein solches Plateau hatten wir erreicht. Dicht bei uns ansteigend auf einer Seite steile Schneeberge, häufig ganz mit Wolken umhüllt. Auf der andern Seite kraterartige, stets mit Wolken verhüllte Schluchten, unter unsern Füßen ziemlich üppiges Gras; nur stellenweise, wo sich die Vertiefungen befanden, der Boden mit festem Schnee bedeckt, gegen eine dritte Richtung hin ein fast endloser Blick über die schneebedeckten Gipfel des Gebirges, dann aber endlich auf der vierten Seite die reizendste Fernsicht über das Land bis an's Meer.
Wir ließen die Pferde und das Maulthier, welches wir vorsorglich mitgenommen hatten, grasen und zogen uns höher in die Gegend der Moräne. Der Jäger und Carlos umgingen dieselbe von der einen Seite, indem sie theilweise in die Schlucht stiegen und vielleicht dort selbst ein Guanaco zum Schuß zu bekommen hofften, d. h. der Jäger, denn Carlos hatte kein Gewehr, ich aber stellte mich hinter einigen Felsblöcken an.
Wie wir hofften, sollten die Guanacos über die Moräne kommen, und dann konnte ich in einer Entfernung von etwa 150 Schritten wohl eins schießen. Mein alter deutscher Lehrer im edlen Waidwerk wäre sonder Zweifel wenig erbaut gewesen von der Art wie ich dort auf dem Anstande lag. Statt ruhig still zu liegen, beschäftigte ich mich mit den Pflanzen der nächsten Umgebung, den zierlichsten Pflänzchen, welche ich je gesehen, und mit einem goldgrün glänzenden Käfer, den ich wirklich in fünf Exemplaren haschte und welcher in Deutschland als eine neue Art erkannt wurde[32], und welcher auf einer Saxi fraga zu leben schien. Plötzlich aber hörte ich den meckernden Ton, den die Guanacos auszustoßen pflegen, und der dem Rufe der sogenannten Himmelsziege ziemlich ähnlich ist. Aber die Thiere waren noch etwa 1500 Schritte weit von mir entfernt, und flogen nach einigen Augenblicken Halt, pfeilschnell über die Schneedecke hinweg, nach einer tiefer gelegenen Stelle zu.
Man darf, sobald diese Thiere ihren Ruf ausgestoßen haben, alle Hoffnung aufgeben, daß sie sich noch weiter nähern. Sie haben in diesem Falle bereits Verdächtiges bemerkt, und sind auf ihrer Hut. Ich lag jetzt still hinter einem Felsenblocke, da ich auf einen späteren Nachzügler wartete, und nach etwa einer halben Stunde kam auch wirklich ein Guanaco auf der Höhe der Moräne. Da ich keine Büchse, sondern nur meine mit Kugeln geladene Doppelflinte hatte, mußte ich das abwärts steigende Thier näher kommen lassen. Endlich aber gab ich Feuer. Das Guanaco machte einen Sprung, schüttelte mit den Ohren und blieb dann einige Sekunden ruhig stehen. Der Tragweite meiner Flinte nicht recht vertrauend, hatte ich wohl zu hoch und über das Thier hinweggeschossen. Da ich aus Erfahrung wußte, daß ein Schuß die Guanacos weniger erschreckt als der Anblick eines Menschen, so blieb ich ruhig in meinem Verstecke kauern, hoffend auf das Näherkommen meiner Beute. Da aber das Thier sich nach einigen Augenblicken in raschen Galopp setzte, schoß ich zum zweiten Male, und jetzt stürzte dasselbe sogleich zusammen, raffte sich wieder auf, stürzte nochmals und rollte dann einige Klafterlängen abwärts, wo es verendet liegen blieb. Ich ließ es, wo es war und suchte Pflanzen und Käfer, von welchen ich wirklich eine hübsche Ausbeute erhielt, bis nach einiger Zeit der Jäger mit dem Knechte erschien und nun zum Ausweiden der Beute geschritten wurde, indem wir die Decke des Thieres dazu benützten, die Keulen, den Rücken und was uns brauchbar vom Fleische erschien, einzupacken. Das Thier war feist und erreichte beinahe die Größe eines Maulthiers. Den Aufbruch ließen wir, um Condore anzulocken, liegen, allein merkwürdiger Weise ohne Erfolg. Während wir, durch Felsblöcke geborgen, das Mittagsbrod verzehrten, bemerkten wir plötzlich einen frischen Trupp Guanacos, welche Lust zu zeigen schienen, auf das Plateau hinabzukommen. Sie ziehen hiebei auf den von ihnen selbst getretenen Pfaden, eines hinter dem andern, ganz ähnlich einem Zuge beladener Maulthiere, und ziemlich langsam weiter, und sobald das erste stehen bleibt, rührt sich ebenfalls keines der nachfolgenden von der Stelle.
Unsere Pferde waren nicht weit entfernt, Carlos brachte dieselben, und wir näherten uns den Guanacos so vorsichtig und gedeckt als möglich, in der Absicht eine Jagd nach Art der Chilenen zu machen, wobei man die Thiere zu Pferde verfolgt, bis es gelingt, sie mit dem Lasso zu fangen. Die Wahrheit zu gestehen, hatte ich mir vorgenommen, wäre ich einmal dem Wilde auf Lasso-Weite nahe gekommen, zu halten und nach ihm zu schießen, denn obgleich ich den Lasso ein wenig werfen konnte, hatte ich doch zu Pulver und Blei mehr Vertrauen. Als uns die Thiere erblickt hatten, und zu meckern anfingen, jagten wir wie verrückt hinter denselben her. Aber auf einem der Schneestreifen, welche sich von oben herab auf das Plateau zogen, brach ich mit meinem Pferde ein und versank bis über die Brust in den Schnee. Unter mir hörte ich Wasser rauschen, mein Pferd sank ersichtlich tiefer, und ich sah eben noch Carlos, welcher mit seinem leichteren Pferde schlittschuhartig über den Schnee geglitten war, am Ende desselben seinen Lasso in Bereitschaft setzen, ohne Zweifel, um mich im schlimmsten Falle mit demselben herauszufangen.
Ich glaube, daß ich dort keine besonders geistreiche Miene zur Schau gestellt habe, indessen spornte ich mein Pferd so gut es des Schnees halber eben ging, und dasselbe fußte unten wieder auf einem festen Gegenstande, ob Eis, ob ein Felsen, ich weiß es nicht, aber es arbeitete sich in die Höhe, erreichte mit den Vorderfüßen die harte Schneedecke, welche einige Male einbrach, aber doch immer etwas Halt gewährte, und war plötzlich mit einigen gewaltigen Sprüngen oben, und mit zwei oder drei weiteren Sätzen über den Schnee hinweg. Wir hatten bald den vorausreitenden Jäger eingeholt, aber die Guanacos waren verschwunden und hatten sich in Klüfte und auf Abhänge geflüchtet, wohin ihnen selbst ein chilenischer Reiter nicht zu folgen vermochte.
Ich habe an jenem Tage auf dem Plateau hübsche Käfer gefangen, schöne geognostische und für die Höhe des Gebirgs bezeichnende Stufen geschlagen und von jener zwergartigen Flora verschiedene Exemplare mitgebracht, welche in Deutschland sämmtlich später als Novitäten bezeichnet wurden.
Während ich so meine eigenen Wege verfolgte, lag der Jäger auf dem Anstande, um ein etwa versprengtes Guanaco zu erlegen, aber fruchtlos.
Spät in der Nacht kamen wir unten im Lager an, und vor uns in der Thalschlucht einige hundert Steine, welche unter den Füßen der Pferde wichen und abwärts rollten. Daß wir dort nicht sämmtlich die Hälse brachen, ist mir heute noch ein Räthsel.
Dort habe ich gesehen, wie sehr die Thiere, welche wir bei uns hatten, zusammengewöhnt waren. Hoch oben, so daß wir wenigstens noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, bis wir im Lager ankamen, hörte uns eins der zurückgelassenen Pferde, welches sich in der Nähe des Lagers befand; es wieherte, als es seine Kameraden kommen hörte und alle unsere Thiere gaben sogleich freudige Antwort.
Die meteorologischen Verhältnisse von Chile überhaupt werde ich, was das Flachland betrifft, mit einigen Worten später berühren, hier aber dahin Einschlagendes die Anden Betreffendes sogleich erwähnen.
Die Temperatur war in der Cordillera eine ziemlich wechselnde. An der Stelle des Lagers, des Nachts, und besonders gegen früh, + 5 bis + 6° R., des Mittags aber im Schatten + 15 bis + 16° R. Zu verschiedenen Malen aber war des Nachts die Temperatur bis auf + 3 R. gesunken. In der Sonne aber, und an den derselben am meisten ausgesetzten Felswänden war + 28 R. und + 30° R. eine gewöhnliche Erscheinung.
Auffallend aber war der enorm wechselnde Feuchtigkeitszustand der Luft. Ich hatte ein Fischbein-Hygrometer bei mir, welches freilich nur relative Resultate giebt, die indessen vollkommen ausreichen, um das eben Gesagte zu bethätigen. In dem Augenblicke, in welchem die Sonne die Gipfel der westlichen Bergspitzen unserer Schlucht zu bescheinen anfing, während sie noch eine halbe Stunde zu steigen hatte, bis sie in die Tiefe der Schlucht zu unserm Lager gelangte, und wir also noch so lange vollkommen im Schatten waren, begann das Hygrometer schon stark zu steigen, so daß der Unterschied, bis die Sonne auf die Sohle des Thales kam, öfters 35° bis 40° der Scala betrug, und das war täglich der Fall.
In Betreff des Windes bin ich nicht im Stande eine allgemeine Hauptrichtung desselben in der Cordillera anzugeben. So constant wie im Flachlande von Chile der Wind zu einer bestimmten Stunde und von einer bestimmten Richtung kommend auftritt, so constant tritt er in den einzelnen Schluchten und Thälern der Cordillera und an den einzelnen Felswänden ebenfalls auf, aber dies ist nichts anderes als eine locale Luftströmung, bedingt durch eine ungleiche Erhitzung und Abkühlung jener gewaltigen Massen.
So begann z. B. regelmäßig des Morgens gegen 10 Uhr in der Schlucht, in welcher wir unser Lager aufgeschlagen hatten, der Wind direkt von Süd zu wehen, indem er dem Streichen der Schlucht von Süd nach Nord folgte und hielt bis gegen Mittag an, wo Windstille eintrat. Des Abends aber um 7 Uhr begann Nordwind in gerade entgegengesetzter Richtung und hielt bis um Mitternacht an. Zufällig stimmt dies mit der Windrichtung in Valparaiso auch zusammen, aber dies ist zufällig, denn in andern Schluchten des Gebirges war die Richtung des Windes oft eine ganz andere.
Die Wolken, die oberhalb der Cordillera standen, und bei höherem Standpunkte des Beobachters unterhalb derselben hinziehen, gaben mir ebenfalls keine Anhaltspunkte, um auf eine allgemeine bestimmte Richtung des Windes schließen zu können. In geringer Entfernung von einander folgten diese Wolkenmassen oft ganz entgegengesetzten Richtungen, und wurden mithin, wie es scheint, ebenfalls von den Luftströmungen getrieben, welche von den mehr oder weniger erwärmten Felsmassen aufstiegen.
Ich habe öfters in gleicher Höhe mit dem Standpunkte, welchen ich einnahm, Wolkenmassen von zwei entgegensetzten Seiten auf einer mir gegenüberstehenden Felsenklippe herankommen sehen. Sie zogen mit gleicher Geschwindigkeit, vereinigten sich, nachdem sie eine kurze Strecke am Felskamme aufwärts gezogen waren und verschwanden hierauf, offenbar als Niederschlag am Gesteine selbst. Sowohl bei schneebedeckten als auch vollkommen schneefreien Bergspitzen habe ich dieß beobachtet. Ich habe nur selten in bedeutender Höhe über den Anden Wolken schweben gesehen und es schien die Wolkenbildung, wenigstens zur Zeit meines Aufenthalts auf der Cordillera, wo fast immer heiterer Himmel war, auf das Gebiet der Andes-Kette selbst beschränkt zu sein, indem von einem Punkte aus aufsteigende Wolken längere Zeit über ein und demselben Orte zu schweben schienen und dann wieder verschwanden, oder auch sich zwischen den höchsten Gipfeln des Gebirges hindurch windend, sich endlich dem Blicke entzogen.
Thau fiel täglich in der Cordillera, wenigstens in der Gegend des Lagers, Regen nur einmal, allein nur in einzelnen Tropfen und ganz vorübergehend.
Wie sehr die Temperatur der Gebirgswasser sich verändert, mag die Angabe eines Mittels zeigen, welches sich aus einer längeren Reihe von Beobachtungen ergeben hat, die ich mit dem neben unserm Lager fließenden Flusse angestellt habe. Es ergiebt sich für Morgens 6 Uhr + 4.12° R., für Mittags 2 Uhr + 8.15° R. und endlich für Abends 8 Uhr + 5.08° R. Das frisch gethaute Schneewasser, welches gegen Abend und während der Nacht jene Flüsse verstärkt, bewirkt die starke Abkühlung derselben.
Es sind die Nächte auf der hohen Cordillera wirklich reizend, wundervoll zu nennen, und dieß vorzüglich, wenn ein erhöhter Standpunkt und klares Mondlicht dem Blicke in die Ferne zu schweifen erlaubt. Ich bin verschiedene Male, nachdem ich einmal die Wege genauer kannte, länger auf den höheren Theilen des Gebirges geblieben, so daß ich den vollen Anblick jener prachtvollen Mondnächte genießen konnte.
Keine Feder vermag in der That den feenhaften Zauber zu schildern, der dort, hat man einen glücklichen Standpunkt gewählt, über die Landschaft ausgebreitet ist.
Die phantastischen pittoresken Formen des nächsten Gebirges traten doppelt imponirend und gehoben durch das Helldunkel unter und neben uns aus der Tiefe hervor, und fast ist die Phantasie versucht, riesige menschliche Formen, fabelhaftes tolles Gethier sich aus ihnen zu bilden. Mitten unter diesem Chaos von düsteren schwarzen Gestalten heben einzelne schneebedeckte Berge ihr Haupt bläulich-glänzend im Mondschein. Aber die diesseitige im Mondlichte zitternde, schwimmende Ferne des Flachlandes bietet den mächtigsten Reiz. Sie spricht, gehoben durch den Vordergrund, eine Mystik aus, die sich nicht schildern, mit Nichts vergleichen läßt. Dazu die lautlose Stille, die tiefste Ruhe und das mächtig erregende und doch wieder so beruhigende Gefühl absolutester Einsamkeit. Und über dieß Alles ist ein Himmel gebreitet, dessen Blau sich mit dem tiefsten Ultramarin vergleichen läßt. Zwar glänzen an ihm nicht die Sterne, die unsere Jugendzeit mit frommen Träumen erfüllten, aber auch die fremden, uns wenig bekannten Sternbilder der südlichen Halbkugel, sprechen in solchen einsamen Nächten zu uns von der Unendlichkeit des Weltalls, und von Dingen, welche kaum die Gedanken zu fassen, noch weniger aber Worte auszudrücken vermögen. –
Ich will noch des Zodiakallichtes gedenken, von dem ich bereits früher gesprochen habe, welches aber in der hohen Cordillera in einer ganz außerordentlichen Intensität auftritt.
Ich habe dort eine Erscheinung gleichzeitig mit demselben auftreten sehen, von welcher ich kaum glaube, daß sie irgendwo erwähnt worden ist.
In allen wolkenfreien Nächten nämlich, in welchen das Zodiakallicht in seiner ganzen Stärke zu sehen war, zeigten sich etwa in der halben Höhe des pyramidal ansteigenden leuchtenden Scheins helle Flecke, ähnlich den Maghellan'schen Wolken. Der eine dieser Flecke trat südlich auf, und war der größere, er hatte die scheinbare Größe der kleineren Maghellan'schen Wolke und stand etwa um die Breite seines Durchmessers entfernt an dem äußeren Rande des Zodiakallichtes.
In gleicher Höhe mit ihm, aber nördlich und auf der andern Seite der leuchtenden Pyramide, standen zwei kleinere Flecke übereinander. Die Lichtstärke dieser drei Flecke war unter sich gleich, aber etwas schwächer, als die des Zodiakallichtes selbst. War das letztere nicht in vollster Intensität zu sehen, so waren diese Nebenflecke kaum oder gar nicht zu bemerken.
Man darf also vielleicht annehmen, daß dieselben als zu demselben gehörig betrachtet werden können, und der Ausdruck hoher Intensität desselben sind, ähnlich dem, wie die sogenannte Krone des Nordlichts den höchsten Grad desselben, die vollständigste bis jetzt beobachtete Ausbildung der Erscheinung bezeichnet.
Hiedurch hätte ich nun freilich gewissermaßen ausgesprochen, daß ich das Zodiakallicht in einem Grade seiner Lichtstärke gesehen, wie noch keiner der beobachtenden Reisenden, welche demselben ihre vollste Aufmerksamkeit zugewendet haben. Aber selbst auf die Gefahr hin unbescheiden zu erscheinen, darf dennoch in der Wissenschaft die Wahrheit nicht verletzt werden. Findet sich aber meine Wahrnehmung bereits irgendwo erwähnt, so habe ich mich zwar geirrt, wenn ich glaubte eine Novität zu bringen, aber die Sache selbst ist bestätigt.
Ich füge bei, daß ich anfänglich geglaubt, das sogenannte Leuchten der Vulkane bedinge die Erscheinung, aber ich hatte später Gelegenheit dasselbe genauer zu beobachten und fand, daß jenes Phänomen sich einstheils ganz anders ausspricht, daß aber auch schon deßhalb eine Identität nicht möglich, weil in der Richtung, in welcher ich jene leuchtende Flecke gesehen, sich gar keine Vulkane befinden. –
Es war endlich Zeit, von den Bergen Abschied zu nehmen. Zwar war wohl Vogelwild vorhanden, aber das Mehl war bereits verzehrt und schon einige Tage hatte jeder von uns sich statt des Brodes mit einigen Kartoffeln begnügt. Ich hatte den letzten Maiskuchen den Knechten überlassen, und zuerst die Kartoffeln als Surrogat benützt, indem ich ihnen sagte, wir lebten zwar in Deutschland im Ueberflusse, und auch der Aermste speise auf's Reichlichste täglich Waizenbrod, allein es sei bei uns Ehrensache, sich abzuhärten und mit Freuden jede Entbehrung zu tragen.
Unter anderen nützlichen Dingen, welche ich in meinen akademischen Jahren erlernte, war auch der Grundsatz, daß ein wenig Renomage zu Gunsten der Landsmannschaft nicht schade, und seine Anwendung hat dort bei beginnendem Mangel guten Dienst geleistet.
Der Heimritt auf denselben Pfaden, auf welchen wir gekommen waren, bot keine weitere Abenteuer, nur waren wir froh unseren alten Weg eingeschlagen, und nicht die entgegengesetzte Seite gewählt zu haben, da wir dort jener bereits erwähnten Viehheerde entgegengekommen wären.
Jenen Fluß am Anfange des Gebirgs mußten wir diesmal nur einigemale durchreiten, wodurch sich vollkommen herausstellte, daß wir hinwärts den Weg verfehlt hatten. Am zweiten Tage nach unserer Ankunft in Santjago fand in der Cordillera ein mächtiger Schneefall statt, und es war das ganze Gebirge weit abwärts mit Schnee bedeckt. Wären wir noch oben gewesen, hätte ich reichliche Gelegenheit gehabt, jene Abhärtung zu beweisen, von welcher ich den Knechten erzählte, denn Schmalhans wäre dort ohne Zweifel Küchenmeister gewesen in höchster Potenz.
Ich hatte gute Beute erworben auf dem Gebirge. Neben schönen und meist neuen Pflanzen von den höchsten Punkten, hatte ich an 30 Species von tieferen Partien und aus der Nähe unseres Lagers mitgebracht. Einige Exemplare von Herpetodryas lineatus, eine vier bis fünf Schuh lange, nicht giftige Schlange und zwei Species von Eidechsen repräsentirten die Amphibien. Von Käfern und Insekten wurden gefangen 25 Species, worunter mehrere neue Arten, und außerdem einige Taranteln und Skorpionen, welche beide bis weit hinauf, und an die Schneegrenzen reichend, gefunden worden.
Vögel wurden etliche 20 Species, ebenfalls Novitäten einschließend, erworben. Eine ziemliche Anzahl geognostischer Handstücke vervollkommnete endlich die naturgeschichtliche Ausbeute auf der Cordillera.
In Santjago hatte ich nach meiner Zurückkunft Gelegenheit, mit mehreren angesehenen Männern Bekanntschaft zu machen, und mit Vergnügen die Bestätigung zu erhalten, wie wohlgelitten der Deutsche bei der chilenischen Regierung ist, was schon aus dem Eifer hervorgeht, mit welchem man die Einwanderung unserer Landsleute begünstigt.
Außerdem habe ich verschiedene Bergwerkbesitzer kennen gelernt und von denselben schöne Mineralien aus ihren Gruben erhalten, unter welchen ich nur anführen will: ausgezeichnete Kobalt-Erze, gediegen Silber, Jodsilber, Bromsilber und endlich Chlorsilber, derb und in zwei zollgroßen Stücken.
Nach einem zweiten, etwa dreiwöchentlichen Aufenthalte in Santjago ging ich nach Valparaiso zurück.
»Wollen Sie nicht ein wenig an's Steuer gehn,« sagte der Kapitain, nachdem ich fünf Minuten vorher das gute Barkschiff Dockenhuden als wohlbestallter Supercargo bestiegen hatte.
Ich antwortete lakonisch, wie man es zur See liebt »Ja Kapitain!« und trat wirklich an's Steuer.
Die Sache war die, daß guter Landwind war, und alle Hände beschäftigt waren, die Segel frei zu machen, um aus dem Hafen von Valparaiso zu kommen, denn der Dockenhuden, auf welchem ich mich befand, war nach Valdivia bestimmt und hatte keine Zeit zu verlieren. Dies war mir einigermaßen klar, weniger aber, oder gar nicht wußte ich, wie ich das Steuer handhaben sollte. Aber ich war ja Supercargo, und mußte als solcher doch wohl schon so häufige Seereisen gemacht haben, um ein wenig steuern zu können!
Zu des Lesers Trost, welcher vielleicht nicht weiß, was ein Supercargo ist, will ich gestehen, daß ich es zu jener Zeit selbst nicht wußte.
Zwei Tage, ehe ich den Dockenhuden bestieg, frug mich Freundt: »Wollen Sie mit einem Schiffe, welches ich expedire, nach Valdivia?«
»Ja!«
»Wie viel Zeit brauchen Sie, um fertig zu werden?«
»Zwei Stunden!«
»Sie haben zwei Tage.«
Die Geschichte war kurz abgemacht. Als ich gieng, sagte Freundt noch, er habe mich als Supercargo für den Dockenhuden eingeschrieben, und als ich frug, was ich als solcher zu thun habe, erwiederte er. »Nichts!« Der Grund, warum mich Freundt's vorsorgliche Gefälligkeit mit diesem Titularposten betraute, war aber der, um mir den Paß zu sparen, den jeder von Valparaiso Abgehende haben muß, während der Ankommende keinen bedarf. Die Polizei hält strenge Controlle, und da jeder, der einen Paß verlangt, 24 Stunden lang am Polizeigebäude öffentlich angeschlagen wird, ist es nicht wohl möglich, mit Schulden zu entwischen. Ein solcher Paß aber kostet, irre ich nicht, drei Peso. Aber Bedienstete auf einem Schiffe bedürfen keines Passes, und so war mir ein für allemal die Paßplackerei erspart.
Später erst erfuhr ich, daß der Supercargo diejenige Person ist, welche die kaufmännischen Geschäfte an Bord zu besorgen hat. Gott weiß, daß unter allen Aemtern auf der Welt ich eben diesem am wenigsten gewachsen war.
Was mein Steuern betrifft, so machte anfänglich der Kapitain Bewegungen mit der Hand, welche Backbord und Steuerbord bedeuteten, und indem ich hiernach das Steuerrad drehte, gieng alles vortrefflich. Aber es entfalteten sich immer mehr und mehr Segel, der Kapitain begann sein plattdeutsches Kommando, und ich wußte nicht mehr, sollte ich rechts, links, stark oder schwach, oder gar nicht drehen.
Ich drehte aber dennoch, und zwar nach Gutdünken, einmal Backbord, dann Steuerbord, und da mich allmählig die Wuth der Langweile erfaßte, endlich so stark, daß der Dockenhuden sonderbare Bewegungen begann. Nun rief der Kapitain: »Was Teufels machen Sie?« Ich antwortete: »Ich steure!« Hierauf folgten Erklärungen und der Kapitain stellte sich lachend selbst an's Steuer, bis alle Segel klar und ein Matrose den gewöhnlichen Dienst übernahm. Aber als ich dort vom Steuer gieng, fühlte ich zum erstenmale eine Anwandlung von Seekrankheit.
Der Dockenhuden führte wenig Ballast, und schwankte deshalb, vielleicht auch in Folge meines Steuerns, ziemlich stark, ich aber war dieser Bewegung theils ungewohnt, theils zu rasch in dieselbe versetzt worden.
Indessen ließ ich mir nichts merken, legte mich in meine Koje und nahm einen tüchtigen Schluck Rum. Nach einer halben Stunde war alles vorüber, und ich hatte dort zum ersten und letzten Male einen entfernten Begriff bekommen, wie es denen zu Muthe sein mag, die Monate hindurch wirklich seekrank sind[33].
Der Dockenhuden war eine schöne Barke von 400 Tonnen und gehörte einem der bedeutendsten Rheder in Hamburg. Ich habe später mit demselben Schiffe die Rückreise nach Europa gemacht, und mich mit dem Kapitain sowohl als mit der Mannschaft stets auf's Beste vertragen. Für jetzt aber waren wir nach Valdivia bestimmt, um dort Holz einzunehmen. Man bedarf gewöhnlich, um von Valdivia nach Valparaiso zu kommen, 3 Tage, denn man benutzt den unausgesetzt wehenden Südwind, und kann vor dem Winde und mit Leesegeln fahren. Bei der Hinreise aber muß man einen Winkel machen, d. h. man muß fast 600 englische Meilen weit westlich, dann aber wieder östlich halten, um bei dem Winde, d. h. mit Seitenwind, fahren zu können. Man bedarf auf diese Weise 10 bis 14 Tage, oft noch länger. Wir indessen kamen in 10 Tagen zum Ziele.
Es ergab sich auf der kleinen Reise wenig Merkwürdiges, doch will ich eines Meteors erwähnen. Es zog nämlich eines Abends bei fast wollkenleerem Himmel von Ost nach West eine Sternschnuppe mit so intensivem Lichte, daß, obgleich noch kein einziger Stern am Himmel zu bemerken und es fast heller Tag war, dennoch das Meteor den Glanz der Venus zeigte.
Eine andere Erscheinung, welche ich am Lande nie, wohl aber später öfter auf See wahrgenommen habe, war eine Art Luftspiegelung, welche ich auf jener Fahrt einige Tage nach jener Sternschnuppe das erstemal bemerkte.
Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang zeigte sich in der, der Sonne gerade entgegensetzten Himmelsgegend, mithin am östlichen Himmel, in den Wolken das Spiegelbild der Sonnenstrahlen, jedoch in verkehrter Richtung, so daß, während im Westen die sichtbaren Strahlen der Sonne abwärts divergirten, sie im Osten den Eindruck der aufgehenden Sonne machten, und aufwärts divergirten.
Die Spiegelung war klar und deutlich ausgesprochen und man hätte zur Morgenzeit wirklich an einen Sonnenaufgang glauben können.
Am 15. Januar hatten wir den ganzen Tag die Insel Mas a fuera (wörtlich: meide außen) in Sicht. Ich habe die Felseninsel von mehreren Seiten gezeichnet, und habe mich, nach Hause gekommen, über die Aehnlichkeit meiner Skizze mit der Zeichnung gefreut, die Anson vor hundert Jahren entworfen hatte. An ein Landen war natürlich nicht zu denken.
Möven, Seeschwalben und eine kleine schwarze Art Albatroß waren unsere fast steten Begleiter, auch sahen wir zahlreiche Quallen, worunter mehrere von wohl zehn Fuß Länge bandartig und gegliedert. Diese letzteren Arten sollen von den Wallfischen gespeist werden. Wirklich sahen wir auch am 16. October mehrere Wallfische in nicht großer Entfernung bei uns vorüberziehen und des andern Morgens einen Wallfischjäger, aber die Hoffnung, einer Jagd beiwohnen zu können, wurde zu nichte, denn jetzt ließ sich kein Wallfisch sehen.
Wir indessen jagten auf schöne Delphine mit weißem Bauche und schwarzem Rücken, Springfische von den Seeleuten genannt, aber ohne Erfolg, indem wir zwar die Thiere verwundeten, aber nicht an Bord brachten.
Auch Hornfische[34] begleiteten ziemlich zahlreich längere Zeit unser Schiff. Ihre Größe betrug etwa einen Fuß und ihre bunte Färbung, das ganze prismatische Bild repräsentirend, machte sie zu einer lieblichen Erscheinung.
Vor fünf Monaten hatte ich dasselbe Meer befahren und seine Fauna als eine spärliche bezeichnen müssen, während wir jetzt keine viertel Stunde segelten, ohne Thieren der verschiedensten Art zu begegnen, aber wir hatten jetzt Sommer, und es betätigte sich, daß mit wenig Ausnahmen, etwa der Eisbären und einiger ihnen gleich gestimmten menschlichen Seelen, jedes vernünftige und unvernünftige Thier die Wärme mehr als die Kälte liebt.
Am 22. des Morgens erblickten wir die Küste von Valdivia. Aus steilen bergigen Abhängen bestehend und wohl in ähnlicher Form auftretend wie die nördlicher gelegenen Küstenstriche, wird der Anblick derselben modificirt durch den Waldwuchs, der sie allenthalben bedeckt. Ich habe deutsche bewaldete Flußufer zu sehen geglaubt, als wir dicht am Lande hinfuhren, und ich das stille Meer hinter mir, sammt seiner ziemlich geräuschvollen Brandung vor mir, absichtlich ignorirte.
Wir liefen Nachmittags in den Hafen ein, und bald betrat ich das Land, mit dem eigenthümlichen Wohlbehagen, welches der Naturforscher fühlt, wenn er den Fuß auf einen ihm noch unbekannten Boden setzt.
Es war die Bai von Corral, der Hafen von Valdivia, vor Jahren einer der wichtigsten Plätze der Westküste. Welche Bedeutung man auf den Hafen gelegt, zeigen die Menge der Forts, welche zur Befestigung desselben angelegt. Aber sie liegen in Trümmern diese Forts. Die Zeit und die Stürme der Revolution haben sie gebrochen und mehr vielleicht noch die Nachlässigkeit, mit welcher die Spanier das von ihren Vätern Erworbene beschützten und unterhielten. Bäume stehen innerhalb der Ringmauern, Lianen wuchernd um die verfallenen Laffetten der Geschütze und der Urwald[35], in nächster Nähe von Batterien, hat nicht seine Herrschaft aufgegeben über das jungfräuliche Land.
Der Eingang des Hafens liegt gegen Norden wie fast alle chilenischen Häfen, und bietet daher wenig Schutz vor den dorther kommenden Stürmen, während bei anderen Windrichtungen das Wasser der allenthalben geschlossenen Bai oft kaum bewegt wird.
Die den Eingang beschützenden Batterien, Fort Carlos und Niebla-Batterie, liegen in Trümmern, eben so die Gonzalo-Batterie und mehrere kleinere. Nur das Fort Corral steht noch nothdürftig zusammengehalten da, Häuser und Hütten in seiner Nähe bilden den Flecken Corral. Die Bai ist ringsum bewaldet. Ihre Breite beträgt eine halbe englische Meile an der Stelle, wo sie sich gegen den See hin öffnet, aber von dort geht ihre Längenerstreckung über zwei englische Meilen in's Land, und das zwar in direkter Richtung gegen Süd. Aber jener Theil derselben, die sogenannte St. Johns Bai, kann zum großen Theile nicht mit größeren Fahrzeugen befahren werden und verflacht sich am Ende dergestalt, daß zur Zeit der Ebbe die Bai wohl auf eine Viertelstunde weit trockenen Fußes überschritten werden kann.
In der Bai selbst mündet der Rio de Valdivia, welcher aber, weiter gegen oben, andere Namen führt, Rio de Arige, Callse-Callè Fluß und Rio de las ciruelas, der Pflaumenfluß.
Der Fluß ergießt sich in zwei Armen in die Bai und bildet so eine Insel von etwa zwei englischen Meilen Breite und Länge, die Isla del Rey, und selbst hier wird dieser eine Arm wieder anders genannt, Rio de poco commer, oder wörtlich Fluß wo wenig zu essen. Kleine Flüsse ergießen sich noch mehrere in die Bucht, so der St. Johns Fluß und einige andere, welche wie ich glaube keine Namen haben.
Ziemlich mitten in der Bai liegt die Manzera-Insel. Die in die Bai mündenden Flüsse, die Inseln, die Bergabhänge, bewaldet, aber nicht so steil abfallend wie jene gegen die See, machen einen freundlichen Eindruck, der indessen den Charakter des Wilden und Romantischen nicht verloren hat.
Die Grundform des Gebirgs ist die granitische, hier durch Glimmerschiefer repräsentirt in allen Nüancen. An einigen Orten von so feinem Gefüge, daß letzteres kaum mit unbewaffneten Augen zu erkennen, tritt nicht weit hievon wieder ein Gestein auf, in welchem mehrere Zoll große Tafeln von Glimmer und Quarzfragmente von entsprechender Größe zu finden sind. Mittelstufen fehlen nicht. In der Nähe des Forts Corral, und dort das Ufer bildend, an welchem man mit den Booten landet, findet sich ein festes Conglomerat aus Fragmenten von Glimmerschiefer und allen erdenklichen Geröllen der See zusammengesetzt. Diese Bildung, jedenfalls eine secundäre, und ein secundärer Süßwassersandstein mit Versteinerungen, der an verschiedenen Stellen der Fluß-Ufer vorkömmt, bilden die geognostische Form der Bai und ihrer nächsten Umgebung. Aber auch weit hinein in das Land tritt Glimmerschiefer auf, wie mir dort wohnende Deutsche versichert haben. Ich habe der wenigen eigentlichen mineralogischen Beimengungen, welche sich in dem erwähnten Glimmerschiefer finden, in einer wissenschaftlichen Abhandlung, welche in den Denkschriften der k. k. Academie in Wien erschienen ist, näher gedacht, und will, um den Leser nicht zu ermüden, hier nicht weiter von denselben sprechen. Aber einer komischen Täuschung, einer geognostischen Anekdote will ich gedenken, welche mich in nicht geringe Aufregung versetzt hat. Mehrere Tage nach unserer Ankunft im Hafen, und mit den einfachen Formen der auftretenden Gesteine schon fast vertraut, ging ich einst streifend und Handstücke des Glimmerschiefers schlagend, unweit der Küste, als ich plötzlich einige Gesteine fand, zerstreut als Findlinge umherliegend, welche nicht entfernte Aehnlichkeit mit den dort anstehenden hatten. Ich nahm einige auf und ging weiter. Neue Seltenheiten, sich mehr und mehr häufend! Laven, Granite, Dolerite und Porphyre aller Art und mitten unter ihnen Sandsteine und Kalkgebilde, friedliche Kinder des Neptun unter jenen feuererzeugten Söhnen der Unterwelt. Schon begann ich an einer Theorie zu arbeiten, als ich der Spur jener Raritäten folgend, endlich an eine Stelle kam, wo eine ganze Halde der fabelhaften Formen aufgethürmt lag.
Ich frug eine alte Frau, welche dort in der Sonne liegend ihre Cigarre rauchte, woher die Steine, denn mir war wohl bekannt, daß alte Weiber Vieles wissen, und ich erhielt die Antwort: »von den Schiffen!«
Das Räthsel war gelöst. Es war dort die Stelle, wo die Schiffer, vielleicht so lange der Hafen bestand, ihren Ballast löschten und auch wieder aufnahmen, und so war es nicht zu verwundern, daß dort sich die bunteste Musterkarte von Gesteinen vorfand, welche unschätzbar gewesen wäre für den Geognosten, hätten die Matrosen nicht vergessen die Fundorte auf den Exemplaren zu bemerken.
Der ganze landschaftliche Charakter des Hafens von Corral und seiner Umgebung ergiebt sich am besten aus einigen Excursionen, von welchen ich sogleich unten berichten muß, nur will ich hier noch des Blickes auf den 60 Stunden weit entfernten Vulkan von Villarica erwähnen, welcher bei heiterem Wetter als eine glänzende weiße Pyramide zu sehen ist, wenn man nur irgendwie einen halbweg erhöhten Standpunkt gewählt hat.
Ohne Zweifel ist dieser Vulkan einer der höchsten in der ganzen Kette der Anden und die trigonometrischen Messungen, welche in neuerer Zeit von Engländern angestellt worden sind, haben hohe Zahlen ergeben, welche ich aber nicht anführen will, da mir bestimmte Angaben über jene Untersuchungen bis jetzt noch fehlen. Der Vulkan ist noch thätig und von Zeit zu Zeit steigen von seinem Gipfel Rauchsäulen in die Höhe, welche vom Hafen aus gesehen werden können.
Einer meiner ersten Besuche galt einem Deutschen, Ernst Fricke, einem sehr gebildeten und tüchtigen jungen Manne, welcher dort eine Sägemühle besitzt. Zur Zeit meines Aufenthaltes war seine Wohnung, wenn gleich bequem und die Sägemühle gut construirt, doch nicht ohne den Reiz des romantischen Ansiedlerlebens. Ein älterer Bruder von Fricke, dessen Bekanntschaft ich einige Tage später machte, wohnt auf der Isla del Rey. Ich bin von den Brüdern auf das Freundlichste aufgenommen worden und es war mir ihre Bekanntschaft von großem Nutzen, da beide mehrfache Reisen in's Innere gemacht hatten und schätzbare Notizen über das Land mittheilten.
Auch auf der Insel Manzera wohnte ein Deutscher, welcher indessen dort nicht stabil war, sondern als Verwalter eines anderen Landsmannes später in's Innere abzugehen die Absicht hatte. Ich kam mit den eingebornen Bewohnern von Corral weniger in Berührung, doch machte ich die Bekanntschaft zweier liebenswürdigen Damen, der Gattin und Schwiegermutter des älteren Fricke, welche zur Zeit dort wohnten.
Am zweiten Tage unseres Aufenthaltes im Hafen fuhr ich zu Boote mit dem Kapitain nach Valdivia, welches die Hauptstadt der Provinz ist, und etwa drei oder vier Stunden vom Hafen entfernt liegt. Die mit Urwald bedeckten Ufer des Flusses gewährten einen prachtvollen Anblick, und entsprachen den Schilderungen, welche man vom Innern Nordamerika's entworfen hat. Dichtes Gebüsch reicht allenthalben bis an die Oberfläche des Wassers, mächtige Stämme überragen säulenartig das Unterholz und sind nur durch Schlingpflanzen mit demselben verbunden. Die Alerze, der rothe Cederbaum, der bisweilen einen Durchmesser von 15 Fuß erreicht, die Rotheiche, Pellin genannt, Roble, die Buche, dann Ulmen und Lorbeerarten bilden dort, so wie in der Provinz Valdivia überhaupt, vorzüglich den Baumschlag. Zwischen ihnen steht die Quila, ein Rohr, welches gegen oben ein so dichtes Flechtwerk bildet, daß dasselbe bequem einen Mann trägt, und die Colique, ebenfalls eine Bambusce, die eine Höhe von 40 Fuß erreicht, und aus welcher die Indianer ihre gefürchteten, oft 20 Fuß langen Lanzen verfertigen. Ein Hauptschmuck jener Wälder aber sind die kleinen Bäume der mehrfachen Lorbeerarten, die Myrthen, Fuchsien und andere, welche fast alle mit buntfarbigen zierlichen Blüthen geschmückt sind und ein prachtvolles Unterholz bilden.
Aber nicht allein am Lande und auf den Bergabhängen der Ufer stehen jene riesigen Stämme. Sie sind nicht selten in's Wasser gestürzt und von der Strömung des Flusses fest gerannt worden; so ist die Fahrt nicht ohne alle Gefahr, versteht man nicht geschickt ihnen auszuweichen. An manchen Stellen des Waldes haben Brände stattgefunden, meist absichtlich erzeugt, um vielleicht eine kleine Strecke zu cultiviren, wohl selbst einen Weg zu bahnen, und jene öden Stellen, mit den mächtigen aber erstorbenen Stämmen, und je nachdem nur eben wieder am Boden mit beginnendem Gebüsche bewachsen, bilden einen eigenthümlichen Contrast mit der üppigen Vegetation, welche neben ihnen wuchert.
Während wir so, bald dicht an den Ufern des Flusses, bald Baumstämmen ausweichend, auf dessen Mitte dahinfuhren, machten wir Jagd auf verschiedenes Vogelwild, das in reichlicher Fülle vorhanden. Wasservögel verschiedener Art, Enten, Taucher, Möven und am Lande vorzugsweise eine schöne große Taube, die Columba araucana, und eine Schnepfenart waren die vorzüglichste Beute, welche nach der Heimkunft redlich getheilt wurde zwischen meiner Sammlung und der Schiffsküche.
So hatten wir eine fröhliche Fahrt auf dem Flusse, gegenseitig wetteifernd, wer das meiste Wild erlege, und ich fand, daß der Kapitain ein trefflicher Schütze.
In Valdivia angekommen, trennten wir uns. Fricke, welcher ein leichtes, vortrefflich segelndes Boot hatte, war uns vorausgeeilt und empfing uns, indem er mich in das Haus eines dort beim Schulwesen angestellten Deutschen führte, wo ich so herzlich aufgenommen, wie allenthalben von den deutschen Landsleuten, und sogleich mit einigen Insekten beschenkt wurde. Doch blieb ich nicht lange bei jenen freundlichen Leuten, da ich die Stadt besichtigen wollte, und aus der Unterhaltung mit den anwesenden chilenischen Damen ist mir nur noch die Furcht erinnerlich, welche dieselben vor einem Einfalle der araukanischen Indianer bezeigten, welchen ein grundloses Gerücht zu jener Zeit in Aussicht gestellt hatte.
Die Stadt Valdivia hat ein sehr ländliches Ansehen. Die meisten Häuser liegen isolirt zwischen Gärten, Gebüsch und Rasenplätzen, und unfern der Stadt beginnt wieder der Wald. Die Wohnungen, meist einstöckig, sind von Holzarbeit und haben den eigenthümlichen Styl des Landes, der theils an alterthümliches Täfelwerk erinnert, doch auch wieder Aehnlichkeit hat mit der Art und Weise, wie man moderne Schweizerhäuschen in Anlagen und Gärten errichtet. Doch fehlen auch größere Gebäude nicht und eben als ich anwesend war, beschäftigte man sich mit dem Bau einer Kirche, deren Plan vom älteren Fricke entworfen war. Ich hatte die vier Matrosen, welche das Boot gerudert hatten, zum Mittagessen gebeten, und als wir uns in einem Gasthause versammelt hatten, welches so ziemlich, wenn auch nicht ganz nach europäischer Art eingerichtet, und in welchem man nicht übel aufgehoben war, staunte ich über den Anstand und Takt, welchen diese vier jungen Männer entwickelten. Bescheiden ohne blöde, heiter ohne übermüthig zu sein, waren sie so weit entfernt von dem Bilde, welches man sich meist von »dem Seemann am Lande« zu entwerfen gewohnt ist, daß ich kaum mein Erstaunen bergen konnte. Ohne Widerrede hatten sie meine Einladung angenommen, aber als sie nach einigen Tagen im Hafen die Erlaubniß erhalten hatten, an's Land zu gehen, unternahmen sie in meinem Interesse einen Streifzug und brachten mir des Abends einige Amphibien und schöne Insekten, welche mich doppelt erfreuten.
Des Nachmittags besuchten uns mehrere andere in Valdivia lebende Deutsche im Gasthofe, und manches austauschende Wort wurde dort gesprochen über Chile und das Vaterland. Alle waren gut gestellt in ihrer neuen Heimath. Doch aber war eine leise Sehnsucht nach dem Vaterlande, nach dessen Sitte und Brauch nicht zu verkennen. Mag jeder es wohl bedenken, der das Land in dem er geboren für immer verlassen will. Es mag sich wohl treffen, daß in der Fremde er nach Zuständen sich zurücksehnt, die ihm hier gleichgültig, ja daß er an Persönlichkeiten mit Zuneigung denkt, welche er zu Hause kaum der Beachtung werth gehalten. Aber mit welcher Macht drängt sich in manchen Stunden die Sehnsucht nach verlassenen Lieben an's Herz, und mit welcher Versöhnlichkeit betrachtet man deren Fehler und Schwächen!
Spät des Abends und wohlzufrieden mit der kleinen Reise, kamen wir an Bord zurück. Aber einige Tage später, während der Kapitain und ich zufälliger Weise am Lande, kamen einige Damen von Valdivia zu Boote auf Besuch zu uns und brachten mir den sorgfältig verpackten Schädel eines Araukaners zur Erinnerung an unser Gespräch in der Stadt, und um meine Sammlung zu bereichern, wenn gleich, wie sie mir sagen ließen, mit mächtigem Grausen. –
Vieles Vergnügen verschaffte mir in der Bai von Corral die Jagd auf Papageien. Ich habe nur eine einzige Species dort getroffen, von den Einwohnern Choi genannt[36], aber diese in großer Anzahl. Sie hausen auf den bewaldeten Hügeln, mit welchen die Bai umgeben ist, und leben des Tages über in Haufen von zehn bis zwölfen zusammen, wohl auch vereinzelt, indem sie meist auf den höchsten Bäumen sich aufhalten. Gegen Abend aber versammeln sie sich in großen Schwärmen und fliegen von einem der Hügel zum andern, indem sie, ähnlich wie in Deutschland die Dohlen, ein wahrhaft schauderhaftes Geschrei erheben. Stellt man sich versteckt in eine der Schluchten, über welche auf diese Weise der ganze Schwarm hinwegfliegt, so kann man, wenn das Gewehr weit trägt und man groben Hagel geladen hat, öfters in einem Abende zum Schusse kommen, und ich habe auf diese Art viele erlegt, da sie, wenn sie den Schützen nicht sehen, sich wenig um den Schuß zu kümmern scheinen und ihr Hin- und Herfliegen wiederholen. Indessen bietet es Schwierigkeiten, das geschossene Thier zu finden, da seine grüne Farbe sich kaum von der des Grases unterscheiden läßt. Nur verwundete Thiere verrathen sich hingegen selbst durch ihr furchtbares Geschrei und die Hast, mit welcher sie zu entkommen suchen.
Dieser Papagei wird von den Einwohnern der Bai nicht selten als Hausthier gehalten, und läuft frei, aber freilich mit arg und häßlich beschnittenen Flügeln in den Wohnungen umher. Er scheint sich sehr leicht zähmen zu lassen und ein zähes Leben zu besitzen. Ich habe eines Tages einen derselben, der, wie sich später zeigte, nur am Flügel verwundet war, um ihn zu ersticken, mit aller Kraft unter den Flügeln gedrückt, hierauf als er kein Lebenszeichen mehr von sich gab, die Rachenhöhle mit Löschpapier verstopft, um das Beschmutzen der Federn mit Blut zu verhindern, und alsdann in eine Düte gewickelt in die Pflanzenkapsel gelegt, da er zum Abbalgen bestimmt war. Aber als wir noch einige Stunden Rast hielten und zufällig die Kapsel geöffnet wurde, stieg der Vogel munter aus derselben, und ergab sich so leicht in sein Schicksal, daß er schon nach einigen Tagen aus der Hand Futter nahm, und allenthalben an Bord frei umher lief. Leider fiel er später in's Wasser und ertrank.
Das Fleisch dieser Thiere gewährt eine vortreffliche Speise und erinnert an jenes der wilden Tauben.
An den Ufern des Valdivia-Flusses, wo hauptsächlich jene schon oben erwähnte Sandsteinbildung vorkömmt, finden sich prachtvolle kleine Buchten und hie und da im Gebüsche versteckte Höhlen. Ernst Fricke führte mich in mehrere derselben, in welche man nur mittelst des Bootes gelangen konnte, und ich habe die romantische Lage dieser kleinen Asyle bewundert, deren Zugang ich bald besser zu finden wußte, als vielleicht mancher im Hafen Geborene. Auch im Glimmerschiefer findet sich unweit des Forts Corral eine Höhle, deren Wände stets von durch Felsenspalten eindringendes Wasser feucht und ganz mit Farrenkräutern überzogen sind. Ich war so glücklich dort zwei neue Arten aufzufinden[37], und mache absichtlich hier auf diesen Fundort aufmerksam, weil ich sonst nirgends eine Spur derselben gefunden habe.
Während wir im Hafen von Corral lagen, kam die schon oben bezeichnete chilenische Fregatte von Valparaiso aus dorthin, in Begleitung einer Corvette. Beide Fahrzeuge hatten Soldaten am Bord, welche eine Zeit lang im Hafen verweilen sollten.
Die Indianer von Araukanien hatten kurz vorher ein an ihrer Küste gestrandetes Schiff geplündert, zugleich waren bei dieser Gelegenheit einige Menschen verloren gegangen. Es hatten ohne Zweifel die Gestrandeten und die Indianer sich nicht hinlänglich verständigen können. Die Letzteren hatten vielleicht allzu großes Wohlgefallen an den Waaren gefunden, welche das Schiff führte, und die Europäer hielten allzu hartnäckig an ihrem Eigenthume, oder es mögen auch andere Mißverständnisse eingetreten sein, die Thatsache war die oben bezeichnete. Aber in Chile sprach man nicht gerne von derselben, legte indessen jene Truppen nach Corral und Valdivia, um eine Demonstration zu machen, und etwaigen weiteren Gelüsten der Araukaner Einhalt zu thun. Es kam dadurch viel Leben in den Hafen, welcher sonst ziemlich verödet war, indem zugleich mit jenen Schiffen auch noch eine Barke von Hamburg, die Victoria, einlief. Der Kapitän der Victoria war ein Bruder des unsrigen, und es war ein freudiges Wiedersehen der beiden Brüder, welche sich seit Jahren nicht gesehen, ja kaum sichere Nachricht von einander erhalten hatten.
Das Leben am Bord war jetzt ein anderes geworden. Während ich sonst früh mit Tagesanbruch meist allein an's Land ging, in den Bergen streifte und spät des Abends wieder heimkehrte, wurden jetzt gemeinschaftliche Jagden unternommen, und zugleich von meiner Seite das Sammeln großartiger betrieben, da die Passagiere der Victoria, nach Chile auswandernde Deutsche, mich zum größten Theile teilnehmend unterstützten. Kugelbüchse und Botanisirkapsel, Insektenschachtel und Mineralienhämmer hatten wieder, wie früher in Valparaiso, ihre freundlichen Träger gefunden, und es wurde mancher Tag fröhlich in den Bergen zugebracht. Kamen wir zeitig an Bord zurück, so statteten wir uns häufig gegenseitige Besuche ab, von welchen wir oft spät in der Nacht heimkehrten. Ich werde nicht leicht einer solchen Heimfahrt vergessen. Ich war mit Kapitän Maier an Bord der Victoria gegangen, aber während wir in der Kajüte plaudernd und zechend fast vergessen hatten, daß wir uns nicht auf festem Boden befanden, hatte sich außen ein heftiger Nordwind erhoben, und zugleich war Land und See mit solch einer undurchdringlichen Finsterniß bedeckt, daß man buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen konnte. Da es des Zolles halber verboten war, Waaren, ja selbst eine einzige Flasche Wein von einem Schiffe auf das andere zu bringen, so hatte ich jenen Abend benutzen wollen, sechs Flaschen Portwein, welche ich auf der Victoria an mich gebracht hatte, auf den Dockenhuden zu schaffen, mit anderen Worten: zu schmuggeln. Man kann sich denken, daß ich, diese sechs Flaschen in den vielfachen Taschen meines Kapuzmantels geborgen, schon ziemlich schwerfällig vom Fallreef aus in das Boot gelangte. Denn wie schon bemerkt, bewegt heftiger Nordwind das gegen diese Seite nicht geschützte Wasser des Hafens oft auf bedenkliche Weise, und schon waren die Wogen so hoch, daß das Boot fünf bis sechs Fuß gehoben wurde, um im andern Augenblicke wieder eben so tief zu sinken. Mit den Händen an der Strickleiter mich festhaltend, suchte ich mit den Füßen das Boot zu erspähen, welches, fühlte ich es einmal einen Moment, im andern Augenblicke wieder verschwunden war. Ließ ich zur unrechten Zeit los, so fiel ich natürlich in's Wasser, und war unrettbar verloren mit meinem schweren Mantel und den sechs Flaschen. Dabei wurde kein Wort gewechselt. Es waren noch, wie ich glaube, andere Gegenstände im Boote, welche man ebenfalls nicht der Besichtigung der Zollbediensteten auszusetzen wünschte, und so vermied man unnöthigen Lärm. Endlich ließ ich los und kam glücklich in's Boot. Es gelang unseren Matrosen bald von der Steuerbordseite der Victoria zu kommen, aber nun tanzte das Boot in solch verzweifelten Sprüngen auf den Wogen, daß ich ernstlich an ein Umschlagen zu glauben anfing. Der Wind wuchs in bedrohlicher Heftigkeit, eine See über die andere schlug in's Boot und Wind und Wetter lärmten dermaßen, daß man die Zollbedienten nicht mehr zu fürchten brauchte. Wirklich stand jetzt der Kapitain, der steuerte, auf, und rief mit lautester Stimme den Matrosen seine Befehle zu.
Oefter habe ich in ähnlichen Fällen empfunden, welch eine einfältige Rolle der Passagier bei solchen Gelegenheiten zu spielen verdammt ist. So gut wie der Seemann wird er ertrinken, tritt ein Unfall ein. Aber er kann nichts thun, ihn abzuwenden, ja er ist allenthalben im Wege, sucht er zu helfen. Seine Obliegenheit ist sich zu ducken, sich möglichst klein zu machen, und wo möglich zu schweigen. Das Alles habe ich in jener Nacht gethan zum allgemeinen Besten, in meinem eigenen Interesse aber zog ich leise die Arme aus den Aermeln des Mantels und löste die Riemen meiner Schuhe, um in einem Momente alles abstreifen zu können und schwimmfertig zu sein.
Es war glücklicher Weise nicht nöthig. Wir sahen endlich, denn nach und nach hatte sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, in unbestimmten Umrissen den Dockenhuden vor uns und waren bald am Fallreef. Man kömmt, am Fallreef wenigstens, leichter aufwärts, als abwärts, so war ich bald oben. Einige Sekunden war eine Laterne auf Deck, auch auf der Victoria blitzte ein Licht auf und verschwand alsbald wieder. Man hatte sich die Ankunft signalisirt, denn man mochte von beiden Seiten nicht ohne alle Bedenklichkeit gewesen sein, und unsere Fahrt hatte fast eine halbe Stunde gedauert, obgleich beide Schiffe nicht ganz vierhundert Schritte entfernt von einander lagen.
An Bord wurde, wie gewöhnlich, keine Silbe über die Fahrt gesprochen, nur sagte der Kapitain, nachdem wir etwa 10 Minuten angelangt, zu mir. »Portwein verstaut?« Worauf ich antwortete. »Schon verstaut.« Er war es auch bereits, der liebe Portwein, verstaut, d. h. ge- und verborgen unter lebenden Taranteln, Scorpionen und Schlangen und zum Ueberflusse von einigen menschlichen Schädeln bewacht, und kein chilenischer Zollbediente hätte ihn weder gesucht wo er war, noch angerührt, hätte er ihn gefunden. Aber sie kamen nicht in jener Höllennacht, wohl aber einige Tage später bei hellem Sonnenscheine[38].
Ich will noch einer Jagdpartie gedenken, welche ich in Begleitung der beiden Kapitäne und des Ernst Fricke in die St. Johns-Bai unternahm. Wir benützten hiezu das mit einem guten Segel versehene Boot von Fricke, und zogen des Morgens um 6 Uhr aus, indem zwei Matrosen ruderten, wenn der Wind nicht eben günstig war.
Wir machten zuerst auf einer kleinen Landzunge Halt, welche mit hohem Grase bewachsen war, um Schnepfen zu schießen. Die Schnepfenart, welche sich dort aufhielt und überhaupt fast die Ufer der ganzen Bai bevölkerte, ist etwas, jedoch unbedeutend, kleiner als unsere Waldschnepfe, aber heller gefärbt als diese. Ich habe versäumt, sie mit nach Europa zu bringen, da sie so häufig war, und ich das Abbalgen einiger Exemplare von einem Tage zum andern verschob, bis es endlich zu spät war. Diese Thiere spazierten in Truppen zu fünfzig und hundert Stück ganz ruhig am Strande oder flogen dicht vor uns aus dem hohen, feuchten Grase auf, so daß mit leichter Mühe einige Dutzende derselben zu erlegen gewesen wären, hätte eben ihre Menge uns anfänglich nicht zu unbedachtsam schießen lassen, so daß wir ohne sonderlichen Erfolg den größten Theil unseres Wildes verjagten; erst später, regelrecht zu Werke gehend, schoß ich etwa 10 Stücke derselben.
Nachdem wir jene Landzunge verlassen und in eine kleine wirklich reizende Bucht gekommen waren, trennten wir uns, um einzeln unser Glück zu versuchen.
Das Boot sollte über die Bai fahren, dort am östlichen Ufer anlegen, und wir uns des Nachmittags daselbst wieder versammeln, um heimzufahren.
Während die anderen vorläufig sich am Ufer der Bai hinzogen, drang ich sogleich tiefer in den Wald ein. Ich hatte einen Compaß bei mir und konnte sicher sein, mich zurecht zu finden.
Es ist die Pracht des Urwaldes so vielfach und von so großen Autoritäten geschildert worden, daß ich es nicht versuchen will, hier ein Gleiches zu thun. Kaum braucht auch bemerkt zu werden, daß hier unter 40° südl. Breite die glänzende Vegatation der Tropen natürlich fehlt, aber dennoch der urwaldliche Typus nicht verloren gegangen ist. Wie dort sind hier mächtige himmelanstrebende Stämme mit Schlingpflanzen geziert, und die schon erwähnte Colique und die Quila bilden nicht selten hoch oben ein so dichtes pflanzliches Gewebe, daß am Boden fast Dunkelheit herrscht. Dabei fehlen nicht Blumen und Blüthen, wenn auch nicht von brasilianischer Pracht. Aber etwas ist in Chile, was das Durchstreifen jener Wälder sehr angenehm macht; es ist dieß der vollkommene Mangel an giftigen Thieren. Der Scorpion und die Tarantel werden zwar dort ziemlich häufig getroffen, in Valdivia zwar auch kaum der erstere, aber beide sind nicht gefährlich und namentlich ist die Tarantel, welche in Valdivia mit ausgespannten Füßen bis an 7 Zoll groß vorkömmt, vollständig harmlos, wenn sie gleichwohl ein ziemlich martialisches Aeußere zu affectiren sucht.
Ich machte an den mächtigen umgestürzten Stämmen, welche oft überstiegen werden mußten, gute Beute, indem ich verschiedene Insekten fand und manches Schätzbare erwarb, da fast der dritte Theil der gefangenen Individuen neue Arten waren. Endlich, nachdem ich weit vorgedrungen in Schluchten und manchen Abhang erstiegen, wandte ich mich wieder rückwärts, um an's Ufer der Bai zu gelangen. Ich durchwatete den St. Johns-Fluß und kam endlich an eine flache Stelle des Ufers, wo ich die Bai übersehen konnte. Aber ich sah weder das Boot, noch eine Spur von den Gefährten. Ich ging weiter um die Bai zu umschreiten und auf das jenseitige Ufer, den bestimmten Sammelplatz, zu gelangen, indem ich richtig schloß, daß das Boot hinter irgend einem schattigen Felsenvorsprunge beigelegt habe.
Mittlerweile war eine ziemliche Hitze eingetreten, indem unferne des Wassers die Sonne doppelt brannte, und zugleich wurde ich von einer Unzahl Fliegen verfolgt. Es war vorzüglich Tabanus latus, eine schwarze und gelbe Bremse, welche in Schwärmen von mehreren Dutzenden über mich herfiel, und, wenn auch in geringerer Anzahl, zwei kleinere graue Tabanus-Arten. Die Folgen des Stichs der beiden kleinen Arten halten länger an, als jene der größeren, welcher zwar anfänglich einigermaßen belästigt, aber in einigen Minuten nicht mehr gefühlt wird und keine Beulen hinterläßt, wie die Stiche der deutschen Pferdebremse. Ich fand bald, daß je rascher ich mich fortbewegte, die verwünschten Fliegen mich um so hitziger verfolgten, so ergab ich mich in mein Schicksal, haschte eine gute Menge derselben und schritt langsam weiter, indem ich auch einige Vögel schoß, worunter eine schöne gold-grün glänzende Kibizenart. Endlich kam ich an menschliche Wohnungen, Hütten, welche aber leer standen, und zugleich an eine sich in den Wald ausdehnende Fortsetzung der Bai, denn für eine solche hielt ich das Wasser an dessen Ufer ich stand. Leider aber fand ich, das Ende und eine überschreitbare Stelle suchend, bald, daß ich einen Fluß vor mir hatte. Ich mußte über denselben, denn abgesehen davon, daß ich ungerne unser Rendezvous versäumte, konnte ich kaum rückwärts längs dem Ufer zurück in den Hafen von Corral gelangen, ohne endlose Umwege zu nehmen, da an vielen Stellen die Ufer aus steilen Felsenwänden bestehen, an welchen wir vorher zu Boote vorüber gefahren waren. Vorwärts also! Aber wie! Ich wußte nicht, waren die Kapitaine und Fricke schon hinüber, oder waren sie vielleicht während ich im Walde Insekten einfing, zu Boote über die Bai. Also suchte ich den Lauf des Flusses aufwärts verfolgend, nach menschlicher Fährte, und fand auch bald im gefallenen Laube Spuren von Fußtritten, denen ich folgte und endlich an die Brücke kam. Dort fiel mir ein, welche vielfache Anforderungen an einen reisenden Naturforscher gestellt werden. Denn abgesehen davon, daß er Zoologe und Ethnograph, Botaniker, Mineralog, Geognost, Meteorolog und Zeichner sein soll, muß er auch, wohl oder übel, fabelhafte fremde Sprachen sprechen, kochen, waschen, nähen, reiten und schwimmen können. Hier aber stand die edle Turnkunst in Aussicht, denn jene Brücke bestand aus einem verzweifelt glatten und schlanken Baumstamme, der über den etwa 25 bis 30 Schritte breiten Fluß quer übergelegt war, und sonder Zweifel von einem Eichhörnchen mit vieler Bequemlichkeit überschritten worden wäre, von mir indessen mit wenig Behagen.
Aber ich mußte hinüber und war bald entschlossen. Mineralienhammer, Insektenschachteln und alles Gesammelte wurde zu den Vögeln in die Jagdtasche gesteckt und diese über die Doppelflinte gehängt, welche ich in der Hand hielt, um im Falle eines Sturzes schwimmen zu können und nicht von all diesen Gegenständen gehindert zu sein. Aber ich hatte keine Lust über den verwünschten Baumstamm zu gehen, – rittlings wollte ich übersetzen, vorsichtig, wie es sich für einen verheiratheten Mann, für einen Familienvater geziemt. Es sah mich ja kein menschliches Auge, und war ich einmal drüben, – nun es kriecht mancher auf Händen und Füßen und spricht später davon, wie er aufrecht gestanden! Da, ganz zur Unzeit erschallte ein lautes Hallo! und Fricke wand sich aus den Gebüschen des jenseitigen Ufers, mir zurufend, ich solle mich eilen, die beiden Kapitäne seien schon voraus, denn er habe in der Ferne schießen gehört und wir müßten noch vor Eintritt der Ebbe bei'm Boote sein.
Große Macht der Eitelkeit! Ich nestelte an meinen Schuhen, als wolle ich sie besser befestigen, denn bereits saß ich rittlings auf dem Stamme, dann stand ich auf und überschritt mit scheinbarer Gleichgültigkeit den Stamm, der immer dünner wurde und höchst widerwärtige Oscillationen verführte, je mehr ich mich seinem Ende nahte. Ich schämte mich vor Fricke, dem rüstigen Hinterwäldler, wie ich ihn nannte, hinüber zu kriechen. Zuletzt mußte ich noch einen kräftigen Sprung machen, um das Ufer zu erreichen. Jetzt erzählte ich Fricke meine Noth, welcher mich auslachte und die Brücke im Vergleich zu andern eine königliche nannte.
Wir gingen nun zusammen weiter und kamen bald wieder in hochstämmigen Wald, wo wir noch einige Papageien schossen und bald darauf an eine Hütte, welche eine Cuncos-Indianerin[39] bewohnte. Das Weib knieete mit ihren Kindern um ein Feuer in der Mitte der Hütte, ohne Zweifel um sich zu räuchern, denn außen war eine tüchtige Hitze und man bedurfte wahrlich keines Feuers, um sich zu erwärmen.
Ich dachte an den Besuch Reineckes in der Höhle der Meerkatze,
»Welch ein Nest voll süßlicher Thiere, größer und kleiner!
Und die Mutter dabei, ich dachte es wäre der Teufel.«
und redete die Frau zwar nicht als »Frau Muhme« sondern mit Sanoritta an, um etwas zu essen zu erhalten, aber es war nichts zu bekommen als Milch. Ich habe selbst dort den Abscheu vor diesem Getränke nicht überwinden können, tauchte das Stückchen Zwieback, welches ich bei mir hatte, in's Wasser eines unweit fließenden zweiten Flusses und überließ die Milch den Gefährten, welche sich mittlerweile zu uns gefunden hatten. Nach einiger Ruhe setzten wir unsern Weg um die Bai fort. Bald waren wir gezwungen, abermals mittelst eines Baumstammes über den zweiten Fluß zu setzen, allein hier ging dies leichter, denn der Stamm hatte noch einen Theil seiner Aeste und war theilweise mit überhangendem Gebüsche umgeben, so daß man sich im Nothfalle anhalten konnte. Wir bestiegen kurz darauf eine kleine Anhöhe, und da dort eine Lichtung war, sahen wir unser Boot in einiger Entfernung liegen, leider im buchstäblichen Sinne des Wortes, nämlich auf der Seite und etwa zweihundert Schritte vom Wasser entfernt. Wir erriethen sogleich, was sich später bestätigte. Die beiden Matrosen, nicht wissend, daß das Wasser der Bai dort sehr seicht war, legten sich zur Ruhe und schlummerten sanft im benachbarten Gebüsche, während sich die See bescheiden zurückzog, und das Boot, wenn nicht auf dem Trockenen, doch wenigstens auf schlammigem Grunde zurückließ.
Während wir nun beschlossen abwärts zu gehen und jene Stelle zu besuchen, kamen wir immer dichter und verworrener in's Gebüsche, so daß wir endlich blos auf Laub und Aesten fußten. Mir fiel auf, daß Fricke, der uns vorschritt, langsamer als sonst ging, ja selbst bisweilen die Haltbarkeit eines Astes prüfte, doch dachte ich an nichts Arges, als ich zufällig abwärts blickte und einen Sonnenstrahl sah, der nicht zu, sondern etwa 30 Fuß tief unter meinen Füßen die Erde beschien. Wir gingen zwischen den Aesten hindurch, wie, da mir eben kein poetischer Vergleich einfällt, wie Mäuse, welche durch einen Wellenhaufen schlüpfen, aber auch mit eben so wenig Gefahr für uns wie für jene, denn ein Hinabstürzen war kaum denkbar. Wir erreichten endlich den Boden und bald die Stelle, wo das Boot lag. Da nach Fricke's Aussage die Fluth erst gegen neun Uhr des Abends so gestiegen sein konnte, daß an ein Flottwerden zu denken war, blieb das Fahrzeug an der Stelle, wo es gegenwärtig lag, man schnitt deshalb Hebel und wälzte es allmälig seewärts. Wir hatten das Segel aus dem Boote genommen, und um gegen die Sonnenhitze einigermaßen Schutz zu haben, uns von demselben eine Art Zelt construirt. Die Gewehre aber hatten wir dafür in's Boot gelegt um freier zu sein, im Falle wir etwa später noch eine Strecke durch das Wasser waten mußten. Zudem hatten wir kaum noch Schießbedarf, da die Schnepfen uns des Morgens viel Pulver und Blei gekostet hatten.
Schon einige Tage vorher hatte uns Fricke erzählt, daß eine Puma ihm Besuch abgestattet habe. Sie war durch eine Lücke in den unteren Raum des Hauses gestiegen und hatte dort befindliche Fleischvorräthe geraubt. Fricke hatte Abrede mit seinen beiden indianischen Knechten genommen, was im Wiederholungsfalle zu thun sei, obgleich er nicht glaubte, daß das Raubthier so bald wiederkehren würde; allein schon des andern Tages hörte er während der Nacht verdächtiges Geräusch. Das Gemach, in welches die Puma eingestiegen war, hatte nur ein einziges Fenster. An dieses, so hatte man verabredet, sollten mit einer in Bereitschaft stehenden verdeckten Laterne sich die beiden Knechte schleichen, und in demselben Augenblicke, in welchem Fricke die Thüre aufstoßen würde, die Laterne von außen auf das Fenster setzen. Die Puma, glaubte man, würde nicht wagen, durch das beleuchtete Fenster zu springen und Fricke würde jedenfalls einige Augenblicke Zeit haben, dieselbe mit seinem Doppelgewehre zu tödten.
Auf jenes Geräusch hin weckte nun Fricke seine vor seinem Zimmer schlafenden Knechte, man verfügte sich an seinen Posten und Alles wurde in bester Form ausgeführt, bis auf das Erlegen der Puma, welche im selben Augenblicke, in welchem Fricke die Thüre öffnete, ohne auf die Laterne Rücksicht zu nehmen, von dem Tische, auf welchem sie Platz genommen, mit einem gewaltigen Satze durch's Fenster sprang, Laterne und Knechte über den Haufen warf und im Dunkeln verschwand.
Des folgenden Tages oder vielmehr in der folgenden Nacht stahl das Thier ein Kalb unweit Corral. Unter unserm improvisirten Zelte liegend besprach ich eben mit Fricke das Abenteuer, welches er bestanden, als wir ein großes gelbes Thier über den vom Wasser verlassenen Grund der Bai laufen sahen, indem dasselbe den Weg von der östlichen nach der westlichen Seite zu einschlug und also auf uns zukam. Es blieb stehen, und wir erkannten alsbald, daß es eine Puma, ohne Zweifel Fricke's alte Bekanntschaft war. Als sie uns erblickte, wendete sie sich etwas gegen rechts, so daß sie etwa 200 Schritte von uns entfernt den Wald erreicht hätte, war sie einmal am Ufer. Was hätte ich in diesem Augenblicke darum gegeben, hätte ich mein Gewehr und ein Paar Kugelpatronen gehabt. Aber es war nicht möglich, das Land zu erreichen und wieder zurückzukommen, auch abgesehen davon, daß man stellenweise bis an die Hälfte des Schenkels hätte im Moraste waten müssen und daß es selbst mit Munition schlecht aussah. Da ich aber doch wenigstens die Puma sehen wollte, und wußte, daß dieselbe bei Tage kaum einen erwachsenen Menschen anfallen werde, so lief ich ihr den Weg ab, indem ich mich in der Eile mit einem kurzen Prügel bewaffnete, welcher am Boden lag. Ich war dem Thiere bis auf etwa dreißig Schritte nahe, als es das Ufer erreicht hatte, stehen blieb und mich in Augenschein nahm, während ich von meiner Seite aus dasselbe that. Man kann in jeder Naturgeschichte die Beschreibung einer Puma lesen, ich sage daher blos, daß dieselbe die Größe eines starken Fleischerhundes hatte, aber abgesehen von dem runden katzenartigen Kopfe, mehr den Eindruck eines Wolfes als eines Tigers machte, obgleich sie zierlichere Formen hatte. Die Farbe war hellgelb, vollkommen löwenähnlich.
Nachdem ich diese Beobachtungen angestellt hatte, frug ich mich, was es jetzt werden sollte. Das Thier rührte sich nicht von der Stelle, fing aber auf eigenthümliche mir etwas bedenkliche Weise mit dem Schweife zu wedeln an. Eins von uns beiden mußte nun davon laufen, die Puma oder ich, das war mir klar; denn da ich nicht einmal meinen Dolch hatte, so wäre ein Kampf wohl schlecht für mich ausgefallen. Da aber, lief ich, die Puma mir ohne Zweifel nachgelaufen wäre, so beschloß ich, sie wo möglich zum Fliehen zu bringen.
Ich ging also, mit kleinen Schritten zwar, aber heftigem Geschrei auf das Thier los, indem ich den Arm nach Art der Lasso-Werfenden schwang, und mich höchst kampflustig geberdete. Jetzt wendete sich die Puma, schritt langsam und würdevoll dem Gebüsche zu und verschwand in demselben, ohne Zweifel von dort aus meine ferneren Bewegungen beobachtend. Ich aber zog mich ebenfalls zurück, und ging zu den Gefährten, welche sich anfänglich erhoben hatten, als ich auf die Puma zuging, jetzt aber wieder Platz genommen hatten.
Das war mein Abenteuer mit dem chilenischen Löwen, bei welchem ich dem Leser ernstlich verbiete, an ein gewisses anderes Abenteuer mit Löwen zu denken, welches Miguel Cervantes in einem der besten Bücher schildert, welche je geschrieben worden sind.
Hungrig und todtmüde, doch aber wohl zufrieden mit der Expedition, kehrten wir spät des Abends an Bord zurück.
Ich habe schon der Indianer erwähnt, und hoffe, daß es dem Leser nicht unangenehm sein wird, etwas über diesen höchst merkwürdigen Volksstamm zu erfahren, welcher ungleich seinen Stammverwandten sich Jahrhunderte lang unverändert in nächster Nähe der weißen Männer erhalten hat und welchen man nicht cultiviren und ausrotten konnte, wie es fast allenthalben geschehen ist, mögen nun die fremden Eindringlinge von Europa Grundsätze zur Schau getragen haben, welche sie wollten.
Ich spreche hier nicht von den Cuncos-Indianern. Diese letzteren haben sich in Folge von Streitigkeiten mit andern Stämmen zu Ende des vorigen Jahrhunderts von ihren Landsleuten getrennt und leben zerstreut allenthalben in Valdivia unter den Chilenen, doch sind sie denselben noch jetzt an Zahl überlegen. Fast alle sind getauft. Aber ihre Zahl scheint abzunehmen, je mehr sie europäische Sitte sich aneignen, ist auch ihr Aeußeres dem der unbezwungenen Indianer sehr ähnlich.
Die unbezwungenen, freien Indianer aber, die Araukaner, leben unter ganz andern Verhältnissen.
Sie bewohnen den Landstrich zwischen Conception und Valdivia, der sich unter 38° und 39° südlicher Breite quer durch das chilenische Land von der Andenkette herab bis an's Meer zieht.
Von der ersten Entdeckung ihres Gebiets durch die Spanier, bis auf den heutigen Tag, hat diese Nation ihre Selbstständigkeit nie verloren und ist auch in den blutigsten Kämpfen stets Sieger geblieben. Sie hat ihr Gebiet mit einer Energie und zugleich mit einer Intelligenz vertheidigt, von welcher sich bei keinem andern Indianer-Volke ein Beispiel findet, aber nie hat sie dasselbe zu erweitern gesucht.
Es scheint ein lange festgehaltener Grundsatz der Araukaner zu sein, von fremder Sitte und Kultur nur so viel anzunehmen, als ihnen eben zweckmäßig scheint, und als nöthig ist, nach und nach ihre Umstände zu verbessern, aber alles entfernt zu halten, was ihre ursprünglichen Gebräuche bedrohen könnte.
Die Geschichte der Missionen in Araukanien giebt hievon den deutlichsten Beweis. Es sind hie und da wie es scheint, die Lehren der frommen Väter auf fruchtbaren Boden gefallen, und es ließen sich einzelne Indianer taufen; aber diese Getauften wurden von ihren Nachbarn nicht etwa gehaßt oder verfolgt, sondern es wurde die sogenannte Bekehrung als etwas vollkommen Gleichgültiges betrachtet.
Es will behauptet werden, als habe sich der einmal Getaufte noch öfter taufen lassen, kam gerade ein anderer Priester in die Nähe. Man müsse den Europäern ihre Freude nicht verderben, sollen dann solche perfide neue Christen gesagt haben. Ebenso soll vorgekommen sein, daß ein Indianer sich bei verschiedenen Geistlichen verschiedene Frauen antrauen ließ, doch relata refero.
Indessen ist es gewiß, daß so lange auch Missionen bei den Indianern bestehen, sie dieselben blos begünstigten, um von den Missionairen technische Vortheile zu erlernen, und wenn sich auch einige Häuptlinge taufen ließen, so geschah dies ohne Zweifel blos um von der chilenischen Regierung einen gewissen Sold zu beziehen. Es hat nämlich die letztere verschiedene solcher getauften Häuptlinge mit dem Generalstitel betraut, und man giebt ihnen einen gewissen jährlichen Sold. Bräche nun Krieg mit den Indianern aus, so würde dieser araukanisch-chilenische General mit seinen Leuten nicht gegen Chile fechten können, ohne seine Besoldung zu verlieren, und so hat Chile an jedem getauftem General einen Feind weniger, wenn auch nicht eben einen Freund mehr. –
Vor einiger Zeit verlangten die Araukaner die Herstellung einer Mission, welche, verwüstet in der Revolution, durch das Erdbeben im Jahre 1835 vollends zerstört wurde. Die anfangs uneinigen Stämme einigten sich durch das Loos, welches für die Mission entschied, und es wurde jetzt alsbald einstimmig beschlossen, daß das Kloster gebaut werden sollte, aber eben so mit Bestimmtheit ausgesprochen, daß nicht ein einziger chilenischer Arbeiter bei dem Bau beschäftigt werden sollte.
Der für die Mission bestimmte Priester, ein Italiener, wenn ich nicht irre, sagte. »Aber Kinder, ihr könnt nicht bauen.« Die Araukaner aber antworteten »Vater, Du wirst es uns lehren.« Ein einziger Mann zur Verfertigung der Backsteine und Ziegel wurde dem Missionär zugestanden, das Kloster wurde erbaut, die Araukaner nahmen Arbeitslohn ein, denn sie ließen sich ihre Dienste bezahlen und obendrein lernten sie das Backstein- und Ziegelmachen.
Was die eigentliche Religion und den Cultus bei den Araukanern betrifft, so mag dieses Volk vielleicht einzig dastehen. Aus den kurzen Umrissen über ihre staatliche Einrichtung und ihre Sitten und Gebräuche, die noch folgen werden, sieht man, daß sie durchaus auf keiner niedern Stufe der Cultur stehen, aber sie haben Nichts, was einem Cultus gleich sieht!
Von frühester Zeit an bis jetzt glauben die Araukaner an das Bestehen höherer Wesen und an eine Unsterblichkeit der Seele, und wie die Missionäre behaupten, hat sich bis auf den heutigen Tag dieser Glaube unverändert erhalten. Sie nennen den guten Geist Pillan, den bösen, Cuecuban, und das Gute und Böse, was sich ereignet, schreiben sie diesen beiden Mächten zu. Pillan hilft ihnen die Feinde schlagen und begünstigt die Ernte, Cuecuban schickt dann und wann übermäßigen Regen, regiert die bösen unfolgsamen Weiber und läßt die Erde erzittern. Aber der einzige Dienst, oder die Verehrung, welche diesen beiden Geistern gezollt wird, besteht darin, daß bei öffentlichen Feierlichkeiten die ersten Tropfen des Getränkes auf die Erde geschüttet werden und eben so die ersten Tropfen Bluts der Thiere, welche bei diesen Gelegenheiten geschlachtet werden. Höchstens sucht man noch bei Unglücksfällen durch Anrufungen den Zorn des bösen Geistes zu versöhnen. Aber sie haben keine Vermittler zwischen diesen Geistern und sich, keine Priester und eben so keine Tempel, keine Götzenbilder, keine heiligen Haine, und auch die Häuptlinge verwalten auf keinerlei Weise das Priesteramt.
Durchschnittlich ist die Gesichtsfarbe der Araukaner braun, aber nicht rothbraun wie die der amerikanischen Indianer. Das Gesicht ist länglich, die großen Augen sind schwarz, ausdrucksvoll, und die Brauen gewölbt. Der Mund ist gut geformt, mit Ausnahme der Unterlippe, welche bisweilen etwas hervorsteht. Die Nase ist oft gebogen und die Naslöcher sind nicht so weit geöffnet, wie bei vielen andern Stämmen. Das tiefschwarze Haupthaar ist straff, nie gerollt. Ihre Größe ist die mittlere, indessen eher noch darunter als darüber.
Nahrung und selbst Kochkunst ist bei den Araukanern ähnlich wie bei den Chilenen, welche auf dem Lande wohnen, doch wird Pferdefleisch bei allen Stämmen, bei einigen aber kein Ochsenfleisch gegessen. Alle Speisen aber sind scharf gewürzt. Ihr gewöhnliches Getränke ist der Aepfelwein.
Die Kleidung der Araukaner besteht aus dem in der ganzen Westküste allgemein eingeführten Poncho, dann kurze Beinkleider und Strümpfe, welche aber am Knöchel abgeschnitten sind, so daß die Sporen oft am bloßen Fuße getragen werden.
Eine spitze Filzmütze ist die Kopfbedeckung der Männer. Die Frauen tragen eine Art Mantel, welcher in der Mitte des Leibes durch einen Gürtel festgehalten wird, und meist durch eine silberne Nadel von ungeheurer Größe auf der linken Schulter in die gewünschten Falten gebracht ist.
Die Verfertigung dieser Zeuge, das Färben derselben, das Schmieden von Eisenwaaren, ihren Sporen und so weiter, auch die Fertigung silbernen Schmuckes, wird von den Araukanern selbst betrieben.
Die staatliche Einrichtung der Araukaner ist eine modificirt aristokratische zu nennen. Sie stehen dorfschaftenweise unter einzelnen Häuptlingen, so daß manche derselben bisweilen über größere Gebiete herrschen, einzelne aber auch nur über 10 bis 12 Familien. Bei besonderen Gelegenheiten werden Volksversammlungen abgehalten, bei welchen die mächtigeren Häuptlinge den Ausschlag geben. Man scheint zur Friedenszeit den Befehlen derselben nicht stets genaue Folge zu leisten, zur Kriegszeit indessen und wenn ein feindlicher Ueberfall droht, sind sie fast immer alle einig, und versammeln sich, durch Feuerzeichen gerufen, schnell auf schon vorher bestimmten Sammelplätzen. Die Häuptlingswürde ist erblich, indessen trifft es sich nicht selten, daß Indianer, welche sich ein bedeutendes Vermögen erworben haben, ebenfalls zu dieser Würde gelangen. Manche dieser Häuptlinge haben fast ganz europäische Gesichtszüge und als vor einigen Jahren einmal Engländer und Franzosen mit den Araukanern Verträge abschließen wollten, ich glaube wegen des von den Indianern ausgeübten Strandrechtes, waren sie sehr verwundert, mehrere jener Anführer ziemlich fertig ihre Landessprache reden zu hören und zugleich eine diplomatische Gewandtheit entwickeln zu sehen, welche ihnen zu schaffen machte.
Fast scheint es als seien solche Häuptlinge wirklich europäischer Abkunft. Es hatten die Spanier gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts in und um das Gebiet der Araukaner Städte gegründet und Festungen angelegt. Aber plötzlich standen unter dem Oberbefehle des Paillamacha sämmtliche Indianer auf, zerstörten sieben Städte und Festungen, tödteten die Männer und entführten Weiber und Kinder. Man will die Spuren dieses Menschenraubes noch jetzt bei den Araukanern erkennen.
Wirft nicht Cultur und Luxus, welche man mit der Zeit in das Gebiet jener Natursöhne einschmuggelt, ihre Kraft zu Boden, so werden sie auch lange unbezwungen bleiben, denn die Kräfte der chilenischen Regierung reichen schwerlich aus, sie im offenen Kriege zu unterjochen.
Es ist ihre Art Krieg zu führen allgemein gefürchtet, und vor allem ist es die lange araukanische Lanze, welche so mächtigen Respekt einflößt. Diese Lanze ist an 20 Fuß lang und aus dem leichten und biegsamen Stengel der Colique gefertigt. Der gegen den Feind anrennende Indianer erhält das dünne, mit der Spitze versehene Ende derselben in fortwährender vibrirender Bewegung, so daß ein Pariren des Stoßes fast unmöglich ist, während er selbst mit außerordentlicher Sicherheit zu treffen weiß. Häufig wird aber die Lanze auch so geführt, daß der auf den Feind ansprengende Indianer die Lanze im Ricochet wirken läßt, indem er sie mit der vordern Hälfte auf die Erde schleudert, während er sie hinten fest hält und mit der aufschnellenden Spitze den Gegner durchbohrt.
Wenn man dabei bedenkt, daß die Araukaner von frühester Jugend an alle jene Fertigkeiten besitzen, welche wir nur gewohnt sind im Circus von Kunstreitern ausführen zu sehen, und daß ihre Pferde sie auf's trefflichste unterstützen und alle Strapazen mit Leichtigkeit ertragen, so glaubt man wohl, daß sie furchtbare Feinde sind. Während man noch das Land in tiefer Ruhe glaubt, flammen ihre Feuerzeichen, und der anrückende Feind sieht sich plötzlich von allen Seiten umgeben von Indianern, die nackt und mit bemaltem Gesichte, mit aufgelöstem, im Winde flatternden Haare und mit einem thierähnlichen Wuthgebrülle auf ihn einstürzen, keine Schonung mehr kennen, und Tod und Wunden nicht achten in der Vertheidigung ihres Vaterlandes und ihrer Freiheit.
Aber dieser wüthende und wilde Krieger ist nicht mehr zu erkennen, wenn es Friede ist. Stolz zwar und hartnäckig an seiner alten Sitte haltend, ist auch der Araukaner dann gastfrei gegen den Fremden und herzlich, wenn die steifen Förmlichkeiten des ersten Empfangs beendet sind.
Fast will es scheinen, als habe jenes Volk die Nothwendigkeit eines gewissen Anstandes und einer continuirlichen ceremoniellen Lüge erkannt, die bei uns täglich ausgeübt wird, ohne daß sonder Zweifel die Meisten daran denken, welch ein festes Bindemittel für die menschliche Gesellschaft sie ist.
Niemand, selbst der nächste Anverwandte der Familie, darf bei den Araukanern sogleich dicht an das Haus reiten, oder dasselbe etwa gar betreten. Es sind an der Grenze des Hofraums einige Pfähle angebracht, an welchen man hält und ruft, oder den Dollmetscher rufen läßt, welcher überhaupt, wenn der Reisende der Sprache[40] nicht mächtig ist, die ganze fernere Verhandlung führt. Der Reisende giebt hierauf an, was er für Geschäfte hat, woher er kömmt, wohin er geht, dann tritt der Hausherr hinzu, reicht ihm die Hand, und ersucht ihn auf eine höchst förmliche Weise und fast allein durch Zeichen und ohne ein Wort zu sprechen, vom Pferde zu steigen. Hierauf beginnt ein umständlicher und fast eine halbe Stunde dauernder Austausch von Höflichkeiten. Der Hausherr fragt, wie sich der Gast befindet, ob er gute Reise gehabt hat, und erkundigt sich nach dem Wohlbefinden sämmtlicher Anverwandten im entferntesten Gliede, mag er sie kennen oder nicht. Aber die Höflichkeit wird noch weiter ausgedehnt, denn er fragt nach dem guten Stande der Ortschaften, durch welche die Reise geführt, nach Heerden, Feldern, kurz nach Allem, was der Reisende nur entfernt berührt oder gesehen haben kann. Nun beginnt der Fremde alle diese Fragen im gleichen Sinne zu beantworten, und giebt ähnliche Fragen zurück. In der weitläufigsten Form erkundigt er sich nach allen Genossen des Hauses, deren Anverwandten, Nachbaren und Nachbarsnachbarn, nach dem Stande der Ernte, der Heerden u. s. w. Beide Vorträge sind mit fortwährenden Wünschen begleitet, daß Alles im besten Stande sein möge und werden in einem eigenthümlichen näselnden Tone vorgebracht.
Sind die Ceremonien beendet, so nähert sich der Hausherr dem Fremden und umarmt ihn, indem er sein Haupt abwechselnd über die rechte und linke Schulter des Gastes legt. Hierauf beginnt das Mahl, zu dem schon während der Begrüßungen alle Vorbereitungen getroffen worden sind, und bei welchem es, selbst nach europäischen Begriffen, höchst anständig zugeht.
Die Ceremonien der Brautwerbung und der Verehelichung scheinen etwas einfacher. Man kauft sich ein Weib vom Vater oder Bruder, und hat man im Verlaufe des ehelichen Lebens das Unglück die treue Gefährtin zu verlieren, so muß man – ist es erwiesen, daß man dieselbe todt geschlagen hat – die Begräbnißkosten, bisweilen selbst noch eine nachträgliche Entschädigung zahlen. Die besten Aufschlüsse über das araukanische Weib geben Notizen, welche ich von Domeyko erhalten habe und welche ich hier mittheilen will.
Das araukanische Weib ist klein, hat ein rundes Gesicht und eine niedrige Stirn. Sein Auge hat einen gewissen Ausdruck, welcher Sanftheit und Schüchternheit bezeichnet, und der leise, weiche Ausdruck der Stimme scheint Unglück und Sklaverei auszudrücken Ihre Sprache scheint ein halber Gesang zu sein, und sie verlängern jede letzte Silbe mit einem seufzenden und sehr hohen, feinen Tone. Der Gang der araukanischen Frauen ist leise und schleichend, und ihre, bereits oben beschriebene Kleidung höchst einfach. Sie flechten das Haar in Zöpfe, welche sie mit Glasperlen schmücken und hierauf turbanartig um den Kopf winden.
Thut man einen Blick in die Haushaltung eines Indianers, so überzeugt man sich sogleich, daß die Weiber nur die Sklavinnen der Männer sind, der Mann hat dieselben entweder erzogen (d. h. vor der Verheirathung, und als Kind) oder er hat sie von ihrem Vater gekauft. Er führt Krieg, wohnt den Berathungen bei, geht auf die Jagd, oder raucht im Schatten liegend Tabak, aber das Weib muß arbeiten. Arbeit und Liebe ist aber bei vermögenden Araukanern unter mehrere Frauen getheilt, indem sich diese mehrere Weiber kaufen.
Domeyko giebt eine Schilderung von einem Besuche bei einem Indianer, welche ich hier anführen will, da sie höchst bezeichnend ist.
Ich suchte, sagt er, einmal in einer stürmischen, regnerischen Nacht Schutz gegen das Unwetter in dem Hause eines Häuptlings an der Meeresküste. Der Indianer nahm mich mit offener und herzlicher Gastlichkeit auf, und noch unbekannt zu jener Zeit mit den bei'm Eintritte in ein Haus gebräuchlichen Ceremonien, suchte ich sobald als möglich zum Feuer zu kommen, und in weniger als einer Viertelstunde saß ich mit meinen Reisegefährten an demselben. Es waren dieß zwei Häuptlinge und drei andere Araukaner. Bald hatten wir am Feuer den außen wüthenden Sturm vergessen, und das Gespräch belebte sich. Die einen rauchten Cigarren, die andern trockneten ihre durchnäßten Ponchos, während ein hübsches Weib mit großen schwarzen Augen und einem bis auf die Knie reichenden Haare so schnell als möglich das Abendessen bereitete.
Ohne daß Jemand ihr geholfen hätte, hatte sie bereits, als wir eintraten, Holz herbeigeschafft und das Feuer entzündet, nun schnitt sie das Fleisch, trug Wasser, schälte Kartoffeln und rüstete die Töpfe, aber Niemand half ihr, oder nahm irgendwie Notiz von ihr, während sie geduldig und emsig ihrer Arbeit oblag, ohne ebenfalls irgend Jemand anzusehen.
Ich saß, fährt Domeyko fort, an der Seite des unbeweglichen und nachdenklichen Hausherrn und fragte ihn, wie viele Weiber er habe. Er antwortete mir: ein einziges. Auf meine weitere Frage, ob wohl deßhalb, weil er Christ sei, erwiederte er: nein, sondern weil gegenwärtig die Frauen leider bei den Indianern sehr theuer wären. Sehen Sie, sagte der andere Indianer, welcher mir als Dollmetscher diente, sehen Sie, welche Ungerechtigkeit; wir müssen, wenn wir uns verheirathen, dem Vater nicht nur acht oder zehn Prendas[41] für das Auge geben, sondern auch noch demselben Vater acht oder zehn weitere Prendas für die Geschwister oder Verwandte des Weibes, wenn sie stirbt. Aber doch begraben sie die Todte nicht eher, als bis sie in Verwesung übergeht, und plagen den armen Ehemann, daß er nicht weiß, was er anfangen soll.
Bei diesen Worten schürte der Häuptling die Kohlen mit einem Stäbchen, und sagte: Hm! acht bis zehn Prendas, und wenn einmal ja einer ein Weib todtschlägt, sind sie mit zwölf und fünfzehn Prendas nicht zufrieden, so daß der Mann auf zeitlebens zu Grunde gerichtet ist.
Der erste Indianer aber fuhr fort zu klagen und sagte: Bisweilen können sie es gar nicht beweisen, daß die Frau gerade an einem Hieb oder einer Wunde gestorben ist, welche ihr der Mann beigebracht hat.
Bisweilen, erwiederte der Häuptling, können sie gar Nichts beweisen, und verdächtigen und chikaniren nur den armen, unschuldigen Indianer.
Stumm, schweigend und unterwürfig bediente uns das arme Weib während dieser Unterredung, und nachdem das Essen beendigt war, streckte sich der Häuptling zuerst auf sein Bett von Colique. Die Gäste folgten, und hierauf die andern Hausgenossen, wobei sich jeder einen Platz suchte, so gut als möglich. Das mächtige Feuer schwand allmälig, bis es nur noch einen unsichern Schein verbreitete und mit einzelnen Streiflichtern die kräftigen und markirten Züge der liegenden Indianer beleuchtete.
Nur die Indianerin mit ihren prächtigen Haaren und ihren schönen, zu Boden geschlagenen Augen allein blieb auf und stützte ihre Rechte auf das Kopfende des Bettes ihres tyrannischen Ehemannes. Sie blieb wach, und suchte ihr Lager nicht eher, bis das Feuer erloschen und sie vollständig den Blicken der Fremden entzogen war.
Eben so barbarisch wie sich das Verhältniß der Arauka-Indianer gegen ihre Frauen gestaltet hat, sind ihre Sitten und Gebräuche bei Beerdigungen. Stirbt z. B. ein alter Häuptling in Mitte seiner Anverwandten und Kinder, so wird, je nachdem er Küstenbewohner war oder mehr im Innern lebte, der Leichnam in ein Canoe oder eine Mulde gelegt und in Mitte des Hauses unweit des Feuerheerdes an einen Balken aufgehängt. Man hat dem Todten sein bestes Kleid angezogen und überläßt ihn ruhig seinem Schicksale, während man sich einzig mit den Vorbereitungen zum feierlichen Begräbniß beschäftigt. Vor allem wird eine unendliche Menge Chicha bereitet, berechnet auf ein drei- bis viertägiges Zechgelage. Dann schafft man Mais und Weizen herbei, um eine Anzahl von 200 bis 300 Nachbarn zu bewirthen.
Alle diese Gegenstände werden neben dem Todten in der Hütte aufgehangen und später mit demselben zur Begräbnißstätte getragen, aber es vergehen oft zwei bis drei Monate, bis alle diese Vorbereitungen beendet sind. Der Leichnam ist mittlerweile in Fäulniß übergegangen und verpestet die Luft auf solche Art, daß man nicht selten in einer Entfernung von tausend Schritten das Haus bezeichnen kann, in welchem sich die Leiche befindet.
Endlich erscheint der Tag der Beerdigung, und mit ihm kommen mehrere Hundert der geladenen Gäste, alle zu Pferde und mit ziemlichem Lärm. Die Leichenfeier beginnt mit einem großartigen Zechgelage und einer reichlichen Mahlzeit, welche oft mehrere Tage und Nächte hindurch dauern, und noch fortwährend kommen Nachzügler, wild einhersprengend, und wie zum Kriege gerüstet mit wildem, flatterndem Haare und bewaffnet.
Wird endlich die Leiche in das mittlerweile bereitete Grab gelegt, so finden verschiedene Ceremonien statt, welche bewirken sollen, daß der Geist des Verstorbenen nicht in sein Haus zurückkehrt, und man giebt ihm deshalb eine Menge Dinge mit, welche er im Leben gern hatte. So z. B. seine Lanze und übrigen Waffen, seinen Sattel, Zaum und Sporen, sein Ballspiel und andere Kleinigkeiten. Aber man versäumt auch nicht, ihm Speise und Saatkorn mitzugeben und die Leiche reichlich mit Getränke zu übergießen.
Nun bedeckt man dieselbe mit Steinen und die Beerdigung ist beendet.
Die Rückfahrt von Valdivia nach Valparaiso dauerte zwei und einen halben Tag, und wir hatten fast immer die Küste in Sicht. Ich wüßte nichts Besonderes zu berichten, was ich dort erlebt hätte.
Auch mein Aufenthalt in Valparaiso bot wenig mehr, was halbweg interessant genannt werden dürfte. Es war die weitere Richtung der Reise bestimmt worden, ich wollte mit dem Dockenhuden nach Tocopilla gehen, dann nach Peru, von dort aus aber um Kap Horn nach Hause. Ich ordnete und verpackte die gesammelten Naturalien, unternahm Streifzüge in die benachbarte Gegend, so z. B. nach Quillota, etwa 24 Stunden von Valparaiso, und in andere kleinere Orte, welche wohl im Stande waren, mir den Charakter des chilenischen Lebens klarer zu entfalten, schärfer einzuprägen, aber kaum verdienen, dem Leser vorgeführt zu werden.
Doch will ich einer Persönlichkeit erwähnen, welche zu jener Zeit in Valparaiso auftauchte. Es war dieß ein Dr. B., ein französischer Schweizer, welcher sich längere Zeit in Nordamerika aufgehalten hatte, und von dort kommend nach Californien zu gehen beabsichtigte. Er gab auf der Durchreise in Valparaiso Gastrollen auf dem Felde des thierischen Magnetismus, und war ein würdiger Vorläufer des edeln Tischrückens, obgleich erst fast drei Jahre später halb Europa sich durch diese nordamerikanischen Schnurren berücken ließ. B. rückte nun zwar keine Tische, aber dafür zog er mit den ausgestreckten Fingern seiner Hand Menschen an sich, ließ dieselben »durch seinen überwiegenden Magnetismus« nach Belieben sprechen, fechten, boxen, tanzen, kurz die verrücktesten Dinge treiben, und dieß alles vor einem Publikum von 500 bis 600 Menschen, von welchen jeder, ein Hauptpunkt, einen Peso Entrée zahlen mußte. Seine Mitspieler, etwa sechs oder sieben an der Zahl, waren meist ebenfalls Nordamerikaner, oder doch wenigstens Leute, die sich längere Zeit dort aufgehalten hatten. Die ganze Erscheinung hatte indessen etwas harmloses an sich, und ich glaube nicht, daß von allen Zuschauern nur zehn halbweg an die Wahrheit der Komödie geglaubt haben. Man besuchte eben die sogenannte Vorlesung des Doctors, wie man einen Taschenspieler besucht, oder einer anderen unschuldigen Abendunterhaltung beiwohnt: man lachte und scherzte. Dieß scheint der Geist zu sein, welcher überhaupt in der neuen Welt herrscht. In Europa hingegen und namentlich in Deutschland belacht man anfänglich wohl auch ähnliche Possen, und hilft zum Scherze Andere zu täuschen. Bald aber kommt der deutsche Ernst in's Spiel, man fängt an, selbst gläubig zu werden und blamirt sich nicht selten auf das Gründlichste.
Vielleicht bleibt das Wesen des wirklichen thierischen Magnetismus für immer in Dunkel gehüllt. Der Weg aber zur wissenschaftlichen Erforschung seiner räthselhaften Erscheinungen wird durch Kinder und Damen schwerlich gefunden, durch Charlantanerie aber und Selbstbetrug sicher versperrt.
Nun ich scheide von Chile, das mir werth geworden in der kurzen Dauer eines etwa siebenmonatlichen Aufenthaltes, nehme ich auch Abschied von den dort wohnenden deutschen Landsleuten, und wiederhole, daß ich die herzliche Aufnahme, die ich bei ihnen gefunden, dankbar und freudig bewahre, und daß sie mir eine der schönsten Erinnerungen geblieben ist an meine Reise.
Meteorologische Notizen über Chile.
Temperatur der Luft. In den südlichen Provinzen von Chile darf die Temperatur als eine niedrige angesehen werden, wenn man die Breitegrade in Erwägung zieht. Gegen Norden zu, z. B. in Copiapo und Coquimbo bei Dürre und anhaltendem Regenmangel ist eine ziemlich bedeutende Hitze. Ich habe zwar eine Reihe von Beobachtungen angestellt, allein da sie an verschiedenen Orten und Tageszeiten vorgenommen wurden, so haben sie nur wenigen Werth, und nur bei einigen konnten Mittel gezogen werden.
So fand ich für Valparaiso
1849 | August | vom | 19. | bis | 31. | + 11.7° R. |
" | September | " | 1. | " | 28. | + 11.9° " |
" | October | " | 8. | " | 17. | + 15.9° " |
Auf den Höhen bei den Windmühlen wurde gefunden vom 29. September bis 6. October + 10.3° R.
Für Santjago vom 20. bis 30. October + 13.8° R.
Für diese kleinen Reihen war die Beobachtungszeit des Morgens um 9, des Mittags um 12 und des Abends 10 Uhr.
Von Herrn Professor Domeyko habe ich aber Beobachtungen mitgetheilt erhalten, welche während der Jahre 1847-1848 und einem Theil des Jahres 1849 angestellt worden, und jedenfalls werthvoll sind, da Domeyko ein genauer und gewissenhafter Arbeiter ist. Der Ort der Beobachtung war Santjago. Die Stunden wurden des Morgens zwischen 9 und 10, des Nachmittags zwischen 3½ und 4½ Uhr bemerkt, und es wurde noch außerdem der höchste und niedrigste Stand während des Tages und der Nacht mittelst eines Thermometrographen abgelesen und mit berechnet. Die Scala war die hunderttheilige.
Es ergaben sich folgende Mittel:
für | Juni | 1847 | +11.2 |
" | Juli | " | +11.2 |
" | August | " | +11.2 |
" | Septbr. | " | +13.0 |
" | October | " | +16.4 |
" | November | " | +22.6 |
" | December | " | +22.6 |
" | Januar | 1848 | +23.8 |
" | Februar | " | +22.6 |
" | März | " | +20.3 |
" | April | " | +17.7 |
" | Mai | " | +13.3 |
" | Juni | " | +10.4 |
" | Juli | " | +8.7 |
" | August | " | +11.2 |
" | September | " | +14.8 |
" | October | " | +16.8 |
" | November | " | +19.7 |
" | December | " | +24.2 |
Die mittlere Temperatur für das Jahr 1848 ergiebt mithin: + 16.9° C.
Die Beobachtungen für das Jahr 1849 ergaben:
für | Januar | 1849 | +23.2 |
" | Februar | " | +21.7 |
" | März | " | +20.8 |
" | Mai | " | +12.6 |
" | Juni | " | +10.4 |
Was den Unterschied in der Temperatur zwischen Tag und Nacht betrifft, so habe ich in Valparaiso die Nächte warm gefunden, und auch in Valdivia keine sehr bedeutenden Unterschiede bemerkt zwischen der Temperatur des Tages und der Nacht. In Santjago aber finden ziemlich bedeutende Differenzen statt, wozu ohne Zweifel die Nähe der Cordillera das ihrige beiträgt. Dies geht ebenfalls zum Theil aus den Beobachtungen von Domeyko hervor, und ich will einige derselben, angestellt im Jahre 1849, anführen:
Höchster Stand während d. Tages |
Niederster Stand währ. d. Nacht |
||||
Januar | 1. | bis | 10. | +26.6 | +17.5 |
" | 11. | " | 20. | +27.8 | +16.7 |
" | 21. | " | 31. | +31.5 | +19.2 |
Februar | 1. | " | 10. | +28.5 | +14.3 |
" | 11. | " | 20. | +27.1 | +11.7 |
" | 21. | " | 28. | +31.0 | +17.3 |
März | 6. | " | 10. | +28.3 | +16.7 |
" | 11. | " | 20. | +26.8 | +15.9 |
" | 21. | " | 31. | +23.1 | +13.8 |
Mai | 1. | " | 10. | +16.8 | +9.4 |
" | 11. | " | 20. | +14.6 | +9.6 |
" | 21. | " | 31. | +17.3 | +7.9 |
Juni | 1. | " | 10. | +16.1 | +7.5 |
" | 11. | " | 20. | +13.0 | +5.8 |
" | 21. | " | 30. | +12.0 | +7.9 |
Schon aber habe ich erwähnt, welche bedeutende Unterschiede auf der Cordillera selbst stattfanden.
Die Temperatur der Quellen giebt in Chile wenigen Aufschluß über die mittlere Bodenwärme, da dieselbe zum größten Theil von äußeren Einflüssen bedingt ist. Die Quellen von Apoquindo habe ich schon oben erwähnt und ihre Temperatur angegeben.
Die Unterschiede, welche sich bei den Gebirgswassern auf der Cordillera selbst ergeben, zeigen am deutlichsten, wie sehr äußere Einflüsse einwirken, und man kann annehmen, daß alle Flüsse Chile's an der Stelle ihres ersten Ursprungs die Temperatur des frisch geschmolzenen Schnees haben, da sie von den Schneefeldern der Cordillera herabkommen und durch das allmälige Aufthauen desselben entstanden sind.
Ueber den atmosphärischen Druck habe ich eben so wenig eine zusammenhängende Reihe von Beobachtungen anstellen können, als über die Temperatur. Doch haben die wenigen Beobachtungen, welche ich machte, gezeigt, daß die regelmäßigen periodischen Schwankungen dort täglich stattfinden, und daß sich regelmäßig des Morgens um 9 und Abends um 10 die höheren Stände, und des Morgens und Abends um 4 Uhr die niedersten beobachten lassen. Ganz dasselbe Resultat hat auch Domeyko durch eine große Reihe von Beobachtungen erhalten, und nur ausnahmsweise hat einigemal das Gegentheil stattgefunden.
Auch hier will ich in Betreff der mittleren monatlichen Stände des Barometers Beobachtungen von Domeyko anführen, da solche natürlich mehr Werth haben, als die wenigen, die ich anstellen konnte.
Als mittleren monatlichen Stand für Santjago fand dieser Gelehrte
für | 1847 | Juni | 7177.2 |
" | " | Juli | 7169.1 |
" | " | August | 7180.7 |
" | " | September | 7174.4 |
" | " | October | 7167.5 |
" | " | November | 7136.5 |
" | " | December | 7150.3 |
für | 1848 | Januar | 7150.3 |
" | " | Februar | 7150.0 |
" | " | März | 7147.4 |
" | " | April | 7155.6 |
" | " | Mai | 7180.2 |
" | " | Juni | 7160.0 |
" | " | Juli | 7171.7 |
" | " | August | 7174.0 |
" | " | September | 7174.0 |
" | " | October | 7174.9 |
" | " | November | 7180.3 |
" | " | December | 7159.2 |
Als Mittel für 1847 ergab sich 716.51 M. M., für 1848: 716.44 M. M. Als höchster Stand für beide Jahre wurde gefunden 723.9 M. M., als niedrigster 708.5 M. M.
Windrichtung. Ich habe nur wenige Notizen in dieser Beziehung erhalten können, was Santjago und überhaupt den inneren Theil des Landes betrifft.
In Betreff der Winde und der Luftströmungen in der Cordillera habe ich bereits oben gesagt, daß sie als vollkommen lokal angenommen werden müssen. Es ist wahrscheinlich, daß auch in Santjago solche Luftströmungen auftreten, bedingt durch die ganze Masse des benachbarten Gebirges, und natürlich dort in größerem Maßstabe.
Die regelmäßigen Winde, welche an der Küste herrschen, haben ohne Zweifel einen ähnlichen Grund und werden hervorgerufen durch wechselweise Abkühlung des Landes und der See. In Valparaiso, so wie von einem großen Theile der ganzen Westküste beginnt meist der Wind des Morgens zwischen 9 oder 10 Uhr von Südwest oder Süd-Südwest zu wehen. Er dreht sich des Nachmittags gegen 3 bis 4 Uhr und kömmt dann von Nordwest oder Nordost. Meistens fand ich, daß diese letzteren Winde heftiger sind als die von Süd kommenden, welche des Morgens auftreten und man kann bisweilen, besonders auf den Höhen von Valparaiso nur mit Mühe in entgegengesetzter Richtung fortschreiten. Gegen den Abend legt sich der Wind, und fast immer sind die Nächte still und heiter. Nord und Nordost so wie Westwinde bringen in den Wintermonaten, Mai, Juni, Juli und August meist Regen, dies scheint wenigstens in Santjago der Fall zu sein.
Wolken und Regen sind während des Sommers im Flachlande von Chile eine Seltenheit, d. h. für den mittleren Theil von Chile. Gegen Norden wird Regen überhaupt immer seltener, während es gegen Süden so z. B. in Valdivia, auch des Sommers regnet. Ausnahmsweise und als eine Seltenheit zu betrachten, kömmt aber auch in Valparaiso bisweilen im Sommer Regen vor. So fiel während meiner Anwesenheit daselbst am 4. December des Abends 6½ bis 9 Uhr ein heftiger Regen.
Uebrigens findet eben daselbst auch im Sommer des Morgens Nebelbildung statt, welche aber bald verschwindet und einem heiteren wolkenfreien, tiefblauen Himmel Platz macht.
Ich habe in Valparaiso vom 18. bis 31. August 1849 7 heitere, 4 bewölkte und 3 Regentage verzeichnet. Im September 18 heitere Tage, 9 mehr oder weniger bewölkte und drei Regentage.
Beobachtungen von Santjago vom Jahre 1849 ergeben Folgendes: März 24 heitere Tage und 7 bewölkte, aber kein Regen.
Mai 15 heitere Tage, 10 bewölkte, 6 Regentage; während aller Regentage, mit Ausnahme eines einzigen, Nordwind.
Juni 14 heitere Tage, 7 bewölkte, 7 Regentage und diese mit stetem Nordwind.
In Valparaiso und auf der Cordillera habe ich täglich Thau getroffen, auf dem Flachlande fällt wohl auch Thau, aber wie es scheint, nicht täglich.
Gewitter finden im Flachlande und an der Küste nie statt, und es giebt in Chile Menschen genug, welche nie donnern hörten, das heißt oberirdisch, wenn man so sagen darf. Desto häufiger aber hört man dort das dumpfe Rollen unterirdischen Donners. Auf der Cordillera und in den Vorbergen derselben hingegen treten Gewitter auf, und ich selbst habe dort im November eines beobachtet.
Es geht aus diesen Notizen hervor, daß der Trockenheitszustand der Luft in Chile, namentlich während des Sommers, ein ziemlich hoher sein muß, und dieser Trockenheit so wie den regelmäßigen Winden mag vielleicht zum großen Theile zugerechnet werden können, daß dort im Verhältniß zu anderen Ländern so wenige Krankheiten herrschen und Chile als eines der gesündesten Länder betrachtet werden darf.
Alle jene verderblichen Seuchen der alten und neuen Welt: Pest, Cholera, gelbes Fieber, sind in Chile unbekannt; eben so kommen keine Wechselfieber vor, und der Typhus, diese continuirliche Geißel so vieler größeren Städte des alten Festlandes, fehlt ebenfalls. Doch versteht sich wohl von selbst, daß nicht alle Krankheiten fehlen; so tritt Phthisis und Tuberkulose auf, Icterus und Gallenkrankheiten überhaupt werden getroffen, und Entzündungen im Allgemeinen. Auch jene Krankheitsform, deren Genius eigentlich längst von der Erde verschwunden und welche nur durch Leichtsinn und Unvorsichtigkeit künstlich forterhalten wird, die Syphilis, wird dort getroffen, wie allenthalben auf der Erde. Aber auch ihr Verlauf ist gutartig und die primären Formen heilen häufig von selbst. –
Jedes Individuum vielleicht hat seinen moralischen Hemmschuh, sei es nun eine Idee, welche störend ihm entgegentritt, wenn er sich auf höheren Standpunkt emporzuschwingen versucht, sei es irgend eine Persönlichkeit, welche wie Blei an seinen Sohlen hängt und höheren Aufschwung verhindert. Diese wohlthätige Einrichtung ist von der gütigen Vorsehung ohne Zweifel deswegen getroffen worden, damit der Mensch nicht allzu glücklich und endlich auch allzu übermüthig werde.
Auch ganze Landstriche und Völkerschaften sind auf solche Weise, gleichsam durch Compensation, gegen allzu großes Glück und hieraus entspringenden Uebermuth geschützt. Hier tritt das gelbe Fieber oder die Cholera schützend auf, dort reichliche Steuern und höchst umsichtige Polizei, in einem dritten Lande sorgen wohlthätige Sümpfe, in einem vierten periodisch wiederkehrende größere Aufstände und Revolutionen dafür, allzugroßes Glück zu modificiren. Chile hat Nichts von allem dem. Dafür aber hat es die Erdbeben. Ich weiß nicht, ob irgend ein Land existirt, in welchem so häufige Erdstöße vorkommen als eben dort. Viele Erschütterungen sind so leise, daß sie nur von denen empfunden werden, welche im Lande geboren sind, oder doch wenigstens längere Zeit sich dort aufgehalten haben, und solche Erschütterungen sind vielleicht häufiger als man im Allgemeinen meint; denn man spricht kaum von ihnen und zudem werden sie nicht an allen Orten gleich stark gefühlt, so daß in ein und derselben Stadt selbst Kundige einen Erdstoß gar nicht fühlen, während in einer andern Straße die Menschen aus den Häusern rennen mit dem gewöhnlichen Rufe »il tiembla!«
Stärkere Erdstöße, welche in größeren Bezirken allgemein gefühlt werden, bei welchen Flaschen, Gläser, Teller und andere Gegenstände auf den Tischen wackeln, wohl auch herabgleiten, und bei welchen vielleicht auch irgend eine bereits schadhafte Mauer vollends einstürzt, können im Durchschnitte etwa alle 14 Tage bis 3 Wochen erwartet werden. Ich finde in meinem Tagebuche während meines Aufenthalts in Valparaiso leichtere Erdstöße, welche aber allgemein gefühlt wurden, und Schrecken erregten, folgende verzeichnet.
Am | 26. | August, | Abends | 6 | Uhr. | |
" | 31. | " | " | 5 | " | |
" | 8. | Septbr., | Morgens | 10 | " | |
" | 2. | October, | " | 4 | ½ | " |
Dieser letzte Erdstoß hielt sicher 5 bis 6 Sekunden an und war von unterirdischem Donner begleitet. Der bedeutendste Erdstoß aber, welchen ich in Valparaiso empfand, war am 20. Januar 1850 des Abends 8 Uhr. Bei heftigem unterirdischem Donner fand zugleich eine so heftige schüttelnde Bewegung statt, daß in einigen Häusern die Lichter von den Tischen fielen, und ebenso Gläser und andere Gegenstände. Auch die im Hafen liegenden Schiffe empfanden den Stoß bedeutend und der Obersteuermann des Dockenhuden glaubte, das Ankertau sei gesprengt. In Copiapo soll dieser Erdstoß Schaden gethan haben; man geht indessen leicht über solche Unfälle hinweg, sind sie einmal vorüber, trotz des Schreckens der sich der ganzen Bevölkerung bemächtigt, sobald nur ein leises Beben der Erde gefühlt wird.
Aber dieser Schrecken ist sehr natürlich und leicht zu verzeihen, wenn man bedenkt, daß Niemand wissen kann, ob diesem leichten Erdstoße nicht im andern Augenblicke ein heftiger folgt und vielleicht schon in einigen Minuten die Stadt in Trümmern liegt und die halbe Bevölkerung erschlagen unter denselben. So läuft bei der leisesten Erschütterung Alles unter dem Rufe: »il tiembla!« aus den Häusern und bleibt auf der Mitte der Straße stehen, um wenigstens für den ersten Augenblick vor dem Erschlagen durch das etwa einstürzende Haus gesichert zu sein. Alle Arbeiten, alle Geschäfte werden im Momente unterbrochen. Zarte, zärtliche, aber auch höchst unzarte, wenn gleich nothwendige Dinge, sind suspendirt mit dem Rufe »il tiembla« oder wohl auch »Santa Maria purimissima!« den vorzugsweise das schöne Geschlecht gebraucht. Natürlich nimmt man auf das Kostüm keine Rücksicht, und so finden sich sonderbare Gruppen auf den Straßen, wenn etwa des Nachts eine Erschütterung sich kund giebt. Denn auch zur Nachtzeit und selbst im Schlafe liegend, fühlt man leicht, ja besser als bei Tage, eine unbedeutende Erschütterung der Erde, da eine solche auf den Liegenden stärker reagirt, als auf den, welcher steht oder sich fortbewegt, ohne Zweifel weil eine größere Oberfläche des Körpers direkt mit der Erde in Berührung ist.
Es ist übrigens eine eigenthümliche Empfindung um einen solchen Erdstoß. Man ist gewohnt, die alte Mutter Erde wenigstens fest und zuverlässig unter sich zu wissen, mag auch im Leben uns schon mancherlei perfid gewankt und gewichen sein, auf welches wir ebenfalls Häuser bauen zu können vermeinten. Da bewegt sich plötzlich convulsivisch der Boden unter uns, und der dumpf zu unseren Füßen grollende Donner giebt Zeugschaft von gewaltigen Kräften, welche vielleicht schon im andern Augenblicke zerstörend, ja vernichtend auftreten. Das Unheimliche der Erscheinung wird durch den gleichzeitigen Angstruf der ganzen Bevölkerung vermehrt, und durch das Heulen der sämmtlichen Hunde. Dieß dauert einige Sekunden. Dann lautlose Stille. Folgt ein zweiter Stoß? Wird ein wirkliches Erdbeben mit allen seinen Schrecken, allen seinen Verwüstungen eintreten? Aber schon nach einigen Minuten ist scheinbar Alles vergessen und Jeder geht wieder an das unterbrochene Geschäft oder schickt sich an, das gestörte Vergnügen fortzusetzen. Es war nur ein Temblor, kein Terremoto, nur ein leichtes Erzittern der Erde, kein Beben derselben.
Die Ursache aller Erderschütterungen in Chile vom leisen, kaum fühlbaren Erzittern der Erde bis zu Wochen, ja Monate lang anhaltenden heftigen, Alles zerstörenden, wirklichen Erdbeben, ist unschwer zu errathen. Das ganze Land ruht auf einem ungeheuern vulkanischen Herde und die gegenwärtigen Erschütterungen sind Nachklänge jener gewaltigen Katastrophe, während welcher Chile und wohl der größere Theil der Westküste emporgehoben wurde.
Die Vulkane der Andeskette sind als die Feueressen zu betrachten, durch welche jene unterirdischen Feuer mit der Atmosphäre in Verbindung stehen. Fast ununterbrochen sind sie in Thätigkeit und geben Zeugniß von den Reactionen, welche in der Tiefe vorgehen müssen.
Es sind in Chile zwei Erfahrungen in Betreff der Erdbeben gemacht worden, wodurch man beiläufig im Stande ist zu vermuthen, ob in der nächsten Zeit ein Erdstoß von einiger Intensität erfolgen wird. Dieß ist einmal das längere Aussetzen irgend einer Erschütterung überhaupt, und zweitens eine gewisse Ruhe der Vulkane. Obgleich bei größeren Erdbeben das Volk leicht geneigt ist, ein göttliches Strafgericht in demselben zu erblicken, glaubt man doch allgemein, daß längere Ruhe einen heftigeren Sturm verkündet.
Man kann annehmen, daß durch irgend einen Vorgang jene Kanäle verstopft worden sind, welche aus dem Innern der Erde zu den Vulkanen führen, so daß deren Thätigkeit gegen außen auf einige Zeit gehemmt wird, während in der Tiefe indessen die colossale Wechselwirkung chemischer Kräfte keineswegs stille steht, sondern Massen von Gasen anhäuft, welche nicht mehr entweichen können, da ihre Abzugskanäle gesperrt sind. Ein gewaltsamer Ausbruch an irgend einer Stelle, und eine mehr oder weniger heftige Erschütterung der Erdkruste, welche jenem unterirdischen Feuer zur Decke dient, ist die natürliche Folge.
Es ist eine in Chile lange Jahre hindurch bestätigte Erfahrung, daß durch keinerlei andere Vorläufer ein Erdbeben angezeigt wird. Kein meteorologisches Phänomen, keine Schwankungen des Barometers zeigen sie an. Unmöglich kann ich hier auf Ursache und Wesen der Erdbeben näher eingehen, aber ich will als Beweis des eben Gesagten die Beobachtung anführen, welche Herr Louis Troncoso in der Serena von Coquimbo in den ersten Monaten des Jahrs 1849 angestellt hat. Domeyko hatte in den Jahren 1838 bis 1842 den mittleren Barometerstand (reducirt auf 0°) für dort auf 759.35 festgestellt.
Troncoso beobachtete nun während der Erdstöße folgende, ebenfalls auf 0° reducirte Barometerstände:
Erdstoß | am | 7. | Januar, | Morgens | 11 | Uhr: | 759.70 | |
" | " | 29. | " | Abends | 8 | " | 759.20 | |
" | " | 4. | Februar, | Mittag | 1 | ½ | " | 759.20 |
" | " | 21. | " | Abends | 8 | ½ | " | 759.50 |
" | " | 1. | März, | Morgens | 3 | ½ | " | 759.80 |
" | " | 18. | " | Morgens | 5 | ½ | " | 760.60 |
" | " | 8. | April, | Morgens | 5 | ¼ | " | 759.50 |
" | " | 9. | " | Morgens | 6 | ¼ | " | 759.90 |
" | " | 23. | " | Abends | 5 | " | 759.60 | |
" | " | 30. | " | Abends | 8 | " | 760.40 |
Alle Erdstöße treffen also hier mit einem mittleren Barometerstande zusammen, oder vielleicht sogar, wenn man will, mit einem der die mittlere Höhe ein wenig übersteigt.
Ich gestehe, daß ich egoistisch genug war, für die Dauer meines Aufenthalts in Chile mir einen etwas deutlich ausgesprochenen Erdstoß zu wünschen. Da aber bloß ein einziges Haus einfiel, während der Erschütterung vom 14. November, so kann ich nicht sagen, daß mein Wunsch erhört worden und ich vermag nicht als Augenzeuge die Vorgänge zu schildern, welche bei einem größern Erdbeben stattfinden.
Aber ich will einige Beobachtungen anführen, welche Dr. Miguel in Chile während des berüchtigten Erdbebens vom Jahre 1822 angestellt hat. Sie sind, wie ich glaube, in Europa noch wenig in ihrem Detail bekannt, und vorzugsweise deßwegen merkwürdig, weil jenes Erdbeben so heftige Einwirkung auf den Gesundheitszustand der gesammten Bevölkerung ausübte.
Es war, sagt Dr. Miguel, eine heitere, liebliche November-Nacht. Die Atmosphäre war klar und hell, und der herrliche Himmel von Santjago erschien in seiner ganzen imponirenden Pracht. Der Mond stand in der Mitte seines ersten Viertels, aber die Sterne leuchteten so hell und glänzend, daß man alles deutlich erkennen konnte. Das Barometer stand 28'' 2¾''', und das Thermometer 70 Fahrenheit und zugleich war vollständige Windstille.
Da zeigte sich plötzlich um 10 Uhr und 37 Minuten, ohne daß irgend ein Geräusch oder ein anderes Zeichen vorangegangen wäre, ein heftiges Schütteln der Erde, mit einer starken, wellenförmigen Bewegung derselben von Ost nach West, und die Stöße waren so heftig und gewaltsam, daß man nur mit Mühe festen Fuß behalten konnte. Die größte Stärke der Erscheinung dauerte zwei Minuten und 30 Sekunden, während welcher Zeit die Erde keinen Augenblick ruhig war, aber das eigentliche Erdbeben dauerte fast an zwei Monate und es erfolgten während dieser Zeit 20 sehr starke Erschütterungen und 150 nicht so heftige.
Man kann sich denken, welcher Schreck, welche Verwüstung entstand, zudem da an andern Orten die Erscheinung mit noch größerer Intensität auftrat, so z. B. in Valparaiso, in Casablanca, Illapel und la Ligua, welche sämmtlich fast gänzlich zerstört wurden, und wo über zweihundert Menschen ihr Leben verloren.
Bald nach den ersten Stößen wurde die Luft trübe und dunstig, was etwa 16 Stunden anhielt, und 6 Stunden lang fiel ein heftiger und starker Regen; zugleich spaltete sich an vielen Orten der Boden und es ergoß sich aus den Rissen dunkelgefärbtes und übelriechendes Wasser; an andern Orten drang aus den Spalten auch Feuer hervor. Am 20. November des Morgens um 3 Uhr fuhr von der Cordillera aus eine große, hell-leuchtende Feuerkugel[42] über das Land hinweg auf die See zu; diese Erscheinung wurde allgemein beobachtet, da Niemand sich unter Dach zu bleiben getraute, und Alles auf freiem Felde verweilte. Während des Erdbebens wurde an mehreren Orten ein sehr bedeutendes Fallen des Barometers beobachtet, zugleich zeigte die Magnetnadel die heftigsten Schwankungen und drehte sich ohne stille zu stehen, mehrmals um ihre eigene Axe, sobald sehr heftige Stöße erfolgten. Höchst interessant ist ferner, daß während der zwei Monate, so lange das Erdbeben dauerte, die Nadel eine ganz außergewöhnliche Zunahme der Inclination zeigte, und es wurde dieß nicht nur in Santjago, sondern auch im Hafen von Valparaiso von mehreren Kapitänen bemerkt.
In den warmen Bädern von Cauquenes und Colina setzten mehrere Quellen aus, veränderten seit jener Zeit ihre Temperatur beträchtlich, und einige derselben blieben auch gänzlich aus; an andern Orten aber kamen plötzlich neue Quellen zum Vorschein. Während aber allenthalben der Boden Risse und Spalten bekam und überhaupt im Lande alles in Aufruhr und die Natur in der lebhaftesten Action begriffen war, zeigten die Vulkane, welche man von der Stadt aus beobachten konnte, nur eine geringe Thätigkeit und vor dem Erdbeben waren sie ganz ruhig.
Dies sind die vorzüglichsten Erscheinungen, unter welchen das Erdbeben auftrat, aber die interessantesten Mittheilungen macht Dr. Miguel, der zu jener Zeit Hospitalarzt in Santjago war, über den Einfluß, welchen die ganze Masse jener furchtbaren Ereignisse auf die ganze Bevölkerung, und auf den Gesundheitszustand derselben hervorrief.
Fast zu allen Zeiten hat man die Erfahrung gemacht, daß ähnliche Phänomene und Ereignisse, welche ein ganzes Volk in heftigen Schreck oder Entmuthigung versetzten, theils eigenthümliche Seuchen hervorriefen, theils den Charakter schon bestehender Krankheiten höchst bedrohlich verschlimmert haben, und die sogleich folgenden Angaben von Miguel bestätigen jene Wahrnehmung vollkommen.
Dyssenterie, welche vor jener Zeit gutartig und selbst wenig verbreitet war, nahm einen bösartigen Charakter an und wurde epidemisch. Das Aneurisma wurde zur wahren Geißel von Santjago. Während der 48 Stunden, in welchen die heftigsten Erdstöße folgten, zeigten sich in medicinischer und chirurgischer Hinsicht die eigenthümlichsten Modificationen. Es zeigten sich heftige Fieber mit Schüttelfrösten und darauf folgenden Delirien. In verschiedenen chirurgischen Fällen, wo blos leichte Geschwüre vorhanden waren, traten plötzlich rothlaufartige Flecken auf, welche sich rasch über den ganzen Körper verbreiteten und gewöhnlich ging dieses Rothlauf in Gangrän über und es erfolgte der Tod.
Derselbe Fall fand statt, wenn nur irgend eine geringfügige Operation gemacht wurde. Es erfolgten rothlaufartige Erscheinungen, Gangrän und meist der Tod.
Vorzüglich waren es die Wöchnerinnen, welche diesem Uebel unterworfen waren, und in ganz kurzer Zeit starben allein 67 Frauen, welche alle den höheren Ständen angehörten. Die Neugeborenen folgten ihnen, indem sich die Krankheit, von der Nabelschnur ausgehend, rasch über den ganzen Körper verbreitete. Kinder, welchen man kleine Löcher zum Tragen der Ohrringe gestochen hatte, starben häufig und rasch unter ähnlichen Erscheinungen, kurz es zog die unbedeutendste Verwundung, welche sonst in einigen Tagen vollkommen heil gewesen wäre, zu jener Zeit rasch den Tod nach sich. Ein ganz interessanter Fall ist aber noch folgender. Die eigentliche Hundswuth war vor dieser Zeit in Chile unbekannt. Es trifft sich wohl, daß hie und da ein Hund oder ein anderes Thier von einer ähnlichen Krankheit befallen wird. Man nennt in Chile das Thier alsdann »närrisch,« es läuft wie toll umher und beißt ohne Unterschied Thiere und Menschen. Aber diese Bißwunden zeigen nicht die eigenthümlichen Erscheinungen der Hundswuth und die Gebissenen genesen vollständig und ohne Folgen in kurzer Zeit. Zur Zeit des Erdbebens indessen wurde ein Franzose in Santjago von einem Schweine in den Finger gebissen. Die erwähnten rothlaufartigen Erscheinungen traten nach 24 Stunden ein, nach drei Tagen bereits war Gangrän eingetreten, und der Kranke starb unter allen Zeichen der vollständig ausgebildeten Hundswuth.
Sobald das Erdbeben aufgehört hatte, verschwanden schnell alle Krankheiten, welche während desselben aufgetreten waren und die, welche schon vorher bestanden hatten, verloren vollständig ihren bösartigen Charakter.
Daß alle diese furchtbaren Erscheinungen, zu welchen sich noch Nervenleiden aller Art gesellten, eine Folge des Erdbebens gewesen, unterliegt wohl keinem Zweifel; ob sie indessen durch einen eigenthümlichen Zustand der Atmosphäre während jener Zeit hervorgerufen worden sind, oder ob sie, wenn man so sagen darf, durch die moralische Einwirkung der Angst und des Schreckens auf das Gemüth entstanden sind, kann hier nicht untersucht oder näher erörtert werden.
Aber ich habe diese Schilderung mitgetheilt, um zu zeigen, wie allgemein und bis zu welchem hohen Grade das Unglück des ganzen Landes gesteigert werden kann beim Eintritt einer solchen Katastrophe, und da jeden Augenblick sich solches ereignen kann, mag die Furcht, welche sich auch bei einem leichten Erdstoße äußert, wohl entschuldigt werden. –
Ich will noch kurz einer Erscheinung erwähnen, welche einigermaßen verwandt mit dem Erdbeben ist, ich meine das Leuchten der Vulkane.
Man hat, so viel mir bekannt ist, dieses Phänomen blos bei den Vulkanen eines Theils der Andeskette wahrgenommen, und es ist noch nicht erklärt, warum es nicht auch bei anderen Feuerbergen getroffen wird[43]. Ich habe dieses Leuchten in Valparaiso und Santjago und selbst auch von See aus gesehen. Später beobachtete ich es auch in Bolivien. Es läßt sich ganz gut mit dem sogenannten Wetterleuchten vergleichen, und es ist leicht möglich, daß ein flüchtiger Beobachter beide Erscheinungen verwechselt. Indessen finden zwei Kennzeichen statt, welche bei näherer Beachtung beide Phänomene gut unterscheiden lassen. Das Leuchten der Vulkane, so gut wie das Wetterleuchten, ist eine sekundenlange Erleuchtung des Horizontes, mehr oder weniger intensiv und stets auf eine, nicht sehr bedeutend große Stelle des Himmels beschränkt. Fast immer aber findet das Wetterleuchten am Rande des Horizontes statt, so daß dasselbe scheinbar hinter dem Walde, Berge, oder dem Gegenstande, welcher eben die Grenze des Horizontes bildet, herzukommen scheint, oder wenigstens hinter den Wolken, welche vielleicht oberhalb jener Berge am Himmel aufgestiegen sind. Könnte man die Erscheinung fixiren, so würde sie mehr oder weniger einen Halbkreis bilden. Das Leuchten der Vulkane aber an Intensität und Zeitdauer einem schwachen Wetterleuchten ähnlich, tritt abgegrenzt am Horizonte auf, als eine Lichterscheinung, welche sich der kreisrunden Form nähert, ähnlich dem Wiederscheine einer nicht sehr entfernten Feuersbrunst. Dies ist wenigstens der Fall, wenn man einen einigermaßen entfernten Standpunkt vom Orte des Entstehens hat, so etwa von Valparaiso aus gegen die Andes-Kette zu; dicht am Gebirge selbst hingegen wird es ähnlich dem Wetterleuchten gesehen, und scheinbar hinter den Bergen ansteigend.
Der andere Unterschied ist die Stelle des Himmels, der Ort, wo das momentane Aufblitzen stattfindet. Das Wetterleuchten, ohne Zweifel entfernter Blitz oder wenigstens eine sehr verwandte ähnliche Erscheinung, findet nach allen Richtungen des Horizontes hin statt, bald hier, bald dort, und eben in der Himmelsgegend, in welcher der elektrische Proceß auftritt. Aber das Leuchten der Vulkane ist stets auf eine bestimmte Stelle des Himmels beschränkt, und wird, in so vielen Nächten man es auch beobachtet, stets an ein und derselben Stelle gesehen, wenn der Beobachter seinen Standpunkt nicht verändert.
Befestigt man ein Rohr, etwa von Pappe, an irgend einen Gegenstand und richtet dasselbe auf den Mittelpunkt der Lichterscheinung, so kann man alle folgenden Nächte, in welchen sie überhaupt auftritt, auch genau dieselbe wieder durch das Rohr beobachten.
Es geht also das Licht stets von ein und derselben Stelle aus.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, wie sich die Erscheinung dem Auge darstellt. Sie ist ein momentaner Lichtblitz, der sich oberhalb des Kraters eines Vulkanes am Himmel zeigt. Durch Meyen, welcher in der Nähe beobachten konnte, ist dies hergestellt, und durch die allgemeine Stimme in Chile bestätigt, indem man dort davon als von einer ausgemachten Sache spricht. Meyen hat während des Aufleuchtens einen feurigen Klumpen aus dem Vulkane emporschleudern und wieder in denselben zurückstürzen sehen, zu anderen Zeiten hörte er ein dumpfes Geräusch, welches er mit entferntem Donner vergleicht.
Da ich, wie schon gesagt, zu entfernt von dem Orte des Entstehens war, bemerkte ich Nichts derartiges, aber ich habe anhaltend viele Nächte hinter einander, und dies fast während meines ganzen zweiten und dritten Aufenthaltes in Valparaiso, und eben so in Santjago, das entfernte Leuchten selbst beobachtet. Später in der Algodonbai in Bolivien, habe ich es mit Ausnahme ganz heller Mondnächte ebenfalls täglich gesehen, und dort wie in Valparaiso fand das Aufblitzen in Intervallen von 10 bis 12 Minuten statt. Einmal war das Licht stärker, ein ander Mal wieder schwächer, indessen ohne alle bestimmte Reihenfolge. Ich wurde in der Algodonbai durch den Wiederschein aufmerksam gemacht, welchen das Licht am Tauwerke des Schiffes hervorbrachte, und welchen ich wahrnahm, indem ich der leuchtenden Stelle am Horizonte den Rücken zukehrte. Dort schien das Licht hinter den Bergen hervorzukommen, da das Schiff sehr nahe am Lande, und dicht an dem ziemlich hohen Küstengebirge lag, und es ging das Leuchten wahrscheinlich von dem Vulkane Acongagua aus, welcher in jener Richtung lag. In Valparaiso aber, wo es von der hohen Cordilla Chile's herkam, betrug seine scheinbare Höhe oberhalb des Horizonts einige Grade.
Ich glaube, daß die Erscheinung bedingt ist durch die feurigflüssige Lava im Innern des Kraters, welche von Zeit zu Zeit aufblitzt. Naumann hat in seinem vortrefflichen Handbuche der Geognosie hierauf hingewiesen und ich habe bereits in Chile gegen Landsleute das Gleiche ausgesprochen. Vielleicht ist das plötzliche momentane Erglühen von einem elektrischen Processe bedingt, welcher auf der Oberfläche der Lava vor sich geht, vielleicht aber rührt es von Gasmassen her, welche, von unten emporsteigend, die Lava durchdringen, dieselbe in Bewegung setzen, und tiefere, heller erglühende Partien derselben an die Oberfläche bringen.
Unter allen Verhältnissen aber ist es immer interessant, daß bis jetzt blos bei den Feuerbergen der Andes-Kette dieses Leuchten beobachtet worden ist. Es läßt sich hieraus vielleicht auf eine höchst intensive Thätigkeit des unterirdischen Gesammtherdes vulkanischer Thätigkeit schließen, vielleicht aber sind auch Ursachen im Spiele, welche man bis jetzt nicht vermuthet hat, z. B. Detonationen von Gasarten, oder Aehnliches.
Kosmische Erscheinungen, welche ich in Chile beobachtet, habe ich nur wenige anzuführen. Ich habe schon von der Intensität berichtet, mit welcher auf der hohen Cordillera das Zodiakallicht auftritt, ich muß aber hier noch beifügen, daß auch im Flachlande von Chile dasselbe schön und leuchtend gesehen wird, wenngleich nicht in jener Lebhaftigkeit und Lichtstärke wie auf dem Gebirge.
In Betreff der Sternschnuppen kann ich nicht behaupten, daß dieselben eben häufiger gewesen als bei uns, oder überhaupt in höheren Breitegegenden. Aber sie schienen mir leuchtender aufzutreten und zugleich niedriger zu gehen.
Die letzte Beobachtung hat schon Meyen gemacht und er spricht von einer Sternschnuppe, welche er am Fuße der Cordillera von Rancagua beobachtete, und welche so tief ging, daß sie in den Schatten der Gebirgskette trat, mithin niedriger als die Spitze des Gebirges selbst ziehen mußte. Ich selbst aber habe mehrmals von der Cordillera aus Sternschnuppen über das Flachland von Chile gehen sehen, welche mindestens in gleicher Höhe mit dem Standpunkt, auf welchem ich mich befand, dahinzogen. Dies könnte eine Täuschung sein, allein da nur dieses niedrige Ziehen der erwähnten Meteore für einen größeren Theil der Westküste stattzufinden scheint, so will ich hier gleich einer Erscheinung erwähnen, welche ich im Hafen von Callao beobachtet habe, und wo eine ähnliche Täuschung nicht wohl möglich war.
Es senkt sich dort meistens des Abends eine wolkenähnliche Nebelschicht abwärts, sowohl über die See, als auch über das Küstenland. Als wir im Monate März (1850) dort vor Anker lagen, und die Nebel, sich in dichten Massen herabsenkend, bald die Gipfel der Felsen-Insel St. Lorenzo erreicht hatten, zog etwa 8 bis 10 Minuten nach Sonnenuntergang eine Sternschnuppe von Südost nach Nordwest deutlich unterhalb der Nebelschicht und zwar nicht mit funkensprühendem Schweife, aber doch hell und mit röthlichem Lichte leuchtend dahin. Doch konnte die Erscheinung, welche mit großer Schnelligkeit dahin fuhr, kaum länger als eine Sekunde beobachtet werden. Die Höhe der Insel Lorenzo ist mir zwar nicht genau bekannt, aber wohl schwerlich war die Nebellage höher als 3000 Fuß vom Meeresspiegel entfernt, und es mußte daher das Meteor in dieser Höhe gezogen sein.
Wenn man dies, so wie die anderen niedrig gehenden Sternschnuppen, nicht als eine Ausnahme betrachten will, so weiß ich sehr gut, daß es nicht mit der herrschenden Ansicht über den kosmischen Ursprung dieser Meteore zusammenpaßt, an einem bestimmten Theile der Erde ein so nahes Vorübergehn oder vielleicht häufigeres Herabstürzen auf dieselbe anzunehmen, als anderswo. Ich selbst hänge jener Ansicht vom kosmischen Ursprunge der Sternschnuppen an, aber nichts desto weniger mußte ich dennoch berichten, was ich wahrgenommen habe.
Die geographischen Verhältnisse Chile's überhaupt und ein Theil der meteorologischen Erscheinungen, welche dort auftreten, haben in mir die Idee hervorgerufen, daß Chile, so wie überhaupt ein Theil der übrigen Westküste, ein noch verhältnißmäßig junges Land ist.
Es wird dies bestätigt durch die spärliche Fauna, welche dort angetroffen wird. Ich habe von Chile, mit Einschluß der hohen Cordillera, 2 Echinodermen, etwa 10 Species von Molusken, Insekten an 100 Arten, 6 Krebse und eine geringe Anzahl von Amphibien mitgebracht. Von Vögeln 70 und etliche Arten, Säugethiere hingegen nur 7 Species.
Selbst in den dichten und feuchten Wäldern von Valdivia habe ich nur einige Insekten gefunden, obgleich mir, dem früheren eifrigen Sammler, die Fundorte wohl bekannt waren. Die Land- und Südwasser-Schnecken, und eben so die Amphibien, sind spärlich vertreten. Auch Säugethiere sind nur wenige vorhanden. Nur die Vögel repräsentiren ziemlich zahlreich das Thiergeschlecht.
Ohne weiter einzugehen auf das Entstehen der Thierwelt in einem neu entstandenen, aus den Fluthen des Meeres durch vulkanische Kräfte gehobenen Lande, fällt doch sogleich in die Augen, daß die gegenwärtig in Chile bestehende Fauna die Ansicht von der nicht langen Existenz des Landes unterstützt. Der Säugethiere sind wenige, und von diesen mögen die Puma, das Guanaco, der Cordillera-Fuchs, und selbst einige der auf dem Gebirge lebenden Rattenarten über das letztere selbst von der Ostküste hergekommen sein. Ihnen wenigstens waren jene Schneemauern und Schluchten der Andes-Kette keine unübersteiglichen Hindernisse.
Ein gleicher Fall findet mit den reichlicher vertretenen Vögeln statt, und ein großer Theil derselben kann sehr wohl über die Cordillera in das neue Land gekommen sein. Die Insekten aber, die Amphibien und Molusken, für welche die Andes-Kette mit ihren Schneefeldern wohl eine unübersteigliche Scheidewand gebildet hat, und welche in geringer Anzahl gegen andere Länder unter gleichen Breitegraden vorhanden, bestätigen jene Theorie von der Jugend des Landes, welche sich mir unwillkürlich aufgedrängt hat.
Am 24. Jaunar verließen wir den Hafen von Valparaiso. Da ich, wie man weiß, auf dem Dockenhuden bereits heimisch, war meine Einrichtung bald getroffen. Doch wurde mit Vorsicht verstaut, und eine Menge Gegenstände mußten zur Hand bleiben, da noch mehrere Häfen zu besuchen waren, und namentlich in der Algodonbai gesammelt werden sollte.
Ich hatte eine ganz nette Koje für mich allein, neben der gemeinschaftlichen Kajüte und der des Kapitains gegenüber. In einem Vorraum, durch welchen man in die Kajüte gelangte, schliefen die beiden Steuerleute und ein Kapitain Müller, welcher als Passagier mit uns die Reise machen sollte, da er sein Schiff in Californien verkauft hatte. Während ich noch mit zweckmäßiger Vertheilung von hundert Flaschen Ale beschäftigt war, die ich zu meinem Privatgebrauche an Bord gebracht, entstand auf Deck und im Raume ein wahrer Höllenlärm. Fluchen und Gelächter, Zank und Bitte, dazwischen Weibergekreische, Alles zusammen halb spanisch, halb deutsch, bildete jenes verworrene Toben, dessen Ursache ich, auf Deck eilend, alsbald erfuhr.
Wir hatten als Passagiere im Zwischendeck etwa 30 Chilenen, welche als Arbeiter in die Kupferminen der Algodonbai gehen sollten. In den dortigen Werken wird unter den Arbeitern kein Weib geduldet. Da in der Bai überhaupt keine Pflanzen, also auch keine Blumen und Rosen wachsen, welche in das Leben zu flechten wären, so hat man ohne Zweifel die Anwesenheit der webenden Frauen für überflüssig gehalten. Vielleicht hat man dieß auch prosaischer Weise deßhalb gethan, da dort die Kost und das Wasser schmal, weil alles zu Schiffe dorthin gebracht werden muß, oder weil man den Frieden in der kleinen Kolonie zu erhalten trachtet. Kurz – das barbarische Verbot existirt. Aber während sämmtliche Weiber und Freundinnen der zukünftigen Bergleute Abschied nehmend dieselben an Bord begleitet hatten, waren zwei Stücke dieser verbotenen Waare im Raume versteckt worden. Einmal auf hoher See hoffte man das Schmuggelgut an das Tageslicht bringen zu dürfen; entdeckt aber, noch ehe das letzte Boot von Bord ging, wurden die Unglücklichen aus den leeren Mehlfässern, in welchen sie sich geborgen, gezogen, und mitleidslos in jenes Boot gebündelt. Beide Opfer treuer Anhänglichkeit an ohne Zweifel mehr als zwei Gegenstände, waren etwas wohlbeleibten Wuchses, und so sahen sie, über und über mit Mehl bestäubt im Boote knieend, zwei bayerischen Dampfnudeln nicht unähnlich, welche eben im Begriffe sind, ihrer letzten Vollendung entgegenzugehen. –
Wir hatten guten Wind, und die Küste bald aus den Augen. Delphine fanden sich bald ein, uns streckenweise begleitend, auch sahen wir einen starken Zug Butzköpfe in See, am Bord aber lag das vor Kurzem noch heitere Völkchen der chilenischen Begleiter ächzend und stöhnend, denn alle waren seekrank.
Am 29. näherten wir uns wieder der Küste und behielten sie im Auge bis wir Cobija erreicht hatten.
Dort an der Küste von Bolivien tritt der bereits erwähnte sterile Charakter derselben scharf ausgesprochen hervor.
Steile felsige Abhänge, von 1500 bis vielleicht 3000 Fuß Höhe, an welchen sich eine tobende, donnernde Brandung bricht, und welche meist direkt in See abfallen, sind der Haupt-Typus derselben. Diese Felsenberge sind meist röthlich und röthlich-grau, scheinbar theilweise geschichtet und hie und da von Schluchten durchsetzt, deren Sohlen mit Schutt und Geröll bedeckt sind. Bisweilen fallen aber jene Berge nicht sogleich in See ab, sondern auf eine halbe oder ganze englische Meile weit verflacht sich das Ufer der See, und diese Stellen sind dann mit weißen Muschelfragmenten und den gebleichten Knochen von Robben, Delphinen und Wallfischen bedeckt, die durch Springfluthen dorthin geworfen worden sind. Jene schwarzen kegelförmigen Formen, welche meist der großen Familie des Grünsteins angehören, und deren ich schon früher erwähnte, stehen dann, sonderbar abstechend von dem weißen Grunde, in Gruppen und bisweilen so eigenthümlich geordnet dort, daß ich anfänglich Baureste einer alten längst vergangenen Zeit zu sehen glaubte. Aber auch wo die größeren Felswände direkt in die See abfallend das eigentliche Ufer bilden, ragen mehr oder weniger entfernt von denselben, jene spitzen, schwarzen Kegel aus dem Meere hervor, und dann bricht sich die Brandung mit verdoppelter Heftigkeit an der Küste, indem eine riesige Welle nach der andern jene Kegel überströmt.
Die Mexillones- und Moreno-Bai machen gewissermaßen eine Ausnahme hievon, wenn gleich auch dort keineswegs der Charakter der Wüste und Sterilität fehlt. Bei der Moreno-Bai erhebt sich ein steiler, wohl 3000 Fuß hoher Berg zwar dicht an der See, aber zu beiden Seiten sind flachere Küstenstriche, welche eine wahre Felsenwüste bilden durch isolirt stehende und aus dem blendend-weißen Boden von Muschelgras und Sand hervorgeschobene Gesteinsgruppen.
Ein ähnliches Bild giebt die Mexillones-Bai. Abwechselnd 1 bis 10 englische Meilen weit erstreckt sich hier die sandige Küste landeinwärts, bis sie durch steilere Abhänge und Felsenhügel begrenzt wird, wie sie sonst sich an der Küste finden. Es ziehen sich dort lange Dünen am Ufer entlang, und zwischen ihnen liegt die Mexillones-Bai, in welche nur selten Schiffe einlaufen um Guano zu laden.
Als wir vorüberfuhren an der einsamen Bai, lag ein Schooner in derselben. Das kleine, düster aussehende Fahrzeug machte einen fast unheimlichen Eindruck, der noch dadurch erhöht wurde, daß durch unsere Fernrohre keine Seele entdeckt werden konnte, und eben so Niemand am Ufer.
Wohl bedarf es kaum der Erwähnung, welchen Reiz es gewährt, auf solche Weise das Bild einer Landschaft vor sich aufgerollt zu sehen, welche, wenn gleich nur Küstengegend und wüstenartig, doch dem Geognosten vielfaches Interesse bietet. Aber auch abgesehen hievon ist es eine ganz eigenthümliche Empfindung, im Fluge die lebenden Gebilde einer fernen Gegend vor sich zu erblicken, von welcher man gehört und gelesen, und sich früher zu Hause wohl mancherlei Bilder entworfen. Es ist hier der Phantasie der reichste Spielraum geboten, aber zugleich bleibt stets ein gewisses Unbefriedigtsein zurück. Einmal gelandet, treten ganz andere Motive auf. Alle Thätigkeit entwickelt sich, man hat figürlich und in der That festen Boden unter sich, nimmt gewissermaßen moralischen Besitz von dem Lande, und etwa vorgefaßte Begriffe sind rasch verschwunden vor der auftretenden Wirklichkeit.
Wir liefen am 30. Januar gegen Abend im Hafen von Cobija ein. Derselbe ist, wie fast alle andern Häfen der Westküste Amerikas, gegen die Nordwinde nur unzulänglich geschützt, bietet indessen gegen andere Winde ziemliche Sicherheit. Die Stadt selbst, der vorzüglichste Stapelplatz Boliviens, ist auf einer jener flachen Küstenparthieen erbaut, welche etwa eine englische Meile weit vom eigentlichen Ufer der See, bis an die dann rasch steil ansteigenden Küstenberge reichen. Der Charakter der Stadt ist ein eigenthümlicher. Mit wenigen Ausnahmen sind die Häuser einstöckig und von bräunlicher Farbe, weil aus ungebranntem, nicht übertünchten Lehm erbaut, und mit vollkommen flachem Dache. Trotz der ziemlich starken Hitze[44] habe ich dort Häuser oder besser Wohnungen gesehen, welche aus Blech construirt waren, d. h. man hatte das Blechfutter alter Kisten, in welchen Waaren über See gebracht worden waren, an einzelne in die Erde gerammte Pfähle befestigt, so die Wände, und durch Einschnitte Thüren und Fenster zu Stande gebracht. Es schien zur Zeit meines Dortseins übrigens ziemlich lebhafte Thätigkeit zu herrschen, und an mehreren Orten wurde gebaut.
Ich glaube nicht, daß die Einwohnerzahl 3000 übersteigt und es ist die Bevölkerung eine ziemlich gemischte. Die eigentlichen eingebornen Bolivianer schienen mir brauner von Farbe als die Chilenen und Peruaner zu sein. Indessen bewohnen auch Europäer den Platz, und wir wurden von einem Franzosen freundlich aufgenommen, der meine demnächstige Ankunft in den Kupferwerken der Algodonbai im Voraus seinem Bruder, einem dortigen Minenbesitzer, anzeigen ließ.
Mit dem Frühsten des andern Tages hatten wir Besuch von den Zollbeamten und es wurde zugleich die Erlaubniß eingeholt, in der Algodonbai vor Anker gehen zu dürfen, denn nur Cobija ist ein Freihafen, und dort allein können alle Handelsschiffe fremder Nationen ohne besondere Erlaubniß einlaufen.
Nach Entfernung der Zollbediensteten besuchten uns mehrere Boote mit Neugierigen, welche Seltenheiten zu sehen und zu kaufen wünschten.
So hatte eine kleine kugelrunde, ziemlich braun tingirte Senorita, wie es schien, ihr specielles Vertrauen zu mir, indem sie mich unaufhörlich frug, ob ich keine nienterias, kleine Putzgegenstände und derlei, zu verkaufen habe. Ich hatte, weiß Gott warum, von Europa aus einen Frack mit auf die Reise genommen, ein ehrwürdiges Kleidungsstück, gebaut vor sicher fünfzehn Jahren, und später durch verschiedene Künstler retouchirt, d. h. dem jeweiligen Bedürfnisse und den Anforderungen der Mode angepaßt. Einige Versuche in Valparaiso in diesem Kleide als Elegant zu glänzen, waren, ich konnte mir es nicht verhehlen, gänzlich verunglückt, und so beschloß ich, rasch mit jener Dame einen Handel abzuschließen, und brachte den zweiten Repräsentanten europäischer Kultur auf Deck, nachdem ich vorher versichert, das Feinste und Neueste holen zu wollen, was die Senoritas in Frankreich trügen.
Eine Jacke! sagte die Dame, eine Robe gab ich zur Antwort, die Jacken, die Fracks haben breite Schöße, aber die Roben, wie diese hier, schmale, zierliche, lange, das ist der Unterschied. Und ich brachte sie dazu ihn anzuprobiren, indem ich zuthunlich die Camarera machte.
Aber ich sollte nicht das Glück haben die Senorita im schwarzen Frack an's Land zu schicken. Wie eine im Netze gefangene Löwin blieb sie stecken in den Aermeln desselben und konnte nur mit Noth wieder befreit werden. Das Kleid war zu enge für die Wohlbeleibte, und so schieden wir, gegenseitig bedauernd, ohne einen Handel abgeschlossen zu haben, aber im besten Vernehmen.
Ich ging, nachdem uns die Senorita verlassen, ebenfalls an's Land und machte mit Kapitain Müller einen ziemlich anstrengenden Spaziergang auf die Berge und die Küste entlang. Es wurden von den schwarzen, kegelförmigen Gebilden, welche theils in See, theils am Fuße des Gebirges auftreten, schöne Exemplare geschlagen, Grünsteinformen, meistens aus Apharit und Diorit bestehend, mit wohl unterscheidbaren Gemengtheilen. In den Aphariten fand ich ausgeschiedene Pyroxen-Partien und diese umlagern bisweilen strahlenförmig Granate, so daß letztere gleichsam die Kerne der Pyroxen-Massen bilden. Auch zeolithische Partien treten auf und geben dem Gesteine alsdann ein mandelsteinartiges Ansehen.
Es finden sich auch ganz feinkörnige Grünsteinformen ohne alle Einsprengung und dicht neben den vorhergenannten in ein und demselben Felsblocke. Aehnliche Erscheinungen aber treten in analogen Gebilden allenthalben und auch bei uns auf. Als eigenthümlich aber für jene Gegend mag schon hier das Auftreten von Kupferchlorur bezeichnet werden.
Dieses in Europa so selten und bloß in kleinen, unscheinbaren Stücken oder als Anflug vorkommende Mineral, wird hauptsächlich hier in Bolivien, vorzugsweise aber in Atakama gefunden, weßhalb es auch den Namen Atakamit erhalten hat. Domeyko zeigte mir in Santjago ein kleines Stückchen Atakamit als Seltenheit. Ich fand schon an der Küste in Valparaiso kleine, grüne Einsprengungen, welche sich später als Atakamit erwiesen, hier aber in Cobija traten schon häufiger Kupferkiese und nesterweise auch Atakamit in den Grünsteinformen auf. Auch abgerundete kristallinische Massengesteine z. B. Quarzfels werden, eingeschlossen von den Grünsteinformen, getroffen. Sie sind ohne Zweifel von jenem aus der Tiefe mit emporgehoben worden. Ich habe Feldspath in ihnen gefunden, aber keinen Glimmer, welcher ohne Zweifel bereits zersetzt worden.
Das hinter diesen Formen ansteigende Gebirge besteht zum größten Theile aus deutlich ausgesprochenen Porphyren; so wird häufig ein sehr harter quarzreicher Porphyr gefunden von grau-rother Farbe, auch Eklogit und Diorit-Porphyr.
Es sind aber jene Massen häufig so wild und verworren durch einander geschoben, so verschiedenartig in Bestandtheilen und Form, daß ihre nähere Entwicklung vielleicht Jahre erfordern dürfte, während mir kaum einige Tage gestattet waren.
Schon hier in Cobija fällt selten oder nie Regen. Man sagte mir, daß etwa alle zwei oder drei Jahre einmal ein leichter nebelartiger Regen beobachtet werde. Gegen Abend ziehen sich indessen täglich nebelartige Schichten um die Spitzen des Küstengebirgs, welche dann jene Gipfel befeuchten. Natürlich ist es, daß der Wassermangel, der weiter gegen Norden an der Küste noch fühlbarer auftritt, auch hier bereits empfunden wird. So viel ich erfahren konnte, sind blos zwei Quellen in und um Cobija und die eine derselben soll noch dazu etwas kupferhaltig sein. Die Flora so wie die Fauna sind in Folge dieser Verhältnisse auf ein Minimum reducirt. Ich habe eine Libelle gesehen und einige Fliegen, indessen keinen einzigen Käfer. Ein großer Cactus, der häufig an 20 Fuß und wohl noch höher getroffen wird, und einen Durchmesser von 8 bis 10 Zoll hat, wächst sowohl in den Schluchten, als auch auf den fortwährend von der Sonne beschienenen Stellen der felsigen Wände. Ich glaube, daß es weder Cereus peruvianus noch chilensis ist, sondern eine andere, vielleicht noch nicht genau bestimmte Species. An den Stämmen derselben fand ich zahlreich die Gehäuse einer Landschnecke, Bulimus curtus, indessen kein einziges lebendes Exemplar.
Hingegen lebt am Strande der See in großer Anzahl eine Schuppen-Eidechse, welche bisweilen die Länge eines Fußes erreicht. Diese Thiere sind lebhaft und beißen heftig um sich, wenn sie ergriffen werden. Sie nähren sich von kleinen Seethieren, welche das Meer auswirft und verbreiten in Folge dessen einen höchst unangenehmen Geruch. Wir mußten mit unseren Stöcken die Thiere vertreiben, um uns an manchen Stellen den Weg frei zu machen, so dicht saßen sie bisweilen auf den Felsen an der Küste, und trotzdem war es nicht leicht eine lebend zu fangen, da sie mit fabelhafter Schnelligkeit liefen, selbst sprangen.
Die Schroffheit des Gebirges, der Mangel des Wassers, der Thiere und der Pflanzen, selbst der Boden, auf dem man steht, und der aus spitzen Steinen, Sand oder Geröllen besteht, läßt schon die Nähe der Steinwüste von Atakama ahnen, welche in der That auch bereits oben auf den Bergen beginnt, indem sie sich fast drei Breitegrade gegen Süden und einen gegen Norden erstreckt.
Eine ganz natürliche Doppelfrage ist die, warum Menschen überhaupt sich in jenem unfruchtbaren Landstriche angesiedelt haben, und von was sie leben. Aber ich habe schon gesagt, daß Cobija der Hauptstapelplatz für die Waaren ist, welche zur See nach Bolivien gebracht werden, und so hat Gewinnsucht dort Fremde und Eingeborene vereinigt, welche ihren Erwerb dadurch fanden, die dort angelandeten Waaren über die Wüste nach Potosi zu schaffen.
Leibesnahrung so wie überhaupt Alles, was zum Leben nöthig ist, selbst das Futter für die Thiere, Maulthiere und Pferde, wird zu Schiff dorthin gebracht. Die immer mehr in Schwung kommende Dampfschifffahrt an der Westküste, durch welche leicht und rasch frische Nahrungsmittel transportirt werden, wird ohne Zweifel vorteilhaft auf den Handel von Cobija einwirken, und schon jetzt wird ein großer Theil der Victualien durch Dampfer in den Hafen gebracht. Aber immer noch scheinen enorme Preise zu herrschen. Ich will nur ein Beispiel anführen. In Valparaiso verkauft man 18 bis 20 große Wassermelonen für einen Thaler, ich aber sah in Cobija 68 Stück dieser Melonen für 114, sage einhundert und vierzehn Thaler verkaufen. Ob für Alles analoge Preise gelten, kann ich indessen nicht angeben. Aber das Einzige, was in der Bai und deren Umgebung selbst gewonnen wird, sind Fische, und ich glaube, daß die dortigen Fischer noch die Repräsentanten der Ureinwohnerschaft bilden. Es ist die männliche Tracht derselben der bolivianischen und chilenischen sehr ähnlich. Die Frauen aber tragen ein bis an den Hals reichendes und dort zugebundenes Hemd und einen einzigen Rock, dann noch bisweilen ein Tuch über dem Kopf.
Dies läßt bei hübschen Gestalten ganz artig, und es ist unnöthig zu sagen, wie Faltenwurf und Formen, zierlich und klar ausgesprochen, hervortreten.
Wir gingen am zweiten Februar wieder in See und steuerten nordwärts um in die Algodonbai zu gelangen. Auch hier hielten wir uns stets in Nähe der Küste, so daß ich Profile und Ansichten zeichnen konnte, da manches Geognostische mir jetzt leicht verständlich war, weil in Cobija die verwandten und gleichen Formen näher ermittelt worden waren.
In etwa 4 Stunden hatten wir die Algodonbai erreicht, warfen sogleich die Anker, und gingen nach kurzer Zeit an's Land.
Kaum mag es eine angenehmere Art zu reisen geben als eine Küstenfahrt auf dem Meere. Für den Naturforscher zwar hinterläßt der kurze Aufenthalt theilweise das Gefühl des Unbefriedigtseins, entschädigend aber tritt hiefür auf die Menge des Neuen, was auf der andern Seite sich bietet. So wurde hier auf der Fahrt längs der bolivianischen Küste das geognostische Bild von Cobija theilweise ergänzt, vervollständigt aber durch den Besuch der Algodonbai. Ein von einer riesigen Walze abgerolltes Bild der Küste, erklärende Haltpunkte: Cobija, die Algodonbai!
Es mag eine landschaftliche Schilderung wohl zuerst am Orte sein, und hier, wo Berge und Felsen das Vorherrschende, ja fast Einzige, darf auch wohl von ihnen zuerst gesprochen werden.
Der landschaftliche Charakter der Algodonbai ist durchschnittlich jener der Küste überhaupt, die schon mehrfach geschildert wurde. Aber er tritt großartiger hervor, wenn man sich am Lande befindet[45]. Dort erscheint das Gebirge höher und steiler, und die schwarzen, mehrfach erwähnten vulkanischen Kegel bilden malerische Felsgruppen am Ufer, und wild pittoreske, oft weit in die See ragende Klippen. Man landet in der Bai bei Tocopilla, einem in chilenischem Geschmacke erbauten, meist aus Holz gefügten Gebäude, welches ein Nord-Amerikaner bewohnt, der die Oberaufsicht über einen Theil der Minen hat. Etwa tausend Schritte weiter von hier gegen Süd liegt Bella Vista, von einem Minenbesitzer, Thomas Helsby, einem Engländer, bewohnt. Eine Stunde entfernt von diesen beiden Ansiedelungen hat sich ein Franzose, Maximien Latrille, angebaut und seine Besitzung Minecal de Duendas genannt. Wie Bella Vista und Tocopilla besteht auch sie, natürlich mit Ausnahme der Erzgruben, blos aus einem Wohnhause und einigen Schuppen, in welchen die Arbeiter, und wohl auch die Maulthiere und Pferde schlafen. Tocopilla und Bella Vista liegen ähnlich wie Cobija, auf einer flachen Stelle des Ufers, welche sich vom Wasser bis zu den Bergen etwa hundert Schritte weit erstreckt. Dann hebt sich rasch ansteigend das Gebirge, und an vielen Stellen so steil, daß das Aufklimmen unmöglich. So ist gegen das Land hin die Aussicht scharf abgegrenzt durch die allerorten sich erhebenden Felsenwände, und es scheint hier kaum die Sterilität sich zu einem pittoresken Momente erheben zu können. Nimmt man aber den Standpunkt am Fuße des Gebirges, oder klimmt wohl auch eine kleine Strecke aufwärts, und blickt dann gegen die See hin, so entfaltet sich ein wild-schönes, wenn gleich eigenthümliches Bild.
Schwarze, steile Felsgruppen, gerade in Nähe der Bai besonders mächtig ausgesprochen, und nicht selten mauerartig aufgethürmt, reichen hinaus in die See, die sich schäumend und tobend an ihnen bricht. Mächtige zwanzig ja dreißig Fuß hohe Springfluthen steigen aus dem ruhigen Meere auf, man sieht kaum wie sie sich thürmen, wie sie aus fast spiegelglatter Fläche der See entstanden sind. Aber sie wälzen sich mit reißender Schnelle dem Lande zu, brechen sich donnernd an jenen dunkeln Gebilden, die auf einen Augenblick überfluthet und bedeckt, ja verschwunden erscheinen. In der nächsten Sekunde aber stehen sie glänzend und schwarz wie Ebenholz, ruhig und unverändert da, bis sich jenes riesige Spiel erneut.
Hat man einen Standpunkt gewählt, der längs der Küste einen weiteren Blick erlaubt, so sieht man in der Ferne sich das gleiche Schauspiel wiederholen. Scharf abgegrenzt an dem dort dunkelgrünen Spiegel der See, ragt aus derselben in glänzendem Schwarz eine solche Felsenmasse, plötzlich aber ist sie scheinbar höher geworden und blitzt auf im blendenden Weiß.
So läßt sich beobachten, daß wechselnd die anstürzende Brandung, in Springfluthen von etwa 400 bis 500 Schritten Länge und ziemlich regelmäßigen Intervallen, die Küste bestürmt und es muß das gewaltige Meer hier belebend die Staffage bilden für die Steinwüste der Küste, indem auf der andern Seite seine eigene Größe wieder gehoben wird durch jene selbst.
Es gewährt einen eigenen Reiz, des Nachts beim Mondlicht dieses Panorama zu beschauen und namentlich zur Zeit, wo der Mond noch nicht über das Küstengebirge emporgestiegen ist, und man sich mithin noch selbst in tiefem Schatten befindet, während auf der unendlichen Fläche der See theils schon die volle Klarheit des Mondlichts herrscht, oder in den Höhen und am Ufer noch zweifelhafte Streiflichter mit den Nebelschichten kämpfen. Wandert man weiter der Küste entlang, so tritt allenthalben derselbe Typus auf. Mächtig und steil ansteigend das Gebirge, und an den in's Meer ragenden Felsen tobende Brandung. Bisweilen aber muß man, um weiter zu gelangen, über diese seebespülten Felsen klettern, da dort das Hauptgebirge so weit vorgeschoben ist, daß es fast in die See abfällt. An andern Orten sind wieder weitere Strecken zu finden und solche sind dann meist mit Muschelgrus bedeckt und häufig werden die Knochen von Robben, Wallen und Delphinen dort gefunden.
Seevögel beleben an manchen Stellen in etwas die Landschaft, und während Möven die Felsen umkreisen, schreitet der schwarze Aasgeier (Cathartes atratus) bedächtig am Strande oder sitzt auf vereinzelten Vorsprüngen, eine Nahrung erwartend, welche aus ausgeworfenen Seethieren besteht.
Auch einige Arten Landvögel habe ich getroffen, doch nur wenige und ich glaube nicht, daß eine Art in der Bai oder deren Umgebung zu jener Zeit lebte, welcher ich mit Ausnahme eines ziemlich scheuen Strandläufers nicht habhaft geworden wäre[46]. Aber auch diese Thiere leben in nächster Nähe des Strandes, und fünfzig Schritte von demselben wird kaum mehr ein lebendes Thier getroffen.
Schluchten durchsetzen allenthalben das Gebirge, theils steil und fast unzugänglich durch Felsstücke, welche von oben in sie hinabgestürzt sind, häufig auch bald wieder gänzlich geschlossen, und wohl nur als mächtige Risse zu betrachten, theils aber auch sich als mehr oder weniger enge Thäler fortsetzend in's Innere. Ist man in diese Thäler so weit eingedrungen, daß die Fernsicht auf die See oder etwa auf eine der oben erwähnten menschlichen Wohnungen verschwunden ist, so tritt vollständig der Charakter der Wüste auf. Man fühlt sich, nicht wie z. B. auf der hohen Cordillera, in einer Einsamkeit, sondern in einer Oede. Kein Thier, kein Strauch, kein Baum, keine Quelle. Nichts was Leben repräsentirt, wird dort gefunden. Steil anstehende Wände, röthliche Felsen, mit hie und da grünlicher Färbung und dann Kupfer verrathend, ragen empor zu beiden Seiten. Oben ein tief blauer Himmel und eine glühende Sonne, unter unseren Füßen manchmal das dunkle Gestein so erhitzt, daß man hellere Stellen suchen muß, um fortzukommen. Dazu eine Stille, endlos und ununterbrochen, nicht die des Friedens, sondern die des Todes, einer Natur die gestorben, oder vielleicht besser, welche noch nicht zum Leben erwacht ist.
Wandernd in diesen Thälern und ihre Krümmungen verfolgend, welche die einzige Abwechslung sind, die sie bieten, habe ich mir oft Peter Schlemihls wunderbare Stiefel gewünscht, um die Wüste mit einigen Schritten zu durchmessen. Und einiges Anrecht hatte ich wohl auf sie, denn ich schritt ohne Schlagschatten, da die Sonne fast im Zenith stand.
Diese Züge mögen genügen, ein allgemeines Bild zu geben von dem Typus jener Gegend, während speciellere Schilderungen sich von selbst ergeben, wenn ich es unten versuchen werde, dem freundlichen Leser einige Excursionen vorzuführen.
Auch hier, so wie in Cobija, drängt sich wohl die Frage auf, warum sich Menschen angesiedelt in jenen wüsten Regionen der Erde, und wie dort, ist auch in der Algodonbai Industrie und Gewinnsucht die alleinige Ursache.
Die reichen Kupferminen der Bai sind es, welche Menschen aus den verschiedensten Ländern der Erde versammelt haben, dort Arbeit und Vortheil suchend.
Der geognostischen Verhältnisse oder der mineralogischen Zusammensetzung jener kegelförmigen doleritischen Küstengebilde will ich nicht weiter erwähnen, aber ich muß der Formen mit einigen Worten gedenken, in welchen jene reichen Kupfergänge getroffen werden, und auch von diesen selbst sprechen.
Wo nicht Muschelgrus am Ufer der See den Boden bedeckt, ist es ein grau-grüner oder röthlicher Sand, welcher besonders gegen das Gebirge hin auftritt. Er ist offenbar durch Einstürzen der Felswände und theilweise Verwitterung entstanden, denn seine feinen und selbst mikroskopischen Theile sind scharfkantig und kaum gerundet. Erbsen und faustgroße Stücke der verschiedenen Gesteine des Gebirgs bilden den Uebergang zu den größeren Trümmern und Felshaufen, welche oft größere Strecken längs des Gebirges bedecken. Es findet sich Magneteisen zwischen den Quarz- und Feldspaththeilchen dieser Trümmer und des Sandes, theils in unkenntlichen Formen, theils aber auch in wohlausgesprochenen Oktaedern und Dodekaedern.
Es kann vielleicht angenommen werden, daß von unten an gegen aufwärts gedacht, zwei Dritttheile des Gebirgs aus Formen bestehen, welche der Reihe der Grünsteine, Felsitporphyre, Dolerite und ähnlichen Bildungen angehören, während das obere Drittel mehr syenitischem Gesteine angehört. Kaum aber darf hier eine speciellere Bezeichnung versucht werden, denn jene, den unteren Theil des Gebirges bildenden Formen treten so verworren auf, daß nur selten ein klares Bild zu gewinnen ist.
Einige flüchtige Angaben, welche ich zu verantworten, und durch mitgebrachte Handstücke theilweise zu belegen vermag, sind indessen folgende:
Unten am Fuße des Berges gegen Süd von Tocopilla, und ebenso an mehreren Stellen in nördlicher Richtung, tritt häufig ein röthlicher Felsitporphyr auf. Bei dem ersteren herrscht Feldspath, bei dem andern Quarz vor. Beide Einmengungen, welche wohl mit freiem Auge zu unterscheiden sind, bedingen das porphyrartige Ansehen. In diesem Porphyr findet sich kohlensaurer Kalk, doch nur in geringer Menge, indessen ist derselbe sowohl durch das Aufbrausen bei der Behandlung mit Säuren zu erkennen, als auch in der Auflösung nachzuweisen. Auch Eisenglanz wird häufig als Einsprengung gefunden. Wie die meisten der dort auftretenden Gesteine hatten auch die beiden besprochenen starke Neigung zu verwittern. Schlägt man mit dem Hammer auf größere Stücke, so zerspringen sie leicht in kleinere Fragmente, und auf den Bruchflächen zeigt sich meist ein kaolinähnlicher Ueberzug, bereits ein Produkt der Zersetzung.
Dieses Gestein ist ziemlich weit hin in der Bai nachzuweisen, und das zwar mit Sicherheit etwa 150 Fuß über dem Spiegel der See, da unten am Fuße des Gebirgs Schutt, größere und kleinere Gesteinstrümmer ein weiteres Eindringen verhindern. Es variirt nicht selten streckenweise, indem die Mengung der Grundmasse deutlicher wird, Quarz und Feldspath in kristallinischen Körnern klar ausgesprochen auftreten und häufiger, beigemengter Eisenglanz das specifische Gewicht desselben bedeutend vermehren, ja es ertheilt diese Beimengung, die bisweilen in fein vertheilten mikroskopischen Blättchen auftritt, dem Gesteine an manchen Stellen ein grau-schwarzes Ansehen.
Bisweilen treten in diesem Felsenporphyre gangartige Bildungen auf, welche mit Eisenglanz und hie und da mit Magneteisen ausgefüllt sind. Auch Quarz füllt bisweilen solche Spalten, und in Mitte des Quarzes findet sich dann meist wieder eine Ausscheidung von Eisenglanz. Ich glaube indessen nicht, daß diese Eisenglanz- und Quarzmassen als eine Spaltenerfüllung von unten, als eine eigentliche aus der Tiefe kommende Gangbildung zu betrachten sind, sondern vermuthe eher, daß sie Ausscheidungen sind, nesterweise Absonderungen, denn es finden sich auch vollkommen drusige Absonderungen derselben im Felsitporphyr. Ein anderer Felsitporphyr, braun-roth und mit schönen, glänzenden Kristallen von Orthoklas, wird ebenfalls dort gefunden, und oft treten diese beiden Gesteine, so wie noch andere porphyrartige Massen, dicht neben einander auf, so daß bisweilen an den Berührungsflächen Uebergänge stattfinden. Ich erwähne noch eines hell-gelben, fast weißen Felsitporphyrs, und eines roth-braunen Gesteins, was fast den Uebergang von Felsitporphyr zu Felsit macht. Es ist indessen unmöglich, die Menge von Variationen verwandter Gesteine zu beschreiben, und es mag genügen, daß ich heute noch in meiner Sammlung über hundert verschiedene Exemplare besitze, welche ich von dort mitgebracht habe, und die kaum noch ein vollständiges Bild der Vielfältigkeit zu geben vermögen, welche dort auftritt.
Die meisten dieser Formen sind, so viel sich entwickeln läßt, neben einander aus der Tiefe emporgeschoben, etwa wie eine Menge großer Mauern, oder colossaler aneinander gelehnter Lamellen. Es entstehen hierdurch eine Menge Terrassen, da die eine dieser Lamellen am Abhange des Gebirges meist die andere überragt, und dieß giebt, von einiger Entfernung aus gesehen, dem Gebirge häufig das Ansehen der Schichtung, doch komme ich hierauf später zurück.
Dieß mag als der Grundcharakter des Gebirgs angenommen werden. Aber es treten auch kegelförmig und gangartig hervorgehobene Massen auf, und das oft so verworren, und noch dazu durch Verwitterung und Einstürzungen so unkenntlich gemacht, daß es an vielen Orten unmöglich erscheint, ein klares Bild der Lagerungs-Verhältnisse zu gewinnen, und speziell die Bestimmung, welche Form die ältere, und welche als jünger, als durchbrechend schon abgelagerte Massen, höchst schwierig.
Ich übergehe die einzelnen Mineralien, welche ich theils als Findlinge erworben, theils eingesprengt oder nesterweise vertheilt in den verschiedenen Felsarten der Bai gefunden habe und gehe zu den Kupfergängen der Bai über, welche deren eigentliche Bedeutung und ihre commercielle Wichtigkeit bedingen.
Allenthalben fast an der Westküste und schon in Chile, selbst im südlichsten Theile desselben, in Valdivia, habe ich Spuren von Kupfer gefunden, so daß es scheint, als sei dieses Metall dort reichlich verbreitet. Schon im nördlichen Theile Chiles werden bekanntlich reiche und ergiebige Kupferwerke wirklich betrieben, und ich glaube, daß die Minen der Algodonbai jenen kaum etwas nachgeben.
Man hat den Abbau der Gänge dort fast durchgängig nur da begonnen, wo das Erz zu Tage ging und sich nicht viel mit unterirdischer Schürfarbeit abgegeben. An vielen Orten mögen daher noch reiche Schätze, vielleicht wenige Lachter tief unter der Erde liegen. In Chile sowohl, als in der Algodon-Bai verläuft die allgemeine Streichungslinie der Gänge von Nord nach Süd, in Centralamerika hingegen streichen dieselben von Ost nach West. Die meisten Gänge scheinen parallel zu streichen und ich konnte kein gegenseitiges Durchsetzen derselben bemerken. Ein Zertrümmern der Gänge kommt vor, aber so bald sich einige dieser Trümmer auskeilen, verfolgt man dieselben meist nicht weiter, sondern beginnt einen frischen Gang zu verfolgen. Die Mächtigkeit der im Betriebe stehenden Gänge ist eine verschiedene, sie mag durchschnittlich mit ein bis zwei Metres bezeichnet werden. Das Fallen der Gänge findet, insoferne eine Beobachtung durch hinlängliches Aufschließen derselben zulässig war, meist in mehr oder weniger senkrechter Richtung statt, selten in einem Winkel von 60° bis 70°. Aber meist findet dann in diesem letzten Falle auch ein Abfallen des Gebirges von West nach Ost statt, so daß die Absonderungsflächen des Gebirges im rechten Winkel von den Gängen geschnitten werden.
Auf den oben bezeichneten Porphyrformen des Gebirgs ist an vielen Stellen, wo ein Aufschließen nähere Untersuchungen erlaubt hat, ein syenitisches Gestein ausgelagert. So habe ich eben bei den Gängen in geringer Tiefe als Nebengestein denn auch einen deutlich ausgesprochenen Syenit gefunden, der meist sehr quarzreich war, bei welchem aber bisweilen auch die Hornblende fehlte, so daß das Gestein dann blos aus einem Gemenge von Quarz und Albit besteht, und letzterer ist häufig stark mit Kupfer durchsetzt.
Die Mineralien, welche vorzugsweise die Gänge construiren, sind Kupferglanz, Kupferkies, Rothkupfererz, Kupferindig und Atakamit.
Der Kupferglanz wird derb und in mächtig großen Stücken gefunden, indessen sind mir keine Kristalle vorgekommen. Er kömmt schwärzlich bleigrau und in's Eisenschwarze spielend vor, aber auch bunt angelaufen, hat eine geringe Härte und muschlichen Bruch.
Ebenfalls derb und ohne deutliche Kristalle findet sich der Kupferkies. Er kömmt meist gemengt mit Schwefelkies vor und dieser letztere ist bisweilen sehr schön kristallisirt. In den größeren Stücken dieses Kupferkieses, welche zu Tage gefördert werden, ist nicht selten Feldspath und Quarz eingesprengt und es scheint bisweilen ein Uebergang in Kupferindig statt zu finden. Auch Gyps ist ihm beigemengt und Ziegelerz nicht selten von vollkommen karminrother Farbe.
Der eben besprochene Kupferindig scheint vorzugsweise meist an den mit dem Nebengestein in Berührung stehenden Gangflächen vorzukommen. Ich habe indessen die schönsten der erworbenen Exemplare in den Erzvorräthen der Minenbesitzer gefunden. Seine Farbe ist tief indigblau, mit starkem Fettglanze, und wohl ausgesprochene Kristalle von Schwefelkies heben das prachtvolle Blau noch besser. Indessen kömmt auch eine eigenthümliche Modification mit erdigem Bruche vor, welche fast verwittert erscheint.
Der Atakamit endlich, dieses seltene Mineral, kömmt mit schön smaragdgrüner Farbe vor, derb kristallinisch, in rhombischen, dem System des Orthotypes angehörenden Prismen, und ist, man kann sagen fast allen Mineralien der Bai beigemengt, denn beinahe auf jedem Erze findet man größere oder kleinere Adern, Nester oder angeflogene Stellen von grüner Farbe, und jedes Kupfererz, welches grün ist, ist in der Algodonbai Atakamit. Allein nicht blos als Beimengung oder in kleinen Parthieen wird dort Atakamit getroffen, sondern er füllt mit wenig beigemengtem Rothkupfererz für sich allein einen Gang aus.
Man hat jene Grube Atakamita genannt. Ein Schacht, der 1600 Fuß über dem Spiegel der See ausmündet und etwa 200 Fuß niedergeht, und von welchem mehrere Stollen ausgehen, ist fast in reinem Atakamit getrieben. Von Ort sowohl als auch am Tiefsten des Schachtes, steht der Atakamit in mächtigen Massen an, und die zu Tage gebrachten und auf die Halde geförderten Erze bestehen aus demselben Mineral.
Ich glaube kaum, daß es bezweifelt werden kann, daß der Atakamit durch Zersetzung anderer Kupfererze entstanden ist, und dies zwar hier wohl vorzugsweise durch die Einwirkung des Seewassers.
Ich besitze ein Exemplar, welches fast gänzlich aus einem Aggregate von pseudomorphen Octaedern des Rothkupfererzes besteht, indem die einzelnen, drei bis vier Linien großen Individuen aus den rhombischen Prismen des Atakamits zusammengesetzt sind.
Während nun bei diesem und ähnlichem Vorkommen des Kupferchlorides eine direkte Zersetzung der Masse des Kupferoxyduls angenommen werden kann, ist bei andern Exemplaren kaum eine Sublimation zu verkennen. Es findet sich dort der Atakamit in großen büschelförmigen, strahligblätterigen Massen auf einem etwas kupferhaltigen Eisenoxyde aufgewachsen, oder erfüllt in kleineren Individuen dessen Zwischenräume, oder es überzieht und bekleidet die Drusenräume anderer Mineralien. So kömmt dort ein Eisenocker vor, der bisweilen mit einem dünnen Ueberzuge von Quarzkristallen bedeckt ist. Zwischen diesen und auf denselben befindet sich der Atakamit in einem höchst dünnen lauchgrünen kristallinischen Anfluge, so daß die ganze Fläche ein glänzendes und wirklich prachtvolles Ansehen gewinnt. Abgesehen von anderen chemischen Reactionen, die bei dem Aufzeigen der Kupfererze und bei der Anfüllung der Gangspalten vor sich gegangen sein mögen, reicht vielleicht schon das Seewasser allein zur Erklärung dieser häufigen Atakamitbildung hin. Wahrscheinlich ist das Heraufdringen der Kupfererze noch vor der Hebung jenes Küstentheiles über den Spiegel der See vor sich gegangen. Submarine vulkanische Thätigkeit erhitzte und spaltete gleichzeitig den syenitischen Meeresgrund und die tiefer liegenden, wohl auch schon gebildeten Felsitformen. Die Kupfererze drangen durch die gebildeten Spalten nach, während das von oben eindringende Seewasser die Zersetzung bewerkstelligte. Vielleicht hat auch noch mit jener Spaltenerfüllung gleichzeitig eine Hebung stattgefunden.
Die bei dem damaligen höhern Atmosphärendrucke ebenfalls höhere Temperatur des Siedepunktes, und jene der Wasserdämpfe erklärt leicht die Umsetzung einiger Kupfererze, besonders des Oxyduls in Chlorür, während eine Sublimation des neugebildeten Minerals ganz natürlich erscheint, wenn man erwägt, welche Temperatur stattgefunden haben muß, und selbst wie lange solche angehalten hat.
Viel zu lange habe ich mich bei diesem Atakamit und seinem Vorkommen aufgehalten, allein die Seltenheit dieses Körpers in Europa und sein so häufiges Vorkommen in der Algodonbai macht vielleicht hier auch dem Nichtmineralogen das Vorgehende nicht ganz uninteressant.
Von Mineralien, welche die Kupfererze begleiten, und von seltener vorkommenden Kupfererzen selbst will ich nur folgende angeben.
Gediegen Kupfer, plattenförmig, manchfach gewunden, aber ohne Kristalle und überhaupt selten. Ich habe Stücke von dort, die sechs Zoll lang und vier breit sind. Sie tragen auf beiden Seiten die Eindrücke des Gesteins, welches sie umschloß und auf ihrer Oberfläche sind Anflüge von Atakamit, Pistazit und Gypsspath.
Fahlerz, selten. Ich habe eine kugelförmige Absonderung gefunden, welche aus Fahlerz, Kupferkies und Quarz bestand.
Eisenglanz in kleinen schuppigen Kristallen und Eisenoxyde.
Coquimbit, dieses seltene Mineral wird häufig angetroffen, in derben Stücken sowohl als auch gemengt mit Atakamit.
Allophan, oder wenigstens ein allophanähnliches Mineral, aber durch Chlorkupfer grün gefärbt in verschiedenen Modificationen, undurchsichtig bis vollkommen transparent.
Dann endlich Gyps in schönen oft sechs bis acht Zoll großen Kristallen, und mit dem Atakamit so manchfach gruppirt, daß prachtvolle Stufen gebildet werden.
Was den Bau der erzführenden Gänge betrifft, so habe ich schon vorher gesagt, daß man sich meist damit begnügt, an Stellen, wo Kupfererze zu Tage gehen, einen Schacht oder Stollen einzutreiben, und abzubauen so lange der Gang ergiebig ist.
Ich habe weder Grubenzimmerung noch Mauerung gesehen, denn es steht das Gestein gut, und bei Stollen gewähren bogenförmige Firste hinreichende Sicherheit. Die Form der Schachte ist die kreisrunde, aber die Fahrten sind verzweifelt unbequem, ja wohl fast bedenklich für den Ungeübten. Sie bestehen aus viereckig behauenen hölzernen Stämmen von etwa 8 bis 10 Zoll Durchmesser, in welche von 10 zu 10 Zoll Entfernung etwa 2 Zoll tiefe Einschnitte eingehauen sind. In die Wandungen der Schachte hat man Vertiefungen gehauen, in welchen die Stämme mit ihrem unteren Theile aufstehen, während der nächste, weiter in die Tiefe führende Stamm ebenfalls an dieselben angelehnt ist. So reicht also jeder einzelne Stamm quer über die Breite des Schachts und die Fahrt führt im Zickzack abwärts. Bei jeder Bühne also, oder beim Ende des einen und beim Anfang des andern Stammes, muß man sich, halb in der Luft hängend, um die eben verlassene Fahrt herum schwingen, und abwärts fahrend, den neuen Weg mit den Füßen erkunden, während man bei der Auffahrt sich mit den Armen aufwärts zu ziehen genöthigt ist.
In der Teufe der Grube Atakamita schlug ich die herrlichsten Stufen kristallinischen Atakamits, und meine lederne Gesteintasche enthielt sicher zwanzig Pfunde des prachtvollen Minerals. Aber aufwärts fahrend auf jenen verwünschten Stämmen, verzweifelte ich fast das Tageslicht wieder zu sehen, so beschwerte mich mein Reichthum, und schien mich abwärts ziehen zu wollen.
Daß ich glücklich das Ende des Schachtes erreicht, weiß der freundliche Leser bereits, aber ich muß berichten, daß auch kein Atom jener mich belastenden Atakamite in der Grube geblieben und daß sie alle sich gegenwärtig an den Orten befinden, die ich ihnen schon dort hängend und schwebend, ringend und kletternd, zugedacht.
Aber während ich mich abquälte um 20 Pfunde zu Tage zu fördern, wird von den Arbeitern der Gruben eine Last von 130 Pfunden auf dem Rücken gefördert, und ich sah dort einen Knaben von 12 Jahren, der 100 Pfund aufwärts schaffte. Im Uebrigen war dieses Kind als eine Ausnahme zu betrachten, denn obgleich man als Mineros, so nennt man die Arbeiter in den Gruben, meist junge Leute von 18 bis 25 Jahren am liebsten hat, werden doch Kinder sonst nicht verwendet.
Ich habe mich von Europa aus wieder nach dem weiteren Schicksale des Knaben erkundigt, welcher wirklich als eine Abnormität anzusehen war. Arme und Beine waren bei diesem Kinde so ausgebildet, daß man die Extremitäten eines erwachsenen kräftigen Mannes vor sich zu sehen glaubte, und die ganze Erscheinung hatte fast ganz das Widerliche eines europäischen Wunderkindes an sich, welches Klavier oder Violine spielt, rechnet oder andere Kunststücke ausführt, vielleicht sich auch nur einfach durch starke Nasenweisheit auszeichnet. Es hätte mich indessen die weitere körperliche Ausbildung dieses Individuums interessirt.
Die Gewinnung der Erze wird mit Schlegel und Eisen, aber nicht durch Sprengarbeit betrieben. Die oberste Leitung des Baues führen die Grubenbesitzer selbst, doch haben sie meist einige europäische Bergleute an der Hand, welche die Aufsicht führen, während die Häuerarbeit und Förderung durch Eingeborne, wie es scheint der ganzen Westküste, betrieben wird. Das Fäustel, welches diese Leute führen, wiegt sicher 16 bis 18 Pfd., und ihr Fimmel entspricht demselben. Während der Minero dieses Rieseninstrument schwingt, stößt er ein eigenthümliches Geschrei, oder eigentlich ein Heulen oder Winseln aus, welches mit tiefen Tönen beginnt und mit den höchsten endigt.
Die mit dem Fördern beschäftigten Arbeiter thun ein Gleiches, und man kann sich daher denken, daß in einer solchen im Betrieb stehenden Grube ein wahrhafter Höllenlärm sein muß. Ich bin in der That staunend zum erstenmale in die Grube Rosario eingefahren, da ich den Grund dieses grauenhaften Geschreies mir auf keinerlei Weise erklären konnte, und zugleich dennoch aus den unbekümmerten Mienen der aus dem Schachte Kommenden schließen mußte, daß Alles in regelrechtem Gange und nicht etwa ein Unfall vorgekommen sei.
Eine Wassergewältigung ist in den Gruben nicht nöthig, da fast alle wasserfrei sind und nur auf der Sohle der Mine Atakamita habe ich etwas Wasser getroffen. Ich habe in den Gruben folgende Temperaturen gefunden:
Grube Rosario, außerhalb der Einfahrt, im künstlichen Schatten und bei schwachem Winde + 18.7° R., bei etwa 20 Fuß Tiefe + 17.0° R., bei 150 Fuß Tiefe + 19.0° R. bei 300 Fuß Tiefe + 20.5° R.
In anderen Gruben habe ich höhere Temparaturen gefunden, aber es ist hierauf kein Werth zu legen, weil die Menge der Arbeiter dieselbe jedenfalls gesteigert hat.
Es ist zu bedauern, daß bei dem Reichthum der dortigen Gruben die Erze nicht auch an Ort und Stelle verschmolzen werden können. Aber Mangel an Brennmaterial macht dieß unmöglich, und es werden alle gewonnenen Erze nach Europa verfahren. Trotz ihrer Reichhaltigkeit wirft natürlich auf solche Weise der Bau der Grube verhältnißmäßig nur wenig Gewinn ab, und erhaltenen Privatnachrichten zu Folge, wird gegenwärtig selbst nach Europa nur noch wenig Erz gebracht. Bei regelmäßiger Schifffahrt zwischen der Algodonbai und Valdivia würde der Erzreichthum des einen Platzes mit dem Ueberflusse an Brennholz des andern, sich zur vortheilhaftesten Combination gestalten lassen.
Die Lebensverhältnisse der Menschen in der Bai gehen zum Theil bereits aus dem hervor, was über die Lage des Ortes gesagt worden ist. Es müssen eben, so wie nach Cobija, alle Nahrungsmittel zu Schiffe dorthin gebracht werden.
Die Minenbesitzer unterhalten kleine Läden und Vorrathshäuser, in welchen die Arbeiter ziemlich billig das Nöthige erhalten können. Es ist der durchschnittliche Lohn eines Arbeiters etwa 20 Peso für den Monat, aber ich glaube, es werden auch noch einige Victualien hiezu verabreicht, doch weiß ich das nicht vollkommen sicher.
Einer der größten Uebelstände ist der Wassermangel in der Bai. Eine spärliche Quelle ist unweit dem Werke Minecal de Duendus, welche der französische Besitzer benutzt, aber der ganze Reichthum derselben reicht kaum aus für Menschen und Thiere. Der Engländer in Bella Vista läßt täglich seinen Wasserbedarf aus einer kleinen Quelle von Mamilla holen, von welcher ich später noch sprechen werde. Der Besitzer von Tocopilla aber, in der Bai selbst, gewinnt das für seinen Bedarf nöthige Wasser durch Destillation von Seewasser, und es werden durch einen höchst einfachen Apparat täglich etwa 500 Gallonen Wasser erzeugt. Die Retorten sind von Eisen und die Vorlage ist ein Faß mit Schlangenrohr. Man hat die vier Retorten mit Backsteinen ummauert und das Ganze dicht am Ufer der See aufgestellt, aus welcher eine Pumpe das Wasser in die Retorten bringt und auch den Kühlapparat speist. Die Pumpe wird zu gewissen Zeiten des Tags durch den Wind in Bewegung gesetzt, zu andern, wo regelmäßig Windstille herrscht, durch eine kleine Dampfmaschiene. Es sind vier Arbeiter Tag und Nacht bei dem Apparate beschäftigt und das gewonnene Wasser ist ganz erträglich, wenigstens bedeutend besser als das auf Schiffen in hölzernen Fässern längere Zeit hindurch aufbewahrte. Da die Destillation etwas stürmisch vor sich geht, so wird ohne Zweifel der fade Geschmack des destillirten Wassers, der durch den Mangel an Kohlensäure entsteht, hier etwas verdeckt durch übergerissenes Salz. Unbedingt wird aber durch jene Anstalt das ziemlich verbreitete Vorurtheil widerlegt, als sei destillirtes Seewasser wegen der im Meere enthaltenen organischen Substanz ungenießbar. Denn gerade dort in der Bai wimmelt das Wasser von einer Unzahl kleiner Thiere und Algen. Auf der ganzen Strecke aber zwischen Tocopilla und Cobija wird nicht eine einzige Quelle mehr getroffen und ich muß bei diesem Wassermangel der Küste etwas länger verweilen, denn sicher hat es selbst für den, welcher sich nicht mit geologischen Studien oder mit Meteorologie beschäftigt, Interesse, etwas näheres zu vernehmen über ein Land, in welchem es nicht geregnet hat seit Menschengedenken, wie jeder dort Lebende und die Sage selbst bezeugt, von welchem ich aber auch nachgewiesen zu haben glaube, daß es nie dort geregnet hat so lange das Land überhaupt besteht, trotzdem, daß mächtige Flußbette durch dasselbe ziehen, und scheinbar Ueberfluß an Wasser gewesen sein mußte.
Jener Beweis, daß es nicht geregnet hat seit die Küste sich aus dem Meere gehoben hat, ist folgender:
Etwa fünfhundert Schritte vom Ufer der See, d. h. von dem Punkte, an welchen jetzt noch die höchsten Fluthen reichen, befindet sich eine Felsgruppe, Dolerit und Felsitporphyr, deren ganzes Aussehen ergibt, daß sie im glühenden Zustande rasch abgekühlt worden, und, ohne Zweifel in Folge dessen in eine unzählige Menge kleinerer und größerer unregelmäßiger aber noch vollkommen scharfkantiger Bruchstücke gesprungen ist.
Diese Bruchstücke aber sind mit Seesalz verkittet, und die ganze Bildung steht durch nichts geschützt unter freiem Himmel. Diese Salzmasse ist während der Hebung des Gesteins als Seewasser in die Klüfte desselben gedrungen, ist verdampft und hat so die Verkittung bewerkstelligt.
Es läßt sich der Beweis stellen, daß die Hebung jenes Felsens gleichzeitig mit dem Hauptgebirgszuge der Küste geschehen ist. Ich habe dieß an einem andern Orte gethan, und spare hier die weitere Entwicklung, aber ich mache darauf aufmerksam, daß ein einziger Regen jenes verkittende Seesalz vollständig aufgelöst haben würde. Da dieß letzte aber nicht geschehen ist, so kann es nicht geregnet haben seit der Entstehung jenes Felsens.
Jene Flußbette aber, deren ich erwähnte, geben Zeugniß von großen Wassermengen, welche das Land in früherer Zeit durchströmten, aber diese Ströme verdanken ihren Ursprung nicht regelmäßigen Quellen und meteorischen Wassern, welche sich über das Land ergossen haben, sondern periodisch geschmolzenem Schnee der Andeskette, wie ich schon vorher angedeutet habe.
Unweit Tocopilla findet sich ein solches Flußbett. So weit mir die Umständen erlaubten jenes Thal zu besuchen, nämlich eine Strecke von etwa drei Wegstunden, ist dasselbe mit Geschieben bedeckt, welche aus Grünsteinformen und syenitischem Gesteine bestehen, dem schon vorher geschilderten sehr ähnlich. Man bemerkt aber deutlich, daß diese Gerölle keinen sehr weiten Weg zurückgelegt haben, sie sind von nicht sehr entfernten Gehägen herabgestürzt, und nicht sehr bedeutend abgerundet. Aber es zeigen sich an einigen Stellen des Bodens Durchschnitte, welche beweisen, daß zu gewissen Zeiten heftige und verstärkte Strömungen stattgefunden haben müssen, denn sehr wahrscheinlich sind die Furchen, an welchen man diese Durchschnitte beobachten kann, durch die letzte größere Wassermasse gezogen worden, welche ihren Weg durch das Flußbett genommen hat. Es zeigen diese Durchschnitte mehrfache Schichten in verschiedener Mächtigkeit, welche von mehreren Zollen bis zu eben so viel Fuß wechseln. Das Liegende dieser einzelnen Schichten bilden größere, oft nur wenig gerundete Gesteinsfragmente, die gegen das Hangende zu stets kleiner, abgerundeter und kiesartig werden, bis sie endlich selbst in Sand übergehen, worauf dann gegen oben dieselbe Reihenfolge einer neuen Schicht beginnt.
Es ist also eine plötzlich bedeutende verstärkte Wassermasse durch das Thal geströmt, sie hat anfänglich alle Gesteinsfragmente mit sich fortgerissen, welche in ihrem Wege lagen, aber nach und nach schwächer werdend, ließ sie die größeren Gesteinstrümmer liegen und deßhalb sind diese auch meist nur wenig abgerundet. Mit dem fortwährenden Fallen der Wassermenge blieben immer mehr und mehr Geschiebe liegen, welche nicht mehr mit hinweggeführt werden konnten, bis endlich der Sand allein vom Wasser bewegt wurde.
Wohl verliefen sich dann die Wasser gänzlich, bis nach längerer oder kürzerer Zeit eine plötzlich vom Gebirge strömende neue Wassermenge die eben betriebene Reihenfolge der Schichten vergrößerte, bisweilen aber vielleicht auch einen Theil der bereits abgelagerten hinwegführte.
An einer Stelle jener Thäler habe ich dieß sehr schön beobachten können. Ein Felsblock von etwa 15 Fuß Breite und 20 Fuß Länge geht aus dem kiesigen Grunde des alten Flußbettes zu Tage, und bildete zur Zeit, als Wasser dasselbe durchfloß, ohne Zweifel eine Klippe. Hinter demselben, im Sinne der Stromrichtung, befindet sich eine solche in Schichten getheilte Geröllablagerung, welche an der Seite, mit welcher sie sich an den Felsen anlehnt, eben so mächtig ist als jene, weiter hinaus aber sich abflacht. Es hat nun die letzte große Wassermenge, welche das Thal durchströmte, um die Klippe her einen Theil der vorher abgesetzten Geschiebe wieder entfernt, aber hinter der Klippe wurden sie durch dieselbe geschützt, und haben sich erhalten. Es geht zugleich hieraus hervor, daß diese letzte Fluth ohne Zweifel eine sehr bedeutende gewesen ist.
Wäre es möglich gewesen, Nachgrabungen anzustellen bis auf die Sohle des mit Gerölle und Sand theilweise ausgefüllten Flußbettes, so hätte sich ohne Zweifel die Zahl der periodischen Fluthen, annähernd wenigstens, errathen lassen, mir aber, der ich vereinzelt dastand, und allein angewiesen war auf meine eigenen Mittel und Kräfte, war solches unmöglich. Der Fall dieses Flußbettes ist übrigens ein sehr starker gewesen, und an Stellen, wo ich Messungen anstellen konnte, fand ich 2°-3°.
Die Hauptrichtung, welche das Thal verfolgt, ist von West nach Ost, indessen treten natürlich einzelne Krümmungen auf und auch die Breite desselben ist eine verschiedene, an manchen Stellen dreißig bis vierzig Schritte, an andern Orten wieder breiter.
Unweit der Bai dehnt sich das Flußbett bedeutend aus, wie dieß bei fast allen Flüssen der Fall ist, welche sich in's Meer ergießen, und es muß hier das von den Bergen kommende Wasser eine Ausdehnung von 500 bis 600 Schritten gehabt haben, wie die Gerölle und Geschiebe zeigen, welche dort allenthalben verbreitet sind, und welche sich scharf scheiden lassen von den Geschieben, welche die See an's Land geworfen hat, da letztere stets mit einer Unzahl organischer Reste gemengt sind.
Es ist durch die oben erwähnte Verkittung der Gesteinsfragmente, welche unter freiem Himmel stehen, wie ich glaube bewiesen worden, daß es, seit Hebung jenes Theils der Küste nicht daselbst geregnet hat.
Durch die Untersuchung des alten Flußbettes aber hat sich ergeben, daß mächtige und periodisch wiederkehrende Fluthen das Land durchströmten, welche ohne Zweifel plötzlich geschmolzenen Schnee der Anden ihren Ursprung verdankten, oder indirekt gewaltigen Ausbrüchen der Vulkanreihe jenes Gebirgs, durch welche theils Schnee und Gletschereis geschmolzen, theils auch mächtige Regengüsse, vulkanische Gewitter, oberhalb des Gebirgs sich entleerend, hervorgerufen wurden.
Nachdem ich die Gesammtschilderung der Bai dem Leser vorgeführt habe, so gut es mir möglich gewesen, mag es mir erlaubt sein, von einigen Excursionen und den Erlebnissen einzelner Tage zu erzählen.
Diese Berichte mögen als Ergänzungen angesehen werden zu dem Vorhergesagten, als erläuternde Beiträge zum Leben und Treiben in jenem entlegenen Winkel der Erde, und zu den Schilderungen der Landschaft selbst, welche ich versucht habe.
Einen der ersten Ausflüge unternahm ich zusammen mit Kapitain Müller, der, wie ich, sich als Passagier am Bord des Dockenhuden befand, indem wir die nördlich an der Bai gelegenen Wohnungen einiger Fischer aufsuchten.
Der Weg zu ihren Hütten führt längs des Strandes dahin, und der bereits geschilderte Charakter der Bai selbst ist auch hier, in weiterem Verlaufe der Küste derselbe. Am Ufer der See, und bisweilen ziemlich weit in's Land reichend, besteht der Boden an mehreren Orten fast einzig aus Muschelgrus, während an anderen Orten wieder mehr Geschiebe vorherrschen, welche indessen stets mit Fragmenten von Schaalthieren gemengt sind. An manchen Stellen findet sich auch magneteisenhaltiger Sand, mit noch wohlerhaltenen kleinen Oktaedern von Magneteisenstein. Die kegelförmigen doleritischen Formen bilden längs des Strandes die einzige Abwechslung, indem sie hier den Boden durchbrechen und in mehrerlei Gruppen aus demselben hervorgehen. Etwa auf dem halben Wege von der Bai aus bis zu jenem Fischerdorfe, mußten wir einen mauerartigen Wall übersteigen, der von diesem Felsen gebildet wird, und welcher von der See bis an das Küstengebirge reicht. Ich fand an jenen Felsen zwei Species einer Salsola, und Halana paradoxa, welche in einigen Exemplaren an den Klüften des Gesteins kümmerten, und die bescheidenen Repräsentanten der ärmlichen Flora, sowohl der Bai als auch der umliegenden Küstengegend waren, mit Ausnahme jenes bereits erwähnten großen Cereus.
Durch einen Zufall fand ich dort zuerst einen hübschen Seestern, Asteracanthion helianthus, welcher, wie sich herausstellte, ziemlich häufig an den aus der See ragenden Felsen festsitzt. Ich schoß nämlich mit einer kleinen Kugelbüchse, welche ich meist bei solchen Excursionen bei mir trug, einen ziemlich hoch über uns streichenden schwarzen Aasgeier. Das Thier kämpfte eine Zeit lang in der Luft, und stürzte dann auf der Seeseite herab, indem es auf eine aus dem Wasser hervorragende Klippe fiel, dort noch einige Augenblicke stehen blieb und dann niederstürzte.
Wer je gejagt hat, weiß, daß es weniger ärgerlich ist, gefehlt zu haben, als ein erlegtes Thier verlieren zu müssen. So wadete ich denn in's Wasser um die Klippe zu erreichen, da Ebbe war und ich das Wasser nicht tief wähnte. Als ich indessen bis an den Gürtel im Wasser stand, fing mich dasselbe zu heben an, und ich sah, daß ich schwimmen mußte. Ich ging mithin zurück, entkleidete mich, und begann meinen Weg auf's Neue. Ist die See ruhig und gerade keine starke Brandung, so mag auch ein wenig geübter Schwimmer Aehnliches unternehmen. Ich selbst habe später öfter solche Felsen schwimmend erreicht, bin nie in irgend eine Fährlichkeit gerathen, und denke noch mit Vergnügen an jene Bäder zurück, welche das außerordentlich Angenehme haben, daß namentlich anfänglich das Wasser höchst behaglich warm ist.
Als ich den Felsen erreicht hatte, und an demselben emporgeklommen war, fand sich, daß der Geier verschwunden und bereits etliche fünfzig Schritte weiter außen in der See trieb. Er war ohne Zweifel unweit des Randes der Klippe niedergefallen, und während des letzten Todeskampfes in's Wasser gestürzt. Ich fühlte mich nicht berufen noch weiter seewärts Schwimmübungen anzustellen, untersuchte statt dessen den Felsen näher, und fand jenen Seestern in den Klüften festsitzen. Ich habe später von dieser und von andern ähnlichen Klippen schöne Exemplare geholt, mußte aber für dießmal mich mit der Entdeckung begnügen, da ich die Hände zum Schwimmen brauchte, und Nichts weiter bei mir hatte um die Thiere an's Land zu schaffen.
Als ich mich eben anschickte, landwärts zu schwimmen, sah ich Kapitain Müller auf eine ganz eigenthümliche Weise auf den Felsen der Küste umherspringen. Offenbar haschte er nach irgend etwas, denn ich konnte wahrnehmen, daß er bisweilen die Botanisirkapsel öffnete, und dann wieder seine Jagd fortsetzte. Am Ufer angekommen, sah ich hunderte von Eidechsen, welche mit Blitzesschnelligkeit auf den schwarzen Felsen und Geröllen der Küste umherliefen und diese waren es, welche der wackere Kapitain verfolgte, um für meine Sammlung einen Beitrag zu liefern. An jenem Tage und später gelang es mir, mehrere lebend zu bekommen und ich habe sie bis nach Kap Horn erhalten, wo sie, trotzdem, daß ich den Behälter, in welchem ich sie verwahrte, mit in meine Koje nahm, dennoch ohne Zweifel der Kälte erlagen.
Es ist eine Schuppeneidechse, welche einen Schuh lang und wohl noch größer getroffen wird. Sie ist grau und braun gefleckt, fünfzehig und hat lange, scharfe Krallen. Ihre Nahrung besteht aus kleinen Muscheln, aus Krabben, welche die See auswirft und aus einer kleinen Fliege, welche ebenfalls am Strande lebt. Sie hascht ihren Raub mit vieler Behendigkeit und raschen Sprüngen, und beißt heftig um sich, wenn man sie faßt, aber es dringt der Biß kaum durch die Haut und ist vollkommen schmerz- und gefahrlos. In der Gefangenschaft fressen sie noch einige Zeit Fliegen, bleiben aber stets wild und ungeberdig. Ich habe später an einigen andern felsigen Parthien der Küste ebenfalls einige Exemplare derselben Species getroffen, aber nie in so ungeheurer Menge als dort, wo der Boden buchstäblich mit diesen Thieren bedeckt war.
Wir erreichten endlich die Hütten der Fischer, und ich hatte dort zum erstenmal Gelegenheit die eigenthümliche und sicher höchst einfache Bauart jener Leute zu beobachten.
Man rammt vier Pfähle in die Erde, die man entweder von irgend einem Schiffer erworben, oder aus der See aufgefischt hat. Quer über diese werden vier andere Stangen gelegt, nicht selten die Stämme jenes mächtigen Cereus; die Wände und das flache Dach aber sind von alten Hadern zusammengesetzt, welche man über diese Stangen hängt und legt. Friedlich hängen hier Reste alter Packtücher, fragmentarische Kattunkleider der Senorita und allerlei, nach unsern Begriffen wenigstens, unentbehrliche und unaussprechliche Kleidungsstücke der Bewohner des Hauses, welche, abgelegt, sogleich ihre architektonische Verwendung finden, statt den Zähnen des Holländers anheim zu fallen.
Da es nie regnet, nie kalt wird, und man sich nur gegen die Sonne zu schützen hat, so erfüllen diese Wohnungen vollständig ihren praktischen Zweck, obgleich sie in etwas geringerem Grade den Anfordernden künstlerischer Schönheit entsprechen. Ich glaube, daß jene Fischer die ursprünglichen Bewohner der Bai sind, d. h. daß sie seit der Entdeckung der Westküste durch die Spanier dort wohnen, aber ob sie Reste der indianischen Bevölkerung, oder Abkömmlinge der Spanier sind, oder vielleicht Mischlinge von beiden, konnte ich nicht erfahren und es möchte dieß auch schwer zu entwickeln sein. Daß die Bai selbst schon in den früheren Zeiten bewohnt war, vor der Zeit der Spanier, und selbst vor der Zeit der Inka, werde ich übrigens später zeigen, ohne Zweifel aber hat der Fischreichthum derselben, von den frühesten Zeiten an, stets einige Menschen dort festgehalten.
Die spanische Sprache und Kattunkleider, welche die Weiber tragen, sind die einzigen Anzeigen von Kultur, wenigstens von europäischer, welche bei diesen Leuten angetroffen wird. Sie sind Christen, d. h. angeblich getauft, da aber ein Lehrer oder Priester, so viel mir bekannt, nie an jene entlegene Stelle der Küste kömmt, so weiß ich nicht, ob Christenthum und Architektur dort nicht auf gleicher Stufe stehen.
Der Fischfang wird theils mit Netzen betrieben, meist aber auch auf ziemlich patriarchalische Weise mittelst Harpunen. Man bedient sich hiezu der sogenannten Balzen. Es sind diese eigenthümlichen Fahrzeuge entweder aus zwei Stämmen des unendlich leichten Guayaquil-Holzes zusammengesetzt, welche der Länge nach nebeneinander durch einige Querhölzer mittelst Nägeln verbunden sind, oder aus zusammengenähten Häuten von Robben, indem man zwei Schläuche fertigt, welche ebenfalls an einander befestigt werden, und welche man aufbläst. Die auf solche Weise construirten Fahrzeuge sind an der Vorderseite etwas schmäler als an der hinteren, und auf diese Weise, vorzüglich aber wegen ihrer Leichtigkeit, gleiten sie leicht auf der Oberfläche des Wassers dahin. Zwei Personen finden zur Noth auf ein und derselben Balze Platz, indem sie mit gekreuzten Beinen hintereinander auf einer kleinen Decke sitzen, und während der eine rudert, harpunirt der andere die Fische, welche sich in den fangreichen Stellen der verschiedenen Buchten aufhalten.
Die Hauptnahrung jener Fischer ist eben diese ihre Beute, frisch und an der Sonne getrocknet, indessen bringen sie ihre Fische auch den Minenbesitzern und handeln von diesen Brod und andere unentbehrliche Dinge, Kleidungsstücke u. s. w. ein. Wir bestellten jenesmal einen der Fischer an unser Bord, und schon des andern Tages erschien derselbe, und brachte uns wirklich prachtvolle Fische. Ich habe eine ziemlich genaue Zeichnung der größern Art derselben entworfen und auch den Schädel derselben mit nach Europa gebracht, hier aber will ich nur erwähnen, daß die einzelnen Exemplare 18 bis 20 Pfunde wogen, und daß Kapitain Müller und ich in Abwesenheit des Kapitains, für einige Stücke Schiffsbrod dem Fischer etwa 120 Pfunde seiner Waare abhandelten, da er gebotenes Geld ausschlug. Auf den Felsen, unweit der Wohnungen jener Fischer, halten sich häufig Robben auf, und bisweilen gelingt es dieselben zu erlegen. – Wir sahen eine solche auf den aus der See ragenden Klippen sitzen und ich glaube, daß es phoca leonina und proboscidea war. Es war ein mächtiges Thier, braun-schwarz und wohl 20 Schuhe lang.
Da ich gerne den Schädel eines dieser Thiere besessen hätte, und auf der andern Seite auch Gelüste trug, eine Fahrt auf einer Balze zu versuchen, ließ ich mich auch vom Fischer auf seinem Fahrzeuge in die See rudern.
Ich mag wohl gestehen, daß jene Fahrt nicht eben besondere Annehmlichkeiten bot. Ich hatte die Schuhe ausgezogen, um im Nothfalle besser schwimmen zu können, und kauerte hinter dem Manne, indem ich meine Büchse möglichst vor dem allenthalben spritzenden Wasser zu schützen suchte. Es gewähren die Balzen allerdings den Vortheil, daß man über alle Wellen, und selbst über die höchsten Wogen der Brandung leicht hinwegkömmt, und eben so von dem an der Küste meist häufigen Tange nicht gehindert wird. Bedenklich aber erscheint wohl jedem, der eine solche Fahrt zum erstenmale mitmacht, die Nähe der See, und die Art, wie man das Gleichgewicht halten muß, um nicht in's Wasser zu fallen. Die Gefahr ist indessen nicht bedeutend, denn geschähe dies auch, so kann man leicht die Balze wieder erreichen, da ein Untergehen derselben unmöglich ist, insoferne die Blasenbalze aus Robbenhaut nicht etwa einen Leck bekäme. Wir ruderten rasch etwa 200 Schritte in die See und suchten uns dem Felsen zu nähern auf welchem die Robbe lag; diese aber stürzte sich weit außer Schußweite mit furchtbarem Gebrüll in's Wasser, und da eben kein weiteres Thier ersichtlich, und ich die Balzenfahrt versucht hatte, bedeutete ich meinem Fährmann umzuwenden. Ich kam ziemlich durchnäßt an's Ufer, gab dem Fischer einige Realen und die Hälfte meines Tabaks und versprach ihm für den Kopf einer Robbe einen Peso; indessen erhielt ich keinen, da die Thiere nur im Schlafe zu überfallen und mit Piken zu tödten sind. Ich bedauere jetzt, keinen der defekten Schädel mitgenommen zu haben, welche häufig am Strande zerstreut umher lagen, welche mir aber jenesmal nicht gut genug erschienen. Als wir am Abende am Bord kamen, hungrig und mit einer ziemlichen Anzahl von geognostischen Stufen beladen, welche ich auf dem Heimwege gesammelt, eröffnete uns der Kapitain, daß er auf den andern Tag ein Picknick mit dem amerikanischen Minenbesitzer in Mamilla verabredet habe und lud mich zur Theilnahme ein. Ich versprach sechs Flaschen Ale beizusteuern und um 6 Uhr des Morgens fertig zu sein und legte mich vergnügt zur Ruhe, indem ich hoffte, eine neue Stadt der Westküste kennen zu lernen, da Mamilla fast auf allen Karten als solche verzeichnet zu finden ist.
Wir verließen des andern Tags das Schiff bei guter Tageszeit und fuhren auf dem Boote des amerikanischen Minenbesitzers längs der Küste nach dem nordwärts gelegenen Mamilla. Die beiden Kapitaine, unser Obersteuermann, der Engländer, der Amerikaner und die Frau seines Oberaufsehers, das einzige Weib in den Kupferwerken, waren nebst mir die im Boote Befindlichen, während der Oberaufseher und ein Zollbeamter, welcher uns von Cobija aus zur Controlle beigegeben war, den Weg zu Pferde machten. Ein kleines Segel und unsere vier rüstigen Ruderer ließen das Boot pfeilschnell über die Wogen gleiten, und indem wir uns immer so dicht als möglich zur Küste hielten, war es mir leicht, mancherlei Beobachtungen anzustellen bezüglich der Form und des Verhaltens des Küstengebirges. Aber ich hatte dort auch Gelegenheit eine psychologische Beobachtung anzustellen, welche ich mittheilen will, so unbedeutend sie auch scheinen mag.
Neben unseren drei Matrosen war der vierte Ruderer ein Franzose, ein früher, wie es hieß, von einem Kriegsschiffe entflohener Matrose, und ein starker, kräftiger, ja schöner Mann, aber ersichtlich verwildert und nach dem Zeugniß seines Brodherrn, des Amerikaners, ein wüster, wilder und unbändiger Geselle. Er schien betrunken, und als noch dazu ihm unsere Matrosen eine schwere Sorte Kautabak gegeben hatten, gab er nach Art der Seekranken sichtliche Zeichen des Uebelbefindens von sich und man konnte wohl bemerken, daß ihm jammervoll zu Muthe. Indessen ruderte er unverdrossen fort und mit weit hinauf entblößten Armen. Auf einem dieser Arme aber war, wie es sich häufig bei Seeleuten findet, mit blau und rother Farbe eine Zeichnung eingeäzt, indessen so deutlich und zugleich so Skandalöses darstellend, daß die arme kleine Senorita, welche uns begleitete und jenem Riesen gerade gegenüber und in nächster Nähe saß, nicht wußte, wo sie die Augen hinwenden sollte.
Da fixirte ich nur mit einem Blicke den Franzosen mit den Augen auf seinen Arm, und dann kaum merklich auf die Frau blickend, und jener rohe Mann, der wohl schon manches Wüste erlebt und vollführt haben mochte, erröthete und bedeckte augenblicklich seinen Arm. Er erröthete, weil er eine Frau verletzt zu haben glaubte! und auch ich fühlte, wie mir das Blut in's Gesicht stieg, weil mich jener Zug von nationaler Chevalerie doppelt erfreute an den wilden Burschen. Als wir an's Land stiegen, grüßte er mich, und sagte unhörbar für die andern: »Grand merci Monsieur.« –
Man landet bei Mamilla in einer kleinen felsigen Bucht und das Boot muß sich buchstäblich durch die Felsen winden, welche scharfkantig und gefährlich, allenthalben aus der See ragen und am Lande selbst sich fast grottenförmig aufthürmen.
Dort ist die Vorstadt von Mamilla, welche aus einer jener bereits beschriebenen und aus alten Lappen zusammengesetzten Hütte besteht, welche indessen malerisch genug an eine Felsenwand angelehnt ist. Wir gingen zwischen den Felsen hindurch und kamen auf einen freien Platz, wo sich das eigentliche Mamilla befindet. Es sind etwa sechs Hütten, ebenfalls den bereits bekannten gleich, welche die Stadt bilden, und ich war einigermaßen überrascht, mich dergestalt getäuscht zu sehen.
Indessen ersetzte die Heiterkeit der Bewohner einigermaßen die Einfachheit der Gebäude. Es war am 10. Februar, Fasching, und ich bemerkte mit Vergnügen, daß nicht allein ernste Thorheiten sich ansteckend über den Erdkreis verbreiten, sondern daß auch tolle Luft und gründliche Possenhaftigkeit sich dieses Recht nicht nehmen läßt. Allenthalben Gelächter und Fröhlichkeit, Scherz und Freude. Man tanzte und zechte vor den Hütten, auch zärtliche Gruppen schienen nicht zu fehlen, vor allem aber sind mir zwei Gestalten im Gedächtniß geblieben. Die eine, ein großer starker Neger, welcher sich, abenteuerlich vermummt, Gesicht und Hände mit Mehl bestreut hatte und unaufhörlich die furchtbarsten Sprünge und Verdrehungen vollführte, welche er mit schauderhaftem Gesang begleitete, Alles zur Erheiterung des Publikums und zur Erhöhung der Festlichkeit. Die andere war ein sanfteres Bild, eine Senorita von stark bräunlicher Hautfarbe, welche ohne Zweifel den überwiegenden Theil ihrer Kleidungsstücke nach Landessitte zu architektonischen Verzierungen der Hütte verwendet hatte, und ziemlich oberflächlich nur mit dem Allerunentbehrlichsten bekleidet war. Ueber ihre Gesichtszüge vermag ich nichts zu berichten, denn sie lag mit dem Antlitz gegen die Erde gekehrt, ein Bild der Ruhe und Beschaulichkeit, vielleicht auch tiefen Kummers, oder einer intensiven Arack-Narkose! Wir wendeten uns von jenen Scenen, indem wir bergan stiegen, um in die Schlucht zu gelangen, welche eigentlich den Namen Quebrada Mamilla führt, ohne Zweifel von mamila, die nährende Mutterbrust. Denn dort, etwa in halber Höhe des Gebirgs, und 1200 Fuß hoch über dem Spiegel der See entspringt eine kleine Quelle, welche befeuchtend und nährend die Schlucht zu einer Oase umwandelt, und an manchen Stellen derselben eine wahrhaft üppige Vegetation hervorgerufen hat. Die Quelle wird vom Fuße des Berges durch eine improvisirte Wasserleitung bis an die See geführt, und dort läßt täglich, auf 4 Stunden Entfernung, der englische Minenbesitzer in der Algodonbai seinen Wasserbedarf für Menschen und Thiere holen.
Die Wasserleitung selbst besteht aus alten Blechfragmenten, entnommen aus unbrauchbar gewordenen Kisten, in welchen Waaren über die See gebracht worden sind, und welche man mit der Hand in Form von Rinnen gebogen hat. Man hat durch kleine Steine diese Rinnen unterstützt, und ich glaubte anfänglich das Ganze von spielenden Kindern erbaut, denn ein leichter Stoß mit dem Fuße mag leichtlich Alles zerstören. Aber der kunstlose Bau steht unter dem Schutze der Bevölkerung, und erfüllt seit Jahren ungestört seinen Zweck.
Weiter oben in der Schlucht breitet sich die Quelle bewässernd aus, dort hat sich Erde gebildet, und man hat kleine Gärten angelegt. Der Baumwollenstrauch stand dort in voller Blüthe, ein ziemlich großer Baum, dem Linzenbaum unserer Ziergärten ähnlich in Blatt und Blüthe, Granatbaum und andere Kinder der tropischen Flora wucherten, man könnte fast sagen übermüthig in der nächsten Nähe ihrer tödtlichsten Feindin, der Wüste[47].
Es liegt an jenen Stellen eine schwarze fruchtbare Dammerde, entstanden durch die Verwitterung des Gesteins und die Wechselwirkung des Wassers und der Sonne, bedeckt mit dem üppigsten Grün, dicht neben schwarzem doleritischen Gesteine, welches von der glühenden Sonne so erhitzt ist, daß man kaum die Hand auf dasselbe legen kann, und während die grüne mit Pflanzenwuchs bedeckte Fläche bisweilen, steigt man aufwärts, wohl zwanzig Schritte breit ist, findet sich anderen Stellen wieder kaum einige Schuhe breit der Boden mit Erde und Vegetation bekleidet, wie eben die launenhafte Quelle ihren Lauf genommen.
Wir machten unter einem mächtigen Feigenbaume, der mit einer Menge reifer Früchte bedeckt war, Halt, und da unsere Reiter ebenfalls angekommen waren, begannen wir zu schmausen.
Es war ein fröhliches Fest, welches wir dort feierten, ein lustiger Congreß der verschiedensten Nationen der alten und neuen Welt, die ein abenteuerlicher Geist über die See geführt, und fröhliche Laune hier versammelt hatte. Deutschland, England und Frankreich, Nordamerika, Peru und Chile waren repräsentirt, und es waren die Speisen fast alle gewählt und bereitet nach dem Geschmacke der Landsmannschaft.
Man erläßt mir wohl den Küchenzettel, aber doch muß ich berichten, daß kürzlich durch einen Dampfer in die Bai gebrachte Früchte aus Peru den Reiz des Mahles erhöhten durch Seltenheit und Wohlgeschmack.
Da war die mächtige Ananas, die große peruanische Traube, die Duna, die Cheremoya, dann die goldene Frucht des Granatbaums, und kaum gedachten wir die Feigen vom Baume zu pflücken, die wir fast mit den Händen erreichen konnten.
Dankbarer Weise aber erwähnen wir der Weine aus verschiedenen Ländern, die uns die heiterste Stimmung brachten, und mancher mag wohl dort tief genug seine Lippen getaucht haben in das purpurfarbige Blut der Rebe.
Aber auch unser Festsaal war zu loben und trefflich gewählt. Ringsum die wilden und schroff ansteigenden Felsen der Steinwüste von Atakama, aber wir auf duftendem Grase, unter den Zweigen des riesigen Feigenbaumes und dem schönsten Himmel der Erde. Vor uns aber, wo die Schlucht sich öffnete, das unendliche Meer, groß, still und ruhig, ja einsam wie die Wüste hinter uns, denn es vergehen öfters Wochen, bis ein Schiff die Bai besucht, und kein Segel war auf der weiten Fläche zu sehen. Ich habe dort einen Toast ausgebracht auf die alte deutsche Muttererde, den die ganze Welt erfahren darf, und einen andern auf die lieben, theuern Herzen in der Heimath, der Niemand in der Welt interessirt als jene und mich, dann warf ich mein Glas in die Felsen, nahm meine Büchse und stieg in die Berge, da sich die Gesellschaft zur Siesta anschickte, ich aber zu träumen fürchtete von meinen Toasten.
Der Ursprung der Quelle war nicht genau zu ermitteln, indem der Theil der Schlucht, aus welcher die Quelle kam, so steil und unzugänglich war, daß ich längere Zeit bedurft hätte, als mir zu Gebote stand, um bis zur Quelle zu gelangen. Ich wandte mich daher nach einer andern Seite, und stieg zwischen und über doleritische Gesteine und Grünsteinformen eine ziemliche Strecke aufwärts.
Schon an der Quelle und in der mit Pflanzwuchs bekleideten Schlucht fand sich häufig die Losung der Guanacos, welche ohne Zweifel von den Bergen herabgestiegen dort ihren Durst löschten, weiter gegen oben aber lag der ausgetrocknete Koth dieser Thiere so häufig, daß bisweilen auf Stellen von einigen Ackern Landes der Boden buchstäblich damit bedeckt war. Dieß ließe auf eine ungeheure Anzahl dieser Thiere schließen, wenn nicht der Umstand zu beachten wäre, daß in jenen Gegenden Nichts fault, sich Nichts in der Art zersetzt, wie es bei uns der Fall ist, sondern daß Alles einem langsamen Austrocknungsprocesse, einer wenig stürmerischen Verwesung unterliegt, und daß zugleich keine Insekten vorhanden sind, welche diese und ähnliche organische Reste verzehren. So ist ohne Zweifel seit einer Reihe von Jahren von den zu Thale ziehenden einzelnen Thieren jene Losung dort aufgehäuft worden. Weiter gegen oben trat in geognostischer Hinsicht dieselbe Reihenfolge auf, wie es auch an andern Orten der Bai der Fall, und bereits berichtet worden. Porphyre und Felsite folgten dem doleritischen Gesteine und oben auf lag ein Syenit, jenem in der Bai sehr ähnlich, wenn nicht gleich. Ich kam auf kleine Plateaus, dann wieder auf steile, kaum zu erklimmende Wände, und es zeigte sich auch hier das terrassenartige Ansteigen des Gebirgs, wie allenthalben an der Küste, ja wie auf der hohen Cordillera selbst. Nebel, welche allabendlich die höchsten Spitzen des Gebirges einhüllen, und welche durch günstige Lage des Gesteins, wohl auch hier die Quelle bedingen, scheinen ebenfalls auch das Gedeihen jenes mächtigen Cactus zu begünstigen, von welchem ich schon gesprochen habe, und man trifft dort, wenn man so sagen darf, ganze Gehölze dieser Pflanze. Ich habe ein lebendes Exemplar derselben mitgebracht und sie wurde als Cereus chilensis bestimmt. Es wird aber der Cereus peruvianus und chilensis, wie mir scheint, häufig verwechselt, und ich möchte, vielleicht noch zu größerer Verwirrung der Frage, beifügen, daß sowohl hier als wie in Chile mehrere große Cacteen vorkommen, welche sich wohl sehr ähnlich sind, aber keiner der beiden genannten Arten angehören. Jania rubens fand sich häufig an den alten, oft 30 Fuß hohen Stämmen jener Cacteen, und auch Bambusa Guada fand ich dort in einzelnen Exemplaren. Dieß war das einzige Anzeichen von Vegetation in jenen sterilen Gehägen, während sich nirgends ein lebendes Thier blicken ließ, denn selbst der Condor fehlte, der auf der hohen Cordillera doch bisweilen über uns in den Lüften schwebt. Ich war lange aufwärts gestiegen im Gebirge, war auf- und abwärts geklettert über Schluchten und an abschüssigen Wänden, so daß ich längst die See nicht mehr sah, und als ich endlich an den Heimweg dachte, die Möglichkeit vor mir sah, unser Lager nicht mehr zu finden. Doch gab bereits die im Sinken begriffene Sonne mir die Richtung, und ich langte nach etwa dreistündiger Abwesenheit im Lager an.
Dort lagen alle Schläfer noch zerstreut in malerischen Gruppen und ich wurde an die Schläferscene im Robert erinnert; da ich aber keinen Zweig zu zerbrechen hatte, feuerte ich einen Schuß über ihre Köpfe hinweg. Bald loderte nun ein Feuer, es wurde Kaffee bereitet und die Rüstung zum Heimweg betrieben. Ehe ich aber die wirthliche Schlucht verlasse, will ich noch einiger Thiere gedenken, welche ich dort getroffen, und welche ohne Zweifel einzig auf die grünende Parthie derselben angewiesen sind. Es war ein kleiner finkenartiger Vogel, welcher, jedoch selten, durch die Aeste der größeren Bäume schlüpfte, dann einige Eidechsen, welche zierlich und schlank gebaut und unserer Lacerta agilis nicht unähnlich waren. Sie schienen den Menschen kaum zu fürchten, und haschten kleine Stückchen Brod oder Feigen, welche man ihnen hinwarf, und flohen damit in ihre in den Steinen befindlichen Schlupfwinkel, um bald darauf wieder zu erscheinen. Ich habe keines dieser Thierchen getödtet, und auch keinen der Vögel, kann daher über Art und Gattung nichts weiter sagen.
Ferner fand ich noch zwei Arten von Fliegen und das vorzugsweise unter dem großen Feigenbaume, auf Stamm, Blättern und Früchten umherfliegend. Es hatten jene Fliegen Aehnlichkeit mit Cynips Psenes, durch welche in Griechenland die sogenannte Caprification der Feigen vermittelt wird, und es wäre wohl möglich, daß jene Fliegen dort in Mamilla in ähnlicher Beziehung zu den Feigen ständen, doch konnte ich an den reifen und unreifen Früchten keine Spur eines Insektenstiches finden. Auch kennt man weder in der Algodonbai noch in Chile die Operationen, welche man im Oriente anwendet, um die Reife der Feigen künstlich zu befördern, und giebt es dort ein solches Insekt, durch dessen Stich dieß geschieht, so findet die Caprification wenigstens ohne Hülfe und Mitwissenschaft der Menschen statt.
Am Strande angelangt, wurde uns von einigen Bewohnern Mamillas ein junges Guanaco zum Verkaufe angeboten, und der Kapitain erstand dasselbe zu einen ziemlich hohen Preise, um es mit nach Europa zu zu nehmen. Wir erfuhren dort, daß die Guanacos eben nicht häufig auf den Bergen seien, daß aber doch welche getroffen würden, und daß die Thiere häufig des Nachts an die Quelle kämen um zu trinken. Ganz à la Robinson wird dann bisweilen eines oder das andere von irgend einem Verstecke aus mit dem Lasso gefangen. Das Junge, welches wir mitnahmen, war nebenher gesagt, das boshafteste, störrigste und widerwärtigste Subject (unter den vierbeinigen nämlich), welches mir seit langer Zeit vorgekommen. Es hatte die Größe eines starken Rehbockes; wir brachten es glücklich mit nach Europa, und ich habe später vielleicht noch Gelegenheit von ihm zu berichten.
Wir hatten heimwärts günstigen Wind, und konnten abermals das Segel benützen; so kamen wir rasch vom Flecke und die Fahrt war bei der lieblichen Temperatur des Abends in der That eine höchst angenehme zu nennen. Als wir uns dem Felsen näherten auf welchem sich gewöhnlich die Robben aufhalten, lagen wirklich mehrere derselben dort, sich in der Abendsonne wärmend.
»Das giebt einen Scherz,« sagten unsere Matrosen, »geben Sie einmal Acht, was die Burschen sich ärgern, wenn man ihnen Seehund! zuruft, denn weil es eigentlich Seelöwen sind, so verdrießt sie dieß ganz verzweifelt.«
In der That hatte es ganz den Anschein als wollten die »Seelöwen« die Meinung der Matrosen in Betreff ihres Racen-Vorurtheils rechtfertigen. Wir näherten uns dem ersten, der zu schlafen schien, und riefen sämmtlich aus voller Kehle das ominöse »Seehund.« Da erhob sich das Thier, stieß ein wirklich schauderhaftes Gebrüll aus, und rutschte, mit den kurzen Stummelfüßen sonderbare Bewegungen machend, bis an den Rand der Klippe. Jetzt lachten ihn die Matrosen aus, wiederholt Seehund rufend, bis endlich unter wüthendem Gebrülle das Thier sich kopfüber in die See stürzte. Interessant war bei der Geschichte, daß die kaum fünfzig Schritte davon auf andern Klippen liegenden Robben nicht auch sogleich die Flucht ergriffen, sondern wirklich warteten, bis auch sie persönlich angegriffen und verhöhnt wurden.
Ohne irgend einen störenden Unfall und sehr befriedigt von den Ereignissen des Tages, erreichten wir ziemlich spät des Abends den Dockenhuden, und versprachen uns gegenseitig einen zweiten ähnlichen Ausflug nach Mamilla, der aber in Folge anderer Excursionen unterblieb.
Einige Tage später unternahm ich allein eine Excursion in die Berge um geognostische Notizen zu sammeln, und vielleicht nebenher ein Guanaco zu erlegen. Ich hatte eine kleine, wollene Decke mit mir genommen, wie ich solches auch in Chile that, wenn ich im Freien übernachten wollte, etwas Charque, d. h. an der Sonne getrocknetes Ochsenfleisch, ein wenig Zwieback, und meine Feldflasche mit Rum gefüllt. Daß Berg-Compaß, Mineralienhammer und die Doppelflinte nicht fehlten, versteht sich von selbst. Ich verließ des Morgens gegen zehn Uhr den Dockenhuden und stieg rüstig bergan. Die Ergebnisse der meisten geognostischen Erfahrungen, welche ich auf dieser und andern ähnlichen Touren sammelte, habe ich theils in einer größeren wissenschaftlichen Abhandlung niedergelegt, theils aber auch in den gegenwärtigen Reiseskizzen insoferne berührt, als es für dieselben von Interesse ist. Ich will daher den freundlichen Leser nicht weiter mit solchen behelligen, indessen muß ich von einer Erscheinung berichten, der ich schon früher vorübergehend erwähnte.
Es ist dieß die scheinbare Schichtung des Gebirges, welche an mehreren Stellen der Küste beobachtet wird und welche, wie sich bei näherer Betrachtung ergibt, durch Verwitterung bedingt ist.
Ich habe schon öfter des terrassenartigen Ansteigens erwähnt, welches die dortigen Bergformen charakterisirt. An manchen Stellen nun haben sich die einzelnen Parthien, kolossalen Mauern ähnlich, neben einander emporgeschoben, so daß eine stets die andere überragt, und, wenn man will, eine Art Riesentreppe gebildet wird. Durch Verwitterung nun, und allmälige Zersetzung des Gesteins, hat sich ein Theil derselben abgelöst und ist von den steilen Wänden hinabgestürzt auf den ebenen Theil der unteren Bildung, der hier ein größeres oder kleineres Plateau bildet. Da das zersetzte verwitterte Gestein fast stets eine andere Farbe angenommen hat, so sticht seine Anhäufung auf dem untern Plateau meist ziemlich scharf ab gegen die steil ansteigende Wand des unzersetzten Felsens, der mauerartig hinter dem Plateau ansteigt. Dies bildet nun quer am Abhange des Gebirges hinziehende, verschiedenfarbige Streifen und Bänder, welche an vielen Stellen der Küste, von einiger Entfernung gesehen, fast täuschend den Eindruck der Schichtung machen.
Bei der Regenlosigkeit jener Küstenstriche muß eine solche Masse verwitterten Gesteins auffallen, allein es tritt dort die intensive Sonnenhitze wieder theilweise ergänzend auf, und das einmal abgelöste und auf die untere Fläche gestürzte Gestein bleibt dort für immer liegen, eben da die Regengüsse fehlen, welche an einem andern Orte mit der Zeit diese Lagen mehr und mehr abwärts führen würden.
Während der ganzen Küstenfahrt interessirte mich diese scheinbare Schichtung des Gesteins, und schon auf der hohen Cordillera in Chile habe ich früher Aehnliches an entfernten und unzugänglichen Stellen des Gebirges betrachtet. Ich fand hier plötzlich die einfache aber vollständig klare Lösung des Räthsels, und setzte erfreut meinen Weg fort, denn das Vergnügen, welches man bei solchen Gelegenheiten empfindet, entschädigt für die Entbehrungen von Wochen und Monaten.
Bis gegen Abend kletterte ich bald abwärts bald aufwärts, Handstücke schlagend, Durchschnitte zeichnend, und überhaupt nach Kräften geognostische Studien betreibend. Dann stieg ich aufwärts so weit ich konnte und ging eine Strecke in's Land, wenn der felsige, steinige Boden so genannt werden darf, der von tausend Rissen durchzogen, und mit mächtigen Felsenstücken bedeckt war. Aber stets war die Aussicht in's eigentliche Innere versperrt durch neue aufsteigende Felsenhügel, und ich sah ein, daß ein weiteres Vordringen für heute nicht möglich, wenn ich morgen wieder an Bord sein wollte. Ich ging also gegen Süden, wo sich das Gebirge etwas senkte, und so weit gegen die Küste zu, daß eben das Meer wieder sichtbar wurde. Dort suchte ich mir einen Felsen aus, in dessen Nähe möglichst wenige frisch herabgestürzte, scharfkantige Bruchstücke lagen, weil ich schloß und hoffte, daß auch während der Zeit, in welcher ich neben ihm liegen würde, ein Herabfallen nicht stattfinden würde. Ein Vorsprung von einigen Fuß mußte das schützende Dach vorstellen, und indem ich größere Steine hinwegräumte, bereitete ich mein Lager so gut es ging.
Spartanisch genug fiel es aus, das mag ich nicht verhehlen, und wenn gleich die Müdigkeit mich die ersten Stunden ziemlich fest schlafen ließ, so brachte ich doch den größten Theil der Nacht schlaflos zu, und diese Schlaflosigkeit war sicher nicht durch die allzu reichliche Abendmahlzeit hervorgerufen, da ich die Hälfte meines Vorrathes für den folgenden Tag gespart hatte. Was ich indessen am meisten fürchtete, den Mangel an Wasser, empfand ich am wenigsten, und ohne Zweifel war die schwache Nebelschichte, welche sich herabgesenkt hatte, die Ursache hievon.
Als ich etwa gegen 1 Uhr in der Nacht erwachte, war der Mond heraufgestiegen und der Nebel auf den Bergen fast gewichen, so daß die Felsengruppen um mich beleuchtet waren, und auch über den öden Flächen des Gebirges und der fernen See ungewisse Streiflichter zitterten. Ich starrte dort wie im Traume auf jenes Chaos von Felsen, Nebel und undeutlichen Lichtmassen hin, und es beschlich mich ein solches Grauen, daß ich deutlich mein Herz schlagen hörte. Wovor? Ich weiß es nicht. Warum? Ich vermag keine Rechenschaft zu geben, denn ich hatte viele Nächte im Freien zugebracht eben so allein wie hier. Es war keine Furcht vor etwas Lebendem, keine Scheu vor etwas Todtem, Gespenstigem, es war ein tiefes, unbezeichenbares Grauen, ein Schaudern bis in's innerste Mark, ein Alpdrücken im wachenden Zustande.
Mancher Sprung in's Wasser und mancher verhängnißvolle Druck am Schloße der Pistole mag vielleicht solche Momente geschlossen haben. Ich hatte das nicht zu fürchten. Hatte ich nicht den zweiten Toast getrunken in der Schlucht von Mamilla!
Jenes furchtbare Gefühl dauerte indessen nicht lange. Schon eine halbe Stunde nach dem Erwachen rauchte ich die versöhnende Friedenspfeife mit mir selbst, und schuf mir Theorien, wodurch jene Schauder entstanden sein konnten. Ich will diese dem Leser erlassen, muß aber beifügen, daß ich mehrmals in der Nacht das Wiederkehren fürchtete, ähnlich einer pathologischen Erscheinung.
Obgleich ich schon manche unangenehmere Nacht zugebracht unter Dach als hier unter dem sogenannten Himmelszelte, so war doch die Erinnerung an diese eben keine erfreuliche zu nennen, und ich nahm mir vor, ein zweites Nachtlager auf ähnliche Weise in der Folge zu versuchen, der Probe halber und des Experiments wegen. Ich habe es einige Tage später ausgeführt, und kann von jener Nacht dem Leser versichern, daß sie friedlich vorübergegangen und die Expedition nichts besonderes geliefert, als Ergänzungen zu meinen geognostischen Studien.
An jenem Morgen aber brach ich schon vor Anbruch des Tages auf und hielt mich in südlicher Richtung das Gebirge verfolgend auf dessen Höhe, bis ich endlich, als die Sonne zu steigen begann, abwärts schritt, um das Ufer zu erreichen. Es waren bisweilen die Wände und Gehäge so steil, daß ich mich kaum zu halten vermochte, und da ich eine ziemliche Last an erworbenen geognostischen und oryktognostischen Stufen mit mir trug, welche durch neue Funde stets wuchs statt abzunehmen, so war ich froh als ich den Fuß des Gebirges erreicht hatte.
Meiner Rechnung nach mochte ich etwa drei und eine halbe Stunde von der Bai entfernt sein, aber bei der bereits drückenden Sonnenhitze und dem oft glühend heißen schwarzen Sand der Küste, welcher häufig mit dem weißen, aus Muschelfragmenten begehenden, wechselte, war der Heimweg immerhin ein beschwerlicher zu nennen. Zudem hatte ich Hunger, da bis auf einen kleinen Rest von Zwieback mein Speisevorrath zum Frühstück gedient hatte, um die Schauer der Nacht zu vertilgen. So gewährte es mir ganz besonderes Vergnügen, als ich an den aus der See ragenden Klippen plötzlich mehrere Möven sitzen sah, welche sich wenig um mich zu bekümmern schienen. Ich schoß eine derselben, und indem ich mir dieselbe aus dem Wasser nahm ich ein Morgenbad und zugleich einen Mund voll Seewasser[48].
Ich wußte, daß in den Ausläufen der Schluchten nicht selten vertrocknete Cactusstämme angetroffen werden, welche dort als Feuerungsmaterial dienen, und so schritt ich weiter, auf solche wartend, um meine Möve zu braten, wie ich es bereits in Chile mit einem guten Theile geschossener Vögel gethan.
Wie ich schon früher bemerkte, wechselt häufig der Sand der Küste, indem er einmal aus schwarzen magneteisenhaltigen Körnern, dann wieder aus größeren Geschieben, endlich aber an andern Orten blos aus Muschelfragmenten oder thierischen Resten überhaupt besteht.
Es ist ohne Zweifel sowohl der nächste Meeresgrund, als auch die Richtung der kleineren Buchten, gegen den vorzugsweise herrschenden Wind, hieran schuld, und so kam ich bald, nachdem ich die Möve erlegt hatte, an eine solche Bucht, die buchstäblich bedeckt war mit Knochen von Robben und Wallfischen, und mit Schädeln derselben, welche in der Form wenigstens noch wohl erhalten, obgleich fast alle organische Substanz aus ihnen verschwunden war, und ein weiterer Transport kaum möglich erschien. Die flachen Ufer jener Bucht erstreckten sich wohl hundert Schritte weit bis an den Fuß des Gebirges und hatten die vierfache Länge, und es bedurfte ohne Zweifel mehrere Jahrhunderte, um die Unzahl von Knochen aufzuhäufen, welche sich dort befinden. Ich zeichnete den Schädel eines Wallfisches, der etwa 7 Fuß Länge hatte und verließ die Stelle, indem ich mich wieder den Bergen näherte, wo ich endlich fand, was ich suchte, nämlich einige ausgetrocknete, zur Feuerung tüchtige Stücke von Cactusstämmen. Ein kleines Feuer war bald entzündet und die zerstückte Möve kunstgerecht mit etwas Salz bestreut, gebraten, oder vielmehr halb geröstet und halb verbrannt. Obgleich ich stets Hammelfleisch und weiße Rüben als das abscheulichste Essen erklärt habe, muß ich doch gestehen, daß jener Vogel noch verabscheuungswürdiger roch, und fast noch erbärmlicher schmeckte als jenes genannte schmähliche Gericht.
Nach etlichen Stunden kam ich an Bord an, nachdem ich vorher die Ruinen, oder wenn man will die Grundmauern von Wohnungen aufgefunden hatte, welche einer alten und längst ausgestorbenen Menschenrace angehörten. Aber hievon werde ich später berichten.
Ich habe so eben jener eckelhaften Speise des Hammelfleisches erwähnt, und muß jetzt gestehen, daß ich schon des folgenden Tages dreimal Hammelfleisch genießen mußte (glücklicher Weise indessen ohne Rüben), und daß ich dieser außerordentlichen und kaum glaublichen Thatsache halber ein Attest bei mir führe, welches ich mir von unserm Kapitain mit beglaubigter Zeugenunterschrift habe ausstellen lassen.
Dem Leser erlasse ich die Mittheilung dieses Attestes, welches indessen, als ich den Kapitain um die Unterschrift bat, viel Scherz veranlaßte, und hiefür erläßt mir vielleicht der günstige Leser die detaillirte Aufzählung der ganzen Reihe von merkwürdigen Begebenheiten, welche jene unerhörte Thatsache hervorgerufen hat.
Direct aber an den letzten Hammelkopf mit Zwiebeln, der bei dem englischen Minenbesitzer verzehrt wurde, muß ich die Schilderung einer der romantischsten Parthien der Bucht anknüpfen. Wir hatten nämlich bei Herrn Thomas Helsby zu Mittag gegessen, und es führte uns derselbe nach Tische in der Umgegend seiner Besitzung umher. Nicht weit von der letztern befindet sich eine größere Gruppe jener öfters erwähnten dunkeln Felsgebilde, welche zusammenhängend und massiger als gewöhnlich, hier eine Halbinsel bilden. Das unregelmäßige Viereck, aus welchem die Gruppe besteht, hängt eben nicht unmittelbar längs der ganzen dem Lande zugewendeten Seite mit demselben zusammen, sondern es bildet die See hier einen Einschnitt in die Felsenmasse, eine schmale etwa 10 bis 12 Fuß breite Bucht, die ungefähr zwei Drittheile der Länge jener der Küste zugewendeten Seite der Felsparthie beträgt.
Die ganze Masse der Felsen steht senkrecht und mauerartig aus dem Wasser hervor und ihre Höhe beträgt auf der Seeseite 36 bis 40 Fuß. Auf der Landseite aber sind sie etwas höher, so daß vom Lande gegen See zu ein Fall stattfindet.
Die Oberfläche der kleinen Halbinsel ist mit einzeln emporstehenden Spitzen, kegelförmigen Erhöhungen und Zacken besetzt, und dieselbe erhält dadurch ein phantastisches und groteskes Ansehen, dabei beträgt ihre Breite dreißig und etliche Schritte, ihre Länge aber etwa zweihundert.
Was aber jener schon an und für sich romantischen Parthie einen wirklich und großartig pittoresken Reiz verleiht, ist die Brandung, welche an jenem Theile der Küste, wie ich bereits erwähnte, bisweilen in so ungestümer Heftigkeit und mächtiger Höhe auftritt.
Die Oberfläche jener Felsgruppen ist bei gewöhnlicher Brandung bis auf einige mit Wasser gefüllte Vertiefungen trocken und kann bestiegen werden. Bei höherer Brandung aber steigen die Wasser über die Felsen empor und überfluthen dieselben.
Wir nahmen unseren Standpunkt hinter dem vorher erwähnten Einschnitte, welcher einen Theil der Halbinsel von der Küste trennt, und sahen über erstere hinweg, wie mächtige Wellen der Brandung, wandelnden Riesenmauern gleich, gegen die Felsen anstürmten. Aber dort brach sich ihre Kraft, wir hörten blos das dumpfe Brüllen der zerschellenden Wassermassen und höchstens stiegen weiße, zackige Kämme, die Spitzen der stürmenden Wogen, über die Felswand empor, um im andern Augenblicke wieder zu verschwinden.
Plötzlich aber rückte von der See her eine neue, stürmende Wassermasse an, eine gewaltige, mächtige Fluthenmauer; sie erreichte die Felswand und dieses Mal überströmte sie dieselbe. Mit donnerähnlichem Brausen und Toben stürzte von allen Seiten mit der Schnelligkeit des Blitzes die siegende See aufwärts über die schiefe Fläche des Fels-Plateaus. Zwischen uns und der anstürmenden Fluth war jene Schlucht, und doch wichen wir unwillkürlich einen Schritt zurück; aber die Wasser ergossen sich jetzt unaufhaltsam vorwärts stürzend in die Schlucht selbst, so daß diese bis zum Rande gefüllt erschien mit dem weißen, wild aufkochenden Elemente.
Auf der einen Seite ist die Schlucht gegen die See geöffnet und bietet einen schmalen Eingang, auf der andern Seite aber ist eine etwa 10 Fuß breite Höhle in gleichem Niveau mit dem Wasser bei gewöhnlichem Stande. In diese Höhle stürzen die Wasser, welche kurz vorher die Schlucht erfüllten und obgleich ein Theil derselben wieder hervordringt, so bleibt doch die größte Menge im Innern und muß jedenfalls einen andern Ausfluß haben.
Es erneute sich das interessante Schauspiel stets nach einigen Minuten, und obgleich fast betäubt von der ganzen colossalen Erscheinung, blieben wir doch fast eine Stunde lang in ihre Betrachtung versunken, und unwillkürlich habe ich bei jenen wild aufkochenden Wogen, die dann plötzlich in die geheimnißvolle Höhle verschwinden, an Schiller's Taucher gedacht.
Geheimnißvoll aber ist die Höhle wirklich. Es benützen sie Schmuggler[49] als Zufluchtsort und Versteck, und ihnen allein sind die Vortheile bekannt, mittelst welcher man über und durch die unzähligen Klippen und Felsenspitzen hinwegkömmt, welche aus dem stets heftig bewegten Wasser der Schlucht hervorragen. Das Innere der Höhle hat ohne Zweifel einen andern, blos ihnen bekannten Ausgang, und muß sichern Raum bieten. Aber Niemand außer den Schmugglern hat je den Eingang gewagt.
Zollwächter verfolgten vor einiger Zeit an der Küste ein Schmugglerboot, welches die Schlucht gewann, und in dem tobenden Wogen-Chaos derselben verschwand. Auch das Wachtboot folgte und verschwand ebenfalls. Des andern Tages fand man einige Trümmer desselben, und den zerschmetterten Leichnam des einen der sechs Zollbedienten. Die andern hat kein Auge je wieder gesehen; aber die Schmuggler erschienen ganz unbefangen nach einigen Tagen, verkauften ihre Waare und besuchten auch später die Küste wieder.
Nachdem wir die »Schmugglerbucht« verlassen hatten, ging der Kapitain mit Herrn Helsby nach dessen Wohnung, um noch einige Geschäfte zu besorgen; Kapitain Müller und ich aber fuhren an Bord zurück, und wir hatten das Glück, an jenem Abende eine interessante Erscheinung zu beobachten.
Die Sonne war eben am Untergehen, und das Wetter war wie immer heiter, obgleich die höchsten Spitzen des Küstengebirgs bereits fast seit einer Stunde mit der gewöhnlich des Abends erscheinenden Nebelschicht bedeckt waren. Zugleich war auch in einiger Entfernung auf der See Nebel aufgestiegen, und es erschien hiedurch und durch die verschwindenden Strahlen der Sonne, der Horizont einige Grade hochröthlich gefärbt.
Wir waren etwa noch 6 Faden vom Schiffe entfernt, als ich plötzlich scheinbar in Entfernung von etwa einer englischen Meile an einer Stelle, welche sonst vollkommen frei war, einen dunkeln Fleck bemerkte, und Kapitain Müller hierauf aufmerksam machte, da ich ein Segel zu sehen glaubte; indessen wurden wir beide im nächsten Augenblicke gewahr, daß wir kein Schiff vor uns hatten, sondern daß es ein Fels sein müsse, und zwar der ganzen Form nach einer jener spitz und kegelförmig aus dem Meer hervortretenden Grünsteinformen.
Aber noch indem wir die Sache besprachen, rief uns der Obersteuermann zu, uns zu beeilen, indem sich etwas ganz Seltsames zeige. »Ich sehe Land mit einem Flaggenstocke – rief er – wo noch vor 10 Minuten keins war!«
Man kann sich denken wie die beiden Matrosen, die uns fuhren, mit ihren Riemen auszogen, und wie rasch wir beide am Fallreef hinauf und auf Deck flogen. Dort sahen sowohl wir als auch alle anwesenden Matrosen allerdings etwas sehr Seltsames. An einer Stelle der See, an welcher vor einigen Minuten keine Spur von irgend etwas Fremdartigem zu sehen war, stand ruhig und vollständig klar ausgesprochen ein spitzer Felsenkegel, der etwa 100 bis 150 Fuß hoch sein mochte, wenn die Entfernung richtig war, in welcher wir ihn zu sehen glaubten, und welche keinen Falls mehr als eine englische Meile betrug.
Während aber der Fels ruhig und fest aus dem Wasser ragte, befand sich oben auf demselben ein anderer Gegenstand, der sich sichtlich bewegte, sich bald nach rechts, bald nach links wendete, bald höher, bald niedriger wurde. Dieses zweite Bild war unten schmal, oben aber breit, und machte auf mich den Eindruck zweier Palmbäume deren Stämme dicht an einander standen, während nach oben die Kronen sich weiter ausbreiteten und theilweise in einander übergingen.
Die Seeleute glaubten Land zu sehen und einen Flaggenstock auf demselben. So jeder nach seinem Geschäfte.
Mein erster Gedanke war eine Lichtspiegelung, das Abbild irgend eines Felsens der Küste mit einem Palmbaum auf der Spitze. Aber es befanden sich in der ganzen Umgegend keine Palmbäume, mithin war die Theorie nicht stichhaltig. Da tauchten rechts und links von dem zuerst sichtbar gewordenen Felsenkegel kleinere auf, zwar kaum die halbe Größe des erstern erreichend, aber wie er ruhig und unbefangen dastehend und sich sichtlich nicht um uns kümmernd, während wir uns die Köpfe zerbrachen über ihr unerwartetes Erscheinen. Jetzt fuhr mir wie ein Blitz die Idee einer vulkanischen Hebung durch den Kopf. Welch ein Glück! Ich fühlte wie mein Herz schlug! Ich war also von einem günstigen Geschicke auserkoren einer weitern Hebung der Küste beizuwohnen. Jene Grünsteinformen, welche mich bereits so vielfach beschäftigt hatten, sollten jetzt vor meinen Augen entstehen. Morgen schon vielleicht war es möglich, mit dem Boote sich den neu entstandenen Bildungen zu nähern. Durch Bimssteinstücke und durch Massen von Seefischen, die getödtet von der Hitze um die vulkanischen Kegel schwammen, wird das Boot den letzteren beizukommen suchen. Vielleicht kann irgendwo schon Fuß gefaßt und eine bezeichnende Stufe geschlagen werden!
Während die bewegliche vorhin geschilderte obere Parthie der Erscheinung von den Seeleuten für eine Flagge gehalten wurde, sah ich jetzt in derselben eine Rauchsäule, gegen oben sich fächerartig ausbreitend, und allerdings war sie einer solchen sehr ähnlich, und selbst die Matrosen gaben mir jetzt recht.
Als ich aber den Steuermann, der allerdings Kenntniß hatte von solchem Entstehen neuer Inseln, meine Vermuthung mittheilte, fuhr derselbe zurück wie von einer giftigen Schlange berührt.
»Wenn das wäre! Zum Teufel, wie kommen wir aus den verdammten Klippen, die vielleicht allerwärts um uns emporsteigen,« sagte er und ich begriff, daß er Recht hatte, obgleich ich mich dennoch innerlich über das Phänomen freute. Aber es war mir mittlerweile mein Fernrohr gebracht worden, ein Feldstecher von Plössel in Wien mit vier Ocularen. Als ich jetzt die Erscheinung näher betrachtete, so zeigte sich, daß das Bild derselben zwar größer wurde, aber nicht schärfer, wenigstens nicht in dem Grade als es bei der gewählten Vergrößerung hätte werden müssen, und wir waren bald alle einig, daß wir zwar Felsen vor uns hatten, aber keine wirklichen, sondern daß das ganze Phänomen eine Luftspiegelung war, oder wenigstens in die Reihe dieser Erscheinungen gehörte. Vollkommen bestätigt wurde jetzt diese Ansicht dadurch, daß durch das Instrument am Fuße des Felsen keine Spur von Brandung wahrgenommen werden konnte.
Die Bilder standen nicht weit von der anfänglich erwähnten Nebelschichte entfernt, aber auch immer noch so weit, daß zwischen ihnen und der Stelle, wo der Nebel die See bedeckte, noch ein freier Raum blieb, in welchem, also noch hinter dem scheinbaren Felsen, die Oberfläche des Meeres gesehen werden konnte. Wäre also in Wirklichkeit irgend ein Gegenstand in der See gestanden, so hätte jedenfalls die Brandung wahrgenommen werden müssen, da das Wasser in so weiter Ausdehnung beobachtet werden konnte, und überdies wäre ohne Zweifel bei einer vulkanischen Hebung ringsum das Wasser ohnedem mächtig empört gewesen.
Aber allerwärts war die See ruhig, und man konnte durch das Glas deutlich die friedliche kleinen Wellen um das Bild, oder vielmehr vor demselben spielen sehen.
Nachdem die Erscheinung, so lange wir am Bord sie beobachteten, etwa 8 Minuten gedauert hatte, verschwand sie allmälig, indem sie zu versinken schien und dieses Versinken fand vollkommen gleichmäßig statt, indem die kleineren später sichtbar gewordenen Kegel schon vollständig verschwunden waren, während die obere Hälfte des größten Kegels noch vollständig zu sehen war. Jenes zweite Bild oberhalb des größern Kegels, des Obersteuermanns Flaggenstock und meine Rauchsäule, hatte sich allmälig oben weiter ausgedehnt, war aber zugleich schwächer geworden.
Ich hielt es jetzt, und wie ich glaube mit Recht, für eine verkehrte Spiegelung des untern Bildes, und es war vollständig verschwunden, ehe noch das untere gänzlich untergesunken war.
Die See blieb, wie ich durch das Fernrohr beobachten konnte, vollständig ruhig während des Verschwindens und scheinbaren Untertauchens aller jener Felsenkegel und es herrschte kein Zweifel mehr, daß wir eine Luftspiegelung beobachtet hatten.
Da die See eine niedere Temperatur als die sie umgebende Luft hatte, so bewirkte sie eine stärkere Abkühlung der ihr zunächst gelegenen Luftschicht, und indem sich diese Abkühlung nach oben fortpflanzt, bilden sich mehrere Schichten von verschiedener Dichte. Dies sowohl wie die hierdurch veranlaßten Nebel, sind bedingende Momente der Luftspiegelung. Ohne Zweifel finden hie und da ähnliche Erscheinungen in der Bai statt, aber ich konnte keine Notizen erhalten, ob sie von den Einwohnern beobachtet worden sind.
Wohl aber mag man sich denken, daß ich hoch erfreut war, Zeuge der Erscheinung gewesen zu sein, war gleich die Hoffnung, eine vulkanische Hebung beobachten zu können, buchstäblich zu Nebel geworden.
Ich komme jetzt zu dem glücklichsten und interessantesten Funde, welchen ich in der Algodonbai gemacht habe.
Kaum einige Tage in der Bai angekommen, fand ich an mehreren Stellen unzweifelhafte Spuren, daß früher, und wohl ohne Zweifel lange vor Entdeckung der Küste durch spanische Schiffe, dieselbe bewohnt gewesen war. Aber welchem Volke jene Bewohner angehört hatten, ließ sich nicht ermitteln.
Unweit jener Felsen, welche die Schmuggler-Bucht bergen, findet sich das Plateau eines größeren Grünsteinfelsens, und dasselbe ist offenbar, um ihm eine größere Ausdehnung zu geben, durch eine Art Mauer oder Damm fortgesetzt. Es ist diese Mauer theils aus großen Steinen und Felsstücken ohne alles Bindemittel aufgethürmt, theils aber auch aus kleinen Geschieben und scharfkantigen Gesteinfragmenten construirt, welche durch Kalk-Cement verbunden sind. Das Plateau selbst ist gegen Nord hin frei, und es herrscht unter den Grubenbesitzern die Ansicht, es sei zum Sonnendienste bestimmt gewesen.
Es finden sich ferner etwa zweihundert Schritte weit entfernt vom mittleren Stande der See die Ruinen alter Bauwerke, Reste, die wohl an 1000 Jahre alt sein mögen, die man indessen vollkommen zu zerstören sich nicht die Mühe genommen hat. Man hat sich bemüht, die Wände einzuwerfen, hat aber den andern Theil stehen lassen. Ich habe den Grundriß jener Hütten gezeichnet, aber leider ist mir das Blatt, neben einigen anderen Papieren auf der Rückreise verloren gegangen.
Die Basis ist ein in die Länge gezogenes Viereck, etwa 15 bis 18 Fuß lang und 12 Fuß breit, doch vermag ich diese Dimensionen nicht mehr genau anzugeben. Bei zwei derselben habe ich neben dem Eingange die Grundmauer eines kleinen Seitenbaues gefunden, welcher ebenfalls länglich war, aber auf der einen schmalen Seite eine runde Ausbiegung hatte.
Die Mauern dieser Hütten sind an der noch stehenden Basis einen bis einen und einen halben Fuß breit; wie die oben erwähnte größere Mauer sind sie theils aus Gerüllen, theils aber auch aus scharfkantigen Fragmenten zusammengesetzt und mit Mörtel verbunden. Irre ich nicht, so stehen in der Bai selbst, unweit Bella Vista, drei solche Ruinen. Weiter ab aber an der Küste und gegen Süd habe ich ebenfalls eine gefunden, welche wenigstens noch 3 Fuß hohe Mauern hatte. An verschiedenen Orten in der Bai und auch weiter hin an der Küste sollen selbst noch vor einigen Jahren solche Ruinen anzutreffen gewesen sein, indessen wurden sie, wie man mir sagte, aus Muthwillen zerstört.
Nie hatten die Spanier auf ähnliche Weise ihre Mauern construirt, ohne Zweifel also waren jene Baureste vorspanischen Ursprungs. Aber welchem Volke gehörten sie an? Ich sollte bald hierüber erfreuliche Aufschlüsse erhalten.
Hundert Schritte etwa von den erwähnten Ruinen der Hütten liegt eine Begräbnißstätte und wahrscheinlich die der Bewohner der Hütten selbst, obgleich viele weiter südlich lebende spätere Stämme der Westküste Amerikas die Gewohnheit haben, ihre Todten sehr weit entfernt von ihren Wohnungen zu beerdigen.
Es waren noch etwa 36 bis 40 Grabhügel sichtbar, indessen war ein Theil derselben bereits geöffnet und durchwühlt worden, in der Hoffnung Gold zu finden, welches bei den Gräbern der alten Peruaner, Inka-Race, bisweilen der Fall ist. Hier indessen wurde nie etwas Aehnliches gefunden und die archäologischen Bemühungen der Bergleute und zufällig an die Küste gekommener Matrosen waren fruchtlos.
Neben den noch sichtbaren Gräbern mag aber durch häufiges Darüberhinweggehen und Reiten wohl ein anderer Theil derselben vollkommen eingeebnet und unsichtbar geworden sein.
Ich schritt indessen zur Oeffnung der noch leicht erkennbaren Gräber, und da ich von früher her mir in Derlei einige Uebung erworben hatte, war es mir ziemlich leicht zu bestimmen, welche der Hügel schon vorher geöffnet sein mochten und welche noch unberührt waren, und ich fand mich beim Nachgraben selten getäuscht.
Mein freundlicher Kapitain gab mir mehrere Matrosen mit an's Land, um bei dem Ausgraben behülflich zu sein, und ich will jetzt angeben, was ich gefunden habe. Getrost mag der Leser nun einige Seiten überschlagen, wenn es ihn nicht unterhält, von einer alten ausgestorbenen Menschenrace zu hören, von welcher ich dort Reste aufgefunden habe und von denen ich ausführlicher sprechen muß, auf die Gefahr hin, einem Theile meiner Leser langweilig, ja noch langweiliger zu werden, als es bisher bei geognostischen und meteorologischen Notizen der Fall war.
Alle Gräber befanden sich in dem schon früher erwähnten Muschelgruse, welcher theilweise lose daliegt, bisweilen aber auch durch ein kalkartiges Bindemittel leicht zusammengekittet ist. Es ist die Form derselben manchen keltischen oder germanischen ähnlich, wenigstens habe ich in Franken früher Grabhügel geöffnet, welche unseren in Rede stehenden sehr ähnlich waren.
Sie sind ziemlich von kreisrunder Form, und haben im Durchmesser etwa 10 bis 15 Fuß; gegen die Mitte zu sind sie 3 bis 4 Fuß erhöht, im Centrum aber etwas eingesunken.
In den vorher noch nicht durchwühlten Gräbern befanden sich die Skelette aufrecht, in sitzender Stellung, die Knie an die Brust gezogen, die Hände an das Kinn gestützt, und die Arme fest an die Schenkel geschlossen. Das Gesicht war bei der Beerdigung nicht nach einer bestimmten Himmelsgegend gerichtet, sondern es war leicht ersichtlich, daß die Leichen ganz nach Zufall oder Belieben eingesenkt wurden.
Man kam meist nach drei, höchstens nach drei und einem halben Fuß Tiefe auf den Kopf der Leiche. Es war das Haar und die Kopfhaut bei den meisten gut erhalten, und das erstere war straff und scheint bei beiden Geschlechtern lang und theilweise in Zöpfe geflochten gewesen zu sein. Ich fand bei einigen einzelne kleine, zierliche Flechten, mit großem in der Mitte befindlichen Hauptgeflechte, bei anderen größere Zöpfe, die in wollene Schnüre eingebunden waren, und ich verwahre noch mehrere dieser Zöpfe mit all jenem Respekt und der Achtung, welche einem fast vorhistorischen Urzopfe gebührt.
Es ist unter diesen ein starker, stattlicher Zopf, der mehrere Zolle lang ist, und ganz allein im Nacken eines Schädels saß, genau so, wie ihn die christlichen Germanen zu Ende des vorigen Jahrhunderts trugen.
Mithin scheinen verschiedene Formen der Frisur schon zu jener Zeit Mode gewesen zu sein, und Haarpflege gang und gäbe. Die Haare selbst sind bei allen Individuen schwarz-braun, aber sie waren ursprünglich wohl dunkler, und haben durch die Länge der Zeit ihre Farbe in etwas verändert.
In allen altperuanischen Gräbern, welche man geöffnet hat, und eben so in den Grabhügeln und Ruinen der Wüste von Atakama hat man fast vollständig wohl erhaltene Mumien gefunden, hingegen fand sich bei keinem der von mir ausgegrabenen Skelette ausgetrocknete Muskelsubstanz, und es zeigten sich um die Knochen höchstens nur Spuren von Moder. Die conservirenden Bedingnisse, welche bei jenen Mumien auftraten, finden auch hier statt, es mag mithin schon hieraus auf ein hohes Alter derselben geschlossen werden, denn es kann nicht wohl angenommen werden, daß die Todten skelettisirt in's Grab gebracht worden sind, indem dieser Gebrauch nur bei einigen ganz südlich wohnenden Stämmen im Schwunge war.
Ich will jetzt kurz die Gegenstände beschreiben, welche ich bei den Skeletten in den Gräbern gefunden habe, sie vermögen immerhin einigen Aufschluß über die Lebensweise und den Kulturgrad jenes Volks zu geben, ja selbst über den Stand der Flora und der Fauna, welche zu jener Zeit in der Bai geherrscht hat.
Die meisten der Skelette waren mit einem Steinkranze umgeben, wie sich solches auch bei alten deutschen Gräbern findet. Indessen waren es offenbar zu wenig Steine, um eine Mauer zu bilden, und sie scheinen blos in die Grube geworfen worden zu sein, um den Raum um die Leichen auszufüllen. Dicht um diese selbst befanden sich die Gegenstände, welche man den Todten mitgegeben hatte.
So fand ich in einem Grabe zwei Geflechte, die nach Art einer Mütze das Haupt bedeckten, eines über das andere gelegt. Die Form derselben ist eine einfache Halbkugel; sie sind etwa zwei Linien dick, von sehr zierlicher Arbeit und wie ich unter dem Mikroskope fand, von Cactusfasern geflochten.
Weiter wurde eine kleine Kürbisschale gefunden. Sie ist an einer Stelle gesprungen, und dort mit ganz feinen Löchern versehen, um sie zu heften. Es resultirt hieraus, daß sie als eine große Seltenheit betrachtet wurde, denn hätte es zu jener Zeit Kürbisse in der Bai gegeben, würde man ohne Zweifel sich diese Mühe nicht genommen haben. In der Schale findet sich ein feines Netz mit kaum liniengroßen Maschen, und in demselben einige Stücke Eisenocker. Die Schale selbst ist mit einer Schnur umwunden.
Ein ziemlich großes Stück eines Netzes mit stärkeren Maschen, große keulenartige Stücke von Cactusstämmen und Streifen eines groben Gewebes, in welches, wie es scheint, der Leichnam eingewickelt war, sind die übrigen in jenem Grabe gefundenen Gegenstände.
In einem andern Grabe fanden sich blos die eben angeführten Stücke von Cactusstämmen, Reste eines größeren Netzes und das grobe Gewebe, in welches die Leiche eingehüllt war.
Fragmente von Töpferarbeit fanden sich neben den so eben erwähnten Gegenständen in einem dritten Grabe. So viel sich aus der Form derselben noch entwickeln ließ, war dasselbe fast gänzlich gleich jener, die sich allenthalben in Deutschland noch heute in alten Gräbern findet, und mithin auch gleich den schon oben geschilderten Töpflein, wie sie noch heute in Chile im Gebrauch sind, und gefertigt werden[50]. Das Material scheint ebenso fast identisch mit dem der alten bei uns gemachten Ausgrabungen zu sein, und es entscheiden vielleicht hierüber mitgebrachte Proben, welche ich an verschiedene alterthumsforschende Gelehrte gegeben habe.
In demselben Grabe fanden sich auch dünne Stücke eines Holzes, welches viel Aehnlichkeit mit einer Weinrebe hat, ein kleines, roh geschnittenes Stückchen eines festeren Holzes, drei Zoll lang und an beiden Enden mit einer kugelförmigen Verdickung versehen, ohne Zweifel zu einem Fischernetze gehörig.
In einer vierten und fünften Grube endlich wurde eine Waffe oder ein Messer von Feuerstein gefunden, einen Zoll lang, zwei breit, drei Linien dick und sorgfältig geschärft. Dann acht Zoll lange sauber geschnittene und abgeschliffene Knochenstücke eines größern Säugethiers, welche wahrscheinlich als Webeschiffchen zum Netzstricken gedient hatten, und mehrere dünne Röhrenknochen von derselben Länge, an beiden Enden abgeschliffen. Endlich noch fünf bis sechs Zoll lange Harpunen von Knochen, zum Theil mit einem starken, ledernen Riemen versehen, aber alle an einem Ende mit Widerhaken von Horn, welche durch fein geflochtene Schnüre an den Knochen befestigt sind. Unzweifelhaft haben diese Harpunen zum Fischfang gedient.
Fast in allen Gräbern wurden büschelförmig zusammengebundene Fasern des Cactus gefunden, und deßgleichen größere Bündel desselben Tanges (Hymanthallea lorea), welcher noch heute sehr häufig in der Bai getroffen wird.
Was die verschiedenen Gewebe und Schnüre betrifft, deren ich im Vorhergehenden erwähnte, so bestehen dieselben aus drei verschiedenen Stoffen.
Es wurde unter dem Mikroskope gefunden, daß das Gewebe, in welches die Leichen eingehüllt waren, aus feinen Haaren gedreht ist, deren Durchmesser Herr Professor Will auf ⅟80 bis ⅟100 Linien bestimmte. Es ist in demselben nur selten ein Merkmal sichtbar, aber man findet Spuren von der leiterförmigen Zeichnung, welche die Haare vieler Neger haben, und es wurde ein Haar gefunden, welches bestimmt dem Chinchilla[51] angehörte.
Die feineren Schnüre, z. B. jene mit welchen die Widerhaken an den Harpunen befestigt, und die Zöpfe zusammengebunden sind, sind aus stärkeren Haaren gedreht, welche ⅟20 Linien Durchmesser haben. Die meisten derselben haben einen starken Markkanal, indessen mit wechselndem Durchmesser. Auch die gröberen Gewebe, und die Schnur, welche um die Kürbisschale geschlungen ist, bestehen aus dieser stärkeren Wolle, welche ohne Zweifel dem Guanaco angehört, und es rühren mithin alle aufgefundenen, aus thierischem Stoffe gefertigten Gewebe blos von diesen zwei genannten Thieren her.
Die Netze hingegen bestehen offenbar alle aus Pflanzenfasern. Ich habe die in den Gräbern gefundenen Büschel von Cactusfasern mit dem Faden der Netze unter dem Mikroskope verglichen und gefunden, daß sowohl das ganz feine, in der Kürbisschale befindliche Netz, als auch die gröberen, ohne Zweifel zum Fischfange dienenden Netze, aus eben diesem Materiale geflochten waren.
Uebrigens werden gegenwärtig, nach Allem, was ich erfahren konnte, nirgends an der Küste diese Cactusfasern mehr zu Flechtwerken benützt, sondern man gebraucht den Cactus überhaupt nur noch zur Feuerung, oder zum Baue jener bereits geschilderten ärmlichen Hütten.
Aus dem bisher Gesagten aber geht jedenfalls hervor, daß auch zu jener Zeit, als jene längst verschwundene Menschen-Race die Küste bewohnte, die Flora und Fauna sich dort in demselben Zustande befunden haben, wie gegenwärtig, und keine andere Hülfsmittel von der Natur dem Menschen geboten worden sind, als eben jetzt.
Was die Skelette selbst betrifft, so war es nicht möglich ein vollständiges auszugraben, und es wäre mir aus verschiedenen Gründen wohl auch unmöglich gewesen, ein solches an Bord mit mir nach Europa zu nehmen, indessen habe ich zwei vollkommen wohl erhaltene Schädel, und zwei etwas defecte, erworben und mitgebracht.
So viel sich übrigens aus den noch erhaltenen Knochen schließen ließ, waren jene Menschen zierlich gebaut, und ich möchte als mittlere Größe für dieselben etwa fünf Fuß angeben, eher aber noch weniger, als mehr. Dazu sind Hände und Füße klein, selbst ungewöhnlich klein im Verhältniß zum übrigen Knochenbaue. Eine Hand, noch ziemlich erhalten, und durch die eingetrockneten Bänder nothdürftig zusammengehalten, welche ich noch besitze, beweist dieses.
Was die Schädel betrifft, so bemerkt man an ihnen Folgendes:
Die ganze Kapsel des Schädeltheils ist nach hinten und oben gezogen, die Stirn ist ausnehmend schmal und weicht von der Glabella und den Augenbraunbogen rasch zurück, ohne daß jedoch die letzteren besonders stark hervortreten. Die Seitenwandbeine sind meist nach hinten gerückt, und das Hinterhauptbein ist mehr oder weniger abgeplattet.
Beide Schädel sind in ihrer ganzen Ausdehnung sehr schmal und eine seitliche Hervortreibung der Hirnkapsel ist kaum merklich. Auffallend aber ist eine stumpfe kammartige Erhöhung, welche von der Glabella aus mitten über das Stirnbein bis zur Kronennath als ein einfacher Wulst, und neben der Kronennath bis zur Spitze des Hinterhauptbeins so verläuft, daß die Kronennath oder die Stelle, wo sich dieselbe befinden sollte, in einer Vertiefung liegt. An der Spitze des Hinterhauptbeins weichen die beiden leistenartigen Erhöhungen etwas aus einander und umschließen so einen schwach vertieften dreieckigen Raum.
Die Crista frontalis oder der Anfang der linea semicircularis temporum, ist an beiden Schädeln ziemlich scharf und wohl erhalten.
Bei dem einen Schädel ist die Kronennath an ihrem unteren Ende, d. h. wo sich Stirnbein und Seitenwandbein an den großen Flügel des Keilbeins und des Schuppenbeins anschließen, in der Länge eines Zolles völlig obliterirt, eben so ist die Pfeilnath vollständig verwischt und der Hinterhauptstachel sehr breit, und durch eine tiefe Querfurche unterhalb desselben gleichsam mehr hervorgetrieben. Das Hinterhauptbein aber dieses Schädels ist fast ganz abgeplattet und zugleich asymetrisch, indem nämlich der rechte Gelenkfortsatz weiter nach rückwärts liegt und mehr als gewöhnlich über den normalen Stand des Hinterhauptloches hineinragt. Auch der pars basilaris ist in etwas schief gestellt, so daß das hintere Ende ihrer Längenachse nach links, das vordere nach rechts steht.
Dieser Zurückweichung des rechten Theiles des Hinterhauptbeins entspricht auch eine Verkürzung oder Zurückweichung der rechten Gesichtshälfte. Betrachtet man nämlich den Schädel von der Basis, so liegt das rechte Jochbein um einige Linien weiter zurück als das linke. Der Gesichtstheil beider Schädel ragt indessen ziemlich stark vor. Alle diese Verschiebungen sind indessen nur unbedeutend, und fallen, beobachtet man nicht sehr genau, kaum in's Auge.
Die Nasenbeine sind beträchtlich entwickelt und lassen auf kolossale Nasen schließen, welche jene Gentlemen geziert haben müssen. Eben so sind die Augenhöhlen groß und rundlich, die Wangenbeine indessen nicht besonders groß und ziemlich gerade. Bei dem einen Schädel ist der Zahnfortsatz mehr noch nach vorn als nach abwärts gerichtet, bei dem andern indessen fast perpendikulär.
Die Unterkiefer wurden bei allen Schädeln, welche ich ganz oder defect ausgegraben habe, stark und kräftig gefunden.
Merkwürdig und bezeichnend ist die starke Abnützung der Zahnkronen, welche z. B. bei den drei ersten Backenzähnen des einen Schädels so weit vorgeschritten ist, daß die Höcker vollständig verschwunden sind, und die Zahnsubstanz nur von einem Schmelzsaume eingefaßt wird. Eben so sind die Eckzähne stark abgenützt. Bei einem isolirten Unterkiefer, den ich besitze, ist der zweite rechte und linke Backenzahn gegen außen und schief abgeschliffen, und dies zwar dermaßen, daß während innen die Höhe des Zahns über dem Alveolarrande bis zur Krone fünf Linien beträgt, außen dieselbe nur eine Linie hervorsteht. Die Schneidezähne sind breit und schaufelförmig.
Ein Schneidezahn des einen und zwei Backenzähne des andern Schädels sind cariös. Trotz der eben geschilderten starken Abnützung sind alle übrigen Zähne gesund.
Der ganze Habitus dieser Schädel spricht also deutlich aus, daß die Menschen, von welchen sie herrühren, der alten ausgestorbenen Race der Amyaras, oder jenem Volke angehört haben, welches vorzugsweise die Gegend um den Titicaca-See bewohnte. Bis jetzt übrigens wurden an der Westküste von Amerika, so weit südlich, solche Schädel noch nicht aufgefunden, und es stellt sich durch meine Ausgrabung mithin eine weitere Verbreitung jenes Volkes heraus.
Morton sagt, daß man die meisten dieser Schädel an den Ufern und Inseln des Titicaca-Sees und in den hohen Thälern der Anden zwischen 14° und 19° südlicher Breite gefunden habe, aber die Algodonbai liegt unter 22° 6' südlicher Breite. Es ähneln zwar die meisten Mumien, welche theils in Peru, theils auch in Bolivien gefunden worden sind, jener Titicaca-Race und sind auch wohl mit derselben verwechselt worden, indessen sind sie durchaus nicht identisch mit derselben.
So sind die Mumien, welche jetzt etwa vor zwei Jahren Dr. Ried von Valparaiso nach Europa geschickt hat und jene, welche von Dr. Korhammer bereits vor mehreren Jahren in der Nähe von Lima gefunden worden sind, und welche hie und da als jener Titicaca-Race angehörig betrachtet worden sind, offenbar ganz anderer Art.
Es weicht auch bei ihnen die Stirne oberhalb der Augenbrauen zurück, während das Os occipitis abgeplattet ist, aber das Profil des ganzen Kopfes gleicht immer noch einem nach hinten geschobenen Vierecke, und läßt sich mit der kaukasischen Race immer noch in eine Parallele stellen, während der Schädel der Titicaca-Race nicht sowohl an einen Affenschädel erinnert, als ihm vielmehr vollkommen gleich sieht.
Es liegen, wie es scheint, genaue Forschungen vor über Sprache und Mythus der Maya-Race und anderer Ureinwohner von Centralamerika. Nichts destoweniger bin ich in großer Versuchung, als die Erbauer der großartigen Bauten, welche Steffens in Centralamerika gefunden hat, eben jene Titicaca-Race anzunehmen. Die Kupfertafeln, welche Steffens seinem Werke beigegeben hat[52], scheinen dies ganz bestimmt anzudeuten. Es finden sich Figuren und Köpfe auf denselben abgebildet, welche nur jenen Flachschädeln angehört haben können, so sehr entsprechen sie ihren Formen!
Die Ornamentik aber, welcher wir bei jenen Bauten begegnen, erinnert uns an die ägyptische, wobei jedoch Reminiscenzen an griechische Cultur und verwandte Völker nicht fehlen, und die Beschreibung, welche d'Orbygni von den Monumenten am Titicaca-See giebt, ist den Abbildungen von Steffens so ähnlich, daß man kaum daran zweifeln kann, daß beide von einem und demselben Volke errichtet worden sind.
Ich spreche also die, wie ich glaube gegründete Vermuthung aus, daß die Titicaca-Race eine weitere Ausdehnung gehabt haben mag, und daß die alten Bewohner von Centralamerika, wenigstens die Erbauer der dort sich findenden monumentalen Ueberreste, mit jenen vom Titicaca-See identisch gewesen sein mögen.
In Santjago fand ich in einem Hause einen alten Helm, von welchem man mir sagte, daß er von einer uralten Menschenrace herrühre, welche gegen den Norden zu auf der hohen Cordillera gewohnt habe. Ich habe diesen Helm mitgebracht, und mag denselben getrost als eine der interessantesten »Errungenschaften« meiner ganzen Reise bezeichnen.
Seine Form zeigt unwiderstreitbar, daß er nur allein für einen jener besprochenen Flachschädel paßt, indem der innere Theil desselben vollkommen so lang gezogen wie jene ist, und nur mit Mühe auf einen ehrlichen europäischen Kopf gepreßt werden kann. Das Material desselben ist Holz, aus welchem die am vordern Theile befindliche Maske geschnitten ist, mit an Stelle der Augen, eingesetzten Muschelstücken. Der übrige Theil des Helms ist aus Baumbast construirt, so der Kamm und die Seitenflächen.
Der ganze Typus desselben aber ist so vollkommen gleich den Helmen, welche auf alten ägyptischen Monumenten gefunden werden, daß an eine zufällige Aehnlichkeit nicht wohl gedacht werden kann, so z. B. die Maske am vordern Theile, welche ganz die Ornamentik der Mumiensärge trägt, obgleich die flache und hinter dem Augenrande sogleich zurückweichende Stirn wieder deutlich eine Nachahmung der Gesichtsbildung eines Flachschädels erkennen läßt.
Während also oben ausgesprochen wurde, daß die ältesten Bewohner von Centralamerika und jene der Ufer des Titicaca-Sees ein und demselben Stamme angehört haben, ergiebt sich durch die Betrachtung der von ihnen hinterlassenen monumentalen Ueberreste, und vielleicht auch durch die des oben erwähnten Helmes, eine wie es scheint, nahe und kaum abweisbare Verwandtschaft, sprechen wir es aus, eine Abstammung von den ältesten Völkern des alten Festlandes.
Um es nicht gänzlich mit dem strengen Archäologen zu verderben, der vielleicht indessen nur (Pardon!) noch wenige Studien über Baureste, Schädel und Aehnliches aus jener Gegend gemacht hat, überlasse ich demselben höchst bereitwillig, eine Theorie zu bilden, wie jene Völker der alten Welt nach Amerika gekommen.
Als fragmentarische Notizen aber möchte ich noch Folgendes beifügen:
Die Monumente scheinen anzudeuten, daß, wenn eine Einwanderung von der alten Welt her statt gefunden hat, wie ich wirklich glaube, solche doch nur ein Mal geschehen, und die weitere Verbindung mit dem Mutterlande verloren gegangen ist. Der ganze Typus tritt immerhin als ein modificirter auf, wenn gleich noch hinlänglich charakteristisch.
Ferner möchte ich der alten Sagen erwähnen, welche sich bis auf die Besitznahme der Westküste durch die Spanier hin bei den Inkas erhalten haben. Wunderliche tolle Mythen, die berichten von einem fabelhaften Ursprunge jener Amyaras oder Titicaca-Race und ihrer Vertilgung durch die Inka selbst. Ein Herkommen der Amyaras aus fernen weit entlegenen Landen leuchtet deutlich bei diesen Sagen durch.
Endlich aber muß ich eines Fundes gedenken, welchen der Conservator der fürstlichen Gallerie in Sigmaringen, Herr von Maienfisch, in der neuesten Zeit gemacht hat. Er öffnete nämlich unweit Sigmaringen Gräber und fand in denselben Skelette, an welchen die Schädel nach der ganzen Beschreibung den von mir in Südamerika aufgefundenen so vollkommen ähnlich sind, daß an einer Identität der Race kaum zu zweifeln ist. Jener Gelehrte wird ohne Zweifel seiner Zeit ausführlich über seinen Fund berichten und ich will daher die Notizen, die ich mündlich von ihm erhalten, kurz berühren. Eins der Skelette wurde, wie die von mir ausgegrabenen, in sitzender Stellung angetroffen. Die anderen aber lagen. Man fand eine Lanzenspitze von Eisen und einige Schmuckgegenstände, ebenfalls von Eisen und mit Silber verziert. Es ist bis jetzt nicht möglich gewesen, aus dem Style dieser Schmuckreste auf irgend ein Volk zu schließen, von welchem sie herrühren möchten.
Nur so viel steht fest, daß sie weder keltisch noch germanisch sind. Zugleich wurden Seemuscheln, die sogenannte Pilgermuschel, in den Gräbern gefunden. Dies mag sicher nicht ohne Grund auf ein Herkommen von weiter, entfernter Gegend hindeuten. Welcher Spielraum ist hier der Phantasie geboten! Eine Urrace des Menschengeschlechts, eine neue, oder vielmehr uralte, fast vorhistorische Völkerwanderung! Aber eben weil, vorläufig wenigstens, fast blos allein die Phantasie im Stande sein wird, ähnliche Theorieen zu bilden, will ich nicht weiter die Sache berühren. Noch mag indessen der jüngst in London aufgetauchten Azteken gedacht werden. Ist die Sache kein nordamerikanischer Puff, so scheinen wirklich noch lebende Reste jener fabelhaften Flachschädelrace zu existiren. Ich muß indessen in dieser Beziehung auf die über den Gegenstand in London erschienene Schrift[53] hinweisen, in welcher Steffen's Reise vielseitig benützt ist. Fast aber scheint an der Sache wirklich etwas mehr als eine bloße Spekulation zu sein.
Indem ich nun meinen vielleicht schon über die Gebühr weit ausgedehnten Bericht über meine Ausgrabungen schließe, bemerke ich noch, daß ich mit den dort gefundenen Knochen zu Hause eine chemische Analyse angestellt habe, welche bereits an einem andern Orte veröffentlicht wurde. Ich verschone mit den ausführlichen Ergebnissen derselben den Leser und will nur anführen, daß sich durch dieselbe ein sehr hohes Alter jener Knochen herausgestellt hat, indem sie mit denen der alten ägyptischen Mumien und selbst mit manchen fossilen Resten in eine Reihe gestellt werden können.
Ueberhaupt aber ist es an der Zeit, die Algodonbai zu verlassen und den freundlichen Leser aus diesem Auslaufe der Steinwüste von Atakama durch kurze Seereise nach Peru zu führen; doch muß ich vorher noch eines Abenteuers erwähnen, welches sich ganz gut niederschreiben läßt, in der Wirklichkeit aber vielleicht hätte schlimm ausfallen können.
Wir hatten Abschied genommen von den Grubenbesitzern, zugleich uns aber bei Herrn Jose Mackenney in Tocopilla etwas verspätet. Als wir nun mit unserem Boote an Bord gehen wollten, war mittlerweile der Abend herangekommen, und zufällig hatte sich die schon des Tages über heftige Brandung dermaßen verstärkt, daß ich mich kaum erinnere, sie je heftiger gesehen zu haben. Tobend und brausend stürmten in kaum unterbrochener Reihenfolge mächtige Riesenwellen gegen die Küste, an vielen Stellen dieselbe mit Tang bedeckend, was während unsers ganzen Aufenthaltes nie der Fall gewesen war.
Daß es Mühe macht mit dem Boote gegen eine solche Brandung anzukommen, versteht sich von selbst; hier aber vermehrte noch der Umstand die Schwierigkeit, daß am Landungsplatze eine Menge jener spitzen Felsen theils ober, theils unter dem Wasser standen, und eben nur so viel Raum boten, daß ein mäßig großes Boot hindurch konnte. Ueber die Brandung hingegen selbst, oder über die anstürmende Welle kömmt man gut, wenn man dieselbe mit der Spitze des Bootes trifft. Man wird dann in die Höhe gehoben und gleitet gleichsam über die Wasserwelle hinweg[54]. Erreicht aber die Welle das Boot schief und von der Seite, so schleudert sie leicht dasselbe vor sich her, oder füllt es mit Wasser.
Im Boote, welches uns an Bord bringen sollte, waren die beiden Kapitaine, von welchen Kapitain Meyer steuerte, weiter gegen vorn saß ich, dann kamen die beiden rudernden Matrosen.
Wir warteten bis eine Welle der Brandung zerschellt war, und stießen dann rasch ab, um einen Vorsprung zu gewinnen, und erst weiter außen in der See der zweiten Welle zu begegnen. Zufälliger Weise folgte aber hier ganz ungewöhnlich rasch eine zweite ungeheuere Welle der ersten, so daß plötzlich und kaum drei Bootslängen vom Lande entfernt in nächster Nähe vor uns die aufgethürmte Fluth stand.
Unser Boot hatte, weiß Gott wie, eine schiefe Richtung bekommen. Der Kapitain handhabte kräftig das Steuer, und rief dem Matrosen, dessen Bootseite zurück war, zu: »Hart an Heinrich! hart an!« Aber schon in diesem Augenblicke war das Boot mit Wasser gefüllt, und zurück auf einen jener spitzen Felsen geschleudert. Ich fühlte den Ruck und zu gleicher Zeit sah ich, wie die beiden Kapitaine in's Wasser sprangen und das Land erreichten. Auch der eine Matrose hatte ein Gleiches gethan, doch erfuhr ich dieß erst später, und bemerkte es dort nicht. Im andern Augenblicke waren wir wieder etwa 30 Schritte weit in der See, ein Ruder war verloren, der noch im Boote befindliche Matrose und ich waren vollständig unvermögend das Boot zu retten. Aber außen in der See und von der dritten eben so rasch ankommenden Welle gehoben, sah ich, daß das Boot, welches vorher halb voll Wasser gewesen, jetzt fast leer war. Es lag dasselbe auf der Steuerbordseite, aber auf der Backbordseite hatte es einen mächtigen Leck erhalten, durch welchen ohne Zweifel der größte Theil des Wassers für den Augenblick abgelaufen war. Ich hatte indessen kaum einen Moment Zeit dieß wahrzunehmen, denn schon hatte uns eine andere Welle wieder so auf die Klippen geworfen, daß das Boot krachend sich zu schütteln schien. Ein weiterer Augenblick und wir waren wieder in die See geschleudert, wo schon eine andere Welle von außen auf uns zukam.
Dieß alles ging rasch mit Blitzesschnelligkeit und vom Augenblick unseres ersten Zurückgeworfenwerdens bis jetzt waren keine 12 Sekunden verflossen.
Verdammte Situation das! Die See schien wahnsinnig geworden! Ich aber begriff, daß, durch unser Gewicht beschwert, das Boot, ging es auch zufällig nicht unter, doch jedenfalls kaum ganz an's Land geworfen werden, sondern ohne Zweifel von der nächsten oder übernächsten Welle an die verwünschten Klippen, vielleicht sammt unsern Schädeln zerschmettert werden würde. Also schwimmen! Wieder in die See zurückgeschleudert, rief ich dem Matrosen, der mein Schicksal theilte, zu. »Heinrich, nun ist's Zeit, über Bord!« Keine zehn Schritte von unserm Wrak war die wieder anstürmende Brandung. Teufelslärm rings um uns. Vorwärts! Das Wasser schlug über mir zusammen! Es war ordentlich schön stille da unten, gegen jenen Höllenlärmen oben. Ich kann nicht sagen, wie tief ich kam, Grund bekam ich nicht, aber was die Hauptsache war, auch keinen Tang um die Füße, der dort fast allenthalben vorkömmt.
Mit dem Kopfe wieder an der Oberfläche, schickte ich mich eben an, kunstgerecht das Schwimmen zu beginnen, als plötzlich abermals, wie im Augenblicke vorher, sich alles dunkelgrün färbte und ich wieder vom Wasser bedeckt war. Aber ich hatte nicht Zeit mich zu besinnen, denn im andern Momente lag ich am Ufer, und das zwar auf dem, von der See des Tages über an's Land gespülten Tange, wohlbehalten, wenn gleich, wie ein geprellter Frosch, von der letzten Welle dorthin geschleudert.
Gleichzeitig mit mir kam auf demselben Wege Heinrich an, und eine Sekunde später das Boot, letzteres glücklicher Weise neben, und nicht auf uns geworfen. Es hatte den Anschein, als wolle dieses liebe, friedliche, sogenannte stille Meer Fangball mit uns spielen.
Heinrich und ich aber sprangen gleichzeitig auf und faßten, ich muß es leider gestehen, mit einem derben Fluche das durchlöcherte Boot an, um es der alsbald wiederkehrenden See zu entreißen oder wenigstens vor gänzlicher Zertrümmerung zu retten. Ich zerrte und riß dort mit einer wahren Wuth an jenem Boote, und wenn ich genau analysire, weniger im Eifer dasselbe für das Schiff zu erhalten, als in einer Art kindischer Bosheit, oder »nobler« ausgedrückt, in einmal aufgeregter Kampfeslust.
In der That suchte die See uns auch wieder ihr Opfer zu entreißen, denn wir standen bald wieder bis an den Gürtel im Wasser, aber die herbeigeeilten Minenarbeiter halfen uns bald unser Wrak vollends an's Ufer und in's Trockene zu bringen. Als ich so noch triefend mit am Boote stand, und dasselbe landwärts ziehen half, frug mich Heinrich, ohne Zweifel pour parler quelque chose, »Sind Sie og naß worden, Herr Doctor?« Ich antwortete bescheiden: »En lütken!« Der Kapitain aber lachte und zeigte mir seine Kupferproben, welche vollständig trocken waren. Er hatte als Probe gepulverte Kupfererze mit an Bord nehmen wollen, welche durchnäßt, unbrauchbar für seine Zwecke[55] geworden wären. Da er hinten im Boote saß, und gleich das erste Mal aus demselben springen konnte, kam er nicht so tief in's Wasser, und erhielt seinen Schatz trocken, indem er das Tuch, in welchem er befindlich, hoch über dem Kopfe schwang.
Eine zweite Frage aber war jetzt die, wie wieder an Bord kommen? Unser Boot lag durchlöchert auf dem Sande. Der Dockenhuden aber lag eines Theils so weit in der See, daß man das Rufen schon wegen des Lärmens der Brandung unmöglich gehört hätte, aber auf der andern Seite wäre es mit dem dort noch befindlichen größeren Boote rein unmöglich gewesen uns zu holen, da dasselbe der tobenden See halber nicht hätte landen können.
Herr Mackenney besaß zwar ein Boot, aber es lag etwa 150 Schritte weit in See vor Anker, und Nichts stand zur Disposition als eine Seehund-Balze, welche etwas weiter abwärts an einer ruhigeren Stelle der Bai vor Anker lag.
Indessen konnte keiner der Arbeiter in den Minen mit der Führung dieses eigenthümlichen Fahrzeuges umgehen. Jener Franzose aber mit der unzweideutigen Zeichnung auf dem Arme, dessen ich schon oben erwähnte, war kurz entschlossen.
Er bestieg die Balze, ruderte an's Boot, legte die erstere statt dessen vor Anker, und ruderte mit dem Boote auf etwa dreißig Schritte bis an's Ufer. Aber weiter anzukommen war unmöglich, ohne das Boot der augenscheinlichen Gefahr ebenfalls zertrümmert zu werden, auszusetzen. Versuche, uns ein Tau zuzuwerfen, mißglückten. Da sprang der Franzose in's Wasser, schwamm durch die Brandung, und wurde endlich auf eine kurze Strecke, ähnlich wie ich auch, von derselben an's Ufer geworfen. Aber er hatte das Tau zwischen den Zähnen, und an diesem schoben wir uns endlich in's Boot.
Man kann sich einen Begriff von der lieblichen Milde der Nächte an jener Küste machen wenn ich sage, daß am Bord angelangt für mich auch nicht das mindeste Bedürfniß vorhanden war, mich umzukleiden, sondern daß ich, nach all diesen verschiedenen unfreiwilligen Waschungen, noch etwa eine Stunde auf Deck blieb, und als ich endlich »zur Koje« ging, meine Kleider längst vollständig am Leibe getrocknet waren.
Wir verließen Tags darauf die Bai, kehrten aber wieder zurück, da wir vollständigen Gegenwind hatten, welcher zugleich so schwach war, daß wir uns nicht in gehöriger Entfernung von der Küste halten konnten. Des andern Tages indessen segelten wir mit günstigerem Winde unserer neuen Bestimmung, dem Hafen von Callao zu.
Meteorologische Notizen über die Algodonbai.
Die kurze Zeit meines Aufenthalts in der Bai (den Monat Februar 1850 hindurch), gestattete natürlich nicht, nur einigermaßen ausführliche Untersuchungen anzustellen. Indessen theile ich selbst diese wenigen mit, da meines Wissens noch keine ähnlichen Beobachtungen dort angestellt, oder wenigstens bekannt gemacht worden.
Temperatur der Luft. Ich habe, wenn nicht weitere Ausflüge mich hinderten, dreimal des Tages auf dem Verdecke des Schiffes die Temperatur genommen, und folgende Mittelzahlen erhalten:
9 Früh | 12 Mittags | 10 Abends | |
Höchster Stand | + 21.0° R. | + 21.5° | + 16.2°. |
Niedrigster Stand | + 16.5° " | + 18.0° | + 15.0°. |
Mittlerer Stand in 14 Beobachtungen |
+ 17.7° " | + 19.8° | + 15.6°. |
Es sinkt indessen in der Bai die Temperatur während der Nacht und gegen Morgens kaum noch tiefer als die angegebenen 15.0° R.
Ueber die Temperatur am Lande ist es schwierig, besonders für die kurze Zeit meines Aufenthalts, eine sichere Angabe zu liefern. Theils der Seewind, theils der Luftzug aus den einzelnen Schluchten, auf der andern Seite aber auch wieder die Nähe von Felsen, welche durch die Sonne stark erhitzt sind, verursachen zu bedeutende Schwankungen.
Vielleicht kann man für den Sommer dort als höchste Temperatur während des Tages + 24° R., und das niedrigste für die Nacht, + 16° R. annehmen, und nach dem was ich von den Bewohnern der Bai erfahren konnte, sind die Unterschiede für den Winter nur gering.
Atmosphärischer Druck. Die wenigen angestellten Versuche ergaben Folgendes:
Höchster Stand | 757.3 | M. M. |
Niedrigster Stand | 754.3 | " |
Mittlerer Stand | 755.8 | " |
Dieß ist das Resultat von 16 Beobachtungen des Mittags um 12 Uhr angestellt. Die stündlichen Schwankungen des Barometers trafen sehr genau ein, doch war die Versuchsreihe zu klein, um irgend einen Werth zu haben.
Daß Regen gänzlich in der Bai fehlt, indessen gegen Abend Nebelschichten alle Spitzen der Berge bedecken, habe ich bereits berichtet. Was die Feuchtigkeit der Luft betrifft, so stand mir freilich nur ein Fischbein-Hygrometer nach de Luc zu Gebot. Relative Werthe können aber immerhin mit demselben erhalten werden. Es stand mein Instrument des Tags über constant auf 32, und fiel während der Nacht etwa auf 33 bis 34. Am Lande aber, nicht weit entfernt vom Ufer der See, stieg derselbe stets um einige Grade.
Als vergleichenden Anhaltspunkt will ich beifügen, daß bei Kap Horn dasselbe Hygrometer auf 101 stand, während es auf der Cordillera von Chile auf 0 und noch höher stieg, so daß ich genöthigt war provisorisch die Scala zu vergrößern.
Windrichtung. Ziemlich regelmäßig beginnt der Wind des Morgens zwischen 9 und 10 Uhr von Süd-West und Süd-Süd-West zu wehen, und springt gegen 3 bis 4 Uhr des Nachmittags in Nord-West, öfter aber in Nord-Ost um. Gegen Abend und die Nacht hindurch ist es stille. Sehr selten weht starker Wind.
Eigenthümlich sind die warmen Luftwellen, die gegen Abend, wenn fast schon vollständige Windstille eingetreten ist, sich der Küste entlang bewegen. Etwa 10 bis 15 Sekunden lang dauert ein solcher warmer Luftstrom, der sich nicht immer der letzten Windrichtung nach bewegt, und dessen Temperatur wenigstens 2 bis 3 Grade höher ist als die der übrigen Luft.
Die Erscheinung ist ohne Zweifel bedingt durch eine Ausgleichung der an einigen Stellen des Gebirges mehr als an andern erhitzten Luft, und ich habe an der Cordillera in Chile ganz dasselbe gefunden.
Gewitter kommen auch hier so wenig wie auf dem Flachlande von Chile vor.
Erdbeben sollen nach Aussage der Einwohner etwa eben so häufig vorkommen als in Chile. Es fand indessen während meines Aufenthaltes in der Bai kein einziger Erdstoß statt. Daß Erderschütterungen dort auftreten, davon geben aber schon die von den Abhängen der Berge herabgestürzten Felsblöcke und andere ähnliche Erscheinungen Zeugniß. Hebungen und Senkungen der Küste aber, wie sie sich in Chile fast allenthalben mit Sicherheit nachweisen lassen, haben, wie ich glaube, seit langer Zeit in der Nähe der Bai nicht stattgefunden, wenigstens fehlen alle Anzeichen, nach welchen man auf solche schließen kann.
Ich füge diesen meteorologischen Notizen einige Nachrichten über die Wüste von Atakama selbst bei, welche ich fast gänzlich der freundlichen Güte meines geehrten Freundes, des Dr. Ried in Valparaiso, verdanke, und welche um so interessanter sind, da Ried einestheils mit einem scharfen Beobachtungsgeiste ausgerüstet, andererseits aber die Wüste selbst nur wenig von Gelehrten besucht worden ist.
Es beginnt die eigentliche Wüste sogleich hinter den von mir öfters erwähnten Küstengebirgen, deren höchste Höhe Ried, so wie ich, auf etwa 3000 Fuß angiebt. Hinter diesen Gebirgen kömmt Tafelland und die Wüste erstreckt sich durch die ganze Breite des Landes bis an die Cordillera. Die Länge des zu Bolivien gehörigen Theils der Wüste ist etwa 150 Stunden, aber Ried giebt die Länge der eigentlichen Wüste bedeutend größer an, ohne Zweifel, weil die gegen Nord und Süd angrenzenden Theile von Peru und Chile ebenfalls analogen Charakter tragen. Auf das die Wüste bildende Tafelland kömmt man durch jene Flußbeete, welche ich oben bereits erwähnt, und als durch mächtige und periodische Schmelzungen des Cordillera-Schnees entstanden, bezeichnet habe. Das Tafelland ist hügelig und uneben, und mehrfache jener Flußbeete durchschneiden es; Spuren mächtiger Strömungen werden an ihnen gefunden und nicht selten sind die steilen granitischen Wände derselben durch die Masse rasch vorübergeführter Gesteinstrümmer polirt und abgeschliffen. Jetzt sind sie trocken.
Dem Granite scheinen hier und da jüngere Formen aufgelagert; so fand Ried an einer Stelle Saurierreste.
Der beste Eingang in die Wüste ist von Cobija aus. Von dort aus beginnt man sogleich zu steigen, eine Höhe von 3000 Fuß wird in vier bis fünf Stunden überstiegen, und auch dort finden sich jene mächtigen Wasserrisse. Etwa 22 Stunden weit von der Küste trifft man auf einen Gebirgszug, der so ziemlich parallel mit der ersteren verläuft. Die höchsten Punkte dieser Kette schätzt Ried auf 7000 bis 8000 Fuß. Ein ähnlicher Charakter der allgemeinen Bildungsform zeigt sich also auch hier wie in Chile, nur großartiger wie es scheint.
Hat man diese Kette überschritten, so erblickt man im Hintergrunde die hohe Cordillera, die oft beschriebene und dennoch unbeschreibbare riesige Kette der Anden. Zwischen ihr und dem Wanderer liegt die Wüste, das Bild des Todes, wenn auch nicht der Verwesung, denn die lange Straße von Leichen, welche sich durch dieselbe hinzieht, besteht aus nur vertrockneten Thieren. Pferde und Maulthiere sind mumificirt, Haare, ja selbst die Augen noch erhalten an ihnen. Hunger, Durst und Ermattung hat sie getödtet, aber die klimatischen Verhältniße gestatten keine Fäulniß der Körper, während eben so wenig dort irgend ein Insekt existirt, welches sie verzehrt.
Etwa nach 27 Leguas (40½ Stunde) kommt man an einen Fluß der Loa heißt. Er besteht aus geschmolzenem, von der Condillera kommendem Schneewasser. Unferne von dort liegt ein indianisches Dorf, Chiuchia, und dort tritt zu dem Loa ein vulkanischer Strom. Das Flußbett ist 300 bis 400 Ellen breit und mächtig tief. Aber das Wasser des vulkanischen Flusses enthält Kupfer und eine Menge anderer Salze in Auflösung, es verursacht Leibweh, wird aber dennoch getrunken. Die Wassermenge ist nur gering, wird aber gegen die See hin noch geringer und verliert sich endlich ganz.
Im Wasser selbst konnte Ried keine Spur irgend eines Geschöpfes entdecken, hingegen sah er in der Nähe desselben eine kleine Eidechse, eine Fliegenart und Musquitos.
Höchst interessant sind die Beobachtungen über die Temperatur, die Windrichtung und den Regen.
Die Mittagshitze ist drückend. Ried giebt 96 bis 120 Fahrenheit an, also + 28 bis + 39 Reaumur. Gegen vier Uhr des Nachmittags nimmt die Hitze ab, und die Temperatur sinkt rasch. Nach Mitternacht tritt Frost ein und der Thermometer stand auf 32° Fh., also 0° Reaumur, manchmal noch tiefer.
Die natürliche Folge hievon ist Pneumonie und Pleuritis, und Thiere und Menschen erliegen nicht selten derselben.
In der Wüste selbst regnet es nie und man wird sich erinnern, was ich im Vorhergehenden über die Regenlosigkeit der Küste ausgesprochen habe. Auf der Cordillera aber selbst und etwa 15 Stunden weit von derselben gegen Westen fällt Regen, nie aber weiter. Aber jene Regen fallen blos im Winter, d. h. vom Mai bis zum September. In Bolivien, in so ferne es gegen Osten von der Cordillera aus liegt, regnet es hingegen im Winter nie, aber im Sommer fast täglich, zugleich treten zwischen Nachmittag und Mitternacht sehr häufig starke Gewitter auf.
In der Wüste weht von Morgens 10 bis gegen Sonnenuntergang ein sehr starker Westwind, also von der See gegen die Cordillera hin und dieser Wind, stets stark, wird manchmal so heftig, daß man kaum gegen ihn ankommen kann. Mit der Sonne zugleich sinkt auch der Wind, und es tritt bis gegen 9 oder 10 Uhr fast Windstille ein. Gegen Mitternacht indessen beginnt der Wind von der entgegengesetzten Seite von Osten her, also von der Cordillera gegen die See zu wehen, und zwar erkältet durch den Schnee und daher jenes oben erwähnte Frostphänomen.
Ried hat diese Erscheinungen vereinigt, und eine einleuchtende Theorie derselben aufgestellt.
Die Wüste, sagt er, liegt von der Cordillera aus gegen Westen, eine ungeheure des Tags über glühende Fläche, noch weiter, in gleicher Richtung gegen Westen, die Südsee, deren Oberfläche stets kühler ist, als die der Wüste, es ist also bei Tage ein Ostwind nicht möglich.
Im Winter regnet es, während es im Gebirge schneit, und es bilden sich von der ewigen Schneelinie herunter große Schneelager. Die Sonne hat nicht Kraft genug sie zu schmelzen, erst im Sommer ist sie dieß im Stande. Steht man bei Sonnenaufgang auf der Ostseite der Cordillera, so bemerkt man, daß der Himmel auf dieser Seite hell, klar und blau ist. Aber schon gegen sieben Uhr beginnt der Schnee zu schmelzen, es bilden sich Dämpfe auf den Gipfeln der Anden, diese vereinigen und erheben sich und es umwölkt sich der Himmel. Mittlerweile hat sich der vom See über die Wüste kommende Westwind erhoben, jagt diese Wolken gegen Osten und über die vulkanische Reihe der Anden, und sie sind es, welche als Gewitterwolken auf der Ostseite auftreten und die dort häufigen Gußregen erzeugen.
Von den Erdbeben endlich bemerkt Ried, daß sie in der Wüste ziemlich häufig sind, aber nur westlich von den Anden und bis an den Fuß des eigentlichen Gebirgs. Auf diesem und auf der östlichen Seite hören sie gänzlich auf. – In Chile sind diese Verhältnisse anders. Zwar spürt man auf der hohen Cordillera Erdstöße weniger als im Flachlande, wie ich schon oben erwähnte, aber sie treten auf der Ostseite wieder deutlicher auf; indessen fehlen gleichzeitige Beobachtungen, welche sicher von hohem Interesse wären.
Vor einer neuen Seefahrt, d. h. vor einer umständlichen Mittheilung des auf derselben Erlebten, darf der freundliche Leser keine Besorgniß hegen. Ich werde bald für die Rückreise von Peru nach Europa genug zu thun haben, seine Geduld nicht allzusehr zu ermüden.
Wir bedurften, um von der Algodonbai aus nach Callao zu kommen, 10 Tage und bekamen bereits am 4. März gegen Abend die Insel St. Lorenzo in Sicht.
Es muß in der That ein furchtbares Erdbeben gewesen sein, welches diese Felseninsel vom Festlande losgerissen hat. Sie liegt gegenwärtig zwei und eine halbe Meile von der äußersten Spitze des Landes entfernt, und ohne Zweifel ist der sie mit dem übrigen Lande früher verbindende Theil versunken, d. h. von der See verschlungen worden.
Die größte Tiefe der See, welche jetzt die Durchfahrt zwischen Land und Insel bildet, ist 60 Fuß, die geringste 24 Fuß und der Grund besteht aus Felsen und Sand.
Kaum glaublich, dennoch aber sicher beurkundet, sind die grauenhaften Erscheinungen, unter welchen jenes berüchtigte Erdbeben (1746) aufgetreten ist.
Die Erde hob und senkte sich dergestalt, daß die ganze frühere Hafenstadt Callao sammt ihren Bewohnern in Zeit von wenigen Sekunden vollkommen vertilgt war. Natürlich trat die See mit einer furchtbaren Schnelligkeit über das für den Augenblick gesunkene Land, und man kann sich einen Begriff von der Heftigkeit dieses Vordringens des Meeres und der Mächtigkeit der stürmenden Fluth machen, wenn man erfährt, daß neben einer großen Anzahl anderer an's Land geschleuderter und zerschellter Schiffe, eine große englische Kriegsfregatte über eine englische Meile weit in's Land geworfen wurde und dort liegen blieb. Ein Denkstein bezeichnet noch heute die Stelle.
Es ist überflüssig hier die bei solchen Gelegenheiten gebräuchliche salbungsvolle Formel einzuschalten: »Und dennoch bewohnt der Mensch sorglos jetzt wieder diese Gegenden, welche etc.« – Eine der größten Gottesgaben, der Leichtsinn, wird glücklicher Weise nie die Menschheit verlassen, selbst nicht im Zustande der höchsten Cultur, wenn der Dollar einmal vollständig und allgemein als höchstes Wesen anerkannt sein wird; und wir alle laufen mit derselben Sorglosigkeit über Abgründe und Schlünde hinweg, welche uns jeden Augenblick verschlingen können, wenn gleich theilweise moralisch.
Wir hatten auf der Fahrt von der Algodonbai aus nach Callao noch öfter die Küste in Sicht, und daher noch den Eindruck derselben, das Wilde und Sterile im Gedächtnis behalten.
Einen um so erfreulicheren Anblick gewährte jetzt das landschaftliche Bild der peruanischen Küste. Grün und bebuscht dehnt sich vom Ufer an eine freundliche Fläche aus. Einzelne hervorragende Palmen verfehlen nicht den Typus der Tropen zu verleihen, und im Hintergrunde liegt die Ciudad de los Reyes, das königliche Lima, tausend Erinnerungen erweckend an Alles was man gehört und gelesen von demselben, und wohl auch geträumt. Ein Gebirge[56], dessen Spitzen meist in Nebel gehüllt sind, schließt hier die Landschaft. Im Vordergrunde, und dicht an See, liegt die Hafenstadt Callao.
Allen Reisenden ist die niedere Temperatur aufgefallen, welche das Wasser im Hafen von Callao zeigt und man hat dasselbe, wie ich glaube, sehr glücklich durch die Humboldt-Strömung erklärt. Ich will hier kurz bemerken, daß etwa 5 Meilen vom Hafen entfernt, die Temperatur des Wassers + 15.9° R. war, im Hafen hingegen + 14.0° R. und die der Luft 19.8°, vollständig also übereinstimmend mit früheren Beobachtungen.
Kurz ehe wir in den Hafen einliefen, kam ein mächtiger Hai, wohl 12 Fuß lang, an Bord. Es wurde, da er die Angel nicht annahm, mit der Harpune auf ihn Jagd gemacht, daß Thier auch wirklich getroffen, aber wie gewöhnlich ging es beim Aufheben verloren. Auch Wallfische sahen wir mehrere. Außerhalb des Hafens war eine Unzahl von Vögeln, im Hafen jedoch weniger. Indessen behauptet man, daß die Menge der Vögel in und um den Hafen gegen früher sehr abgenommen habe, seitdem sie durch das Holen des Guano allenthalben gestört und verjagt werden. Auch Fische scheinen dort in großer Menge vorhanden, und wir passirten an mehreren Zügen vorüber. Bei einem dieser Haufen war das Wasser, in welchem sie sich bewegten, roth gefärbt, ich konnte keins davon schöpfen, aber ich glaube, daß diese rothe Färbung von kleinen Thieren herrührte, welche den Fischen zur Nahrung dienen.
Am Lande selbst herrscht, wie allenthalben an solchen Orten, reges lebendiges Leben, und bunt durcheinander klingen die Zungen aller Nationen. Ich gefiel mir dort darin, den Seemann zu spielen, trug eine weiße Jacke mit rother Schärpe und sprach ein schauderhaftes Spanisch. Wir wanderten durch die reich und einladend aufgestapelten Schätze der Früchte des Landes, welche dort zum Verkaufe geboten werden, an's Zollhaus, und da man mich wirklich für einen Seemann hielt, machte man Miene, mich einer etwas sorgfältigeren Untersuchung zu unterwerfen. Aber die Zauberformel »Soy medico« und das Oeffnen meiner Reisetasche, welche Verbandzeug, Aneroid-Barometer, Mineralienhämmer und ähnliche Dinge enthielt, verschaffte mir sogleich freien Paß.
Ich miethete mich hier einen Tag im Marine-Hotel ein, um flüchtig Callao zu besehen und dann nach Lima zu gehen. Die bescheidene Wohnung, welche mir angewiesen wurde, bestand aus einem kleinen Häuschen, welches neben drei andern Collegen auf dem flachen Dache des Hotels stand, in jeder Ecke des Daches eines. Ein schmales Bett, ein Tisch und ein Stuhl nebst so viel Raum, um zwischen diesen Gegenständen sich ohne besondere Mühe durchwinden zu können, war die Bequemlichkeit, welche mein Haus bot.
Die Unbequemlichkeit, welche es enthielt, bestand neben einer drückenden Hitze aus einer Unzahl von Flöhen und Ameisen. Ich nahm daher vor meiner Hausthür Platz, ließ mir eine Flasche Ale bringen nebst einem Imbisse, und zeichnete so gut es ging während des Essens einen Theil der Küste und des Hafens.
Einen Ueberblick über die Stadt gewinnt man übrigens auf einem solchen Dache ganz vortrefflich, und es gewährt einen eigenthümlichen Anblick, die Menge von braunen, aus Lehm geschlagenen Vierecken zu sehen, welche mit vergitterten Fenstern versehen sind und mit dem Schmutze von Decennien bedeckt scheinen.
Außer einzelnen Aasgeiern, welche hie und da die sterblichen Reste eines Hundes oder einer Katze aufzehren, sieht man indessen auf jenen Dächern nichts Lebendes, und blos im Marine-Hotel hatte man die, – wie es schien – wohlwollende Einrichtung getroffen, für Flöhe, Ameisen und wohl auch für Reisende jene kleinen Zufluchtsorte zu errichten.
Aehnlich wie in Valparaiso, wenn auch in kleinem Maßstabe, verläuft auch hier die Stadt gegen außen in kleinere Gebäude und Hütten. Gegen das Feld zu findet man dort lange, breite und einsame Straßen, in welchen nur hie und da eine Hütte steht. Diese Hütten sind im nämlichen architektonischen Sinne construirt, wie die früher erwähnten in Mamilla, aber bei den meisten bestehen die beweglichen Wände nicht aus fragmentarischen Kleidungsstücken wie dort, sondern aus Flechtwerk und Matten, was nicht übel läßt.
Ich hatte Gelegenheit dies zu bemerken, indem ich einige Stunden in der Stadt umhergelaufen war, einige Skizzen gezeichnet, und ein Paar herrliche Papageien gekauft hatte, welche ich, nebenher gesagt, auch glücklich lebend mit nach Europa brachte.
Im Gasthause wieder angelangt wurde ich mit einer fabelhaften Achtung und Aufmerksamkeit empfangen, Capitano und Sennor Baroné genannt, ein Ausdruck, den ich dort zum ersten und letztenmal an der Westküste hörte, und zugleich wurde mir angezeigt, daß meine Sachen in ein würdiges Zimmer gebracht worden seien. So war es in der That, aber ich habe nie erfahren, welcher unbekannte Freund mich dort so in höhere Potenz gestellt hatte. Indessen waren durch das einigemal ab- und zufahrende Boot meine Kleider in's Hotel gebracht, und die erkauften Vögel an Bord geschafft worden, so konnte der Abend sorglos zugebracht, und im Gespräche mit einigen Deutschen manchfache Notiz über das Land erworben werden.
Es wurde jenesmal viel von der Unsicherheit des Landes gesprochen. Richtig war allerdings, daß der von Callao nach Lima gehende Postomnibus öfters beraubt worden war, und daß fortwährend berittene Abtheilungen von Militärwachen jene Straße durchstreiften. Geschieht dies vierzehn Tage nicht, sagte man mir, so kann man darauf rechnen, daß Räubereien vorfallen. Als ich aber meinen Vorsatz äußerte, am andern Morgen die Umgegend von Callao zu durchstreifen, versicherte man mir ganz ernsthaft, dies würde ich nicht thun, denn es sei zehn gegen eins zu wetten, daß ich ermordet werden würde.
Ich war aber nicht nach Südamerika gegangen, um hinter den Lehmwänden einer kleinen Hafenstadt mich vor Räubern versteckt zu halten, steckte des andern Morgens frische Hütchen auf meine zuverlässigen Taschenpistolen und machte mich, nachdem ich den Kaffee mit heroischen Gedanken genossen, auf den Weg. Vor der Stadt indessen und im Gebüsche angelangt, fand ich, daß ich meine Pistolen vergessen hatte.
Aber der Leser kann mich friedlich ziehen lassen, es wiederholte sich nicht das Abenteuer mit dem Löwen, welchem ich unbewaffnet entgegen treten mußte, und ungefährdet erreichte ich gegen Mittag wieder die Stadt. Doch hatte ich auch wenig genug erworben. Wo nicht Pflanzenwuchs die Erde bedeckt, finden sich Geschiebe mit Muschelfragmenten, und etwa in einer Tiefe von 8 bis 10 Fuß unter diesen ein blauer thoniger Letten, ohne Zweifel alter Meeresgrund, obgleich ich selbst unter dem Mikroskope keine thierischen Reste in demselben entdecken konnte. Mit Pflanzen wollte ich mich nicht befassen, da ich sie doch nicht hätte trocknen können, geognostische Studien waren aber keine weitere zu machen.
Merkwürdig ist die Armuth der dortigen Gegend an Insekten. Ich habe keinen einzigen Käfer getroffen, obgleich ich sorgfältig alle gewöhnlichen Fundorte durchsuchte, und nur einige Schmetterlinge, Tachypteren, von unscheinbarer Färbung und den unserer Waldungen ähnlich, und einen kleinen Schwärmer, wahrscheinlich eine Zygaena, habe ich gefunden.
Ziemlich häufig aber war ein großer Asilus, der räuberisch jenen Schmetterlingen nachstellte, und einige andere Fliegen.
Kapitain Müller und ich fuhren des Nachmittags nach Lima. Zu jener Zeit wurde die Fahrt im Omnibus gemacht, deren mehrere des Tags hindurch hin und zurück gingen, und genau alle Unbequemlichkeiten boten, wie die deutschen analogen Institute. Mehrere Damen waren unsere Reisebegleiterinnen, und ich staunte über die Masse des Schmuckes, mit welchem dieselben buchstäblich beladen waren.
Es hätte sich in der That rentirt, einem solchen Omnibus einen Besuch à la Rinaldo Rinaldini abzustatten, und reitende Patrouillen, welchen wir begegneten, schienen zu beweisen, daß in Wirklichkeit ähnliche romantische Ideen Eingang gefunden haben mochten bei den Söhnen des Landes.
Jetzt ist eine Eisenbahn von Callao nach Lima geführt, an die Stelle des wilden Räubers wird der sanfte Taschendieb treten und die Nachkömmlinge der blutdürstigen Spanier werden der Segnungen der Kultur und seiner Bildung mehr und mehr theilhaftig werden.
Der Weg von Callao bis Lima beträgt etwas über drei Wegstunden, welche wir aber in einer Stunde zurücklegten, und auch hier wurde, wie in Chile, fortwährend Galopp gefahren.
Einzelne Landhäuser und Ruinen von solchen, Erinnerungen an die Kämpfe der Revolution, stehen hie und da auf der weiten Ebene, und bei allen scheint ungebrannter Lehm das vorherrschende Bau-Material gewesen zu sein.
Die Repräsentanten der Pflanzenkultur waren vorzugsweise Kleefelder und Zuckerrohr-Plantagen, auch Orangenbäume fehlen nicht, zerstreute Palmen aber gaben der Gegend jenen tropischen Anstrich, welcher für den aus höheren Breitegegenden Kommenden stets anziehend und reizend ist.
Lima selbst macht einen großartigen Eindruck. Die Kuppeln und Portale der Kirchen, an altspanischen Styl erinnernd, wenn gleich oft mit starker Zopf-Reminiscenz, treten immer imponirend genug aus der Masse der übrigen Gebäude hervor, und die ganze Stadt dehnt sich weithin aus. Man hat mir die Einwohnerzahl von Lima auf 80,000 angegeben, aber für den Flächenraum der Stadt giebt dieß nach unseren Begriffen keinen sicheren Anhaltspunkt, da die meisten Häuser nur ein Erdgeschoß mit einem Stockwerke haben, und nur wenige Gebäude mit drei Etagen bestehen, ja viele Häuser selbst nur ein Erdgeschoß haben.
Es ist mithin die Einwohnerzahl auf eine größere Grundfläche vertheilt als in unseren europäischen Städten, wo durchgängig höhere einzelne Bauten eine größere Menschenmenge fassen.
Die Bauart selbst erinnert mehr an jene von Rio de Janeiro als an die von Santjago, namentlich die besseren Häuser, welche freundlicher aussehen oder wenigstens nicht den klösterlichen Typus haben wie die chilenischen, doch trifft man auch solche. Einen ganz eigenthümlichen Eindruck haben die abenteuerlich construirten Dächer mehrerer Kirchen auf mich gemacht, welche fast alle mit einer dichten Staubdecke belegt, mich unwillkürlich an alte, sonderbare Spielwerke meiner Jugendzeit erinnerten, welche bei Seite gestellt in irgend einen Winkel nach längerer Zeit wieder hervorgesucht wurden, und sich dann eben so bestaubt wie jene zeigten. Auch auf Balkons und gedeckten Gängen der Privatwohnungen liegt jene dicke Staublage, welche von den spärlichen und selbst dann nur nebelähnlichen Regen nur selten vollständig entfernt zu werden scheint.
Die Schilderung oder Aufzählung der vorzüglichsten Kirchen und öffentlichen Gebäude erläßt man mir wohl. Aehnliches hat kaum mehr Nutzen als eine Stelle des Reiseberichts auszufüllen, denn der Leser bekommt doch schwerlich einen richtigen Begriff irgend eines Bauwerks, wenn nicht mit künstlerischer Genauigkeit beschrieben wird. Die statistischen Notizen, welche ich versucht habe im Vorhergehenden über Chile zu geben, mögen im Allgemeinen auch für Peru gültig sein, die Regierungsform eine gleiche oder sehr ähnliche, das Unterrichtswesen und der Stand der bewaffneten Macht auf gleicher Stufe, und auch für Handel, Gewerbswesen und Zollverhältnisse mag Aehnliches gelten. Aber man fühlt in Lima die größere Nähe des Aequators, nicht in der Temperatur allein, sondern auch im Leben und Treiben selbst. Man lebt dort anders als in Chile. Ich mag mich nicht gerne vermessen, einen Urtheilsspruch zu thun über Charakter und Sitten eines Volkes nach kurzer Beobachtungszeit von kaum einigen Wochen, so will ich denn dem Leser nur einzelne Bilder vorführen, aus denen er sich selbst Schlüsse ziehen kann.
Kapitain Müller und ich stiegen in der goldenen Kugel, einem der ersten Gasthäuser von Lima ab, und besuchten hierauf sogleich einen deutschen Uhrmacher, der in nächster Nähe wohnte, und einen reichen Verkaufsladen hatte. Er war ein alter Bekannter von Müller, und empfing uns mit derselben Herzlichkeit wie alle Deutsche, welchen ich an der Westküste begegnet bin, und da in seinem Geschäfts-Lokale zugleich der Versammlungsort der meisten Deutschen war, welche eben ein Paar müßige Augenblicke hatten, so lernte ich in der Folge viele derselben dort kennen.
Wir gingen, nachdem es dunkel geworden, nach der Plaza, und ich staunte über das eigenthümliche Leben was sich uns dort darbot. Die Plaza ist der Hauptplatz von Lima, wohl einige hundert Schritte lang und breit, und gegen Ost von der Kathedrale begränzt, welche ein würdiges Bauwerk ist, und im Innern vor der Revolution unglaubliche Schätze enthielt, von welchen aber ein großer Theil seitdem verschwunden ist. Die nördliche Seite schließt das Rathhaus ein, gegen Süd und West aber stehen Privathäuser, unten mit geräumigen Gallerien versehen, in welchen offene Kaufläden mit den verschiedenartigsten Gegenständen gehalten werden. Täglich erlebt man auf der Plaza drei verschiedene Perioden.
Des Morgens mit Tages-Anbruch herrscht der Lärmen und das Gewühle von Viktualien-Verkäufern aller Art, denn es wird dort zugleich der Hauptmarkt abgehalten; bei steigender Sonne aber und des Tages über ist der Platz leer und geräumt, und fast im alleinigen Besitze der glühenden Sonnenstrahlen; bei'm Beginne der Nacht hingegen entwickelt sich dort das lebendigste Treiben. Hunderte von Verkäufern bieten Eiswasser (Fresco) und Limonade aus. Ihre Buden sind freilich nicht glänzend, und bestehen meist aus alten Kisten, in welchen die Gefäße mit Eis stehen, beleuchtet von einem kleinen Talglichte, und aus einer Anzahl niedriger Bänke und fußschemelartiger Stühlchen, denn man liebt in Peru eben so wie in Chile, fast huckweise (kauernd) zu sitzen.
Aber um diese bescheidenen Etablissements hat sich der Luxus geschaart, die schöne und die feine Welt von Lima. In reichen Anzügen haben dort die vornehmsten Damen Platz genommen, und lassen sich Fresco reichen von ihren ebenfalls zierlich geschmückten Männern oder Freunden. Officiere beleben die bunten Gruppen, und anständig schreitet mitunter ein Mönch zwischen ihnen.
Friedlich aber zwischen allen diesen Staatspersonen sitzt mitunter leichte Waare, Priesterinnen der verrufenen, wenn gleich nicht unbeliebten Göttin, die dereinst den Wellen entstiegen; bunte Vögel, zwar nicht geschmückt mit fremden Federn, wohl aber mit lebenden, blühenden Blumen. Man sagte mir, daß dieß das selbstgewählte Abzeichen jener schwärmenden Damen sei. Vielleicht aber sind sie eben deßhalb geduldet mitten im Kreise der Tugend und des Anstandes, da sie so hinreichend bezeichnet sind durch den duftenden Jasminkranz, den zu jener Zeit wenigstens fast alle trugen. Jedenfalls fällt es aber Niemand ein, Uebles zu denken oder sich aufzuhalten über jene Vermengung von Tugend und Leichtsinn.
So schlürft man behaglich einige Gläser Fresco, die nebenher gesagt, aus Eiswasser[57] besteht, gewürzt, je nach Wunsch des Consumenten, mit fast allen Früchten die Peru bietet, und verläßt gegen 10 Uhr die Plaza. In den Familien beginnt jetzt erst das eigentliche Leben, man empfängt Besuche, musicirt oder spielt. Der Fremdling aber geht in's Hotel und sucht sein einsames Lager. Er denkt über die Versuchungen nach, denen er auf der Plaza glücklich entgangen und preist seine Tugend, – aber, er bedarf ihrer noch ferner! Im Gasthofe, auf den dunklen, oder wenigstens nur halb beleuchteten Gängen, die zu seiner Schlafstube führen, schwärmen Gestalten flüsternd und lockend. Sie mehren und mehren sich! Führt man Robert auf? Soll er in der Kirchhof-Scene debütiren? Aber glücklich der erfahrene Mann! Die Senoritas tragen Jasmin-Kränze, und er hat vor einer halben Stunde auf der Plaza erfahren, was diese bedeuten. So gewinnt er sein Zimmer und verschließt seine Thüre, klopft man, so ruft er einfach no quiro, und nachdem er zehn- oder zwölfmal an stets neue Klopfgeister diese Zauberformel gerufen, kann er sich ruhig zu Bette legen mit dem Kranze der Unschuld, statt mit dem von Jasmin geschmückt, und eine willkommene Speise für Tausende von Flöhen, welche jetzt wie wüthend über ihn herfallen, und gegen welche weder Tugend noch kölnisches Wasser, weder Essigsäure noch männliche Festigkeit und Salmiakgeist hilft.
Beiläufig so wie eben geschildert, war mein erster Abend in Lima, auf und nach der Plaza.
Den folgenden Tag lief ich in der Stadt umher, planlos in Hinsicht auf die zu verfolgende Richtung, indessen in der Absicht, ein, wenn auch nur oberflächliches Bild derselben und ihrer Bewohner zu erhalten. Erinnern gleich die kuppelförmigen Dächer der Kirchen, ihre eigenthümlichen Portale und ganze Bauart, so wie die Balkons der Privatwohnungen stets den Beschauer daran, daß er sich in einem fremden Lande befindet, so haben doch wieder die gangbarsten Straßen viel europäisches. Man sieht allenthalben glänzende Buden, in welchen die Industrie-Gegenstände Deutschlands, Englands und Frankreichs ausgeboten werden und Restaurationen, so viel als möglich in gleichem Sinne eingerichtet, finden sich häufig.
Es herrscht ein reges Leben auf diesen Straßen, was bedeutend abweicht von der Ruhe, welche fast aller Orten in Santjago stattfindet, und in der That zeigen sich interessante Gestalten genug, die Stoff zur Beobachtung bieten. Fast gänzlich verschwunden ist gegenwärtig die alte Tracht, von welcher früher Reisende so vieles zu berichten wußten, und ich habe nicht viele Damen in der Saya und dem Manto gesehen. Die Saya ist ein Rock von Wolle oder Seide, welcher unten an den Füßen sich wieder verengte, so daß die Trägerin nur trippelnd gehen konnte. Der Manto ist eine Art Schleier von dickem, schwarzen Seidenzeug, welcher am Gürtel befestigt und so über den Kopf geschlagen wird, daß nur das eine, meist das linke Auge der Dame zu sehen ist. In der unten engen Saya habe ich nur noch einige ältere Frauen gesehen, während bei denen, welche noch jetzt die Saya und den Manto tragen, die erstere in malerischen, wenn gleich künstlich durch verschiedene Mittel hervorgebrachten Falten abwärts fällt.
Um die schlanke Taille noch mehr zu heben, wird das Unterkleid durch einen zweiten Gürtel in die Höhe geschoben und festgehalten, und dann über den Kopf die Saya und der daran befestigte Manto übergestürzt.
Ganz gut kann man begreifen, warum unter 12° südl. Breite sich die Damen so einhüllen, daß man blos ein Auge von ihnen sieht, denn bei vorliegenden Gründen kann man sich für jeden Unberufenen, oder wenigstens Ungewünschten, unkenntlich machen, während ein kaum sichtliches Zeichen zu dem Freunde deutlich genug spricht; aber es ist mir nie recht klar geworden, warum man die allerschwersten und wattirten Seidenzeuge zu diesen Verhüllungen angewendet hat.
Doch – wie gesagt – nur wenige Damen werden jetzt mehr in dieser Tracht gesehen, und französische Mode hat auch hier das Landeseigenthümliche verdrängt. Doch muß ich gestehen, daß immerhin noch die Damen malerisch genug und wirklich mit Zierlichkeit auch jenen französischen Tand um sich zu schlingen wissen, den sie gegenwärtig tragen. Wunderbar und unglaublich klein sind die Hände und Füße der Damen in Lima, aber mir schien es fast, als sei man wenig eitel auf diese Zierde, da sie Gemeingut.
Da ich von den Damen und ihrem Anzuge gesprochen, muß ich natürlich auch der Herren erwähnen. Gänzlich verbannt ist bei diesen, im Stadtleben wenigstens, der Poncho und die ältere Landestracht, und die Mode hat vollen Eingang gefunden. Man trägt den engen, schwarzen Frack, um die Strahlen der Sonne aufzuhalten, bindet eine Cravatte um den Hals da man bei + 24° R. sich sonst leicht erkälten könnte, und trägt den schwarzen, runden Hut um das malerische und zweckmäßige des ganzen Anzugs zu vollenden. Der theure, aber für jenes Klima so passende Strohhut kömmt dort täglich mehr aus der Mode. So die Herren. Die Männer, d. h. die Männer aus dem Volke, tragen den Poncho, leichte Schuhe und weite Beinkleider, nebst einem stets breitkrämpigen Hut, in übrigens sonst verschiedener Form. Sie haben die alte Tracht des Landes beibehalten, so wie bei uns auf dem Lande an verschiedenen Orten Deutschlands auch deutliche Spuren älterer Moden zu finden sind. Aber ob sie nicht mit heimlichem Wunsche und mit Begehrlichkeit nach den neuen Moden blicken, will ich nicht entscheiden.
So drängen sich in den Straßen von Lima in buntem Gewühle der europäisch gekleidete Modeherr und der Arbeiter mit dem Poncho. Dazwischen reitet ein Früchteverkäufer mit mächtigen Körben und Säcken zu beiden Seiten des Maulthiers. Sein Poncho ist brennend roth und seine Beinkleider von schönster Indigfarbe. Ihm folgt stolz auf einem weißen Rosse ein Neger, ein Lieblingssklave vielleicht, oder ein Freigelassener. Seine Satteldecke ist blau, sein Poncho weiß, weiß sein Hut, und ein weißer Kragen, Andeutung des zukünftigen Vatermörders, wenn er ganz Caballero geworden sein wird, dehnt sich bis an die Ohren. Der solide Neger liebt die weiße Farbe.
Mit eben nicht überflüssigen Kleidungsstücken ausgestattet, aber rittlings nach Männerart im Sattel oder wohl auch auf ungesatteltem Thiere sitzend, begegnet uns dort eine ländliche Senorita. Unter dem blau-schwarzen Haare, welches wild über die braunen Wangen hängt, blitzen zwei kohlige Augen hervor, vielleicht nach einem Sohne des Mars, der eben wohlgenährt, wie fast alle seine Kameraden, und weiß uniformirt, mit der hohen, leichten Mütze durch die Straßen schreitet. Mönche in verschiedenen Ordenskleidern, ernst, würdevoll oder demüthig, wohl nach der Regel des Ordens, durchwandern, grüßend und gegrüßt das bunte Gewühl, was vervollständiget wird durch die Fremden, die eben angekommen sind, durch die Kapitaine und Seeleute überhaupt, durch Neger und Negerinnen und Staffage der verschiedensten Art, die zu schildern der Raum verbietet.
Verläßt man die volkreichsten Straßen, so treten wohl die von ungebranntem Lehm erbauten und weiß getünchten Häuser, die an Santjago erinnern, hervor. Dort zieht sich auch, wie in den meisten Straßen der genannten Stadt, ein schmaler Kanal der Länge nach durch die Mitte des Weges, und an diesem sitzt in stoischer Ruhe der schwarze Aasgeier, der häufig sich nicht bewogen fühlt, dem vorübergehenden Herrn der Schöpfung auszuweichen, oder höchstens einen Schritt zur Seite geht. Diese Thiere haben die Reinigung der Straßen übernommen, und erfreuen sich hiefür der allgemeinen Achtung und Sicherheit. Abfälle aller Art, Aas und Unrath, werden einfach und ohne Wahl von den Bewohnern auf die Straße geworfen und mit eben so wenig Auswahl auf's Schnellste von diesen Thieren verzehrt. Der Zweck ist edel, aber die Ausführung streift häufig an's Unappetitliche.
Da Lima mit Lehmmauern umgeben ist, welche etwa 9 Fuß Höhe und 6 Fuß Breite haben, so findet nicht jener allmälige Uebergang in immer kleiner und unansehnlicher werdenden Wohnungen statt, welchen ich früher für die südamerikanischen Städte überhaupt angegeben habe. Geht man aber über die wirklich schöne Brücke, welche über den Fluß Rimac führt, so kömmt man in die Vorstadt San Lazaro, welche meist von ärmeren Leuten bewohnt und wo allerdings der eben erwähnte Typus gefunden wird.
Nach langer Wanderung durch die Straßen Lima's mag mich der Leser in die Fonda italiana begleiten, eine Restauration, wo man fast zu allen Zeiten des Tages nach der Karte speisen, aber auf Abonnement auch festen Mittagstisch nehmen kann.
Es ist ein schönes, ja vollkommen großstädtisch angelegtes Etablissement, und man speist dort ziemlich billig, wenigstens nach »Westküsten-Preisen« und in zierlich ausgestatteten Räumen. Es waren auf der Speisekarte 154 warme Speisen, 20 kalte und eben so viele Weine und Spirituosen angegeben. Wirklich zu haben waren an jenem Tage 62 warme Speisen und alle kalten, nebst den verzeichneten Weinen. Da in der Fonda italiana auf den Geschmack aller seefahrenden Nationen Rücksicht genommen war, und sich die Lieblingsgerichte einer jeden vertreten fanden, war dort auch stets ein Zusammenfluß der meisten Fremden zu finden, und nebenher zugleich auch starker Besuch von Limanern selbst. Um einen kurzen Anhaltspunkt in Betreff der Speisen zu geben, führe ich Folgendes an: Suppen verschiedener Sorten ½ bis 1 Real. Rostbeef 1 Real. Bifsteko a la parilla, (auf dem Roste gebraten) 1 Real. Bifsteko a la francesca con papas, (mit Kartoffeln) 2 Realen. Ein Viertel Huhn 2 Realen. Ein Viertel Truthuhn 2 Realen. Kalbsbraten 1 Real. Hammel- und Lammsbraten 1 Real. Lendenbraten mit Spargeln, Artischoken, Blumenkohl oder irgend einem andern Gemüse 1½ Real. Von weniger bei uns bekannten Speisen, z. B. Seefische und Krebse verschiedener Art, ähnliche Preise von 1 bis 2 Realen. Die Weine kosteten meist 1 Thaler, 4 Realen (3 fl. 42 kr.) die Flasche, so z. B. Bordeos (Bordeaux) und ferner Vino de Oporto, Madera, Jerez, Moscatel, Hermitag, de Rhin, Suterne, aber Vino de Campanna 2 Thaler. Man sieht zugleich aus dieser kleinen Weinkarte, daß die Limaner nicht schüchtern sind im Uebersetzen. Ich habe, so lange ich mich in Lima aufhielt, häufig in jener Restauration gegessen und bin wie man sich denken kann, bedacht gewesen, so viel als möglich die fremdländischen Speisen zu kosten, da ich eine süße Ahnung hatte, daß mir die deutschen Kalbsbraten und die Bratwurst meines engsten Vaterlandes, später immer noch bleiben werde. Besonders aber habe ich gesucht, die Früchte des Landes kennen zu lernen.
Von diesen will ich nur eine ganz eigenthümliche, sehr angenehme Frucht erwähnen, deren Namen ich leider vergessen habe. Sie hat die Größe eines Gänseeies. Der uneßbare Kern ist in Farbe und Umfang einer wilden Kastanie ähnlich, aber hart und holzartig. Aber zwischen diesem und der äußersten grünen Schale liegt das weiche eßbare Fleisch, es wird reich mit spanischem Pfeffer und etwas Salz durchwürzt auf Brod genossen und ist ohne Zweifel ein vegetabilisches Fett, oder wenn man will, eine reich mit Oel durchsetzte Pflanzenfaser. Leider war die Frucht nicht zu transportiren und die verschiedenen Exemplare, welche ich mitzunehmen versuchte, faulten sammt dem Kern bald auf der See.
Ich habe in jener Fonda italiana einen alten Spanier kennen gelernt, keinen Peruaner, denn er selbst nannte sich so, und alle Welt bezeichnete ihn nur mit dem Namen il Espanol. Ich habe von dem Alten mehrere Notizen über das frühere Verhältniß von Peru erfahren, und ich, der Fremde, war vielleicht der einzige Mensch, der seit langer Zeit ihn freundlich behandelt hatte. Er war eine Ruine aus der vergangenen Zeit, ein Geduldeter. Unter der spanischen Herrschaft war er ein reicher, begüterter Mann und allgemein geachtet. Da brach die Bewegung aus und er hielt es mit der Sache des Königs. Sie ging verloren. Einen Theil seines Vermögens hatte er seiner Partei geopfert, er hatte ihn auf die eine Seite des vaterländischen Altars gelegt. Die neue Regierung confiscirte den Rest seiner Habe, und legte ihn auf die andere Seite des bekannten Opfersteins. Er war ein Bettler und stand allein. Sein einziger Sohn war in der Revolution getödtet worden, noch ein halbes Kind, sagte der Alte, indem er sein Gesicht verbarg; ob aber für oder gegen die Sache des Vaters, habe ich nicht erfahren. Er hatte sich, nachdem Alles verloren war, verborgen, und erreichte endlich ein Schiff, in welchem er später nach Spanien flüchtete, denn dort lebten ihm Verwandte, und vor allem war dort die Regierung, der er Alles geopfert. Man würde ihn nicht sitzen lassen im Vaterlande, meinte er. Man ließ ihn auch wirklich nicht sitzen, sondern gab ihm den guten Rath, so bald wie möglich wieder zu gehen, woher er gekommen, oder auch in Gottesnamen anderswohin, aber nur fort. Wer hatte ihn geheißen, dem Dinge, welches er seine Ehre nannte, so leichtsinnig Alles zu opfern. Niemand war ihm Etwas schuldig. Ein französischer Kapitain nahm ihn aus Barmherzigkeit wieder mit nach Peru. Er hoffte, einen Theil seiner Besitzungen wieder zu erlangen, indessen vergebens. Doch kümmerte sich die Regierung, jetzt stark genug, nicht weiter um ihn, aber ein alter Bekannter borgte ihm eine kleine Summe, und er begann einen Papierhandel und hielt einen kleinen Buchladen, der ihn spärlich nährte. Aber er wußte Herrliches zu berichten von der vorigen Zeit, von der Pracht, die geherrscht und von dem Gelde, das im Ueberfluß vorhanden. Zu jener Zeit, sagte er, kam es wohl, wie allenthalben vor, daß auch ein reicher Mann für den Augenblick kein Geld hatte. Er ging zu einem Freunde und entlieh eine Kleinigkeit von 500 oder 1000 Thalern. Wollte er aber nach ein paar Tagen oder Wochen das Geld zurückzahlen, so sagte der Andere: »Heilige Jungfrau! diese Kleinigkeit, wer denkt daran! Lassen Sie es doch gehen, ich komme wohl auch einmal zu Ihnen, und Niemand sprach mehr von der Sache!« Wenn diese Liberalität noch jetzt geübt würde, welch ein vortreffliches Land für die Auswanderung würde dieses Peru abgeben. Aber man bekräftigte auch von anderen Seiten, daß Aehnliches wohl vorgekommen sei.
Ein anderer Beweis von dem Reichthum jener Zeit, der indessen wohl schon bekannt, keinesfalls aber eine Fabel ist, ist der, daß wenn ein neuer Gouverneur aus Spanien kam und zum erstenmal ausfuhr, die Reichen aus ihren Häusern liefen, und spanische Thaler auf seinen Weg streuten, nicht einzeln, so wie bei uns bisweilen Blumen gestreut werden, sondern dicht. »Pferde und Räder liefen auf Silber.« Die Armen lasen dann diese Thaler auf. War der Gouverneur beliebt, so wurde auch später und zum öftern dieses Streuen wiederholt. Dies ist eine Thatsache, welche noch heute älteren Leuten dort wohl bekannt ist.
Auch der Luxus, der mit silbernen und goldenen Geräthschaften getrieben wurde, grenzte in jener Zeit an's Fabelhafte. Alles war von edlem Metalle, und ein gewisses Geräthe, so unentbehrlich im Schlafgemache, wie unnennbar in guter Gesellschaft, war selbst bei Leuten, die nicht zu den reichsten gehörten, stets von Silber, und gerade von diesem Artikel soll man sich am schwersten getrennt haben, als das eiserne Zeitalter viele Opfer nöthig machte.
Aber noch heute glänzt dort Gold und Silber in den Zimmern der Reichen und ich habe Nipptische gesehen, welche eine kleine Schatzkammer waren.
Gleich in den ersten Tagen meiner Ankunft besuchte ich das Museum, Museo national y latino genannt. Diese Sammlung befindet sich auf dem Standpunkte, auf welchem etwa vor 40 Jahren fast alle europäische ähnliche Sammlungen waren.
Ohne allen Plan hat man alles »Merkwürdige« zusammengestapelt, dessen man eben habhaft werden konnte, und so ist ein vereintes Kunst- und Naturalienkabinet entstanden. Aber wie bei uns, so wird wohl auch in Peru der Sinn für die Schätze der Natur und Kunst geweckt werden durch solche Sammlungen, es wird wenigstens einigermaßen vorläufig der blinden Zerstörungswuth entgegengewirkt werden, und wie beim einzelnen Individuum das anfängliche Sammeln endlich zum Studium führt, so wird hier der bessere Theil der Nation selbst zuerst zum Erhalten, später zum Beachten aufgefordert.
Man findet im Museum zu Lima die alten peruanischen Gefäße und Götzenbilder ziemlich reich vertreten, wenn gleich ein bei weitem größerer Theil derselben entweder bei zufälligem Funde zerstört, oder außer Land gebracht worden ist, wohl auch sich noch in Privathänden befindet.
Die Wichtigkeit solcher Funde, wenn die Ausgrabung gehörig geleitet wird, scheint jetzt bei uns erst in neuerer Zeit mehr und mehr anerkannt worden zu sein, und es ist kaum glaublich, daß bisher fast allgemein die bei solchen Gelegenheiten gefundenen Schädel entweder zerstört oder wieder begraben wurden und daß nur wenige daran gedacht zu haben scheinen, wie wichtig ihre Erhaltung für die Ethnographie gewesen wäre. Die im Museum befindlichen alten Götzenbilder, meist von Silber, einige von Gold und alle mit dem Hammer getrieben, scheinen mir großentheils altperuanischer Abkunft, einige indessen scheinen älter und auf die Titicaca-Race hinzudeuten, wenigstens ist dieß aus der Gesichtsform einiger Figuren abzuleiten. Die aus Thon gearbeiteten Vasen oder Töpfe stellen in einer gewissen Periode sehr häufig Menschen- oder Thierformen dar, ein von diesen verschiedener Typus aber spricht sich deutlich bei andern aus, mehr antiker Form sich nähernd, gehören sie offenbar einer andern Zeit an. Welche Vortheile können aus der näheren Erforschung und Entwicklung dieser Verhältnisse für die früheste Geschichte des Menschengeschlechts erworben werden!
Da sich ziemlich viele dieser Ausgrabungen im Privatbesitze befinden, habe ich mehrere derselben erwerben können, und bin so ziemlich im Stande das eben Gesagte nachzuweisen.
Die Mumien im Museum zu Lima sind vollständig wohl erhalten und noch mit den Decken versehen, mit welchen sie gefunden wurden. Sie wurden ebenfalls in sitzender Stellung gefunden, wie fast alle dort ausgegrabenen Leichen, und ganz so wie ich die der alten Titicaca-Race fand, aber sie gehören nicht dieser Race, sondern der altperuanischen an, wie sich deutlich aus der Form der Schädel ergibt.
Ueber diese Gegenstände, vorzugsweise aber über die Thongefäße und Idole von Metall, hat der frühere General-Director der Bergwerke in Peru, Herr de Rivero, geschrieben, und ich bin im Besitz eines im Jahr 1841 in Lima erschienenen Buches mit Illustrationen, in welchem treffliche Aufschlüsse gegeben werden.
Mitten unter den alten Resten dieses früheren Kunstfleißes sah ich plötzlich zu meiner Ueberraschung einen alten Bekannten stehen, den ich seiner sonderbaren Gesellschaft halber anfänglich kaum zu erkennen mich getraute. Es war eine Sicherheits-Lampe von Davy, die wie Saul unter den Propheten, friedlich unter den alten Götzen Platz genommen hatte. So steht eben dort, wie ich vorher bemerkt, Alles bunt durch einander.
Unter den andern Dingen, welche ich getroffen habe, ist das Modell eines chinesischen Schiffes hervorzuheben. Es ist chinesische Arbeit, ganz von Elfenbein, vollständig gut erhalten und außerordentlich zierlich bis auf die geringfügigste Kleinigkeit ausgeführt. Eine Unzahl Figuren sind allenthalben angebracht, und nach Urtheil des Kapitains Müller, der das Museum mit mir besuchte, gibt die Nachahmung des Tauwerks und der Segel den deutlichsten Begriff von der Art und Weise, wie solches noch heute bei den Chinesen construirt ist. Erinnere ich mich recht, so beträgt die Länge des ganzen Modells sicher nicht unter fünf Fuß.
Die Fauna von Peru ist leider nur ungenügend im Museum vertreten, hingegen habe ich schlecht genug ausgestopfte deutsche Finken und Sperlinge getroffen und auch einige brasilianische Vögel.
Eine Suite von Versteinungen aber, und schöne Silberstufen, zeigen, daß der erste Anleger der Sammlung, Rivero, sein Fach gut vertreten hat.
Ich habe mehrere Ausflüge zu Pferde in die Umgegend von Lima unternommen, wobei mich meistens Deutsche begleiteten. Allein reitet oder geht man ungern vor die Stadt aus Furcht vor Räubern, welche allenthalben lauern sollen.
Außer einem Ueberblicke über die Gegend habe ich aber bei jenen berittenen Excursionen wenig erworben. Man reitet in Peru fast eben so toll und besessen wie in Chile, so stürmten wir im Galopp stets vorwärts, und kaum waren die Genossen zu bewegen, irgendwo einige Augenblicke zu halten.
Als ich aber eines Abends meinen Vorsatz äußerte, des andern Tags zu Fuß die Umgegend zu besehen, lachte man mich geradezu aus und versicherte mir, theils der Hitze halber, vorzugsweise aber wegen des Raubgesindels, sei dies eine vollkommene Unmöglichkeit.
Da ich mit der Hitze auf gutem Fuße stehe und nicht zu jenen unaufhörlich transpirirenden und schnaubenden Subjekten gehöre, welche lieber mit Eisbären verkehren, als unter Palmen wandeln, so ging ich dennoch. Wegen der Räuber hoffte ich, daß sich das Weitere ebenfalls finden würde. Ich durchstreifte zuerst einen Theil des alten Flußbettes des Rimac, welches dort nur selten bewässert erscheint und mit 8 bis 10 Fuß hohen Büschen eines hiftenartigen Strauches bewachsen ist, von welchem ich Saamen mitgebracht habe, der in Europa trefflich anschlug.
Verdächtig aussehende Bursche traf ich allerdings gelagert in jenen Sträuchern, aber keiner machte nur im Entferntesten Miene mich anzufallen. Als ich dicht zu zwei derselben trat, und um sie anzusprechen fragte, wohin der Weg zur Stadt gehe, hob einer von ihnen den Fuß, die allgemeine Richtung zu bezeichnen, und sagte: »aqui« (hier) – dann legte er sich auf die Seite, um, wie es schien, von der Anstrengung auszuruhen, und würdigte mich kaum mehr eines Blickes. Möglich, daß es ein verwegener Räuber gewesen, allein entweder war er im Augenblicke nicht disponirt, »befand sich nicht in der Lage« wie man sich auszudrücken pflegt, sein Metier zu betreiben, oder hielt es nicht der Mühe werth, indem mein Aeußeres eben nicht sehr glänzend beschaffen war. Hierauf wendete ich mich gegen den Monte San Cristoval und erstieg dessen kahlen Gipfel. Ich hatte nicht Zeit, die geognostischen Verhältnisse des Berges näher zu untersuchen, doch schien mir der Granit, aus welchem der größte Theil desselben bestand, welchen ich bestieg, von Gängen anderer Gesteine durchsetzt. Ich habe von dort einen Diorit, einen schönen Porphyr und zwei Stufen Granit mitgebracht, von welchen der eine so feinkörnig ist, daß man kaum mit unbewaffnetem Auge die Gemengtheile zu erkennen vermag. Vom Gipfel aus hat man eine reizende Aussicht und es macht Lima, von dort aus gesehen, fast den Eindruck einer orientalischen Stadt, der begründet durch die vielen Kuppeln der Kirchen, noch verstärkt wird durch die zahlreichen Palmen in der Nähe, und die eigenthümlichen Formen des aus der Ferne herüberblickenden Forts von Callao.
Vom Berge herabgestiegen, erbeutete ich einige schöne Farrenkräuter[58] und einige Species einer Landschnecke. Auch mehrere schöne Tagfalter sahe ich, konnte aber mit dem Fang mich nicht befassen, hingegen wurde ich auch nicht eines einzigen Käfers gewahr, was mir eigenthümlich genug erschien. Indem ich durch eine Schlucht gehend auf Umwegen die Stadt wieder zu erreichen suchte, hörte ich plötzlich Schritte dicht hinter mir, und mein erster Gedanke war jetzt wirklich ein räuberischer Anfall. Ich griff in die Tasche und spannte den Hahn meiner einen Pistole, denn diesmal hatte ich sie nicht wie in Callao vergessen, und drehte mich dann rasch um. Aber statt in das tückische und mordlustige Gesicht eines braungelben peruanischen Ladron zu sehen, blickte ich in ehrliche blaue Augen und das gemütliche Gesicht eines Deutschen aus dem gesegneten Schwabenlande, den ich schon einmal früher in Valparaiso gesehen hatte, und der sich nicht genug verwundern konnte, wie ich gerade hieher käme. Tausend! Tausend! sagte er, die Deutschen kommen doch überall herum, und schlagen überall gut an. Er war auch wirklich gut angeschlagen, d. h. er befand sich gut in Lima, und war Aufseher in einer Mühle. Wir aßen später zusammen in einer unweit der Stadt gelegenen Fonda, und als ich ihm von den Befürchtungen wegen Unsicherheit durch Räuber sprach, versicherte er mir, daß er in den acht Wochen, seit welchen er in Lima sei, nicht das mindeste Verdächtige bemerkt habe, obgleich sein Geschäft ihn täglich, und oft noch spät des Abends, in ziemliche Entfernung von der Stadt geführt habe. Die Unsicherheit des Weges nach Callao bekräftigte er indessen.
In Valparaiso hatte ich mehrere Empfehlungen nach Lima erhalten und wurde mittelst derselben von den dortigen Deutschen, an welche sie gerichtet waren, ebenfalls auf das Freundlichste angenommen. Ich hatte in einem dieser gastfreien Häuser Gelegenheit, weitere Studien zu machen in Betreff des Obstes sowohl, als auch der übrigen Culturfrüchte, da man dort theils zum Vergnügen die feinsten Sorten von Früchten selbst zog, theils auch überseeische Geschäfte in größerem Maßstab mit Landesprodukten überhaupt machte. So sah ich dort alle Sorten des Kaffee, welcher im Lande gebaut wird, und von welchen einige ganz ausgezeichnet sind. Ich erwähne, um einen Anhaltspunkt zu geben, daß das beiläufige Gewicht von hundert Pfunden eines solchen 40 Thaler kostet, während eine geringere Mittelsorte 4 Thaler kostet.
Auch von Zuckerrohr, Cacao, Vanille, Chinarinde und Baumwolle wurden mir die verschiedenen Proben gezeigt, welche in den Handel gebracht werden, desgleichen drei Sorten von Mais, Reis, Weizen, Bohnen, Manioc, Oliven und analoge Dinge.
Unter den Früchten bemerke ich neben Weintrauben, welche dort an kühleren Stellen gezogen werden, der süßen Kartoffel (Batata), der Liebesäpfel, Granatäpfel, der Pfirsiche, Aprikosen, Quitten, Melonen, der Brodfrucht, der Palta und anderer. Lebhaft im Gedächtnisse ist mir noch die Tuna und die Cheremoya. Der letzteren habe ich schon in Chile Erwähnung gethan, aber in Peru wird sie noch schöner und geschmackvoller getroffen als dort. Die Tuna hingegen ist eine Frucht von der Größe eines Gänseeies und kann am besten mit einer kolossalen Stachelbeere verglichen werden. Ihr Fleisch hat dieselbe Consistenz wie bei jener, und ist eben so wie sie mit einer Menge von kleinen Kernen durchwachsen. Auch im Geschmacke ist eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit vorhanden, doch ist jener der Tuna gewürziger.
Sicher das unparteiischste Urtheil über die Sklaverei in Peru habe ich ebenfalls bei den dort wohnenden Deutschen erfahren. Es lautet günstig und wirft ein gutes Licht auf den Charakter der Limaner. Bei der Herstellung der Republik wurde die Sklaverei gewissermaßen aufgehoben. Ich vermag nicht die Worte der Akte anzugeben, mittelst welcher dieser Beschluß in's Leben trat, aber der Sinn derselben war der, daß keine neuen Sklaven eingeführt, die alten aber beibehalten werden sollten. Man hat dies treulich gehalten, und keine neue Zufuhr von schwarzer Waare findet statt. Daß hiedurch das Institut der Sklaverei nur modificirt wurde, versteht sich freilich von selbst, indessen hat sich das Verhältniß, selbst im philantropischen Sinne betrachtet, erträglich gestaltet.
Die Neger, aufgewachsen in den Häusern ihrer Herren, gewöhnen sich leichter an sie und ihre Launen, und werden fast ohne Ausnahme von diesen gut behandelt, wenn gleich, wie man mir sagte, namentlich bei den schwarzen Damen, hie und da eine etwas lebhaftere Ansprache nöthig werden sollte.
Aber ich war nie Zeuge der Mißhandlung eines Negers, wie in Brasilien dies fast täglich der Fall war, und die Sklaven in Lima sehen so zufrieden, ja selbst wohlhäbig aus, daß man von vornherein auf ein nicht allzuschlimmes Loos schließen darf.
Zur Zeit als ich in Valparaiso war, lag im dortigen Hafen ein Schiff mit Chinesen vor Anker, welche nach Lima bestimmt waren, um dort den Seidenbau einzuführen, oder vielmehr zu cultiviren. Da ich mehrmals auf jenem Schiffe war, um verschiedene chinesische Gegenstände, Waffen u. dergl. zu kaufen, und die wunderlichen Gestalten der Chinesen selbst, so wie der ganze abenteuerliche Typus derselben mir lebhaft im Gedächtniß geblieben waren, verfehlte ich nicht, über deren weiteres Loos Erkundigungen einzuziehen, aber man konnte mir nichts weiter angeben, als daß jene Menschen in's Innere gebracht worden seien. Selbst später habe ich nicht in Erfahrung bringen können, ob der Seidenbau in Peru einigermaßen Wurzel geschlagen, und es will fast scheinen, als habe dessen Cultur nicht den günstigsten Fortgang.
Ohne Zweifel hat mancher der Leser tadelnd und mißbilligend auf die spärliche und noch überdem ziemlich verworrene Reihenfolge der Notizen gesehen, welche ich über Callao und Lima gegeben habe. Aber die kurze Zeit, welche ich mich dort aufhalten konnte, reichte nicht aus, ein auf die strenge Wahrheit basirtes abgerundetes Ganze zu bilden. So habe ich vorgezogen, die gemachten Wahrnehmungen und Erfahrungen so bunt gemengt und abgerissen zu berichten, wie sie mir selbst vorgekommen sind, anstatt durch eine künstliche Verbindung vielleicht allzusehr in Ausschmückung zu verfallen.
In diesem Sinne mögen hier noch einige Bemerkungen über den religiösen Cultus von Lima einen Platz finden.
Man glaubt dort, wie man in allen warmen Ländern glaubt, ohne viel zu untersuchen was und warum, und man hält die Gebote der herrschenden Kirche, im Falle sie nicht allzuschwer zu befolgen sind. Ohne Zweifel hat dies seine Nachtheile, aber es hat auch sein Gutes. Es schützt den Laien einerseits vor einem gewissen geistlichen Hochmuthe, mit welchem er auf Andersdenkende so gerne herabsieht, und auf der andern Seite den Halbgebildeten gegen gänzlichen Unglauben.
Die glänzenden Feierlichkeiten der Kirche erbauen und beschäftigen zu gleicher Zeit den Limaner und er vergnügt sich, indem er betet, er betet also mit Vergnügen. Processionen sind beliebte Volksfestlichkeiten, und bei allen kirchlichen Ceremonien denkt man mehr an den zukünftigen Himmel als an die Hölle.
Sicher ist ganz bezeichnend, was ich sowohl in Peru als auch in Chile häufig gesehen habe: vor einem Muttergottesbilde brennt eine Lampe, ein Caballero tritt an dieselbe und nimmt grüßend seinen Hut ab, aber hierauf zündet er seine Cigarre an der Lampe an, und geht friedlich rauchend weiter. Freilich aber betrachtet man in jenen Ländern das Rauchen nicht als etwas Unanständiges wie bei uns, trotzdem daß hier so wie dort fast alle Welt raucht.
Ein alter, aber heute noch wie früher bestehender Gebrauch findet beim Abendläuten statt. Mit dem ersten Schlage der Abendglocke ruhen auf einige Augenblicke alle Geschäfte. Der Arbeiter läßt den Hammer sinken, die Näherin die Nadel, und das bereits erhobene Glas, welches der Durstige zu den Lippen führen will, wird niedergesetzt. Jedermann verstummt, auf den Straßen steht jeder Fußgänger stille, und Reiter so wie Wagen halten an. Mancher murmelt wohl einige kurze betende Worte, und die Senoritas bekreuzen sich. Aber nach einigen Momenten tritt wieder die lebhafteste Bewegung ein. Man ruft jetzt auf den Straßen dem Nebenumstehenden einen freundlichen guten Abend zu, mag man ihn kennen oder nicht, und geht dann seine Wege. Mag man diese Sitte recht altväterisch oder »abergläubisch« finden, mir hat sie gefallen. Sie ist eine Form, aber eine achtende gegen das Göttliche, eine wohlwollende gegen den Nebenmenschen. Eine andere Sitte (die Bezeichnung paßt nicht recht, aber ich weiß keine andere) ist so eigenthümlich, zugleich aber so charakteristisch, daß ich sie nicht übergehen kann, obgleich sie manchem meiner Leser wohl kaum glaublich erscheinen dürfte.
Jenes räthselhafte und doch leicht erklärliche Kind der tollsten Ehe, die je geschlossen wurde, die Eifersucht, ein Sprößling des Hasses und der Liebe, existirt auch in Lima.
So wie allenthalben, auch dort, und sonder Zweifel höchst irriger Weise, glauben bisweilen eigenthümliche Ehemänner, daß die Senorita irgend einem Caballero mehr Aufmerksamkeit schenkt, als eben nöthig oder zuträglich für den künftigen Frieden des Hauses ist. Hie und da wollen solche verblendete Männer selbst mit eigenen Augen solche Aufmerksamkeiten gesehen haben.
Man weiß, daß in manchen Familien in Europa bisweilen ärgerliche Geschichten entstehen durch solche optische Täuschungen. Nicht so unter jenem glücklichen Himmel. Es bestehen dort eigene Bußklöster für solche Fälle, bewohnt blos von alten ergrauten Nonnen und beaufsichtigt nur von einem sehr alten, allgemein würdig anerkannten Priester.
In ein solches begiebt sich, auf energisches Anrathen des scheinbar beleidigten Ehemannes, die Senorita, und stellt dort Buß- und Betübungen an, fastet und kasteit sich vielleicht mit Maaß und Ziel, ohne Zweifel aber hinlänglich und genügend, denn nach Verlauf von vierzehn Tagen oder drei Wochen verläßt sie in aller Augen vollständig entsündigt, das Kloster.
Und sie ist wirklich entsündigt, denn Jedermann hat den etwa bekannt gewordenen Skandal vergessen, oder betrachtet ihn wenigstens als ungeschehen. Die Verwandten der Frau, der Mann und seine Angehörige, holen die Weißgekleidete und köstlich Geschmückte an der Pforte des Klosters ab, und führen sie zurück in das ebenfalls verzierte Haus, wo gleichsam eine zweite Hochzeitfeier statt findet.
Vielleicht mag es dort in der ersten Schäferstunde mancher Frau gelingen, den Mann von ihrem erlittenen Unrecht zu überzeugen, dies vermuthe ich, nicht genau weiß ich wie oft diese Entsündigung mit genügendem Erfolge vorgenommen werden kann; ganz klar aber ist mir, daß derselben sich in Europa unübersteigliche Hindernisse entgegenstellen würden, selbst in den gläubigsten Ländern dieses alten halsstarrigen Welttheils. Mit Vergnügen aber füge ich bei, theils vielleicht als einen Beweis der großen Milde und Nachsicht der Frauen, theils auch als einen solchen für das solide Benehmen der Männer, daß ähnliche Buß- und Entsündigungs-Anstalten für Letztere in Lima nicht bestehen.
Große Autoritäten haben für viele Theile von Peru umfassende Berichte abgestattet, in Hinsicht auf meteorologische und klimatische Verhältnisse. Die wenigen und unzusammenhängenden Versuche zu veröffentlichen, welche ich in Lima und Callao angestellt habe, verlohnt sich daher auf keinen Fall der Mühe.
Es mag nur im Allgemeinen bemerkt werden, daß die Temperatur keine so hohe ist als man den Breitegraden nach glauben sollte. Es mag + 23° R. bis + 24° R. im Schatten für die erste Hälfte des Monat März angenommen werden, als höchster Stand während des Mittags. Ich kann übrigens nicht sagen, daß die Nächte besonders erfrischend gewesen wären, und in der Stadt wenigstens stand das Thermometer in den Straßen nicht unter + 20°, in den Stuben aber wohl höher. Mein ganzes Leben hindurch wollte ich diese Hitze ertragen, vielleicht auch ein paar Grade höher, wäre es eben nöthig.
Die Nebel, welche sich schon in Bolivien des Abends auf den Bergen zeigen, treten in Lima und noch weiter in das Land hinein, ebenfalls auf, und zwar häufiger und verbreiteter. Sie erscheinen namentlich angeblich bei Mondwechsel, und sind während des Winters, vom Mai bis November täglich, indem sie mit dem Westwinde des Morgens erscheinen, Mittags verschwinden, aber des Abends mit dem stets auftretenden Südostwinde, wiederkehren. Ueber den unfern der Stadt liegenden Amancas und den Bartholomäus-Bergen schwebten auch während meiner Anwesenheit in Lima fast immer Nebel und Wolkenschichten, und im Hafen von Callao zeigte sich dieselbe Erscheinung.
Da es selten, ja fast nie regnet, so bedingen die Nebel ohne Zweifel die Fruchtbarkeit, welche in den meisten Bezirken von Peru herrscht.
Vielleicht in Folge dieser Nebel treten in Lima häufige Wechselfieber auf und zwar besonders im März und April und im September und Oktober. Auch Katarrhe und katarrhalische Fieber, so wie Lungenleiden, sind dort nicht selten, doch mag das Klima von Lima im Allgemeinen als ein sehr gesundes bezeichnet werden und man trifft dort Greise aus allen Ständen, welche das höchste Alter erreichen.
Am 14. März des Nachmittags drei Uhr gingen wir bei flauem Winde in die See. – Es war eine lange Reise, die wir vor uns hatten, und es hält schwer für eine solche die Zeit der Ankunft genau im Voraus zu bestimmen. Man hatte in besonders günstigen Fällen Hamburg von Peru aus schon in 85 Tagen erreicht, aber man hatte auch schon 150 Tage gebraucht und mehr, denn Kap Horn ist zu passiren, und Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich dort die Gelegenheit gestaltet[59].
In solchen Fällen giebt man sich der besten Hoffnung hin, arbeitet so viel man kann gegen das Schlimme, und erträgt das Unvermeidliche mit stoischer Ruhe.
Wir hatten indeß alle Aussicht, eine gute Reise zu bekommen. Der Dockenhuden war ein neues und gut segelndes Schiff, der Kapitain ein tüchtiger und wohl erfahrener Seemann, eben so waren die Steuerleute, von welchen nach unserer Ankunft der Obersteuermann ebenfalls ein Schiff bekam, und die Matrosen, gewandte und kräftige Leute mit dem besten Willen von der Welt.
Schon oben habe ich mich über das Verhältniß zwischen Kapitain und Passagier ausgesprochen, und brauche daher kaum zu wiederholen, daß fortwährende Mißhelligkeiten zwischen beiden das Leben am Bord zu einer wahren Hölle machen. Aber mit desto größerem Vergnügen und mit aufrichtigem Herzen spreche ich hier aus, daß sowohl während der früheren Fahrten, welche ich mit Kapitain Meyer an der Küste unternommen, als auch auf der Fahrt, welche wir jetzt begannen, nie eine Störung in unserem guten Vernehmen stattgefunden hat. Lobend und dankend muß ich besonders anerkennen, welchen Vorschub mir derselbe bei allen wissenschaftlichen Untersuchungen und Arbeiten geleistet. Ich bin auf dem Dockenhuden nicht nur auf jede eigenthümliche Erscheinung aufmerksam gemacht worden, welche sich auf See oder am Himmel zeigte, sondern es wurden mir, erlaubte es nur halbweg der Gang des Schiffes, auch Alles aufgefischt und zugebracht, was von Seethieren nur irgendwie zu erreichen war. Da mir überdies, mit Ausnahme der Zeit, wo die Schiffrechnungen vorgenommen wurden, fast den ganzen Tag hindurch der Tisch in der Kajüte zur Verfügung frei stand, so hatte ich überflüssigen Raum, alle meine Arbeiten ungehindert vornehmen zu können, und war so im Stande, später im atlantischen Ocean eine ganze Reihe von mikroskopischen Zeichnungen zu entwerfen, welche mir in Bezug auf das Leuchten der See, wie auch in Hinsicht auf die Quallen, von großer Wichtigkeit waren, wenn sie auch großentheils nur als Privatstudien zu betrachten sind.
Fast alle Kapitaine der deutschen Handelschiffe sind gute und erprobte Seeleute, sie haben von unten auf gedient, und kaum wird einer ein Schiff erhalten, der nicht tüchtig befähigt ist; aber sicher haben eine weit geringere Anzahl den Takt, ihren Passagieren, ohne sich etwas zu vergeben, das Leben am Bord angenehm zu machen. Kapitain Meyer hatte hiezu den Willen und die Befähigung. Es ist dies nicht mein Urtheil allein, gebildete Passagiere, welche früher mit ihm gereist sind, haben dasselbe gefällt und aus vielfachen kleinen Anekdoten, welche ich von der Mannschaft des Dockenhuden ganz unbefangen erzählen hörte, sind mir sichere und zuverlässige Beweise genug geworden, daß Auswanderer aus allen Klassen und von sehr verschiedenem Bildungsgrade, welche mit ihm reisten, sich eben so lobend ausgesprochen haben.
Vielleicht am rechten Orte mag hier beigefügt werden, daß die Ausrüstung der Schiffe für Auswanderer von Godefroy in Hamburg alles Lob verdient. So will ich nur einfach bemerken, daß wir auf der ganzen Reise stets reichliches frisches und gutes Wasser hatten, da wir eiserne Wasserbehälter führten. Wer längere Zeit zur See war, wird dies gehörig zu schätzen wissen. Auch die übrige Verpflegung war genügend und gut. Derjenige aber, welcher frische Austern und Fasanen zu speisen wünscht, thut ohne Zweifel besser, zu Hause zu bleiben als auf See dergleichen zu suchen.
Es ist für den Reisenden auf See höchst nothwendig, sich eine bestimmte Beschäftigung zu schaffen. Die grenzenloseste Langweile und Mißbehagen an Allem und Jedem, ist die unausbleibliche Folge des Müssiggangs, und auf See in verdoppeltem Maßstabe als am Lande.
Ich habe mir in dieser Beziehung keine Vorwürfe zu machen, und habe, so lange das Wetter oder besser das Klima es erlaubte, stets gearbeitet. Vorzugsweise beschäftigte ich mich mit spanischen Studien, und habe namentlich Vieles vom Spanischen in's Deutsche übersetzt. Zur Zeit hingegen, wo die Fauna der See sich mehrte, war ich fast den ganzen Tag hindurch mit Untersuchung aufgefischter Thiere beschäftigt und mit Zeichnen derselben. Zugleich wurde täglich viermal der Barometerstand[60] verzeichnet, einmal die Temperatur des Wassers, und dreimal jene der Luft genommen. Aber ich gestehe, daß auch ohne seekrank zu sein, und selbst ohne das mindeste Unwohlsein zu spüren, man sich dennoch zwingen muß, eine wissenschaftliche Arbeit zu unternehmen, wenn die See hoch geht, und das Schiff sich stark bewegt. Unzweifelhaft ist dieses Gefühl der Arbeitsscheu bedingt durch eine Verstimmung der Magennerven, und Aehnliches wird am Lande ebenfalls getroffen, dort aber mehr durch zu langes Sitzen als durch zu starke Bewegung
»Perser nennen's Bidamay baden,
Deutsche sagen Katzenjammer.«
Der Abend wurde dem Spiele gewidmet, ohne Zweifel auf die unschuldigste Weise, Kapitain Meyer und ich lagen nämlich dann mit Eifer dem edlen Sechs und Sechszig ob. Wir spielten umsonst, mit einem und demselben Spiele Karten, von Peru bis Europa, und Niemand mag daher behaupten, daß irgend eine Verschwendung, oder ein sträflicher Luxus bei dieser harmlosen Unterhaltung stattgefunden habe. Und dennoch, ich gestehe es, fehlte mir Etwas, unterbrach ein Zufall jenes Spiel, und ich ärgerte mich, wenn ich verlor, was häufig der Fall war.
Der Rest des Abends wurde in den Breitegegenden, wo es das Wetter erlaubte, auf Deck zugebracht, und dort habe ich nicht selten die Rolle des »Märchen-Erzählers« vertreten und Dichtung und Wahrheit gegeben aus meinem und Anderer Leben. So rasch aber als möglich will ich das stille Meer durcheilen, um an Kap Horn vorüber in den atlantischen Ocean und über diesen nach dem Ziele der Reise zu gelangen, und nur einzelne Notizen mögen Platz finden aus meinem Tagebuche, um den Leser nicht über die Gebühr zu ermüden.
Der Anfang der Reise zeichnete sich nicht durch besonders günstigen Wind aus; wir hatten theils Stille oder waren gezwungen, mehr als nöthig gewesen wäre, nach Westen zu gehen. Dabei hatten wir des Morgens meist Nebel oder Regen, und der Hygrometerstand war 50 ja 62' bis zum 22° südl. Breite, dann nahm aber die Feuchtigkeit der Luft ab, und begann erst gegen Kap Horn zu allmälig wieder zu steigen, doch giebt die beigefügte Tabelle das Nähere, und immerhin bezeichnend, wenn auch blos von relativem Werth.
Unter 15° 30' sahen wir einen Tropikvogel[61] in einer Entfernung von etwa 200 Stunden vom Lande. Er umzog in weiten Kreisen das Schiff und bot einen zierlichen Anblick mit seinen wohl anderthalb Fuß langen Schwanzfedern. Der Vogel ist weiß, mit rothem Schnabel und hat die Größe einer starken Taube. Da er sich nicht auf Schußweite näherte, waren wir gezwungen, ihm freundliche Grüße in sein Heimathland mitzugeben. Im entgegengesetzten Falle wäre er weniger gastlich begrüßt worden, denn ich trug starkes Verlangen, ihn abzubalgen. Ich habe zu jener Zeit zuerst genauer beobachtet, wie der Sturmvogel, der so häufig auf allen Meeren getroffen wird, über die Wellen läuft. Das kleine Thierchen, in Größe und Färbung einer Schwalbe sehr ähnlich, fliegt nämlich dicht über dem Spiegel des Wassers, indem es unaufhörlich mit einem seiner, mit Schwimmhaut versehenen Füße, die Wellen tritt, ohne Zweifel um sich den Flug zu erleichtern. Dieses Auftreten geschieht indessen stets mit dem auf der Leeseite befindlichen Fuße, d. h. wenn der Wind von Rechts kömmt tritt der Vogel mit dem linken Fuß und umgekehrt. Es scheint hiedurch ein doppelter Zweck erreicht zu werden, indem einmal das Thierchen sich gewissermaßen dem Winde entgegenstemmt und zugleich leichter die vom Winde geglättete Seite der Welle erreicht als die entgegengesetzte.
Ich habe etwa von 20 zu 20 Breitegraden Seewasser geschöpft und in wohl gereinigten und gut gekorkten Flaschen mit nach Hause genommen, um es dort einer chemischen Untersuchung zu unterwerfen. Die Resultate dieser Analysen sind bereits veröffentlicht worden[62], aber ich will hier ein Verfahren angeben, welches wir anwendeten, um aus größerer Tiefe Seewasser zu erhalten. Ich weiß nicht, ob dies Verfahren allgemein bekannt, mir aber wurde es von Kapitain Meyer mitgetheilt. Es ist nöthig, daß bei dem Versuche ganz vollständige Windstille herrscht. Man verkorkt mit einem festen Pfropf so dicht als möglich eine starke Flasche und senkt dieselbe mit einem schweren Bleiloth versehen, rasch in die Tiefe. Nach Verlauf von kaum einer halben Minute zieht man, so schnell es geschehen kann, die Flasche wieder aufwärts und findet die letztere durch den Kork hindurch vollständig gefüllt, und diesen, selbst wenn er auch vorher über den Hals der Flasche hervorragte, dennoch meist etwa einen halben Zoll weit eingedrückt. Der Druck der oben befindlichen Wasserschichten preßt durch die Poren des Korks hindurch das Wasser, und die niedere Temperatur des auf solche Art geschöpften Wassers zeigt, daß die Flasche zum größten Theile sich in der Tiefe gefüllt haben muß. Ist nicht vollständige Windstille, so wird von den sich fortbewegenden Schiffen die Flasche in schiefer Richtung nachgeschleift und die Tiefe, in welcher sie sich gefüllt hat, kann natürlich nicht ermittelt werden.
Wir hatten am 27. März unter 25° 11' südlicher Breite und 93° 24' Länge an der Oberfläche des Wassers eine Temperatur von + 18.9 R. gefunden, nach dem eben beschriebenen Verfahren fand sich in einer Tiefe von 70 Faden (etwa 420 Fuß), eine Temperatur von + 16.5 R., also eine Abnahme von 2.4 Graden. Das specifische Gewicht des Wassers an der Oberfläche war 1.0260, in der Tiefe 1.0264. Die Bestandtheile aber dieselben.
In diesen Tagen und auch noch später wurden Tintenfische und Quallen aufgefischt und Kapitain Müller und ich bemühten uns zugleich eines Haies habhaft zu werden, welcher aber hartnäckig die Angel verweigerte. Der Quallen gedenke ich weiter unten, wo ich überhaupt einige Worte über dieselben sprechen werde, den Hai aber fertigte ich, als er seine Rückenflosse koquettirend über dem Wasser zeigte, mit einer Kugel ab, die gut sitzen mochte, denn der Bursche machte einige wüthende Sprünge und verschwand. Selbst vor dem mildesten Herzen mag die der Hyäne des Meeres geschickte Kugel gerechtfertigt werden, weniger gut aber werde ich vor einem Anti-Thierquäler bestehen, wenn ich erzähle, daß ich nach einem Wallfische geschossen habe, einem zarten Jüngling von nur etwa dreißig Fuß Länge, der auf 40 bis 50 Schritte von Bord vorüberzog. Das Thier sprang hoch auf, so daß es fast auf der Spitze des Schwanzes zu stehen schien, überschlug sich dann und ging in die Tiefe. Ich glaube nicht, daß sie, mit der Harpune getroffen, sich eben so toll geberden, und vermuthe, daß die Kugel edle Theil getroffen haben muß.
Bereits auf der Höhe von Valparaiso fingen die Wellen an häufig über Bord zu schlagen, zugleich aber kamen wir bei gutem Winde wacker vorwärts. Der Skylight wurde jetzt mit dem Glassturze versehen und alle Oeffnungen und Ritzen mit getheertem Werg verstopft. Zugleich aber vermehrte sich die Gesellschaft in der Kajüte. Mein einziges noch lebendes Chinchilla nahm in meiner Koje Platz, deßgleichen wurden meine zwei kleinen Papageien aus Peru, und ein großer, wunderschöner roth und grün gefärbter Papagei, den ich in Valparaiso bekommen hatte, um ihn mit nach Hamburg zu bringen, in der Kajüte aufgehängt. Auch das Guanaco des Kapitains leistete uns Gesellschaft. Ich habe nicht leicht ein eigensinnigeres und widerwärtigeres Thier gesehen, als eben dieses Guanaco. Alles benagend was eben nicht Nahrungsmittel war, verschmähte es später Kresse und Salat, welche wir in ein wenig Erde gesäet und mühsam für dasselbe gezogen hatten. Die wollenen Hemden der Matrosen hingegen zernagte es hartnäckig und unverbesserlich aller Orten, wo es ihrer habhaft werden konnte, so daß, wenn ein Matrose irgendwo mit beiden Händen bei der Arbeit beschäftigt war, er sicher sein konnte, von dem Thiere gezupft zu werden. Gegen mich schien es übel gesinnt zu sein. Indessen kann ich nicht läugnen, daß ich mir auch bisweilen die Freiheit nahm, es ein wenig zu ärgern. Ich durfte zu diesem Behufe dasselbe nur mit einem Auge schielend ansehen, während ich das andere zudrückte. Es suchte nun zu beißen, drehte sich wohl auch um und schlug wacker aus, und spuckte zuletzt den Gegenstand seines Hasses an. Diese letzte Zornesäußerung habe ich bei zwei Guanacos, welche sich bei einer Menagerie in Deutschland befanden, ebenfalls gesehen.
Ein heiterer Geselle aber war der junge Philipp, ein liebenswürdiger, langschwänziger Affe, der in Lima an Bord gekommen war, um ebenfalls nach Hamburg zu reisen. Man hatte denselben meiner speciellen Aufsicht anvertraut, und so war ich denn endlich, nachdem ich schon Schiffsarzt und Supercargo gewesen, noch zum Range eines Affenhofmeisters befördert. Wie alle Thiere am Borde leicht zahm werden, da man sich viel mit ihnen abgibt, und sie sich stets in nächster Nähe des Menschen befinden, so entwickelte auch Philipp merkwürdige Fortschritte in Bildung und Kultur, und ich habe, ernsthaft gesprochen, oft gestaunt über die Beweise von Ueberlegung, welche dieses Thier gegeben hat. –
Bald begann jetzt das schlimme Wetter. Wechselnd eisige Regen und Sturm. Jeden Augenblick gab es Arbeit auf Deck, Kürzen der Segel oder ähnliche Dinge. Der Skylight wird mit einem hölzernen Gehäuse verdeckt und in der Kajüte herrscht Grauen und Dunkelheit. Die Seeleute speisen Grütze und Syrup, was unbedingt noch grauenhafter, die beiden Passagiere aber, Kapitain Müller und ich, machen die Probe, wie viel Stunden des Tages der Mensch zu schlafen vermag. Ich habe dort Perioden gehabt, in welchen ich sicher 18 Stunden durchschlafen habe. Aber ich habe auch gewacht und üble Stunden gehabt. Auf Deck Regen, Sturm und jeden Augenblick Seen über Bord, unten kalt und finster. So bin ich nicht selten in meinen Mantel gehüllt, in meiner Koje gesessen, umgeben von Finsterniß, frierend und mich kümmernd und härmend über die Heimath, denn dort fiel mir's schwer auf's Herz, daß ich während anderthalb Jahren keinen Brief erhalten und keine Nachricht. Allein es ist eben einmal nicht anders bei Kap Horn!
Auf der See war wenig zu sehen. Am 11. April unter 44° 49' Breite beobachtete ich des Morgens bei Aufgang der Sonne jene Spiegelung der Sonnenstrahlen am entgegengesetzten Horizonte, welche ich schon früher beschrieben, so klar und deutlich, daß, während die Sonne im Osten aufging, eine zweite im Westen unterzugehen schien. Gleich darauf aber bewölkte sich der Himmel wieder und es regnete den ganzen Tag.
Albatrosse und Kapische Tauben, die Staffage Kap Horns und seiner Umgebung, fehlten indessen nicht, und wurden geangelt und abgebalgt, so gut es eben ging, auch schwarz und weiße Delphine zogen am 15ten 53° 13' südl. Breite am Bord vorüber.
Wie man aus der Tabelle ersieht, welche die Länge und Breite bezeichnet, kamen wir aber rasch vorwärts, wir überholten am 15. ein englisches Schiff und passirten am 18. Diego Ramirez unter 56° 32' südl. Breite. So hatte ich das Glück, die beiden berüchtigten Südspitzen Amerika's zu sehen, und dort war die Sonne so artig, auf etwa eine halbe Stunde nothdürftig die Nebel zu zerstreuen, so daß ich die Felseninsel von verschiedenen Seiten aufzeichnen konnte.
Unwirthlich genug stehen sie dort, jene schwarzen Kegelberge, umtobt von ewiger Brandung, schneebedeckt auf den Gipfeln und ohne alle Zeichen von Vegetation. Aber doch immer Land und ein Anderes als jene Wasserwüste, die länger als einen Monat schon uns umgab. Ein Raubvogel umkreiste die Insel, stieg dann ziemlich hoch und verfolgte das Schiff. Wacker Sturmvögel schmausend, welche sich fangen ließen, als müsse es so sein, begleitete er uns so weit, daß uns, und ohne Zweifel auch ihm, die Felsen außer Sicht kamen, denn plötzlich stieg er hoch auf, entfernte sich eine Strecke vom Schiff, kehrte aber bald wieder und ließ sich wie vorher, als er seine Beute verzehrte, auf dem Tauwerke nieder. Ich habe weiter oben bereits einmal von den Schwalben berichtet, welche trotz dem, daß sie so bedeutende Wanderungen machen, dennoch auf einige Stunden Entfernung das Land nicht mehr zu finden wußten, und es war mit unserm Raubvogel derselbe Fall. Vollständig entmuthigt wich er nicht mehr vom Schiffe, und es begann jetzt eine eigenthümliche Jagd, indem einige Matrosen aufwärts gingen, um ihn zu fangen, der Vogel aber stets nur einen oder zwei Fuß weiter zu rücken, oder sich auf eine andere Raa zu setzen brauchte, um wieder einige Zeit gesichert zu sein. Man gab endlich die Verfolgung auf, aber nach Einbruch der Dunkelheit hörten wir in der Kajüte plötzlich ein klägliches Geschrei, und der Untersteuermann brachte den Gefangenen. Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo er im Schlafe Platz genommen. Es war Falco peregrinus. Er wurde des andern Tags abgebalgt und gewissermaßen das Vergeltungsrecht geübt, indem die Seevögel mit seinem Fleische gefüttert wurden.
Da wir keinen günstigen Wind hatten, mußten wir längere Zeit östlichen Cours halten, und die Temperatur war stets noch keine erfreuliche zu nennen, stieg sie gleich um etliche Grade; dabei fortwährend Sturm, Nebel und Regen. Auch bei dieser Umschiffung von Kap Horn fanden wir nur wenig Tang, und nur hie und da wurden kleine Stücke auf See treibend gesehen. Indessen begleiteten uns fast täglich Delphine von sehr verschiedener Größe und Färbung; so sahen wir schwarze mit weißem Bauche, ganz weiße und weiße mit schwarzen Flecken auf dem Rücken. Erlaubten es die Umstände, so wurde Jagd auf sie gemacht, aber mit demselben ungünstigen Erfolge wie früher, indem die harpunirten Thiere stets verloren gingen, wenn man sie über Bord holen wollte.
Endlich schien sich die »Gelegenheit« denn doch in etwas bessern zu wollen, wir kamen vorwärts und es wurde mithin auch allenthalben wärmer und behaglicher. In der Kajüte wurde Licht, und die paradiesischen Zustände in derselben modificirten sich, indem Philipp eine eigene Koje auf Deck bezog, und auch das Guanaco wieder dorthin versetzt wurde. Der große grüne Papagei indessen war bei Kap Horn gestorben, und auch unter meinen andern Thieren richtete der Tod arge Verwüstungen an, zwei Schlangen aus Chile, mehrere Eidechsen aus der Algodonbai, Scorpionen und eine große Vogelspinne (Mygale) erlagen zu meiner Bekümmerniß. Nur die zwei kleinen Papageien aus Peru überstanden glücklich die schlechte Zeit, und geberdeten sich wie unsinnig, als sie zuerst wieder auf Deck, in Luft, Licht und Sonne gebracht wurden. Wir sahen in jener Zeit ziemlich häufig Wallfische, so begegnete uns am 5. Mai unter 36° 6' südl. Breite und 28° 46' Länge ein wenigstens 70 Fuß messendes Thier. Der Wasserstrahl, welchen dasselbe auswarf, war sicher 30 Fuß hoch, und ich beneidete die Ruhe, mit welcher es an uns vorüberzog. Ueberhaupt scheinen die Wallfische nur wenig Notiz von den Schiffen zu nehmen. Am 8. Mai kam ein sicher 60 Fuß langes Thier so nahe an Bord, daß die Entfernung kaum 15 Schritte betrug. Es kreuzte unsern Cours und blieb still liegen als wir uns ihm näherten, als wolle es uns vorüber passiren lassen. Natürlich eilte Alles an Bord auf die Backbordseite, wo das Thier lag, und da wir eben langsam segelten, so konnten wir dasselbe mit der größten Bequemlichkeit beobachten. An der rechten Seite hatte es eine Verletzung, indem die Haut etwa in Länge und Breite von 10 Zoll abgeschunden war, für einen Wallfisch freilich nur ein kleiner Hautriß. Als das Schiff fast vorüber gesegelt war, beschleunigte er seine Bewegung und tauchte plötzlich unter Wasser, indem er unter dem Bugspriet hinwegging, noch eine kurze Zeit gesehen wurde, und dann verschwand. Indem so das riesenhafte Thier durch das Meerwasser eine tiefe dunkelblaue Farbe annahm, gewährte es wirklich einen prachtvollen Anblick. Am 13. Mai, 21° südl. Breite, kam der erste fliegende Fisch auf Deck, und in der Nacht beobachtete ich zugleich zum erstenmale wieder das Leuchten der See, schwach zwar, aber mir immer eine erfreuliche Erscheinung. Weniger erfreulich war eine heftige Boe, welche sich so rasch erhob, daß man alle Hände voll zu thun hatte, die Segel zu bergen. Die See geberdete sich, kurz nachdem dies geschehen, ganz verrückt, warf unsinnige Wellen und schleuderte das Schiff auf jämmerliche Weise nach allen Seiten. In höheren Breitegegenden blieb ich bei ähnlichen Ereignissen friedlich im Bette liegen, ja ich schlief meistens, denn da mich die Sache Nichts anging, da ich nicht zu arbeiten oder zu sorgen hatte, bewahrte ich meine vollständige Ruhe, und kümmerte mich wenig um den Höllenlärm, den häufig Wind und Wellen vollführten. Daß etwas Unangenehmes passiren würde, dachte ich nicht, und wäre es wirklich passirt – je nun, es ertrinkt sich ohne Zweifel gleich unangenehm oben, wie unten. Hier aber, bei einer wirklich angenehmen Temperatur von + 19° oder 20° R., setzte ich mich auf den Hühnerkasten und sah, meine Cigarre rauchend, die Sache mit an. Eine unsinnige Woge nach der andern wälzte sich einher, tobend und krachend auf Deck schlagend oder gegen die Seiten des Schiffes, als wolle sie alles zertrümmern. Da krachte es plötzlich am Bugspriet. Der Klüver war zum Teufel gegangen, d. h. eine Welle hatte den vordersten, wohl über anderthalb Fuß dicken Mast zersplittert, den großen und kleinen Klüverbaum sammt den entsprechenden Segeln in die See geworfen und das Vorstengstagsegel flatterte in großer Bedrängniß in der Luft.
Mit innerem Wohlbehagen habe ich immer bei solchen Gelegenheiten die Seeleute beobachtet. Dort zeigen sie sich als Männer im ächten Sinne des Worts, ruhig, muthig, unerschrocken, und ihre Pflicht erfüllend mit einem Eifer, der Bewunderung erweckt. Jeder sucht das kleinste Stückchen Tau zu erhalten für das Schiff, als wäre es Tausende werth und scheint nicht im Mindesten zu beachten, ob er selbst dabei über Bord gehen könne oder nicht. Während man beschäftigt war, einen Theil des über Bord gegangenen Tauwerkes wieder auf Deck zu holen, saß ich ruhig auf meinem Hühnerkasten, getreu meinem Grundsatze, bei solchen Gelegenheiten auf See nie zu fragen, und keine Verwunderung, kein Erstaunen zu äußern. Als mir einer der Matrosen im Vorübergehen sagte: »der Klüver ist flöten, Herr Doctor!« nickte ich mit dem Kopfe und brummte bejahend: »Hm!« Doch denke ich noch heute an den Lärm der Elemente, welcher in jener Nacht stattfand.
Nachdem wir uns innerhalb der Wendekreise befanden, begann für mich ein neues und thätiges Leben. Die See belebte sich, und während bei Tage buntfarbig und glänzend Quallen aller Ordnungen an Bord vorüber zogen, trat des Nachts das Leuchten der See mehr und mehr in der Pracht auf, in welcher ich es schon früher geschildert habe. Zu jener Zeit habe ich des Tags hindurch die gefangenen Individuen gezeichnet und Versuche mit ihnen angestellt, während ich halbe Nächte hindurch auf Deck beschäftigt war, das Leuchten der See zu beobachten und namentlich die kleinen Individuen, meist Entomostraca, herauszufischen, welche, dem unbewaffneten Auge kaum sichtbar, dennoch auf kurze Zeit ein ziemlich großes Gefäß mit Wasser leuchten machen können. Ich zweifle nicht, daß ich manches Neue dort gefunden und auf den 26 Tafeln, welche ich dort gezeichnet, fixirt habe, aber dennoch sind meine Erfahrungen kaum mittheilbar, und nur für mich selbst als bildend und belehrend zu betrachten. Zu wenig erfahren auf diesem Felde der Zoologie, würde ich längst Bekanntes ohne Zweifel häufig als Neues berichten, vielleicht aber würde manches Neue, was ich gesehen habe, als eine Unrichtigkeit betrachtet werden. So will ich also nur wenige kurze Notizen folgen lassen.
Ich habe z. B. bei Quallen von etwa 6 Zoll Länge ein Organ gefunden, welches sich regelmäßig ausdehnte und zusammenzog, und von welchem Gefäße ausgingen. Ich habe es für ein Herz gehalten, aber ich bin aus der mir zu Gebote stehenden Literatur nicht klar geworden, ob man bei den Quallen irgend etwas überhaupt für ein Herz halten darf. Auch bei kleineren Quallen fand ich dasselbe Organ mit Dyastole und Systole. Die Individuen, bei welchen ich dieses fragliche Herz und überhaupt noch mehrere andere, bei verschiedenen Arten dennoch sehr übereinstimmende Gefäße fand, bestanden aus einer Röhre mit unten anstehender Seitenröhre und die besprochenen Organe oder Gefäße lagen in den Wendungen, welche die größere der Röhren bildeten.
Diese Individuen bildeten bandförmig zusammenhängende Reihen, einige aus 30 bis 40, andere wieder blos aus 3 bis 4 einzelnen Individuen bestehend, jedenfalls abgetrennte oder getheilte größere Gruppen, denn ich sah auch einzelne und fischte deren auf, mit lebhafter Bewegung und offenbar sich wohl befindend. Viele derselben hatten größere Entomostraca in der zentralen Röhre eingeschlossen, letztere bisweilen noch lebend, die meisten indessen todt und ohne Zweifel ihnen zur Nahrung dienend. In der Gefangenschaft stießen sie aber dieselben bald aus.
Das kräftige Ausstoßen von Gegenständen, welche aus dem innern Theile der Röhre entfernt werden sollen, hat mich auf die Annahme von Muskeln geführt. Ich habe dieselbe auch, wie ich glaube, mit aller Bestimmtheit nachgewiesen und will mittheilen wie, obgleich ich glaube, daß die Physiologen, welche sich mit Untersuchungen über die Quallen beschäftigt haben, so gut wie ich, längst auf diese Methode gekommen sind. Man darf nämlich nur die Qualle je nach ihrer Größe in mehr oder weniger verdünnte Salpetersäure legen, um in kurzer Zeit die Muskelbänder mit der eigenthümlichen gelben Färbung hervortreten zu sehen, welche die ulbuminösen Verbindungen überhaupt durch diese Säure annehmen. Hat man eine frische Qualle in einem Gefäße mit Seewasser und bringt einen fremden Körper in das Innere der Röhre, so wird derselbe sogleich mit Heftigkeit ausgestoßen, indem sich die Röhre zusammenzieht.
Dieß wird durch ein System von Muskelbändern bewirkt, welche im Innern der Röhre, ringförmig, über einander liegend und durch andere von unten nach oben laufende Muskelstreifen verbunden sind. Am untern geschlossenen Theile des Individuums sind diese Längsstreifen vereinigt. Von dieser – sit venia verbo – Hauptmuskulatur verlaufen nach verschiedenen Seiten hin feinere, blos mit bewaffnetem Auge erkennbare Muskelstreifen durch die gallertartige Substanz, welche, wie ich denke, dazu dienen, jene größeren Bänder in der letztern zu fixiren, und zugleich die Bewegung derselben fortzupflanzen.
Die Bewegung des Thieres im lebenden Zustande rechtfertigt vollkommen die Lage des Muskelsystems, denn man kann, beobachtet man aufmerksam, so ziemlich vorher bestimmen, an welcher Stelle dieselbe durch Salpetersäure sichtbar gemacht werden wird.
Bringt man die mit Salpetersäure behandelte Muskelsubstanz sogleich unter das Mikroskop, so sieht man, daß sie vollständig dem Gewebe der quergestreiften entspricht, welches ich nicht näher zu bezeichnen brauche.
In Bezug auf die oben erwähnten Gefäße oder Organe bei den röhrenförmigen Quallen[63] will ich noch beifügen, daß bei den Exemplaren, welche einige Zolle Größe haben, sich deutlich drei Modificationen unterscheiden lassen. Helle und ungefärbte, blaue und bräunliche. Das ungefärbte herzähnliche Gefäß steht mit den blauen in Verbindung, aber eines dieser blauen Gefäße verläuft auch in den braunen Kanal, welcher meist die ganze Länge des Individuum durchzieht. Bei allen röhrenförmigen Quallen sehr verschiedener Art, welche ich untersuchte, habe ich die eben angegebene Verbindung der Gefäße gefunden.
Vielleicht entschuldigt man auch, wenn ich hiebei an Blutgefäße und Verdauungs-Organe gedacht habe.
In Betracht der Geduld, mit welcher, wie ich hoffe, der freundliche Leser meine Beobachtungen über die Quallen gelesen oder überschlagen hat, erlasse ich demselben eine populäre Entwicklung dessen, was eigentlich eine Qualle ist. Eine solche Entwicklung ist in der »dringenden Bedürfniß-Literatur« unserer Zeit ohne Zweifel schon vorhanden, jedenfalls aber überlasse ich sie geübteren Händen als die meinigen sind[64].
Unter den mikroskopischen Beobachtungen, welche ich vorzugsweise in Beziehung auf das Leuchten der See anstellte, will ich die einzige erwähnen, daß alle diejenigen kleinen Krebse und Entomostraca, welche am stärksten leuchteten, irgendwie eine rothe Zeichnung an sich trugen, welche auch bei Tage sichtbar war, entweder rothe Punkte, Querstriche oder größere rothe Flecke, ja bei einigen waren die Füße roth gefärbt und fast transparent. –
Da unter den Tropen ziemlich häufige Regen stattfanden, habe ich dort mehrfache Versuche angestellt um das Regenwasser auf einen Gehalt an Chlorverbindungen zu prüfen. Ich habe zu diesen Versuchen sowohl Regenwasser verwendet, welches bei beginnendem Regen gesammelt worden war, als auch solches, das erst aufgefangen wurde, nachdem es schon wenigstens einige Stunden geregnet hatte. Die Gefäße wurden durch das zuerst aufgefangene Wasser selbst gereinigt und stets auf der Luv-Seite des Schiffes oder an einem ihr entsprechenden Orte z. B. am Steuer, fuhr man vor dem Winde, das zur Untersuchung selbst bestimmte Wasser gesammelt.
Das stehende und laufende Tauwerk eines Schiffes, so wie ein großer Theil der Segel, sind wohl stets in mehr oder minder hohem Grade mit Salzwasser durchtränkt. Der Regen löst hievon einen gewissen Theil auf und es kann durch den Wind leicht auf diese Weise eine Verunreinigung des Wassers entstehen, wenn im Lee aufgefangen wird.
Trotz aller angewendeten Vorsicht aber habe ich bei allen Versuchen stets ziemlich bedeutende Mengen von Kochsalz und selbst Spuren von schwefelsauren Salzen und viel Kalkerde gefunden. Keiner dieser Versuche wurde näher als 100 Stunden vom Lande entfernt angestellt, die meisten in größerer Entfernung. Es würde also hieraus hervorgehen, daß das Regenwasser auf See in den meisten Fällen mit einer gewissen Menge von fremden Substanzen verunreinigt ist. –
Wir bekamen am 19. Mai die Felseninsel Fernando de Noronha, unter 4° 17' südl. Breite und 31° 8' Länge in Sicht, sie wird bekanntlich als diejenige bezeichnet, auf welcher Robinson gelebt haben soll; gegenwärtig bringen die Brasilianer ihre Verbrecher dorthin, es scheint also immerhin, es habe die Insel etwas Bekehrendes und bußfertig machendes an sich.
Indessen hätten wir noch am selben Abend fast ein Fahrzeug übersegelt. Es entstund plötzlich auf Deck Lärm und zugleich wurde dem Kapitain ein Schiff gemeldet, was gerade vor uns lag. Ich eilte natürlich ebenfalls rasch auf Deck, und sah in einer Entfernung von kaum 40 Schritten, wahrhaft gespenstig unheimlich, vor uns einen kleinen Schooner, der mit ziemlich flauem und für ihn ungünstigem Winde gegen Ost steuerte, während unser Kurs Nord war. Die Nacht war dunkel, und so konnte man nur eben bemerken, daß auf dem fremden, düster aussehenden Schiffe ein einziges Segel, das Schoonersegel, in Activität war, aber kein Licht, keine lebende Seele ließ sich blicken.
Wir hielten rasch gegen West, um das mystische Fahrzeug nicht zu übersegeln, und da für unsern Kurs der Wind günstiger war, so lag es bald hinter uns, indem es fast stille zu stehen schien. Natürlich wurde es von uns mehrfach angerufen, aber keine Antwort wurde erhalten.
Entweder schliefen alle Männer auf dem Schiffe, oder sie waren todt, vielleicht hatten sie auch nicht das beste Gewissen und wollten Ebenholz, lebendes nämlich, von der afrikanischen Küste holen. Wir blieben jene Nacht länger als gewöhnlich wach, und mehr Faden wurde gesponnen, von ähnlichen unheimlichen Begegnungen, und von Seeräuberei, welche wohl noch hie und da stattfindet, wenn auch nicht ganz in der Art, wie sie in Seeromanen geschildert wird. Aber die einfache Erzählung der Seeleute trägt das Gepräge der Wahrheit, und man lauscht ihr mit Behagen.
Gern hätte ich bei dieser und andern Gelegenheiten irgend etwas erfahren von Spuk- und Schiffsgespenstern, aber nur wenig war zu erbeuten in dieser Beziehung. Dem Seemann ist meist sein Schiff zu lieb, als daß er solchen unheimlichen Gästen Passage gäbe. Doch aber klopft es und schlarrt es in manchen alten Schiffen im Raume, und, »wenn es nicht die Ratten sind, so mag der Teufel wissen, was es ist.« Auch Todte, die versenkt worden sind in's Meer, strecken bisweilen unsichtbar die Arme aus der Tiefe, und halten sehnsüchtig das Schiff, das auf der Heimreise wieder in die Nähe ihres nassen Grabes kömmt. Sie wollen wohl heim zu ihren Lieben. Diese leichtsinnigen Verstorbenen aber denken nicht daran, daß ihre Lieben vielleicht sich recht gut befinden, und gar nicht so besondere Sehnsucht hegen nach den reisenden Theuern. Auf mehreren alten Schiffen (gesehen hat es keiner selbst, aber glaubwürdige Zeugen haben es von andern, die es gesehen haben), läuft in gewissen Nächten ein alter Matrose, ein kleines Männchen, in fast veralteter Seemannstracht und mit unhörbaren Schritten auf der Schanzverkleidung vom Bugspriet bis zum Steuer, er sitzt auch wohl auf der Schanzverkleidung und blickt mit bekümmerter Miene auf das Schiff. Nähert sich ihm der Mann von der Wacht, so geht er kopfüber über Bord, und wird lange nicht mehr gesehen. Solche und ähnliche Geschichten erzählt man sich wohl bisweilen auf Deck, und man mag daran glauben so viel und so wenig, wie man bei uns am Kamine erzählend von dergleichen glaubt. Das aber bin ich überzeugt, daß jeder Seemann dem Teufel selbst entgegengeht, wenn er sich unnütz machen sollte irgendwie an Bord, und wenig Bange hat.
Ich habe bei dieser Durchschiffung der Wendekreise oft die schönen Sonnenuntergänge bewundert, welche sich häufig zeigten, und welche, besonders je näher wir dem Aequator kamen, stets brillanter zu werden schienen. Hoch aufschießend bis zum Zenith, wechselten die Strahlen in tief Dunkelblau, Hochgelb und Grün, und bisweilen hatte die glänzende Erscheinung viel von der Beweglichkeit des Nordlichts. Zehn bis zwölf Minuten nach dem Verschwinden der Sonne waren die Farben der Strahlen meist am lebhaftesten, um bald darauf indessen gänzlich zu verschwinden. Auch mehrere Wasserhosen wurden unweit des Aequators in der Ferne beobachtet. Wir passirten die Linie in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai unter 32° Länge und bei sehr wechselndem Wetter, indem einzelne Böen, Regen und Sonnenschein häufig wechselten.
Vögel sahen wir unter diesen Breiten wenige oder gar keine, von andern Geschöpfen aber wimmelte an manchen das Meer und oft, während ich in der Kajüte zeichnete, wurde mir von den freundlichen Seeleuten so viel neuer Vorrath gebracht, daß ich das Material nicht bewältigen konnte. Auch Butzköpfe (Delphinus gladiator) wurden häufig in Zügen von sicher mehr als hundert Individuen gesehen.
Was die Temperatur betrifft, so war dieselbe, wie man aus der Tabelle ersehen kann, eine höchst angenehme. Wir hatten in der Kajüte durch ein Windsegel stets frische und reine Luft, und kaum stieg dort die Wärme über + 25° R. Die Nächte waren prachtvoll, obgleich fernes Wetterleuchten und drohende Wolken häufig gegen Abend sich blicken ließen. Auch mehrere Sternschnuppen, fast alle von West nach Ost ziehend und meist zerspringend, wurden beobachtet. Dabei näherten wir uns der Heimath! Es wurde kaum davon gesprochen, aber im Herzen trug wohl Jeder irgend ein liebes Bild, das die Abwesenheit verschönerte, und von welchem die Zeit trübe Flecken verwischt hatte. Die Sehnsuchtsfäden, die die Herzen verknüpfen, benehmen sich gegen alle physikalische Regel. Anstatt schwächer und unscheinbarer zu werden durch das Ausspinnen in immer größerer Weite, werden sie dichter und stärker. –
Als am 27. Mai des Morgens Kapitain Müller und ich uns eben auf Deck befanden, sahen wir einen mächtigen Hai, der mit liebenswürdiger Unbefangenheit uns das Geleite gab. Unverzüglich wurde eine Angel ausgeworfen, welche in einiger Entfernung nachschleifte, und mit welcher sich der Fisch sogleich beschäftigte. Er schien indessen blos den Angenehmen zu spielen und biß nicht an, sondern umschwamm nur den Köder, als scherze er mit demselben.
Plötzlich aber geberdete er sich wie rasend und wir sahen, daß er sich gefangen hatte. Als er näher geholt worden war, konnten wir bemerken, daß die starke Angel durch seine Brustflosse gedrungen war, so daß er der Breite nach dem Schiffe nachgezogen wurde. An die Seite des Schiffes gebracht, tobte der wenigstens 9 Fuß lange Fisch so stark, daß wir jeden Augenblick sein Abreißen befürchteten. Indessen traf ihn der Obersteuermann mit einem tüchtigen Harpunenstoß, und er wurde mittelst einiger umgeschlagener Taue glücklich an Bord gebracht. Ich habe bereits oben die Art und Weise geschildert, wie man den dort angekommenen Hai bewältigt, und so will ich hier nur bemerken, daß ich einen Theil des Fleisches verspeiste, wobei der Kapitain Gesellschaft leistete, obgleich auch ihm die Speise nicht besonders mundete. Bei den andern im Schiffe aber fand sie den schlechtesten Anklang. Am Unterkiefer des Haies hatte sich eine Bohrmuschel eingebohrt und den Knochen vollständig durchlöchert, auch mehrere Saugfische fanden sich, wie gewöhnlich an dem Thiere festsitzend.
Eine willkommenere Speise, ein wahres Manna in der Wüste, zeigte sich indessen einige Tage später, nördl. Breite 7° 40' Länge, 33° 4', indem Goldbrassen[65] erschienen und das Schiff begleiteten. Kapitain Meyer harpunirte drei derselben. Ich habe ebenfalls bereits oben diese Fische beschrieben, und will daher bloß nachträglich beifügen, daß deren Fleisch eine wirkliche Delikatesse ist, namentlich wenn man Monate hindurch fast einzig auf Salzfleisch beschränkt gewesen. Der Magen dieser Fische enthielt nichts als fliegende Fische.
Wir sahen am 4. Juni, nördl. Breite 20° 54', Länge 40° 44', die ersten Exemplare des in jenen Gegenden frei umherschwimmenden Tanges, Sargassum bacciferum, welchen die Seeleute allgemein »das Kraut« nennen.
Ich verweise in dieser Beziehung auf die verschiedenen Abhandlungen, welche von gelehrten Reisenden und Andern erschienen sind, und worin ausführlich über die eigenthümliche Erscheinung gesprochen wird. Fast will es indessen scheinen, als sei man noch nicht vollkommen einig über dasselbe, und in der neuesten Zeit wieder sind neue Meinungen aufgetaucht, welche die Entstehung jenes Tanges aus dem persischen Meerbusen ableiten.
Am 9. Juni, unter 30° 0' nördl. Breite und 45° 35' Länge, wurde der letzte Tang gesehen und aufgefischt, und während der zwischen diesen Tagen liegenden Zeit war häufig die See, so weit man blicken konnte, mit demselben bedeckt, doch stets nur in einzelnen, einige Fuß im Durchmesser haltenden Exemplaren, zehn bis zwanzig oder dreißig Schritte weit von einander entfernt, und nie zu größeren Gruppen inselartig verbunden.
Ich habe in diesem Sargassum eine Menge von Individuen gefangen, welche ich theils in Sublimat-Wasser mit nach Europa gebracht, theils gezeichnet habe. Doch sind wohl die meisten derselben bekannt, da fast jeder Reisende eben dieser Erscheinung seine Aufmerksamkeit schenkt.
Indessen will ich der Zoosporen, der Schwänesporen, gedenken, welche ich häufig und in manchfacher Form dem Tange anhängend gefunden habe. Kaum kann man sich anfänglich des Gedankens entschlagen, Infusorien vor sich zu haben, beobachtet man unter dem Mikroskope die scheinbar vollkommen willkührliche Bewegung, mit welcher sich diese Zellen gegenseitig ausweichen und an einander vorübergehen.
So habe ich eine schleimige Masse von einigen Zollen Länge gefunden, in deren Mitte sich ein schlangenartig gewundener Schlauch befand. Dieser bestand, unter dem Mikroskop gesehen, aus einer glashellen Hülle, und enthielt eingeschlossen kleinere, ebenfalls transparente Blasen, in welchen sich 30 bis 36 Individuen auf das lebhafteste bewegten. Sie waren mit Flimmerhaaren versehen, und ich glaubte deutlich an ihnen die Organisation von Infusorien wahrnehmen zu können.
Auf ähnliche Weise, aber fast immer in eine Schleimhülle eingeschlossen, habe ich die verschiedensten Modifikationen solcher schwimmenden Zellen gefunden, sowohl am Tange, als auch frei schwimmende, und kleine kugelartige Formen, kaum größer als ein Stecknadelkopf, gaben unter dem Mikroskope eine Unzahl solcher Individuen. Es wäre nutzlos, ohne Abbildungen hier dieselben betreiben zu wollen, aber ich habe die mir am meisten in's Auge fallenden Formen gezeichnet, und diese Zeichnungen stehen mit Vergnügen dem ersten Algenfreunde zu Gebot, welcher es der Mühe werth hält, mir deshalb einige Zeilen zu senden[66].
Am 9. Juni sahen wir scheinbar in nicht sehr großer Entfernung wieder eine Wasserhose, welche in jener Gegend des Oceans sich überhaupt nicht selten zeigen sollen. Es war des Mittags, und Gewitterwolken häufig am Himmel. Der zapfenartige und unten zugespitzte Streifen der Wolke, welchen die Wasserhose bildete, hing fest bis auf die Oberfläche der See und bewegte sich ziemlich schnell nach links und rechts, etwa als würde er oben irgendwo festgehalten und geschüttelt. Der Spiegel der See war unruhig und scheinbar in kochender Bewegung, wie ich durch das Fernrohr beobachtete, aber eine eigentliche Erhellung des Wassers fand nicht statt. Nach einer Dauer von 5 Minuten zog sich der Wolkenstreifen in die Höhe, indem er kürzer und dicker wurde, und endlich vollkommen verschwand. Die Anlage zu ähnlichen Bildungen, nämlich zapfen- oder trichterförmige Herabsenkungen der Wolken gegen den Spiegel der See konnte man allerwärts am Horizonte bemerken, nach wenigen Stunden verschwanden aber diese Bildungen.
Die Notizen in meinem Tagebuch bestehen bis zum 21. Juni fast einzig aus Untersuchungen über aufgefangene Seethiere, mit welchen ich den Leser versprochener Maßen nicht weiter behelligen will, doch mag der Purpurschnecke[67] gedacht sein, mit ihrem schaumigen und mit rosenfarbenen Eiern gefüllten Deckel, welche vom 36° bis 40° nördl. Breite häufig eingefangen wurde, der Scyllaea pellagica, einer prachtvoll blau gefärbten Schnecke ohne Gehäus, welche auch häufig in der Nähe des Tanges gefunden wird, und das Carcinium. Dieses Thierchen, kaum zwei Linien lang, ist nur mit einem blitzenden und in allen Farben leuchtenden Diamanten zu vergleichen, wenn es an der Oberfläche des Wassers in der Sonne schwimmt. Dieses prachtvolle Farbenspiel ist durch Lichtbrechung auf der benetzten Außenfläche des Thieres bedingt, und verschwindet wenn man das Thierchen aus dem Wasser nimmt, zeigt sich aber wieder, wenn man es in eine Schüssel mit Wasser bringt, und es von einer gewissen Richtung aus betrachtet. Aehnlich wie bei den Daguerre'schen Bildern hat man bald die Uebung so weit gebracht, es jeden Augenblick glänzend und bunt gefärbt zu sehen. Ich glaube nicht, daß wie beim Leuchten der Quallen, dieses Farbenspiel mit einem speziellen vitalen Processe verknüpft ist, sondern daß die Struktur, ähnlich dem Perlmutter, dasselbe bedingt. Die von mir gefangenen Exemplare zeigten die glänzenden Farben auch noch einige Zeit nach dem Tode, und verblichen erst dann allmälig, als wahrscheinlich die feinen Formen der Oberfläche sich verändert hatten.
Beim Sonnenuntergange hatten wir am 21. Juni Gelegenheit, eine Art Nebensonne beobachten zu können. Als die untergehende Sonne fast den Rand des Horizontes erreicht hatte, zeigte sich etwa 6 Grade oberhalb derselben ein heller Fleck von der scheinbaren Größe der untergehenden Sonne auf der dort stehenden schwachen und nebelartigen Wolkenschicht. Dieser Fleck war zwar nicht vollkommen scharf abgegrenzt, aber er blieb rosenfarbig leuchtend beinahe 20 Minuten bis nach dem Verschwinden unverrückt und mit gleicher Lichtintensität an derselben Stelle stehen. Kurz vor dem Erlöschen der Erscheinung wurden die Conturen derselben schärfer, und als schon der beinahe volle Mond sich in der See spiegelte und die Nebensonne vollkommen verschwunden war, entstanden dunkle Strahlen[68] an der Stelle, welche sie eingenommen hatte, und diese blieben über 5 Minuten sichtbar.
Wenn man die beigegebene Tabelle eines Blickes würdigt, so fallen ohne Zweifel die hohen Hygrometerstände und die große Trockenheit der Luft auf, welche an einigen Tagen des Juni beobachtet wurden. So am 12. Juni, am 20sten und 21sten. Am 22sten wurden des Mittags 10 Grade beobachtet, des Abends aber, und etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang fiel bei vollständig klarem Himmel ein so starker Thau, daß alles auf Deck durchnäßt wurde, wie bei einem heftigen Regen. Das Guanaco triefte, meinen Mantel mußte ich buchstäblich auswinden und von den mit Oelfarbe bemalten Seiten des Schiffes lief unaufhörlich das Wasser auf Deck.
Das Thermometer stand auf 14.8. Der Barometerstand, ein ziemlich constanter, doch etwas höher als in den vorhergegangenen Tagen, das Hygrometer aber war auf 100 gesunken. Auch in den folgenden Tagen fielen gegen Abend stets starke Nebel, doch nicht so intensiv als am 22sten.
Auch häufigen Zügen von Butzköpfen und Delphinen begegneten wir in diesen Tagen und am 25sten wurde nach verschiedenen fruchtlosen Versuchen endlich einer harpunirt und mit Hülfe eines zur Schlinge geformten Taues glücklich an Bord gebracht. Er war auf dem Rücken grau, am Bauche weiß gefärbt und hatte 8 Fuß Länge. Das Gehirn wog 2½ Pfund; die Leber bestand aus zwei großen Lappen und die Gallenblase fehlte. Der Magen war vollständig mit Dintenfischen angefüllt. Ich skelettisirte den Kopf. Mehrere derbe Stücke des Fleisches wurden einige Stunden lang an einem Tau in der See mitgeschleppt, um den größten Theil des Blutes zu entfernen, und dann als Beefsteak, oder eigentlich Delphinsteak zubereitet. Es ist eine zähe thranige Speise, aber immer als frisches Fleisch auf See erwünscht.
Während fast im ganzen atlantischen Ocean, mit Ausnahme von Kap Horn, die Farbe des Meeres eine prachtvolle blaue gewesen war, begann jetzt an einzelnen Stellen sich schon eine grüne zu zeigen.
Ich habe, wie ich glaube, so ziemlich alle Farbennüancen beobachten können, in welchen das Wasser der See auftritt, und es sind meiner Ansicht nach zwei Hauptmomente, welche dieselben bedingen.
Einmal die größere oder geringere Tiefe des Wassers und dann die Färbung des Himmels. Blau ist das Wasser bei bedeutender Tiefe, grün an Stellen, wo sich Untiefen befinden und an seichteren Orten überhaupt.
Durch vollkommen klaren Himmel und glänzendes Sonnenlicht werden beide Farben gehoben. So ist auf hoher See und unter den Wendekreisen bei unbewölktem Himmel das Meer bis in die Spitzen der Wellen tief ultramarinblau gefärbt.
In der Nähe der Küsten tritt fast immer grünliche Färbung auf, so an der Küste von Brasilien, aber hier findet schon geringere Tiefe statt. Ich glaubte anfänglich die sonst an allen Küsten bemerkbare grüne Färbung des Meeres vielleicht theilweise bedingt durch eine Art Spiegelung des Landes im Wasser. Aber in der Algodonbai, wo in der nächsten Nähe der Küste tief grüne Färbung beobachtet wird, tritt bald ein lebhaftes Blau auf, während das Land noch vollständig in Sicht. Allein dort hatten wir bei 80 Faden noch keinen Grund, und es fand wohl noch eine bei weitem bedeutendere Tiefe statt, wie sich aus der Form des Küstengebirges schließen läßt. Bisweilen ist die blaue und grüne Färbung scharf begrenzt und abgeschnitten. Im stillen Meer an der Küste von Chile und diese in Sicht, unter 33° 5' südl. Breite ist die Farbe des Meeres, etwa zehn bis funfzehn englische Meilen weit vom Lande entfernt, vollkommen smaragdgrün; weiter in See, und zwar vom Grünen scharf abgeschnitten, tief dunkelblau. Wir sahen dort im blauen Wasser den grünen Streifen am Lande sich hinziehen, kamen aber bald selbst in die grüne Region, indem wir der Küste folgten und an einigen Stellen die grüne Farbe weiter hinaus in See reichte, als an anderen.
Beiläufig auf fünfzig Schritte Entfernung waren klar und tief abgegrenzt die Farbenunterschiede noch zu bemerken, dann kam etwa eben so lange grünlich-blaue unentschiedene Färbung, nach ganz kurzer Zeit aber, da das Schiff einen raschen Gang hatte, segelten wir in vollständig dunkelgrünem Wasser, und das Kielwasser hinter uns war scharf abgeschnitten dunkelblau.
Am Eingange des Kanals hatten wir meist grünliche Färbung, bisweilen aber auch schmutzig blau, ja fast ganz blau, später bei 18 bis 14 Faden Tiefe eine reine Aquamarin-Farbe des Wassers. Häufig habe ich in grünem Wasser, wenn die See etwas hoch ging, den Schaum der Wellen und spritzende Tropfen in's Röthliche spielen sehen. Ohne Zweifel eine complementare Erscheinung.
Während hier die größere und geringere Tiefe der See die Farbe derselben bedingte, verändert sich oft bei trübem Wetter die schönste blaue Farbe in ein schmutziges Blaugrün, wenn der Himmel mehr oder weniger mit Wolken überzogen ist.
Hier bedingt die Färbung des Himmels die Farbe des Wassers, das Grau des ersteren spiegelt sich im Meer, so wie vorher das glänzende Blau des reinen tropischen Himmels jenes der Wellen gehoben hatte.
So ist also in vielen Fällen die Meeresfarbe als ein Spiegelbild des Himmels zu betrachten, wenn gleich die grüne Farbe durchschnittlich von Untiefen bedingt ist.
Bisweilen habe ich eine vollkommene glänzende Kupferfarbe des Wassers gesehen, und dieß zwar bei wolkenfreiem Himmel und untergehender Sonne; indessen nur auf der Schattenseite des Schiffes, wenn die Leesegel aufgehißt waren, und nur auf eine kurze Strecke in die See reichend. Diese Kupferfarbe war bedingt von dem Widerscheine der weißen Segel auf dem Wasser und zugleich durch den Schatten, welchen Schiff und Segel auf die sonst allenthalben beleuchtete Wasserfläche warf. –
Noch ziemlich weit außen vor dem Eingang in den Kanal begegnete uns ein Lootsen-Kutter. Mit der Schnelligkeit eines Raubvogels streichen diese Boote über die See hinweg, und den Schiffen entgegen, welche sich zeigen, um sie durch den Kanal zu lootsen. Meist legen sie einige Augenblicke an denselben an, werfen ein frisch gebackenes Brod den Männern an Bord zu, und erhalten auf gleiche Weise eine Flasche Wein. Erinnere ich mich recht, so kam dieser Lootse aber nicht näher, da er unser Schiff als ein Hamburger erkannte, das wohlbekannt in jenen Regionen, sich selbst durch den Kanal lootsen konnte.
Die brennende Frage an Bord war zu jener Zeit der Dänenkrieg. War die Elbe frei, so konnten wir in einigen Tagen zu Hause sein, war sie blockirt, so mußten wir in England anlegen, und abgesehen von den Kosten für den Rheder, welche hieraus erwachsen wären, hätte dort ohne Zweifel der Dockenhuden eine andere Bestimmung erhalten, und keiner von der Mannschaft wäre nach Hause gekommen. Was mich betrifft, so hätte ich meine mitgebrachten Naturalien und mein Gepäcke von 14 Ctr. an Gewicht in England versteuern müssen, und wäre gezwungen gewesen auf einem andern Schiffe die Heimreise zu vollenden.
Als jener erste spitzbübische Lootse an unserm Borde vorüberflog, riefen wir ihm zu. Ist Krieg? Antwort: Dänenkrieg! Ist die Elbe frei? Antwort: All' gesperrt! Und hiemit war er schon so weit, daß man sich nicht mehr verstehen konnte.
Keiner unserer Leute verzog bei dieser Nachricht eine Miene. Der Seemann ist gewohnt, und sucht eine Ehre darin, dem Unvermeidlichen ruhig zu begegnen und keine nutzlosen Worte zu verlieren.
Aber bald darauf kam ein zweiter Lootse, welcher auf einige Augenblicke anlegte. Brod und Wein wurden getauscht, und der Sicherheit halber doch die Frage nach Sperrung der Elbe wiederholt. Da erfuhren wir, daß die Elbe frei sei. Der erste Lootse hatte sich einen angenehmen Scherz erlaubt. –
So rasch und glücklich wir mit der Reform aus dem Kanal gekommen waren, durchsegelten wir denselben auf der Heimreise mit dem Dockenhuden. Als ich Dover sah und die entsprechende französische Küste fühlte ich mich fast heimisch. Endlich die Nordsee! Immer näher!
Am 6. Juli gegen 1 Uhr des Morgens wurde ich geweckt. Man sah die Leuchtfeuer von Helgoland und auf Schiffen, die heimkehren von weiter Reise, wird da meist Kaffee getrunken, sobald der Feuerschein jener Insel in Sicht kömmt. Es war eine fröhliche Kaffeegesellschaft, welche wir dort abhielten, wenn gleich keine normale, indem nicht gelästert und geklatscht wurde.
Früh befanden wir uns bereits auf der Elbe. Die Orte, welche dort am Ufer liegen, mag man auf der Karte lesen, ich kümmerte mich nicht um ihre Namen, aber den ersten spitzen deutschen Kirchthurm und die grünen Ufer habe ich mit jubelndem Herzen begrüßt. Wer nie so lange auf See war, daß er in stundenweiter Entfernung das Land riecht, weiß nicht, was eine solche Heimkehr bedeutet. Was war aber der Duft der tropischen Blüthen, der uns in Brasilien die Nähe des Landes verkündete, gegen den Geruch des frischen Heues am deutschen Ufer und jenen der Obsternte, welchen der Landmensch kaum bemerkt, den wir aber wollüstig einsogen, noch ehe wir die grünen Flächen erblickten!
Der Kapitain spazierte im Landstaate an Bord umher, denn auf der Elbe commandiren Lootsen das Schiff, und die Kapitaine sprechen nicht darein, auch ich hatte mich nothdürftig anständig gekleidet, so weit es meine ziemlich hart mitgenommene Garderobe gestattete.
Ich nahm jetzt vorläufigen Abschied von den Leuten der Mannschaft und wurde von vielen mit Kleinigkeiten beschenkt, die sie früher auswärts gesammelt hatten, und mir jetzt zum Andenken verehrten. Aber auch ohne dieses hätte ich stets ein freundliches Andenken an diese Männer bewahrt, mit welchen ich so lange Leid und Freud getheilt, und welche sich mir stets wohlwollend bewiesen. Zerstreut auf allen Meeren der Welt durchkreuzen jetzt wohl die Meisten von ihnen das bewegliche Element. Mögen sie stets so glücklich ihre Heimath wieder erreichen wie jenesmal![69]
In Hamburg angelangt, fuhren der Kapitain Müller und ich sogleich an's Land. Wir hatten 116 Tage lang den Fuß nicht auf festen Boden gesetzt, denn so lange dauerte unsere Reise von Callao. Frau und Kinder des Kapitains empfingen ihn am Lande. Lebten die Meinigen? Ach, ich wußte es nicht, denn seit ich Bremen verlassen, hatte ich keine Nachricht. Aber es gibt Gefühle, die zur Coquetterie werden, wenn man sie drucken läßt – und überdem war materielle Sorge jetzt überwiegend. Ich mußte ein anständiges Aeußere zu erwerben suchen, mein bewegtes Herz mußte unter einem saubern Rocke schlagen. So führte mich Kapitain Müller in ein Kleidermagazin und ein Friseur nebst obligatem Bade, Ankauf von Pomade, kölnischem Wasser und Glaçé-Handschuhen hatten mich bald wieder zum Gentleman gestaltet, zur späteren Verwunderung mancher meiner heimischen Freunde und Bekannten, die, wie es schien, erwarteten, mich mit Bogen und Pfeilen bewehrt und einer Federschürze bekleidet wieder zu sehen.
Von Valparaiso aus hatte ich Empfehlungen an einen Gelehrten in Hamburg, und zu jenem freundlichen Manne, der mich auf das herzlichste empfing, eilte ich jetzt.
Bei ihm lagen Briefe aus der Heimath für mich, denn noch in Valparaiso hatte ich nach Hause geschrieben, den Monat meiner Ankunft beiläufig bestimmt und die Adresse gesendet.
Man hatte wirklich geschrieben, roth, nicht schwarz gesiegelt – die Meinigen lebten und waren gesund. – Jenesmal hatte sich eine Periode in meinem Leben geschlossen!
Ich habe wenig mehr zu berichten. Noch einige Tage blieb ich in Hamburg, und war freundlich aufgenommen von einigen wackeren Gelehrten, deren Bekanntschaft ich machte, und von einem alten Freunde aus früherer Zeit, den ich unverhofft dort getroffen. Ich besah mir die Stadt flüchtig, wie es eben in so kurzer Zeit geschehen konnte, nahm Abschied vom Kapitain Meyer und stattete noch dem Dockenhuden einen Besuch ab. Dann zur Eisenbahn. In zwei Tagen war ich in Nürnberg. –
Mannheim.
Schnellpressendruck von Heinrich Hogrefe.
Angestellt auf dem Dockenhuden in den Monaten
März,
April, Mai, Juni 1850.
Zeit | Barometerstände | Temperatur | Ort | Wind | Feuchte | Wetter | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Wasser | Luft | ||||||||||||
1850 | 9 | 12 | 4 | 9 | 9 | 9 | 12 | 9 | Länge | Breite | Wind | Hygrom. | Als Mittel der Temperatur des Wassers im Hafen von Callao. |
März 15 | 756.3 | 756.3 | 756.0 | 756.3 | 16.1 | 18.3 | 19.1 | 18.0 | 77°16 | 12°06 | S.O. | 49 | + 14.3 R. |
" 16 | 757.0 | 756.0 | 754.8 | 756.0 | 18.8 | 20.3 | 21.0 | 19.5 | 78°34 | 12°48 | S.O. | 50 | Schwacher Wind. Bewölkt. Regen. |
" 17 | 756.5 | 756.3 | 755.0 | 756.1 | 19.8 | 19.8 | 20.2 | 19.3 | 80° 7 | 13°56 | S.O. | 51 | Regen. |
" 18 | 756.4 | 755.8 | 754.8 | 755.8 | 19.8 | 19.6 | 20.4 | – | 81°41 | 15°30 | S.O. | 50 | Bewölkt. |
" 19 | 757.5 | 757.3 | 755.9 | 758.0 | 18.4 | 18.5 | 18.0 | 17.7 | – | – | S.O. Still |
52 | Des Nachts und den ganzen Tag über Regen. |
" 20 | 758.0 | 757.8 | 756.6 | 758.0 | 18.5 | 18.0 | 19.1 | 17.4 | – | 18°13 | S.O. | 55 | Trübe. Neblig |
" 21 | 758.3 | 758.0 | 757.1 | 757.8 | 18.2 | 18.4 | 18.8 | 17.0 | 86°27 | 19°39 | S.O. Still |
58 | Bewölkt. Böig. Wind oft entspringend. Still. |
" 22 | 757.5 | 757.0 | 756.2 | 757.4 | 17.8 | 17.5 | 18.3 | 17.3 | 88°23 | 21° 3 | S.O. | 60 | Regen. Böig. Heiter. |
" 23 | 757.5 | 756.5 | 756.0 | 757.5 | 18.0 | 18.0 | 18.6 | – | 91° 7 | 22° 5 | S.O. | 62 | Heiter. Bewölkt. |
" 24 | 757.5 | 757.4 | 756.5 | 758.1 | 18.3 | 18.0 | 18.8 | 18.1 | 90°34 | 22°55 | S.O. | 54 | Heiter. Still. |
" 25 | 760.0 | 760.0 | 759.0 | 760.9 | 18.3 | 16.6 | 19.3 | 18.2 | – | 23°23 | S.O. Still |
38 | Schwacher Wind. Still. Bewölkt. |
" 26 | 762.1 | 762.0 | 761.0 | 760.9 | 18.8 | 18.8 | 19.4 | 18.0 | – | 24°25 | S.O. | 36 | Heiter. |
" 27 | 761.5 | 761.0 | 760.0 | 760.0 | 18.9 | 18.9 | 20.0 | 18.1 | 93°24 | 25°11 | S.O. Still |
30 | Heiter. Still. |
" 28 | 760.3 | 759.9 | 759.7 | 760.0 | 18.9 | 19.1 | 20.1 | 18.3 | 93°26 | 25°22 | S.O. Still |
32 | Heiter. Still. |
" 29 | 763.0 | 762.9 | 762.9 | 763.9 | 19.2 | 20.1 | 19.0 | 17.8 | 93°32 | 25°47 | Still | 32 | Heiter. Still. |
" 30 | 766.2 | 765.5 | 765.5 | 766.4 | 19.2 | 19.5 | 19.4 | 18.1 | 93°40 | 27° 6 | S.O.O. | 42 | Bewölkt. Böig. Regen. |
" 31 | 766.7 | 766.4 | 766.0 | 765.0 | 19.1 | 18.8 | 18.8 | 17.9 | 94°43 | 28°48 | S.O.O. | 40 | Heiter. |
April 1 | 763.6 | 762.5 | 761.3 | 761.2 | 19.2 | 17.8 | 21.0 | 18.0 | 94°43 | 29°46 | O. | 34 | Heiter. Bewölkt. |
" 2 | 758.0 | 756.3 | 754.5 | 753.5 | 18.8 | 18.0 | 19.1 | 17.0 | 94°44 | 31°15 | S. | 38 | Bewölkt. |
" 3 | 754.3 | 755.2 | 756.0 | 758.0 | 17.5 | 16.8 | 16.5 | 15.0 | 93° 7 | 33°49 | S. | 41 | Regen. |
" 4 | 759.0 | 759.0 | 758.1 | 756.8 | 17.9 | 17.0 | 17.5 | 16.2 | 91°42 | 34°12 | S. S.O. |
32 | Stürmisches Wetter. |
" 5 | 754.4 | 753.0 | 753.0 | 753.0 | 16.9 | 16.0 | 16.1 | – | 91°38 | 35°39 | N.W. | 42 | Etwas ruhiges Wetter. Starke Dinnung. Abend stürmisch. |
" 6 | 751.5 | 753.4 | 755.5 | 759.0 | 15.2 | 13.2 | 13.0 | – | 90°59 | 37° 4 | S.O. S. |
42 | Fliegender Sturm |
" 7 | 761.8 | 760.3 | 758.0 | 756.5 | 13.8 | 12.0 | 12.5 | 11.1 | 89°49 | 38°45 | S.W. | 38 | Etwas ruhiger. Starke Dinnung[70]. |
" 8 | 753.0 | 753.0 | 755.3 | 760.0 | 11.5 | 9.2 | 9.2 | 8.2 | 89° 6 | 41° 1 | S.W. | 48 | Fliegender Sturm. |
" 9 | 764.5 | 766.0 | 766.0 | 767.0 | 11.0 | 9.8 | 10.4 | 8.8 | 87°46 | 41°15 | S.W. | 39 | Etwas ruhiger. |
" 10 | 767.8 | 766.2 | 765.0 | 764.0 | 10.6 | 10.0 | 10.4 | 8.7 | 87° 1 | 42°45 | S.W. | 44 | Heiter. |
" 11 | 755.3 | 753.0 | 751.5 | 751.5 | 10.5 | 9.0 | 9.0 | 8.5 | 87° 1 | 44°49 | S.W. | 43 | Regen. |
" 12 | 749.5 | 748.2 | 747.0 | 747.5 | 8.5 | 8.0 | 8.6 | 7.9 | 85°28 | 46°13 | N.W. | 43 | Bewölkt. |
" 13 | 743.0 | 742.5 | 741.5 | 740.0 | 7.0 | 7.8 | 8.5 | 6.2 | 83°48 | 48°54 | S.W. | 48 | Heiter. |
" 14 | 739.0 | 740.0 | 740.3 | 742.0 | 6.5 | 5.5 | 6.5 | 5.0 | 82° 4 | 51°48 | W.S.W. | 45 | Früh Regen. Nachmittags heiter. |
" 15 | 748.5 | 750.4 | 752.0 | 753.0 | 6.0 | 5.0 | 5.8 | 4.0 | 80° 0 | 53°13 | W. N.W. |
38 | Hagel. Regen. |
" 16 | 753.3 | 753.0 | 752.5 | 751.0 | 6.0 | 5.9 | 6.1 | 6.4 | 76°45 | 54°41 | W. N.W. |
45 | Trübe. |
" 17 | 743.4 | 742.2 | 742.4 | 743.0 | 5.5 | 5.8 | 6.5 | – | 72°56 | 56°20 | N. N.O. |
55 | Regen. Stürmisch. Hagel. |
" 18 | 749.2 | 751.2 | 753.1 | 758.2 | 5.8 | 6.0 | 6.9 | 6.0 | 68°47 | 56°32 | N.O. | 58 | Nebel. Regen. Insel Diego Ramirez in Sicht. |
" 19 | 760.5 | 760.5 | 760.5 | 760.5 | 7.0 | 7.5 | 7.0 | 6.1 | 65° 0 | 55°38 | W. S.W. |
51 | Vormittags still. Sonne. |
" 20 | 759.5 | 758.4 | 758.4 | 758.4 | 4.7 | 4.6 | 5.0 | 5.0 | 60°41 | 55°20 | N. N.W. |
59 | Stürmisch. Regen. |
" 21 | 757.5 | 756.5 | 756.2 | 756.8 | 5.3 | 5.4 | 5.8 | 5.0 | 57°49 | 54°26 | N.W. | 58 | Sehr stürmisch. Sehr hohe See u. desgl. |
" 22 | 755.8 | 755.3 | 755.2 | 755.6 | 4.9 | 5.8 | 5.8 | – | 54°15 | 52°55 | N.W. | 59 | Desgl. |
" 23 | 755.6 | 755.1 | 755.8 | 755.8 | 4.3 | 5.6 | 7.2 | 6.3 | 49°35 | 51°49 | N.W. | 60 | Desgl. |
" 24 | 757.3 | 757.6 | 759.0 | 761.0 | 5.8 | 5.4 | 5.5 | 5.2 | 45°36 | 49°59 | N. N.W. |
64 | Ruhiger Nebel. Bei Nacht heiter. |
" 25 | 760.0 | 758.9 | 757.8 | 757.8 | 6.4 | 6.0 | 6.3 | 6.1 | 44°13 | 49° 9 | S.W. N.W. |
79 | Nebel Die Nacht heiter. |
" 26 | 758.0 | 756.3 | 755.5 | 750.0 | 7.1 | 8.1 | 9.0 | 8.2 | 40°36 | 47°35 | N.W. | 101 | Nebel. Stark stürmisch. |
" 27 | 753.5 | 754.8 | 755.5 | 758.5 | 8.8 | 8.8 | 9.0 | 8.7 | 41°35 | 45°29 | N.W. | 79 | Früh hohe See, ziehende Wolken. Sonne. Ruhiger. |
" 28 | 762.6 | 763.2 | 763.6 | 764.0 | 9.9 | 9.0 | 9.8 | 9.8 | 40°13 | 43°32 | S.W. | 61 | Heiter. |
" 29 | 765.2 | 764.0 | 763.5 | 763.5 | 9.9 | 10.1 | 11.1 | 10.9 | 34° 9 | 42°11 | N.O. | 74 | Heiter. Stiller Wind. |
" 30 | 760.8 | 759.5 | 757.6 | 741.6 | 11.8 | 12.5 | 12.0 | 11.7 | 30°28 | 41°36 | O.N.O. | 77 | Trübe. Abend Regen. Starker Wind. Stürmisch. |
Mai 1 | 754.5 | 757.2 | 758.0 | 758.0 | 12.2 | 12.1 | 12.1 | 12.1 | 28°12 | 40°30 | N.N.O. S.W. |
77 | Schwacher Wind. Heiter. Still. |
" 2 | 758.5 | 756.8 | 756.6 | 758.4 | 13.4 | 11.8 | 14.0 | 13.5 | 27°47 | 39°46 | Still S.W. |
66 | Still. Heiter. Wind. Regen. |
" 3 | 761.0 | 760.5 | 761.5 | 763.4 | 13.4 | 13.0 | 13.9 | 13.0 | 31°21 | 37°49 | S.W. | 66 | Heiter. Wind. |
" 4 | 764.0 | 763.4 | 762.0 | 762.0 | 14.2 | 15.5 | 14.5 | 14.2 | 29°24 | 36°17 | W.N.W. | 71 | Heiter. Bewölkt. Wind. Abend Regen. |
" 5 | 755.5 | 753.0 | 754.0 | 756.8 | 14.8 | 14.9 | 15.9 | 15.0 | 28°46 | 36° 6 | N.O. | 94 | Regen, Stärkerer Wind. |
" 6 | 760.0 | 760.5 | 760.0 | 760.0 | 14.5 | 15.1 | 16.0 | 16.0 | 28°27 | 34°44 | N. N.W. |
88 | Still. Heiter. Neblig. |
" 7 | 758.3 | 757.5 | 755.0 | 758.0 | 15.4 | 16.3 | 16.4 | 16.1 | 25°36 | 34° 5 | N.O. | 100 | Neblig. Trübe. Wind. Regen. Sturm. |
" 8 | 757.9 | 758.5 | 759.0 | 761.2 | 15.4 | 15.8 | 15.2 | 15.0 | 25° 6 | 33°41 | N.O. N.W. |
98 | Schwacher Wind. Nebel. Regen. |
" 9 | 764.5 | 765.5 | 766.3 | 768.8 | 15.6 | 15.0 | 15.1 | – | 28°22 | 32°21 | Still NWSW. |
62 | Heiter. |
" 10 | 769.0 | 767.6 | 767.5 | 768.1 | 17.8 | 16.0 | 16.8 | 16.9 | 28°54 | 29°39 | S.S.O. | 55 | Trübe. |
" 11 | 767.2 | 766.0 | 764.5 | 765.0 | 18.7 | 18.1 | 18.3 | 18.5 | 29° 2 | 26°39 | O. | 83 | Vorübergehn. Regenschauer. Heiter. Regen. |
" 12 | 764.3 | 762.5 | 762.3 | 763.0 | 19.5 | 19.1 | 19.5 | 19.0 | 29°27 | 23°45 | O. | 70 | Einzelne Wolken. Heiter. |
" 13 | 762.0 | 761.0 | 761.0 | 761.8 | 19.5 | 19.8 | 19.5 | – | 30° 5 | 21°00 | O. | 69 | Einzelne Wolken. Nachts Bö. (Der Klüver brach.) |
" 14 | 762.0 | 761.0 | 760.0 | 760.9 | 20.4 | 20.8 | 20.0 | 20.3 | 30° 7 | 18°00 | O. | 70 | Einzelne Wolken. Bö. Regenschauer. |
" 15 | 760.1 | 759.2 | 758.5 | 759.5 | 20.9 | 21.0 | 21.0 | 20.7 | 30°50 | 14°55 | O. | 65 | Windig. Heiter. |
" 16 | 759.0 | 758.3 | 757.0 | 758.5 | 22.0 | 22.0 | 22.4 | 21.2 | 30°47 | 12° 6 | O. | 54 | Heiter. |
" 17 | 757.5 | 756.4 | 755.0 | 756.0 | 22.1 | 22.4 | 22.4 | 21.8 | 31° 1 | 9°15 | O. | 57 | Heiter. Bewölkt. Regen. |
" 18 | 755.5 | 750.0 | 754.0 | 755.0 | 22.3 | 22.8 | 22.4 | 22.0 | 31° 6 | 6°25 | O. S.O. |
51 | Wenige Wolken, oben dunstig. Bö. |
" 19 | 756.0 | 756.0 | 755.3 | 756.0 | 22.2 | 21.5 | 20.9 | 21.3 | 31° 8 | 4°17 | O.S.O. | 89 | Regen. Heiter. |
" 20 | 757.5 | 756.0 | 755.5 | 755.5 | 22.2 | 22.8 | 23.1 | 22.9 | 52° 8 | 3°40 | Still N.O. |
50 | Heiter. Abend Regen. |
" 21 | 757.0 | 756.5 | 756.0 | 756.0 | 22.2 | 23.0 | 22.5 | 22.5 | 33°10 | 2°49 | O.N.O. | 40 | Heiter. Gegen Abend wenig Regen. |
" 22 | 756.5 | 755.2 | 755.0 | 756.0 | 22.2 | 22.8 | 22.5 | 22.5 | 32°20 | 0°47 | S.O. O. |
60 | Heiter. Nachts bewölkt. Passieren der Linie. |
" 23 | 757.0 | 756.5 | 755.0 | 757.8 | 22.6 | 23.5 | 23.1 | 22.8 | 32°50 | 0°42 | O. | 57 | Heiter. Schwach bewölkt. Nachts Bö. Regen. |
" 24 | 758.0 | 757.2 | 756.2 | 757.5 | 22.6 | 23.2 | 22.8 | 22.5 | 32°33 | 1°36 | Still O. |
51 | Heiter. Schwach bewölkt. |
" 25 | 757.5 | 757.0 | 756.0 | 757.2 | 23.0 | 23.2 | 24.0 | 23.1 | 32°48 | 3° 5 | O. O.N.O. |
44 | Heiter. Schwach bewölkt. Bö. Regen. |
" 26 | 758.8 | 758.5 | 758.3 | 758.9 | 23.0 | 22.5 | 22.3 | 22.1 | 32°59 | 4°41 | O. | 55 | Regen. Etwas helle. Bö. Regen. |
" 27 | 758.8 | 758.5 | 758.0 | 758.5 | 23.0 | 22.0 | 20.0 | 21.6 | 32°48 | 6° 6 | O. | 68 | Bewölkt. Keine Sonne. Starker Regen. |
" 28 | 758.8 | 757.8 | 757.0 | 759.1 | 22.5 | 25.0 | 24.1 | 24.0 | 32°48 | 6°20 | Still | 60 | Abwechselnd heiter und Regen. Abend starke Bö. |
" 29 | 758.0 | 758.0 | 756.5 | 758.0 | 22.5 | 22.9 | 23.1 | 22.8 | 33°40 | 7°40 | O. | 60 | Bewölkt. Bö. |
" 30 | 757.7 | 757.5 | 756.5 | 758.0 | 22.1 | 22.3 | 23.0 | 21.9 | 35°14 | 9°31 | N.O. | 49 | Ziemlich bewölkt, doch hie und da Sonne. |
" 31 | 758.1 | 758.0 | 757.0 | 758.2 | 21.7 | 21.8 | 22.0 | 21.0 | 36°39 | 11°44 | O. N.O. |
56 | Ziemlich bewölkt, doch hie u. da d. Sonne. Nächte hell. |
Juni 1 | 758.5 | 758.5 | 758.0 | 758.2 | 21.1 | 21.1 | 22.1 | 20.2 | 37°55 | 13°46 | N.O. | 52 | Heiter. Schwach bewölkt. |
" 2 | 759.5 | 759.8 | 758.9 | 759.2 | 21.0 | 21.5 | 21.6 | 20.0 | 37°20 | 15°56 | O. N.O. |
45 | Heiter. |
" 3 | 761.2 | 761.0 | 760.5 | 761.7 | 20.3 | 20.8 | 21.1 | 20.2 | 39°35 | 18°28 | O. | 50 | Schwach bewölkt. |
" 4 | 763.2 | 763.1 | 763.1 | 763.5 | 20.2 | 20.0 | 20.1 | – | 40°44 | 20°54 | O. N.O. |
53 | Bewölkt. Bö. |
" 5 | 764.0 | 764.0 | 763.1 | 764.0 | 19.1 | 18.0 | 19.1 | 18.8 | 42° 2 | 23° 1 | O. | 29 | Bewölkt. Keine Sonne. Bö. Heiter. |
" 6 | 764.2 | 764.2 | 764.0 | 765.0 | 18.5 | 18.5 | 18.5 | 18.0 | 41°14 | 24°56 | N.O. | 22 | Heiter. Ganz bewölkt. |
" 7 | 765.8 | 765.5 | 765.2 | 766.0 | 18.2 | 18.4 | 18.5 | 18.0 | 44°13 | 27°17 | O. N.O. |
6 | Heiter. Schwach bewölkt. |
" 8 | 767.0 | 767.2 | 766.2 | 767.0 | 17.8 | 17.7 | 18.8 | 18.3 | 44°57 | 28°51 | O. N.O. |
34 | Heiter. Regen. Heiter. |
" 9 | 768.1 | 768.5 | 767.3 | 768.0 | 18.0 | 18.9 | 18.5 | 18.0 | 45°33 | 30°00 | O. N.O. |
22 | Heiter. |
" 10 | 768.5 | 769.0 | 768.5 | 769.0 | 18.0 | 18.5 | 19.0 | 18.2 | 45°17 | 31°35 | Still O. |
16 | Sonne hoch. |
" 11 | 769.8 | 770.1 | 760.0 | 760.5 | 17.8 | 18.9 | 20.0 | 20.0 | 44°24 | 32°36 | S.O. | 12 | Heiter. Kaum einzelne Wolken |
" 12 | 771.5 | 771.5 | 771.5 | 772.0 | 17.8 | 19.1 | 20.2 | 19.7 | 43°24 | 34° 2 | Still S.O. |
2 | Heiter. Still. |
" 13 | 773.5 | 773.5 | 773.5 | 773.8 | 17.8 | 19.3 | 20.5 | 19.8 | 42°37 | 35°24 | Still S.O. |
7 | Heiter. Still. |
" 14 | 774.0 | 774.0 | 773.6 | 773.0 | 18.0 | 20.0 | 20.4 | 19.2 | 40°41 | 36° 8 | S.O. | – | Heiter. Einzelne Gewitterwolken. Eine Wasserhose. |
" 15 | 772.5 | 772.5 | 771.5 | 771.0 | 18.0 | 19.9 | 20.6 | 19.0 | 42°18 | 37°17 | Still S.O. |
10 | Heiter. |
" 16 | 770.5 | 770.0 | 769.2 | 769.0 | 17.6 | 20.0 | 18.9 | 18.0 | 40°58 | 38°11 | Still S. |
12 | Heiter. |
" 17 | 768.1 | 767.3 | 767.0 | 766.3 | 17.8 | 20.0 | 20.3 | 19.1 | 39°13 | 39°21 | S.S.W. | 14 | Heiter, doch schwach bewölkt. Mit Barom.-Fall: mehr Wind. |
" 18 | 765.0 | 764.0 | 763.8 | 763.5 | 16.6 | 19.1 | 17.9 | 17.0 | 36°28 | 41°18 | S.W. | 16 | Bewölkt. Abend Bö. Starker Regen |
" 19 | 765.2 | 765.0 | 765.0 | 765.0 | 15.3 | 14.1 | 15.1 | – | 34°10 | 42°16 | S.W. N. |
20 | Heiter, doch schwach bewölkt. Still. |
" 20 | 765.0 | 765.0 | 764.5 | 764.8 | 16.0 | 15.0 | 19.0 | 18.2 | 33°42 | 42°33 | N.O. Still |
3 | Heiter, kaum bewölkt. |
" 21 | 764.9 | 765.0 | 765.0 | 765.0 | 15.3 | 16.3 | 18.5 | 16.3 | 32°48 | 43° 6 | Still SWSO. |
5 | Desgl. |
" 22 | 765.5 | 765.8 | 766.0 | 766.0 | 14.9 | 17.4 | 18.0 | 14.8 | 30°29 | 44°15 | S. | 10 | Heiter, schwach bewölkt. Abend starker Thau 99 + 100 |
" 23 | 766.3 | 766.5 | 766.5 | 767.0 | 13.8 | 15.5 | 17.0 | 14.9 | 27°45 | 45° 4 | S.W. | 40 | Nebel. Keine Sonne. |
" 24 | 767.2 | 767.0 | 767.0 | 766.5 | 14.2 | 15.8 | 15.0 | 14.2 | 25°34 | 45°50 | S.W.W. S.O. |
59 | Heiter. Still. Abend Nebel. |
" 25 | 766.0 | 765.8 | 765.8 | 766.0 | 13.8 | 14.2 | 14.1 | 14.0 | 25°43 | 47° 1 | O. | 50 | Bewölkt. Trübe. Keine Sonne. |
" 26 | 765.5 | 765.2 | 765.2 | 765.0 | 13.5 | 13.0 | 13.1 | 13.0 | 25°20 | 47°23 | O. | 47 | Trübe. Neblig. |
" 27 | 765.0 | 765.0 | 765.0 | 764.8 | 13.5 | 13.4 | 13.3 | 12.5 | 22°59 | 46°49 | O.N.O. | 43 | Trübe. |
" 28 | 765.0 | 765.0 | 765.0 | 765.1 | 12.8 | 11.8 | 11.8 | 11.0 | 20°30 | 46°43 | S.O. | 42 | Bewölkt. Böig. |
" 29 | 765.1 | 765.0 | 765.0 | 764.8 | 12.7 | 13.7 | 13.8 | 12.2 | 17°30 | 46°54 | S.O.O. | Bewölkt, hie und da Sonne. | |
" 30 | 764.5 | 764.5 | 764.5 | 763.2 | 12.5 | 13.8 | 14.2 | 13.7 | 15° 7 | 47°56 | N.N.W. W. |
Heiter, hie und da bewölkt. Regen. |
[28] Pteroptochos megapodius und P. albicollis.
[29] Vielleicht ist manchem in Chile Reisenden aufgefallen, daß alle Zweige, welche auf solche Art zum Decken von Hütten oder Aehnlichem verwendet werden, halb verbrannt sind, ohne daß er den Grund davon erfahren hat. Ich habe erst in Valdivia vernommen, daß häufig in den Zweigen sich eine Art Blutegel aufhalten soll, welcher Thiere und Menschen belästigt, und welchen man dadurch entfernt, daß man die Zweige kurze Zeit über Feuer hält. Trotz aller Mühe habe ich nie das Thier, welches wohl kaum ein Blutegel ist, erhalten können.
[30] Um Carlos und dem wackern Jose Maria nicht Unrecht zu thun, mag bemerkt werden, daß, auch entfernt von jener Hütte, und auf der ganzen Reise, sich beide stets fleißig, willig und zuvorkommend in allen Diensten benahmen, und vor allem ehrlich und uneigennützig waren. Der chilenische Diener ist für eine solche Excursion vortrefflich, wie überhaupt in Allem, wo ein wenig Abenteuerlichkeit mit unterläuft.
[31] Auf der Straße nach Mendoza, mehrfach besucht von Reisenden, ist es Gesetz, daß jedes Maulthier eine Glocke trägt, um sich an gefährlichen Stellen gegenseitig zu hören und vorher ausweichen zu können. Aus dem eben angegebenen Grunde, der Seltenheit des Begegnens halber, hält man es indessen an dieser Stelle des Gebirges für unnöthig, die Maulthiere mit Glocken zu versehen.
[32] Dicerea nivalis. Sturm.
[33] Man hat in neuerer Zeit das Chloroform gegen die Seekrankheit empfohlen. Längere Zeit schon vor meiner Abreise aus Deutschland, sowohl mit den Einwirkungen des Schwefeläthers, als auch des Chloroforms auf den Organismus beschäftigt, habe ich bereits auf der Ueberfahrt nach Chile im Jahr 1849 mehrfache Versuche in dieser Beziehung angestellt, aber leider alle erfolglos. Ich habe Chloroform innerlich, mit Wasser von fünf bis zu zehn Tropfen gegeben, ich habe es einathmen lassen und sowohl örtliche Einreibungen in der Magengegend machen, als auch Flanellstücke, mit Chloroform befeuchtet, tragen lassen, aber alles umsonst. Natürlich fühlt der in Narkose Liegende nichts von der Seekrankheit, aber sobald die durch Aether oder Chloroform erzeugte Betäubung verschwunden ist, kehrt auch der beschwerliche Gast wieder.
[34] Wohl Balistes vetula.
[35] Bald wird ihn die Axt besiegen; nach Briefen, die ich seither erhalte, erstehen allenthalben in der Bai deutsche Ansiedelungen.
[36]
Enicognathus leptorhynchus, Gray.
Psittacus rectirostris, King.
[37]
Hymenophyllum Bibraianum. J. W. Sturm und
Blechnum acumiratum. J. W. Sturm.
[38] Wir hatten verschiedenen Schiffsbedarf von der Victoria geholt und die Zollbedienten waren fünf Minuten später an Bord, um Alles wieder zu confisciren, und überdem sollten wir Strafe zahlen. Es stellte sich später heraus, daß wir nicht im Unrecht waren, wir erhielten das Vorzüglichste jener Gegenstände wieder, und es mag sich vielleicht getroffen haben, daß ich einigen Theil an dieser günstigen Wendung der Angelegenheit nahm. Das Wie indessen ist zu umständlich, um hier näher entwickelt werden zu können.
[39] Cuncos-Indianer werden die Indianer genannt, welche in Valdivia unter den Chilenen leben. Sie nähren sich, wie man zu sagen pflegt, friedlich, und sind selbst halb und halb Christen, wenigstens vorläufig getauft.
[40] Es wird in Araukanien noch die ältere Sprache des Landes gesprochen, welche früher in ganz Chile allgemein war, gegenwärtig aber durch das Spanische vollkommen verdrängt ist, und weiter gegen den Norden, über Conception hinaus, nicht mehr gehört wird.
[41] Eine Prenda ist eine Kuh, ein Pferd, ein Poncho, ein Paar Sporen oder auch mehrere dieser Gegenstände zusammen. Es giebt große und kleine Prendas und bei einem Handel wird vorher bestimmt, aus was die Prenda besteht.
[42] Wahrscheinlich eine glühende Lava-Masse, von einem der Vulkane mit großer Heftigkeit ausgeschleudert.
[43] Es ist mir blos eine Erscheinung bekannt, welche Breislak in seinem Lehrbuche der Geologie anführt, und nach welcher Gimbernat im Jahre 1820 im Februar eine hellleuchtende, dem Nordlichte ähnliche Erscheinung des Vesuvs beobachtete.
[44] Cobija liegt unter 22° 16' südl. Breite.
[45] Nach genauen, von Engländern vorgenommenen Messungen, liegt die Bai unter 22° 6' südliche Breite und 70° 6' 20" westlicher Länge (Greenwich). Die Variation der Nadel ist 11° 45' westlich.
[46] Diese von mir mit nach Europa gebrachten Arten sind:
Achetorhynchus ruficans, Meyen. (Cinclodes? ruficandus. Gray genera of Birds.)
Opetiorhynchus canceolatus Gould. (Die Species wurde von Gray mit Cinclodis vereint.)
Muscicapa: Subgenus Onychopentus gilviceps. Reichenbach. Bildet die zweite der von Reichenbach aufgestellten Gattung.
Synallaxis melanopus. Gray. (Escapullaris chorreada Dorwin, Synallaxis dorsomaculata D'Orbigny.)
Von Seevögeln brachte ich mit: Larus glaucodes, Meyen. Phalacrocorax Gaimardii, Garnet. Phalacoran graulis, Meyen, diese Art aber nur selten. Dann Dyomedea fuliginosa. Gmel. Es hat die geringe Menge dieser ornithologischen Fauna erlaubt sie hier aufzuzählen, was bei der reichlichen Fauna in Chile nicht geschehen konnte und ich glaubte, dieß um so eher thun zu müssen, da die Algodonbai meines Wissens noch nicht naturhistorisch geschildert wurde.
[47] Die von mir aus jener Oase mitgebrachten Pflanzen, größtentheils schwierig bestimmbar, gehörten den Gattungen Cassia in mehreren Spezies an, den Cestrum, Convolvulus, Fabiana und mehreren Rubiaceen.
[48] Es kann Seewasser in kleinen Quantitäten wohl getrunken werden und verursacht keineswegs den argen Durst und die Uebligkeiten, von welchen man fabelt. Schon auf der Reform hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, täglich ein mäßiges Glas Seewasser zu trinken, und habe mich gut dabei befunden, obgleich Matrosen und Passagiere mir anfänglich das Schlimmste prophezeihten. Das Seewasser hat den Geschmack und die Wirkung des Bitterwassers, und namentlich hat dieser letzte Effekt auf See seine besondere Annehmlichkeit. Ich glaube, daß man sich mehrere Tage mit Seewasser nothdürftig erhalten, und dem Organismus die nöthige Menge Wasser zuführen kann, und daß das Vorurtheil gegen dessen Genuß vorzugsweise von dem Uebermaße herrührt, mit welchem es genossen wurde, nachdem man lange gegen den Durst angekämpft hatte, in welchem Falle freilich Kolik und Erbrechen die Folge sein werden.
[49] Sie bringen meist Spirituosen, deren Einfuhr, des Mißbrauchs halber, der damit getrieben wird, verboten ist.
[50] Streng geschieden ist bekanntlich diese Form von jener, welche der Typus der in altperuanischen Gräbern gefundenen Gefäße bildet. Während die hier zu Tage gebrachten die in Chile noch heute gebräuchlichen, und die in alten Gräbern bei uns sich findenden, einfache, ja oft edle Formen zeigen, sind jene aus altperuanischen Gräbern meist Nachbildungen von Menschen und Thierformen, von Früchten u. dergl., und auch das Material scheint ein verschiedenes zu sein, indem bei den peruanischen ein feiner Thon angewendet wurde.
[51] Die einzigen Säugethiere, welche noch heute in der Bai gefunden werden, sind eben dieses Chinchilla (Eriomys chinchilla), ein Nagethier, etwas kleiner als ein Kaninchen, dessen Pelzwerk häufig nach Europa gebracht wird und welches auch in Chile häufig vorkommt. Ich habe in der Algodon-Bai sieben lebende Exemplare bekommen, von welchen ich aber blos ein einziges lebend mit nach Europa brachte, da diese Thiere die Gefangenschaft durchaus nicht ertragen können. Ich ließ das letzte endlich frei auf dem Schiffe umherlaufen, wo es, trotzdem daß es durch Benagen aller Gegenstände sich ziemlich unnütz machte, doch geduldet und zuletzt zahm, ja zudringlich wurde. – Das andere Säugethier ist das ebenfalls in Chile vorkommende Guanaco, von welchem bereits gesprochen wurde.
[52] Siehe die Tafeln zu Seite 311, 314, 316, 318 und 353, so wie das Titelkupfer.
[53] The History of the Aztec-Liliputians lautet der kürzere Titel des Umschlags, London: printed by R. S. Francis, Chaterine VI. strand. 1853.
[54] Kaum begreift man, befindet man sich in einem solchen Boote, wie rasch man emporgehoben wird, während man noch einen Augenblick vorher sich scheinbar in der Gefahr befunden hat, von der anstürmenden Welle begraben zu werden. Dieses leise Emporheben aber wird dadurch erklärt, daß die mauerartig uns entgegentretende Welle in der That nicht eine Wassermasse ist, welche wirklich, wie es den Anschein hat, von der See gegen das Land zu mit der heftigsten Schnelle sich fortbewegt, sondern daß jene Fluthenmauern nur erzeugt werden durch eine sich rasch fortpflanzende Erhebung eines Theils des Wassers. Man mag sich dieß versinnlichen, wenn man ein Stück Linnen auf eine ebene Fläche legt, und mit einem Stabe das Linnen einige Zoll hebt, und rasch, stets hebend, unter demselben hinwegfährt. Auch hier scheint sich der gehobene Theil der Leinwand rasch fortzubewegen. Aber ein kleines Papierstück, welches man auf die Fläche gelegt hat, wird nicht fortgeschoben, sondern blos aufgehoben, so daß dessen Bewegung im Sinne der Fortbewegung des Stabes nur langsam, und durch öftere Wiederholung des Versuches gelingt. Auf ähnliche Weise wird ein Boot oder irgend ein anderer leichter Gegenstand auf der See nur emporgehoben und nicht mit fortgeschleudert, wenn gleich durch öftere Wiederholung jenes Emporhebens ein allmäliges Fortbewegen stattfindet.
[55] Spätere Untersuchung in Valparaiso, durch eigene, hiezu bestimmte Leute, um den durchschnittlichen Werth der Erze zu ermitteln.
[56] Das Bartholomäus- und Amancas-Gebirge.
[57] Man bringt das Eis von der etwa 20 Stunden weit entfernten Cordillera, indem man es dort zwischen trockenen Pferdemist packt, Maulthiere damit beladet und des Nachts im Galopp, und mit stationsweise stets erneuten Maulthieren in einigen Stunden Lima erreicht.
[58] Gymnogramme trifoliata, Desveux. Aspidum patens, Swartz, und Equisetum Bogatense. H. B. K.
[59] Ein guter Wind wird von den deutschen Seeleuten häufig eine gute Gelegenheit genannt.
[60] Ich lasse am Schlusse diese Tabellen ausführlich folgen, da sie vielleicht nicht ganz ohne Nutzen, wenn gleich nur von einem »organischen Chemiker« beobachtet sind.
[61] Phaeton aethereus.
[62] Liebig und Wöhler, Annalen der Chemie. N. R. B. I. Seite 90.
[63] Ich sage nicht Röhrenquallen, weil ich nicht weiß, ob diese von mir gefundenen Individuen, welche die Form einer Röhre haben, wirklich zu der Ordnung gehören, welche man Röhrenquallen nennt.
[64] Die Forschungen, welche in neuerer Zeit über den Generationswechsel angestellt worden sind, verdienen im höchsten Grade die Aufmerksamkeit eines jeden Laien, welcher auf Bildung Anspruch macht. Die Entdeckungen von Joh. Müller, v. Stein, v. Siebold, Braun, Cohn und vielen Anderen gehören zu den interessantesten Erfahrungen, welche, basirt schon vor Jahren, jetzt volle Geltung erhalten haben. Ich habe mich auf See und namentlich unter den Tropen, umgeben von jener so vielfältig und wunderlich gestalteten Thierwelt, nicht von dem Gedanken trennen können, daß unter günstigen Verhältnissen die Entwickelung eines Individuum eine ganz andere ist, als die des gleichen Individuum unter ungünstigen, und habe mir dort die erste Entstehung der Thierwelt auf ähnliche Weise gedacht. Es ist sehr richtig, daß dieser Gedanke fast an eine naturphilosophische Theorie grenzt. Aber, stimmt er auch nicht genau mit den Ansichten, welche die verschiedenen Forscher über ihre hieher gehörigen Entdeckungen hegen und mit den Formen, in welche dieselben gebracht worden sind, so hat sich doch aus diesen Forschungen das Resultat ergeben, daß aus einem Thiere im günstigen Falle sich ein Individuum entwickelt, welches höher organisirt ist. So z. B. aus einer Holothurie, eine Schnecke. Ich mache in diesem Betreffe auf eine kurze und sehr bezeichnende Abhandlung aufmerksam, welche in der Schrift: »Aus der Natur« etc. Leipzig, Abel. l852. Bd. I S. 224, erschienen ist und welche sicher Jeden befriedigen wird, der eine Uebersicht über diese merkwürdigen Erscheinungen zu erhalten wünscht.
[65] Coryphaena hippurus, von den Seeleute gewöhnlich Delphin genannt.
[66] Infusorienfreunde sind nicht ausgeschlossen, denn, wer weiß, vielleicht mögen diese gegenwärtigen schönrunden Zellen in einiger Zeit doch wieder einigermaßen zu infusorie – Ehren kommen. Das Glück ist veränderlich!
[67] Helix janthia
[68] Dunkle Strahlen. Ich weiß keinen anderen Ausdruck. Sie waren farblos und dunkler als die Wolkenschicht, auf welcher sie sichtbar wurden, ähnlich einer Kreidezeichnung auf hellem Papier.
[69] Das Schiff ist später gescheitert, doch die Männer wurden gerettet. Ein Bericht aus Hamburg, 15. December 1853 in der Weserzeitung Nr. 3122, meldete ganz kurz: ... »Die dem Hause J. C. Godeffroy und Sohn gehörige Bark »Dockenhuden« (Capitain Meyer) gieng auf der Fahrt von Melbourne nach Batavia am Catariff verloren. Der Capitain und die ganze Mannschaft wurden gerettet. Passagiere waren nicht an Bord.« –
[70] Von etwa 30° Breite an stets starke Dinnung bis auf gleiche Breite auf der anderen Seite im atlantischen Ocean.
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Änderungen
Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text
Seite 23
und rohem Charque bestehendes Abendbrod eigenommen
und rohem Charque bestehendes Abendbrod eingenommen
Seite 25
zum Aufhängen der Instrumente, des Barometes, Thermometers und
zum Aufhängen der Instrumente, des Barometers, Thermometers und
Seite 26
Man wartet, um von oden herab
Man wartet, um von oben herab
Seite 36
die Eingeweide eines getödten Thieres an irgend einer Stelle
die Eingeweide eines getödteten Thieres an irgend einer Stelle
Seite 49
mit zwei oder drei weit teren Sätzen über den Schnee
mit zwei oder drei weiteren Sätzen über den Schnee
Seite 50
sämmtlich später als Novitäten bezeichnet wurdeu.
sämmtlich später als Novitäten bezeichnet wurden.
Seite 72
einer geognostischen Anekdokte will ich gedenken
einer geognostischen Anekdote will ich gedenken
Seite 81
Hymenophylum Bibraianum. J.W. Sturm und Blechnum acumiratum.
Hymenophyllum Bibraianum. J.W. Sturm und Blechnum acumiratum.
Seite 92
sondern mit Sancritta an, um etwas zu essen
sondern mit Sanoritta an, um etwas zu essen
Seite 96
Eins von nns beiden mußte nun davon
Eins von uns beiden mußte nun davon
Seite 122
wurde gefunden 723.9 M. M., als niedrigster 708.5. M. M.
wurde gefunden 723.9 M. M., als niedrigster 708.5 M. M.
Seite 131
Herr Louis Ironsco in der Serena von Coquimbo in den
Herr Louis Troncoso in der Serena von Coquimbo in den
Ironsco beobachte nun während der Erdstöße folgende
Troncoso beobachtete nun während der Erdstöße folgende
Seite 139
wenn der Beobachter seinen Standpunkt nicht verändet.
wenn der Beobachter seinen Standpunkt nicht verändert.
Seite 140
Später in der Algadonbai in Bolivien
Später in der Algodonbai in Bolivien
Ich wurde in der Algadonbai durch den Wiederschein
Ich wurde in der Algodonbai durch den Wiederschein
ging das Leuchten wahrscheinlich von dem Vulkane Acongagna aus
ging das Leuchten wahrscheinlich von dem Vulkane Acongagua aus
Seite 141
am Fuße der Cordillera von Rancagna beobachtete
am Fuße der Cordillera von Rancagua beobachtete
Seite 152
Der Charakter der Stadt ist ein eingenthümlicher.
Der Charakter der Stadt ist ein eigenthümlicher.
Seite 157
läßt schon die Nähe der Steinwüste von Adalkama ahnen
läßt schon die Nähe der Steinwüste von Atakama ahnen
Seite 158
wie Faltenwurf und Formen, zierlich nnd klar ausgesprochen
wie Faltenwurf und Formen, zierlich und klar ausgesprochen
Seite 164
von einem Minenbesitzer, Thomas Heloby, einem Engländer, bewohnt.
von einem Minenbesitzer, Thomas Helsby, einem Engländer, bewohnt.
Seite 193
fressen sie noch einige Zeit Fliegeu
fressen sie noch einige Zeit Fliegen
Seite 197
ein Picknick mit dem amerikanischen Minenbesitzern in Mamilla
ein Picknick mit dem amerikanischen Minenbesitzer in Mamilla
Seite 217
bei Herrn Thomas Helsbey zu Mittag gegessen
bei Herrn Thomas Helsby zu Mittag gegessen
Seite 221
ging der Kapitain mit Herrn Helsbey nach dessen Wohnung
ging der Kapitain mit Herrn Helsby nach dessen Wohnung
Seite 325
bekamen am 19. Mai die Felseninsel Ferando de Noronha
bekamen am 19. Mai die Felseninsel Fernando de Noronha
Seite 329
und mit welcher sich der Fisch sgleich beschäftigte
und mit welcher sich der Fisch sogleich beschäftigte
Seite 330
nördl. Breite 7° 40 Länge, 33° 4, indem Goldbrassen
nördl. Breite 7° 40' Länge, 33° 4', indem Goldbrassen
End of the Project Gutenberg EBook of Reise in Südamerika. Zweiter Band., by Ernst von Bibra *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK REISE IN SÜDAMERIKA. ZWEITER BAND. *** ***** This file should be named 46154-h.htm or 46154-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/6/1/5/46154/ Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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