Project Gutenberg's Die schwarzen Brüder. I. (of 3), by Heinrich Zschokke This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Die schwarzen Brüder. I. (of 3) Eine abentheuerliche Geschichte Author: Heinrich Zschokke Release Date: July 9, 2013 [EBook #43163] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHWARZEN BRÜDER. I. (OF 3) *** Produced by Jens Sadowski (based on page scans provided by the Staatsbibliothek zu Berlin - PK, digital.staatsbibliothek-berlin.de)
Eine abentheuerliche Geschichte
von
M. J. R.
Berlin und Frankfurt,
bei Johann Andreas Kunze.
An
Friedrich Behrends
in M***.
Mein Vetterchen,
Und fragen Sie tausendmal warum ich nichts bessers, nichts allgemeinnüzzigeres, als einen Roman geschrieben habe, so bekommen Sie doch immer eine und eben dieselbe Antwort, daß ich nämlich just einen Roman schreiben wollte, er mögte so abentheuerlich werden, als er es wolle. Zweitens, weil der größte Theil heutiger Leser nur nach dieser Waare am liebsten zu fragen gewohnt ist, und sie theils in Privatbibliotheken, theils in Lesezirkeln, theils in Lesebibliotheken aufnimmt. Drittens, weil doch auch ein Roman, wenn er nur irgends seinen Mann zu unterhalten weiß, seinen Nuzzen haben kann, aut negative aut positive.
Frage: wie so? — Antwort: weil er, erstlich, hin und wieder auf einen guten Akker ein gutes Saamenkorn streuen kann. Zum andern dient er wenigstens als ein Etwas wider die traurige Langeweile. Ein fetter Landrath vergißt vielleicht über das Lesen einen neuen Anschlag auf die Kasse seiner reichen Bauern, welchen er in langweiligen Minuten ausgegrübelt hatte. Eine verliebte Donna besinnt sich vielleicht in Rüksicht ihres Galans, der unmöglich ihr ehelicher Gemahl werden könnte, eines bessern. Ein runder, orthodoxer Beisizzer des hohen Sinedriums läßt vielleicht, vertieft in meine Plaudereien, einen braven freidenkenden Schriftsteller durchschlüpfen, dessen zum Druk bestimmtes Manuscript sehnlich nach einem vidi von der Hand des Zensors schmachtet. — Eine alte zänkische Tante sieht vielleicht einem liebenden Mädchen durch die Finger zu, und willigt von Herzen in Verlobung und Hochzeit, indem sie hoft, der arme Bräutgam werde mit Gottes Hülfe doch auch noch einmal ein Herr von Sorbenburg. — Ein junger Autor nimmt sich vielleicht beim Lesen meines Romans vor ein unsterblicheres Werk hervorzubringen, als das meinige ist. — Ein Rezensent erwirbt sich vielleicht, um die deutsche Litteratur ein unendliches Verdienst, wenn er meinen armen, abentheuerlichen Roman zum abentheuerlichsten Popanz, zum Vögelscheu und furchtbaren Merkzeichen für alle und jede macht, welche sichs einfallen lassen mögten ein Romänchen zu verfertigen. — —
O sehn Sie doch wie viel Vielleichts! wie einen großen Nuzzen mein Buch bewirken kann! — Doch der größte ist und bleibt, daß ich Gelegenheit habe Ihnen auch hier zu sagen, wie sehr Sie liebt, bewundert und achtet.
Der Verfasser.
Erster Abschnitt. | |
Erstes Kapitel. Der rothe Mantel. | 1 |
Zweites Kapitel. O, der glücklichen Nachwelt. | 6 |
Drittes Kapitel. Der Onkel beweis't, daß er Graf sei. | 16 |
Viertes Kapitel. Und — das ist Liebe! — — — | 28 |
Fünftes Kapitel. Ein langes Gesicht. | 36 |
Sechstes Kapitel. Der Onkel in der Komödie. | 45 |
Siebentes Kapitel. Ein Adelsbrief — Ein Rittergut — Verlobung und — — | 51 |
Zweiter Abschnitt. | |
Erstes Kapitel. Auch Prinzessinnen haben Herzen. | 55 |
Zweites Kapitel. — — Und wen? — — | 64 |
Drittes Kapitel. Der arme Florentin! | 69 |
Viertes Kapitel. Einige Damen werden behorcht. | 75 |
Fünftes Kapitel. Das Strumpfband. | 82 |
Sechstes Kapitel. Ein sonderbares Phänomen. | 100 |
Siebentes Kapitel. Eine Schäferstunde. | 106 |
Dritter Abschnitt. | |
Erstes Kapitel. Hofnungen von Italien her. | 115 |
Zweites Kapitel. Das Wort an einen Fürsten. | 123 |
Drittes Kapitel. Supplement zum Vorigen. — Ein Schrek. | 136 |
Viertes Kapitel. Wer so stirbt, der stirbt wohl! | 143 |
Fünftes Kapitels Schwärmereien Augustens von Gülden. | 152 |
Sechstes Kapitel. Der Donner aus der Ferne. | 162 |
Siebentes Kapitel. Das Gewitter zieht näher heran. | 172 |
Achtes Kapitel. Eine Episode. | 183 |
Vierter Abschnitt. | |
Erstes Kapitel. Holder erscheint wieder. | 187 |
Zweites Kapitel. Ein Traum. | 195 |
Drittes Kapitel. Zeitungen — Thränen, Flüche, Marionetten. | 205 |
Viertes Kapitel. Der Traum hat ein Ende. | 210 |
Fünftes Kapitel. Gute Nacht, Florentin. — Auch ein Postscriptum an den Leser! | 227 |
Die
schwarzen Brüder.
Es war ein fürchterlicher Abend; ein Donnerschlag verjagte den andern; der Sturm pfif über die Felder und entwurzelte Eichen, der Regen schos so dicht und häufig, daß es ein Wolkenbruch zu sein schien.
„Mein Gott!“ keuchte der alte Graf von Duur, der sich auf der Jagd verspätet hatte, vom Sturm Regen und Donnerwetter plözlich überfallen war, und nun um alles in der Welt gern auf seinem Landschlosse zu sein wünschte: „Mein Gott, das stürmt ja alles auf mich armen Schach ein, als bräche der jüngste Tag auf! — Mein Odem ist weg, mein Seel, ich erstikke, wenn ich nicht bald zu dem verwünschten Schlosse komme!“ Der Leser mus wissen, daß der alte Herr etwas schwer vom Leibe war.
„Verwünscht, daß ich auf die Jagd hinauswatschelte; aber wer konnte das leidige Ungestüm riechen? und obendrein keinen Sperling geschossen! was der Bastholm nun lachen wird!“
Der gute, alte Mann hatte nämlich mit dem benachbarten Gutsbesizzer, dem Herrn von Bastholm, um zehn Flaschen Tokaier gewettet, wer den Tag das meiste von der Jagd heimbringen würde.
Und die arme Friedrike! was das Mädchen sich ängstigen wird, wenn sie mich nicht zurükkommen sieht in dem Ungewitter! „Hätt’ ihr wohl die Sorge ersparen können.“
Friedrike war die Niece des alten Grafen; Er erzog sie selbst, liebte sie mehr als eine Tochter; denn er war ohne Kinder, und Friedrike ohne Eltern.
„Ah, poz Henker und was mir da einfällt, Florentin kömmt ja, nach seinen Briefen, heut von der Universität zurük! He, Alter ’s war ein erzdummer Streich mit deiner Jagd! da ist der Junge vielleicht schon in meinem Zimmer, da liegt er wohl schon dem Mädchen in den Armen, die sich nicht satt sehen und satt küssen kann an ihrem Bruder! — ’s ist doch der Mensch manchmahl zu erzdummen Streichen geboren! —“
Er verdoppelte jezt seine Schritte, um spornstreichs seinem Neveu in die Arme zu fliegen, aber er rannte sich bald ausser Athem, und war gezwungen mitten im Regen seinen gemächlichen Spazierschritt beizubehalten. Hier soll er zum erstenmahl auf seinen stattlichen Bauch böse geworden sein.
„Länger halt ich’s nicht aus! es ist zu arg, bin nas am ganzen Leibe und die Straße ist ein wahrer Mordweg! — Meine Perükke ist, Gott sei bei uns, auch —“ —
Hier schwieg er plözlich still, denn er gewahrte einer Gestalt, die dicht hinter ihm herschritt. Ihm kam ein Grausen an. Es blizte — er sah sich in eben dem Augenblik um, und erblikte den hinter ihm Wandelnden von oben bis unten blutroth.
Seine Angst vermehrte sich bei jedem Athemzuge, er sprang in einen Nebenweg, den er entdekte, und der fremde Bluthrothe sprang ihm nach. — „Hier soll’s irre gehn, ich hab’s oft gehört!“ dachte er bei sich, und dehnte seine Füße von einander zur Flucht. Kaum war er vier Schritt gelaufen, so glitschte er auf dem schlammigten Fußsteig aus und fiel.
Es blizte. Die Gestalt stand neben ihm, faßte ihm mitleidig unter die Arme und hob ihn auf.
„War der Fall hart?“ fragte der Fremde.
„Ich fühle nichts!“
„Ist nicht ein Wirthshaus, oder ein Dorf in der Nähe wo man untertreten könnte?“
„Ich denke — ich denke nicht weit.“
„Es ist ein grimmiger Regen, doch bin ich solcher Witterung vielleicht mehr gewohnt, als Sie. Sie dauern mich, Kann ich mit meinem Mantel aufwarten!“
„Wo wollen Sie hin?“
„Kann ich mit dem Mantel aufwarten?“
„Er — oder Sie brauchen ihn ja selbst!“
„Wenn Sie ihn wollen, nicht mehr.“
Sprachs, und ihn dem seufzenden Edelmann um, der tausendmahl dankte.
„Nun werden Sie ja nas.“
„Meine Kleider verderben nicht!“
So dialogisirten sie sich eine ziemliche Strekke Weges fort. Dem Grafen war die Gespensterfurcht verschwunden, und der Fremde hatte nun einen Leitsmann. — Mit einemmale hörten sie einen Wagen auf sich zu fahren.
„He da! guter Freund, wohin?“ rief der nunmehrige Mantelträger dem Fahrenden zu.
„Ach Gott, gnädiger Herr, sind Sie’s selbst. Steigen Sie doch ein, ich hin schon eine halbe Stunde lang herumgefahren, um Sie zu suchen und nach Haus zu bringen!“ antwortete der Kutscher. —
Keiner segnete den Himmel hierum mehr, als der alte Graf. Er stieg ein, und zog den Fremden hinter sich her. „Sie haben mir, sagte er, Ihren Mantel geliehen, izt leih’ ich Ihnen meine Kutsche. Hurtig herein!“
Sie fuhren beide fort, und in wen’ger Zeit stiegen sie im Schlosse ab. Der Graf zog den Fremden immer hinter sich her; schleppte ihn in sein Schlafzimmer, ließ durch den Bedienten zwei Schlafrökke, Pantoffeln, Mützen u. s. f. bringen; sie kleideten sich um und nun schob der Alte den Fremden in das Visitenzimmer.
Hier war eine kleine, angenehme Gesellschaft vorhanden welche voller Ungedult auf den braven von Duur wartete. Nun trat er herein, und mit einem wilden: „O, mein Onkel!“ stürzte ein schlanker Jüngling ihm um den Hals, indessen der Alte freudelallend tausendmahl stammelte: „Mein Florentin!“ — Fräulein Friedrike war mit den andern Gesellschaftern näher getreten; stillschweigend standen sie alle um die Gruppe des Onkels und des Neffen, die lange unbeweglich in eins zusammengekettet blieben. Dem Jüngling flossen einige Thränen vom Auge; der Alte fühlte es, ihm brach das Herz, und er weinte; die Zuschauer wurden gerührt.
„Nehmt’s mir nicht übel,“ hub der Greis an, indem er die grauen Wimpern troknete, und sich zur Gesellschaft wandte: „nehmt’s mir nicht übel, alte Leute sind so leicht, als Kinder zum Weinen zu bewegen. Ich hab’ den Jungen nun seit drei Jahren nicht gesehn; hab ihn nicht früher sehn wollen, um meine Freude zu vergrößern — aber nun, wahrhaftig nun ist sie zu gros.“
Worte machen das Herz leicht und Thränen; man sah ein, daß es nicht wohl anging den ganzen Abend in dieser Attitüde zu verbleiben — also wurden einige Komplimente gewechselt und Entschuldigungen hervorgebracht.
„Unser freundschaftlicher Kreis ist unvermuthet heute vermehrt worden,“ sagte nachher der Graf, und trat zu dem Fremden, der indes still an der Thür stehen geblieben war: „Seht hier Kinderchen, einen neuen Gast, einen Reisenden, den ich unterwegs im Donnerwetter, oder vielmehr, der mich antraf, und so brav dachte, mir altem Manne seinen Mantel aus freien Stükken anzubieten, um mich wider den Sturm zu schüzzen. Es ist, mein Seel, brav gedacht!“
Der Fremde trat näher unter einigen modischen Verbeugungen, und stammelte seine Entschuldigungen. Es war, beim Lichte betrachtet, ein edelgebauter, sogar schöner, junger Mann von ohngefähr sieben und zwanzig Jahren. Sein Anstand verrieth Erziehung, seine Sprache Geist und Welt. Ein unvergänglicher Ernst wohnte auf seiner Stirn, schimmerte selbst durch sein freundlichstes Lächeln. Friedrike meinte, es wäre Melankolie.
Gemach wurde der Ton lebhafter, die Gesellschaft gemischter: den Fremden nahmen zwei ältliche Damen in ihre Mitte, Friedrike hing an ihrem Bruder Florentin, und der alte Papa kapitulirte scherzend mit dem Herrn von Bastholm wegen des Tokaiers.
„Nun, und was haben Sie denn geschossen, Herr von Bastholm zu Bastholmshausen? Ha, ha, ha!“
„Immer doch mehr, gnädiger Herr Graf von Duur zu Duurshausen, ha, ha, ha, doch immer mehr, als Sie!“
„Nun, mein Seel, ich hab’ ja keinen Mükkenflügel geschossen — und das Gewitter — —“
„Den Tokaier aus dem Keller!“
„In Ernst, Brüderchen, sag mir doch, was hast Du denn ergattert?“
„Wie gesagt, immer mehr, als Du. — Sieh doch her — eine Schnepfe! ha, ha, ha!“
„Ha, ha, ha, ha! ja, dann hab ich freilich die Wette verlohren!“
Beide lachten sich beinahe ihrer Wette und Jagd willen krank. Inzwischen war die Tafel gedekt; man sezte sich und as.
„Apropos,“ fing der alte Graf an, dem nichts lästiger war, als lange schweigen: „der Postmeister hat doch die Zeitungen schon herübergeschikt, Rikchen?“
„Ja. Nur gelesen hab ich sie noch nicht.“
„Höre Bruder Bastholm, der Erbprinz ist total kurirt, reitet schon wieder aus und manövrirt mit seinen Soldaten!“
„Weis wohl, lieber Graf; aber daß die dasigen Aerzte sich durch einen vorbeireisenden Fremdling mußten beschämen lassen, das ist doch ’ne schrekliche Blame für sie.“ —
„Nicht so sehr Blame,“ flüsterte ein junger Landedelmann über die Tafel herüber: „Wenn die Ärzte schon das meiste gethan hatten, konnte der Reisende wohl sein Heil versuchen.“
„Um Verzeihung,“ rief der Graf: „der Prinz verschlimmerte sich täglich, und die Mediciner gaben, laut den Zeitungen, schon sein Leben auf. Und dazu kömmt noch, daß der Heiland des Prinzen sehr jung gewesen sein soll!“
„Ein alter, steinalter Mann war’s,“ flüsterte jener: „ich hab’s aus Briefen. Er heißt Ludwig Holder. Sie sehen, ich weiß es genau.“
„Oho!“ fing eine der ältlichen Damen an, „ein Bürgerlicher, der Sr. Durchlaucht kurirte? unmöglich, daran sieht man’s! wenns die Hof- und Leibärzte, der Herr von G**, der Herr von F** nicht im Stande waren — —“
„Ganz recht, gnädige Frau,“ brummte eine Basstimme von der andern Seite des Tisches; „ganz recht! überhaupt, sollte man solchen herumstreichenden Quaksalbern nie das Leben einer fürstlichen Person anvertrauen, und die Renommée der übrigen Aerzte verderben lassen. Wenn ich Herzog wäre, so — —“
„So würden Sie lieber sterben,“ fiel Florentin der Basstimme ins Wort: „als sich von einem unanseßigen Arzt retten lassen! da thäten Sie, wenn Sie Herzog wären, sehr wohl daran!“
Alle lachten, der Baßist selbst lachte, auch der Onkel, der den bittern Scherz gern mit einem drohenden Finger bestraft hätte, wenn ihm nicht der Junge noch zu lieb und zu neu gewesen wäre.
Man stand auf. Die Spieltische wurden vorgerükt; die Pfeifen angezündet; das Fortepiano geöfnet. Jeder suchte seinen Gesellschafter: alles mischte sich von neuem durch einander. Florentin unterhielt einige Damen mit städtischen Moden, und sezte sich zugleich zum L’Hombre nieder; Bastholm und der Onkel spazierten auf und ab; Friedrike spielte ein Lied von Reichard, und der Fremde stand horchend hinter ihr auf den Stuhl gelehnt. — Kaum war der lezte Silberton des Gesanges verhallt: so lispelte der Unbekannte ihr ein: „Sie spielen vortrefflich!“ zu. Das gute Mädchen, das Modell zu einem weiblichen Bilde der Unschuld, erröthete, und erwiederte sehr naiv das Kompliment. Der Unbekannte bat sie weiter zu spielen, und das Mädchen konnt’ es ihm nicht versagen.
„Er ist ja fremd,“ dachte sie bei sich: „und blos, weil er fremd ist, darf ich ihm nichts abschlagen, warum er mich auch bäte.“ Sie spielte; alles wurde still im Zimmer; die mehrsten, welche in kein L’Hombre verflochten waren, umringten den Fremden und die Fortepianospielerin. Die Blike des Fremden ruhten auf des Mädchens Angesicht, und der alte Onkel beantlizte indessen sehr gemächlich den neuen Gast.
„Hören Sie,“ sagte der Greis, da Friedrike ausruhete: „hören Sie, Sie müssen mir die Neugier nicht böse deuten: — darf ich fragen, wie Sie heißen?“
Der Fremde ward verlegen und stokte.
„Sehen Sie nur, der Himmel hat uns so wunderbar durch den rothen Mantel einander bekannt und verbindlich gemacht, daß es unverzeihlich wäre wenn ich nicht einmal nach Ihrem Namen fragte. — Na, ich bitte Sie, wie beißen Sie?“
„Ludwig Holder.“
„I, Mordhimmeltausend noch einmahl! Ludwig Holder? Sie sind doch nicht — —“
„Ich bins.“
Alles war nun in eben der Minute aufgeflogen und um den Fremden gedrängt.
„Um Gotteswillen!“ rief Florentin in eben dem Moment: „laßt mich durch, er ists! eben der Holder ists, der mir das Leben gerettet hat!“ sprachs, und hing dem erstarrten Fremdling am Halse.
„Der Teufel, was ists denn?“ rief die bewußte Basstimme, und kam näher heran.
Jeder stierte mit Augen der Verwunderung den Unbekannten an — alle standen groß und klein in einem Kreise um ihn gedrängt, und man konnte auf den Lippen eines jeden ein Duzzend bescheiden unterdrükter Fragen lesen.
„Nun was hast Du denn mit Herrn Holder zu schaffen gehabt? — das Leben, sagst Du, hat er Dir gerettet?“
„Das hat er:“ gab Florentin dem Onkel zur Antwort: „und hören Sie nur, wie? — Im Winter vor zwei Jahren lokten mich einige gute Freunde auf das Eis hinaus, um in ihrer Gesellschaft auf Schlittschuhen den zugefrornen Fluß hinunter nach einem benachbarten Dorfe zu laufen. Ich schlug es nicht ab, allein eben dieses gefährliche Vergnügen, welches so mancher Jüngling schon mit seinem Leben bezahlt hat, kostete auch mir das meinige beinahe. Als die andern schon ins Dorf gegangen waren, kreuzte ich nur allein noch auf den Spiegelflächen des Eises umher, bald links bald rechts. — Mit einemmahle fühlte ich das Eis unter mir einbrechen, und sah ich von allen Seiten durch die Spaltungen das Wasser hervorquellen. Ein Schauder überfiel mich, meine ganze Besinnungskraft war verlassen — ich sah ängstlich nach Rettung umher, und gewahrte in der Ferne einen Menschen auf dem Eise, — ich wollte ihm zuwinken, ihn um Hülfe anrufen, aber ich war schon untergesunken und in dem Augenblik bewußtlos. Und dieser Holder sah mich sinken, mit der Gefahr seines Lebens erhielt er das meinige; kaum hatte er aber dies gethan, als er sich entfernte, dem Dank auszuweichen. Aber izt dank ich ihm in der Mitte meiner Verwandten, die mich durch ihn, zurükempfangen.“
Der Onkel sprachlos vor Erstaunen und Freude umarmte den wohlthätigen Unbekannten, jeder folgte ihm darin nach, die Damen lispelten ihm etwas Verbindliches und Rikchen drükte ihm sogar die Hand.
„Nu, was zu bunt ist, ist doch zu bunt!“ rief der alte Graf, nachdem der erste Taumel vorüber war. „Wir müssen mehr davon plaudern; allons, Stühle zusammengerükt und die Pfeifen wieder angezündet! — I, i, in aller Welt, wie hätt’ ich mir das träumen lassen können!“
„Mich wundert’s nur,“ sagte die ältliche Dame; „daß Sr. Durchlaucht den Herrn Holder, wegen der glüklichen Kur, nicht in den Adelstand zu erheben geruht haben.“
„Ja wohl,“ sprach der Onkel treuherzig: „in den Grafenstand hätt’ ich den wohl erhoben, der mir das Leben gefristet hätte. Das nenn’ ich mir doch Undankbarkeit!“
„Was und wozu Adel- und Grafenstand?“ rief Florentin enthusiastisch dazwischen: „all das Flittergepuz kann doch den Mann von Talenten nicht um ein Haar größer machen. Ich gäbe meine gräflichen Insignien mit tausend Dank obendrein hin, wenn ich mir auf solche Art Welt und Nachwelt verpflichten könnte. Holder fühlt sich gewiß schon darum belohnt, weil er, und kein andrer, Holder ist. Und was es am Grabe unaussprechlich süß sein muß wenn man sagen kann: die Welt ist mir mehr, als ich ihr schuldig! —“
„Wie der Junge nun da schwärmen kann!“ fing der Onkel an: „aber trösten Sie sich, Herr Holder, die Welt anjezt ist einmal so undankbar, so arg — wir machen uns bei der Nachwelt Schande über Schande. Nicht dumm, nicht eigensinnig war das XVIII. Jahrhundert, werden unsre Nachkommen sagen: sondern schnurgeradehin toll war’s. Wenn ich’s so recht bedenke, mein Seel, so ärgert’s mich, daß ich nicht vier, fünf hundert Jahre später lebe — dann muß es doch alles ganz anders geworden sein. O, die glükliche Nachwelt!“
So schwazte man den Abend hin; bis die Gesellschaft aus einander schied, und jeder sich in die weichen Arme des Schlafes warf.
Florentin schlief seit drei Jahren zum erstenmahle wieder in den väterlichen Zimmern, wo er die Freuden seiner Jugend empfand, als Kind mit der Puppe spielte, als Knabe den Nepos las, und als Jüngling hohe schwindelnde Entwürfe in seinen Träumen realisirte.
Als das Morgenroth durch die zitternden Gardinen seines Fensters spielte, sprang er auf vom Lager, wikkelte sich in seinen Schlafrok und öfnete den Flügel eines Fensters.
Wie schön die Natur nun da ausgegossen lag vor seinen Bliken, erquikt durch das vergangne Gewitter. Eine Sonne emporschwimmend hinter den fernen, blauen Waldeswipfeln; eine Sonne an jedem bethauten Hälmchen! — Jeder Strauch, jeder Baum, jedes Geländer war ein alter Bekannter; jedes Thal, jeder Hügel, jedes umbüschte Bächlein ein Mitkundiger seiner vergangner Freuden.
Nein, denkt er, nirgends scheint doch unsers Herrgotts Sonne,
So mild, als da, wo sie zuerst mir schien.
So lachend keine Flur, so frisch kein andres Grün!
Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand,
Sei immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor allen dir gewogen,
Fühlte überall nach dir sich heimlich hingezogen,
Fühlt selbst im Paradies sich doch aus dir verbann!2)
Jezt schmiegten sich an die rosigen Bilder seiner Kindheit die Szenen von gestern. Onkel, Rikchen, und der unbekannte Holder! — Alles alte Bekannte und alte Lieblinge seines Herzens, und ihm izt noch so neu, so lieb, als hätt’ er gestern erst mit diesen schönen Seelen den Liebesbund geschlossen. —
Der Fremde ging über ihm schon auf und nieder; Florentin säumte also keine Minute, zu ihm hinauf zufliegen, und den wärmsten Morgengruß zu grüßen.
Florentin. Sie sind schon früh auf?
Holder. Nicht sehr früh — ich habe seit einer halben Stunde aus dem Fenster gesehen.
Florentin. Nicht wahr, ist es nicht ein schöner Morgen und eine schöne Landschaft?
Holder. Sie haben recht; besonders wenn die Seele so hell, als dieser Morgen, und so erquikt und heiter, als diese Landschaft ist. — Ich empfand sehr viel, als ich die prächtige Natur so in ihrem Erwachen belauschen konnte. — Und dennoch, glaub ich, nahmen meine Empfindungen einen ganz andern Weg als die Ihrigen; — ich bin traurig geworden.
Florentin. Kann Freude die Mutter des Schmerzes sein?
Holder. O wie so leicht, Herr Graf! — Warum, dacht ich, leben in einer so schönen Welt so häßliche Seelen? Warum sind doch mit der größten Vollkommenheit die größten Mängel verbunden! —
Florentin. Eben dies gehört vielleicht mit zur Vollkommenheit — und sind diese Mängel Unvollkommenheiten, nun wohl, so dürfen wir hoffen daß sie, so wie tausend Mängel vor uns, auch noch nach uns ausgemerzt werden. Wir stehen zwischen Tag und Nacht — die Nacht ist vergangen, der Morgen graut schon, und den Genossen des künftigen, spätern Zeitalters ist’s vielleicht aufbehalten den Mittag in vollem Glanze zu sehn. —
Holder. Sie kommen auf die gestrige Idee Ihres gutmüthigen Onkels, da er in Entzükkung rief: o, die glükliche Nachwelt! — Es ist eine angenehme Grille, daß die Bewohner des Erdenrundes sich noch gänzlich ihren Unvollkommenheiten entreissen könnten, — dennoch aber bin ich überzeugt, daß ein Jahrhundert so glüklich und unglüklich, als das andere sein werde, es sei früh, oder spät in der Weltgeschichte vorhanden! — Doch ich bitte, fahren Sie in ihrer schönen Schwärmerei fort Herr Graf!
Florentin. Vielleicht was wir izt Traum, Schwärmerei nennen, daß dieses einst Wahrheit ist! — Dann herrschen gute Fürsten über gute Unterthanen, beide durch einander glüklich gemacht. Die Staaten blühen allesamt, Gerechtigkeit wird gehandhabt, wie sie es werden soll; Richter lassen sich dann nicht vom Golde das Auge blenden, wenn es Schuld und Unschuld erforschen soll. — Fürsten haschen dann nicht mehr nach dem Flitterglanz kriegrischer Ehre; Städte, friedsame Dörfer, lachende Saaten zu verheeren, nennt man Schandthat; wer Länder und Familien unglüklich macht, tausende hinmorden läßt, um einen Titel oder vergeßne Ansprüche der Vorfahren auf einen Strich Erde geltend zu machen, der heißt ein gekrönter Mordbrenner, sein Lohn harrt auf ihn in jenen Tagen, welche jenseits des Grabes dämmern. — Den Landmann seh ich freudig hinter seinem Pflug hertreiben, ohne daß Aberglaube über den Nakken desselben die tirannische Geißel schwingt. — Denk- und Drukfreiheit herrschen, nur von den Schranken gesunder Vernunft begränzt. — Kein neidischer Zensor unterdrükt Schriften, die er, besser zu verfertigen, nicht wagt. — Der Biedre darbt nicht mehr, weil er bieder ist; die Unschuld wird nicht gekränkt, weil sie hülflos dasteht, und dem trauernden Bürger saugen keine Jahrlange Prozesse das Mark aus. — Der Edelmann sucht nicht mehr durch die Thaten der Ahnen zu glänzen, sondern durch sich; schnellt nicht den armen Gläubiger mehr um Hab und Gut, und glaubt nicht geboren zu sein, in diesem und jenem Leben die bürgerliche Kanaille zu scheren.3) — Niedrigdenkende Pfaffen schleichen nicht mehr im Dunkeln umher, sich um Beichtkinder und Seelen zu betrügen, denn ihres Amtes heilige Würde ist ihnen wohlbekannt; über dergleichen Pöbellaster sind ihre Herzen erhaben. — Die Psalmen Klopstoks werden vom heiligen Lehrstuhle gebetet werden; keine tolle Ostergelächter werden fürder das Gotteshaus entweihen; das Volk wird von der Kanzel und Bühne Religion hören. — Wollust, Knabenschänderei und Selbstschwächung werden allgemein verflucht; und Schamhaftigkeit und Ehre eines Mädchens ist Männern und Jünglingen heilger und werther, denn die köstlichste Mitgift. — Leibeigenschaft ist des Staates Fluch; jeder Mensch, auch der ärmste von allen ist reich, denn sein ist der Gottheit goldnes Geschenk — Freiheit! geblieben. — Unbärtige Junker, welche noch oft der Ruthe bedürfen, können nicht mehr den Stoizismus der sklavischen Soldaten mit der Fuchtel ermessen; denn Soldatenstand ist nicht Sklaven- sondern Ehrenstand. — Jünglinge beziehen Akademien und kehren nicht mit Lastern und Seuchen, sondern mit Weißheit bereichert in das Haus der Eltern heim; erhalten Aemter dem Staate zu nützen, die nicht auctionis lege den Meistbietenden verfeilscht werden. — Gelehrte, welche Sanftmuth und ewigen Frieden predigen, zanken sich eben so wenig zum Skandal vom ganzen zuschauenden Publikum über leere Hülsen, als Fürsten privilegirte Diebe, durch Huldigung des Nachdruks, machen! — O Holder! Holder! mein Onkel hat Recht, wenn er ausruft: glükliche Nachwelt!
Holder. (ihm froh die Hand drükkend) Sie sind ein vortreflicher junger Mann, nicht Ihre Schwärmerei, aber das durch diese Schwärmereien hervorschimmernde gute Herz macht Sie liebenswürdig — Graf, bei Gott, Sie verdienen — ich weis Ihren ganzen Lebenslauf, all Ihre schöne Thaten. — —
Florentin. (erröthend zurüktretend) Holder! — schmeicheln Sie mir nicht, ich bin ein junger Mensch! — Könnt ich mir durch schöne Thaten etwas verdienen, so wünscht’ ich die Bewohner der Erde über fünf hundert Jahren noch einmal zu sehn.
Holder. (in glühender Ekstase) Bei dem Ewigen, Heiligen, Verborgnen, schwör’ ichs, — handle schön, handle schön, junger Mensch, und über fünf hundert Jahren siehst Du mich wieder in Deutschland! —
Florentin sah bestürzt den Unbekannten an; sah sein glänzendes Auge hochstarren bei dem fürchterlichen, seltsamen Schwur; sahe seine Lippen beben, seine ernsten Gesichtszüge sich in himmlische Entzükkung verwandeln — und konnte sich nicht erklären, wer dieser Holder sei, ob eine Gottheit in menschlicher Gestalt, oder ein alltäglicher Enthusiast.
Eine unbekannte Simpathie zog beide aneinander; Holder lag um Florentin und Florentin um Holder — die sanfte Morgenstille, das auf beider Antlizzen schwimmende Osten-Roth verfeierlichte die Szene.
Der erste der sich aus dem Taumel der Empfindungen ris, war der Fremde; denn fremder wurde dieser Mann dem Florentin in jeder Minute; je länger er ihn betrachtete, je räthselhafter derselbe erschien. Florentin warf sich auf ein Sofa hin; Holder pakte zusammen und warf sich in seinen Reisehabit.
„Graf, ich habe Dir viel versprochen,“ rief er nochmals dem träumenden Jüngling zu: „aber bei der Wahrheit dessen der da ist und war und sein wird, ich halte mein feierliches Wort, über Jahrhunderte siehst Du mich in Deutschland wieder!“
In eben dem Augenblikke wurden sie beide zum Kaffeetische gerufen.
Sie fanden den Onkel schon bei seiner Tasse, indem er das Morgenpfeifchen mit Behaglichkeit rauchte. Friedrike fast neben ihm, in einem häuslichen Negligée, welches das schlanke Mädchen noch dreimal schlanker machte. — Der Onkel, der den Fremden in Müzze, Pantoffeln und Schlafrok erwartete, verwunderte sich mächtig, als er ihn im weißen Ueberrok, dem runden Hute, gestiefelt und gespornt sah.
„Was Teufel, da fehlte ja wohl nur noch der rothe Mantel, und Sie wären reisefertig! Oho! so haben wir nicht gewettet, Herr Holder!“
„Ich will Ihnen nicht länger beschwerlich fallen!“
„Was beschwerlich fallen? Ein Mann, von dem man sogar in Zeitungen schreibt, der kömmt nicht sobald wieder von mir, wenn er einmal in meiner gräflichen Gewalt ist. — Na trinken Sie!“
Holder trank. Der alte Graf eiferte fort.
„Mit einem Worte, Sie bleiben bei mir, so lange es mir gefällt, und mir wirds lange gefallen, Sie mögen nun wollen oder nicht; Sie müssen!“
„Verzeihen Sie, Herr Graf, ich kann —“
Der Alte ließ Holdern nicht ausreden, sondern stand auf, sezte seine Tasse unausgetrunken nieder, winkte Florentinen, und marschirte stillschweigends mit ihm zur Thür hinaus.
Friedrike. (in einer Weile, nachdem sie bald auf Ihre Tasse, bald auf den Fremden gesehn.) Warum aber wollen Sie uns denn verlassen, Herr Holder?
Holder. (verwirrt) Warum?
Friedrike. (wieder nach einer Pause.) Gefällt es Ihnen bei uns nicht?
Holder. (Rikchens Hand nehmend.) Ach, sowohl! sowohl — aber (mit niedergeschlagenen Augen) ob ich auch Ihnen — Ihnen — und Ihrem Onkel und Ihrem Bruder gefalle! —
Friedrike. Je mein Gott — warum sollten Sie denn nicht?
Holder. (ihr ins Auge blikkend.) Sollt ich wohl, liebes Fräulein!
Friedrike. (von der Seite sehend.) Ganz gewiß!
Holder. Wenn es wahr wäre! wenn es wahr wäre, so wünscht’ ich, wohl ewig hier zu sein!
„Ich glaub es Ihnen leicht!“ erwiederte das unschuldige Mädchen, und über ihr ganzes Gesicht schwamm die liebenswürdigste Röthe.
Mit einemmale hörte man einen fürchterlichen Tumult im Schloshofe; man rannte durch einander her; die Thore wurden zugemacht; ein ewiges, verworrnes Fragen und Rufen, und Klirren der Klingen wie Degenklingen, füllte die Luft.
In eben der Minute trat der Graf mit seinem Neffen sehr ernsthaft herein; er wandte sich zu Holdern und sprach „jezt will ich Ihnen beweisen, daß ich ein Graf bin! kommen Sie her ans Fenster und sagen Sie ob es Ihnen noch gelüstet zu echapiren!“
Sie traten alle ans Fenster — Knechte, Mägde, Hirten und Bauern standen bewafnet da, mit verrosteten Hirschfängern, alten Flinten, Sensen, Stangen, Prügeln und Aexten, und sahn ängstlich bald aufs Schlos, bald auf die verriegelten Pforten, als befürchteten sie eine förmliche Belagerung. Der Verwalter lies sich als Kommendant unter ihnen sehn; er hatte in der Eil den Degen an die rechte Seite geschnallt, und lief in seiner Angst auf und nieder. Ein alter Bauer fragte ihn, was es zu bedeuten hätte, daß sie hier stehn müßten? „Je, mein Gott, rief der Kriegesmann, und klapperte mit den Zähnen vor Bangigkeit: bedenkt nur, ein rother Mantel will zum Thorwege hinaus!“ — Ein rother Mantel? stammelte der ehrliche Bauer: den regiert ja wohl, Gott sei bei uns, der Kobolt! — „Das ist eben der Teufel, ich begreifs selbst nicht!“
Mit Wohlgefallen lächelte der alte Graf auf sein Kriegesvolk hinab, und ließ dann Holdern ein forschendes Nun hören.
„Herr Holder bleibt — gern bei uns, Onkelchen!“ sprach Friedrike und schmiegte sich freundlich an den Alten.
„So bald mich nicht fremde Verhältnisse zu einem andern Vorsaz hinzwingen,“ sezte Holder hinzu: „bleib ich, so lange Sie mir erlauben!“
„Nun das war doch ein Wort;“ entgegnete der Alte, mit einem herzlichen Händeschütteln: „so muß man’s machen wenn man was erpressen will! — Allons, ihr tapfern Kriegesleute da unten, macht die Thore auf, und geht in eure Ställe mit Frieden; der Rothmantel kömmt nicht!“
Holder blieb nun. Je länger man seines Umgangs genoß, je interessanter wurde der Mann, je mehr man ihn kennen lernte, je weniger wußte man sich aus ihm zu finden.
Er bat sich auf seinem Zimmer Schreibmaterialien aus; er erhielt sie. Mit frühstem Tagesanbruch saß er schon in Papieren vergraben; zuweilen arbeitete er in der Nacht; keiner aber erfuhr woran, oder worin! Er schikte viel Briefe ab; und erhielt noch mehr zurük. — Florentin fand einst ein zerrißnes, von seiner Hand beschriebnes Blättchen, aber die Schriftzüge darinnen waren ihm unbekannt.
Den Tag über unterhielt sich Holder mit dem alten Grafen bald, und bald mit Florentin, oder dessen Schwester. Bisweilen durchirrte man Arm in Arm die Saaten; sah den geschäftigen Landleuten in ihrer Arbeit zu; — oder man ging in den Wald, oder auf einen benachbarten Hügel, von welchem sie oft alle viere der Sonne prächtiges Untersinken anschauten. In trüben, regnichten Tagen saßen sie in einem Zimmer beisammen; Florentin oder Holder lasen vor. Die Bücher gehörten meistens in Friedrikchens Bibliothek, die sie von ihrem Bruder während seiner Universitätsjahre erhalten hatte. —
Bald las man Wielands Simpathien; bald schwärmte man in den neblichten, wilden Thälern der alten Schotten umher, und hörte Ossians Harfe zu Fingals Thaten tönen; bald war Kronegk, bald Gellert, bald Klopstok oder Geßner ihrer Unterhaltung Stof.
Nach einigen Wochen mußte sich der junge Florentin von diesem liebenswürdigen Zirkel trennen, an welchem sein ganzes Herz hing; mußte die benachbarten Edelleute, entlegen wohnende Tanten und Basen besuchen, welche ihn nun wieder einmal nach drei Jahren zu sehen wünschten.
Man pakte alles Nothwendige für ihn ein; Rikchen stekte in jedem leeren Winkel seines Mantelsaks kleine Naschwaaren, von welchen sie wußte, daß Florentin sie gern hatte; der Onkel beschwerte sein Gedächtniß mit hundert Grüßen und beiläufigen Bestellungen an Verwandte und Bekannte, und Holder ermahnte seinen Freund eingedenk jenes schönen Morgens zu sein, und eingedenk der Worte: „handle edel!“
Es war ein dunkler, trüber Morgen, als Florentin von seinen Freunden schied. Alle standen um ihn her in geheimer Wehmuth; jeder sah den guten Jungen mit feuchten Augen an — es war, als schwebte um ihnen eine dumpfe, verborgne Ahndung. — Holder konnte sich lange nicht von dem liebenswerthen Jüngling trennen, „leb wohl! lispelte er ihm, nach einem Kusse, leise ins Ohr: vielleicht findest du mich nicht mehr, wenn du zurükkömmst!“
Florentin selber wurde zulezt weichmüthig. Er stieg mit Thränen auf sein vorgeführtes Pferd, und ritte mit seinem Knecht von hinnen. Noch, da er schon funfzig Schritt entfernt war, rief er mit gebrochnen Tönen zurük: „Ihr Lieben, laßt mir Holdern nicht fort — ich muß ihn wiederfinden!“ —
Alle riefen ihm ein lautes Ja nach, und in dem Augenblikke verschwand er aus ihren Blikken.
Jeder schlich bis in das Innerste bewegt zurük; dem Onkel schmeckte den ganzen Vormittag das Pfeifchen nicht; Rikchen konnte nicht strikken, nicht lesen; — Holder wühlte in den dumpfen Molltönen des Fortepiano’s. —
Das Mittagsessen schmekte nicht; mismüthig sezte man sich zum Kaffee nieder.
„Aber sagt einmal,“ hub endlich der Onkel an; „sind wir nicht recht große Narren, daß wir da kopfhängrisch, jeder in seinem Winkelchen, sizen? Der Junge kömmt ja in vier, sechs, acht Wochen wieder, und die vergehen bald; wozu denn nun gemault? — Was wird nicht endlich dann geklagt, geseufzt, geeinsiedlert werden, wenn ich ihn auf Reisen schikke? ’s mus doch so sein!“
Die Vorstellungen des Alten gewannen Eingang bei den jungen Leuten; man suchte sich zu zerstreuen, die Gesichter und Seelen wieder aufzuklären.
„Ich verliere;“ fuhr der Onkel fort: „ich verliere bei seiner kurzen Abwesenheit so wenig, als ihr. Kömmts auf einen seelenvollen Discours an, je nun, so hab ich einen Mann, von dem die Zeitungen sogar reden. Und will sich Herr Holder nicht mit einem alten Manne länger unterhalten, so sucht er Rikchen, und du, Rikchen, und du, wirst, denk ich, mit uns beiden auch wohl zufrieden sein dürfen. Nun also, was verlangt ihr mehr?“
Holder und Rikchen warens zufrieden; sie stimmten völlig dem Onkel bei, und wünschten dem Bruder Florentin eine glükliche Reise.
Holder hatte in der Zeit, welche er auf dem Duurschen Schlosse zugebracht hatte, das unschuldige, schöne Mädchen genug kennen gelernt, um sie — zu lieben, und Rikchen war dem Herrn Holder, troz seines immer ernsten Gesichts, schon in den ersten paar Tagen nicht böse gewesen. Also? — —
„Ach,“ sagte Rikchen in der Dämmrungsstunde des Abends, da ihr Oheim noch, wie gewöhnlich, auf der Jagd war: „ach, Herr Holder, warum hat Sie das Ohngefähr nicht früher zu uns gebracht! Sie glauben gar nicht, wie mir doch manchmal die Zeit lang, und alles so leer, so unangenehm geworden ist?“
Und izt nicht mehr, liebes Fräulein?
„Gewiß nicht mehr. Es ist mir, als hätte sich alles, alles hier, seit Ihrer Ankunft, verwandelt. Jedes Zimmer, jeder Spaziergang, jede Tageszeit ist mir izt angenehmer. Man sollt es sich nicht vorstellen, wie es möglich wäre, daß eine neue Gesellschaft auch alle Gegenstände verneuen könnte!“
Holder wurde roth, er laß in dem Herzen des Mädchens; sie aber bemerkte es nicht, denn es war dunkel.
„Und wie das Ohngefähr so sonderbar spielt! just der rothe Mantel mußte Sie zu uns bringen.“
Dafür ich dem Ohngefähre nicht genug danken kann.
„Ist das Ihr Ernst?“
Mein vollkommner Ernst.
„Ach, wenn das wäre! aber Sie sagen das gewis nur aus Höflichkeit. Denn was könnten Sie bei uns Intressantes antreffen, was Sie, ich sage, ein Herr, wie Sie, nicht allenthalben antreffen sollten?“
O doch, Fräulein, doch manches, was ich nicht allenthalben gefunden habe.
„Zum Beispiel?“
So gute, liebenswürdige Karaktere — eine solche schöne Freundin, wie — Sie.
„Wie mich? Sie scheuen; haben Sie noch gar keine Freundin gehabt?“
Gehabt? o ja, gehabt! aber eine Freundin, von der ich wünschte, daß sie immer die meinige wäre, noch nie!
„Wünschen Sie das auch im Ernst?“ Holder nahm Rikchens Hand in die Seine, und drükte sie schüchtern; Sollten Sie zweifeln können?
„Nun gut, so — so will ichs sein, aber“ — —
Aber?
„Aber ich wünsche auch, daß Sie immer mir — Freund blieben.“
So wahr ein Gott über uns waltet, ja, ich werd es bleiben! — — O Fräulein — o Rikchen — doch werden Sie auch nicht böse, wenn ich Sie so vertraulich nenne?
„Wer über solchen Namen böse wird, ist gewis noch nicht gut gewesen.“
Sie lieben — lieben mich also? ist es gewis?
Rikchen erschrak bei dem Worte lieben. Ihr Onkel hatte ihr oft gesagt; Rikchen, liebe keine Mannsperson, ohne mein Vorwissen, oder du machst dich unglüklich. Freundin kannst du jedem, nur nicht jedem Geliebte sein! Dabei malte der alte Mann ihr das Ding Liebe mit so fürchterlichen Farben vor, daß das unschuldige Mädchen mit Hand und Mund gelobte, nie die Sünde der Liebe zu begehen.
„Lieben?“ stammelte sie Holdern, und wollte das Händchen zurükziehn, und konnt es nicht.
„Und — das ist Liebe?“ — — —
Verzeihen Sie, Fräulein, ich habe Sie beleidigt, mit ahndet es — verzeihen Sie mirs! sagte Holder, ließ ihre Hand selber loß, stand auf, und wollte fortgehen.
Rikchen lief hinter ihm her, faßte ihn mit beiden Armen um, ihn festzuhalten, und freilich, solche Banden waren zu fest für ihn, als daß er sich so leicht hätte loßreissen können.
„Was wollen Sie denn? Sie haben mich ja nie beleidigt, aber wenn Sie von mit gehn, so“ — —
Ich bleibe.
„Und sind doch nicht böse?“ sagte sie in langsamer, bittendem Tone, indeß sie ihn noch immer in der Umarmung festhielt.
Nicht böse! — gab er zur Antwort und sank an ihren Hals. Sein Herz pochte in süßer Angst; seine Hände zitterten, welche das Heiligthum umfaßten; seine ganze Seele war Gefühl der Liebe. Seine Stirn ruhte auf ihrer Achsel, und ihr Mund war seiner Wange zu nahe, um nicht einen leisen Kuß auf dieselbe drükken zu sollen.
Holder fühlte auf seiner Wange die Lippen des Mädchens; er bog sich zurük, begegnete ihrem Munde — die Dämmrung des Abende, die Stille der Einsamkeit machten ihn kühn — er küßte, wurde wieder geküßt, und seine Seeligkeit begränzte die Seeligkeit der Engel.
Unter den tausend unglüklichen Schiksalen welche das menschliche Leben verherben, weiß ich keines das traurigste von allen zu nennen, aber von den hundert frohen Loosen, welche wir aus der Urne des Fatums ziehen, ist das schönste das Loos der Liebe, die Anzahl der Leiden ist groß, aber die geringere Anzahl unsrer Freuden überwiegt dennoch jene am innern Gewicht!
Holder und Rikchen hörten des Onkels Stimme. Hurtig flogen sie auseinander und dem Alten entgegen; der so eben ins Zimmer hereintrat.
„Und noch so im Dunkeln? Rikchen, kommandire Licht!“
Der Onkel sprachs, Riekchen hüpfte zur Thür hinaus, und Holder half dem Grafen beim Ausziehen.
„Es darf Ihnen nicht gereuen, Holderchen, daß Sie heut zu Hause blieben; hab’ mein Seel nichts, als eine wilde Ente geschossen!“
Ich bedaure Sie.
„Ja, sehen Sie, Freundchen, das mus sich ein Jägersmann, wie ich, nun schon gefallen lassen. Nun, Sie haben doch keine Langeweile gehabt?“
Im geringsten nicht, Herr Graf.
„Nun, ich denke auch. Wovon haben Sie mit dem Mädel geschwazt? darf ichs wissen?“
Holder war verlegen. Ich habe, sagte er; wir sprachen von — von, wie soll ichs nun gleich nennen, von — von — — einer ziemlich philosophischen Materie.
„Philosophischen Materie? Poz Bliz, weiß denn Rikchen da mitzuplaudern? ’s ist ja nur ein Mädchen! — doch nicht etwan davon, worüber wir uns gestern beim Kaffee stritten, und da ich Recht behielt, von den Menschen im Monde?“
Ich bitte um Verzeihung, der Stof war ganz neu.
„Je, was Sie sagen! nun und der war?“ —
Eine Hypothese, von der Sie sich, Herr Graf, und kein Philosoph, so lange es Philosophen gegeben hat, etwas träumen ließ. —
Holder suchte hierdurch Zeit zu gewinnen, sich auf etwas zu besinnen, und des Grafen Neugier wurde immer mehr gespannt. —
„Nun so sagen Sie doch!“
Ich behauptete, daß unser Erdenball und wir lebendige Geschöpfe auf demselben, nicht sowohl um unsrer selbst willen von der Gottheit geschaffen waren, sondern daß wir vielleicht höherer Wesen willen vorhanden sein könnten!
„Wie war das? was? warten Sie, ich muß das noch einmal durchdenken. — Aber warum denn für höhere Wesen?“
Daß dergleichen höhere Geschöpfe vorhanden sind, ist so gewiß, als unsre Unsterblichkeit — das heißt, sie sind höchst wahrscheinlich. Daß diese Wesen edlere Freuden geniessen, und nicht wie wir, an bloße Sinnlichkeit gebunden sein müssen, folgt schon uns dem Begriff höherer Wesen; es ist also leicht möglich daß wir ihnen das sind, was uns unsre Schauspieler sind. Wir lernen von den selben Moral und gute Sitten, sie von uns höhere Einsichten in die Natur der Welt, der Gottheit, des Geisterreichs, wie sie dies lernen, ist uns bei unsern kleinlichen, armseeligen Ideen eben so unbekannt, als manchem lüderlichen Komödianten, daß man durch das Schauspiel ein besserer Mensch werden könne.
„Wir wären also für andre geschaffen? wir nicht unsrer selbst wegen?“
Sollt’ es nicht möglich sein?
„Das wäre mir aber sehr ungelegen.“
Und wenn es das ist, was wollen wir machen? wir sind ja zu schwach; wir können uns ja so wenig wider den Schöpfer unsers Daseins auflehnen, als der Wurm im Staube wider uns sich empören kann, wenn wir Laune haben, ihn zu zertreten. — Und warum lies uns Gott jene Gegenden jenseits des Grabes dunkel? weil wir auf solche Art derselben gar nicht bedürften. —
„Das wäre aber, mein Seel, schreklich!“
Freilich wenn wir positive Gewisheit davon hätten; aber so müssen wirs uns, nach dem Willen des grösten Wesens, gefallen lassen, im dunkeln zu schwanken, und die Hofnung zu unsrer Trösterin zu nehmen.
„Aber könnt’ ich nicht murren, könnt’ ich nicht sagen? Warum schufst Du mich zur Glükseeligkeit andrer Wesen, o Gott, warum machtest Du mich nicht auch zu einem von ihnen? Du bist nicht der Allgütige! könnt’ ich so nicht sprechen?“
Nein, Herr Graf, weil Ihnen doch immer die Gewisheit fehlt, weil Sie sich doch von Ihrer Fantasie eine andre Hofnung geben lassen, und Ihre Klagen Ihnen über dies eben so wenig nützen würden, als dem Bauer, dem Bettler, welcher beweint, daß er nicht König geworden. Die Weisheit Gottes hat es so angeordnet, daß wir, auch wenn sich die Sache, wie oben gesagt, verhielte, doch zufrieden mit unsrer Lage sein können, so wie der Vogel in der Luft mit der seinigen.
Ein Bedienter brachte izt Licht; Friederikchen tanzte hinter ihm, ging zum Onkel und zerstörte durch ein Duzzend Fragen beinahe die ganze Aufmerksamkeit und Gegenminirung des gräflichen Philosophen, hätte dieser nicht gleich bei der ersten Silbe seine Hand auf ihren Mund gelegt.
„Rikchen wir sprechen izt von den ernsthaftesten Dingen, zu welchen Nachdenken erfodert wird — also, sei ein Weilchen still, und stopf’ mir indeß eine Pfeife — Sie aber, reden Sie doch weiter.“
Das Fräulein stopfte den Meerschaumkopf und schielte nach Holdern; Holder sammelte neue Gedanken und der Onkel starrte sinnend vor sich hin.
In dieser Hypothese, fuhr Holder fort, lassen sich die philosophischen Systeme vieler alten und neuern Selbstdenker vereinigen. Einige läugnen, zum Beispiel, die Freiheit unsers Willens, und wie sichs von so großen Männern nicht anders vermuthen läßt, nicht ohne Gründe. Nur auf die wichtige Frage, zu welchem Ende sind wir Marionetten? wußten sie wenig oder gar nichts zu antworten. Allein obige Muthmassung, daß wir nicht für uns existiren, lößt alles auf.
„Wahrhaftig, da haben Sie wieder Recht!“
Andre verwerfen die Unsterblichkeit der Seele. Man sezt ihnen wichtige Argumente entgegen, aber sie wehren sich durch; nur auf die Frage; wo bleibt beim Mangel der Unsterblichkeit Plan der Schöpfung, Weisheit Gottes, höchste Vollkommenheit? verstummen die Herren gewöhnlich. Nimmt man aber meine Hypothese an, so ist, auch wenn unsre Seelen sterblich sind, dennoch Plan in der Schöpfung —
„Hören Sie, Holderchen, vor izt sollen Sie Recht haben, aber nach dem Essen nicht mehr, dann werde ich wider Sie und Ihre Hypothese streiten, darnach richten Sie sich ein.“
Der Onkel zündete die Pfeife an und Rikchen trippelte näher.
„Aber,“ hub der Graf von neuem an: „wie haben Sie sich denn über solchen kritischen Gegenstand mit Rikchen unterhalten können?“
Holder. Wir sprachen nur eine kurze Zeit darüber.
Onkel. Kannst Du denn so was begreifen, Mädchen?
Rikchen. Wovon Sie sprachen nicht ein Wort; wovon aber wir, (sie zeigte auf Holdern) sprachen, ja. Wenn Sie sonst von der Liebe redeten, Onkelchen, da verstand ich nichts, aber — —
Onkel. (nimmt die Pfeife vom Munde) Was? Liebe?
Holder. (hustet)
Rikchen. Aber mit Herr Holdern läßt sich darüber viel deutlicher sprechen.
Holder. (hustet stärker.)
Onkel. Nun, sag mir nur, was soll denn das?
Rikchen. (sich anschmeichelnd) Sie — sind doch nicht böse? Sie lieben ihn ja auch, und ich bin auch — auch — —
Onkel. (legt die Pfeife hin) Was denn?
Rikchen. (ihr Gesicht an des Onkels Brust verbergend.) Verliebt.
Des Grafen Gesicht verlängerte sich bei diesem Worte; mit ofnem Munde und gefaltnen herabhangenden Händen stand er da und konnte keine Silbe hervorbringen. Rikchen blieb in ihrer vorigen Attitüde, und Holder zupfte an seinen Manschettenspizzen.
„Du bist verliebt?“ brachte endlich der Graf nach einer minutenlangen Stille hervor; er war in der grösten Verlegenheit mehr zu sagen, denn auf einer Seite schäzte er Holdern zu sehr, als daß er ihn vor den Kopf stoßen sollte, ob er gleich Holdern nicht in seine adliche Familie heurathen lassen wollte, auf der andern Seite befürchtete er bei seiner Pflegetochter alle Autorität für die Zukunft zu verlieren, wenn er zu einer Sache schwiege, die er ihr so oft verboten hatte. Er sah bald das Mädchen, bald den jungen Mann an und beschlos vors erste klüglich seine Verlegenheit auf die andern beiden zu wälzen: „Nun, Herr Holder.
Die Sache betrift Sie ebenfalls, und Sie schweigen?“
Holder. Gnädiger Herr, wenn mich das Fräulein liebt, dafür kann ich nicht, und Sie verzeihen es mir, daß ich gegen Friederikchens Reiz nicht unempfindlich bleiben konnte. Nur eins bleibt mir übrig, wenn mich diese That in ihren Augen verhaßt macht, Sie und Ihre Niece zu verlassen. Ich fühle es, daß es mir traurige Tage und traurige Jahre machen wird, aber ich fühle es auch, daß ich Mannes genug bin, endlich zu überwinden.
Rikchen. (schwermüthig zum Grafen heraufblikkend.) Und Sie wollten ihn von uns lassen?
Onkel. Aber mein Gott — —
Holder. Ich darf hier nicht Einrede wagen, ich darf auch nicht bitten. — Sie entscheiden und Ihrem Befehl muß ich mich untergeben.
Onkel. (in großer Verlegenheit) Aber was soll denn mit dem Lieben am Ende werden?
Rikchen. Gar nichts, gar nichts, verlassen Sie sich darauf.
Onkel. Ich kanns doch nicht machen, wie Onkels in der Komödie. — —
Rikchen. Wie machens denn die?
Onkel. Euch die Hände in einanderlegen und sagen: der Himmel segne eure Liebe, seid glüklich und damit holla.
Rikchen. Je, warum denn nicht?
Holder. (ernsthafter) Ich verstehe Sie.
Man ging zum Abendessen. Der Graf schwieg über Tische. Holder ebenfalls. Rikchen fragte verschiednes und erhielt keine Antwort. Zulezt standen sie auf; das gute Mädchen sezte sich in einen Winkel und weinte, Holder entfernte sich in sein Zimmer, und der Onkel, der seinen Liebling nicht weinen sehen konnte, ging frühzeitig schlafen.
Wie die lieben Leutchen nach diesem Auftritte geschlafen haben mögen, können sich die Leser leicht vorstellen. Der gutherzige Alte kalkulirte die halbe Nacht hindurch, entwarf hundert Pläne, und verwarf sie wieder, und konnte keinen festen Entschlus fassen.
Um ein Uhr in der Nacht hörte er drei Pistolenschüsse fallen. Sie geschahen oberwärts in Holders Zimmer; man wars von ihm schon seit einigenmalen gewohnt, und er gab vor, daß er das Echo bemerken, oder nach Vögeln schiessen wollte. Der Onkel lies sich nicht stören und schlief ein.
Das arme Rikchen wagte auch beim Frühstük folgenden Morgens nicht viel zu sagen; der Graf blies nachdenkend seinen Kanasterdampf von sich und lies oft seine Tasse kalt werden. Holder war noch nicht erschienen.
Mit einemmale hörte man Pferde in den Schloshof hereinsprengen. „Wenns doch Florentin wäre!“ rief der Alte, und stand auf; „wenn ers doch wäre!“ sagte das Fräulein lebhaft, und flog und ris das Fenster auf.
Rikchen. (traurig.) Ein Knecht mit zwei Reitpferden. (Pause) Ach, Gott! Onkelchen, er fragt nach Holdern! —
Der Graf. (bestürzt) Nach Holdern?
Rikchen. (mit Thränen im Auge) Holder will fort!
Holder. (der zur Thür völlig angezogen hereintritt) Ja, das will ich, muß ich. — Guten Morgen, Herr Graf, guten Morgen, gnädiges Fräulein! (küßt ihr die Hand.)
Der Graf. (bewegt) Herr Holder — —
Holder. Herr Graf, dürft’ ich Ihnen für Ihre bisherige Freundschaft und meine gütige Bewirthung hundert Thaler anbieten, einigermaaßen wieder zu vergelten, so thät’ ichs. Allein Sie schlagen es aus, und ich darf nur mit Worten danken. Es thut mit weh — o sehr weh — —
Rikchen. Herr Holder, lieber Onkel, hat geweint, seine Augen sind roth — —
Holder. Mag ihnen beiden dies ein Beweiß sein, wie lieb mir dieser Aufenthalt gewesen, wie ungern ich ihn verlasse. Ich habe in Ihrer Gesellschaft seelige Stunden gehabt, wer weiß, ob ich sie jemals schöner geniessen werde, denn ich war, wie in einem väterlichen Hause; all meine Wünsche starben, all meine Hofnungen gab ich auf, meine weit hinaus gehenden Entwürfe ließ ich vergessen, um ganz Ihnen zu leben, oder vielmehr in Ihren Armen meines Lebens froh zu sein. Izt hört dies alles auf, und ich schränke mein ganzes Glük nur darauf ein, daß Sie mich nicht vergessen mögen.
Rikchen. (weinend seine Hand nehmend) Wir Sie vergessen?
Der Graf. (immer mehr gerührt) Hätt’ ichs doch nimmer erfahren daß Ihr Euch geliebt hättet, — vielleicht — wärs besser gewesen.
Rikchen. Onkelchen, ja, Sie haben Recht, izt seh ichs; Liebe macht unglüklich, o sehr unglüklich! könnt es nur dießmal, dies einzige mal gut gemacht werden, ich wollte auch nie wieder lieben.
Holder. Trösten Sie sich, gnädiges Fräulein, ein Jahr — und ich bin vergessen.
Rikchen. Ein Jahr? ach, in dem Jahre weint’ ich mich tod. Freilich würd’ ich Sie dann vergessen müssen, denn im Tode, sagt man, hören all unsre Freuden und Leiden auf.
Holder. (küßt ihr die Hand, indem er seine Augen abtroknet) Und nun, Fräulein — —
Rikchen. (reißt sich los von ihm und wirft sich dem Grafen um den Hals) O, bester, lieber Onkel, lassen Sie Holdern nicht, oder ich sterbe — — haben meine Bitten je bei Ihnen etwas vermogt, haben Sie je meine Thränen gerührt: so hören Sie mich izt, so — so erbarmen Sie sich Ihren Rikchens!
Der Graf. (wehmüthig stammelnd) Kind, laß mich doch —
Rikchen. Nein, nein, Ihr Rikchen wird nie ruhig werden, wird sich unter die Erde grämen, wenn es izt verstossen ist. Sie werden mich nicht lange mehr haben, gewis nicht lange! — O Holder, einziger, liebster Holder, bitten Sie doch!
Holder. Ich halt’ es nicht aus! (schließt sie in seine Arme und küßt sie) Himmlischen Mädchen, lebe wohl! — noch einmal lebe recht wohl!
Rikchen. Wollen Sie dennoch? Sie selber? —
Holder. O Gott!
Rikchen. Sie selber? ach, Sie haben mich nicht lieb gehabt — können mich nie geliebt haben!
Holder. (mit Schmerz-gebrochener Stimme) Fräulein, Sie sehen nicht in mein Herz, aber Gott sieht es! — Herr Graf, leben auch noch Sie wohl! (will ihn umarmen.)
Der Graf. (indem er Holders Hände drükt, und ihn mit nassen Augen anstarrt.) Holder, Holder: was machen Sie? warum wollen Sie von uns? Wer hat Sie beleidigt? that ichs, that ichs, thats mein gestriges Schweigen so bitt ich um Verzeihung. Sehen Sie, die Sache war zu unerwartet, und da ists doch wohl einem alten Mann, der für das Wohl seines Lieblings sorgt, leicht zu übersehen, wenn er die Begebenheit recht überlegte.
Holder. Allein, sollten Sie izt, durch des Fräuleins Thränen bis zur Schwachheit gerührt etwas einwilligen, was Sie bei kälterm Blute — —
Der Graf. Nicht Schwachheit, nicht Uebertäubung! nein, Sie sind mir zu lieb geworden, als daß ich Sie von mir lassen könnte. Ihr Karakter ist mir unverholen, darum befürcht’ ich von Ihrer Liebe zu Friedriken nichts. Und Sie wissen ja selber, wie nothwendig Sie mir geworden sind; wollen Sie also nicht, daß sich das arme Mädchen krank harmet, wollen sie nicht, daß ich alter Mann mir ewige Vorwürfe machen, mir selber mein Restchen Leben verbittern soll, so bleiben Sie.
Rikchen. Null, lieber Holder? nun?
Der Graf. Da, nehmen Sie das Mädchen hin, nehmen Sie sie hin, ich will denn nun einmal der Onkel in der Komödie sein, aber bleiben Sie.
Holder. (umarmt und küßt den Grafen) Wohl, es sei; ich widerstehe nicht.
So lößte, sich der Auftritt in allgemeine Freude auf; Holder bestellte den Reitknecht ab; Rikchen sprang umher und küßte dem frohen Alten Hand und Mund; man sezte sich wieder zum Frühstük und fühlte nun ganz, wie sehr man an einander gekettet sei.
Was wären unsre Freuden, wo kein Harm ihren Werth erhöhte? Ein Edelgestein ohne Folie, ermüdendes Einerlei!
In der Nachbarschaft des Grafen von Duur lag ein ansehnliches Rittergut, zu welchem das Dorf Sorbenburg und eine vortreffliche Jagd gehörten. Der Besizzer des Gutes war schon seit etlichen Jahren gestorben; die Erben hatten seit eben so langer Zeit diesen Landsiz verpachtet und zulezt zum Verkauf ausgeboten.
Unser Onkel machte Spekulation darauf, aber er fand es immer zu theuer.
„Herr Graf,“ sagte Holder an einem Tage zu ihm; „wenn Sorbenburg mein wär, und ich hielt um Rikchens Hand an, würde sie mir abgeschlagen werden?“
Der Alte schmollte und sagte: „Mein Seel, wäre Sorbenburg Ihnen, so trüg ich Ihnen meine Niece selber an.“
„Ein Mann, ein Mann, ein Wort, ein Wort!“ erwiederte Holder; nun mus ich meine Baarschaft einmal nachzählen!
Jezt arbeitete Holder ämsiger auf seinem Zimmer, als je. Täglich versandte und bekam er Briefe, und weder der Graf noch Rikchen erfuhren wohin, warum und mit wem er so stark korrespondirte. Zuweilen war Holder sehr schwermüthig; weder die Naivetäten des Fräuleins noch die Laune des Alten waren vermögend ihm ein Lächeln abzugewinnen, in sich verschlossen saß er dann da, theillos an den Gesprächen und Scherzen der übrigen, und grübelte. Fragte man ihn deswegen, so erhielt man jedesmal zur Antwort: mein Glük und mein Unglück fließt aus einer Quelle, die ich niemanden offenbaren kann.
Indessen diese Launen, oder wie man es nennen soll, waren selten, der größte Theil der Tage verfloß im Duurschen Schlosse heiter. Florentin wäre gern Theilnehmer derselben gewesen, allein zum Unglük, oder soll man es Glück nennen? wurde er so schnell nach der Residenz berufen, um dort dem Herzog vorgestellt zu werden, daß er nicht einmal einige Tage Zeit hatte, nach Hause zu reisen.
Dieser Herzog war erst seit einem Monate an der Regierung; es war eben derjenige Prinz, welchen Holder vom Tode gerettet, hatte, ein Herr von sieben und zwanzig Jahren. Florentin gefiel ihm, und er gab ihm den Karakter eines Kammerherrn. Florentin meldete seiner Familie dies unerwartete Glük; der Onkel jauchzte, sah seinen Neveu schon als ersten Minister am Herzoglichen Throne, Rikchen hüpfte, küßte bald den Onkel, bald den lieben Holder — alles war Freude.
Der Graf stellte nach seiner Art ein kleines Fest an; der benachbarte Adel wurde dazu eingeladen, und ein halbes hundert Burgunder- Champagner- und Ungerflaschen waren bestimmt an dem feierlichen Tage auf Florentins Wohlsein geleert zu werden.
Auch Holdern war der Tag merkwürdig, denn der Fürst hatte sich seiner erinnert, und ihn aus Dankbarkeit in den Adelstand erhoben, nebst Verleihung des Gutes Sorbenburg. Holder war bestürzt, der Onkel noch mehr. Rikchen, aber glaubte izt ihn weniger rükhaltend lieben zu dürfen, und überließ sich deßwegen ganz dem süßen Glükke.
„Nun halt’ ich Wort,“ sagte der Onkel im Zirkel der ganzen Gesellschaft: „Nun halt’ ich Wort, und gebe dem Herrn von Sorbenburg die Gräfin von Duur zur Gemahlin!“ — —
Rikchen stand hocherröthend, neben ihrem Geliebten, in jungfräulicher Schaamhaftigkeit. Sie hörte die Worte, hörte sie gern und senkte den liebeschwimmenden Blick zu Boden. Holder dankte dem Grafen, Rikchen küßte ihm die Hand, die Gesellschaft der übrigen Herrn und Damen stattete ihre Glükwünsche ab.
Ich mahle die einzelnen Scenen dieses wonniglichen Festes nicht, ich sage nur dies, daß es eines der frölichsten in der Duurschen Familie war, daß jeder erst spät in der Nacht von Wein und Freude berauscht zu Bette ging, und daß am folgenden Tage — ach! Holder verschwunden war.
Man hatte um die Morgendämmrung die gewöhnlichen Pistolenschüsse wieder gehört, sodann einigen Tumult auf Holders Zimmer, aber nicht weiter darauf geachtet. Er war und blieb verschwunden; vergebens streifte man zu Fuß und Pferde durch die ganze Gegend, man fand keine Spur von ihm. Sein Zimmer war von innen verriegelt; ein Fenster nach dem Felde zu stand offen; alles lag auf der Stube verwildert durch einander geworfen, an der Erde, auf Stühlen und Tischen; einen Zettel fand man auf welchem die flüchtig geschriebnen Worte standen: „Leben Sie wohl, ich komme wieder!“
Man wartete ein halbes Jahr auf ihn, und er sollte noch wiederkommen. — —
Die Schwester des Herzog Adolf, an dessen Hofe sich Florentin von Duur befand, war ein schön gebautes, reizendes Frauenzimmer. Neunzehn Frühlinge blühten kaum auf ihren Wangen; sie war feurigen, schwärmerischen Temperaments; liebte gern und sah sich gern wieder geliebt und angebetet. —
Florentin war kaum am Hofe erschienen, als seine vorzügliche empfehlende Gestalt die Damen aufmerksamer machte. Prinzessin Louise, so hieß des Herzogs Schwester, sah ihn zum erstenmale auf einem Balle, welchen ihr Bruder gab; der Herzog unterhielt sich oft mit ihm, dies war genug ihm allenthalben Kredit zu gewinnen, — auch bei der Prinzessin. Durch ein beabsichtetes Ohngefähr kam sie ihm näher; sie fächelte sich mit einem seidnen Tuche, lies ihn von ohngefähr fallen, der junge Graf hob ihn auf, überreichte ihn, und der Herzog nahm Gelegenheit der Prinzessin seinen Kammerherrn vorzustellen.
Louise erlaubte dem Grafen einen Handkus, und sie war so gnädig, doch nur wie durch ein Ohngefähr, Florentins Fingerspizzen zu drükken. Florentin empfand die Allgewalt dieser schönen Ohngefährs; eine liebliche Röthe ergos sich über sein Gesicht; er blikte der Prinzessin schüchtern in die Augen, und sie entfernte sich, ohne aber der Röthe des jungen Mannes, und des Blikkes zu vergessen.
Man ist am Hofe nicht immer so glüklich, als im bürgerlichen Leben, wo man seinen Mann zu sehen öftere Gelegenheiten findet. Die Prinzessin fühlte diesen Mangel nur zu sehr, und ihn einigermaaßen zu vergüten, erlaubte sie ihrer Fantasie jede verliebte Ausschweifung.
Kein Wunder also, wenn der schöne Florentin ihr zuweilen in Träumen vor die Augen trat, sie da ihres fürstlichen Ranges vergaß, einen blühenden Jüngling an ihren liebevollen Busen drükte, und eine Wollust ahndete, welche kein Traum ihr gewähren konnte.
„Nicht wahr, liebe Auguste,“ sagte sie an einem Morgen zum Fräulein von Gülden, ihrer Kammerdame und Favorite: „nicht wahr, du hast auch schon geliebt?“
Frl. v. Gülden. (sanft erröthend) Ich geliebt?
Louise. Warum nicht? — du unschuldige Seele wirst ja so roth? Gewiß du hast auch schon geliebt!
Frl. v. Gülden. Ich bitte um Verzeihung, noch nicht!
Louise. Hi, hi, hi! noch nicht? o, Kind, man erräth, daß du noch nicht lange am Hofe gewesen bist, denn du weißt dich herzlich schlecht zu verstellen.
Frl. v. Gülden. Warum sollt ich mich verstellen? gegen Sie verstellen?
Louise. Da thust du Recht, liebes Mädchen. Allein offenherzig, hast du — — oder — oder du liebst vielleicht izt.
Frl. v. Gülden. Eben so wenig. (wendet sich weg)
Louise. So? nun da wirst du mir freilich eine schlechte Rathgeberin sein.
Frl. v. Gülden. Ich bitte — vielleicht —
Louise. Nun, auf dein vielleicht will ich es wagen; also zur Sache. Ich liebe, und zwar so heftig, als ich noch nie geliebt habe.
Frl. v. Gülden. (lächelnd) haben Sie also schon — —
Louise. O schon so oft geliebt, daß ich meine Eroberungen und Amouretten nicht mehr zählen kann. Ich bin doch wenigstens achtzehn Jahr alt, und — wie mir mein Spiegel sagt, auch nicht häßlich, folglich. — — Doch sag mir, Kindchen, räthst du mir diesmal zu?
Frl. v. Gülden. Zu lieben? warum nicht? denn unglüklich, ungeliebt werden Sie nicht sein, und ich kenne kaum eine angenehmere Stimmung der Seele; als eine solches — Ich hatte vor Jahr und Tag einen jungen Freund, — Freund, nicht Geliebten — es war eine herrliche Seele, gut, unbefangen und zärtlich. Der liebenswürdige Gustaf war vierzehn Jahr alt; die Knospe der Jünglingsschönheit brach izt schon auf bei ihm; ich sahe ihn gern und der Knabe mich; ihm war nur wohl, wenn er mich sahe, meine Hand drükken durfte. O, Prinzessin, ich gewann ihn lieb, und kann ihn noch izt nicht vergessen.
Louise. Erzähle doch weiter; ich lasse mir gern von Liebe und Liebenden vorplaudern.
Frl. v. Gülden. Jene Zeit war die glüklichste meines Lebens, ob ich gleich Stunden hatte, wo er mir fehlte, wo ich traurig umher wandelte, wohl gar heimlich weinte. Aber eine solche Thräne, die damals von mir verweint wurde, gewährte mir mehr Wollust, als die rauschende Freude eines Balls. Wenn ich in stillen Sommerabenden unter den Linden lag, vor dem Landschlosse meinen Vaters, und der schlanke Gustaf allein neben mir sas und mit meinen Schleifen tändelte, oder mit meiner Hand, wie mirs da so wohl war! dann schlang ich wohl meine Arme um seinen Leib, drükte ihn heftig an mich und küßte seine blühenden Wangen — oft glaubte ich mich in diesen Küssen satt zu schwelgen, aber meine Sehnsucht forderte noch immer und war nie gestillt.
Louise. Und das nennst Du Freundschaft, Augusta? dann mögt’ ich doch in aller Welt wissen, was Du Liebe nenntest?
Frl. v. Gülden. Ich habe schon gesagt, Gustaf war erst vierzehn Jahr alt, — zu jung um zu lieben und Gegenstand der Liebe zu sein. Und nennen Sie es immerhin Liebe; so wars die unschuldigste, reinste, die man je gekannt bat. Ich liebte Gustafen, bewunderte den schönen Knaben, und hegte zugleich eine gewisse Ehrfurcht vor ihm, die sich nicht beschreiben läßt. — Einst saß er am Abhang eines Hügels neben mir, beim Sonnenuntergange. Er sprach viel Angenehmes, ich schwieg, aber meine Gedanken antworteten ihm. Ich wollte mich einmal böse stellen, und wußte nicht warum? vielleicht daß ich ihn gern schmeicheln sehn wollte. Die gute Seele ließ sich täuschen, er glaubte daß ich auf ihn zürne, und sah betrübt vor sich nieder. Nach einem langen Schweigen, da ich schon meine Verstellung zu bereuen anfing, sah er endlich zu mir auf — eine Thräne schwamm in seinem Auge, die untergehende Sonne in ihr — sein Antliz glänzte in der Abendröthe, — es war eine Verklärung. „Du bist böse, Auguste?“ fragte er mit der Stimme einen Engels und ich schauerte froh und beklommen zusammen: „bin nicht böse!“ gab ich zur Antwort, aber wagte es nicht ihn zu küssen. Ich schien mir eine Sünderin neben einem Geliebten Gottes.
Louise. (lächelnd) Du Schwärmerin!
Frl. v. Gülden. Bald darauf wurde Gustaf krank, sehr krank. Ich saß an seinem Lager und sah ihn verwelken. — O, Prinzessin, er war noch immer schön; selbst als er so blaß da lag, und sein Blik nur matt an dem Meinen hing. Aber es jammerte mich — ich weinte viel, sehr viel, nur an seinem Bette lächelte ich. — Er küßte mich einst, und in dem Kusse entfloh sein Geist —
Louise. Arme Auguste!
Frl. v. Gülden. Lieben Sie nur, Prinzessin, es ist süß zu lieben.
Louise. Ich selber bin deinen Gustaf gut geworden, wenn er doch noch lebte!
Frl. v. Gülden. (zeigt mit dem Finger gen Himmel) O, ja, erlebt noch!
Louise. Und seit der Zeit hast du nie wieder geliebt?
Frl. v. Gülden. So nie.
Louise. Auch an unserm Hofe findest du deinen Gustaf nicht ersezt?
Frl. v. Gülden. Gustafen nicht.
Louise. Du bist vielleicht zu sehr für das Bild eines Geliebten enthusiasmirt, der nur noch in Deiner Einbildungskraft lebt; überdem hab ich mir sagen lassen, daß man den Werth verlorener Schäzze mit jedem Gedanken an sie versteigre. Doch las es sein. Was hältst Du vom Grafen Duur?
Frl. v. Gülden. (die Prinzessin anstarrend) Vom Grafen Duur? —
Louise. Nicht wahr, ein Meisterstük männlicher Schönheit? er hat mich bezaubert.
Frl. v. Gülden. Sie geruhen zu scherzen.
Louise. Scherzen? wie so? findest Du ihn nicht schön?
Frl. v. Gülden. Könnten Sie ihn lieben?
Louise. Warum nicht? Können? sonderbar, ich bin ja ein Mädchen, liebe Auguste, wie Du? Dich entzükte Dein vierzehnjähriger Gustaf und mir sollte der Graf nicht gefallen? —
Frl. v. Gülden. Eine Fürstin aus herzoglichem Geblüt und ein Graf! Prinzessin, bedenken Sie wohl! — Lieben können, ja, da hab’ ich unrecht gefragt, aber lieben dürfen — dürfen!
Louise. Ich verstehe Dich; allein Du mußt wissen, daß der Graf nicht mein Gemahl, sondern mein Geliebter werden soll. Da man mein Herz nicht befrägt, wenn meine Hand dem Staatsinteresse aufgeopfert wird; warum sollte mein Herz fragen, wenn es sich zu verschenken Lust fühlt! Und das Herz sieht nicht auf den Rang, sondern mißt seine Hochachtung nach der innern und äußern Schöne den Gegners.
Frl. v. Gülden. Freilich wohl.
Louise. Mein einstiger Gemahl wird nie so blödsinnig sein können Liebe von mir zu verlangen, wenn ich sie nicht geben kann, so wenig als ich sie in gleicher Lage von ihm fodern würde. Wir sind deswegen aber nicht verpflichtet den Freuden der Liebe zu entsagen. — — Nun, Auguste, findest Du den Grafen liebenswürdig?
Frl. v. Gülden. (ernsthaft) O, sehr.
Louise. Und Du wirst mir doch zu einigen Entrevüen tapfer beistehn.
Frl. v. Gülden. Sie befehlen.
Louise. Das so trokken hingesprochen?
Frl. v. Gülden. Haben Sie denn auch schon Beweise von des Grafen Gegenliebe?
Louise. (ihrem Spiegel zulächelnd) Und wenn auch noch nicht.
Frl. v. Gülden. Ich halt’ es doch aber für nothwendig.
Louise. I nun, wärst Du mit einem schüchternen, verworrenen, unendlich viel sagenden Blik des schönen Mannes zufrieden?
Frl. v. Gülden. Wie sollt’ ich nicht?
Louise. Oder mit einem Erröthen desselben, wenn er Dir die Hand küßte?
Frl. v. Gülden. (unruhig) Erröthete er wirklich?
Louise. Nun ja.
Florentin, von einer Prinzessin geliebt, von einem Fürsten geachtet und hervorgezogen, befand sich am Hofe, wie man leicht erräth, vollkommen zufrieden. Man kannte ihn allgemein als den Favorit des neuen Herzogs, und eben deßwegen liebkosete ihn der Neid selber.
Aber ach! seine Freude war nicht ungetrübt, denn aus einem Briefe seines guten Onkels erfuhr er Holders Verschwinden, und die vorhergehenden Szenen der Liebe, Verlobung, des neuen Adels und Rittergutes. Holder war ihm zu lieb; er konnte nie jenes Morgens vergessen, da derselbe den sonderbaren Eid schwur; er wünschte ihn izt, als Zeugen seines Glükkes und nun war er verloren. Daß Holder ein ausgemachter Sonderling war, blieb Florentinen nicht unverholen, aber jezt schien ihm das Spiel doch etwas zu weit getrieben, oder es mußten schlechterdings geheime, wichtige Ursachen den Mann zwingen sich aus den Armen eines Mädchens, das er nach seiner Aussage über alles liebte, aus den Armen des alten Grafen, der ihn seinen Sohn nannte zu reissen.
Am meisten war das arme Rikchen zu bedauern, welche sich über den Verlust ihres Holders wenig trösten lies. Sie verbarg umsonst ihrem Oheim die Thränen, welche sie weinte; denn die verschwindende Rosenfarb’ ihrer Wangen, die halberstikten Seufzer, die rothgeriebenen Augen, das seltne, melancholische Lächeln, das einsame Umherwandeln sagten ihm genug, und er litt doppelt, um den Gram seines Rikchens und um den Verlust seines einzigen Freundes.
Er suchte Zerstreuung und fand sie selten; auf der Jagd fehlte ihm der sonstige, angenehme Begleiter, in frohen Gesellschaften sein liebster Gegner. Dazu kam es, daß die Geschichte allgemein bekannt geworden war, und die alten und jungen Damen und Herrn in ihren Konversationen oft sehr übel darüber meditirten.
Florentin suchte durch seine Briefe tropfenweis Linderung auf diese Wunde zu giessen, aber umsonst; sie verharschte schwer und blutete leicht wieder auf. Rikchens Briefe an ihren Bruder waren rührend; noch nie hatte die leidende Liebe naiver geklagt, zärtlicher getrauert.
„Wie gern mögt ich sterben, sagte sie, und mich trösten lassen vom Tode! aber dann würde unser Oheim ganz verlassen sein, ohne seinen Holder, ohne sein Rikchen! Er soll sich nicht grämen; ich will leben und weinen, ach Gott, wer weiß es, wie lange noch! O Florentin, hätte ich nie geliebt und des Onkels Gebot befolgt — aber was konnt ich thun um Holdern nicht zu lieben? — Es war ja unmöglich, und die Unmöglichkeit selber war mir angenehm, ist mirs noch izt, da ich dies unter Thränen schreibe. Aber weist Du was mich beruhigte — Unser Prediger sagte neulich, daß Gott die Liebe selber wäre; wenn nun der alte Mann nicht Unrecht hätte, denn das mus er doch wohl aus der Erfahrung wissen: so wird Gott mir meinen Holder wiedergeben! — Holder mir wieder! Holder! o Florentin, ich mus in den Garten hinausfliegen und mich erst müde freuen, eher ich Dir weiter schreiben kann.“
So schwärmte das gute Mädchen immerfort, und der alte Graf mit ihr. Nach Wochen und Monden konnte Rikchen nicht mehr weinen; der heftige Schmerz verwandelte sich in eine süße Schwermuth, und diese umnebelte mit ihrem Schleier die Bilder der Vorzeit. Alle Leiden.
— All die namenlosen Wonnen
Sie waren izt in der Erinnrung Traum zerronnen,
Und — — — dieser noch ist schön;
Denn ihm verschwistert sich die traute Hofnung gerne,
Sie läßt dem Trauernden in öder Ferne
Der bessern Zukunft Paradise sehn.
Der alte Graf und seine Nichte lebten izt wieder das ehmahlige, einfache Landleben, wie es vor Florentins Ankunft und Holders Bekanntschaft war. Außerdem daß Florentin sie unterweilen einmahl besuchte, waren ihrer Freuden wenig, so wie ihrer Leiden.
Nur Florentins Leben war nicht mehr das stille, friedsame; hineingezogen in die große Welt, suchte er sich nun an alle ihre Sonderbarkeiten zu fügen; Von einem Herzoge Liebling, wagte ers seine ehmahligen, schmeichelhaften Ideale in Wirklichkeit zu sezzen. Er wünschte sich völlig gleich bleiben zu können; er sann darauf nicht sich höfisch gros zu machen, sondern große Thaten zu thun, denn an Gelegenheiten zu erhabnen Dingen ist die Zeit niemals arm. Vor allen Dingen bemühte er sich die Gnade seines Fürsten mehr zu verdienen, sich demselben immer unentbehrlicher zu machen. Es geschah. Der Herzog kettete sich täglich fester an den Grafen; Beide sah man stets beisammen; sie betrachteten sich zulezt nicht mehr, als Obrigkeit und Unterthan, sondern, als Freunde und Brüder.
Seliges Volk, dessen Fürst nicht an den Launen einer Pampadour gefesselt ist, welche mit einem wollüstigen Blik die ganze Tugend eines Landesvaters verzehren, mit einem erkünstelten Seufzer den biedern Verdienstvollen um Hab und Gut und zum Kerker bringen, durch eine buhlerische Thräne ein ganzes Land entgütern kann!
Der Herzog liebte alles, was von Florentin gethan wurde; er nahm in vielen Stükken dessen Prinzipe an und er fand sich dabei und sein Volk glüklich. — Bis izt kannte dieser Fürst den Werth deutscher Schriftsteller nur wenig, der Graf lehrte ihn denselben schätzen; in kurzer Zeit besas er eine geschmakvolle Bibliothek der vorzüglichsten deutschen Werke; sowohl Statistiker, Philosophen, als Dichter, wurden seine Lektüre. Aber nicht jene alltägliche Lektüre, welche die Langeweile einger Stunden vertreiben soll, war die des Prinzen, sondern die, sich durch gute Schriften gut zu bilden, sich aufzuklären, und denken und handeln zu lernen. Das Land empfand die wohlthätigen Folgen, welche nothwendig daraus entspringen müssen, und segnete seinen Vater.
Unterdessen der edle Graf so seine Stunden für das Wohl des Ganzen widmete; unterdessen er von tausend Zungen vergöttert wurde, nagte ein geheimer Wurm an seinem Herzen, welchen er nur zu wohl kannte, aber um seines Glükkes willen nie verrathen dürfte.
Er liebte — und wen? — —
Der alte herzogliche Geheimerathspräsident von Hello, ein Mann von namenlosem Stolze, und eben so großer Bigotterie, kam aus einer Seßion, als ihm unterwegs ein Gedanke beifiel, welcher seine nähere Aufmerksamkeit zu verdienen schien; und dieser betraf nichts geringers; als daß er den Grafen zu seinem Schwiegersohne erwählen wollte.
Agathe, sein Fräulein Tochter, hatte oft des Grafen sehr wohlwollend erwähnt, bald seinen angenehmen Wuchs, bald seinen männlich-schönen Teint gelobt, da sie übrigens sehr ungern etwas gutes und liebenswürdiges außer ihrer kleinen, etwas misgewachsnen Person zu finden glaubte.
Sie war das einzige Kind des Präsidenten, und hatte übrigens alle Lebensmaximen desselben geerbt, mit welchen sie eine halbvertuschte Coquetterie verband; der Vater liebte sie daher mit Affenliebe, ihre Gebrechen verwandelten sich in seinem schonenden Auge zu Schönheiten, die Summe aller Tugenden seiner Ahnen und Ahninnen glänzten ihm von seiner Tochter wieder entgegen.
„Du scheinst mir, sagte er lächelnd, Du scheinst mir den Grafen von Duur nicht zu hassen, Agathchen?“
Agathe. Wie fallen Sie auf den?
Präsident. Heut zum erstenmahl zog ich seine Person genauer in Betrachtung.
Agathe. Und?
Präsident. Ich fand einen feinen, gesitteten Mann, der da Ehre zu geben weis, dem Ehre gebührt.
Agathe. Ein geringes Verdienst, wahrhaftig!
Präsident. Er benuzte meine Laune und unterhielt sich mit mir über eine halbe Stunde.
Agathe. Viel, sehr viel von einem herzoglichen — Mignon!
Präsident. Unter andern fragt’ er mich um Dein Befinden.
Agathe. Ergebne Dienerin!
Präsident. Nun sag mir, Agathe, sag mir, was urtheilst Du von diesem Kavalier?
Agathe. Daß er — daß er — sehr artig ist — daß er zu leben weis.
Präsident. Blutwenig; allein er ist von sehr altem, unvermischten Adel.
Agathe. Zählt er über die Hello’s hinaus?
Präsident. Ueber unsre Ahnenzahl? Bestes Agathchen, Du bist unterweilen mehr beissend, als wizzig! ha, ha, ha! über die Hello’s hinaus! ha, ha, ha! — Doch, beiseite dies; er gefällt mir; und Dir —?
Agathe. (den Kopf zurükwerfend) Hm, ein andres ist es den Herrn, ein andres den Damen gefallen; — indessen — wie Sie wollen; nun ja, er mag mir gefallen.
Präsident. So? — nun, was hältst Du von — ich rede offenherzig zu Dir — war hältst Du von einer Mariage zwischen — —
Agathe. (sinkt aufschreiend in einen nahestehenden Sessel.) Mon Dieu! — ein Riechstäbchen!
Präsident. (geht kaltblütig und summend das Zimmer auf und nieder.)
Agathe. (halbe Ohnmacht affektirend.) O, Himmel! — nehmen Sie — mir alles, nur meine — Freiheit nicht — nur den elenden — Grafen nicht zu meinem Gemahl! —
Präsident. (lächelnd.) Wer dringt Dir denn den Graf auf? Der Graf, sagte ich, wird sich mit einer unsrer Verwandtinnen, dem Fräulein Aldenau vermählen.
Agathe. (erschrokken. Doch Heiterkeit heuchelnd.) Mit — mit dem Fräulein Aldenau? — Ist das sicher?
Präsident. So, daß ich nicht daran zweifle.
Agathe. Es ist unmöglich, sag ich Ihnen.
Präsident. Wie so?
Agathe. Eine Aldenau? — Graf Duur eine Aldenau wählen? wahrhaftig ich hätte seiner Delikatesse mehr getraut; und überdem —
Präsident. Ueberdem? —
Agathe. Kenne ich den Graf zu wohl; auf der lezten Redoute, als er mich von einer Angloise zurükführte, lies er einige vielsagende Worte fallen. Die —
Präsident. Nun?
Agathe. Von seinem edeln Geschmak zeugten. — Er wich selten von meiner Seite; sprach viel Süßes — und — —
Präsident. (lächelnd.) Agathchen, gefällt Dir der Herr von Duur?
Agathe. Ist Ihre Nachricht von der Aldenau gegründet?
Präsident. Völlig gegründet.
Agathe. Unerhört! sollte man je die Möglichkeit eines so pöbelhaften Einfalls träumen können? o, erlauben Sie, ich mus auf mein Zimmer; mir wird es — ich befinde mich nicht ganz wohl.
Präsident. Wir haben heut Gesellschaft; man wird Dich doch sehen?
Agathe. Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Präsident. Der Graf selber wird uns die Visite machen.
Agathe. O weh, desto schlimmer! erlauben Sie, daß ich mich in die Einsamkeit retirire; ich will Aesops Fabel vom Fuchs und dem leeren Statüenkopf lesen.
Präsident. Und (schlau lächelnd.) Die Geschichte mit dem Fräulein von Aldenau ist so gut, als ein Märchen.
Agathe. (mit plözlich aufgeklärter Miene.) Wie, sagen Sie, wie? ein Märchen? — (kalt und stolz.) Doch seis auch, was intereßirts mich?
Präsident. Schade, Schade, daß Dir nicht wohl ist!
Agathe. Ich hoffe, es wird vorübergehn.
Präsident. Nein, nein, liebes Agathchen, hab wohl auf Dich Acht; opfre Deine zarte Gesundheit nicht um der Gesellschaft willen auf!
Agathe. (schmeichelhaft) Nicht doch, Papachen, es würde ja manchen beleidigen, wenn ich in der Gesellschaft fehlte; erlauben Sie mirs nur; — ich erscheine.
Präsident. He, he, he, he! und wer ist denn der Manche? he, he, he! wer ist denn der manche?
Der alte Präsident wollte wizzig, und Agathchen gern roth werden, aber Beiden gelang es nicht.
Es wurde Abend; die Karossen rollten herbei; der Graf kam; Agathchen ermangelte nicht anwesend zu sein. Der Präsident sprach hin und wieder; Florentin horchte, verstand es nicht und lächelte. Agathchen warf eben so oft in süßer, jungfräulicher Schaam den Fächer vor die Augen und Florentin verstand mehr; und scherzte wie in einem Scherze. Der alte Minister nannte den Grafen zuweilen Söhnchen; Florentinen ging ein Licht auf und er — rieb sich die Stirn.
Ich habe einen berühmten Pädagogen gekannt, dessen Schriften über das Erziehungswesen mit allgemeinem Beifall aufgenommen wurden, dessen eigne Kinder aber Taugenichtse waren.
Einer unsrer größten Schriftsteller über die Oekonomie und Landwirthschaft wußte selber so wenig wirthlich zu leben, daß er bankerotirte.
Es ist also ein sehr alltäglicher Fall, daß große Leute in ihrem Hause selber öfters die kleinsten sind, und daß sie von ihrer häußlichen Unordnung auf das abstrahiren, war besser sein könnte. Eben so ging’s auch dem in vieler Hinsicht sehr einsichtsvollen Staatsmann, Geheimerathspräsidenten v. Hello. Er, der oft mit so vieler Schlauheit fremden Höfen das wahre Interesse seines Fürsten zu verbergen wußte, beging den großen Fehler seinen Freunden zu verrathen, daß der Graf v. Duur Absichten auf das liebenswürdige Fräulein Agathe geäussert habe, wenigstens zu äussern schiene, und daß Fräulein Agathe so wenig, als Sr. Excellenz, diesen Absichten entgegen zu arbeiten, geneigt wären.
Am folgenden Tage war die Residenz von dieser Novelle voll.
„Der schöne Graf die Agathe v. Hello?“ hiess es in bürgerlichen und adlichen Gesellschaften; — der „Graf die Agathe v. Hello? Die beiden Extreme der Natur, Schönheit und Häßlichkeit verknüpfen sich mit einander?“ dachten die verheuratheteten und unverheuratheten jungen Damen bei sich in der Stille, und sagten es zum Theil auch wohl laut. „Er opfert seine Delikatesse der Politik auf!“ gaben einige weltkluge Herrn sehr weislich an. „Vielleicht schließt der Graf diese Heurath aus Liebe zum Kontrast!“ wizzelten einige Wizjäger.
Das Fräulein v. Gülden erfuhr diese Nachricht, ging in ihr Kabinet und — weinte.
„Ich habe geliebt, sagte sie vor sich, ich habe geliebt, und werde nie wieder lieben! o, was ein Mädchen unglüklich ist, welches seine Liebe nie verrathen darf! Er hat mich kaum bemerkt, seit er am Hofe ist; und wie konnt er das, er der von allen Vergötterte? hat mich kaum bemerkt, und ich habe ihn so sehr geliebt! — Ja, ich habe ihn geliebt, liebe ihn noch; und wäre Agathe v. Hello zehnfach reicher denn Auguste v. Gülden, und wäre Agathe v. Hello die Tochter einen Kaisers, sie könnte ihn nicht heftiger, als ich, lieben. — Aller Weiber Blikke buhlten um den seinen, nur der meinige nie, und, ach, ihre Coquetterie trägt den Sieg davon! — Vielleicht wär ich glüklich gewesen, hätt ich ihn mehr aufgesucht, und alle die Reize aufgespannt, welche Agathe aus ihren Romanen kennen gelernt haben mag. — Ein schmachtender, oder ein wollustbietender und wollustverlangender Blik wirkt mehr auf Männerherzen, als das schaamvolle zu Boden gesenkte Auge. — Unseelige Erfahrung, die mich zu spät weise macht!“ — —
„Doch nein, ich bin zufrieden in meinem Unglük; ich verachte den Sieg, wozu die Sünde Waffen bietet. (sie zieht ein Miniaturgemälde aus dem Busen, sieht es mit nassen Augen an und drükt einen Kus darauf.) Gustaf, seeliger Gustaf, sei Du; bleib Du mein Geliebter! — wie sehr diese Züge den Zügen des Grafen gleichen! — Eben diese Harmonie ist die Quelle meines Leidens. Zürne nicht, lieber schöner Gustaf; Duur konnte dich nicht aus meinem Herzen verdrängen, aber wohl hätte ich dich allein nur in ihm geliebt. — Du bist mein, und dieses Bildniß soll mich ewig begleiten. — Lieg’ ich einst im Sterbebette, seh ich die Träume dieses Lebens gemach verschwinden, fühl ich mein Auge brechen, dann will ich das Heiligthum noch einmal betrachten, und es mit sterbenden Lippen küssen!“ —
So schwärmte das Mädchen noch ein Weilchen hin, nahm dann ein Buch und las. — In eben dem Augenblikke trat die Prinzessin Louise zur Thür herein; das Fräulein legte das Buch zur Seite, und ging ihrer Gebieterin entgegen.
Pr. Louise. Ich störe doch nicht, Auguste?
Frl. v. Gülden. Wie könnten Sie stören?
Pr. Louise. Du hast ja geweint, liebes Mädchen? — warum so schwermüthig? sehnst du Dich fort von hier nach den Landgegenden um deines Vaters Schlosse? oder bist du beleidigt worden? sprich doch!
Frl. v. Gülden. (die Thränen weglächelnd) Keines von allen. Ich habe gelesen.
Pr. Louise. So? ist denn das Buch so herzbrechend? — laß doch etwas daraus hören, ich mögte auch wohl einmal weinen.
Frl. v. Gülden. Sie werden sich — —
Pr. Louise. Nichts; nichts! ich will mich hieher sezzen am Fenster und du sollst mir etwas vorlesen. — Es kömmt darin doch auch von Liebe vor.
Frl. v. Gülden. (mit angenommenem scherzhaften Tone) Allerdings, was könnte sonst interessiren.
Pr. Louise. Ich denke auch. Also — —
Frl. v. Gülden. (lesend) „Es war einmal eine Zeit, wo ich sehr glüklich war; es war einmal eine Zeit, wo mir alle Menschen Heilige, diese Welt ein himmlisches Gefilde, dieses Leben ein schöner Morgentraum schien! — Es ist süß, sich noch an vergangnen, glüklichen Tagen zu weiden, seelige Szenen in das treue Gedächtniß heimzurufen. O, kommt zurük ihr heiligen Stunden meiner Kindheit und umgaukelt meine kranke Seele mit euern bunten Farben! lebt auf ihr frohen Augenblikke, die ich an den Ufern eines Baches verträumte, und ihr verwelkten Jasminlauben blüht auf, die ich einst für mich und den Geliebten hinpflanzte! — Ihr seid verwelkt; ich welke mit euch hin. Dieses Leben ist mir noch eine einsame Zelle, worin ich vergangne Freuden beweinen muß.“
„Du trauerst, mein Liebling, und seufzest aus der Ferne zu mir herüber? — Kettengeklirr wekt Dich aus dem mitternächtlichen Schlummer? — O, am Tage des großen Weltgerichts wird Deine Unschuld ohne Schleier offenbar werden; schöne Stunden blühen für uns in einer bessern Welt! Harre bis dahin und dulde; hier verweinte Thränen werden dereinst Rosen in Deinem Kranze. — Lächle, lächle! mag die furchtbarste Stunde Dir erscheinen, sie wird Dich nicht schaudern machen; denn Unschuld wandelt ja heiter über sinkende Welten; die schwarze Gefahr geht liebkosend ihr vorüber; in schauerlichen Mitternächten ist sie sich selber ein leuchtendes Gestirn!“ — —
Pr. Louise. (gähnend) Höre auf, höre auf, wenn Du mich wachend haben willst. — Mein Gott wohin denken denn unsre heutigen Büchermacher; ist es doch, als kämen sie alle aus dem Bildervollen Morgenlande gewandert. Willst Du lesen, Auguste, so komm zu mir; ich gebe Dir die Gedichte im Geschmak des Grecourt. Weißt Du nichts Neues?
Frl. v. Gülden. Wenig, und vielleicht etwas unangenehmes für Sie.
Pr. Louise. (sinnend) Unangenehm? doch nichts vom Grafen Duur?
Frl. v. Gülden. Eben von ihm.
Pr. Louise. (ängstlicher) Nun was ists?
Frl. v. Gülden. Daß er — erklärter Bräutigam — des Fräuleins von Hello ist.
Pr. Louise. (ausgelassen lachend) Ha, ha, ha! wer band Dir das Märchen auf?
Frl. v. Gülden. Ich bitte um Verzeihung, kein Märchen.
Pr. Louise. Wahrheit? — lustig, liebes Mädchen, so ist es noch besser!
Frl. v. Gülden. (erstaunend) Wenn ich fragen darf, wie so?
Pr. Louise. Du, Sonderbare, wie könnte der Graf die ekelhafte Puppe lieben? Heurathen wird er sie, doch ohne Liebe; diese bleibt mir übrig! — Freue Dich!
Frl. v. Gülden. Sie sind Ihres Sieges so gewis über ihn?
Pr. Louise. Du fragst sehr beleidigend?
Frl. v. Gülden. (seufzend) Verzeihen Sie?
Pr. Louise. Warum seufzest Du? — meinst Du vielleicht daß ich zürne? nicht doch, wie könnt ich das? komm, küsse mich!
Frl. v. Gülden. (sie küssend) O, Prinzessin!
Es war an einem schönen Sommerabend, als die ganze herzogliche Familie in dem Schlosgarten offne Tafel hielt. Unter den anwesenden Hofleuten befand sich, wie man leicht erwartet, auch der Graf v. Duur, und das Fräulein von Gülden mit ihrer Gebieterin.
Der Graf war ungemein heiter; eine liebliche Ahndung umschwebte ihn; er wandelte bald einsam unter den hohen, finstergewölbten Linden, durch welche das Licht der Abendröthe zitterte, bald nekte er die Damen.
Es wurde später; die hohe Gesellschaft entfernte sich, der Herzog sowohl, als seine Frau Mutter, und der Schwarm von Räthen, Kammerherrn, und Hofdamen. Nur Florentin blieb, und wußte nicht warum? er fühlte sich seeliger, als je, und wußte nicht warum? — —
Sinnend ging er durch die Alleen, an den Kanälen umher, unter den duftenden Orangerien; oder er bestieg die Terrassen, verweilte bei den Fontainen, oder besuchte das Chor der im Mondglanz schimmernden Marmorstatuen. Und überall, wo er ging, wo er stand, umschwebte seine Seele ein süsser Name, ein süsses Bild, welches beides er um kein Fürstenthum gern verloren hätte. — Er liebte, liebte vielleicht glüklich; die ernste Vernunft wagte es freilich wider diese Empfindung zu streiten, aber blieb gegen ihren Zauber zu schwach.
Florentin liebte die schöne Schwester seines Herzogs, die Prinzeßin Louise.
„Wehe Dir, Florentin!“ rief oft sein Genius ihm ins Ohr: „Deine Liebe wird schreklich enden. Warum schwindelst Du vermessen über Stand und Würden hinweg? Wie manches Mädchen, gleich schön, wie Louise, und ganz zur Liebe gebaut, wie sie, Dir im Range gleich, öfnet ihre Arme Dir entgegen? — Warum wählst Du von allen Wegen den Gefahrvollsten? — Dein Herabsturz wird eben so schreklich sein, als Dein Emporsteigen dir izt schmeichelhaft ist!“
Florentin hörte die Stimme des warnenden Geniusses; aber der dazwischen tönende Name Louisens füllte Ohr und Seele und lies für alles übrige keinen Raum. Jedes im Abendwinde zitternde Laub schien ihn zu lispeln; jeder Strahl des Mondes ihn auf die rinnende Welle mit Goldschrift zu mahlen; jedes Blumenbeet absichtlich in einem L. die schönsten Blumen blühen zu lassen.
Nein, nein, es ist nicht die Willkühr des Menschen in der Liebe, sondern die Hand des Verhängnisses, welche gewaltsam die Fäden unsers Schiksals zerreisst und an einander knüpft, und Seelen Seelen entgegenführt. Wer kann dem Fatum widerstehen, und besonders wenn dasselbe uns in so weiche Fesseln schlingt! — — Spreche doch keiner vom freien Willen; wer ist wohl frei in der Wahl eines zu liebenden Gegenstandes und frei, wenn er liebt, der süssen Leidenschaft zu entsagen?
Florentin, Dein schwarzer Dämon ruft Dir das Wehe! zu, ich spreche: Heil Dir, der Du izt in angenehme Träumerein verstrikt, die ganze Seeligkeit des Lebens fühlst, und in banger Wollust Freuden ahndest, welche die Freuden des Himmels begränzen. — Deinen trüben Stunden kannst Du doch nicht entrinnen!
Es war neun Uhr vorüber, und der Abend viel zu schön, als daß die rasche, feurige Louise sich schon in ihr Kabinet hätte einkerkern sollen. Ueberdies erfuhr sie durch ein Ohngefähr, daß der Graf von Duur im Schlosgarten geblieben sei, wo man ihn noch vor einer Viertelstunde gesehen haben wollte. Dieser Zufall hatte mächtigern Reiz, als alle übrige Lokkungen des schwülen Sommerabends. Einsam war sie; der Flügel des Palasts, den sie bewohnte, sties an den Garten, — nichts war hier also ein Hindernis um ungestört dahin fliegen zu können; und eine sonst unbescholtne Person ihres Ranges ist über niedrigen Verdacht erhaben.
In einem leichten Nachtgewande, eine Enveloppe um sich geworfen, ging sie hinaus;
Und wie ein Paradies, in rätselhafter Helle,
Lag ihren Blikken izt der Garten ausgespannt;
Ein süsser, wonnesamer Blütenregen
Schlug ihr im Zug der Abendluft entgegen.
Rings säuselts feierlich. Der Bäume schwarzes Grün
Lies sich auf Zefyrs Schwingen wiegen;
Von keinem Fus berührt, krümme sich in schönen Zügen
Der breite, sandge Pfad durch Hekken von Jasmin.
Von ferne murmelte, mit Golde überflogen,
Der prächtigen Fontainen halber Bogen,
Und in der Luft zerflos ein süsser Hall
Der einsam flötenden Nachtigall.
Schüchtern wie die Unschuld, wenn sie auf unbekannten, verrufnen Pfaden gehen mus, und eben so sorglos, als sie, trat die Prinzessin in dies angenehme Revier hinein, indem sie sich nach allen Seiten umblikte, den Geliebten zu entdekken. Bald wandelte sie im hellen Mondenschein, bald entwich sie in den Schatten der Orangerien und Hekken, je nachdem ein oder der andre Gedanke sie lenkte. Bald wünschte sie von ihm erblikt zu werden; es ist die sicherste Probe, dachte sie bei sich, wenn er dann durch Winkelzüge, oder grade Wege sich Dir nähert, ob Du Eindruk auf ihn gemacht hast. Weicht er aus, so — — doch nein, das kann er nicht! Aber wenn er es thäte? still, halt Dich verborgen, und lausche umher, bis er sich zeigt; dann spiele Dich ihm von ohngefähr in den Weg, daß er unmöglich entkommen kann. — Allein wird er nicht argwöhnen, daß — Du ihn aufgesucht habest? wird er nicht daraus schliessen, daß Du ihn liebest? — Pfui! doch mag ers immerhin, mag er dich verstehen, wenn er nur Gleiches mit Gleichem erwiedert! —
Indem sie so hin und her schwankte und bald durchs Dunkle und bald durchs Helle schlich, störte sie mit einemmahle ein sehr geringfügiger Umstand in ihren verliebten Betrachtungen — ein Strumpfband.
Dieses unbedeutende Stükchen in der Damenkleidung, welches schon so manche wichtige Rolle gespielt hat, und sogar schon Gelegenheit zu einem bekannten englischen Orden gab, wurde Louisens schönem Kniee treulos, löste sich mit jedem ihrer kleinen Schritte mehr auf, machte auch den seidnen Strumpf von seinem Dienste abspenstig, so daß beide ganz unbemerkt, und sanft, als möglich, über die niedlichste Wade hinabschlüpften, bis zum Knöchel hin.
Das liebeathmende Mädchen ahndete diese kleine Verrätherei so wenig, daß sie eben so unbefangen, als je, forttrabte. Allein ein buhlerischer Zefyr flatterte bald um die entkleidete Schönheit, und ein hervorragender Zweig der benachbarten Hekke, welcher wahrscheinlich noch nie die unverhüllte Wade einer schönen Prinzessin gesehen, schlang sich um dieselbe, und wekte durch seine kühle Umarmung Louisen aus ihren Ueberlegungen.
Sie sezte ohne Zaudern den Fuß auf eine dabei stehende Rasenbanke, schürzte das seidne Rökchen in die Höhe und war so eben im Begrif die kleine Unordnung wieder herzustellen, als — o weh! der Graf unverhoft aus einem mit hohen Hekken besezten Seitenweg hervortrat, und vor ihr, wie versteinert, stehen blieb.
Louise war eben so bestürzt, als der Graf, und war eben so wenig vermögend ihre Attitüde, so sehr sie auch gegen alle Decence stritt, zu verändern, als der Graf seine Augen von dem schönen, seltnen Schauspiel, von der weissen, sanftgeründeten Wade, von dem entblößten Knie, u. s. w. u. s. w. wenden konnte.
In allen Fällen ist ein solcher Auftritt zwischen einer Dame und einem jungen Manne mit mehreren Annehmlichkeiten, als Widrigem verknüpft, sobald wenigstens nur einer von beiden Theilen der Sache eine vortheilhafte Wendung zu geben weiß. Allein ob der Graf, welcher sich und die Prinzessin aus der peinigenden Verlegenheit retten wollte, sich hier zum besten nahm, laß ich unentschieden. Er lag nämlich nach einigen Augenblikken zu Louisens Füßen und — bat um Verzeihung sie überrascht zu haben.
Mögten alle Damen so tolerant sein, als hier es die unsrige war. Es ist doch einmal geschehen, dachte sie, er liegt nun einmal zu meinen Füßen, mein Knie meine Wade kann ich nicht ungesehn machen — folglich mag es ihm verziehen sein. —
Sie zupfte den Rok etwas tiefer hinab und sagte lächelnd: „Sie haben Ursach um Vergebung zu bitten!“
Liebe macht kühn, und das Halbdunkel der Nacht verwegen. Er drükte einen brennenden Kus der Dankbarkeit auf ihre Hand, welche sie, absichtlich ober nicht, wegzog, so daß seine Lippen auf dem Orte ruhten, welchen Band und Strumpf unbedekt gelassen hatten.
„Erlauben Sie mir doch nur das Band umzubinden!“ sagte sie in einem Ton, der gar nicht böse klang; allein der verzauberte Florentin gehorchte diesmal nicht, denn alle seine Sinne waren auf den Gegenstand seiner Küsse hingezogen.
„Sie werden mich aufbringen, Graf!“ sagte sie nach einer langen Pause, in welcher sie wohlgefällig auf den schönen Liebetrunkenen hinabgesehen hatte; „Sie werden mich aufbringen und ich mich über Sie beschweren.“ — — Diese Worte flossen schon viel schneller und klangen schon zorniger, obgleich noch immer die Stimme viel Bittendes hatte.
Schnell und besonnen sprang der Graf auf, stammelte einige Entschuldigungen und entfernte sich schüchtern indem er wieder in den Seitenweg zurükging.
Louise sah ihn nicht so bald verschwinden, als sie auf sich selbst böse ward, weil sie besorgte zu hart gesprochen zu haben. Sich selbst vergessend, das verhaste Knieband noch in der Hand, eilte sie zum Eingang des Nebenweges und rief ihn halblaut nach: „Kommen Sie doch her, Graf!“
Nie gehorchte Florentin lieber, als izt.
„Ich hoffe Sie werden die Achtung, die sie auch dem geringsten Frauenzimmer schuldig sind, nicht vergessen und weder Wort noch Wink von der vergangnen Szene fallen lassen. Daß Sie Ihre Bescheidenheit vergassen, vergeb ich Ihnen.“
Er konnte nichts hierauf erwiedern, als eine stumme, ehrfurchtsvolle Verbeugung.
„Geben Sie mir doch Ihren Arm!“
Er gab ihn. Die Hofnung regte sich wieder in ihm und lies ihn Muth fassen; doch wagte ers nicht sobald ein Wörtchen zu sprechen. Neben einer zürnenden Geliebten gehn, wie so quälend und doch wie so angenehm!
Beide wandelten, versunken in bangen Gefühlen der Liebe, schweigend durch die hin und wieder vom Mondschein durchbrochne Dämmerung der Alleen; beide schmachteten so lange nach diesem Augenblik, und izt entfloh er ungenüzt; beide wünschten sich ihrer Seele Geheimnisse zu entfalten und vermogten es kaum ein schaales Wetter Gespräch anzuknüpfen.
Louise. (leisen Tones) Ich hätte Recht auf Sie zu zürnen — aber — izt, glaub ich gar, sind Sie mir böse?
Graf. (ängstlich stotternd) Ich Ew. Durchlaucht böse sein?
Louise. Warum gehn Sie so stumm neben mir?
Graf. Ich weis nicht, ob ich darf — —
Louise. Weswegen nicht? — — Nicht wahr, es ist ein göttlicher Abend?
Graf. Ein göttlicher Abend! — es ist angenehm so in der Stille dieser einsamen Schlosgegend seinen Gedanken einen freiern Flug zu erlauben; sich aus einer Welt, die doch manches, — manches Bittre in sich faßt, mit Adlers-Flügeln emporzuheben und seine Seele in glüklichen Träumen zu erquikken.
Louise. Verzeihn Sie also, wenn ich Sie unschuldiger Weise darin störte. Ich weis es, es ist süs allein zu schwärmen, aber gesellschaftlich mit einer harmonirenden Seele diese geistigen Ausflüge zu wagen, ist zehnfach süsser. Ich bedaure Sie, Graf, daß Ihnen heut die Gesellschafterin fehlt, wohl gar durch mich.
Graf. Mir fehlt, und durch Sie? Ich bitte um Verzeihung, sie hat mir nie gefehlt und heut just am wenigsten.
Louise. Es ist wahr, wie könnte sie jemals fehlen, da eben sie gewöhnlich, vielleicht auch bei Ihnen, den ganzen Himmel ausmacht, zu dem sich die empfindsamen Werthers hinanschwärmen.
Graf. (etwas bedeutend) Halten Sie mich für solch einen Werther?
Louise. Ihre Lotte wenigstens ist mir nicht unbekannt.
Graf. Meine Lotte? Sie scherzen.
Louise. (sanft) Scherzen? nein doch, ich bin sehr ernsthaft, oder es wäre denn, daß die ganze Stadt scherzte.
Graf. (verwundert) Die ganze Stadt?
Louise. Was hilft hier allen Läugnen? kurz gestehen Sie nur:
Der Liebe süsses Bildnis
Umschwebt uns im Elysium,
Umschwebt uns in der Wildnis.
Graf. Ich bitte um Aufschlus dieser ewigen Räthsel?
Louise. Wie Sie sich doch verstellen können! — nu, der Aufschlus sei eine Gratulation zu Ihrer, ich hoffe sehr baldigen, Vermählung mit dem schönen Fräulein v. Hello.
Graf. Dem Fräulein v. Hello? Ihr Spott ist bitter. Wenigstens hab ichs nie gewagt meinen Stolz zu dem Besiz dieses Fräuleins hinanschwindeln zu lassen.
Louise. Vielleicht sind Sie ein Freund der platonischen Liebe.
Graf. Ohne der Tochter eines Geheimerathspräsidenten wehe zu thun, kann ich betheuren, niemals eine Liebe mit ihr geträumt zu haben.
Louise. Sie werden zu ernsthaft. Ich will glauben daß mich ein falsches Gerücht getäuscht habe; will es, wenn Sie es fodern, mir sogar einbilden, daß Sie ein erklärter Feind der Damen sind. — —
Graf. Vielleicht wäre lezteres allenthalben möglich, nur aber unmöglich an einem Hofe, an welchem eine Prinzessin Louise glänzt.
Louise. Schade daß die Prinzessin Louise den geliebtern Namen einer Unbekannten verkappen muß!
Graf. Die mir gewiß eben so unbekannt, als Ihnen, ist.
Louise. Meine, vielleicht nur durch den Rang erhobne, Wenigkeit wäre in der Residenz also nur die Einzige?
Graf. (ihren Arm dichter umschliessend) Nur die Einzige!
Louise. Wahrhaftig, Graf, sie treiben Ihre Galanterie auf Unkosten der ganzen Damenwelt zu weit. — Sie haben doch wahrscheinlich schon geliebt?
Graf. O, der Name Liebe begreift viel in sich! doch so ganz geliebt, was sich lieben nennen läßt, noch nicht.
Louise. Sie bürden meiner Leichtgläubigkeit zu viel auf. — Und Sie kommen hieher an den Hof, wollen hier noch keinen Gegenstand Ihres Gefühls gefunden haben — nennen mich noch als den einzigen — —
Graf. Der von allen — — allen geliebet wird.
Louise. Das Wort Liebe, faßt viel in sich, bedenken Sie ihr Gesagtes wohl!
Graf. Vielleicht wäre: angebetet besser gesprochen.
Louise. (indem sie um sich her sieht) Aber, Graf, wohin haben Sie mich geführt? Mir graut in dieser Wildniß, lassen Sie uns nach dem Schlosse zurükgehn.
In der That waren beide jezt in einem zum Schloßgarten gehörigen Wäldchen, das allein für die Schwärmereien der Liebe oder Andacht da hingepflanzt zu sein schien.
Vor ihren Füßen dehnte sich ein kleines Thal; dessen Anhöhen von allen Seiten mit hohen und niedern Gebüschen bedekt waren. Zur rechten hob sich im Schimmer des Mondes eine Eremitage, auf deren mit Tannenreisern bestreutem Giebel ein Kreuz glänzte.
Eichen, Fichten und Eschen sumsten im Abendwinde feierlich ihre eintönige Melodie; eine Nachtigall hüpfte im nahen Hollunderbusche von Zweig zu Zweig und sang den Gesang der Liebe.
Der Graf und die Prinzessin standen still, beide einander gegenüber, Auge in Auge gesenkt, Hand in Hand geschlossen. — Sie verstanden sich. Der Graf fühlte Louisens Liebe in dem sanften Druk ihrer Hände, welche halb die seinigen einschlossen; ein leiser, kaum gewagter Gegendruk verrieth an Louisen Gegenliebe. Sie sprachen nicht; ihre Blikke waren getreuere Dollmetscher ihrer Empfindungen. — Florentins Odem flog immer schneller; sein Herz schlug heftiger; es wurde ihm alles zu eng. Louisens Busen stieg und sank, von der süßen Leidenschaft empört, welche sekundenweis durch Einsamkeit und Anschaun des schönen geliebten Jünglings wuchs.
Ein halbunterdrükter Seufzer entschlüpfte ihr; sie lehnte sich vertraulich an den Grafen und sprach mit lispelnder Stimme, indem sie mit unnennbarer Anmuth zu ihm heraufsah: „ich bin ermüdet!“ Duur breitete ein seidnes Taschentuch über ein benachbartes Bänkchen und nöthigte sie zum Niedersizzen. Die Banke, durch Alter und mannigfach Witterung vermorscht, war nur halb zum Gesäß tauglich, und ließ dem Graf keinen Platz übrig. Er sezte sich also auf die Erde zu Louisens Füßen nieder, ergrif ihre Hand und ließ die seine auf ihrem Schooße ruhen.
„So saß ja wohl Hamlet, hub sie lächelnd nach einer Weile an, neben Ophelien?“
„„Eben damals, erwiederte Duur, eben damals als er sagte: hier ist ein Magnet der stärker zieht. — Oh, daß ich nicht Hamlet bin, oder was er war!““
„Warum?“
„„Ihnen statt dieser Bank einen Thron anbieten zu dürfen.““
„Wahrhaftig, die galanteste Naivetät, welche mir je vorgekommen ist. Aber wie wenn ich, zufrieden mit der Bank, den Thron ausschlüge?“
„So wäre auch ein königlicher Thron für Sie nicht belohnend; der Kaiser mag es mir daher in Gnaden vergeben, wenn ich seinen Thron Ihnen feil biete.“
„Graf, Graf, warum sind Sie so verschwenderisch mit Königreichen, und warum erlauben Sie mir nicht das schmale Plätzchen dieses Bänkchens? Macht denn Titelpracht und Goldglanz seelig? Das sollten Sie doch wissen, wenigstens von mir nicht glauben. Sehn Sie, diesen schönen Abend, die reinen Empfindungen welche in mir die lieblichste Stimmung der Seele hervorbrachten, und diesen Siz, vor welchem sich mir die reizendsten Naturszenen entfalteten, würd’ ich um den Namen einer Königin nicht vertauschen.“
„Wie glüklich Sie sein müssen mit solch einem Herzen! und wie glüklich wär ich, wenn ich mir schmeicheln dürfte, auch ein Etwas zu Ihrer Zufriedenheit beigetragen zu haben. — Darf ich hoffen?“
„Vielleicht!“
Unter diesem Gespräche hatte Duur Louisens Hand in die seinen geschlossen; er drükte sie oft an seine Lippen, und die Prinzessin duldete es.
„Könnte Sie der vorige Wunsch nicht glüklich machen, so würd’ ichs wagen ihn umzukehren: wären Sie doch minder erhaben, wenigstens mit gleicher! ach, dürfte ich die Durchlaucht mit dem süssern Namen Louise verwechseln!“
„Ein Wunsch der mir schon der Neuheit willen gefällt. Ich weis nicht ob er mich glüklicher machen würde; wäre es indessen bei Ihnen der Fall, so kann ich ihn Ihnen leicht gewähren. Nennen Sie mich immerhin da Louise, wo uns kein fremdes Ohr belauscht.“
Florentin. (schwärmerisch zu ihr hinanblikkend) Louise, o Louise, Louise!
Louise. (lächelnd) Ein sonderbarer Geschmak der sein Vergnügen in der Ausrufung eines leeren Namens findet.
Florentin. O nicht wahr, Sie sind nur Louise; nicht mehr, nicht jezt die Schwester eines Herzogs — nur allein, die sanfte, liebenswürdige Louise sind Sie?
Louise. (den Blik von der Seite wendend) Nun ja, ich will es ja sein!
Florentin. Hören Sie izt, schöne Louise, ein Bekenntnis, welches die Fürstin, die herzogliche Schwester nicht wissen darf — ich verehre die Prinzessin mehr, als einer ihrer Unterthanen, aber — Louisen — Louisen liebe ich. —
Louise. (die Hand zurükziehend) Graf!
Florentin. (sie wiedernehmend) O, Louise, hat es die Prinzessin gehört, was ich Ihnen nur sagte.
Louise. Graf!
Florentin. Wird die Fürstin zürnen, daß ich — Louisen liebe? —
Sie antwortete nicht, so gern sie wollte. Duur lag auf seinen Knien vor ihr; sie starrte ihn mit schwimmenden Augen an, und neigte ihre Stirn gegen die seine.
Ihre linke Hand ruhte auf seiner Schulter, die rechte hielt er fest in die seinige geschlossen; Er wartete einer Antwort entgegen und sie kam nicht. Seine Lippen berührten ihre Wangen — er küßte — und fühlte einen leisen Gegenkus. —
Amor siegte und schwang sich lächelnd über das liebende Paar empor; er sah eine Prinzessin in den Armen eines Grafen liegen, und das wollustathmende Mädchen und der liebeglühende Jüngling kannten keinen Rang, keinen Unterschied.
Gefühllosen Seelen würd ich mit dem Ausmahlen dieser glüklichen Situazion Langeweile erregen, und denen, die glüklich geliebt haben, oder noch lieben, rathe ich, um mir Raum zu ersparen, ähnliche Szenen die sie selber empfanden, dieser unterzuschieben.
Es wurde später. Berauscht an allen ihren Sinnen merkten sie nicht den Anzug der Mitternachtsstunde; nur das Ohngefähr einer dem Mond vorübergleitenden Regenwolke, die plözlich daraus entstehende allgemeine Düsternheit scheuchte die Prinzessin in ihrem Liebestaumel auf.
Florentin war indeß Meister von dem Strumpfbande geworden, welches Louise noch immer in der Hand gehalten hatte. Sie verlangte es zurük, Duur aber versagte es schmeichelnd; er bat es sich als ein theures Angedenken dieses Abends aus, oder wünschte es mit eignen Händen selber dem schönen Knie umwinden zu dürfen, dem es zugehörte.
„Behalten Sie es denn, sagte sie, bis ich Ihnen eine Stunde bestimme, in welcher ich Ihnen auch das leztere erlauben werde.“
Und sie schieden auseinander.
Eine Woche verstrich nach der andern, ohne daß die Prinzessin die seelige Stunde angab, nach welcher Florentin izt seufzte. Inzwischen konnte sie ihre Liebe dem Hofe wenig verbergen; jedes Fest, in dem der Graf mangelte, war für sie ennuiant; nur seine Gegenwart erhöhte ihren Reiz, ihre Lebhaftigkeit, ihre fröhliche Laune.
Am Herzoglichen Hofe hielt sich um diese Zeit Prinz Moriz auf, ein appanagirter Herr, der ehemals einer kriegführenden Macht im Felde gedient hatte.
Sein Aeusseres entsprach dem Innern vollkommen. Denken Sie sich, meine Leser, einen langen hagern Mann, der in den Zeiten des Faustrechts höchst wahrscheinlich eine glänzende Epoche gemacht haben würde. Er hatte grosse graue Augen, die sich gewöhnlich so majestätisch von der Seite wälzten, daß man Geld dafür gegeben hätte, die Majestät der Augen nie gesehn zu haben. Sein Gesicht war braun und von starken, groben Zügen; seine Nase bei den Augenwinkeln tief eingebogen; seine Stirn klein, und von einigen Büscheln schwarzer Haare überschattet. Seine Stimme rauh und herrisch.
Er hatte eine geraume Zeit in Italien gelebt und sein Karakter einen merklichen Anstrich von dem der Italiäner gewonnen. Er war tükkisch, und verschlagen. Sanfter Empfindungen war seine Seele selten gewohnt; einen vollen Pokal und ein Freudenmädchen nannte er die Seeligkeiten des Friedens.
Und eben dieser Mann spielte am hiesigen Hofe den Liebhaber der Prinzeßin Louise, aber, wie es sich leicht ahnden läßt, äußerst unglüklich.
Der Kredit des Grafen von Duur bei der Prinzessin blieb ihm nicht unbekannt; ein einziger Blik, welchen sie nachläßig von der Seite auf jenen warf, war genug Morizens Argwohn zu entzünden, ein unbedeutendes Lächeln genug, seine Eifersucht in Flammen zu sezzen.
Plötzlich verwandelte sich der rauhe, wilde Moriz in einen Sanftmüthigen, Herablassenden. Er suchte die nähere Bekanntschaft des Grafen, liebkosete ihn, machte ihm fürstliche Geschenke, gab allen seinen Bitten Gehör, seinen Plänen und Rathschlägen Beifall.
Florentin fand sich durch Morizens Gnade geehrt, er suchte mit warmen Herzen der Huld dieses Prinzen werth zu werden; ja, er verweigerte es sogar nicht, um Morizen ganz gefällig zu leben, sich unterweilen mit demselben ein Räuschchen zu trinken.
Moriz hatte nicht umsonst diese auffallende Metamorphose mit sich vorgenommen, war nicht umsonst wider seine Natur zuvorkommend, schmeichelnd gegen den Grafen geworden; er suchte gewisse Absichten durchzusezzen, welche noch jedermann unbekannt waren; suchte besonders bei einem Saufgelage vors erste Florentinen um gewisse Geheimnisse zu bringen, um welche nur dieser allein und die Prinzeßin Louise wußten.
Das lezte schlug fehl. Florentins Weinrausch war zänkisch und verwegenartig; Der Prinz mußte demnach andre Mittel ersinnen den schönen Nebenbuhler sich durch sich selbst verrathen zu machen. Eine fürchterliche Gefahr schwebte über Duurs Haupt; er sah sie nicht, sondern taumelte aus einem Arm der Freude in den andern.
Sein guter Dämon zeigte sich ihm abermahls; er warnte und warnte zum andernmahle vergebens.
Florentin ging nämlich eines Abends aus dem Schauspielhause nach seiner Wohnung zurük, als ihm in einer schmalen, menschenleeren Gasse ein Kerl in den Weg trat.
„Sind Sie der Graf von Duur?“
Ich bins. Was ists?
„Im Namen des bekannten Ludwig Holder diesen Zettel an Sie.“
Florentin nahm das Papier und in dem Augenblik war der Ueberbringer verschwunden.
Der Graf stand bestürzt da, das Billet unbeweglich in der Hand haltend. Der Name Holders betäubte ihn mit Freude und Schrek; er wollte den Briefträger zurükrufen, dieser aber war schon längst entwischt.
Er ging, oder flog vielmehr nach seinem Hause, erbrach den Brief mit zitternden Händen und las mit dem größten Erstaunen folgende Zeilen.
„Graf!“
„Im Namen des Euch wohlbekannten Ludwig Holders von Sorbenburg erinnern wir Euch. — Hütet Euch vor den Nachstellungen des Prinzen Moriz noch mehr vor der Liebschaft mit einer wollüstigen Prinzeßin! Im Namen Ludwig Holders von Sorbenburg“
Florentin las das Briefchen drei, viermahl, und gerieth immermehr in Verlegenheit. Er legte das Blatt langsam vor sich nieder; sank in einen Sessel; schlos die Arme in einander und suchte sich seiner quälenden, ängstlichen Verwirrung zu entreissen.
Bald fiel er darauf, daß sich Holder wo nicht in der Residenz, doch gewis in der Nähe derselben aufhalten müsse; aber dieser Einfall hatte zu viel Unwahrscheinlichkeiten wider sich, um Glauben zu erhalten.
Und doch im Namen des wohlbekannten Ludwig Holders! — Vielleicht hatte jemand einen Scherz mit diesem Namen treiben wollen, den Grafen zu erschrekken. Aber das Erschrekkende lag ja nicht ist Holders Namen, sondern in dem Mitwissen um eine Liebe, welche Florentin selber als das heiligste Geheimnis betrachtete, und vor der er jezt von dem oder denen Unbekannten gewarnt wurde. Und Prinz Morizens Nachstellungen! — Hier war für ihn eben so viel Licht, als Nacht.
Er rieth lange hin und her, wer der Schreiber des Zettels sein könnte, aber errieth es nie. Sorgenvoll legte sich der Graf zu Bette; sorgenvoll stand er am folgenden Tage wieder auf.
Er beschlos endlich dem unbekannten Warnenden eine schriftliche Antwort zuzuspielen, welche er zu dem Entzwek immer bei sich führte; er unterlies nicht oft am Tage und des Abends die bekannte Strasse zu durchtraben, in der Hofnung, daß sich wieder einmahl der Bote des Unbekannten sehen lassen würde, er besuchte sie aber acht Tage lang ohne Frucht.
Die Zeit verwischte endlich all die ängstlichen, wenn auch wohlthätigen Besorgnisse aus Florentins Seele; er war nach kurzem wieder derselbe Heitre, Harmlose, Liebende; nur, daß er Morizen, troz aller wiederholten Liebkosungen desselben, zu fürchten anfing.
Der Prinz beobachtete diese Veränderung des Grafen mit schlauem Auge und änderte diesemnach auch manches in seinen Plänen.
Es war spät des Abends; das Fräulein von Gülden sas noch einsam auf ihrem Zimmer in düstre Schwermuth vergraben und las. — Des kleinen Gustafs Bildnis lag vor ihr, sie sah es oft mit nassen Augen an und las weiter:
„Unsre Seelen liebten sich. Seelenschönheit verwischt nicht der Thränenschleier des Grams; welkt nicht in den Händen der Jahre, stirbt nicht auf Todtenbaaren mit der verwesenden Hülle. Ewig ist ihre Schönheit und ewig ihre Liebe. Des Lebens Strauch verduftet bald und welkt, aber mit dem Leben verblühen noch nicht die Hofnungen unsrer Liebe. — — Vorangegangen bist Du, o wäre ich mit Dir! — Hand in Hand mit Dir zum Tode; Leiche an Leiche mit Dir zum Grabe, Verklärung neben Verklärung dereinst am Tage des Weltgerichts!“
„Oh!“ rief das Fräulein schluchzend aus, indem sie sich von ihrem Stuhle erhob: „es ist zuviel! — Gustaf! Gustaf und Florentin v. Duur! ich habe euch geliebt, und unglüklich geliebt! — Ich bin doch nicht so sehr häslich, mein Spiegel müßte mir denn schmeicheln, meine Freunde müßten lügen, — und doch bin ich unglüklich und Liebe wird mir nicht mit Liebe vergolten. Armes Mädchen, wohl Dir, wenn Du unter der Erde ruhst, wo kein Harm Deinen Frieden stört, wo keine Thränen über Deine Wangen herabbrennen, wo Du vergessen von allen liegst, und Du alle und alles vergessen hast, wo Du den, welchen Du Dir zur Liebe auserwähltest, nicht Deiner Nebenbuhlerin zuführen darfst!“
Jezt störte sie das Klingeln der Prinzessin, sie troknete ihre Augen und ging mit verstellter Heiterkeit zu Louisen.
„Aber sag mir, liebes Mädchen,“ rief ihr diese beim Eintritt in das Zimmer entgegen; „Du siehst ja immer blässer und kränklicher? — Was ist Dir? Ich habe Dich zu meiner geheimsten Vertrauten gemacht, erwiedre mir Gleiches mit Gleichem!“
Frl. v. Gülden. Sie quälen sich mit vergeblichen Sorgen, theure Prinzeßin; mir ist wohl, sehr wohl. Vielleicht daß eine kleine Unpäslichkeit — —
Louise. O die wandelt bald vorüber. — Wieviel ist die Uhr?
Frl. v. Gülden. Auf dem Schlage eins; es liegt alles im Schlosse in dem festesten Schlummer.
Louise. Desto besser! herrlich! — Tummle Dich liebe, beste, einzige Auguste; Duur kann nicht mehr lange verzögern, er mus gleich da sein. — Hurtig geh, und besonders sieh von unten nach meinen Fenstern, ob das Licht durch die herabgelassnen Gardinen sichtbar wird. — — Verriegle das Pförtchen nachher wohl!
Das Fräulein ging und harrte des Glüklichen an einer abseitsgelegnen Thür. Es verging eine Viertelstunde, ehe er erschien, und tausend schwermüthige Gedanken durchkreuzten indes ihre Seele.
Im Thurm der Schloskirche schlug es endlich ein Uhr, und von fernen her wankte eine Gestalt, immer näher und näher.
„Er ists!“ sagte das unglükliche Mädchen bei sich selber und zitterte. „Er ists! — o daß er nie gekommen wäre! Doch nein, Louise würde unglüklich sein, und ich vielleicht nicht glüklich! — — Mag er doch kommen, ich will leiden und dulden!“
Florentin schlich im Mondschatten, an den Mauern entlang, näherte sich der Pforte, sah die weisse weibliche Gestalt, hielt sie für die Prinzessin selber und flog an ihren Busen.
Beide wagten es nicht zu reden; er bestürmte sie mit Küssen, sie bebte in seinen Armen, wagte kaum den leisen Gegenkus, sondern strebte zurük, und offenbarte ihm die Täuschung.
Er erschrak, bat um Verzeihung; aber sie lächelte unter Thränen, führte ihn, indem sie zitternd seine Hand faßte, durch verschiedne dunkle Gänge und verschiedne Treppen hinauf zum Gemach der Prinzessin.
„Hier,“ sagte sie mit gebrochner Stimme: „treten Sie hinein. —“
Er ging. Sie eilte auf ihr Zimmer, warf sich lautweinend auf das Lager und klagte.
„O Duur!“ — „O Louise!“ riefen sich die Liebenden entgegen und stürzten einander in die Arme.
Nie war Louise schöner gewesen, als in diesem Augenblik; und nie war ein Frauenzimmer reizender zu den Freuden der Liebe geschaffen, als sie. Ihren schlanken Wuchs, ihren schöngeformten Busen wußte sie durch die Magie der geschmakvollsten Bekleidung doppelt schöner zu bilden.
Ihr lichtbraunes Haar, angenehm derangirt, flos in lieblicher Verworrenheit über den schönen Hals und die schmalen Achseln herüber. Den Busen wußte sie schlau hinter den nachlässig umgeworfnen Flor, so zu verstellen, daß seine Schönheiten mehr verrathen, als verberget wurden. Um ihren Leib schmiegte sich ein leichtes, tafentnes Korsettchen;
Nie wird die Bildnerin Natur
Ein göttlicher Modell zu einer Venus bauen,
Als diesen Leib. Sein reizender Contour
Flos wellenhaft, dem feinsten Auge nur
Bemerklich, zwischen dem genauen
Und überflüßigen, so weich, so lieblich hin;
Schwer wars dem kältsten Josefssinn
Sie ohne Lüsternheit und Sehnsucht anzuschauen!
Das leichte, flüchtige Rökchen wogte bei jeder Bewegung auf, oder schmiegte sich so dicht und ungefaltet an, daß man ohne Fleis die glatteste Ründung der Schenkel errathen konnte.
So jung, so schön, so ganz aus Liebeszunder
Gewebt, wer kann sie sehn und nicht vor Sehnsucht glühn?
Wo sah man je so frische Wangen blühn,
Je Augen funkelnder und Lilienarme runder?
Dicht in einander verschlungen, der Geist, aufgelöst im reinsten Entzükken, hingen sie sprachlos um sich.
„O Gott!“ sagte Florentin: „daß ich je so seelig werden konnte — ich hätte es nie geträumt! Louise, Louise liebt mich!“
„Sprich leiser, Brausender!“ erwiederte sie mit einem unnachahmlich süssem Ton: „Ja, Louise liebt Dich! — und Du — —“
„Ob ich Dich liebe? Einzige, ob ich Dich liebe?“
Er antwortete mit Küssen, und zog sie neben sich auf einen Sofa nieder.
Florentin. O dies Strumpfband, (indem er es hervorzieht) sei mir eine ewige, heilige Reliquie!
Louise. Dein Recht daran ist izt verfallen. Ich fodre es zurük.
Florentin. Nein, ich kann es nicht wiedergeben.
Louise. Wie leicht könnte unsre Liebe dadurch verrathen werden! eben das Band, das uns zusammenführte, würde uns auch wieder trennen.
Florentin. Trennen?
Louise. Gesezt es verlöre sich aus Deinen Händen. Mein Name ist darin gestikt, und mehrern bekannt; denn das Fräulein v. Gülden ist die Weberin desselben, sie zeigte es schon vorher vielen Freundinnen, ehe sie mirs zum Geschenk brachte.
Florentin. Ich will es unter drei Schlössern verwahren!
Louise. Dein eigner Stolz würde die drei Schlösser wieder zerbrechen, was vielleicht keine Gewalt des Diebes vermögte. Oh, ich weis es, wie sehr es euch, ihr jungen süssen Herrchen, küzzelt, mit den Trophäen zu prahlen, um die ihr die armen, besiegten Weiber geplündert habt. — Und Dir, lieber Graf, würde ich es kaum verdenken, wenn Du endlich der Versuchung unterlägest; denn eine Prinzeßin besiegt zu haben, ist zu schmeichelhaft.
Florentin. (ernsthafter) Und so verkennt mich Louise selber?
Louise. Ich lasse nicht ab. Ich verlange es zurük; es sei unter welchen Bedingungen es wolle, ich verlange es zurük. — Willst Du daß ich Dir tausend freiwillige Küsse dafür gebe?
Florentin. (sie sanft an sich drükkend.) O, Louise, die erhalt’ ich umsonst!
Louise. Fodre.
Florentin. Wohl, ich gebe es. Aber darf ich es selber um seine Stelle binden?
Louise. (schamhaft zurükstrebend.) Beileibe!
Florentin. (schmeichelnd) O doch!4)
Der Kampf der Liebe begann — — —
Mit immer wilderm Ungestüm
Umschlingt er sie, und sie, so seelig und beklommen,
Ach! sie verweigert ihm,
Was er vorher mit leichter Müh genommen.
Und beiden, übermannt von süsser Lust
Wallt enger, immer enger nun die Brust,
Mit zärtlich schwimmenden Blikken sehen
Sie sich einander an, und weigern stumm und flehen.
Verloren in entzükkenden Gefühlen,
An Arabellens Brust, ruht Lyonnel geschmiegt;
Er wagt es kühner schon in seltnern Reizen zu wühlen,
Und unbekannt in Amors schlauen Spielen
Fühlt sie sich zwar zu früh, doch gern besiegt.
Sie giebt den Kuss zurük — er zupft indes den losen
Durchsichtigen Schleier hinweg, der ihren Busen umfliegt;
Küßt bald den lanen Schnee, und bald der jungen Rosen
Geheimes Paar, das sich auf Marmorhügeln wiegt.
Sie kämpft, doch ach! ihr Kampf führt schneller nur zum Ziele,
Das ihm die Liebe vorgestekt.
Ermattet schwankt sie. Er erwekt
Die Reizende zum wollustvollerm Spiele!
Und, o! der keusche Gürtel schlingt
Sich selber auf — die arme Tugend ringt
Zum leztenmahle und erlieget,
Von ihrem schönen Feind besieget.
Allmählich schwimmt der Kahn des Mondes seinem Porte
Gen Abend näher zu, und immer blässer strahlt
Er auf die Erdenwelt: Aurorens Morgenpforte
Eröffnet sparsam sich und hin und wieder mahlt
Ein Wölkchen sich in ihrem Rosenschimmer
Als unser liebend Paar, noch immer
Im süssen Rausche dicht verschränkt,
Nicht an den herbern Scheidekus gedenkt.
Doch Arabell’ ermannte sich des halben Schlummers
Zuerst mit lieblicher Verworrenheit
Und suchte ihren Puz, der überall zerstreut
Am Boden lag, voll jungfräulichen Kummers;
Wand hocherröthend dann um ihren schlanken Bau
Das Gürtelband; Herr Lyonnel indessen
Verhüllt’ den Busen ihr, doch wußt’ er schlau
Noch hie und da ein Küschen hinzupressen
Sie standen endlich da, und sahn
Sich beide bald mit schwimmenden Blikken an
Bald auf das Bett, bald auf den Boden wieder,
„Ach, Lyonnel, was haben wir gethan!“
Seufzt tief das holde Kind und schlägt die Augen nieder,
Und spielt gedankenvoll an ihrem losen Mieder:
„Daß wir just heute uns und hier uns sahn —
O Lyonnel, was haben wir gethan!“
Eine in der Lage sehr gewöhnliche Frage der Damen; hätte lieber manche manchen gefragt: „o Lyonnel, was wollen wir thun?“ es wäre vielleicht besser gewesen; doch das ist zu ungewöhnlich!
Was unser liebendes Paar betrifft, so dient zur Nachricht; daß sie sich bald zu trösten wußten, und Freund Florentin wohlgemuth zum Nebenpförtchen hinaus, nach Hause schlüpfte, ohne von einem Auge bemerkt zu werden.
Duur war noch in mehreren Nächten bei Louisen glüklich, ohne daß der Hof etwas davon erfuhr; und um sich dieser Liebe ganz würdig, seinem Herzog sich immer werther, beim Volke sich immer beliebter zu machen, unternahm er izt eine für das ganze Land interessante Arbeit; nemlich Druk- und Denkfreiheit einzuführen.
So lange der Minister von Hello am Staatsruder gesessen hatte, durfte kein Buchhändler es wagen aufklärende Schriften über Religion und Staat zu verlegen, kein Prediger auf seinem heiligen Lehrstuhl nur auf gute Werke und rechtschafnen Lebenswandel dringen, ohne den alten, theologischen Wort- und Sach-Schlendrian beizubehalten, keine öffentliche Schulanstalt eine Reformazion in Rüksicht des Unterrichts, der Bildung jugendlicher Herzen, und äussern Sitten vornehmen. Ja, mancher ehrliche Mann, der hier zum Besten seiner Untergebnen, dies und das geändert hatte oder geändert wissen wollte, verlor durch Hello’s Orthodoxie Amt und Brod und Ehre.
Der Graf unterfing sich vieles, besonders da er den Geheimerathspräsidenten schlechterdings wider sich hatte; allein da er das Herz des Fürsten in seiner Hand trug, hofte er mit leichter Mühe durchzudringen, und er freute sich schon im Stillen dieser guten That.
Allein ehe wir ihn zu diesem Werke begleiten, wollen wir vorher Theilnehmer an einer großen Freude in dem ländlichen Wohnsiz des alten Grafen von Duur sein.
Dieser sowohl als sein Rikchen versüßten sich die Tage ihrer Einsamkeit wechselsweis, so sehr sie es vermogten. — Holder wurde noch eben so warm und so innig geliebt, als ehmals, aber sein Verlust doch minder betrauert. In der Dämmerungsstunde des Abends, wenn beide entweder in ihrem Zimmer saßen, und von den kleinen Tagsgeschäften ausruhten, oder den Sonnenuntergang von einem Hügel beschauten, oder wenn sie am Kaffetische beisammen waren, erzählten sie sich einander von dem geliebten Sonderling; jeder kleine Umstand von ihm war ihnen merkwürdiger, als der Untergang eines großen Staates; jedes Wort, was er einmal gesprochen hatte, wurde von ihnen mit freundschaftlichen Anmerkungen wiederholt; jede Handlung von ihm war der Stof eines stundenlangen Gesprächs.
Wie die Reliquien eines Heiligen verwahrte Rikchen alles, was von Holdern herrührte, alles, dessen er sich sonst vorzüglich bedient hatte. — Sie erinnerte sich, daß er seinen Kaffe gern ungezukkert trank; flugs ahmte sie ihm nach, so schwer es ihr anfangs auch wurde, und zulezt glaubte sie selber festiglich, daß das ungesüßte Levantegetränk süßer schmekte.
Auch Florentins Glük am Hofe machte sie froh, und der alte, gute Onkel bildete sich vorzüglich viel auf seinen weit über ihn erhabnen Neffen ein. Der ganze benachbarte Landadel suchte izt die Freundschaft des gutmüthigen Alten, keine Lustparthie wurde angestellt, von welcher nicht er und seine schöne Nichte Theilnehmer waren. Allenthalben räumte man ihm die erste Stelle ein; sprach er, so schwiegen die übrigen und hörten ihm zu.
„Onkel! Onkel! ein Brief!“ rief Friedrike eines Tage überaus freudig, indem sie in den Garten hereinhüpfte, wo der alte Herr sein Pfeifchen unter einer Jasminlaube dampfte.
Der Greis lächelte sanft und fragte: „worüber freust Du Dich, närrsches Mädchen?“
„Ich weis es nicht; mir ist so wohl!“ antwortete sie und flog den Garten wieder hinaus dem Postboten zu bezahlen und etwas gütlich zu thun.
Der alte Graf erbrach das Siegel — las und bekam an Händen und Füssen ein ungewohntes Zittern; er stand auf, warf die Pfeife hin, taumelte den Gang zwischen den Hekken entlang zur Gartenthür, winkte einem Bedienten, lies ihn das Fräulein rufen, und schwankte ausser sich der Jasminlaube wieder zu.
Ehe er sie erreicht hatte, stand Rikchen schon neben ihm, und fragte.
„Erst in die Laube!“ sagte er matt: „erst in die Laube, dann sollst du etwas hören!“
Sie traten endlich herein. Der Greis sank dem lieben Mädchen um den Hals, und küßte sie und lallte zu wiederholten malen mit Entzükken den Namen Holder!
Holder! Holder! Holder! rief Rikchen und küßte den Onkel, und sprang umher und jauchzte.
„Holder! ein Brief von Holder!“ mehr konnten beide nicht im ersten Ausbruch der Freude sprechen; sie fielen sich wieder um den Hals, küßten sich, und riefen den Namen Holder, mit bethränten Augen unzählige mal aus.
Nachdem der Rausch zum Theil verflogen war, sezten sie sich an ein Tischgen und der Onkel begann den Brief vorzulesen.
Bester, theuerster Herr Graf,
Ewig geliebte Friedrike!
Ich schreibe Ihnen aus der Mitte von Italien, aus dem kleinen republikanischen Gebiete S. Marino, um eine Pflicht zu erfüllen, die mir so heilig ist, und die eher zu vollbringen, bis izt noch unmöglich war.
Zürnen Sie nicht über mich, und über meine dem Schein nach absurde Aufführung; zürnen Sie nicht über meine plözliche Entfernung, welche, wie ich leicht errathen, und nachher erfahren habe, Sie in die unangenehmste Verlegenheit sezzen müssen. Halten Sie mich für keinen Sonderlingssüchtigen, für keinen Leichtsinnigen, für keinen Bösewicht! Ich bin das alles nicht, wenigstens gegen Sie nie gewesen. Ein Bösewicht handelt nie ohne Intresse, er wiegt seine Schurkereien gegen den dadurch zu hoffenden Gewinn ab, läßt nie das Gewisse fürs Ungewisse entschlüpfen. Und sagen Sie mir, welche Vortheile hätt’ ich wohl hier in Italien mit denen bei Ihnen zu vertauschen gehabt? O der Liebende vertauscht die Geliebte nicht gern, der Habsüchtige verliert sein Rittergut ungern! Eben so wenig verlies ich Sie, meine Lieben, aus Leichtsinn.
Der Flatterhafte handelte immer nach Willkühr, ich nach den Gesezzen des Zwanges. Hätten Sie mich doch früher ziehen lassen, vielleicht wär’ es uns allen besser gewesen! —
Ich sage, verurtheilen Sie mich nicht zu früh; es wird gewis eine Stunde schlagen, wo ich Ihnen einen befriedigendern Aufschlus über das Räthselhafte meines Betragens geben darf, wo Sie gern die zu früh gesprochne Verdammung zurüknehmen werden! — Für izt kann ich Ihnen zu meiner Entschuldigung nichts mehr sagen, als daß ich in gewissen Verbindungen stehe, welche in gewissen Stükken meinen freien Willen beschränken. Mir obgelegene Pflichten sind mehrentheils erfüllt, und ich sehe mit unaussprechlicher Sehnsucht dem Augenblik entgegen, welcher mir die Freiheit wieder schenkt, die vaterländischen Gegenden zu sehn, und mich Ihnen, vielleicht auf immer, in die Arme zu werfen.
Den Nachrichten zufolge, welche ich aus Deutschland empfangen habe, befinden Sie sich alle wohl, und Bruder Florentin klettert muthig am Hofe die steile Bahn des Glüks hinan. Unterlassen Sie nicht den jungen, feurigen Mann auf seiner schlüpfrigen Bahn unterweilen an Vorsichtigkeit zu mahnen, und besonders ihn für die Liebe erhabenerer Personen des andern Geschlechts zu warnen. Ich weis es gewis, daß ihn die Prinzessin Louise liebt, und daß er für ihre Schönheit eine gleiche Leidenschaft fühlt. Noch einmal: warnen Sie Florentinen, wenn Sie ihn behalten wollen!
Was mich selbst betrift: so lebe ich ein geschäftvolles, unruhiges, ängstliches Leben. Aber wohl mir, daß ich so glüklich bin, es zu können; es gilt das Wohl meiner Mitmenschen für welche ich arbeite; um des Glükkes einiger Tausenden willen, kann ich ja wohl ein Weilchen des Lebens Freuden entbehren! —
Und hab’ ich mich denn oft den Tag hindurch müde gearbeitet; so verlaß ich mein Zimmer, und trete aus meiner Wohnung hinaus in das freie Feld. Das Häuschen welches ich jezt, und zwar erst seit vier Wochen bewohne, denn vorher hielt ich mich einige Zeit in Neapel und in Rom auf, hat eine romantische Lage. Es ruht an dem Fuße eines Hügels, von einem anmuthigen Gebüsche verdekt. Zur Rechten sehe ich in der Ferne S. Marino. Wie gesagt, die Gegend ist schön, nur für mich nicht. Ich finde sie einförmig, traurig, die deutschen Winterlandschaften haben in meinem Auge ungleich mehreren Reiz, als die unter einem ewigen Frühling blühenden Felder von Italien.
Außer einigen abwechselnd zu mir kommenden Bekannten und zwei Kerln, welche mich bedienen, habe ich niemanden, in dessen Gesellschaft sich meine Seele aufheitern könnte. Ein niedliches braunes Mädchen aus S. Marino kam einstmals auf einem Spaziergange mit ihrem Vater in meine Hütte. Ihre unschuldige Unterhaltung ist das einzige Vergnügen gewesen, welches ich seit langer Zeit genossen. Nachmals besuchte mich die Marinerin noch einigemale und auch sie blieb dann aus. — Doch der Gedanke, Sie, meine Lieben, bald vielleicht zu umarmen, mag mir Erquikkung genug sein. Vergessen Sie mich nie, Ihren Sie ewig liebenden
Ludwig Holder.
Geschrieben im Landhause
bei Santo Marino.
„Nie! — nie vergessen!“ riefen der Onkel und Rikchen zu gleicher Zeit, nach durchlesnem Briefe aus, und wischten ihre Thränen vom Auge.
„’s ist doch ein braver, seelenguter Mann!“ sagte der tiefgerührte, alte Graf.
„Ja, aber die niedliche, braune Marinerin!“ hub das halb eifersüchtige, liebende Mädchen mit einer bedeutenden Miene an.
„I, Du kleine Närrin, meinst Du denn, daß in Santo Marino nicht auch hübsche Mädchen leben können?“
Florentin erhielt einige Tage darnach die Abschrift und einen Commentar dieses Briefes vom Oheim; aber seine Freude erreichte beiweiten nicht den Grad der Lebhaftigkeit, wie bei jenen guten Seelen. — An eben dem Tage, als er den Brief erhielt, war auch schon ein anderer im Namen Ludwig Holders eingelaufen, in welchem wiedrum von unbekannter Hand vor Louisens Liebe und Morizens Has gewarnt wurde. Das Schreiben schlos sich mit den Worten: „fürchtet nichts von uns, wir sind Freunde. Das von Euch in der wohlbekannten Nacht wiedereroberte Strumpfband der Prinzeßin Louise ist in sichern Händen aufbewahrt.“
Der Graf erschrak, ging zu seinem Schreibschrank, zog ein geheimes Kästchen hervor, schlos es auf und sah das Heiligthum verschwunden.
„Was ist das?“ sprach er in sich selber, indem er mit seinen Augen nach dem leeren Orte des Kästchens hinstarrte: „treibt man mit mir sein Spiel? herrscht hier Zauberei oder Spizbüberei? Wer hat mir und wie hat man mir dieses Band entwenden können? Alle Schlösser sind heil und an dem Holze ist keine Schramme zu erblikken. Wenn Geheimnisse selbst nicht mehr Geheimnisse bleiben können, mein Eigenthum mir nicht mehr sicher ist, so verwünsch ich das fröhlichste Leben. Und wer der diebische Unbekannte sein mag, oder die Unbekannten? — Es ist fatal! meine eignen Bedienten müssen mir treulos gemacht worden sein!“
So monologisirte der Herr Graf noch eine Weile hin; wurde immer unwilliger, und schlos damit, seine Bedienten fortan zu verabschieden. Es geschah; er nahm andre in Sold, unter denen sich besonders einer merkwürdig machte. Dieser hies Badner, ein alter Held von vierzig Jahren, von der ehrlichsten, biedersten Physiognomie wie auch mit den empfehlendsten Zeugnissen versehen, — der aber stumm war. Diesen Mangel suchte er durch sein gutes und schnelles Schreiben zu ersezzen. Er führte sich gleich im Anfange so gut auf, daß Florentin ihn mehr zu schäzzen anfing.
„Sind die Unbekannten“ dachte Duur: „das wofür sie sich ausgeben; sind sie brave Männer, so werden sie mit dem unglüklichen Strumpfbande keinen bösen Gebrauch machen. Sie mögen es immerhin behalten, wieder erzwingen kann ich es nicht.“
So sehr, als möglich, über diesen kritischen Punkt sich beruhigend, begann er nun seinem vorliegenden Ziele, in Rüksicht der Druk- und Denkfreiheit immer näher zu treten. Er hatte den Herzog schon seit eingen Tagen vorbereitet; noch schwankte derselbe ungewis hin und her, Florentin, unermüdet, ging auf Befehl des Herzogs, endlich wieder zu ihm.
„Nun,“ hub der Graf nach einigen allgemeinen Gesprächen an: „wessen haben sich Ew. Durchlaucht der bewußten Sache wegen entschlossen?“
Herzog. Offenherzig gesagt, noch bin ich eben so sehr dafür, als dawider; ein Beweis, daß dergleichen Reformazion für mein Land eben nicht von überwiegenden Vortheilen sein mus, und daß meine Unterthanen, auch bei ihrer izzigen Verfassung, zufrieden sein können.
Graf. Verzeihen Sie, wenn meine Gründe für Druk- und Denkfreiheit bei ihnen noch nicht die Gegengründe überwogen haben, so liegt nicht die Schuld in der Schwächlichkeit der erstern, sondern wohl mehr an mir, daß ich sie nicht genau und einleuchtend genug darstelle.
Ich rede mit einem denkenden Fürsten, welcher nicht glaubt, ein ganzes Volk sei für ihn, sondern er für das Volk geschaffen, welcher nicht glaubt, es sei Gnade von ihm, wenn er die Unterthanen glüklicher macht, sondern Pflicht; — eben deswegen werde ich so frei reden, als es die Liebe für das Vaterlandswohl fordert, und die Ehrfurcht es erlaubt.
Eine Nazion ist noch nicht glüklich zu nennen, so lange sie, bei der ansehnlichsten Wohlhabenheit ihrer Mitbürger, dumm, abergläubig, bigott ist. Dann ist ja nur erst ihre thierische Natur befriedigt, aber nicht die erhabnere, menschliche, und sie unterscheidet sich, wenn sie auch im Mittelpunkt Europens wohnt, durch nichts von den einfältigen Indianerhorden, als durch die größere Menge ihrer Bedürfnisse und Befriedigungsmittel derselben.
Herzog. Darin steh ich Ihnen bei, lieber Graf. Ein Fürst, welcher solch ein wohlgemästetes, einfältiges Volk beherrscht, verliert nicht viel, wenn man ihn mit irgend einem Nabob vergleicht.
Graf. Geistige und sinnliche Vollkommenheit macht hienieden unsre Glükseligkeit aus; beide müssen stets mit einander verknüpft sein, beide sind von stetem gegenseitigen Einfluß; doch ist der Einfluß geistiger Vollkommenheit ungleich größer auf das Wohl einzelner und vieler. Ein Sklav kann nie äusserlich glüklich werden; ein Volk ohne Geistesfreiheit eben so wenig. Der Monarch, welcher sein Volk um jede Freiheit bringt, es als ein Sklavengesindel behandelt, herrscht ungerecht, ist ein offenbarer, vom Volke nie zu duldender, Despot. Aber der Monarch, welcher den Geist des Volks fesselt, sich zum Beherrscher den Gewissens aufwirft, den Unterthan zum dummen Vieh erniedrigt, welcher Name gebührt dem? —
Ein freies, am Geist und äussern Wesen freies Volk wird sich nie wider seinen Fürsten auflehnen, welcher durch die ihm vom Volke ertheilte Autorität und durch Gesetze die ächte Nazionalfreiheit beschüzt; nur Sklaven empören sich.
Welches sind denn die herrlichen Früchte des Glaubenszwanges, des Verbots aller Neuerungen im Schul-, Prediger- und Schriftstellerwesens? Daß das Volk um ein Jahrhundert in der Cultur des Geistes und seiner reinen Vollkommenheit zurükbleibt? ein elender Nuzzen! — oder daß die Leute nach dem Tode von der Gottheit nicht verdammt werden mögten, weil sie hin und wieder die Religion ihrer Väter verbessert haben? — O, theuerster Herzog, wird das erhabenste, allgütigste Wesen den, mit so einem kleinlichen Gran der Vernunft begabten, Menschen strafen können, wenn er Menschensazzungen nach bessern Ueberzeugungen änderte? — Ist denn auch die Religion unsrer Väter unverbesserlich? ist es die reine unverfälschte Religion, wie sie Christus lehrte und wie er sie selber übte? Auch der orthodoxeste Theologe wird nicht glauben können, daß Christus göttliche Verehrung verlangt, Ewigkeit der Höllenstrafen gepredigt, oder andre Dinge geglaubt habe, davon wir in den Urquellen des Christianism keine Spuren finden, wovon wir im Gegentheil sicher wissen, daß es das Gemächte spätrer, an Glauben und Schwärmerei starker, an Einsicht und Scharfsinn aber schwacher Jahrhunderte sei. Christus eigne Religion und Symbolum war: „Liebet Gott über alles, und eure Mitmenschen, als euch selbst!“ Wer dieses Sazzes ganze Würde fühlt und durch praktische Anwendung desselben im gemeinen Leben beherzigt, der ist ein Christ, auch wenn er alle übrige Anhängsel spätrer Zeiten verwirft. —
Ich sage nicht, daß man darauf dringen solle, durch Edikte und obrigkeitlichen Zwang dergleichen hellere Begriffe einzuführen, dies wäre eben so ungerecht, als jezt, da das Gegentheil geschieht; sondern daß man einem jeden zu denken und zu glauben gewähren mögte, was er seiner Ueberzeugung nach, für denk- und glaubwürdig hält.
Ein aufgeklärter Mann wird sich selten zu groben Lastern herabwürdigen, öfters aber der unwissende, welcher durch ein andächtiges Abendgebet die Sünden des ganzen Tags gut machen zu können sich einbildet. Woher kömmt es denn, bester Fürst, daß sich ihre Landesuniversität noch so sehr vor vielen andern deutschen hohen Schulen durch Rohheit, Brutalität und Ignoranz der dasigen Studirenden auszeichnet? Daher, weil Denken und Geistesfreiheit in Ihrem Staate eine unbekannte Sache ist, weil Unwissenheit und Trägheit des Verstandes das Gefühl für wahre Grösse und Ehre verstimmt und die Mutter der Barbarei ist.
Doch vergeben Sie mirs, meine andächtigen Leser und Leserinnen, daß ich unsern Grafen hier seine Apologie für die Freiheit in Geistessachen so trokken hinschwazzen lasse, ohne zu bedenken, daß sie vielleicht da gähnen mögten, wo Florentin am nachdrüklichsten gesprochen zu haben meinte. Ueberdies kann ich auch unmöglich glauben, daß dies Buch von irgend einem gelesen werde, welcher die Sklavenkette seines Geistes liebte, welcher nicht von den zahllosen Vortheilen einer allgemeinen Aufklärung überzeugt wäre. Ich plauderte also unnüz; denn durch dieses Fragment einer Schuzrede für die Freiheit des Geistes werde ich unstreitig niemanden bekehren, wiewohl es mit Florentinen ein andres Bewandniß hatte; denn Fürsten mögen dergleichen Sachen gern etwas bequemlich überdenken.
Inzwischen gelob’ ich feierlich, mich nie über einem solchen Fehler wiedrum von den Lesern ertappen zu lassen, aber dafür sind diese auch so discret, mir noch eine kleine Plauderei für gut zu halten, sie mögen sie nun anhören, oder sich die Ohren verstopfen.
Das größte und eigenthümlichste Verdienst unsers Jahrhunderts ist, in Rüksicht der Religion und Wissenschaften, der allgemeine Geist des Selbstforschens, ein Verdienst, welches in den leztern manches System umwarf, und bei der erstern wichtiger ist, als die Stiftung einer neuen Religion. Dieser Geist des Selbstforschens ist der Vater der Aufklärung, deren Vortheile für die Menschheit so offenbar sind, daß es beinah unbegreiflich ist, wie man darauf fallen konnte, sie zu hassen.
Theils ein unbekanntes, doch gewis sehr nichtiges Intresse der Grossen, theils eine unmässige Vorliebe für die Klugheit der Alten wurden die Ursachen, daß das Selbstforschen, vorzüglich in der Theologie zum Verbrechen ward. Allein daß Aufklärung auch mit dem Interesse den Staates bestehen könne, bewies Friedrichs des Einzigen musterhafte Regierung und daß der gröste Theil unsrer heutigen Denker und Halbdenker von dem Vorurtheile zurükgegangen sei, welches das Alterthum über seinen Werth erhebt, bezeugen zahllose Schriften. Was hindert demnach die Fortschritte der Geistes in der Erkenntnis des Wahren und Nüzlichen?
Fast läßt es sich mit Gewisheit behaupten, daß unsre Nachkommen nicht da stehn bleiben werden, wohin wir sie führten, daß sie, unserm Vorspiele getreu, ebenfalls weiter gehn, und der menschlichen Geistesvollkommenheit so lange nachtrachten werden, bis sie zu dem Ziele gelangt sind, welches die ewige Vorsehung, ihrem weisen Plane gemäs, der Menschheit vorgestekt hat, wo man sodann entweder stille stehn, oder, um dem Reiz der Veränderung zu folgen, zu den Irrthümern und Schwächen zurükkehren wird, welchen man sich vorher mit vieler Mühe entriß. Wie gesagt, die Weisen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts werden sich unmöglich mit dem genügen lassen, was wir ihnen gewonnen haben; denn die Glükseeligkeit des Geistes gründet sich eben auf Erweiterung seiner Erkenntnisse, als sinnliches Vergnügen im stufenweisen Fortschreiten in den äusserlichen Vollkommenheiten beruht.
Träges Verharren bei dem, was erworben ist, streitet wider die Natur des Menschen und vermindert seine Freuden.
Wenn denn auch ein Fürst, oder sein Rath, verwöhnt durch mystische, altgläubige, unvollkommene theologische Kenntnisse, welche man ihm schon in frühen Kinderjahren einflößte, und die er, wegen Menge andrer Geschäfte, nie Zeit und Gelegenheit hatte zu verdauen, im gutgemeinten Eifer die fürchterlich geschilderte Freigeisterei durch öffentliche Verordnungen zu unterdrükken sucht: wird er dadurch viel für sich erlangen? — Bei der Nachwelt gewiß nichts, denn diese verwirft die Autorität der Vorwelt, und bei den Zeitgenossen eben so wenig, ausgenommen, daß die Schriftsteller ihren und den Namen des Drukorts auf dem Titel der Aufklärung befördernden Werke weglassen. Ja dergleichen Befehle der Großen wider Aufklärung und Selbstforschen erreichen gewöhnlich nicht nur nicht ihren Zwek, sondern sind vielmehr dem Gegentheil behülflich.
Wenn ich nicht zuviel wage, so möcht’ ich das iztentstehende moderne Christenthum in Rüksicht des erwähnten Verhältnisses, mit dem Entstehen des ersten Christenthums überhaupt vergleichen.
Freilich stehen den neuem Reformatoren der Staatsreligion keine Verfolgungen von neuern Deciussen und Galeriussen bevor; aber demungeachtet wird jeder Zwang eben dasselbe hier bewirken, als Foltern und Verbannungen bei den ersten Bekennern ehmals, das ist: Standhaftigkeit bis zur Schwärmerei. Ein Querdamm wider den Strom fesselt denselben nur auf eine Zeitlang, aber benimmt seinem Wachsthume nichts; Und, wenn sich dann plözlich einmal ein Constantin zum öffentlichen Beschüzzer der izzigen Reformazion aufwürfe: so würde dieselbe vielleicht eben so schnell, aus allen Zünften des Volks, von der obern bis zu der niedern, Tausende der Bekenner aufstellen können.
Doch dies sind Muthmassungen, die, ob sie gleich die höchste Wahrscheinlichkeit vor sich haben, immer doch nur leere Erwartungen sind, und über deren Erfüllung oder Nichterfüllung die Zukunft richtet.
Der Streit für und wider Aufklärung,5) für und wider die Rechte des Fürsten in Glaubenssachen und besondere in Hinsicht der veralteten symbolischen Schriften, scheint anizt lebhafter zu werden.
Nähern Anlaß gab hiezu die bekannte Schrift des Herrn Rönnberg über symbolische Bücher im Bezug aufs Staatsrecht, eine Schrift, welche beiweiten nicht das zu bewirken im Stande, ist, weswillen sie der Herr Professor vielleicht drukken, und ein Rescript vom Hofe sie den Geistlichen im Preußischen Lande kommunizieren ließ. —
Würdige, einsichtsvolle Männer schwiegen bisher über den berührten Punkt nicht, besonders lesenswerth war Herrn Prof. Trapps Untersuchung der Gewalt protestantischer Fürsten in Glaubenssachen, und das früher erschienene Werk über das Recht protestantischer Fürsten unabänderliche Lehrvorschriften festzusezzen, und darüber zu halten, vom Hr. Hufeland. Allein das Rönnbergische Buch erregte ziemlich allgemeinen Unwillen wider seinen Verfasser, und ich weiß nicht, ob der alte Preußische Landprediger, welcher sich, in seinem Sendschreiben an den Hr. Hofrath Rönnberg, in einen feurigen jungen Mann verwandelt, ganz Unrecht hat, wenn er dessen Schwächen, deren Anzahl nicht gering ist, mehr mit Wiz angreift, als sie einer ernsthaften Prüfung werth zu halten.
Dies beiseite gesezt, wünscht jeder Biedre und Unpartheiische bei solchen Zwisten unter den Gelehrten mehr Bescheidenheit, als Grobheit, mehr Wahrheitsliebe, als Selbstsucht, und Toleranz auf beiden Seiten. Es entehrt die Würde des deutschen Schriftstellers, Kriege zu führen, wie Zimmermann und Bahrdt, welche das Uebel, statt zu verringern, nur vergrößern, und in andrer Hinsicht verehrungswürdige Männer dem entehrenden Gelächter des Pöbels preisgeben.
Noch sind wohl nie die Schriftsteller unsers Vaterlandes, noch wohl nie die Schriftsteller andrer Nazionen, so tief von ihrer Würde herabgesunken, als seit wenig Jahren die deutschen. Wer kann zum Beispiel das neulich erschienene Pasquill: Bahrdt mit der eisernen Stirne, ohne Ekel und Verdruß durchblättern? Fürwahr ein Zuchthäusler würde mehr Gefühl für Schande und Ehre, als der Sudler dieser Skarteke haben. O Fischart und Rabner, lebtet ihr noch!
Florentin verlies den Herzog. Nach acht Tagen wurde er wieder zu ihm berufen, wo er von diesem zu seiner lebhaftesten Freude seinen Sieg erfuhr. —
Jezt unterhielten sich beide über die zwekmäßigsten Mittel, das Volk zu einem solchen wichtigen Schritt vorzubereiten; eine Unterhaltung, welche nicht fruchtlos ablief.
Die erste Folge derselben war, daß die vakante Stelle eines Predigers an der Hofkirche durch einen gelehrten, helldenkenden, beredsamen Mann besezt wurde, dem die Freiheit gegeben war von dem bisherigen Schlendrian abzuweichen, nur Christusmoral und nicht polemische noch dogmatische Säzze zu predigen.
Nach Verlauf eines Monats hatte er sein Amt angetreten, und von Neugier oder beßrer Ueberzeugung hingerissen, eilte ein grosser Theil der Residenzbewohner hin, die schönen Vorträge dieses Mannes anzuhören.
Plözlich stand die gesammte orthodoxe Geistlichkeit auf, den Landesherrn an die alten Konstituzionen, Symbole und Confessionen zu erinnern, der Geheimerathspräsident von Hello suchte mit seinem ganzen Ansehn für die Sache der Orthodoxie durchzudringen, aber alles vergebens. Der Fürst war Mann und blieb seinem Plane getreu.
Jezt hatte Florentin, ebenso viel Freunde, als Feinde; diese lästerten, jene vergötterten ihn. — Aber er hörte beide nicht, sondern ging seine Strasse unerschütterlich fort, und fand sich durch die Güte seiner That hinlänglich im Geheimen belohnt.
Weil er schon seit einiger Zeit der Prinzessin weniger nächtliche Visiten geben durfte, so blieb ihm auch Zeit genug übrig den einmal entworfenen Plan gänzlich, und sich selbst zum Danke, auszuführen. Da wir nur den Roman einiger merkwürdiger Personen erzählen; so überlassen wirs den Statistikern, das bald darauf erschienene Religionsedikt, wie auch das Edikt in Betracht der Denk- und Preß-Freiheit in den herzoglichen Landen, zu notifiziren, wir aber erwähnen noch, daß Serenissimus, mit seinem Vertrauten, oft die Häuser seiner begüterten Unterthanen, seine Fabriken besuchte, oft auch in die Hütten der Armuth trat, und theils erkannt, theils unerkannt half, und Wohlthaten und Freude verbreitete.
„Der Duur,“ sagte der Geheimerathspräsident von Hello zu seinem Fräulein Tochter Agathchen, indem er die goldne Tabattiere unwillig auf den Tisch hinwarf: „Der Duur macht unsern Durchlauchtigsten Herrn zu einem Atheisten, zu einem Fantasten, und jezt endlich ganz zu einem Romanprinzen. Es ist ein Leiden, wenn solch ein gepuztes, eingebildetes Fäntchen, wie der Graf, Fürst und Volk ins Verderben führt, und dann Leute von Verdienst und grauem Haar nicht gehört werden, wenn sie die Stimme der Warnung erheben. Pfui! — ändert sich die Lage der Sachen nicht bald, so.“ — — —
Nein, guter Hello, fürchte nicht des Fürsten und des Volks Verderben, wenn der Fürst fühlt daß er Mensch sei, und seinen Kindern sich, als Vater, zeigt!
Es ist ein schwerer Beruf Fürst zu sein, und das Glük von tausenden zu befördern. Nicht Assembleen, Redouten, kostbare Soupees und Dinees, Bälle und Festen versüssen die bangen, mühsamen Stunden und Geschäfte der Grossen genug, oft im fröhlichsten Gelächter ist ihr Herz ein Raub der Sorge, des Verdrusses. Wo sollen sie sich belohnen, und belohnen lassen? in der Mitte ihrer Unterthanen, auch der des niedern Standes.
Wie kann ein Vater, der seiner Stunden grösten Theil für das Wohl seiner Familie hinopfert, ausser derselben Erquikkung finden? Die Freude seiner Kinder, vom lallenden Säugling bis zum Erwachsenen, däucht ihm gewis angenehmer, als anderwärtige, rauschende Vergnügungen.
Freilich bringen oft ganze Städte unter Triumfbögen ihren Landesherrn Oden und Hymnen entgegen, die aber oft nur das Kompliment der Ehrerbietung sind, nicht der Zufriedenheit herzlicher Dankesergus.
Herzog Adolf wußte dies so gut, als wir, und achtete nicht des Helloschen Geschwäzzes. — Der Unterthan lernte ihn izt näher kennen, und ihn doppelt lieben; man vergoß Freudenthränen, wenn er so unverhoft erschien, und einsame friedliche Familien in ihren häuslichen Geschäften überraschte.
Oft stand er, dem Grafen zur Seite, in der Mitte kniender Dankbaren, welche er oft durch ein Kleines aus schreklichen Labyrinthen gerissen hatte; dann entschwand er ihnen, wie ein guter Engel, der Frieden vom Himmel in ihr Haus gebracht hatte; man zeichnete sich die glüklichen Tage auf um noch Kindern und Kindeskindern diese Ehre, welche ihren Voreltern wiederfahren war, heilig zu erhalten.
Von einer solchen Wanderung kam Florentin an einem Abend zu Hause, als ihm gleich beim Eintritt der alte Badner ein Billet entgegen brachte. Florentin erbrachs, erkannte die Federzüge der Unbekannten, und schauderte.
Graf!
Ihr habt dem Lande wohlgethan, daß Ihr die Fesseln zerbrachet, welche der Afterglaube für den freigebornen Geist der Menschen schmiedete, wir danken Euch dafür im Namen Holders, im Namen unsrer und im Namen der Einwohner dieses Herzogthums. — Aber wie stehts mit der Prinzessin? warum verseltnern sich eure Besuche bei ihr? warum erscheint sie nicht mehr so oft am Hofe öffentlich? — Ahndet Ihr nichts? — Sie sieht bleich, ihre Gesundheit ist nicht mehr die vorige; ihre Lebhaftigkeit ist verloren gegangen, und — — — Graf! Graf! was habt Ihr angerichtet? sehet Euch vor, wir rathen Euch, im Namen des wohlbekannten Ludwig Holder!
Der Graf stürzte entnervt auf ein Ruhebette, eine fürchterliche Ahndung umflog ihn. „Gott, Gott!“ rief er beklommen aus: „sie ist — sie ist“ — —
Badner trat mit der treuherzigsten Miene zu ihm, und stieß seine gewöhnlichen Töne: „Ho! ho! ho!“ hervor.
„Heda, Kerl!“ rief der Graf, und faßte den alten, erschroknen Mann vor die Brust? „Wer war der Ueberbringer dieses verdammten Blattes?“
Badner. (den Kopf schüttelnd und die Hände auseinander werfend) Ho!
Florentin. Sag mir, hast Du’s gelesen, weißt Du den Inhalt? gesteh’s nur!
Badner. (verneinend und auf das Siegel deutend.) Ho! ho!
Florentin. Kennst Du den Briefträger?
Badner. (schüttelnd) ho!
Florentin. Mensch, warum hieltest Du ihn nicht fest?
Badner. (zukt die Schultern) Ho! ho!
Florentin. (ärgerlich) las mich allein.
Er wars. Nun las er das Brieflein der Unbekannten noch einmal, und fand eben den schreklichen Sinn darin liegen, als zum erstenmal. Er suchte sich zu fassen; ging mit starken Schritten das Zimmer auf und ab; nahm die Flöte, welche ihm sonst so manchen Augenblik verschönerte, so manche Grille hinwegtönte — aber alles umsonst. Er warf die Flöte hin, bedekte mit beiden Händen sein Gesicht und murmelte einzelne abgebrochne Silben: „Gott! o Gott! — verdammt! — was soll nun werden?“
Florentin gehörte zu denen, welche der erste Moment der heranziehenden Gefahr entgeistert, die aber, wenn der erste Schrek vorübergangen ist, muthiger dastehn, und deren Kühnheit sodann oft an Verwegenheit gränzt.
Wir wollen ihn seinen Ueberlegungen allein lassen; Kleinigkeiten sind unfähig die Sicherheit großer Seelen zu zerstören, Florentin zittert wahrscheinlich also nicht vergebens.
Inzwischen alles dieses vorging, inzwischen Florentin und Louise bald alle Seeligleiten, bald alle Leiden der Liebe empfanden, inzwischen tausende sich im Vaterlande des braven Landesvaters freuten, welkte unbemerkt, mit jedem Tage mehr eine schöne, vortreffliche Blume.
Fehlgeschlagne Hofnungen, zweimal unglükliche Liebe, Hang zur düstern Schwärmerei, ewiger Harm, bestürmten lange die Gesundheit des liebenswürdigen Fräuleins v. Gülden, die endlich erlag. Ein Heer von Uebeln, eine Kette von Krankheiten schien sich wider das Leben dieses guten Mädchens verschworen zu haben; sie sah ihr nahes Grab, allein ohne Quaal.
Vier Wochen hütete sie schon ihr Krankenlager, abwechselnd mit dem Fieber ringend, und noch hatte sie Florentin nicht ein einziges Mahl besucht. Dies schmerzte ihrem weichen Herzen mehr, als der Abschied von einer Welt, welche doch auch für sie manchen Reiz gehabt hatte. Sie sah kalten Blikkes die ehmahls blühenden Wangen verbleichen, ihre Schönheit verschwinden, ihre Augen erlöschen, und murrte, klagte nicht. Freudenlos sah sie andre um sich her glüklich; ungeliebt, fand sie andre sich liebend; am Rande des schauervollen Grabes schwankend, erblikte sie die Welt noch einmahl in ihrer ganzen Pracht, und so viele Freunde, so viele Freundinnen in ihr, die da heimblieben — und sie blieb ruhig.
Sie sah nicht gern Gesellschafter um sich; am meisten aber waren die Prinzessin Louise und ihr alter, tiefgebeugter Vater, der Herr von Gülden, an ihrem Lager. Am liebsten beschäftigte sie sich aber ausser den Fieberschauern, mit des schönen, geliebten Gustafs halbverwischtem Portrait, oder mit Lavaters Aussichten in die Ewigkeit, welche sie sich vorlesen lies. Aufmerksam hörte sie dann jedes Wort an, und beruhigt und erheitert schwang sich ihr schöner Geist im Gebet vor dem Thron des Allerheiligsten empor.
Wie süs ist doch der Lohn des Weisen oder des Dichters, der einem Scheidenden von diesem Erdeleben die herbe Trennung versüßt, und dem ein Sterbender noch Dank lallet! —
Sie fühlte das Herannahen der lezten Stunde, der Stunde, in welcher ihre unsterbliche Seele einer Welt entsagen sollte, deren sie nur auf einige Augenblikke genossen zu haben schien, eine neue Gegend des Unermeslichen begrüssen sollte, wo ihr vielleicht kein Freund entgegenwandelte, wo nur Gott ihr Bekannter war. Sie verlangte deswegen den Genus des Nachtmahls, und trauernd wurde ihr die Bitte gewährt. Der Herzog, die Prinzessin Louise, der alte Herr von Gülden und einige Freundinnen waren Zuschauer dieser feierlichen Szene. Sie umringten das Bett ihrer gemeinschaftlichen Freundin, und weihten diese heilige Handlung mit ihren Thränen ein.
Der Geistliche bot der Scheidenden alle Trostgründe dar, welche die Religion verleiht; er beflügelte ihre Hoffnungen auf des künftigen Lebens bessre Szenen; lies sie noch einmal einen Heimblik auf die vergangnen Tage richten, und reichte ihr dann das Brod und den Kelch.
Ein Auftritt am Sterbebett ist die schönste Schule für Lebende; darum laßt uns noch einige Augenblikke hier verweilen.
„Warum weinen Sie, Prinzessin?“ sagte Auguste, die sterbende Auguste, und lächelte ihre jammernde Freundin an.
„Sollt’ ich nicht, liebe, beste Auguste?“ schluchzte Louise, und faßte die matte Hand derselben, und drükte sie: „du wirst sterben, o Auguste, du wirst sterben, dich trennen von mir, und Gott, der nur allein die unbekannten Gegenden jenseits des Grabes kennt, Gott nur weiß, ob wir beide einstens uns wiedersehn werden! — — Du warst meine Schwester, meine Gespielin, mein alles; ich sollte nicht weinen, wenn ich das verliere, was mich glüklich gemacht hat? Ich habe dich nicht so glüklich gemacht als du mich.“ — —
„O doch!“ sprach die fromme Sterbende zu ihrer ehmaligen Nebenbuhlerin, mit sanfter, tröstender Stimme.
„Nein, nein, Auguste, so ist es nicht. Ach, vergieb, vergieb! Du verlierst an dieser Erdenwelt nicht viel, eine schönere harrt deiner, da findest du vielleicht den Geist deines Gustaf wieder, da vielleicht alle Seeligkeiten wieder, welche du hier zurükliessest. Aber ich — werde dich suchen, und finde deinen Grabstein!“
„Weinen Sie nicht!“
„Auguste. Und wenn Du — wenn Du wüßtest! o Gott!“
„Nein, Prinzessin, wenn ich bitten darf, so schweigen Sie. Ich habe mich losgerissen von allem was irrdisch ist, mein Blik ist auf die Pforten der Ewigkeit gerichtet, meine Wünsche, meine Hofnungen streben nach jenem Jenseits.“
Die Prinzessin schwieg. Auguste v. Gülden sank in einen sanften Schlummer.
Am folgenden Morgen fühlte sie sich so heiter, so erquikt, daß alle ihre Genesung hoften.
„Nein,“ sagte sie: „freut euch nicht; es ist nur das lezte Auflodern des verglimmenden Lebenslichtes.“
Sie lies sich noch einmal zum Fenster hinführen, wo sie eine vortrefliche Aussicht über einen Theil der Stadt und über den ganzen Schloßgarten hatte.
„Nun lebt wohl:“ sagte sie, indem ihr schmachtender, matter Blik bei jeder Staude, jedem winkenden Halme zu verweilen schien: „lebet wohl, ihr schönen glüklichen Gegenden, an deren Reiz ich so oft mit trunkner Seele hing, die ihr mich so oft in angenehme Hofnungen einwiegtet, mich so oft nach Leiden und Thränen beruhigtet! — ja, Gott ist die Quelle des Schönen, darum freue ich mich des gelobten, bessern Lebens nach dem Tode! — — Alles, alles ist schön! alles, alles gut!“ —
Darauf ließ sich die Liebenswürdige zu ihrer kleinen Büchersammlung führen, wo sie fast jedes Buch noch einmal ansah und durchblätterte, dann nahm sie einige Papiere aus dem Schreibepult, liess sich zu ihrem Sterbelager tragen, wo sie denn von mehreren Freundinnen und Freunden den zärtlichsten Abschied nahm, und jedem bei seinem Weggehn mit gebrochner Stimme nachrief: „weinet nicht, denn Gott ist unser, unser ist das Loos der Freundschaft; was bedarf es mehr, um den Traum des Lebens schön zu träumen?“
Ihrem Wunsche zufolge, erschien auch nach einigen Stunden der Graf Florentin von Duur. Sie hatte es so zu veranstalten gewußt, daß niemand ausser ihrem Vater bei dieser Szene zugegen war, und ihn mit den Worten vorbereitet: „Wundern Sie sich nicht, lieber Vater, über das was Sie izt hören werden.“
Florentin trat herein — sie sah den Jüngling, und ihre bleichen Wangen färbten sich unter dem Rosenpinsel der Schaam und Liebe.
Er bat um Verzeihung einen nicht frühern Besuch abgestattet zu haben, aber Auguste selber entschuldigte ihn indem sie lächelnd sagte:
„Sollten Sie jeden Bekannten am Krankenbette besuchen müssen, so würden Sie ja nie heiter werden. Aber mir verzeihen Sie es, daß ich Ihnen vielleicht einige trübe Minuten verursache.“
Florentin. Sie beschämen mich, gnädiges Fräulein; meine Nachläßigkeit, mein Leichtsinn sind mir kaum zu vergeben.
Auguste. Sehr gern zu vergeben, denn ich spielte eine unbedeutende Rolle in der Geschichte Ihres Lebens; allein Sie in der meinigen eine größere, ohne dass Sie darum wußten.
Florentin. Dürft’ ich darum nicht wissen, vortrefliches Fräulein?
Auguste. Nein, so ist es und war es vielleicht besser. Aber ich hatt es mir vorgenommen, Ihnen es einst — und wär es auf meinem Todtenbette — zu bekennen, oder sollt’ ich zu früh aus diesem Leben gegangen, sein, würden es diese Papiere gethan haben.
Florentin. (verwirrt) Gnädiges — — Fräulein — —
Auguste. Ich stehe am Rande des Grabes, getrennt von allen Freuden, allen Leiden dieser Welt, ohne Gram, ohne Sehnen; kein Wunsch keine Hofnung bleibt hier zurük, und deswegen red’ ich offen zu Ihnen, wie ich mirs lange schon vorbehalten hatte.
Florentin. Mögten sie noch lange mit uns bleiben!
Auguste. Nein, so ist es besser; meine Wiedergenesung würde mich nicht glüklich machen können.
Florentin. Vielleicht doch. O, daß ich Sie nicht früher, nicht näher kennen lernte!
Auguste (mit leiserer Stimme) Sehen Sie, Graf, dies war der unglükliche Punkt, welchen zu berühren Sie mir die Mühe überheben. — (mit zitterndem Tone) O Graf! vielleicht daß ich dann nicht hier — nicht jezt — —
Florentin. (mit Thränen) Gott!
Auguste. Nicht izt schon — so früh — —
Florentin. Können Sie mir auch das — auch das vergeben? — — (indem er ihre Hand küßt) Können Sie das?
Auguste. (die Duurs Thränen auf ihrer Hand fühlt) Weinen Sie, Herr Graf? o, zuviel für eine Sterbende, weinen Sie nicht! —
Florentin. Vielleicht — vielleicht bin ich Ihres frühzeitigen Verwelkens — — —
Auguste. Nicht doch! so entwarf die heilige Vorsehung ihren Plan, so mußten Sie handeln, und so mußt ich empfinden. — — Alles unergründlich, mit Leiden verwebt für mich, aber das Wesen, welches für uns eine so planvolle, wunderbare, schöne Welt erschuf, sollte dies Wesen allein planlos in unsern Schiksalen handeln?
Florentin. Ein fürchterlicher, trauriger Plan!
Auguste. Nein, Bester, glauben Sie es nicht! — mir ist freilich noch izt am Ende meiner Tage manches in denselben verworren und dunkel, allein droben, droben erwarte ich Licht; warum sollte der Himmel unsern Eigensinn, unsre Wißsucht zu befriedigen gegen die Ordnung der Natur und des Schiksals sein?
Florentin. Unnachahmliche, Sie — Sie sind meine Trösterin, da Sie selber Trostes bedürfen.
Auguste. Nein, ich bedarf keines Trostes; ich habe meinen Zwek erreicht; Sie sollten mich noch ganz kennen lernen, eh ich die Erdenwelt verliesse, sollten mir Ihr Mitleid gönnen, da ich nicht mehr hoffen dürfte; ich glaubte in dieser gegenseitigen Entdekkung Beruhigung zu finden, und ich fand sie.
Florentin. Daß ich mehr zu Ihrer Beruhigung hätte thun können!
Auguste. Genug gethan! — wollen Sie noch eines, so bitt’ ich Sie, diese Blätter, welche ich zu Anfange meiner Krankheit unter ahndenden Gefühlen des Todes schrieb, an Sie schrieb, mir noch einmal vorzulesen, und hernach, sie keinem andern Ohr und Auge, als den ihrigen anzuvertrauen. — Es sind Träumereien, Schwärmereien, welche Sie als nichts mehr betrachten dürfen. Aber indem ich mich meinen Empfindungen und meiner Einbildungskraft überlies, war ich doch glüklich. — —
Florentin, in die schwermüthigste Seelenstimmung versunken, entsiegelte die Papiere, und begann zu lesen. Oft zitterte, oft brach seine Stimme, aber die Sterbende lächelte holdseelig auf ihn hin, und er fuhr im Lesen fort.
Wer vielleicht aus ähnlichem Hang, vielleicht aus Neugier, oder wider die Langeweile, der liebenswürdigen Auguste Schwärmereien, mit Florentin, zu lesen wünsche, wende sich zum folgenden Kapitel.
Ich will mich hieherstellen und den Vollmond ansehn, wie er schweigend über den einsamen Thurm der Kirche hinschwebt; — es ist ein feierliches Schauspiel! die Gottheit erschuf diesen wiederleuchtenden Weltkörper, daß er ewig und liebend uns umschwebe, und nie unsern Stern verlasse, sondern ihn immer begleite in seinem Kreislauf.
Was hier Gesez der Natur heißt, heißt bei den Menschen Liebe; aber ist Liebe vorherbestimmtes Gesez, ist Liebe Zwang? Ich mag es nicht ergründen, aber Heil mir daß ich diesen süssen Zwang, oder diese beseeligende Willkühr meines Herzens empfinde!
Fragt nicht, wo ist Gott und was ist die Gottheit? — sehet über euch die zahllosen Gestirne, die liebend und treu sich umeinander hindrehn; sehet die vernunftlosen Thiere, die Gewürme des Staubes welche sich mit einander vereinen, und die Seeligkeit ihres Daseins in der Liebe finden. Dort ist Gott und Gott ist hier, er webt und wandelt in und über den erhabnen Sfären des Weltalls und webt und wandelt in und über den Blumen des Feldes. Gott ist die Liebe; die Liebe ist Gottheit und allgegenwärtig!
Seid mir willkommen, ihr schmeichelnden, heiligen Gefühle, welche meinem Herzen unbekannt waren, seit Gustaf heimkehrte zum Staube, woraus er erschaffen war! Seid mit willkommen, ihr die ihr nicht mit seinem schönen Geiste der Erdenwelt entflohn seid! Ich Unglükliche soll noch glüklich sein; meine erstorbnen Freuden blühn wieder auf, meine melancholischen Klagen lösen sich in frohe Gesänge der Hofnung und Sehnsucht auf, o darum Heil der Liebe, Heil der Gottheit!
Noch weis, noch ahndet er nicht, daß ihn ein Mädchen liebt am Hofe; stolz bieten ihm Rosen, und Tulpen sich an, an seiner Brust verblühn zu können; wird er das unbekannte, einsame Veilchen verschmähen? — Wird Florentin Augusten verschmähen?
O daß er mich belauschte, wenn die Thräne der Sehnsucht meinem Auge entquillt; daß er mich belauschte, wenn ich sinnend die Züge seines schönen Namens auf das Papier hinmahle; daß er mich belauschte wenn ich: Florentin! Florentin! seufze, und meine Wangen schaamvoll erröthen! — —
Eine liebliche Ahndung umgaukelt meine Seele; die Hofnung strahlt mir lächelnd entgegen: spät oder früh sinkt er an meinen Busen, spät oder früh umschliessen den Geliebten meine Arme. — Seelige, beneidenswürdige Auguste, Dein Himmel wohnet auf Erden; Liebe wird Dir mit Liebe vergolten, Florentin Dir alles, und Du dem schönsten Jüngling alles werden; o Loos der Liebe, wie seelig bist Du! —
* * *
Gustaf, Gustaf, warum erschienst Du mir im Traume dieser Nacht? warum lächeltest Du mir so wehmüthig zu, und liessest Thränen über Deine Engelswangen rinnen? — Heiliger, Auserwählter, zürnest Du?
Ach nein, wie könnte ein Geliebter Gottes zürnen? Dein Lächeln war das Lächeln der Freude, Deine Thräne, die Thräne der Wonne Deine Auguste nach langen Leiden glüklich zu sehn! — o sieh herab auf mich, Verklärter, und sieh Augustens Glük! — Ich bin Dir noch treu, treu, wie bei dem ersten Kusse, welchen ich Dir, Engel, aufdrükte; und doch liebe ich einen Florentin. Bin ich strafbar? nein, denn, wenn Liebe zum Verbrechen geworden ist, so sind alle Meisterwerke der Schöpfung Sünde; im Hauch der Liebe wurden sie erschaffen, und zur Liebe reizen sie wieder.
* * *
Hör’ es, hör’ es, wohlthätiger Geist der Liebe! hör’ es Du ganze glükliche Natur, hört es alle, ihr seeligen Geschöpfe auf Erden, daß ich unglüklich bin! Florentin liebet mich nicht! ach, Gott, er liebet mich nicht! —
Nun sinken sie alle ein, die schönen Fantome meiner hoffenden Liebe; nun verdüstern sie sich, die lächelnden Paradiese, welche meine Einbildungskraft in frohen Augenblikken hinzauberte. Nun ist für Augusten keine Freude mehr! —
O Louise, Du hast ihn mir geraubt, Du, die sich meine Busenfreundin genannt hat, ihn der den Traum meiner Tage allein versüssen, konnte: Hast ihn mir geraubt, die Du so vieles besizzest, von einem Herzogthume angebetet wirst, hast ihn mir Armen geraubt, die da nichts, als ein weiches, empfindendes Herz zum Eigenthume hat. Bist Du nicht reich genug gewesen, mußt Du auch die Bettlerin um ihren Schaz plündern?
Verlange nicht stolze Habsüchtige, daß ich Dich noch liebe; fordre nicht Besiz eines Herzens, nach dem Du mit giftigen Pfeilen zieltest. O mit räubrischen Händen entwandst Du mir ein Heiligthum, und ich soll Dich lieben? — Nein, nein, die kühnsten Widersprüche der Natur mögen sich in Harmonien auflösen; der Raubvogel in den Lüften seiner Antipathie vergessen; liebend neigen die Bewohner des Paradieses die Behausungen der verdammten besuchen, nur nimmer wird meine blutende Seele der Deinigen in Eintracht begegnen!
Ha, Fürchterliche, wisse, das Glük der Liebenden zerstören, heißt den Grundstein der Schöpfung verderben. — Heilige, reine Liebe konnte nimmer in einem Herzen, wie das Deinige, ihre Wohnstatt aufschlagen, aber nimmer müsse Dich auch ihr leisester Odem beseeligen. — Nie umarme dich eine liebende Gestalt; finde nie deinen Himmel auf den Lippen eines Jünglings. Geh, geh, suche bei der ewigen Güte Erbarmen, und finde es nicht; geh, geh! — —
* * *
Nein gute Louise, vergieb, ich habe gesündigt; habe Dich gelästert und Du bist eine Heilige! — Ich bin so unglüklich, o, so, unglüklich, dein Zorn mache mich nicht elender!
Wie doch alles so wunderbar im menschlichen Leben an einander gekettet, und durch einander gewirrt ist! und das alles, alles ist weiser Plan des weisesten Wesens? —
Ich bin ja eine Sterbliche; Leidenschaft und zartes Gefühl sind mir angeschaffen, die Schönheiten der Welt sind ja auch für mich vorhanden; und doch bin ich ausgestoßen aus der Zahl froher Wesen? — die Freude und das Jauchzen der wonneberauschten Kreaturen ist ein Lobgesang auf die Güte des Himmels, verherrlichen meine Thränen den Himmel auch? — was hat denn meine Seele verbrochen, welches sie abbüssen müsste, warum bin ich so verlassen?
Ich ergründ es nicht, und werd’ es nie ergründen!
Seid glüklich, ihr schönen Seelen, Auguste findet ihre Ruhe in den Thränen der Schwermuth; euch umfasse ein blühender Busch, geheime Küsse zu verbergen; mich verdekke ein sterbendes Gesträuch, das sein trauriges Lispeln in meine Seufzer mischet.
Bricht das Licht des Morgens empor, so verscheucht es melancholische Träume von meinen Augenwimpern, und ladet zum Weinen ein; umschleiert die Nacht mich, so sink ich an ihren Busen um ungestörter zu jammern. — Seid glüklich, ihr meine Mitgeschöpfe, ich bin es im Leiden. Ewigkeit ist unser Loos nicht; meine Thränen werden einst versiegen!
* * *
Nein, nein, ich will sie nicht mehr hören, jene bangen, furchtbaren Ahndungen, ich will sie alle verbannen. Die Hofnung steigt vom Himmel herab, lächelt und bringet mir Trost. Furchtlos sollen meine mattgeweinten Blikke auf die Leiden hinsehn, die mir bestimmt sind, vergebens sollen sie mich verfolgen. Eine Freistätte öfnet sich mir, eine Freistätte, an deren Pforte die Furien des menschlichen Lebens zurükbeben, und die ihnen entrinnende Beute unverfolgt lassen. — O, Tod, dies ist dein Tempel!
Die Nebel zerrinnen, mit welchen die furchtsame Einbildungskraft der Sterblichen deinen Vorhof umlagerte; eine wohlthätige Gottheit schwebst du aus diesen Finsternissen hervor, und strekkest dem zitternden Verlaßnen deine Arme entgegen. Mit ewigem Lichte ist dein Thron umringt, ihm zur Seite glänzt die majestätische Wahrheit, die holde Ruhe, der liebenswürdige Friede herrschen hier, und bieten dem schüchternen Ankömmling ihre Zauberschaalen. Abgemattet von dem mühevollen Lebenslaufe trinkt der Mensch den dargebotnen Trank, und weggeschwunden sind jeder Harm und selbst die wehmüthige Erinnrung.
O Menschen, Sonderbare, Unerklärliche! warum mahlet ihr der Gottheit süssestes Geschenk mit so schauerlichen Farben? — So manche Noth drükket euern Miterschafnen, geheimer Kummer nascht mit gefrässigem Zahn an der Wurzel seines Lebens und ihr weinet über seinen Leichnam?
Freuet euch, meine Lieben, wenn der gefällige Tod des Lebens Bürde von mir nimmt; bedekket meinen Leichnam nicht mit einem düstern Tuche, worin die Hand des Künstlers das Bild der Verwesung gezeichnet hat. Zündet um meiner Baare keine Todtenfakkeln an, deren blasser, zitternder Glanz, wenn er sich mit grauenvoller Dunkelheit gattet, die Seele des Zuschauers beben macht. Begleitet mich nicht in langen Trauergewändern, mit erdwärtsgesenkten Blikken zu Grabe. — Nein, umkränzet mir lieber das Haupt mit Blumen, wünschet der Entschlummerten Glük, und senket mit Lobliedern auf den Tod den Leichnam in die mütterliche Erde. So ehret ihr den Triumf eurer Freundin! —6)
* * *
Louise, Du fragst, warum Augustens Wangen verblassen? — verblassen sie wirklich? wohl mir, dies ist der erste Kus des Todes. Ich fühl es, meine Kraft ist vertroknet, meine Hofnungen glüklicher Lebensszenen sind verloschen, Gustaf winkt. —
Lebt wohl, ihr die ihr mich lieb hattet, lebt wohl. Und Du, Florentin, sei glüklich. Dich nur liebt ich allein auf dieser Welt, — Dich hatte ich mir zum Ersaz vieler Thränen auserkohren Dich hätte ich nicht für die ganze Pracht einer königlichen Krone vertauscht, und Dir entsage ich izt.
Sprach man von den schönsten Werken des ewigen Schöpfers, so dachte ich deiner; sollte sich meine Andacht vor heiligen Altären zum höhern Fluge beflügeln, so dachte ich deiner — nannte man die Freuden eines künftigen Lebens, Florentin, so dachte ich deiner, und dir sag ich izt das Lebewohl! Nur einen Wunsch gewähre mir das Schiksal, daß Florentin einst, wenn ich schon von dem Irrdischen entfesselt, hinübergegangen bin in die Wohnungen der Ruhe, diese Blätter lesen, mich noch mitleidig betrauern mögte, oder daß er mir an meinem Sterbebette noch diese Klagen vorlesen, und ich seine Wehmuth sehen dürfte! Oh, ich habe vielleicht zu viel gebeten, vielleicht — —
Florentin konnte nicht weiter; er verhüllte schluchzend sein Gesicht; der alte Herr von Gülden zerfloß in Thränen und schaute in stiller Verzweiflung auf sein Kind hin.
„Es ist erfüllt!“ lallte Auguste — ihr Auge war gebrochen, jezt brach ihr Herz. Der alte Vater stürzte sich über ihren Leichnam; Florentin küßte die kalte Hand der Entschlummerten, und Jammer und Thränen wurden allgemein.
„Ausgerungen hat die schöne Leidende; ihr Fus durchwandelt jezt seligere Regionen; ihr Auge kennt jezt keine Thränen mehr; sie ruht vielleicht jezt am Busen ihres Gustaf; ruht aus von überstandenen Leiden, indessen ich Verlassne trüben Bliks ihrem Flug nachstarre!“
So sagte Louise zu sich, als sie von dem Tode ihrer Freundin benachrichtigt worden war; und in der That hatte sie Recht zu klagen.
Sie fühlte, ihre Lage sei, in jeder Hinsicht, schreklich, sie war in ein Labyrinth verschlungen, aus welchem zu entkommen bis izt alle Möglichkeit verloren schien. Und nun war sie auch ihrer Rathgeberin, Trösterin, Mitweinenden — ihrer Vertrauten, ihrer Schwester beraubt.
„O unglükseelige Liebe!“ rief sie zu wiederholten Mahlen aus, indem sie ihre Blikke zu Boden schlug und ängstlich die Hände rang: „Ich mus mich dem unglüklichen Grafen entdekken, es koste was es wolle. Vielleicht findet er einen Ausweg, den mein Auge bisher nicht wahrnahm; vielleicht — o Florentin, wehe Dir und mir, wir sind Beide verloren!“
Augustens Tod war gleichsam das Signal, zu fürchterlichen Ungewittern, die sich izt über unsre beiden Liebenden zusammenzogen.
Louisens Freundin wurde feierlich begraben, und zwar so, wie sie es ausdrüklich auf ihrem Sterbelager gewollt hatte.
Einige Tage vor der Beerdigung stand ihr Leichnam in einem braungebeizten kostbaren Sarge öffentlich zur Schau, damit Freunde und Bekannte und Unbekannte noch einmahl die schöne, zur Verwesung eingesunkne Hülle einer noch schönern Seele sehen mögten. — Sie war in ein weisses Gewand gehüllt, hin und wieder mit jungen Rosen überstreut; ein Kranz von eben diesen Blumen, mit Vergismeinnichten durchwebt, umflos ihre Stirn. Alles was schauerliche Vorstellungen vom Tode und Grabe erregen konnte, war hier verbannt, keine schwarz überschlagne Wände, kein langer Trauerflor, kein Todtenkopf, waren hier zu erblikken.
Am Fusgestelle der Baare stand ein ovales, lebhaft umkränztes Bildnis errichtet, in welchem die Verstorbne vorgestellt wurde, wie sie von ihrem Genius geführt, den Hallen des Lichts entgegenschwebte. Die Erde lag mit falbem Grün bekleidet, leblos und vernebelt unter ihren Fersen; ihr Gesichte strahlte im Wiederschein der ätherischen Gegenden, und ein Seraf, mit den Zügen des schönen Gustafs, schwebte ihr entgegen, mit der glänzenden Palme.
Ehe der Sarg in die Gruft hinabgesenkt wurde, sezte man ihn nach alter Sitte zuvor in der Gegend des Altars in der Schloskirche nieder. Hier sprach der neue Hofprediger vom Wiedersehn in der Ewigkeit, und der Wohlthat des Todes für die Sterblichen so vieles und so schön, daß die Augen der Leidenden und Frohen, die bei dieser Szene versammelt waren, von Thränen stiller Sehnsucht und Hoffnung glänzten; eine angenehme Ruhe wohnte in jeder Brust, eine feierliche Stille herrschte überall, nur hin und wieder hörte man die leisen Seufzer der trauernden Verwandten.
Plözlich erscholl Klopstoks
Auferstehen wirst Du, auferstehen!
vom Chore herab; die Gemeinde stimmte mitempfindend in den herzerhebenden Gesang; liebliche Wehmuth und Hoffnung vermischten sich in jeder Seele.
Augustens Hülle wurde eingesenkt, unter den Gesängen unsrer besten deutschen Dichter über Wiedersehn in der Ewigkeit, Auferstehung, und Seeligkeit der Entschlummerten Gerechten. Bekannte und Unbekannte, Mädchen und Jünglinge eilten unterdessen zum Grabe, Blumen herunter zu streun, auch die Prinzessin Louise, mit einem Körbchen voll junger Rosen, stand unter ihnen, und warf sie der Asche ihrer Freundin nach.
Heiter kehrten sie alle zurük, und, halbgetröstet über den Verlust seiner geliebten Tochter, auch der Vater Augustens.
Man sprach noch lange von diesem Leichenbegängnis, und die einsichtsvollern unter den Residenzbewohnern führten es bei sich ein, worauf auch der gemeine Mann nicht länger anstand es nachzuahmen.
Florentin blieb einige Tage darauf stets in seinem Zimmer verschlossen; er war trostlos um Augustens Tod, als dessen Ursach er sich betrachtete, aber bald wurde er durch einen neuen Auftritt aus dieser Schwermuth gewekt.
Er erhielt nämlich Befehl vor der Prinzessin zu erscheinen.
Florentin ging zur bestimmten Stunde, wurde vorgelassen und fand Louisen auf ihrem Sofa blas, schwermüthig, und wie aus tiefen Gedanken aufgeschrekt, sizzen.
Er küßte zitternd ihre Hand und fragte um ihren Befehl. Sie schwieg eine Weile, bat ihn sich nieder zu lassen, ging darauf schweigend in dem Zimmer auf und nieder und warf unterweilen einen traurigen Blik auf ihn.
„Nicht wahr,“ sagte sie endlich, indem sie am Fenster stehn blieb, mit weggewandten Gesicht: „wir haben am Fräulein v. Gülden viel verloren?“
Florentin. (einen Seufzer unterdrükkend) Ja, bei Gott unendlich viel.
Prinzessin. Wer wird jezt ihren Plaz ausfüllen können?
Florentin. Ich wüßte kein Mädchen von so sanftem liebenswürdigen Karakter, von solcher Treue, solcher Verschwiegenheit.
Prinzessin. Sie haben Recht. Aber meinen Sie daß wir jezt einer solchen Vertrauten entbehren könnten? meinen Sie Graf?
Florentin. Eher vielleicht das Geheimnis unsrer Liebe einer Verrätherin offenbart würde, eher dächt’ ich — —
Prinzessin. Es wäre wenigstens zu wagen; denn bester Graf, in kurzem sind wir Beide verrathen.
Florentin. (erschrokken) Verrathen?
Prinzessin. Erschrekken Sie nicht; erwarten Sie alles mit gefaßter, männlichen Entschlossenheit, was Ihnen und mir auch begegnen mögte.
Florentin. (einen Schritt näher tretend) Um Gotteswillen. Theure, wozu diese Vorbereitung?
Prinzessin. Leider daß man Sie vorbereiten mus!
Florentin. Verrätherei unsrer Liebe? — o, hätten Sie mir gesagt, daß ich in der folgenden Minute des unfehlbaren Todes wäre, es hätte mich nicht erschüttert.
Prinzessin. Unsre Liebe wird verrathen werden, ich sage ja: wird; noch ist sie es nicht.
Florentin. Wird? o, gnädigste Prinzessin, sagen Sie mirs, durch wen? durch wen? — ich bitte Sie um Gottes, um ihrer zeitlichen Wohlfahrt, um alles Heiligen willen, durch wen? —
Prinzessin. (die ihr Gesicht verhüllt.) Oh!
Florentin. Durch wen? ich flehe; nur um des verhaßten Namens erste Silbe flehe ich; und bei dem grossen, furchtbaren Gott, bei dem ewigen Geheimnis unsrer Liebe beschwöre ichs, ich bringe den Verräther um. — Sie wollen nicht? wollen sich unglüklich machen, und mich? —
Prinzessin. (weinend) Verlassen Sie mich.
Florentin. Nein, ich ruhe nicht, bevor ich den Verräther entdekt habe. Sie schweigen noch? o, Louise, gedenke jener seeligen Nächte, und bei diesen sei beschworen: wer will —
Prinzessin. (seine Hand fassend und ihn zärtlich anblikkend) Eben — eben jene seeligen Nächte — — o, las mich nicht fortfahren.
Florentin. (sie anstarrend.) Eben jene seeligen Nächte, Louise — —?
Prinzessin. (mit weiblicher Schaam an seine Brust sinkend) Oh, Florentin!
Florentin. Was ist das?
Prinzessin. Machten dich — dich zum Entehrer des herzoglichen Geblüts, Dich — — zum Vater! —
Florentin. (hinsinkend) Oh, Gott! Gott!
(eine lange, ängstliche Stille.)
Prinzessin. Nun, mein Florentin?
Florentin. (starrt düster vor sich hin)
Prinzessin. Quäle meine Seele nicht, Lieber. Wir sind unglüklich, nicht so? ohne Rettung, ohne Hofnung unglüklich? —
Florentin. (schweigt, wie oben.)
Prinzessin. Hätten wir uns nie gesehen, hätten wir uns gehasset, statt zu lieben, hätten wir nie, ach nie den giftigen Kelch der Wollust genossen! — — Florentin, sieh mich an. Sieh nicht so starr vor dir hin, presse nicht die Lippen so zusammen, — komm, heitre dich auf, lächle. Ich bin unglüklich, aber doch nicht allein. Du bist elend aber es doch nicht allein; zu jeder andern Stunde, ein fürchterlicher Trost, jezt aber namenlos süs.
Florentin. (giebt keine Antwort)
Prinzessin. Ein unglüklicheres Loos konnte nicht auf mich fallen, als gefallen ist. Wär’ ich die ärmste Dörferin dieses Herzogthums, ich wäre glüklicher; es würde sich ein mitleidiger Hirt finden, der mich Verstoßne aufnähme; wir würden uns lieben dürfen, ohne daß die ganze Welt auf unsre Liebe sähe; doch es ist geschehn.
Florentin. (sich ermannend) Es ist geschehn, theuerste Louise, es ist geschehn. Ich stehe fest. Ich seh’ es voraus, der Staat wird für diese Liebe mein Blut fodern, ich will es ihm nicht verweigern; nur Louisen mögt’ ich nicht leidend wissen.
Prinzessin. Sonderbarer, zittre nicht für die Schwester eines Herzogs. — Doch Du, Bester, Du —
Florentin. Ich bin jeder Gefahr gewärtig.
Prinzessin. (geht zu einem Schrank und zieht ein Kästchen hervor) Nimm dies und entflieh.
Florentin. Nimmermehr.
Prinzessin. Entflieh!
Florentin. Nimmermehr; wo Louise lebt, will auch ich leben, und soll ich sterben, so will ich unter ihren Augen meinen Geist aufgeben. — Ich fliehe nicht, Louise wäre denn mit mir: dann hin in die unfruchtbarsten Wüsteneien, in die schauerlichsten Winkel eines Waldes, hin in entlegne Welttheile, wo die Menschen noch Thiere sind, wo die Sonne nur halbjährlich hinblikt, oder wo sie ewig glühend sich um ihren Mittelpunkt wälzt, — allenthalben blühete dann ein Paradies für mich.
Prinzessin. (mit Stolz) Ich bin Fürstin. — (schmeichelnd) Entflieh!
Florentin. Ich kann nicht. Las mich, wenn es sein soll, sterben, nur entfliehen nicht. Ein leidender Verbrecher erregt wenigstens Mitleiden; der glükliche Flüchtling schleppt den Has der Welt mit sich in alle Zonen herum. Ich will bleiben.
Vergebens bat Louise ihren Liebling mit Thränen; er widerstand mit Hartnäkkigkeit. Lange dauerte der zärtliche Streit, bis die Prinzessin mit heimlichem Schaudern in Florentins Verlangen willigte. Er blieb in der Residenz, bis zur Entwikkelung der Geschichte, sein Schiksal möge sich dann entfalten, wie es wolle.
„O!“ — seufzt der unglükliche Graf, wie einst Hüon:
— — — Das allgemeine Loos
Der Menschheit, schwach zu sein — ist mein Verbrechen blos.
schwer büß’ ichs nun, doch klaglos, denn gereuen
Des liebenswürdigen Verbrechens soll michs nicht!
Ist Lieben Schuld, so mag der Himmel mir verzeihen.
Mein sterbend Herz erkennt nun keine andre Pflicht.
Sie schieden von einander. In einer fürchterlichen Angst hing Louise an seinem Halse; noch einmal, unter zahllosen Thränen, unter zahllosen Beschwörungen bat sie ihn, zu fliehn, er aber weigerte standhaft.
„Ich bleibe,“ sagte er, und drükte einen Kuß auf ihre Lippen: „ich bleibe. Und muß ich sterben, wohl so sterb’ ich gern. Mein Tod wird meine Feinde zum Mitleiden rühren, meine Flucht aber wäre ihr Triumf; alle wohlthätige Anstalten, welche ich zum Besten meines Vaterlandes traf, würden vielleicht dann ihren Werth verlieren, mein Tod kann aber noch eine Stüzze derselben sein.“
Ohne noch ein Wort zu verlieren, entfernte er sich.
Prinz Moriz. (auf einem Ottomann) Es ist alles umsonst; indes kann ich mich leicht darin ergeben. Duur, Duur wir begegnen uns noch einmal auf einem fürchterlichen Gange; doch der Kerl ist einer so langen Erinnrung nicht werth. — (er klingelt)
Ein Bedienter. (kommt herein)
Prinz Moriz. Geh zur Signora Biondine; sie darf mich heute zum Nachtessen bei sich erwarten.
Bedienter. (geht ab.)
Pr. Moriz. Prinzessinnen und Sängerinnen sind beim ausgelöschtem Lichte einander gleich. Louise und Biondine! freilich eine gräßliche Kluft zwischen beiden, aber Biondine gehört zu den weichherzigen Seelen, und das macht alle ihre Fehler gut.
Sekretair Flimmer. (tritt herein)
Pr. Moriz. Nun?
Flimmer. O vortreflich!
Pr. Moriz. Teufel, du lügst!
Flimmer. Haben Sie die Gnade mich zu hören. Ich besuchte während Ew. Hoheit sich hier am Hofe aufhielten, nach meiner alten Gewohnheit zum Zeitvertreib die Tabagien; man findet an solchen Oertern die schönste Gelegenheit Menschengesichter zu beobachten, physiognomische und politische Betrachtungen aufzustellen. Unter andern frappirte mich ein alter, schlichter Kerl, aus welchem niemand eigentlich klug werden konnte. Man wußte mir von ihm nicht mehr zu sagen, als daß er täglich in den Weinhäusern herumläge, spielte, söffe und unserm Hergott die Tage abstöhle. Dazu wollte man sich erinnern, das er ein verschmizter Gauch wäre, welcher schon manchen dummen Streich begangen hätte. Das trolligste bei der ganzen Sache ist, daß der alte Schelm stumm ist.
Pr. Moriz. So. Wie beißt der Tagedieb?
Flimmer. Badner. Ich bemerkte, daß er Geld zu verschwenden hatte, drum währte es nicht lange, so saßen wir neben einander und tranken Brüderschaft. Ich unterhielt mich öfters ganze Abende mit ihm; seine Bleifeder diente ihm statt der Zunge.
Pr. Moriz. Nun?
Flimmer. Dieser sonderbare Taugenichts ging vor einiger Zeit zum Grafen Duur in Dienste; seine Börse ist bankerot, vermuthlich gedenkt er sie durch die Freigebigkeit seines jezzigen Herrn wieder zu spikken. Allein seit einigen Tagen schien er mit seinem Schiksale nicht recht zufrieden zu sein; flugs machte ich mich an ihn, lokte ihn aus, und ich hatte den küzlichen Flek richtig getroffen. Ich ließ einige Worte von Ihnen fallen, von Ihrer Güte, Ihrer Mildthätigkeit. Der Kerl spizte die Ohren. Folgenden Tages ließ ich ihn merken, dass Ew. Hoheit ihn wohl in Dienst zu nehmen gedächten. Mein Badner war wie ausser sich vor Freude. Am dritten Tage sprach ich von einem Werke, wodurch er sich Ew. Hoheit sogar verbindlich machen könne. Er fragte um nähere Umstände; ich konnte ihm weiter nichts erwiedern, als daß Ew. Hoheit dem Grafen von Duur nicht wohl wollten, und daß, und so weiter. Und heut bring’ ich Ihnen den Erzgauner, willig zu jedem Bubenstük, her. Ein Wort von Ihnen selber kann ihn zum Vatermorde stark machen. Er steht und wartet in der Antichambre.
Prinz Moriz. (läßt sich eine Chatulle reichen.) Führ’ ihn her.
Der alte Badner. (tritt nach einer Weile mit dem Sekretair herein.)
Pr. Moriz. Höre Badner, Du willst des Grafen Dienst verlassen?
Badner. (schüchtern mit dem Kopf winkend) Ho.
Pr. Moriz. So kannst Du in den meinigen treten, wenn Du ein ehrlicher treuer Kerl bist. Ich bezahle meine Leute gut, aber sie müssen im Fall der Noth auch wohl ihr Leben für mich in die Schanze schlagen können. Bist du das auch gewillt?
Badner. (sich verbeugend) Ho!
Pr. Moriz. Schade alter Bursche, daß Dir das Maul vernagelt ist. (wirft ihm eine Börse voller Geld entgegen) Da, nimms zum Handgelde. Wie lange wirst Du noch beim Grafen bleiben?
Badner. (zieht eine Schreibtafel hervor und schreibt) Ein Monat noch.
Pr. Moriz. Ja, Bursche, das währt zu lange. Doch mein Sekretair wird Dir schon einige Winke gegeben haben, wie Du Dich zu verhalten hast.
Badner. (winkend) Ho, ho!
Pr. Moriz. Wird Dir auch wohl von den hundert Louisd’oren und von diesem Fläschchen gesagt haben, dessen Wasser Du — —
Badner. (mit treuherziger Miene) Ho, ho!
Pr. Moriz. Du darfst dies Wasser nur unter seinen Wein, oder in eine Suppe schütten. In ein, zwei, drei Wochen keucht das Junkerchen seinen zukkersüssen Geist von sich, und Du empfängst noch funfzig Louisd’ors von mir. Funfzig hältst Du jezt schon der Hand.
Badner. (schreibt) Ew. Hoheit erlauben mir aber bei Ihnen Dienste zu nehmen?
Pr. Moriz. Nicht anders; so bald der Graf das Wasser verschlukt hat, meldest du dich wieder. (er reicht ihm das Fläschgen) Leb wohl. Mache dein Probestük als Meister; mein Sekretair sage dir das übrige.
Flimmer und Badner. (entfernen sich)
Ein Bedienter. (bringt dem Prinzen einen Brief, worauf sich derselbe wieder wegbegiebt.)
Pr. Moriz. (bricht auf und liest:)
Prinz!
Da Ihr unsre Warnungen verachtet, unsern Rath verlacht, unsre Stimme tauben Ohren schallen lasset; so rufen wirs Euch zum leztenmale zu: seid auf Eurer Hut, entgehet der Rache beizeiten, ehe sie Euch unverhoft überfällt. — Giftmischer werden auf deutschem Boden nicht geduldet, schlaget Euch zu den Banditen in Welschland! — Entfernet Euch binnen vierzehn Tagen aus dem Herzogthum, eine Stunde, so Ihr über die gegebene Frist verzögert, bringt Euch unfehlbaren Tod von dem Gericht der Euch Unbekannten.
Donner und Wetter was sollen die Mummereien? — der dritte Brief schon den mir die unbekanten Spione zuschikken und kann nicht erkunden von wem und von wannen? — Ists der Herzog selber, der in dem richterlichen Tone zu mir spricht und mir sein Land zum Aufenthalt versagt, oder ists der vermaledeite Graf? — Unmöglich, wie wußten diese um all meine Geheimnisse? — Hier ist Verrätherei! (er springt vom Ottomann auf) Hollah! ho! Flimmer!
Flimmer. (kömmt.)
Prinz Moriz. (ihn hart anfahrend) Bösewicht, oder Dummkopf! sprich was bist Du von beiden?
Flimmer. (erstaunt) Ew. Hoheit verzeihn — —
Pr. Moriz. Schurke, ich bin verrathen durch Dich!
Flimmer. Verrathen? Wie so? auf welche Art? was denn?
Pr. Moriz. He, weißt Du nicht mehr zu sagen? Ich bin verrathen, die verfluchte Giftgeschichte — alles ist bekannt!
Flimmer. (erblassend) Unmöglich!
Pr. Moriz. Wohl möglich! wohl möglich! — He, Schurke, mache Dich allmählich zum Strik gefaßt!
Flimmer. Ich bin ausser mir. Ich bitte unterthänigst mir zu sagen, wie kann das verrathen sein? Badner ist nur jezt eben erst von mir gegangen; er vermaas sich noch hoch und theuer, daß er binnen heut und morgen dem Grafen das Gift beiringen, oder sein Leben einbüssen wolle. Eben, sag ich, ist er erst fortgegangen, und Ew. Hoheit wollen schon so genau wissen, daß wir verrathen sind?
Pr. Moriz. Nun da. (er hält ihm die Worte des Briefes dar.) Lies!
Flimmer. (ließt.) „Giftmischer werden auf deutschen Boden nicht geduldet — schlaget Euch zu den Banditen in Welschland.“ — Gnädigster Herr — dahinter stekt mehr, als gewöhnlicher Menschenwiz; das ist Hexerei, oder der Satan äfft uns!
Pr. Moriz. Bedenke Dich, ob Du nicht hie oder da ein unüberlegtes Wort hingeplaudert hast.
Flimmer. Ich darf Ew. Hoheit nicht an so viele tausend Streiche erinnern, welche ich ausführte, und wodurch mir Ihre Gnade erwarb. Kein einziger verrieth einen Dummkopf, einen Stümperer und dieser einzige, einer der allerleichtesten von der Welt, dieser elende Streich sollte durch mich selber verrathen worden sein? —
Pr. Moriz. Vielleicht hat Dich Dein Weinglas, oder Dein Freudenmädchen plauderhaft gemacht. Besinne Dich!
Flimmer. Ich selber weis ja erst seit gestern um die Vergiftung; wie konnte mich in dieser Zeit ein Mädchen auslokken, da ich den ganzen Tag in dem Zimmer Ew. Hoheit Briefe schrieb, und mir nur ein Stündchen für Badnern abmüssigte! und selbst Badnern lies ich nur halb den Plan Ew. Hoheit errathen.
Pr. Moriz. Donner und Wetter, ich könnte rasend darüber werden! Wer hat denn nun geschwazt? die Wände werden doch nicht horchen und es den fatalen Briefschreibern wiederposaunen? — Und werden die unbekannten Sittenrichter nicht auch dem Grafen die ganze Geschichte schreiben und ihn warnen? — Es ist alles umsonst!
Flimmer. Fürchten Sie nichts, gnädigster Herr, fürchten Sie nichts; im Nothfall sezz’ ich meinen Kopf zum Pfande, daß der stumme Badner demungeachtet seinem Herrn den Tofanatrunk beibringen wird.
Pr. Moriz. Ich fasse Dich beim Worte. Geh auf Dein Zimmer, man soll Dich nicht eher herauslassen, bis es mir gefällt.
Flimmer. (kriechend) Allein Ew. Hoheit — —
Pr. Moriz. Fort! fort! der Teufel soll auf jeden Verräther und auf die fürchterlichen Correspondenten fahren! fort, fort! — —
Florentin ahndete nichts von dieser Seite und blieb ruhig; allein seine ganze Heiterkeit war verschwunden; düster und ernsthaft ging er vor sich umher, verschlossen in seinen Zimmern lag er und sann er nach Rettung, aber vergebens.
„Zum Richtplaz! — zum Richtplaz! wohl denn, ich bin ein Mensch; der Tod ist einmal mein gewisses Ziel; — ich gehe!“
So sprach er oft bei sich, und fühlte in jeder Nerve kühne Entschlossenheit. Nur ein Gedanke war fähig ihn um diese schauerliche Ruhe des Geistes zu bringen, der Gedanke an seinen Onkel und seine gute Schwester. —
Zuweilen wieder dämmerte ihm der Hofnung liebliches Morgenroth durch die Finsternis; Holder lebte ja noch, und Holder könnte vielleicht helfen. Aber haben nicht Holder und die, welche in seinem Namen schrieben, ihre Pflicht erfüllt? warnten sie nicht oft genug, und, ach! nur zu spät? — Wer ist denn der Sonderling Holder, daß er retten dürfte? ein gemeiner Unterthan des Herzogs, der für seine Cur an dem kranken Fürsten theuer genug bezahlt worden ist! ein Flüchtling, ein Abentheurer, der in der Welt umherschwärmt, und nun es sich belieben läßt aus Italien wieder nach Deutschland zu wandern. — Allein sein Karakter ist doch so edel, so schön! wird er nicht alles für den verurtheilten Freund wagen? — wagen? und was denn? was liesse ein erbitterter Fürst wider sich wagen? O es ist alles umsonst, und Florentin in jedem Falle der baldige Gegenstand der Rache eines beleidigten, tief beleidigten Landesherrn.
Indeß verzagte der Unglükliche nicht ganz. Flucht hätte ihn vielleicht vor dem Zorn des Richters sichern können, aber fliehn wollte Graf Duur nicht. „Besser ein beklagter Unglüklicher sein, rief er seiner Seele zu, als ein glüklicher Bösewicht!“ —
Badner trat zu ihm herein und grüßte freundlich. Noch nie sah der Graf diesen Alten so vergnügt; es fiel ihm auf, und er fragte.
Badner lächelte und winkte bedeutend mit dem Kopf, zog dann ein Gläschen hervor, sezte es auf den Tisch vor seinem Herrn, zählte funfzig Louisdor’s daneben und schrieb in die Schreibtafel: „Das Gifttränklein für Sie, und die Funfzig für mich.“
Florentin starrte ihn verwundert an. Badner lächelte und schrieb weitet:
„So will es Prinz Moriz, aber Badner wills anders.“
Hierauf öfnete der Alte das Fenster, zerschmetterte das Glas an das Strassenpflaster, und strich das Geld triumfirend ein.
„Schikken Sie das Blutgeld an das Armenhaus, und bleiben Sie mir gut!“ schrieb er auf das Pergament.
Florentin drükte gerührt seines treuen Dieners Hand. „Ich danke dir,“ sagte er: „ich danke dir für deine Ergebenheit; bezahlen kann ich solche biedre That nicht. Indessen hättest du Morizens Befehl immerhin ausführen können, ich würde dir auch gedankt haben, und du hättest mir vielleicht gütlicher gethan.“ —
Badner schien sich verwundern.
„Nein, lieber Alter, verwundre dich nicht! Dein Herr ist unglüklich. In einem Monate hast Du vielleicht mehr erfahren!“
Es war des Morgens um vier Uhr, als Pr. Moriz auf der Straße von vier starken, verkleideten Kerlen angehalten wurde. Er kam so eben aus den Armen der Signora Biondina, welche ihrem Galan eine seelige Nacht geschaffen hatte.
„Hör’ Er, Freund,“ sagte einer von den Verkleideten, indem er den Prinzen beim Arm faßte: „Er nimmts uns wohl nicht übel, daß wir so dreist sind, mit ihm ein Paar Worte zu plaudern.“
Ein Andrer. Freilich, wir haben lange auf Ihn warten müssen.
Prinz. (einen Schritt zurüktretend) Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?
Verkleideter. Wer wir sind? das kann man Ihm nachher sagen. Was wir wollen? eine Bestellung wollen wir an Mann bringen.
Prinz. Warum fallt Ihr mich auf der Strasse an?
Verkleideter. Bewahre Gott, anfallen! Banditen fallen Leute an.
Ein Andrer. Hör Er, wer Er ist, wissen wir nicht, aber daß Er beim Prinzen Moriz in Diensten steht, das wissen wir.
Prinz. (horchend) So ists; nun weiter? Ein Dritter. Wenn ich nicht irre; so ist Er der Sekretair Flimmer.
Prinz. Ihr habts errathen.
Verkleideter. Grüss’ Er seinen Herrn von uns unbekannter Weise.
Prinz. Soll gern geschehn, wenn ihm anders mit Eurem Grus gedient sein wird.
Verkleideter. Gedient oder nicht gedient; das ist einerlei.
Prinz. Nur zur Sache, Schurken.
Verkleideter. Sehr Verbunden. Vors erste rathen wir ihm wieder zu erzählen was ihm geschehen ist.
In dem Augenblik stürzten die vier Bravo’s auf ihn zu. Ehe sich der Prinz besinnen konnte, ward sein Mund verknebelt, jeder seiner Arme von einem Kerl gehalten, sein Couteau de Chasse aus der Scheide gezogen und ihm auf die Brust gesezt.
Der Prinz strengte umsonst alle Kräfte an, sich loßzureissen, er war ohnmächtiger, als ein Kind, und die Kerls lachten. Der, welcher ihm den Stahl auf die Brust hielt, fing an zu reden.
„Prinz!“ sagte er: „wir kennen Euch wohl, nur zu wohl. Ihr habt dem unglükseeligen Grafen von Duur einen Gifttrunk zugeschikt; er hat ihn am gestrigen Abend in einem Glase Brunnenwasser hinuntergeschlürft, und ihr seid also sein Mörder. Ihr seid gewarnt von unbekannten Fingern, aber Ihr habt gespottet, und in den Händen der Verspotteten seid Ihr jezt! — Was erwartet Ihr von denen, welche nach dem Rechte richten, und vor deren Stuhl Titel und Bettlergewand keinen Unterschied machen?“ — —
Eine lange, schrekliche Pause erfolgte. Der Prinz starrte den fürchterlichen Mann an, der die Todesworte so kalt hinsprach, und schauderte. Rings umher herrschte nächtliche Stille; die Sterne funkelten traurig durch die Lüfte, und der Mond ging hinter einem Wolkengebirg unter.
„Blutsünden,“ fuhr der Mann fort, vor dem jezt ein Prinz zittern mußte: „Blutsünden können nur mit Blut wieder abgewaschen werden!“ — —
Der Prinz versuchte eine Bewegung und stöhnte ängstlich.
„Jedoch wisset, daß Euch diese Schandthat vergeben ist. Vergeben ganz und gar, ohne alle Rüge und Ahndung, sobald Ihr binnen dreizehn Tagen ausser den Gränzen dieses Herzogthums seid, mit Eurem ganzen Gefolge. Eine Stunde Verzug ist Euch gefährlicher, als dem Grafen das Giftfläschgen! — Und nun Prinz vergeßt bei jedem Plan der Bosheit nicht dieser Nacht zu gedenken; vergesst nicht, daß es in der Welt auch Augen giebt, die ins Verborgne eindringen. — Gehabt Euch wohl!“
In dem Moment warf man ihm ein Pflaster über das Gesicht, ließ ihn loß und verschwand.
Moriz riß das Pflaster ab; entknebelte sich; sah mit funkelnden Augen umher, und begab sich fluchend nach seinem Pallast.
Ruhig wohnten der alte brave Onkel und seine reizende Nichte Friedrike von Duur auf ihrem Landschlosse, indessen der arme Florentin, hingeworfen in den großen Strom der Welt, auf ihren Wogen umhergewirbelt wurde. Sie wußten nichts von dem unseeligen Geschik desselben, sie wähnten ihn glüklicher, als sich, und ach, wie gern hätte Florentin seine glänzende Rolle mit der Rolle des unbedeutendsten Landjunkers vertauscht! — Wie gerne hätte er der Schmeicheleien des Hofs entbehrt, für die zärtlichern Schmeicheleien seiner Schwester; wie gern hätte er den Kuß einen Herzogs mit dem väterlichen Kuße seines Onkels verwechselt! Allein jezt war alles zu spät; jeder Rüktritt Unmöglichkeit. Nur einmal wünschte er noch die Fluren zu sehn, in welchen er den Traum der Kindheit geträumt hatte; nur noch einmal die angenehmen Wildnisse zu durchirren, in deren heiliger Dämmerung er oft begeistert in die Zukunft hinausstarrte, und sich von tausend Zungen als den Wohlthäter des Vaterlands ausgerufen hörte; nur einmal noch in der Mitte seiner Verwandten ehmalige Freuden wieder zu fühlen.
Sein Wunsch wurde ihm eher gewährt, als ers glaubte. Er kam ein Brief vom Onkel, welcher ihn ersuchte, übermorgen in sein Schlos einzutreffen; beileibe aber nicht später. Der Brief des guten Alten hatte so viel Geheimnisvolles an sich, daß Florentins Neugier nicht ungereizt bleiben konnte. Er ging zum Herzog und bat ihn um Erlaubniß seinen Onkel besuchen zu dürfen.
Der Fürst war ausserordentlich gnädig.
„Wenn eher darf ich denn hoffen Sie wieder bei uns zu sehn?“
Sobald es Ew. Durchlaucht befehlen.
„Befehlen? Pfui, Graf, Sie wissen, daß wir uns einander nicht befehlen. Also, wenn darf ich Ihre Rükkunft hoffen?“
„Vierzehn Tage wenigstens würd ich mir ausbitten.“
„Vierzehn Tage? nun ja; aber ich bitte Sie, auch nicht eine Minute länger.“
Wenn Sie wollen, so unterlass’ ich die Reise gänzlich.
„Nein, nein! das dürfen Sie auch nicht. Ihr Onkel und Ihr Fräulein Schwester würden mir böse werden. Nur vierzehn Tage! die durchleben sich leicht.“
Haben Sie noch einige Befehle!
„Vor ihrer Wiederkunft erfahren Sie nichts, allein nachher desto mehr. Ich habe einen vortreflichen Anschlag, bei dessen Ausführung Sie mir schlechterdings beistehn müssen. — O Graf, Sie haben mich auf eine vortrefliche Bahn geführt; reden dereinst die Jahrbücher der Welt auch nicht von mir, als dem Eroberer, dem Heiligen, vergißt man mich auch, weil ich keine auffallende Thaten that: so belohnt mich doch jezt schon die Freude meines Volks.“
Nein, Theuerster; Vater des Vaterlandes wird die Nachwelt Sie nennen, ein Beiname, der unendlich schmeichelhafter klingt, als der Name des Grossen, des Weltüberwinders.
„Ich thue auf den einen, so wie auf den andern Verzicht. Eine Thräne von der Dankbarkeit geweint, ist belohnender, als aller Weihrauch von der Nachwelt. Und nennt man mich: so nenne man auch Sie. Denn Sie haben gleichen Antheil an der Vervollkommnerung meiner Unterthanen. — Graf, noch eins, warum seh’ ich Sie seit einigen Tagen so ernst, so schwermüthig?“
Mich, gnädigster Herr?
„Nun ja; Ihr Lächeln dünkt mich so erzwungen, Ihre Freude so erborgt. Was ist ihnen? sagen Sie mirs. So wahr ich Herzog bin, und so weit sich meine Gewalt strekt, helf’ ich ihnen! Ich mag kein trauriges Gesicht sehn, am wenigstens von Ihnen.“
Verzeihn Sie, vielleicht ists Laune, vielleicht die Annäherung einer Krankheit, vielleicht — —
„Man hat Ihnen doch nicht einen Streich gespielt, wie dem Prinzen Moriz?“
Ich wüßte nicht welchen?
„Der Prinz wie Sie wissen, wird uns in kurzem verlassen, und zwar, weil er in Gefahr steht umgebracht zu werden.“
Umgebracht zu werden?
„Ja, ja; so sagt ers selber. Vor einigen Abenden ist er von vier verlarvten Kerln angehalten worden, die ihn um seine Börse plündern wollten.
Allein er hat sich durchgeschlagen, und da hat man ihm den Tod gedroht.“
Unerhört.
„Freilich unerhört. Indessen hab ich doch die Wachen verstärkt um Sicherheit auf den Straßen zu erhalten. — Er wußte überhaupt vielerlei Klagen wider meine Polizei anzubringen, unter andern beschwerte er sich über gewisse Unbekannte, die ihm zuweilen Briefe zuschikt, worin sie sich das boshafte Vergnügen gemacht haben sollen, ihm seine heiligsten Geheimnisse wieder zu erzählen. Auch muthmaßt er stark, daß ihm eben diese unbekannten Briefsteller den Spaß mit den vier Kerln gespielt haben mögten.“
Es ist sonderbar!
„Das ists. Ich weiß nicht, was ich hievon urtheilen soll; denn gesezt, daß in der That einige Menschen sichs zur Absicht machten, im Dunkeln umherzuschleichen: wie soll man ihnen beikommen? — Ich erinnre mich, daß schon vor einigen funfzig Jahren unter der Regierung meines Großvaters solcher Unbekannten, als heimlicher Richter erwähnt sind. Man fand nemlich eines Morgens einen Obristen ermordet, auf seiner Brust ein Blech; darauf stand: Gericht der Unbekannten geschrieben, und in seiner Tasche einige zusammengeheftete Bogen Papiers, worauf viel fürchterliche Handlungen des Ermordeten aufgezeichnet waren. Die Sache des Obristen und die ihm aufgebürdete Schuld wurde untersucht, und man fand leider alles gegründet. Ich wünschte indessen doch nicht, daß das alte, heimliche Unwesen wieder aufleben mögte.“
Der Herzog sprach noch manches, umarmte sodann den Grafen, und beurlaubte ihn.
Florentin ging. „Wenn werd’ ich dieses Schlos wieder betreten, und wie werd ichs? — O, Gott, wie er mich noch so brüderlich umschlos und küßte! — wehe mir, wenn aus ihm der beleidigte Bruder, der entehrte Herzog, der hintergangne Freund spricht. In Has verwandelte Liebe ist schreklicher, als jeder Has, der aus andern Quellen fließt. — Jezt sprach der Freund zum Freunde, und einst, o bald! der richtende Herzog zum Verbrecher der beleidigten Majestät. — Sei es, ich will meinem Schiksale nicht entrinnen, wenn ich es gleich könnte!“ —
Mit diesen Gedanken umgehend, kam der Graf zu Hause. Badner hatte alles zur Reise fertig gemacht, und folgenden Tags in aller Frühe setzte Florentin sich in die Kutsche, Badner ritte voran, so daß sie zum andern Tage gegen Sonnenuntergang die Kuppeln des Duurschen Schlosses in der Abendröthe schimmern sahen.
„Ho, ho, ho!“ — rief plözlich der Vorreuter, und wekte Florentinen aus ernsten Betrachtungen.
„Was ists?“ fragte dieser, und lehnte sich zum Flügel der Kutsche heraus. Badners vorwärtsdeutender Finger gab die Antwort.
Ein Chor Musikanten, mit blasenden Instrumenten, traten aus einem Gebüsch hervor, ihm folgten ein Trupp gepuzter Bauern und Bäuerinnen, welche lachend und tanzend den Wagen umringten. Bald darauf hörte man sie ein allgemeines, jauchzendes „Vivat!“ rufen, wozu die Waldhörner einstimmten.
„Ja, es lebe mein Neffe, der Kammerherr!“ —
„Ja es lebe Florentin, mein Bruder!“
„Es lebe lange Florentin, mein Freund!“
Froh-bestürzt sprang der Graf aus dem Wagen, Vergangenheit und Zukunft, alles war von ihm in diesem Augenblik vergessen, nur Thränen freudiger, inniger Rührung, ach, vielleicht die lezten welche er vergoß! entquollen seinen Augen — er sprang aus dem Wagen, und o! — in die Arme den Onkels, Rikchens und Holders!
„Mein Florentin! mein Florentin!“
„„Meine Lieben!““
Ueberrascht, verwirrt, gerührt, lagen sich diese Guten endlich nach langer Trennung, nach vielen überstandnen Leiden einander in den Armen; sie vergaßen alles; Liebe schwamm in jedem Auge; Freundschaft glühte auf ihren Lippen; der Erde reinste Freude brannte in Ihrem Busen — der Himmel schien sie umfangen.
Im Triumf führte man den angekommenen Liebling in das väterliche Schloß; unterwegs wurden tausend Fragen gefragt, tausend Glükwünsche gewünscht, unterwegs erfuhr auch Florentin, daß Holder von Sorbenburg mit Fräulein Friedriken von Duur morgenden Tags die Hochzeit feiern würde.
„Ja, ja!“ sagte der Onkel, und lächelte schalkhaft dabei; „ja, ja, wir müssen unsern Flüchtling für die Zukunft fester binden. Ha, ha, ha! er soll uns diesmal, mein Seel, nicht entschlüpfen. — — Aber höre, Florentin, Herzensjunge, — nun Du nimmst doch den Herzensjungen nicht übel, Herr Kammerherr — höre, wie gefiel Dir Deine feierliche Einholung? he? — ja, ja! der Spas kam von dem alten, guten Onkel! ha, ha, ha, ha!“
Soll ich Ihnen, meine Leser, hier die förmliche Beschreibung eines Vermählungsfestes liefern? Ihnen etwa erzählen, wie alles in trauter, ländlicher Einfalt gehüpft, gescherzt, gesungen, geküßt, und gratulirt hat? oder wie und was die Herrn vom Lande und von der Stadt beim Wein und Knasterdampf kannegiesserten, philosophirten, und wizzelten, oder die Damen, Tanten und Kousinen medisirten, beliebäugelten u. s. w. oder wie das sanfte Rikchen an diesem schönen Tage dreimal schöner als sonst war, und wie sie um die Mitternachtsstunde erröthend mit Holdern dem Schlafgemach entgegentrippelte? —
„Um Gotteswillen nicht,“ rufen die Leser und Leserinnen, welche sich nun seit Jahr und Tag im Stande der heiligen Ehe befunden haben: „Sie machen uns gähnen!“
„Beileibe nicht!“ lispeln einige unverheurathete Leserinnen, und halten den Tuch vors Gesicht: „Sie machen uns — —“
„Vor der Zeit lüstern!“ fallen die jungen unbeweibten Herrn ein.
Es sei denn. Nach vier Tagen war Saus und Braus vorüber, Holder ein Mann, Rikchen eine Frau, das junge Ehepaar im Schloß Sorbenburg eingezogen, und der Onkel, dems jezt in seinem Hause zu leer geworden, bei ihnen. —
„O Florentin, sagte Holder an einem Nachmittage zu seinem Freunde, indem sie beide im Garten auf- und niedergingen; könntest Du izt doch mit uns stets beisammen bleiben!“
Ja wohl, wollte es Gott, ich könnte! Allein es ist unmöglich. Ihr seid mit einander in Eurer Ruhe beneidenswürdig! Mich ruft die Freundschaft meines Herzogs in kurzer Zeit wieder in die große Welt zurük, wieder zurük zu allen glänzenden Mühseligkeiten des Hoflebens. O, Bruder — mein Bruder!
„Du wirst ja schwermüthig mit einemmale!“
Ehmals war ich glüklich wie Ihr. Ehmals durchschweifte ich diese reizenden Gegenden mit sorgenloser Brust; da schwebte das Bild der Zukunft vor meinen Augen, da war ich in der Einbildung glüklich. Jezt sind meine kühnsten Erwartungen befriedigt, meiner Hofnung ist nichts mehr übrig geblieben zu hoffen; ich bin der Liebling eines liebenswürdigen Fürsten, an Ehre, Rang und Gewalt über jeden Nebenbuhler emporgestiegen — ich bin alles, bin mehr als ich als Jüngling träumte und bin — unglüklich. Wohl dem der sich mit geringeren Freuden sättigen läßt, desto armer ist er an Leiden. Wehe dem, der alle Pokäle der Freude ausschlürft, denn für ihn stehn auch alle Becher des Elendes gefüllt.
„Du bist also unglüklich? Florentin kann unglüklich sein, der einstmals mit Schiller sagen dürfte: „Aussendinge sind nur die Farbe des Geistes — Ich selbst bin mein Himmel und meine Hölle!“ „Ist das möglich?“
Leider, sag ich Dir eine fürchterliche Wirklichkeit! Doch zu wem red’ ich? — Du, Du selber, Holder, Du weißt meine schreklichen Verhältnisse am Hofe so haarklein, als ich. Du selber warntest mich durch die Federn Deiner Freunde und warntest mich fruchtlos — und Du stellst Dich verwundert? Freilich, spotte nur des Elenden, der die Stimme des Freundes in den Armen des lieblichsten Weibes vergas, — spotte nur; elender kann ich ja doch nicht werden, als ich es bin. —
„Bei Gott, ich spotte Deiner nicht!“
Und fragest doch, da Du jedes meiner Geheimnisse kennst? —
„Hast Du nie Hofnung glüklicher zu werden?“
O, doch! binnen drei Wochen, denk ich!
„Willst Du entfliehn?“
O, pfui!
„Einen Selbstmord begehn?“
„Nun.“
Gehn wie mein Verhängnis mich führen wird.
„Gedenk aber Deines grauen Onkels, gedenke meiner Gattin, Deiner Schwester, — gedenke meiner, Bruder, ehe Du handelst!“
O es ist schreklich! ich fühl’ es, aber ändern kann ich nichts. — — Noch eins. Sage mir, wer sind die Unbekannten, die sich in meine Auftritte mischen!
„Deine Freunde, sehr wahrscheinlich!“
Wahrscheinlich? — nein, gieb mir Gewisheit für dieses schwankende Wahrscheinliche. Wer sind sie?
„Es sind Unbekannte. Ich darf sie Dir nicht näher nennen; thät’ ichs: so wären sie Dir nicht mehr das, was sie noch izt sind.“
O geh: Du bist einer von ihnen, und — sie sind mehr, als Menschen.
„Wie lange wirst Du noch bei uns bleiben?“
Heut’ ist der elfte im Monat — — am zwanzigsten verlasse ich Euch alle.
„Zeit genug, Dir, über Deine Frage wegen der Unbekannten Licht zu geben. — Du scheinst ja so schläfrig?“
Es ist wahr, ich bin ungewöhnlich müde. Der Tag war sehr heiß!
„Schlummre ein wenig, ich werde Dich in einem Stündchen wekken. Komm auf Dein Zimmer!“
Hier in den Schatten des Fliederbaums will ich mich hinlagern. — Nun und wegen der Unbekannten?
„Sollst Du noch heute einige Notizen erhalten.“
Besorge mir doch beim Erwachen frische Milch. Willst Du?
„Es soll geschehn. — Schlummre sanft, es wird Dich niemand stören.“
Holder verlies ihn; der Graf warf sich ermüdet unter den Fliederbaum hin, und entschlief bald, eingewiegt von dem leisen Säuseln der über ihn hernieder hängenden Zweige.
Einige Zeit darauf traten Holder, seine Gattin und der biedre Onkel herein. Sie stellten sich um den schlummernden Geliebten, und sahen einige Zeit auf ihn gerührt herab.
„Nein,“ sagte Rikchen: „es thut mir zu wehe um ihn, ich bitte Euch, ihr Lieben, laßt es ungeschehn.“
„„Ei Poz!““ hub der Onkel an? „„ich sehe zwar den Nuzzen davon nicht ein, aber sagts doch Freund Holder, und was der sagt, muß geschehn, was der sagt, ist gut, weil er klüger ist, als ich und Du und der Kammerherr.““ Rikchen schwieg; sie kniete neben ihrem Florentin nieder, bog sich über ihn und küßte ihn sanft.
„Fort! fort; kommandirte der Onkel! Weißt Du was Freund Holder mir sagte?“
„„Und was denn?““ fragte Rikchen, indem sie aufsprang, und neugierig zu ihrem Onkel trat.
„Florentins Schiksal wäre krank, todkrank und verdiente daher eine wirksame Arzenei.“
„„Verstehen Sie etwas von diesen Worten meines Mannes?““
„Nein, Rikchen, das nun wohl nicht, aber mir ists doch so dämmernd!“
Holder lächelte, schlang seine Arme um Beide und führte sie aus dem Garten.
Der Graf schlief noch immer. — —
Ihm wars, als säße er in einem Zimmer, von vielen Männern umringt, alle in schwarzer Trauerkleidung. Es war Nacht. Einige Lampen brannten an den Wänden, zwei Kerzen auf dem Tische, an welchem Florentin saß und die schwarzen Männer.
Der Graf kannte das Zimmer nicht und keinen von denen, welche sich mit ihm hier befanden. — Ihm ward bange, doch faßte er sich, um zu sehn, was geschehn würde.
Man hörte mit einemmale die Thurmglokke läuten, die Männer kamen unter sich in Bewegung und einer von ihnen sagte! „auf Brüder, laßt uns ihn begraben, es eilt die Zeit!“
„Wessen Leichnam wollet Ihr begraben?“ fragte Florentin.
„„Den Leichnam des alten Grafen v. Duur““
„Des alten Grafen von Duur? unmöglich, er lebt ja noch.“
„„Er ist gestorben.““
„Seit wenn?“
„„Seit dreien Tagen.““
„Es ist unmöglich sag ich Euch, er lebt noch.“
„„Der Dekkel des Sarges könnte aufgerissen werden, um Euch Lügen zu strafen, allein es ist vor den Spionen des Herzogs Adolf nicht zu wagen.““
Die Leute gingen fort, ein alter Mann blieb nach zurük. Der Graf war wie versteinert. Er hörte das dumpfe Getön von einem Sarge, lehnte sich zum Fenster heraus, sah sich in der Mitte eines Waldes, und die Träger mit der Todtenbaare, beim blassen Schimmer der Windlichter unter den vielen Bäumen verschwinden. „Ras’ ich oder träum’ ich!“ rief der Graf aus.
„„Wollte Gott, ihr träumtet — dann träumt’ ich auch, und ich hätte beim Erwachen nichts verloren.““
Florentin sah den Alten an und erkannte seinen treuen Diener Badner in ihm.
„Du auch hier, Badner? — wie, und Du kannst reden? Du warst nie stumm?“
„Was wollt Ihr von mir, Herr?“
„Kennst Du mich nicht?“
„Ich habe Euch nie gesehn, die andern, welche anizt den seeligen Graf von Duur beerdigen, nannten Euch Vinzenz.“
„Badner!“
„Was wollt Ihr von mir?“
„Sag mir um Gotteswillen sag mirs, rase ich?“
„Euern wundersamen Fragen nach zu urtheilen, könnt’ es wohl sein.“
„Ich sehe also nicht recht, höre nicht recht, fühle falsch, alle meine Sinnen hab ich verloren! — Der Zustand des Wahnsinns, hab’ ich mir sagen lassen, gehöre zu den angenehmen, bei mir aber ists nicht so. — Sag nur, wie überzeug ich mich von meiner Raserei? — Nicht wahr, Du trauerst?“
„Wie Ihr sehet. Ja.“
„Und wer ist denn Dir abgestorben?“
„Ihr thut ja so fremd, als hättet Ihr so eben erst das Licht der Welt erblikt. — Wißt Ihr denn nicht, daß die ganze Duursche Familie unglüklich geworden?“
„Bei Gott, nein, ich weis nichts. Durch wen ward sie es?“
„Durch den Stolz, Leichtsinn und die Wollust des Grafen Florentin von Duur, welcher die Prinzessin Louise, Herzog Adolfs Schwester, entehrt hat. — Der unglükliche Graf hat schwer gebüßt: er ist heimlich hingerichtet worden. Vorher aber schändete Sr. Durchlaucht aus Rache die Schwester des Grafen, einen bildschönen Engel.“
„Wehe! wehe! Gott, Erbarmer, meine Schwester!“
„Was ficht Euch an?“
„Oh!“ —
„Ihr habt Recht zu trauern; es geschieht doch so manches Unrecht in der Welt, welches keine Obrigkeit rüget und rügen darf. Was hatten denn der Oheim und die Schwester Florentins von Duur begangen, daß sie um die Sünden dieses stolzen Wollüstlings büssen mußten?“
Ich begreife den schnellen Wechsel dieser Schiksale nicht. Ich — ich bin doch Florentin von Duur, der Straffällige, aber noch nicht Hingerichtete; ich hätte sterben sollen — und ich entzog ja dem Schwerdte meinen Nakken nicht!
„Florentin von Duur ist heimlich hingerichtet worden.“
„Nun, so bin ich denn von den Todten erstanden.“
„Ich bedaure Euch, armer Vinzenz, um den Verlust Eures Verstandes.“
„Badner, und Du dieses Deinem Herrn?“
„Wir haben nie mit einander zu schaffen gehabt?“
„So stehe mir Gott bei, ich bin verwirrt!“
Der schreklichste, ängstigendste Traum, welcher je ein Menschenkind plagte, quälte jezt den Grafen: Es war ein Gewebe von Wahrheit und Betrug, welches sich nicht von einander trennen ließ.
Bald verließ ihn im Schlafe der Traumgott auf etliche Augenblikke, bald reihten sich wieder andre fürchterliche Szenen vor ihm hin, wovon er Theils Zuschauer, theils Mitspieler war; doch blieb immer ein merkwürdiger Hauptfaden durch das Ganze geflochten, so daß alle untereinander verschiedne Stükke einen gewissen Zusammenhang hatten.
So, zum Beispiel, behielt Florentin immer den Namen Vinzenz; die schwarzen Herrn waren seine steten Gesellschafter, u. s. w.
„Was erzählen die Novellen?“ fragte einer von den Schwarzen den andern, welcher einzelne gedrukte Blätter auf den Tisch warf, und den Wirth in einer Bierschenke vorstellte.
„Mancherlei!“ gab der Wirth zur Antwort, und sezte Florentinem Wein vor.
Florentin ergrif ein Blatt und las mit Erstaunen:
„Seit der Hinrichtung des Kammerherrn von Duur, und seiner Verwandschaft, sind neue gräßliche Entdekkungen gemacht worden. Die Prinzessin L** hat nämlich aus Eifersucht und Nebenbuhlerei das unlängst verstorbne Fräulein von G** mit Gift umgebracht, indeß man vorgab, sie sei am Fieber eines natürlichen Todes gestorben. Die Sache ist unterdrükt, und niemand ausser dem Herzoge und dem Hofarzt hat anfänglich davon gewußt.“ — — —
„Gott im Himmel!“ rief Florentin aus! „in was für eine Welt hast du mich gesezt. Unerhörte, schwarze Thaten! die Unschuld wird gemordet, das Laster wird gekrönt, Recht und Unrecht macht jezt keinen Unterschied mehr; die Sünden der Großen werden gepriesen; die Tükke der Finsternis nicht gebranntmarkt.“ —
Unterdessen Florentin gelesen, und dies mit tiefem Unwillen gesprochen hatte, waren mehrere Schwarze hereingetreten; sie umringten ihn, und schlugen ein gellendes Gelächter auf.
„O entehrt euch nicht durch dieses Lachen,“ fuhr er fort und fühlte sein Gesicht glühen: „entehrt seid Ihr genug, daß Ihr zum geschändeten Orden der Menschheit gezählt worden seid. Allein bei dem lebendigen, furchtbaren Gott über und um uns sei’s geschworen, bei diesen meinen Thränen, bei der Asche meiner Schwester, bei der Asche meines guten Oheims sei’s feierlich geschworen, ich will die entadelte Menschheit rächen, will Bandit werden gekrönte Teufel zu morden, Aufrührer werden, die Kette zu sprengen, welche die Tyrannei um meine Brüder schlang, Mordbrenner werden, die vom Vermögen der Witwen und Waisen erbauten Palläste niederzustürzen, niederzustürzen auf den Schädel der Blutigel des Vaterlandes! — Oh! meine Schwester, mein Oheim, — oh!“ —
Jezt trat ein Mann, schwarzgekleidet wie die übrigen, in das Wirthshaus. Er trug einen Kasten auf dem Rükken und bat die Anwesenden, die Zeche für ihn zu zahlen, wofür er ihnen die Künste seiner Marionetten zeigen wolle.
„Wein her! Wein her!“ riefen alle aus einem Munde. Der Wirth brachte dem Puppenspieler den Wein; dieser war sofort geschäftig sein Theater zu arrangiren, worauf er den Vorhang öfnete.
„Schaut’s, Ihr Herrn, schauts! die Strassen der Stadt Magdeburg, wie sie brennen und auflodern in der Glut, welche die Kaiserlichen Feldherrn Tylli und Pappenheim angeschürt. Schaut’s welch ein fürchterliches Blutbad. — Nun werdet ihr sehn, wie ein fliehendes Weib mit ihrem Töchterlein auftritt.“
Weib. Hieher, Kindechen, hieher.
Mädchen. O, Mutter, wohin flüchten wir? siehst Du’s wie dort unsre Wohnung lichterloh brennt? Hu, wie da unten die Menschen durcheinander laufen — da, da sind die Feinde; wie die Spiesse, und Gewehre und Degen am Feuer blizzen!
Weib. Sei ruhig. Steh uns Gott bei.
Mädchen. Was haben wir beide aber dem Feind gethan, daß er uns umbringen will?
Weib. Nichts, gute Unschuld, nichts. — Aber siehst Du, die grossen Herrn dieser Welt verzürnen sich, und dann müssen die armen Unterthanen für sie bluten.
Mädchen. Ach, die bösen, grossen Herrn!
Weib. Aber über uns, über den Sternen wohnt ein Richter, vor dem auch die Herrn dieser Weit erscheinen müssen. In dessen Händen schwebt eine furchtbare Waagschaale, darin wiegt er die Thränen und Blutstropfen der Unterthanen, und wehe den vergötterten Kriegshelden dort!
Mädchen. Ich habe auch viel Thränen vergossen; die thue der Richter dort über den Sternen auch in die grosse Waagschaale!
Weib. (entfliehend) O, Wehe uns Unglüklichen!
Florentin stürzte jezt vom Weine berauscht wüthend gegen den Kasten und zertrümmerte ihn mit einigen Faustschlägen. „Nein!“ brüllte er: „wehe, wehe den blutdürstigen Fürsten!“
In einem dunkeln Gewölbe, von keinem sterbenden Lichtstrahl erleuchtet, befand sich Florentin belastet mit Zentnerschweren Ketten. — Ihm hungerte, und er fand keinen Bissen Brodtes, ihm dürstete, und kein Tropfen Wassers erquikte ihm die Zunge, welche am troknen Gaumen klebte. Er versuchte es umherzutappen und fand sich angeschmiedet.
„O Gott,“ sagte er; „Welch ein Wechsel meines Lebens! Hier im dumpfen Kerker soll ich es enden? o, daß es längst beendet wäre!“
„Lange wirds wohl nicht dauern!“ brummte eine Stimme durch die Dunkelheit herüber. Florentin horchte hoch auf, und erstaunte hier nicht ohne Gesellschaft zu sein.
„Wer bist Du?“
„Vinzenz; eben der, der Ihr seid; ich schrieb ein Trauerspiel wider den Despotism der Fürsten, und Ihr, Vinzenz, Ihr sprachet wider Fürsten — beide sizzen wir also auf fürstliche Gnade, bis an unser Lebensende.“
„Fürstliche Gnade! Ha! fürstliche Gnade! Gott erbarms, wir treffen sie eher bei den Tigern. — O, o! was hab ich in eingen Tagen erleben müssen? Entlarvt liegt die Welt vor mir da; wo ehmals Elysium blühte, dampft mir eine abscheuliche Mördergrube entgegen, in dem Busen der tauben lechzenden Geierherzen; — o Gott, Schöpfer, Vater und diese Welt — diese Welt hast du erschaffen? — Philosophen nennen sie die beste? — dieses Jahrhundert ist das aufgeklärte, verfeinerte? ja doch, aufgeklärtes Jahrhundert, ich erkenne dich, ah, wie fein du weißt deine Laster zu verkappen!“
„„Ihr seid sehr erbittert, Vinzenz.““
„Wenn mein Karakter nicht mehr derselbe ist: so bin ich nicht daran Schuld. — Ich bin fürchterlich umgestimmt, verwandelt, wie die Welt um mich her. Ich mögte glauben daß ein Traum meine Seele äffe, aber ich fühle, empfinde zu klar. Ein ängstlicher Wirrwarr, den ich nicht aufzulösen fähig bin!“
„„Leider kein Traum, — alles Wahrheit, sag ich Euch! je nun wir wollen und müssen uns in die Zeit schikken.““ —
„Wäre mein Schiksal nur entschieden; Tod oder Freiheit; diese Ohnmacht, diese Sklaverei ist mir eine Hölle!“
„„Vielleicht begnadigt Euch der Fürst!““
„Wenn er es thäte, so löste er seinem Würgengel die Ketten. Ich würde nicht ruhen bis die gemordete Unschuld gerächt wäre; das Schrekken der Großen wollt’ ich sein, ihre Geißel in der Hand Gottes.“
„„Ha, ha, ha, Ihr schwärmt, Vinzenz! seid Ihr denn so lüstern nach dem Schnellgalgen, oder Euren Kopf und Rumpf auf das Rad geflochten zu wissen, das wäre denn doch in jedem Falle das Finale Eurer glorwürdigen Thaten.““
Oh! oh!
„„Indessen tröstet Euch, die Rächer der Unschuld schlummern nicht. Aus dem Dunkeln hervor handeln sie; und ihre Streiche treffen gewiß.““
„Wer sind die?“
„„Ihr kennt ja die Unbekannten!““
„Ha! die, die der Unschuld Rächer?“ —
„Nun ja!“
„O so heb ich meine Hände empor zu Gott, der auch in diesen finstern Gewölben wohnt, und danke ihm. Heil den Unbekannten, und gelobet seien ihre Werke! — daß sie mich würdigten der geringste unter ihnen zu sein, mein ganzes Leben weihte ich ihren herrlichen Plänen!“
Der Graf weinte jezt, er sezte sich auf den Erdboden nieder, den Ellnbogen auf das Knie, ließ er traurig seine Stirn auf die flache Hand sinken. —
Plözlich öfnete sich eine Thüre linker Hand, ein ehrwürdiger Greis trat herein und verkündete ihm seine Befreiung.
„Ich bin frei?“ sagte Florentin und umarmte zitternd den Alten, „ich bin frei?“
Der Alte erwiederte nichts, sondern führte ihn aus dem Kerker einige Wendeltreppen hinan an die freie Gottesluft. — Es war Nacht und freies Feld um ihn her.
„Jezt entflieht!“ hub der Alte an, und reichte dem Grafen eine Blendlaterne.
„Entfliehn? bin ich nicht durch die Gnade des Fürsten frei?“
„Nein, das wohl nicht!“
„Durch wen?“
„Durch die Unbekannten!“
„Durch die Unbekannten?“
„Wie Ihr höret. — Auf entflieht!“
„Wohin?“
„Wohin Ihr wollt.“
„Eine Bitte vorher, lieber Alter!“
„Redet, Vinzenz!“
„Führet mich zu den Unbekannten, daß ich ihnen kniend danke!“
„Eures Dankes bedürfen die Edeln nicht.“
„Freilich nicht; aber sollte der Gottheit nicht das Lob des entkerkerten Vögelchens gefallen, welches es in freier Luft zwitschert? wie nun geschweige sterblichen, an Sinnlichkeit geflochtnen Menschen!“
„Gott hört den Lobgesang des Vogels in der Luft, und die Unbekannten vernehmen auch Euern Dank hier, wo wir allein sind.“
„Führet mich zu ihnen, ich bitte Euch, ich will mich ihnen unterwerfen, ihr Diener sein, ihre Pläne ausführen helfen.“
„Alles das waret Ihr schon und thatet Ihr schon, ehe Ihr vom Dasein der Unbekannten wußtet.“
„Ich bitte Euch führet mich zu diesen wohlthätigen Schuzgeistern der armen Menschheit.“ —
„Seid Ihr einmal zu ihnen getreten: so hoffet Euer Lebelang nicht von denselben wieder getrennt zu werden.“
„Wohl mir!“
„So kommt.“
Florentin folgte dem Alten, und beide traten nach einer Weile in die Thür eines Hauses.
Es war hier alles rabenfinstre Nacht; die Laterne des Führers warf nur einen blassen Schein auf den Erdboden.
„Hier gehts hinunter!“ sprach Florentins Befreier und sties den Grafen einige Stufen hinab. Das Licht der Laterne verschwand hier; der Fremde auch und Florentin stand auf einer finstern Wendelstiege allein.
Ein jeder andre würde Muth und Kraft an der Stelle unsers Freundes verloren haben; er aber, ausser einigen leichten, unwillkührlichen Schauern, empfand auch nicht die leiseste Anwandlung von Furcht; nun einmal gewöhnt an ausserordentliche Dinge, konnte das Betragen des Mannes kaum eine Verwunderung in seiner Seele erwekken; ergeben in seine Schiksale, welche bunt genug durcheinander wechselten, stieg er in die Gruft hinab, sich und seinem Muthe überlassen.
Es währte lange, ehe er das Ende der Schacht erreicht hatte; sodann mußte er sich durch einen schmalen, ungemauerten Erdgang drängen, welcher sich in unzählichen Krümmungen vor- und rükwärts und nach allen Weltgegenden hindrehte. Zuweilen war der Gang kaum breit genug, daß er sich mit angehaltnem Odem durchpressen konnte; zuweilen wieder so geräumig, daß er, sich selbst verlierend, darin umhertaumelte.
Endlich fühlte er das Getön vermischter Stimmen an sein Ohr schlagen; dies gab dem Erschöpften neue Kraft sich bald am Ziele zu finden. Das Geräusch wurde immer lauter. Er unterschied von rauhen, gebietenden Männerstimmen das ängstliche Wimmern Nothleidender, das Aechzen, Stöhnen und verbissene Schreien gemarterter Menschen. Er hörte das dumpfe Gerassel verschiedner Instrumente — und das alles ihm so nahe zur Seiten, daß er fast jedes Wort verstehen konnte.
Jezt flos ein kaltes Grausen über seinen Leib herab; er schwankte, ungewis ob er vor- oder rükwärts gehn solle, eine Minute, und er verfolgte sodann den, einmal gewagten, unterirrdischen Gang.
Unverhoft sties er bald auf eine eherne Thüre, die sich vor ihm aufthat und wehend hinter ihm zuschlos. Er sah sich in einem kleinen Vorzimmer, in welchem zwei grosse, schwarze Tafeln hingen, mit Namen beschrieben. Auf der einen las er die Ueberschrift: „Zum Tode Verurtheilte,“ auf der andern: „zum Glük Bestimmte.“ Unter den Namen der zweiten Tafel sah er auch den seinigen halb verwischt.
Ueber den Eingang zu einem andern Gemach standen die Worte! „Jesus sei Dein Trost, Wahrheit Dein Hort“ mit goldnen Lettern, und darunter die Jahrzahl 1054.
Weil der Graf hier niemanden gewahrte, welcher ihn zurecht führen konnte, so versuchte er es an sich selber. Er ging in ein zweites Zimmer — in eine Todtenkammer. Schädel, und Köpfe und verdorrte Menschengerippe lagen hier auf der Erde schichtweis hingethürmt; alle Wände waren mit Skeletonen behängt, auf deren braungelben, glänzenden Stirnknochen Namen und Jahrzahlen standen. Das ältste derselben war bezeichnet: „Bischop Luytbrandt, 1385.“ das jüngste: „Carolus XII. Rex 1718.“
Florentin fand kein Behagen lange in dieser schauerlichen Wohnstatt der Verwesung zu zaudern, und begab sich nach einem daranstossenden andern Zimmer, dessen Eingang: „Blutkammer,“ überschrieben stand.
Er öfnete die Thür und prallte benützt vor dem gräßlichsten Anblik, welchen je die tiefsten Märtergewölbe der Spanischen Inquisition darbieten können, zurük. In allen Winkeln wimmerten Halbnakte; Foltern mancherlei Art waren hier in Bewegung gesezt; dort wurde Pech gekocht, hier Eisen geglüht; warmes Blut dampfte vergossen vom Boden auf. Todte und Halbtodte lagen in schauderlichen Gruppen durch einander hingeworfen, und Unmenschen wühlten mit blutigen Fäusten unter ihnen.
„Was ist das? wo bin ich?“ rief erbleicht der Graf aus.
„Vinzenz!“ antworteten die Foltrer: „Ihr seid in der Blutkammer der schwarzen Brüder?“
„Wer sind die schwarzen Brüder?“
„Die Ihr unter dem Namen der Unbekannten kennt!“
„Wes ist das Blut, das unter mir fließt?“
„Tyrannenblut, Vinzenz, Tyrannenblut und Blut der heimlichen Verbrecher!“
„Ha, Heil dem Gerichte der schwarzen Brüder!“
Einer der Foltrer führte Florentinen stillschweigends in ein Nebenkämmerchen; hier lag ein schwarzer Habit, welchen der Graf anzuziehn bedeutet ward, darauf öfneten sich zwei Flügel einer Thür; Florentin schritt hinein und stand wie durch ein Wunderwerk verzaubert plözlich in dem schönsten, geräumigsten Saal, von tausend Lampen und Wachskerzen erleuchtet, von lieblichen, romantischen Düften durchbalsamirt.
An den kostbaren Wänden standen symmetrisch einige Tische, mit Erfrischungen besezt, welche Florentinen am meisten lokten, weil ein unbeschreiblicher Hunger, ein siedender Durst seine ängstlichen Lagen noch ängstlicher gemacht hatte. Der, welcher ihn schwarz bekleidet hatte, gab ihm auch die Erlaubnis zu Essen, wozu sich denn Florentin nicht zweimal nöthigen lies.
Die erste süsse Empfindung nach langen, fürchterlichen Augenblikken — die Stillung seines Durstes und Hungers, und zwar hier, in einem so angenehmen, königlich-schönen Aufenthalte, sicher vor dem Zorn und der Rachsucht des Fürsten! — — Eine kindische Freude bemannte sich in dieser Minute des durch tausend Labyrinthe, tausend Schreknisse hieher geführten; Thränen fielen in den Wein; ein gottdankendes Lächeln schwebte in seinem Antlizze.
„Habet Dank, Ihr schwarzen Brüder! Ihr seid auch meine Brüder!“ sagte er und erhob sich vom Tische, gesättigt, erquikt und überströmt von den süßesten Empfindungen. Mit einemmale traten von einer andern Seite sieben und siebzig Männer, alle in saubrer, einförmiger, schwarzer Kleidung, in den Saal. Der Angesehenste unter ihnen bestieg einen fünf Stufen erhabnen Thron, überschirmt von einem goldgestikten Baldachin, ausgeschmükt mit einer Pracht, welche nie gesehen worden ist und werden wird, eine Pracht, welche derjenigen nahe kömmt, die wir in Wielands Feenwelten erblikken.
Florentin staunte über diese neue Erscheinung nicht wenig, am meisten aber, als er von ohngefähr das Gesicht dessen erblikte, welcher auf dem prachtreichen Throne sas, und er in ihm — seinen Holder leibhaftig erkannte. Allein er wagte es doch nicht sich ihm zu nähern.
Einer der Schwarzen, welcher unserm Grafen am nächsten stand, und ihn lange vom Wirbel bis zu den Zehen mit seinen Augen gemessen hatt, trat dem Thron näher und erhob seine Stimme zu dem Obersten in folgenden Worten:
„Julius, so lange die Menschen noch Menschen sind, werden die Fürsten immer Despoten bleiben, und ihre Unterthanen, zitternd vor dem Gesez, Sünden im Finstern treiben; nie wird die goldne Zeit tagen, in welcher unser Gericht der Welt kein nüzze mehr ist. — Doch sind auch unter den Fürsten Edle, und unter den Unterthanen Männer, welche die Tükke hassen, so in Finsternis gehüllt schleicht. Siehe, Regent, dort steht Vinzenz der sich mit uns verbrüdern will, ein Unglüklicher, der sich in unsre Arme wirft.“
Der Regent befahl dem Vinzenz näher zu treten; Florentin gehorchte, und starrte sprachlos das Gesicht an, welches nicht dem Regent Julius sondern seinem Holder angehörte.
„Seid Ihr ein Unglüklicher?“ sagte der Regent zum Grafen: „wollt Ihr Euch mit an die Kette der schwarzen Brüder schliessen?“
„Wohl bin ich ein Unglüklicher, und wenn Ihr diejenigen Unbekannten seid, welche sich in meine Pläne mengten, meine Geheimnisse mit selber aufdekten, und mir jene Warnungen zuriefen: so flehe ich Euch an, daß Ihr mich aufnehmen wollet!“
Die schwarzen Brüder schlossen jezt einen engem Kreis um den Grafen oder Vinzenzen, und derjenige, welcher von allen übrigen nächst dem Regenten am meisten geachtet wurde, den sie Anselmo nannten, eben der welcher Florentinen aus dem Kerker erlöset, und auf den Wendelstiegen allein gelassen, nachmals ihn dem Regenten vorgestellt hatte, dieser, sage ich, trat aus den Siebzigen hervor gegen Florentinen gewandt, und redete ihn also an:
„Vinzenz, bei Gott, es ist kein Knabenspiel, wozu Ihr Euch jezt verpflichtet, es verlanget Männer von ungewöhnlicher Art. Könnt’ Ihr allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagen, könnt’ Ihr Verwandten- Bruder- Schwester- und Weiberliebe vernichten in Eurer Brust, könnt’ Ihr der Gefahr ins drohende Antliz lachen, und den Tod mit kaltem Blute erwarten: so seid Ihr erst halb der Unsrige!“
„Seht, die Richter liessen sich, so wie heutiges Tages, auch ehmals durch den Schimmer des Goldes verblenden; die Pfaffen führten Inquisizionen ein, Reinigkeit des Glaubens zu erhalten, und sie selber waren, troz ihrer Reingläubigkeit, unreinen Herzens, Volkstäuscher, kanonisirte Bösewichter; die Fürsten gaben Gesetze und übertraten sie zuerst, sie raubten den Menschen der Menschheit erstes und einziges angebornes Glük, raubten die Geistesfreiheit, damit die dummköpfigen Vasallen und Sklaven ihrer tyrannischen Kniffe nicht inne würden; die Weiber kokettirten und lenkten Volk und Fürsten an einem Zaum, Landstreicher und Avanturiers erschlichen entweder Privilegien für ihre Quaksalbereien, oder sie machten in den untersten Volksklassen den Geist des Fanatismus rege, oder sie pasquillirten auf die gesunde Vernunft und guten Sitten, oder sie prellten reiche Hohlköpfe mit Taschenspielerwundern, Goldmachereien, geheimen Ordensvorspielungen und andern Schmarozzerkünsten. — Kurz alles war es einst, wie jezt, und darum traten schon früh Männer von Einsicht und Muth zusammen; enthusiasmirt für Recht, und Wahrheit und Bruderglük, dem geheimen und öffentlichen, von keiner Obrigkeit gerügten Unwesen zu steuern. Zeloten nannte man sie in Christus Zeitalter, und späterhin in den mittlern Jahrhunderten die Männer des heimlichen Gerichts.“ —
„Meint Ihr, Vinzenz, die Zeiten des heimlichen Gerichts wären vorüber? nein, Vinzenz, die Zeiten nicht und auch nicht das Gericht. Sehet diese Siebenzige sind Mitglieder desselben aus einem Herzogthume; gehet hinaus in die weite Welt und Ihr werdet sie finden an den äussersten Spizzen Europas. Alle die Ihr um Euch stehn seht, sind Männer von der erprobtesten Verschwiegenheit, dem rechtschaffensten Karakter, der tiefsten Verschlagenheit, zerstreut in allen Gegenden unsers Vaterlands wohnhaft, aus allen Ständen des Volks gehoben. Bediente, Aerzte, Prediger, Advokaten, Schriftsteller, Buchhändler, Räthe, Generale, Offiziere, Landwirthe sind hier Brüder, ohne Unterschied des Ranges.“
„Unsre Religion ist: thue Gutes und mache glükseelig, wo möglich, stets im Verborgnen; opfre Dich im grossen Fall der Noth für die Glükseeligkeit des Ganzen hin; liebe Gott über alles, Deinen Nächsten mehr als Dich selbst! Islamismus, Kalvinismus, Lutherthum, Katholizismus, Herrnhuterei — sind eins und dasselbe, sind nur Farben für den sinnlichen Menschen!“ —
„Und habt Ihr Euch einst müde gerungen für Eurer Brüder Wohl, sodann dürfet Ihr gerechte Ansprüche auf Ruhe und eignes Glük machen, welches Euch gewährt wird, wie und wo Ihr es verlanget. Ein weiser findet sich nicht in hohen Ehrenämtern belohnt, darum rechnen wir diese nicht zu den Arten einer Dankbarkeit von uns; wir selber befördern uns zu den wichtigsten Posten um wichtige Unternehmungen vollführen zu können.“
„Noch einmal, Vinzenz, bedenket wohl, daß Ihr Euch zu keinem Knabenspiel verpflichtet. — Reue ist nachmals zu spät und umsonst, und wird Euch mit dem Tode vergolten. — — Gehet, ich bitte Euch, gehet zurük!“
„Nimmermehr!“ entgegnete Florentin.
Alle. (rufend) Gehet, gehet zurük.
Florentin. (unerschüttert) Ihr grossen Männer, behaltet mich.
Anselmo. Spätre Reue ist Euer Tod!
Florentin. (flehend gegen alle gewandt) Ich bleibe Euch treu, Tod mir, wenn ich diesen erhabnen Schritt je bereue.
Es erfolgte eine allgemeine Stille. Der Regent stieg von seinem Throne und entband dem Grafen eines schreklichen Schwurs. Der Graf schauderte und — schwor.
Kaum war das Amen von seinen Lippen gehört: so trat der Regent ihm näher und küßte ihn und weihte ihn zum schwarzen Bruder; alle übrige thaten ein Gleiches und, o Wunder! auch der alte Badner trat herzu.
Jezt wurde die Freude lauter, die Brüder wandelten durcheinander, plauderten, lachten, tranken; Florentin fühlte sich seeliger, als je, er besprach sich mit allen, alle jubelten beim frohen Klange der Gläser ein, „Vivat Vinzenz!“ und unter diesem Lärmen — — — — erwachte Florentin von seinem Traume.
Hilf Himmel! wie erstaunte er, als er sich, nachdem er die Augen genug gerieben, in dem Garten noch liegen sah unter dem Schatten des Fliederbaums.
Rikchen trat in den Garten, lächelnd brachte sie ihrem Bruder die verlangte frische Milch.
„Wie lange hab ich denn geschlafen?“ fragte er und schwebte ungewiß, wie im Traume.
„Zwei Stunden wohl!“ antwortete seine reizende Schwester, die das Milchnäpfchen neben ihm niedersezte.
„O Gott!“ rief er entzükt aus, sprang auf und umarmte seine Schwester: „du lebst noch!“
„Ei, ei,“ sagte der Onkel: „ei, ei, Du mußt einen bösen, bösen Traum erschlafen haben!“
„Freilich!“ entgegnete Florentin, und zweifelte, ob er nicht eben jezt träume?
„Nun, was hat Dir denn geträumt?“ hub Rikchen an zu fragen, allein sie erhielt von ihrem Bruder eine unbestimmte Antwort. Er fürchtete ein Wort zu sagen, denn der Eid schwebte ihm noch immer auf der Zunge, welchen er im Angesichte der schwarzen Brüder geschworen.
Nie hatte er ähnliche Qualen ausgestanden, und nie hatte er eine so reine himmlische Freude gefühlt, als in diesem Traume. Eine stille Sehnsucht war in seinem Herzen zurük geblieben nach den schwarzen Freunden; sich von siebenzig uneigennüzzigen Männern umarmt zu sehn, welche Wonne für Seelen, die den Werth der Freundschaft kennen! — Er konnte seine Sehnsucht nicht verbannen, sich nur noch einmal in ihrer Mitte zu sehn; der Gedanke, daß Hunderte ihr Leben für ihn lassen würden, hatte zu viel Beruhigendes für ihn. Wahrscheinlich trug hiezu seine jezzige, kritische Lage nicht wenig bei; was hatte er dann vom Herzoge zu befürchten, wenn die Durchspäher aller Geheimnisse sein Intresse zu dem ihrigen machten? —
„Und ists auch nur ein Traum, o so soll er mir dennoch heilig bleiben, ich habe nie in der wirklichen Welt seeliger geathmet.“
So dachte er oft in sich, aber niemanden verrieth er das schauerliche, schöne Meisterstük seiner Fantasie, welches den tiefsten Eindruk auf ihn gemacht hatte.
Noch einige Tage blieb er in der Mitte seiner Lieben; die ihm vom Herzoge gegebne Frist war ihm schneller verflossen, als das Hirngespinst von zween Stunden.
Eines Abends, da der Onkel schon und Rikchen längst in den Federn vergraben lagen, saßen Florentin und Holder noch spät auf. Sie unterhielten sich über manche intrikante Materien, über die Reise des leztern nach Italien, über das Verhältniß des erstern am Hofe, und endlich auch über die Unbekannten.
Plötzlich, wurden sie durch ein lautes Pochen gestört. In wenigen Minuten traten drei Offiziere von der Herzoglichen Garde herein, die sich mit drei Worten wegen ihres späten Besuches entschuldigten, und dem Grafen ein versiegeltes Papier im Namen Sr. Durchlaucht des Herzogs überreichten.
Holder. Was ist dir, daß Du Dich entfärbst?
Duur. (gab ihm den Brief, ging zur Thüre und rief nach Badner.)
Holder. (lesend) Gott im Himmel!
Badner. (hereintretend) Ho, ho!
Duur. Laß sogleich meinen Wagen anspannen, meine Sachen einpakken, und alles binnen einer Viertelstunde zur Abreise fertig seyn.
Holder. Aber alles geschehe in der größten Stille; auch befiehl meinen Bedienten, daß sie Wein und Speisen hieher bringen.
Badner. (entfernte sich hochverwundert.)
Holder. Sezzen Sie sich, meine Herrn.
Duur. In einer Viertelstunde reise ich mit Ihnen, belieben Sie indessen einige Erfrischungen anzunehmen.
Ein Offizier. Wir danken Ihnen unterthänigst.
Ein Andrer. Sie verzeihn es uns, daß wir Sie, Herr Kammerherr, so schnell und so früh aus den Armen Ihrer Freunde entführen.
Holder. (kalt) In vier Wochen wird uns der Herr Graf wieder besuchen können.
Die Offiziere tranken, Holder und Duur schwazten mit ihnen von Neuigkeiten aus der Residenz. — Die Viertelstunde war bald verflogen und dem Grafen immer weher ums Herz. Badner trat endlich reisefertig herein und bedeutete daß alles zum Abmarsch bereit wäre.
„Nun denn, meine Herrn!“ sagte Duur zu den Offizieren und stand auf: „wenn es Ihnen gefällt: so lassen Sie uns aufbrechen!“ die Offiziere entfernten sich.
Bebend wandte er sich zu Holdern, der vergebens seine Bestürzung verbergen wollte.
Florentin. Nun Holder?
Holder. (gerührt) Mein Florentin.
Florentin. Weißt Du, wohin ich gehe?
Holder. Wohin, Bruder?
Florentin. Zum Tode.
Holder. (erstarrend) Bruder!
Florentin. Zum Tode!
Holder. Ists gewis?
Florentin. Unvermeidlich gewis. — Jezt ist dem Herzog alles offenbar, und ich bin seiner Rache Gegenstand.
Holder. Das ist schreklich!
Florentin. Kannst Du — kannst Du mich noch retten?
Holder. Ich — kann es nicht.
Florentin. Kannst Du mich noch retten.
Holder. Ich kann es nicht. Allein wir werden uns wiedersehn!
Florentin. Nach dem Tode?
Holder. Ja, in Deutschland über zweihundert Jahren! — verlangst Dus noch daß ich meinen Eid Dir halte? verlangst Du noch einmal ein Erdenleben zu leben?
Florentin. Wunderbarer! Schwärmer!
Holder. Bei Gott, ich schwärme nicht!
Florentin. So seis. — Leb wohl! (er umarmt ihn heftig.)
Holder. (mit gebrochener Stimme) Leb wohl!
Florentin. (indem er sich losreißt) Leb wohl! (er kehrt noch einmal um und mit langsamen Schritten auf Holdern zu gehend) Regent — Regent!
Holder. (unter Thränen) Was sprichst Du?
Florentin. (abgehend) Regent Julius! — lebe wohl!
Holder. (nachrufend) Vinzenz, lebe wohl!
Die Offiziere sassen schon auf ihren Pferden; der Graf stieg in den Wagen und so gings fort.
Als die Morgenröthe emporstieg langten sie in einem Städtchen an; hier blieben sie den Tag über, in der Nacht verfolgten sie ihre Reise.
Mit Anbruch des zweiten Tages kamen sie in die Residenz. Der Graf fuhr nach seiner Wohnung und die Offiziere verliessen ihn schon vor der Stadt.
An ihrer Stelle fand er einen andern in seinem Hause, welcher ihn bis zum Abend bewachte, und sodann in der Dunkelheit zum Herzoglichen Palais führte.
Bleich und entgeistert schwankte der Unglükliche seinen Todesgang hin. Man brachte ihn in ein schwarz ausgeschlagnes Kämmerlein, bis auf weitern Befehl des Herzogs.
In fürchterlicher Angst durchirrte der Graf das Zimmer, in welchem eine Wachskerze brannte. Tausend Gedanken durchkreuzten seine Seele, der eine schreklicher als der andre.
Eine Viertelstunde verging, die andre schlug, ohne daß sich jemand zeigte. Mit immer größerer Unruhe ging er auf und nieder, rang er die zitternden Hände, stellte er sich ans Fenster und zählte er mit Bangigkeit die Minuten.
Düstre Bilder drängten sich um seine Seele, und entwafneten seinen Geist. Nichts blieb ihm in der bangen Stunde übrig; jeder Strahl der Hofnung erstarb; jeder Trost wich zurük, und jedes Grausen, welches die Natur in ihrem Schooße trägt, lagerte sich vor ihm hin. Seine Knien schlotterten; Fieberfrost rann ihm durch das erstarrende Geblüt; er strekte die gefalteten Hände schweigend empor zum Himmel, aber seine Kräfte versagten ihm den Dienst weiter.
Schaudernd stand er in einem einsamen Winkel, und warf seine Augen im Geiste auf die nahen Pforten der Ewigkeit.
„O“ lallte er mit gebrochnen Tönen! „der Tod ist furchtbar, vergebens mahlt ihn die Fantasie schön; aber wir philosophischen Geschöpfe thürmen uns da Systeme und Hypothesen hin, die unter einem leisen Hauch der wahren Natur zusammenstürzen, all’ unsre Weisheit ist Spinngewebe der Einbildungskraft, aus leichten lokkern Federn zusammengesponnen.“
Es erfolgte eine lange, dumpfe Pause, in welcher er ernsthaft vor sich hinschritt. Dann stand er wieder still und starrte zum Himmel auf:
„Gott, heilges, gerechtes, allgemeines Wesen, mit welchem Antlizze werd’ ich vor dir erscheinen? Als ein Missethäter sterb’ ich; Menschen können mir nicht verzeihen; — Gnade gieb, o Erbarmer, wenn mir Gnade möglich ist!“
Indem der Graf noch betete, öfnete sich ein Seitenthüre. Die Prinzessin Louise, todtenbleich, in ein Reisegewand verhüllt, trat herein. Duur prallte zurük. Sie sprach kein Wort, sondern umhalste schluchzend den geliebten Verbrecher, küßte ihn unzählige male, und eilte schweigend wieder von ihm.
Kurz darauf vernahm Duur das dumpfe Donnern einer fortrollenden Kutsche — er hörte es, stieß einen tiefen Seufzer aus, Dunkelheit umfloß sein Auge, und ohnmächtig stürzte er — dem Herzog in die Arme.
Inzwischen träumten der alte, brave Onkel und seine, liebenswürdige Nichte nichts weniger, als dieses entsezliche Schiksal ihres Florentins. Holder trat am folgenden Morgen nach seiner Wegführung zu ihnen, und sagte mit erzwungnem Lächeln: „Florentin hat Euch, um Thränen zu ersparen, gestern Abend schon verlassen.“
„Gestern Abend ist er fortgefahren?“ entgegnete erstaunt der Alte: „drum wunderte ich mich noch über das späte Kutschieren. Hm, hm! der Blizjunge, kömmt er mir noch einmal so, so werde ich ihm baß den Text lesen. Warte! warte!“
„Und in der Nacht auch zu reisen!“ sagte Rikchen halb böse.
„Freilich, freilich!“ erwiederte der Onkel: „er wird sich verkälten wollen! — doch las ihn; im Grunde genommen dauert mich der gute Junge, er hats nicht böse gemeint. Na Florentinchen, wir vertragen uns wieder; ich sage Dir gute Nacht, Florentin!“ — — — —
* * *
Und nun, meine Leser und Leserinnen, hab’ ich Ihnen für diesmal genug vorgeplaudert; allein mich plagt doch eine kleine Neugier, zu wissen, wie Ihnen meine Erzählung behagt hat.
„Sonderbar!“
Sonderbar sagen Sie? wie denn so?
„Kein Plan, kein Ganzes! wir wissen aus so manchen nicht klug zu werden; zum Ueberflus führen Sie den Grafen von Duur noch an die Schlachtbank und lassen uns in einer quälenden Ungewisheit über seinen Tod.“
Ich sollte doch denken, meine Herrn und Damen, daß Sie mit dergleichen Autorfinten schon bekannter sein müssen, als Sie es sich zu sein stellen wollen.
„Unverzeihlich! indes werden wir Ihnen von ganzem Herzen verzeihn, wenn Sie uns noch dies und das beichten wollten!“
Und was denn zum Beispiel?
„Wie es dem süssen Florentin geht.“
„Und war für ein Bewandnis hat es denn mit den schwarzen Brüdern?“
„Wird Holder nicht noch Anstalten zur Rettung seines Freundes machen?“
„Apropos, was that denn Holder in Italien? nahm er etwa die Tonsur an?“
„Wohin ist denn die Prinzessin Louise zur Nachtzeit gefahren? hat sie ihr Bruder etwa in ein Kloster gebracht?“
„Noch eins, eh wir auseinander gehen: werden Sie uns nicht den weitern Verlauf der Sache erzählen?“
Alles das, meine Herrn und Damen, alles das im folgenden Bändchen wenn Sie wollen!
Anmerkungen zur Transkription
Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt. Die kräftig variierende Schreibweise, Grammatik und Interpunktion des Originales wurden unverändert beibehalten. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):
End of the Project Gutenberg EBook of Die schwarzen Brüder. I. (of 3), by Heinrich Zschokke *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE SCHWARZEN BRÜDER. I. (OF 3) *** ***** This file should be named 43163-h.htm or 43163-h.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/4/3/1/6/43163/ Produced by Jens Sadowski (based on page scans provided by the Staatsbibliothek zu Berlin - PK, digital.staatsbibliothek-berlin.de) Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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