The Project Gutenberg EBook of Hanna, by Jacob Freund This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Hanna Gebet- und Andachtsbuch für israelitische Frauen und Mädchen Author: Jacob Freund Release Date: May 8, 2013 [EBook #42670] [Last Updated: September 15, 2013] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK HANNA *** Produced by Enrico Segre, and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net.
Nachdruck als e-Buch anlässlich der Bath-Mitzwah von Hanna Nella Segre, am Vorabend von Schawuoth 5773, von ihrem Papa.
Hanna.
Von
Jacob Freund,
Lehrer an der Religionsschule der Synagogen-Gemeinde zu Breslau.
Mit Beiträgen
von
Dr. D. Feuchtwang, Dr. A. Geiger und Dr. M. Güdemann.
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Neueste vermehrte und verbesserte Ausgabe.
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Breslau.
Verlag von Jakob B. Brandeis.
וַתִּתְפַּלֵּל חַנָּה וַתֹּאמַר׃ עָלַץ לִבִּי בַּיהוָה
אֵין־קָדוֹשׁ כַּיהוָה כִּי־אֵין בִּלְתֶּךָ וְאֵין צוּר כֵּאלֹהֵינוּ׃
Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn.
Keiner ist heilig, wie der Herr, denn keiner ist außer Dir und kein Fels wie unser Gott.
(1. Buch Sam. Kap. 2. V. 1. u. 2.)
Dem seligen Andenken
seiner
verklärten Mutter
Frau Rebecka Freund
in dankbarer Liebe
gewidmet
vom
Verfasser.
Von dem gesetzlichen Rechte Gebrauch machend, veröffentliche ich dieses bereits vor 41 Jahren zum ersten Male erschienene Andachtsbuch in neuester Ausgabe. Die Beliebtheit, welche dasselbe während jener Zeit errungen, verdankt es der richtigen Auswahl und Anordnung der, Form und Inhalt nach, gleich schönen Gebete des vor mehr denn 30 Jahren dahingeschiedenen Verfassers Herrn Jacob Freund. Ich habe an diesem Erbauungsbuche, ohne an dessen Gebeten oder Reihenfolge derselben zu rütteln, nur insofern eine Veränderung eintreten lassen, als ich jene Festbetrachtungen, deren Verfasser noch am Leben ist, beibehalten habe, dagegen jene, deren Verfasser bereits vor Jahren aus diesem Dasein geschieden sind, durch neue, Gedankenreichtum bietende, gemütanregende und den religiösen Sinn fesselnde Betrachtungen ersetzen ließ. Diese geflossen aus der Feder des Wiener Rabbiners und Predigers Dr. D. Feuchtwang, wahre exegetische Perlen, reihen sich denen des Wiener Oberrabbiners Dr. M. Güdemann würdig an, so daß der Reiz, den sie diesem Andachtsbuche verleihen, nicht wenig dazu beitragen wird, seine Beliebtheit zu steigern. Auch habe ich im Texte auf die neue Rechtschreibung Bedacht genommen, ein Vorteil, welcher der Jugend gut zustatten kommt.
Breslau, den 1. Mai 1908.
Jakob B. Brandeis.
Öffentlicher Gottesdienst.
Sabbat- und Festgebete.
Seite | |
Die Feste des Herrn (Feuchtwang) | 3 |
I. Gebete für den Sabbat.
Sabbat-Betrachtung. (Feuchtwang) | 6 |
Beim Eintritt in das Gotteshaus | 9 |
Gebete für den Sabbattag | 10 |
Nischmath | 19 |
Gebet | 23 |
Beim Herausheben der Thora am Sabbat | 25 |
Gebet bei Verkündigung des Neumonds | 26 |
Dasselbe | 27 |
II. Gebete für die Freudenfeste.
1. Das Passahfest.
Festbetrachtung am Passahfeste. (Feuchtwang) | 28 |
Beim Eintritt in das Gotteshaus. (An Festtagen oder bei festlicher Gelegenheit) | 31 |
Gebet am Vorabend des Passahfestes | 31 |
Seder. Betrachtung. (Feuchtwang) | 33 |
Morgengebet am Passahfeste | 36 |
Die Hallel-Psalmen | 39 |
Beim Herausheben der Thora am Passahfeste | 44 |
Tau und Regen (Tal und Geschem) Betrachtung (Feuchtwang) | 45 |
Frühlingsgebet am ersten Tage des Passahfestes | 48 |
2. Das Wochenfest.
Festbetrachtung am Wochenfeste. (Feuchtwang) | 52 |
Gebet am Vorabend des Wochenfestes | 54 |
Gebet am Wochenfeste | 57 |
Die Gesetzgebung am Sinai | 61 |
3. Das Hüttenfest.
Festbetrachtung am Hüttenfeste. (Feuchtwang) | 65 |
Gebet am Vorabend des Hüttenfestes | 67 |
Gebet am Hüttenfeste | 69 |
4. Das Schlußfest.
Festbetrachtung am Schlußfeste. (Feuchtwang) | 73 |
Gebet am Schlußfeste | 75 |
Herbstgebet am Schlußfeste | 79 |
Festbetrachtung am Simchas Thora. (Feuchtwang) | 81 |
Gebet am Simchas Thora | 84 |
III. Gebete für die ernsten Feste.
1. Das Neujahrsfest.
Festbetrachtung am Neujahrsfeste. (Güdemann) | 87 |
Am Vorabend des Neujahrsfestes. Lied | 92 |
Gebet am Vorabend des Neujahrsfestes | 92 |
Morgengebet am Neujahrsfeste | 96 |
Owinu malkenu | 100 |
Beim Herausheben der Thora am Neujahrsfeste | 102 |
Gebet vor dem Schofarblasen | 104 |
Unthanne tokef | 107 |
Olenu | 109 |
2. Der Versöhnungstag.
Festbetrachtung am Versöhnungstage. (Güdemann) | 112 |
Am Vorabend des Versöhnungstages. Lied | 117 |
Gebet am Vorabend des Versöhnungstages | 117 |
Owinu malkenu | 122 |
Morgengebet am Versöhnungstage | 124 |
Sündenbekenntnis | 129 |
Beim Herausheben der Thora am Versöhnungstage | 134 |
Maskirbetrachtung für den Versöhnungstag. (Feuchtwang) | 136 |
Gebet zu Mussaph am Versöhnungstage | 138 |
Unthanne tokef | 141 |
Der Hohepriester am Versöhnungstage | 144 |
Gebet zu Mincha am Versöhnungstage | 149 |
Vor Sonnenuntergang am Versöhnungstage | 153 |
Zum Schluß des Versöhnungstages | 157 |
IV. Gebete für die Halbfeste.
1. Chanucka.
Gebet am Chanuckafeste | 159 |
2. Purim.
Gebet am Purimfeste | 161 |
V. Gebete für den 9. Ab (Tischah be-aw).
Gebet am Tischah be-aw | 164 |
Klage um das verlorene Zion | 169 |
Eli Zion | 171 |
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Häusliche Andacht.
Tägliches Morgengebet | 177 |
Tischgebet | 178 |
Nachtgebet | 179 |
Gebet am Sonntag | 180 |
Gebet am Montag | 181 |
Gebet am Dienstag | 183 |
Gebet am Mittwoch | 185 |
Gebet am Donnerstag | 186 |
Gebet am Freitag | 188 |
Gebet am Neumondstage | 190 |
Gebet beim Anzünden der Sabbat- und Festlichte | 191 |
Sabbat-Einzug | 192 |
Freitagabend-Lied | 194 |
Zum Sabbat-Ausgang. Psalm 67 | 195 |
Sabbat-Ausgang. Lied | 196 |
Gebet am Tage der Konfirmation | 197 |
Gebet am Verlobungstage | 200 |
Gebet während des Brautstandes | 202 |
Gebet einer Braut am Hochzeitstage | 204 |
Gebet einer Neuvermählten | 207 |
Gebet einer Wöchnerin | 209 |
Gebet der Mutter während der Aufnahme ihres Sohnes in den Bund Abrahams | 210 |
Gebet einer Wöchnerin bei ihrem ersten Besuche des Gotteshauses | 212 |
Gebet einer Mutter am Tage der Konfirmation ihres Sohnes | 213 |
Gebet einer Mutter am Verlobungstage ihrer Tochter | 214 |
Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihrer Tochter | 215 |
Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihres Sohnes | 217 |
Gebet einer Witwe | 219 |
Gebet einer Witwe, die in dürftigen Verhältnissen lebt | 220 |
Gebet einer Stiefmutter | 222 |
Gebet eines vaterlosen Mädchens | 224 |
Gebet eines mutterlosen Mädchens | 226 |
Gebet einer Verwaisten | 228 |
Gebet einer Dienenden | 230 |
Gebet für die Eltern in der Ferne | 233 |
Gebet um Hilfe aus der Not | 234 |
Dankgebet für Hilfe aus der Not | 235 |
Gebet bei einem freudigen Ereignis | 236 |
Gebet um Nahrung | 237 |
Dankgebet für die Nahrung | 238 |
Gebet um Erhaltung der Gesundheit | 240 |
Gebet um Genesung. Psalm 6 | 241 |
Dankgebet nach überstandener Krankheit | 242 |
Gebet für den erkrankten Vater | 243 |
Gebet für die erkrankte Mutter | 244 |
Gebet der Mutter für ihr krankes Kind | 246 |
Gebet für den erkrankten Sohn oder die Tochter | 248 |
Gebet für den erkrankten Gatten | 249 |
Dankgebet für die Genesung eines Angehörigen | 249 |
Gebet für das Wohlgedeihen der Kinder | 251 |
Dankgebet für das Wohlgedeihen der Kinder | 252 |
Gebet in trauriger Lebenslage | 254 |
Gebet um Geduld und Zufriedenheit | 255 |
Gebet um das Wohl des Reiches | 258 |
Gebet in Zeiten allgemeinen Drangsals | 258 |
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Jahrzeits-, Friedhof-Gebete und Totenfeier.
1. Jahrzeitsgebete.
Gebet am Jahrestage vom Tode des Vaters | 263 |
Gebet am Jahrestage vom Tode der Mutter | 266 |
Dasselbe für eine Frühverwaiste | 268 |
2. Friedhofgebete (Geiger).
Gebet | 271 |
Am Grabe der Eltern | 273 |
Am Grabe eines Sohnes oder einer Tochter | 276 |
Am Grabe des Gatten oder der Gattin | 278 |
Am Grabe der Geschwister, Großeltern, Schwiegereltern oder anderer Verwandten | 280 |
Am Grabe eines Freundes oder einer Freundin | 282 |
Am Grabe eines Wohltäters oder einer Wohltäterin | 283 |
Am Grabe eines Lehrers oder einer Lehrerin | 284 |
Am Grabe bedeutender Menschen | 285 |
Schlußbetrachtung und Gebet | 286 |
3. Totenfeier (Geiger)[1].
[1] Am 8. Tage des Peßachfestes, am 2. Tage des Schebuothfestes, am Jom Kippur und Schemini Azereth.
Maskirbetrachtung (Feuchtwang) | 288 |
Totenfeier | 292 |
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Sabbat- und Festgebete.
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Lasse uns den Segen Deiner Feste zuteil werden, o Gott, zum Leben und zum Frieden, zur Freude und zur Wonne. Heilige uns mit der Ausübung Deiner Gebote und gib uns unseren Teil an Deiner Thora. Sättige uns von Deiner Güte und erfreue uns mit Deiner Hilfe. Reinige unser Herz, Dir in Wahrheit zu dienen. Mache uns deine heiligen Feste zum Eigentum. Du bist der Segenspender, o Gott, indem Du Israel heiligst und die Zeiten.“ In diesem kindlich-schlichten, menschlich-wahren Gebete drückt sich der ganze tiefe, volle Segen aus, den die Festeszeiten in die Herzen, Seelen, Geister überreichlich streuen. Wie erquickender Sonnenstrahl in kaltes Dunkel, wie blütenprächtiger Frühling in winterlich-frostige Gefilde, so fallen die Festeszeiten in das harte, ernste Leben. — Wer lebt, der kämpft. Wer kämpft, der siegt nicht immer. Nicht jedwedem gedeiht die Saat auf dem Arbeit und Fleiß fordernden Ackerland des Lebens. Nicht alle, die unter Tränen das Saatkorn in die Furche geworfen, ernten in Jubel und Freude. Und die in scheinbar ungestörter Freude die Tage verbringen, die in nie umwölktem Sonnenleuchten ihre Jahre leben, in deren Sein und Streben sich goldene Ringe in köstlicher Kette an goldenem Ring zu reihen scheint, sie sind nicht immer die Glücklichen. Der ewige Festtag ist nicht des Ewigen Festtag. Menschengewollte und menschengebotene Ruhe steht im Dienste vergänglicher, täuschender Wünsche. Der ermüdete Leib des Daseinskämpfers bedarf der Seelenerquickung, die höchste Weihen empfangen hat und die im Zeichen idealen Dienstes steht. Festesstimmung und Festesfreude quellen aus dem Borne der Ewigkeit und der seelenvollen Hingebung an den weltbeglückenden Gedanken eines Gottes, eines Schöpfers, eines Menschenvaters. Sie sind uns nicht Stimmungen des flüchtigen Augenblickes, sondern vertiefte Gedanken an große geschichtliche Vergangenheit, ereignisreiche Gegenwart und glückverheißende Zukunft.
Die „Feste des Herrn“ sind Zeiten der Sammlung und der Andacht. Der Sammlung in jeglichem Sinne. Auch in dem, daß durch Arbeit versprengte Glieder des durch Bande des Blutes gebundenen Hauses sich warm und freudevoll zusammenfinden; die Gemeinde im brüderlichen Verbande an gemeinsamer Stätte sich Gottes und seiner Waltung freut; die Glaubensschwestern und Glaubensbrüder allesamt in aller Welt an ebendemselben Tage und zur selben Stunde des großen Lebens gedenken, das unser Volk gelebt, des unendlichen Segens, den es empfangen und gespendet hat. Der Andacht, die aller selbstischen Schlacken frei, sich in geiststärkende und weltumfassende Gedanken versenkt, die beruhigen, adeln und erheben. Denn die „Feste des Herrn“ sind nicht allein Festtage für sein erstgeborenes Volk, für Israel, sondern ziehen in den Bereich ihres weiten Andachtsbezirkes alle Menschenbrüder. So begrüßen wir diese Feste in gelassener Freude und mit gedämpftem Jubelruf. Sie sind der Gottesverehrung, geschichtlichen Erinnerung, sittlichen Selbsterziehung, Einkehr und Umkehr geweiht und ihr geschlossener Kreis zieht sich um die gemeinsame Mitte der Menschenerziehung und Menschenbeglückung. So feiern wir die „Feste des Herrn“ zu unserem Heil und Segen.
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Der Sabbat.
.שבת
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„Denke des Sabbattages, ihn zu heiligen!“ „Heil dem Menschen, der dies tut, dem Erdensohne, der daran festhält: Den Sabbat hütet, ihn nicht zu entweihen, seine Hand hütet, daß er nichts Böses tue!“ Als Moses, so erzählt eine uralte Sage, den Druck seiner Brüder in Ägypten sah, ging er zum Pharao und sagte: Wenn der Sklave nicht einen Tag in der Woche ruht, muß er sterben. Und Pharao sagte: Tue, wie Du geredet. Da ging Moses hin und setzte den Sabbat ein. „Darum freut sich Moses der Gabe, die sein Teil ist.“ Doppelt ist die große Aufgabe des Sabbat; den Menschen auf Gott und sein Werk, den Menschen auf sich selbst zu weisen. Das wollen auch diese Thora- und Prophetenworte, will die sinnige Sage melden. Neben dem gewaltigen, völkerbezwingenden, weltgewinnenden Riesengedanken des Einzigen Gottes, der aus sich Kulturen geboren hat; neben dem größten sittlichen Befehl der „Nächstenliebe“, den unsere Religion vor allen anderen der Menschheit erteilt hat, ist der Sabbatgedanke der größte, den unser Glaubensgesetz besitzt. Er verlieh und verleiht dem Leben Hoheit, Weihe und Würde. Wenn die heilige Schrift das Schöpfungswerk mit dem Tage der Sabbatruhe schließt und krönt, wenn das Bundestafelgesetz den Sabbat fordert, so will dies besagen, daß ohne ihn der Schöpfung wundererfülltes Werk nicht vollendet, das Leben nicht vollkommen wäre. Denn der Sabbat ist die Blüte am markigen Baume der Lebensarbeit. Er ist die Sehnsucht rastlos schaffenden Menschengeistes, mühevoll-emsiger Menschenhände. Unsere harte Zeit des Daseinskampfes, in der die Seele nur wenig und selten bedacht wird, hat trotz aller Bildungsmittel und Kunstideale, aller Schönheitspflege und Wohlfahrtspredigt den Sinn und Willen des jüdischen Sabbat weder erfaßt noch erreicht. Der jüdische Sabbat hat eine ewige Bedeutung für die ganze Menschheit. Dieser Tag der Ruhe ist der „Tag der Weihe im Geiste, auf daß auch der Werketagsarbeiter aller Art zu sittlicher Erhebung, zur Freiheit des Gemütes sich sammeln könne.“ Er ist eine sittliche Kraftäußerung der Seele und der Religion, die sieghaft dem Nutzentriebe und der Stoffgewalt Schranken setzten.
In dieser Weise hat er einst in jüdischen Kreisen gewirkt, in Haus, Familie und Gemeinde. Die Geistes- und Leibesarbeit der Wochentage strebte gewissermaßen dem Hochziele „Sabbat“ zu. Der Rüsttag schon verriet die Zeichen der kommenden, herzerquickenden, reinen, tiefen Sabbatfreude. Sie führte Vater, Mutter und Kind in einen fröhlichen, geweihten Kreis, in dem es keine Sorge, keinen Kummer, keinen Kampf und keinen Haß, keine Trübung noch Trauer gab. Licht und Lust, Lebensmut und Lebensfreude erfüllten Herz und Haus. Ausgeglichene, einfältigweise Rast und Ruhe und Sammlung waren der Grundton der Sabbatstimmung. Becherweihe durch Segensspruch, Elternsegen, bescheidenes Festmahl, gewürzt durch Begleitworte der Thora und der andachtsvollen, sinnreichen, lehrhaften Erbauungsbücher; gemütreicher Gottesdienst mit ehrlichen, gradaus zum Himmel gerichteten Gebeten, Familienverkehr und Freundesbesuch, nicht ermüdender Spaziergang im Festgewande — sie füllten den Tag aus. Und selbst der Ärmste feierte mit; Herr und Frau, Magd und Knecht. So erstreckte sich der Sabbatfriede über alle und alles. Warum aber sprechen wir von dieser Sabbatherrlichkeit im großen und im kleinen wie von vergangener, verschwundener Zeit? Hat etwa die Gegenwart bessere, höhere Werte an deren Stelle gesetzt? Gewähren rauschende Feste, lärmende Lust, taumelnde Freude dem Herzen und der Seele tiefere Befriedigung? Haben Staats- und Gesellschaftsgesetz der Gegenwart es trotz schwerster Bemühung erreicht, Welt und Menschen einen wirklichen, ungeschwächten Tag der Ruhe zu schenken, der zugleich ein Tag höchster Seelenweihe wäre? Und wie sehr, wie dringend bedürften wir, wie alle Menschen in der tötenden Hast und drängenden Eile des Alltaglebens dieses immer wiederkehrenden Hinweises auf göttliche Macht und menschliche Größe, dieses mahnenden Rufes zur Sammlung und Ruhe. Der Wochensabbat würde sich zum Weltensabbat eignen und weitern, um so einen Teil des Erlösungswerkes zu vollbringen, das messianische Hoffnung für Israel und alle Welt erwünscht und ersehnt.
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Wie schön ist, Israel, Dein Zelt!
Und Jakob, Deine Hütte!
Da thronet Gott, der Herr der Welt,
Im seines Volkes Mitte.
Da tret' ich vor Dein Angesicht,
O Herr! mich tief zu bücken,
Bestrahlt von Deiner Gnade Licht,
Ins eig'ne Herz zu blicken.
Wie lieb' ich diesen heil'gen Ort
Als meines Segens Quelle;
Es spendet Glück mir fort und fort
Und Frieden diese Stelle.
Hier find' ich Trost in Traurigkeit,
Erhebung in der Freude.
Weil ich vor Gottes Herrlichkeit
Mich gern in Demut kleide.
Mit Lust und Liebe bin ich d'rum
Nun in Dein Haus getreten,
Vernimm, o Vater, wiederum
Mein Bitten und mein Beten!
Amen!
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Ewiger Gott, Herr und Vater, unendlich wie Du bist, ist auch Deine Macht, Deine Größe und Herrlichkeit, Deine Weisheit und Deine Gnade. Gelobt sei Dein heiliger Name in Ewigkeit!
Du hast den Sabbat eingesetzt, daß er uns ein Tag der Ruhe und der Erhebung, ein Tag der Andacht und der Erbauung sei. O laß meines Mundes Worte und die Gedanken meines Herzens Dir wohlgefällig sein. Amen!
אדון Herr der Welt! Du hast regiert, eh' noch ein Wesen erschaffen ward. Du wirst König genannt seit der Zeit, da auf Deinen Willen das All' erstanden ist, und wenn einst alles dahin sein wird, dann wirst Du allein noch herrschen, o Ehrfurchtbarer! Ja, wie Du warst, so bist Du, und so wirst Du ewig sein in Herrlichkeit; Du bist einzig, kein zweites Wesen ist Dir zu vergleichen und Dir an die Seite zu stellen. Du bist ohne Anfang und ohne Ende, und Dein ist die Macht und die Herrschaft. Du bist aber auch mein Gott, mein lebendiger Erlöser, Fels in meinem Leide zur Zeit der Not. Du bist mein Panier und eine Zuflucht für mich, Anteil meines Kelches am Tage, da ich rufe. In Deine Hand empfehle ich meinen Geist zur Zeit, wenn ich schlafe, und wenn ich wache, und mit meinem Geiste auch meinen Körper; ist Gott mit mir, so fürchte ich nichts.
אתה הוא Du bist der Ewige, unser Gott, im Himmel und auf Erden und in allen Räumen der Welt. Das ist gewiß und wahrhaftig, daß Du der Erste bist und der Letzte, und außer Dir ist kein Gott. O, möchten doch alle Bewohner der Welt es erkennen und bekennen, daß Du, Gott, allein der Herr bist auch in allen Reichen der Erde. Du hast den Himmel gemacht und die Erde, das Meer und alles, was es füllet. Wer von allen Deinen Geschöpfen in der Höhe und in der Tiefe vermag etwas hinzuzufügen zu den Werken Deiner Allmacht? O Du, unser Vater im Himmel, übe Barmherzigkeit mit uns um Deines großen und heiligen Namens willen.
O, ich wollte so gern, Dich rühmen und preisen, Allerhabener, aber die Worte meines Mundes reichen nicht hin zum Lobgesang für Deine Ehre; darum möge es Dir wohlgefällig sein, wenn ich Dich anbete mit den Liedern der von Dir begnadeten Sänger, die Dich angebetet haben in heiligen, unvergänglichen Dichtungen.
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Die Himmel, sie erzählen Gottes Ehre,
Die Feste spricht von seiner Hände Werk.
Vom Tage strömt das Wort dem Tage zu,
Die Nacht gibt diesen Unterricht der Nacht,
Nicht sind's geheime Worte und nicht Reden,
Daß ihre Stimmen man nicht hören könnte:
So weit die Erde reicht, tönt ihre Saite,
Ihr Vortrag dringet bis ans Ziel der Welt,
Bis wo der Sonnenball sein Zelt gebaut,
Der wie ein Bräut'gam zieht aus seiner Hütte,
Und freudig, wie ein Held die Bahn durchläuft.
Von einer Himmelsgrenze zieht er aus,
Den Kreislauf durch, bis wieder zu ihr hin,
Und seinem Glanze bleibet nichts verborgen.
Die Lehre Gottes labt die Seele ganz,
Sein Zeugnis, wahrheitsvoll, macht Toren weise,
Und sein Befehl, gerecht, erfreut das Herz.
Sein lauteres Gebot verklärt den Blick,
Die Gottesfurcht ist rein, bestehet ewig,
Die Rechte Gottes allesamt sind Wahrheit.
Noch köstlicher als Gold und köstlich Erz,
Dem Munde lieblicher als Honigseim.
Und auch Dein Knecht will ihrer sorgsam achten,
Denn großer Lohn wird denen, die sie hüten.
Jedoch wer kennt sie? wer ist frei von Sünden,
Die ungern oder unbewußt getan?
Vor Übermut nur wahre Deinen Knecht!
Laß ihn nicht herrschen über mich — und frei
Von Freveltat kann ich Vergeltung hoffen.
Laß wohlgefallen meines Mundes Wort,
O Gott, und die Gedanken meines Herzens
Vor Dir, der Du mir Fels und Rettung bist.
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Den Ew'gen will ich loben allezeit,
Sein Ruhm soll stets in meinem Munde sein!
Des ew'gen Gottes rühmt sich meine Seele,
Ihr Demutsvollen hört's und freut euch dessen!
O preiset seine Größe laut mit mir
Daß allesamt wir seinen Namen ehren.
Da ich ihn suchte, hat er mich erhört,
Hat mich befreit von allen meinen Ängsten.
Die auf ihn schaun, geh'n nie beschämt zurück.
Rief je ein Armer, Gott erhörte ihn,
Er rettet ihn von allen seinen Nöten.
Die Engel Gottes lagern rings im Kreis
Um die, die ihn verehren, — sie zu hüten.
Da schaut nur hin und seht, wie gut er ist,
Heil allen denen, die auf ihn vertrauen!
Wohl darben, hungern mag der Löwen Brut,
Nie fehlt der Segen denen, die ihn suchen.
Kommt Kinder, laßt die Gottesfurcht euch lehren:
Wer ist der Mann, der Lust am Leben hat,
Die Tage liebt um Freude zu genießen?
Wohlan! so wahre Deinen Mund vor Bösem
Und Deine Lippen vor des Truges Wort!
Der Sünde weiche aus, das Gute übe,
Den Frieden suche, folg' ihm emsig nach.
Das Auge Gottes schaut auf die Gerechten,
Sein Ohr ist ihrem Flehen zugewandt.
Doch sieht der Herr auch die, die Böses üben,
Um ihr Gedächtnis aus der Welt zu bannen.
Er hört auf die, die flehend zu ihm rufen,
Von ihrem Leide gnädig sie zu retten;
Denn nahe ist er dem gebrochnen Herzen
Und seine Hilfe dem gebeugten Geist.
Und trifft das Unglück auch den Redlichen,
Von allem Übel macht der Herr ihn frei
Er hütet ihn, daß er nicht Schaden leide,
Daß nicht verletzt sei eines seiner Glieder.
Den Sünder führt die Sünde selbst zum Tode,
Des Frommen Feind versinkt in seiner Schuld;
Die Seelen seiner Diener rettet Gott,
Die ihm vertrauen, quält die Reue nie.
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Ein Gebet von Mose, dem Manne Gottes.
Gott, Du warst unsere Zuflucht für und für!
Bevor die Berge noch geboren wurden,
Eh' noch die Erde, eh die Welt geschaffen,
Warst Du, Allmächtiger von Ewigkeit,
Du führtest einst das menschliche Geschlecht
Ganz nahe an den Untergang heran.
Dann sprachst Du: „Kehret wieder, Adams Söhne.“
(Denn tausend Jahre sind vor Deinem Auge
Dem Tage gleich, der gestern ist vergangen,
Ja gleich der Wache Wechsel in der Nacht.)
Du strömst sie weg, im Schlaf vergehen sie
Und sind am Morgen frisch in Gras verwandelt.
Und was am Morgen Blüten treibt und sprosset,
Das ist am Abend wieder welk und dürr.
So geh'n auch wir in Deinem Zorn dahin,
Im Deinem Grimme sind wir schnell vernichtet,
Wenn unsere Sünden vor Dich hin Du legst
Und die verborg'nen prüfst vor Deinem Licht;
Es wichen uns're Tage Deinem Zorn,
Es schwänden uns're Jahre wie ein Hauch.
Nur siebzig Jahr sind uns're Lebensjahre,
Und wenn es herrlich ist, so sind es achtzig;
Ihr Stolz, was ist er? Müh' und Nichtigkeit.
Schnell abgeschnitten dann, wir schweben hin,
Wer aber kennet Deines Zornes Macht?
Und wie die Furcht vor Dir und Deinem Grimm,
So lehre auch uns uns're Tage achten,
Auf daß wir uns ein weises Herz erwerben.
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Der Du im Schirme des Höchsten, im Schatten der Allmacht verweilest,
Sprich zu dem Herrn: „O, Du bist meine Feste, auf die ich vertraue!“
Er, von verheerender Pest, von der Schlinge wird er Dich retten
Deckt mit dem Fittige Dich, seine Treue ist Schutz Dir und Waffe.
Nimmermehr schreckt Dich die Nacht und die Pfeile, die schwärmen am Tage,
Seuche nicht, schleichend im Dunkeln, und Krankheit, verderbend am Mittag.
Dich nur erreichen sie nicht, wenn auch Tausend zur Seite Dir fallen.
Schaust mit den Augen sie an, und die Strafe der Bösen, die siehst Du.
Fürchtest nicht, denn auf dem Herrn, meine Zuversicht, steht dein Vertrauen;
Unheil erreichet Dich nicht, und es naht Deinem Zelt keine Plage
Denn er befiehlt seinen Engeln, daß überall sie Dich bewachen;
Auf ihren Händen getragen, verletzet kein Stein Deine Füße,
Löwen und Schlangen zertreten magst Du, und einhergehn auf Nattern,
„Ich,“ spricht der Herr, „will ihn retten und schützen, er kennt meinen Namen,
Höre ihn, wenn er mich ruft, bin bei ihm zur Zeit seines Leides;
Schauen dann soll er mein Heil, gesättigt, befriedigt vom Leben.“
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Ein Psalmlied für den Sabbattag.
Wie ist's so schön, dem Ewigen zu danken
Und zu lobsingen Deinem Namen, Höchster!
Am Morgen Deine Gnade zu verkünden
Und Deine Treue preisen in den Nächten
Mit Flöten, Saitenspiel und Harfenklang.
Denn Du erfreust mich, Herr mit Deinen Taten;
Ich jauchze ob der Werke Deiner Hand.
Wie groß, o Gott, sind Deine Wundertaten,
Und Deine Pläne, wie unendlich tief!
Der Unverständige sieht das nicht ein,
Der Tor, der blöde, kann das nicht begreifen.
Wenn auch die Frevler grünen wie das Gras,
Wenn Übeltäter blüh'n — so geh'n sie doch
Der ewigen Vernichtung nur entgegen.
Du, Herr, Du bist in Ewigkeit erhaben.
Und Deine Feinde alle geh'n dahin,
Die Übeltäter stäuben auseinander.
Mein Horn erhebest Du, dem Waldstier gleich.
Mit frischem Öle salbest Du mein Haupt.
Mein Auge schaut an meinen Neidern Schmach
Ich hör's, wenn Bosheit wider mich sich rüstet.
Der Fromme blüht der Palme gleich empor.
Er sprosset gleich der Zeder Libanons.
Im Haus des Ewigen sind sie gepflanzt,
Sie blühen in den Höfen uns'res Herrn,
Sie müssen noch im späten Alter grünen,
Sie müssen frisch und saftvoll immer sein,
Um zu verkünden, daß der Herr gerecht,
Mein Schutzfels, und kein Mangel ist an ihm!
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Heil denen, die in Deinem Hause wohnen, die Dich preisen immerdar! Heil dem Volke, dem's also geworden, Heil dem Volke, dessen Gott der Ewige ist!
(Ein Loblied Davids.)
Herr, ich will Dich erheben, Du bist König,
Will Deinen Namen preisen für und für.
An jedem Tage, Herr, will ich Dich rühmen,
Will loben Deinen Namen jederzeit.
Denn Du bist groß und angebetet, Herr,
Und Deine Größe, sie ist unerforschlich.
Die Zeiten alle preisen Deine Taten,
Von Deiner Wundermacht erzählen sie,
Vom hohen Glanze Deiner Herrlichkeit;
Sie sprechen stets von Deinen Wunderwerken.
Von Deiner Größe will auch ich erzählen,
Will, so wie sie, ob Deiner Güte jauchzen:
Allgnädig ist der Herr und voller Huld,
Langmütig ist er und von großer Güte
Und freundlich gegen alle, — seine Gnade
Erstreckt sich über alle seine Wesen.
D'rum müssen alle Wesen, Herr, Dir danken,
Sie müssen Dich ob Deiner Güte segnen,
Von Deines Reiches hoher Herrlichkeit,
Von Deiner Macht und Deinen Wundern sprechen,
Den Menschenkindern allen zu verkünden
Von Deines Reiches hoher Herrlichkeit.
Dein Reich, das ist der Ewigkeiten Reich,
Und Deine Herrschaft währet für und für.
Du stützest, Ewiger, die Fallenden,
Du richtest auf die tief Gebeugten alle,
Die Augen aller sind auf Dich gerichtet
Und Du gibst ihnen Brot zur rechten Zeit.
Du öffnest milde Deine Vaterhand
Und sättigst, was da lebt, mit Wohlgefallen.
Du bist gerecht in allen Deinen Wegen
Und gnadenvoll in allen Deinen Taten;
Bist nahe denen, die zu Dir sich wenden,
Erhörest gern, Die Dich in Wahrheit rufen;
Du tu'st den Willen derer, die Dich ehren,
Du hörest und erfüllest ihr Gebet;
Du bist ein Hüter denen, die Dich lieben,
Und Du vernichtest nur die Übeltäter.
Drum sei mein Mund, Herr, Deines Lobes voll,
Und alles Fleisch, es preise Deinen Namen
Von jetzt an bis in alle Ewigkeit.
Wir auch, wir alle preisen Dich, o Gott,
Jetzt und in Ewigkeit. Halleluja!
So nimm denn Du, Herr, mein Gott, den Ausspruch meines Mundes in diesen Liedern so auf, als ob ich die Gedanken meines eigenen Herzens vor Dir offenbart hätte. Es will mich bedünken, als ob ich Deinen heiligen Namen nicht würdiger preisen könnte, als in der Weise, wie es die Tausende Deiner Bekenner getan haben in Tausenden von Jahren. Du bist heute derselbe, der Du von je gewesen, Du bist der erste und letzte, und außer Dir ist kein Gott, darum brauche ich nicht Neues zu ersinnen, um Dich zu verherrlichen, weil ich es nicht besser tun könnte, als jene erleuchteten Vorbilder der Gottesverehrung. In ihrem Geiste zu denken und zu fühlen, das sei meine Aufgabe und mein Bestreben. Amen!
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(Dieses Gebet wird auch an allen Hauptfeiertagen gesprochen.)
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Der Odem aller Wesen, die da leben,
Soll preisend Deinen Namen, Herr, erheben,
Und jeder Geist, der denken kann,
Erkenne Dich als König an.
Du bist der König allezeit,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Nur Du — kein anderer ist's je gewesen —
Nur Du allein kannst helfen und erlösen;
Nur Du allein, Du kannst bewahren
Vor Leid und Trübsal und Gefahren.
Von Anbeginn warst Du allein,
Du wirst der Wesen letztes sein;
Du schufest alles, was vorhanden,
Und nichts ist ohne Dich entstanden,
Und fort und fort
Wird nur Dein Wort
Der Welt in ihrem Sein gebieten;
Du leitest sie mit Deiner Liebe,
Um in der Schöpfungen Getriebe,
Die schwachen Wesen zu behüten;
Kein Schlummer kann das Auge Dir bedecken,
Doch Du nur kannst die Schlafenden erwecken,
Den Mund der Stummen machst Du sprechen,
Läßt der Gebundenen Fesseln brechen.
Du stützest die zum Staub Geneigten,
Du richtest auf die Schwergebeugten;
Laß' Dir allein
Uns dankbar sein.
Wenn unser Mund erfüllt von Liedern wäre,
So wie des Wassers voll sind alle Meere,
Und könnte unsre Stimme tönen
So wie der Meereswogen Dröhnen,
Und könnt' um Deines Lobes Willen
Sie selbst den Himmelsraum erfüllen,
Und blickten wir in's Weltenreich
Der Sonne und dem Monde gleich,
Und könnte uns ein Flug gelingen
So mächtig wie mit Adlersschwingen,
Und stiegen wir, gleich der Gazelle,
Auch himmelan mit Windesschnelle:
So könnten wir trotz all' der Gaben,
Nicht Kräfte zur Genüge haben,
Um Dich zu fassen, Dich zu erkennen,
Für Dich das rechte Wort zu nennen,
Wir wären zu gering und klein,
Für eine dankbar Dir zu sein
Von Deinen Gnaden,
Den Myriaden.
Seit, unsre Väter zu erlösen,
Ein starker Helfer Du gewesen,
Seit Du zerrissen ihre Ketten,
Vom Sklavenjoch sie zu erretten,
Seitdem hast Du auch uns, wie diesen,
Dein Heil und Deine Huld erwiesen:
Du hast im Hunger uns erquickt,
Des Segens Fülle uns geschickt,
Und wenn Gefahren
Uns nahe waren,
Wenn Kriegesnot
Uns arg bedroht,
Wenn, matt und krank,
Der Mut uns sank,
Im bösen Tagen,
Voll schwerer Plagen,
Da ließest Du die bösen Zeiten
Vorübergleiten.
Und wie bis heut Barmherzigkeit
Mit Vaterhuld Du uns geweiht,
So achtet ferner Deine Gnade
Auf unsere Pfade.
O Herr! Vor Deinem Angesicht
Verwirf uns nicht.
D'rum beugen wir vor Dir uns nieder.
Dir dienen alle uns're Glieder,
Die Du zum Leibe hast gestaltet.
Und auch der Geist, der in uns waltet
Es dienet diesem Wunderbunde
Der Zunge Kraft in uns'rem Munde,
Sie kann mit ihrem Laut es wagen,
Von Deiner Herrlichkeit zu sagen.
Es spricht der Mund: Dich loben wir,
Und jede Zunge schwört zu Dir,
Und jedes Knie vor Dir sich beugt.
Und jedes Haupt vor Dir sich neigt,
Und jedes Herz ehrfürchtet Dich,
Wir singen Preis Dir inniglich.
So ist es in der Schrift zu lesen:
Mein Geist, mein Leib, mein ganzes Wesen,
Das spricht von Gott: Wer ist Dir gleich
Im Weltenreich?
Es schützet Deine Huld den Armen,
Du schenkst dem Dürftigen Erbarmen,
Daß ihn nicht drängt der Übermut,
Der Starke ihm nicht Leides tut.
Wer will sich Dir zur Seite stellen,
Sich Dir gesellen;
Wer will vermessen
Mit Dir sich messen!
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Ja, Du bist Gott! so groß so groß!
So machterfüllt, so fehlerlos!
Du einzig Wahrer!
Du Ehrfurchtbarer!
Erhaben über alle Geister,
Des Himmels und der Erde Meister,
Wir wollen Dich rühmen, wir wollen Dich preisen
Wir wollen Dir dienen und Ehrfurcht erweisen,
Dich heiligend nennen,
Zu Dir uns bekennen,
Und ohne Wanken
Mit allen Gedanken
Nach Dir verlangen,
An Dir nur hangen,
Wie David gesungen, so wollen wir singen:
Dir Ewigem, Einzigem, Huldigung bringen
Soll meine Seele, die aufwärts strebt,
Und all mein Leben, das in mir lebt,
Soll Benedeien den heiligen Namen
Des Herrlichen, Ewigen, Einzigen.
Amen!
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Herr und Vater! In Deinen heiligen Geboten hast Du die Feier des Sabbates als eine Pflicht von hohem Range für uns bestimmt. „Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke verrichten.“ So lautet das Wort, daß Du vom Sinai gesprochen.
Darum suche ich heute die geweihte Stätte der gemeinsamen Andacht auf, weil ich den Sabbat heiligen will in der Mitte der Deinen.
Hier, in meinem lieben Gotteshause, vermag das Bewußtsein lebhafter in mir zu werden, als im bewegten Treiben der Welt, daß Du, Herr, den Sabbat uns gegeben, damit er eine Wohltat für uns sei. Nur die Einkehr in unser Inneres führt unseren Geist zurück zur wahren Erkenntnis unseres Verhältnisses zu Dir, nur die andachtsvolle Erhebung im Gebete stärkt unser Vertrauen zu Dir und vermindert manches Leid des alltäglichen Lebens, nur der ausgesprochene Dank für die Gaben Deiner Liebe stellt Dich uns lebhaft als unsern Hort und unsere Zuflucht dar, nur die demutsvolle Betrachtung Deiner Größe und Erhabenheit erfüllt uns mit der Empfindung des Glückes, Bekenner Deiner Lehre, treue Anhänger des wahren Gottesglauben zu sein. So wird der Besuch des Gotteshauses, das inbrünstige Gebet, nicht ein Dienst, den wir Dir weihen, sondern eine Wohltat, die wir genießen, eine Freude, die wir Dir verdanken.
O, Herr und Vater, laß mich immer die Freude und die Befriedigung finden, die die Feier des Sabbates gewährt. Und wie ich ihn betrachte als den Tag des Herrn, so will ich auch nie vergessen, daß mit demselben Ausspruche, der den Sabbat einsetzt, Du auch die Arbeit der sechs Tage uns befohlen hast.
Nicht einzig und allein um des Leibes Nahrung sollen wir arbeiten, weil es ja doch töricht ist, zu glauben, daß wir es eben können, denn nicht von unserer Tätigkeit und von unserer Weisheit hängt der Segen ab, der aus dem Werke unserer Hände emporwächst, sondern von Deiner Gnade, und alles, was wir arbeiten und genießen, bleibt, trotz unserer Mühe, ein Geschenk von Dir.
Aber um Dein Gebot zu erfüllen, sollen wir tätig sein, auf daß wir selber weiser und erfahrener und unsern Nebenmenschen nützlich werden. Wahrlich, kein Mensch, dem Du die Kraft zu nützlicher Tätigkeit gegeben hast, ist der Pflicht ledig, sie auch anzuwenden, selbst wenn der Erdengüter Fülle ihn nicht zur Arbeit nötigt.
So soll der Sabbattag mir eine doppelte Mahnung sein: daß ich nie und nimmer vernachlässige, diesen Tag dem Herrn zu weihen durch Gebet und demutsvolles Hintreten vor meinen himmlischen Vater, und daß ich nie und nimmer versäume, das Bewußtsein der Pflicht in mir zu erwecken, daß der Mensch bestimmt ist zu nützlicher Tätigkeit auf Erden. Schenke, mein Gott, hierzu mir Deine Gnade. Amen!
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שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד
לְךָ ה׳ הַגְּדֻלָּה Dein, o Herr, ist alle Größe; was unser Auge und unser Gedanke durchmessen kann, ist nichts vor Dir. Dein, o Herr, ist alle Macht; alle Wesen und alle Welten sind von Deinem Willen abhängig, Dir dienen alle Kräfte der Natur und gehorchen Deinem Winke. Dein, o Herr, ist alle Herrlichkeit; der Himmel und die Erde und alles, was sie schmücket, ist Dein Werk. Dein, o Herr, ist alle Majestät, die sich offenbaret in den Wolken droben, auf der Feste der Erde und in den Fluten des Meeres. Du bist König, Dein ist die Herrschaft, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Erhebet den Ewigen, unsern Gott, und beuget Euch zum Staube vor ihm; denn er ist heilig. Erhebet den Ewigen, unsern Gott, und beuget Euch vor dem Berge seiner Herrlichkeit; denn heilig ist der Ewige, unser Gott.
אַב הָרַחַמִים O Vater der Barmherzigkeit! Erbarme Dich des Volkes Deiner Treuen, gedenke Deines Bundes mit den festen Säulen der Glaubenstreue. Hüte unsere Seele vor bösen Stunden; laß an uns nicht herannahen böse Begierde und Versuchung, sei immerdar unser Retter aus Gefahren und erfülle die Wünsche unseres Herzens, so sie Dir angenehm sind. Amen!
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(Aus dem Gebetbuch von Kämpf.)
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Möge es Dein Wille sein, Ewiger, unser Gott, und Gott unserer Väter, daß Du uns neu werden lassest den kommenden Monat zur Wohlfahrt und zum Segen! Gib uns langes Leben, ein Leben des Friedens und des Wohlergehens, reich an Erwerb und rüstiger Gesundheit; ein Leben voll Gottesfurcht und Sündenscheu, frei von Beschämung und Schande; ein Leben, erheitert durch Wohlstand und Ehre, veredelt durch fromme Werke und gottgefällige Handlungen; ein Leben, in welchem unsere Herzenswünsche nur dann in Erfüllung gehen mögen, wenn sie uns zum Heile sind. Mögen dieses die vereinten Gebete der Gemeinde erflehen! Amen! Selah!
(Aus dem Gebetbuche von Geiger.)
Mein Gott! Laß mich den Anfang und das Ende des kommenden Monats erleben in Kraft und Gesundheit! Sende mir (meinen Eltern) Deinen Beistand, daß ich (sie) an ihm für meine (ihre) Bedürfnisse zu sorgen vermag (vermögen) in Redlichkeit und Ehren! Halte fern von mir und den Meinigen Gefährdung und Beschämung! Mögen die Wünsche meines Herzens in ihm erfüllet werden, so sie Dir, o Herr, wohlgefallen. Dein Reich der Wahrheit und der Liebe werde im Laufe desselben gefördert, auf daß die Zeit der frohen Verheißung immer näher an uns heranrücke: Ein Vater im Himmel, eine Bruderfamilie auf Erden! Amen!
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„Also solltet ihr das Peßachopfer genießen: eure Lenden gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand.“
Die Stunde der Befreiung schlug. Zu Ende war die entwürdigende Sklavenarbeit in Mizrajim; tief atmete die Brust und hoffnungsfreudig blickte das ungetrübte Auge in eine glückliche Zukunft. Das rauhe Scheltwort grausamer Vögte war verstummt. Wie im Traume vernahm das neugeborene Volk die Heilsbotschaft von Gottes Rettung und Befreiung. Und auch uns klingt heute das Freiheitslied aus weiter, weiter Ferne entgegen, verkündet Gottes Kraft und Allmacht, Gottes Gnade und Güte. Andachterfüllt versenken wir uns in die Erinnerung an jenen großen Tag, an dem die befreiten Scharen Israels das Land der Knechtschaft verließen, die Lenden gegürtet, den Stab in der Hand. Schutzengel beschied der Allgütige, wie unsere alten Lehrer melden, an jenem Tage für alle Zeiten und Schicksale der Geschichte, die wir zu erleben bestimmt gewesen sind. Dem Volke, das mit Glaubensmut umgürtet war und den frommen Pilgerstab in treuen Händen trug, sollten sich Völker und Geschlechter gerüstet entgegenstellen. Doch wir fürchteten nichts. Denn der Ewige sprach: „Ich rüste meinen Engel und gürte ihn mit goldenem Rüstzeug.“ Er stand schirmend an des Schilfsmeeres Ufern; er zog schützend durch die Schrecknisse der Wüste; er breitete seine Fittige über die Väter, als sie das verheißene Land betraten. Er begleitete Israel, das Land und Thron verloren, in die Verbannung; er zog mit den versprengten, trauerumhüllten, gramgebeugten Brüdern und Schwestern, die über zerstörte Heiligtümer heiße Tränen vergossen, hinaus in alle Welten bis an der Erde Enden. So „führtest Du das erlöste Volk in Deiner Gnade, leitest es durch Deine Kraft an Deine heilige Stätte.“ Und immer, wenn der verjüngende Strahl der Frühlingssonne die Keime zu lebendiger Triebkraft weckt, wenn die „Blütenboten im Lande gesehen und liebliche Vogelsänge vernommen werden“, gedenken wir der Befreiungstage und feiern freudeerfüllt das Überschreitungsfest Noch immer ist unsere Lende gegürtet, noch immer ist der alte, treue Stab in unsrer Hand. Er soll uns nie und nimmer entfallen. Noch haben wir nicht das Recht, den Schuhriemen zu lösen; wir sind noch nicht am Ziele unserer Weltenwanderung. Noch harrt ein Teil der Menschheit auf Erlösung durch den Glauben an den Einzigen; noch die ganze Menschheit auf die Befreiung aus dem Sklavendienst der Selbstsucht, des Hasses und des seelenerniedrigenden Kampfes um ein menschenwürdiges Leben. Wir stehen noch nicht auf dem geheiligten Erdreich anerkannter Menschenwürde aller Menschenbrüder. Die „Leiden Mizrajims“ sind allzumal noch nicht geheilt. Wir aber preisen Dich, Allgütiger, als den Erlöser. Du hast uns die Freiheit gegeben. Im ewig währender Dankbarkeit begehen wir dieses Fest der Befreiung; wir genießen das ungesäuerte Brot der Armut, das uns an Mizrajims Elend gemahnt und von den Leiden unsrer Ahnen erzählt; das Bitterkraut, das alte Not und gegenwärtige Entbehrung in Erinnerung bringt. Wir dürfen, können nicht vergessen; denn jeder Tag und jedes Fest ist uns der Zuruf: „Gedenke des Auszuges aus Mizrajim.“ So ist bis zu dieser Festesstunde unsere Lende festgegürtet geblieben; wir zweifeln nicht an Deiner Vorsehung und Güte; unser Fuß ist standhaft und dauernd auf dem Boden des Glaubens; unsere Hände halten den Stab fest, den Du in sie gedrückt hast. „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt.“ —
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(An Festtagen oder bei festlicher Gelegenheit.)
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Sei mir gegrüßt, du liebliche Stätte, die meine Sehnsucht aufsucht am Feste des Herrn! Mit Freude und Ehrfurcht betrete ich das Gotteshaus, denn es ist der Ort des Friedens. Hier empfindet der Geist ein süßes Heimatsgefühl denn er ist im Vaterhause. Hier fühlt das Herz sich leicht und froh, denn Freude und Leid bleiben nicht in ihm verschlossen. Die Gedanken des Herzens vor geliebten Menschen aussprechen, ist Freude und Befriedigung, sie aber vor Gott offenbaren, den ich über alles liebe und anbete, das ist Belebung und Wonne. Sei mir gegrüßt, du liebe, heilige Stätte! Du warst von je die Zeugin meines Jubels und meiner Betrübnis, meines Kummers und meines Dankes gegen Gott, und Du sollst es ferner bleiben, solange Gott es mir vergönnt auf Erden. Amen!
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Allgütiger, Allmächtiger! Dich, als den wundertätigen Wohltäter unserer Väter zu preisen und als den wundertätigen Wohltäter all' ihrer Kinder, Deines ganzen Volkes Israel in allen Geschlechtern und eben so als den des ganzen Menschengeschlechtes, darum feiern wir heute zu Deiner Ehre das Fest der Befreiung. Und es ist dieses Fest der Befreiung zugleich das Fest des anbrechenden Frühlings. Wie Du wundertätig stets gewirkt hast in der Geschichte der Menschheit, so wirkst Du ebenfalls in der Natur zum Heile der Menschen.
Lang und düster war der Winter unserer Väter in Ägypten, die Eisdecke harten Druckes, die Strenge kalter Grausamkeit lasteten auf ihrem Schicksal und die finstere Nacht der eigenen Kraftlosigkeit und Verkommenheit umhüllte mit dichtem Gewölk ihren Geist. Du aber, Herr, hast des Bundes gedacht, den Du mit ihren Vätern geschlossen, und hast sie herausgeführt aus der Knechtschaft in die Freiheit, aus der Unterdrückung in die Erlösung, aus der Finsternis zum hellen Lichte. Und Israel ist ein Volk geworden, und das Volk ist die Pflanzstätte der Erkenntnis Deines heiligen Namens geworden, daß er verbreitet werde auf Erden und alle Völker der Erde zu Dir sich wenden, daß auch sie befreiet werden aus der Nacht des Wahnes und des Irrglaubens, um sich zu vereinigen im Reiche des Lichts und der Wahrheit. Darum, o Herr, feiert unser dankbares Herz Dir heute das Fest der Befreiung.
Und wenn wir um uns schauen, auf unsere eigenen Tage und auf das Leben, das uns umgibt, o dann feiert auch unsere Seele ein Befreiungsfest und preiset in Fröhlichkeit Deine ewige, wohltätige Wundermacht. Lang und düster war der Winter, den wir durchlebt, erstarrt und kalt ruhete vor uns die Erde, entkleidet der Pracht, mit der Deine Güte sie geschmückt hatte. Da hast Du Dein schöpferisches Befreiungswort aufs neue gesprochen, und wieder belebt sich die Natur um uns her, und wieder zieht mit doppelter Gewalt die Erkenntnis Deiner Liebe und Deiner Größe in unsere Brust, und alles, was da lebt, feiert in Wonne das Fest der Befreiung.
O Herr! so möge es auch Dein Wille sein, daß Du uns immerdar befreien mögest von allem, was uns bedrückt und ängstigt. Befreie uns von den Banden des Unrechtes und der Torheit, befreie uns von den Schlingen des Unglücks und des Leides, sooft sie uns drohen, auf daß wir fröhlichen Herzens Dir immerdar danken für die Freiheit und für das Wohlsein unseres Leibes und unseres Geistes. Amen!
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Betrachtung.
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„Ma nischtanna.“ „Wodurch ist diese Nacht ausgezeichnet?“ Wer in Israel kennt diese kindliche Frage nicht? Wem klingt sie nicht traulich und feierlich wie eine schöne, sanfte Weise aus grauer Vorzeit? Vor tausend Jahren hat sie der Jüngste der Hausgenossen an den Vater gerichtet, wie heute. Wie heute? Ist denn der Sederabend wirklich noch in den Zelten Jakobs heimisch? Wehmütig bekennen wir, daß die seelenvolle Poesie dieses ebenso zartsinnigen wie ehrwürdigen Familienfestes in vielen, vielen jüdischen Häusern nicht mehr zu finden ist.
Festlich erleuchtet ist die Stube; selbst der Ärmste der Gemeinde hat an diesem Abende seine Festlichter, seinen sauber gedeckten Tisch. Denn Pflicht der Besitzenden ist es, wie stets, so ganz besonders heute dafür zu sorgen, daß der Besitzlose mitfeiern könne das Peßachfest. „Jeder Hungrige komme und esse mit; jeder Bedürftige komme und feiere Peßach mit uns.“ Das ganze Haus ist feierlich gestimmt. Es ist, als ob der Geist der Geschichte leise durch alle Räume ginge und mit sanfter Hand alles Geräte berührte. Hergerichtet ist die gebotene Ordnung des „Seder“. Denn „Seder“ das ist Ordnung. Kiddusch, die heilige Festesweihe und Festesverkündigung ist der erste Schritt in das stimmungsvolle Heiligtum des Abends. Der erste Becher wird getrunken, der Becher der „Erlösung“, dem im Verlauf des Abends die Becher der: „Rettung“, „Befreiung“ und „Erwählung“ folgen. Die Erzählung der „Haggadah“ ist angenehm eingeleitet und unterbrochen von heiligen Gebräuchen und Anwendung von Symbolen, die alle ihren wertvollen Sinn, ihre sinnige Bedeutung haben. Auf silberner oder hölzerner Platte steht das bittere Kraut des Maror, Lattich und Meerrettig; sie sind Erinnerung an unserer Ahnen Bitternis in ältester Ägypterzeit und später; uns selbst oft genug ein Mahnruf in lebendigster Gegenwart. Des Chorauseth bräunliche Masse erinnert an den Lehm und Ton, aus dem die Väter in Mizrajim Ziegel geformt. Das Bratfleisch ist ein trauriger Rest, der kaum mehr an einst reiche Opfermahle und duftiges Peßachlämmchen erinnert; das Ei, die Trauerspeise, ruft uns zu: Denke daran, daß der Trauertag des neunten Ab auf denselben Wochentag fällt, wie der erste Sederabend. Das wichtigste Zeichen jedoch ist die „Mazza“, „das Brot der Armut“, das Brot, das so unendlich viel von ertragenen Leiden und erfahrenen Freuden erzählen könnte. Die symbolischen Handlungen sind von den Aggadahberichten begleitet, von Lobpreisungen und Segnungen. Die kindlichen Fragen nach der besonderen Auszeichnung des Abends werden vom Familienoberhaupte mit einer kurzen Erzählung der Vätergeschichte und der Befreiung aus Mizrajim erwidert. — Die vier charakteristischen Gestalten des „Weisen, Bösen, Schlichten und Unmündigen“ werden lebendig vorgeführt und die Erlösungsgeschichte an der Hand alter Überlieferungen des talmudischen Schrifttums dargestellt. Die zehn ägyptischen Plagen ziehen an uns vorüber und daran knüpft sich die Klarlegung der Bedeutung der drei Hauptzeichen des Festes: Peßach, Mazzah und Maror. Hallel, das herrliche Loblied erklingt mit seinen erhabenen Gedanken und Weisen. Dann unterbricht die Festmahlzeit den „Seder“. Am Schlusse der Mahlzeit jedoch wird jedem Teilnehmer ein Stückchen Mazza „als Afikomon gereicht und wir gedenken Eliehus“, des Propheten, in dem wir den erhofften Messias willkommen heißen wollen und für den wir den „Eliehu-Becher“ auf dem Tische gerüstet haben. Der andere Teil der Hallel-Psalmen schließt sich daran, das große Dankgebet und das herrliche „Nischmath“, das für diesen Abend verfaßt ward. — Liebliche Lieder, die Bedeutung des Festes besingend und Gottes Allmacht in der Welt und seine in unserer Geschichte bewährte Güte preisend, bilden den Schluß des Sederabends, den wir nicht ohne wehmütige Erinnerung an Jerusalem beenden.
So reiht sich an diesen Abend die Übung schöner, sinniger Bräuche aneinander. Alle Glieder der Familie haben sich freudig vereint und auch bedürftige Fremde als Gäste sitzen im Kreise der Feiernden.
Ruhig legen wir unser Haupt zum Schlummer in der „Nacht der Bewachung“ nieder. Denn siehe, „es schläft und schlummert nicht der Hüter Israels“.
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(Vorher Nischmath, siehe Seite 19.)
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Du, Herr, bist der Ewige, unser Gott, der uns aus dem Lande Ägypten geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft.
In diesem Bekenntnis vereinigen sich all' die Gedanken, die der heutige Festtag in uns wachruft, daß wir, beseelt von ihnen, fähig seien, Dich zu preisen als den Unendlichen, den Allmächtigen und Allgütigen.
Ja, nur der Ewige ist unser Gott! Torheit und Nichtigkeit, Wahn und Aberglaube wären alle unsere Vorstellungen von Dir, wollten wir Dich nicht als den Ewigen anerkennen, der erhaben ist über alle Zeit. „Der Ewige ist unser Gott,“ das ist die würdigste Bezeichnung Deiner Größe. Das allein gibt mir die Überzeugung, daß mein Gott der wahre Gott ist. Sind bei dem Gedanken an Dich die Schranken der Zeit gefallen, was hindert mich noch, auch die Schranken des Raumes fallen zu lassen, zu glauben, daß Du allgegenwärtig bist, daß kein Gott neben Dir und außer Dir vorhanden ist, daß Du einzig bist? Was hinderte mich noch, auch die Schranken der Vollkommenheit vor Dir als nicht vorhanden anzunehmen, zu glauben, daß Du allwissend und allweise bist? Ja, ist nur der Ewige, mein Gott, so sind zwar alle Grenzen überschritten, die Dich meinem Geiste faßbar machen, aber in meinem Gemüte fühle ich Dich um so stärker und preise Dich in Demut als den Unendlichen.
Du hast uns aus dem Lande Ägypten geführt. Ist's nichts mehr als ein Ereignis, das die Geschichte uns aufbewahrt hat, um uns Zeugnis davon zu geben, wie das Geschlecht unserer Stammväter, unterdrückt von der Gewalt fremder Herrscher, sich zum freien Volke gestaltet hat? O nein, das Bekenntnis, daß Gott uns aus Ägypten geführt, lehrt uns ihn selbst erkennen, als den allmächtigen Herrn der Welt, der da gebietet über die Herzen der Menschen und über alle Kräfte der Natur.
Ja, Ewiger, Deinem Befehle gehorcht die Erde und das Meer, Du gebietest den Tieren des Feldes und den Wolken des Himmels, Du bist Herr über Leben und Tod, über Licht und Finsternis, in Deiner Hand sind alle Dinge, und unmöglich ist nichts vor Dir. Denn alle Wesen der Körperwelt und alle Kräfte der Natur sind hervorgegangen aus Deinem Willen, Du leitest die Welt und hast sie erschaffen, und hast Deine Macht herrlich bewiesen, als Du mein Volk aus dem Lande Ägypten geführt, denn Du, Ewiger, bist der Allmächtige.
Du hast uns befreit aus dem Hause der Knechtschaft. Nicht war es die Frömmigkeit des unterdrückten Sklavenvolkes, die der Befreiung sie würdig, nicht war es ihr Mut und ihr Freiheitsdrang, der zur Befreiung sie reif gemacht hätte, nicht war es ihre Einsicht, die sie die Sehnsucht empfinden ließ, Gott dem Herrn, zu dienen, unabhängig von dem Drucke der Heiden, im Lande der Götzendiener, und Deine Gnade hat sich dennoch ihrer erbarmt. Du sahest nicht auf ihre Würdigkeit, Du sahest auf ihr Elend; Du gedachtest des Bundes, den Du mit Abraham, Isaak und Jakob geschlossen, und erfülltest Deine Verheißung, Du führtest ihre Nachkommen dem höchsten Glücke entgegen, das je die Menschen erfahren, dem Glücke, Deine heilige Lehre zu empfangen, den Urquell aller Tugend auf Erden. Das alles hat Deine Güte getan, denn Du, Ewiger, bist der Allgütige.
An diesem Gedanken will ich mich erbauen am heutigen Feste des Auszuges aus Ägypten, daß Du, Ewiger, bist der Unendliche, der Allmächtige, der Allgütige. Amen.
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(Dieses Gebet wird auch am Wochen-, Hütten- und Schlußfeste gesprochen.)
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Segensspruch: Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt! Mit Freudigkeit erkennen und vollbringen wir unsere Pflicht, Dich zu preisen in den Gesängen des „Hallel“.
Lobt den Herrn, ihr Diener Gottes, preiset seine Herrlichkeit!
Segnet seinen heil'gen Namen, heut' und bis in Ewigkeit!
Lobet dort ihn, wo die Sonne ihre Himmelsbahn besteigt,
Lobt ihn dort, wo sie am Abend wieder sich zur Ruhe neigt,
Hoch erhaben über Menschen Gottes Pracht am Himmel wohnt!
Wer noch gleichet uns'rem Gotte, der so hoch erhaben thront!
Doch der Große schaut das Kleine, schaut ins Kleinste tief hinein,
In dem Himmel und auf Erden ist dem Großen nichts zu klein.
Und er schaut auch auf die Menschen, sieht auf der Bedrängten Leid,
Hilft dem Armen aus dem Staube, zieht ihn aus der Niedrigkeit,
Ihn zu setzen neben Fürsten. Um des Daseins sich zu freu'n,
Setzt er auch die Unfruchtbare als des Hauses Mutter ein.
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Als Israel gezogen war aus dem Ägypterlande,
Als Jakobs Haus sich frei gemacht von Sklaverei und Schande,
Hat Gott, der Herr, Jehuda sich als Heiligtum erlesen,
Und seiner Herrschaft Untertan ist Israel gewesen.
Da floh das Meer, der Jordan wich, es schwand der Wasserspiegel,
Die Berge hüpften Widdern gleich und Lämmern gleich die Hügel,
Was ist dir, Meer, daß du entweichst? Du, Jordan, bist verronnen?
Was ist gescheh'n euch Bergen, daß zu hüpfen ihr begonnen?
Der Welten Herr ist Jakobs Herr, vor ihm erbebt die Erde
Er ist es, der dem Stein befiehlt, daß er zur Quelle werde.
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Nicht wegen uns, o Herr! um Deiner Güte Willen,
Laß Deines Namens Ruhm die ganze Welt erfüllen.
Was sollen ferner noch die Heiden höhnend fragen:
„Wer weiß den Aufenthalt von ihrem Gott zu sagen?“
Ja wahrlich! unser Gott erfüllt die Himmelsweiten,
Und alles, was geschieht, kann nur sein Wille leiten.
Doch Silber ist's und Gold, und Werk von Menschenhänden
Nur eitle Bilder sind's, wohin ihr Herz sie wenden.
Die haben einen Mund und müssen ewig schweigen,
Und ihrem Auge ist die Nacht der Blindheit eigen,
Und ihren Ohren kann sich nie der Laut verkünden,
Auch ihre Nase hat vom Dufte kein Empfinden,
Sie haben Hände wohl, sie taugen nicht zum Fassen
Und ihre Kehle hat noch nie ein Ton verlassen.
Und wie sie selber sind, sind die, die sie erbauen:
Die Toren, die dem Werk der eignen Torheit trauen.
Doch Israel vertraut nur auf den Herrn, den wahren,
Des Güte, Schutz und Macht sein Volk so oft erfahren;
O, trauet fort und fort, als Priestervolk und Lehrer!
O, trauet fort und fort, ihr wahren Gottverehrer!
——————
Es denkt an uns der Ewige mit seines Segens Spenden,
Um sie dem Hause Israels und Ahrons zuzuwenden;
Und alle, die in seiner Furcht gerecht vor ihm erscheinen,
Sie alle, alle segnet Gott, die Großen und die Kleinen.
So mehre sich sein Segen euch, so soll er nie sich mindern,
So wie der Herr ihn zugedacht nur seinen Lieblingskindern:
Daß seine Gnade jederzeit an euch gefunden werde.
So will es unser Gott, der Herr des Himmels und der Erde,
Und kann sich auch des Menschen Kind zum Himmel nicht erheben,
Die Erde ist sein Eigentum, die hat ihm Gott gegeben.
Die in des Todes Stille ruh'n, sie können Gott nicht loben,
Von uns sei ein „Halleluja“ zum Ewigen erhoben!
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Wie bin ich froh! der Herr erhört mein Flehn, das ich erhoben,
Hat gnädig mir sein Ohr geneigt, drum will ich stets ihn loben.
Ergriffen mich auch immerhin die Angst, der Tiefe Schrecken,
Und sollten Not und Trübsal auch nach mir die Arme strecken,
Dann ruf ich aus: „O hilf, mein Gott, sei gnädig doch mir Armen!“
Allgnädig ist der Herr, mein Gott, ist voll, ist voll Erbarmen.
Die ratlos sind, den' hilft der Herr, bis daß sie Rettung fanden
Ich war so elend! Siehe da! er hat mir beigestanden.
So kehr' zur Ruhe nun zurück, du Seele mein, du trübe,
Es hat der Herr dir wohlgetan in seiner Vaterliebe.
Du hast vom Tode mich befreit, getrocknet meine Tränen.
Nicht darf ich fürder meinen Fuß umstellt von Schlingen wähnen.
Ja, wandeln will ich vor dem Herrn im Lande nun des Lebens,
Und spräch ich jetzt: „ich leide sehr“, ich spräch es aus vergebens,
Wer glaubte es? Und als ich's sprach, war ich vom Schein betrogen,
In Übereilung ist vom Trug des Menschen Blick umzogen.
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Wie soll ich doch dem Herrn vergelten, der so viel Gutes mir erwiesen?
Den Kelch des Heils will ich erheben, sein Name sei durch mich gepriesen!
Vor aller Welt will ich's verkünden, wie ich gelobt, so will ich handeln.
Bei Gott ist schwer der Tod der Frommen, die treu in seinen Wegen wandeln.
Auch ich, Dein Knecht, o Herr, ich hatte vor Dir mich bittend eingefunden,
Ich, Knecht, Sohn Deiner Magd; Du hast der Fesseln gnädig mich entbunden.
Drum bring' ich Dir des Dankes Opfer, drum will ich Deinen Namen preisen,
Und mein Gelöbnis will ich halten und vor der Welt es laut beweisen.
Ich möchte lenken zu den Höfen des heil'gen Tempels meine Schritte!
„Nun lobet Gott!“ so möcht ich rufen, Jerusalem, in Deiner Mitte.
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Lobet Gott, ihr Völker alle, seid zu rühmen ihn bereit,
Mächtig waltet seine Gnade, seine Treu' in Ewigkeit. Halleluja.
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Danket dem Herrn, denn er ist gütig,
Und seine Huld währet ewig!
Singe also, Israel,
Denn seine Huld währet ewig!
Singe also, Ahrons Haus,
Denn seine Huld währet ewig!
Singt, ihr Gottverehrer alle,
Denn seine Huld währet ewig!
In Angst rief ich die Gottheit an, der Gottheit Antwort schuf mir Raum. Der Herr ist mein, ich fürchte nichts. Was kann ein Mensch mir tun! Der Herr ist mein und steht mir bei; ich werde Lust an Feinden schauen. Besser ist, dem Herrn vertrauen, als auf Fürsten sich verlassen. Laßt alle Heiden mich umgeben; beim Ewigen! ich vernichte sie; hier umgeben, dort umgeben, beim Ewigen! ich vernichte sie; wie Bienen umschwärmen, wie Dornenflammen umlodern beim Ew'gen! ich vernichte sie! Wenn alles zustürmt, mich zu stürzen, der Ew'ge steht mir bei. Er ist mein Sieg, mein Saitenspiel, er ward mir zum Triumph. Freudenruf, Siegeslied schallt in den Hütten der Tugendverehrer, die Rechte des Herrn erkämpft den Sieg. Die Rechte des Herrn, sie ist erhaben, die Rechte des Herrn, die den Sieg erkämpft.
Nein! noch sterb' ich nicht, ich lebe, Gottes Taten zu erzählen,
Straft er auch, so will er dennoch nicht den Tod für mich erwählen;
Öffnet mir der Tugend Pforte, will hineingehn, ihm zu danken,
Solch ein Gottestor betreten, die nicht in der Tugend wanken,
Dank Dir, Herr, in Deiner Strafe ließest Du mein Heil mich schauen,
Eckstein ist der Stein geworden, den verwarfen, die da bauen.
Solches ist vom Herrn geschehen, können wir es gleich nicht fassen:
Diesen Tag hat Gott gegeben und zur Lust uns werden lassen.
O Ewiger! steh' uns bei!
O Ewiger! steh' uns bei!
O Ewiger, beglücke!
O Ewiger, beglücke!
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Willkommen im Namen des Herrn! Wir, aus dem Tempel des Herrn, wir segnen Euch!
Allmächtig ist der Ewige, der uns den Tag erscheinen läßt.
Mein Gott bist Du, Dir will ich danken; Du, mein Herr, Dich will ich erheben!
Danket dem Herrn, denn er ist gütig, und seine Huld währet ewig!
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(Dasselbe am Wochen-, Hütten- und Schlußfeste.)
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O Ewiger! Ewiger! Barmherziger Gott! Du bist der Allgnädige, langmütig und von unbegrenzter Huld und Treue, der seine Gnade bewahret bis ins tausendste Geschlecht, der Missetat, Abfall und Sünde vergibt und den Übeltäter losspricht.
(Dreimal.)
Herr des Weltalls! o erfülle die Wünsche meines Herzens, so sie zu meinem Heile gereichen; willfahre meinem Verlangen und erhöre meine Bitte, erhöre mich, Deine Magd, die so gering sich fühlt. O läutere mich, mit aufrichtigem Herzen Deinen Willen zu vollführen, rette mich vor den verderblichen Schlingen der unlauteren Begierde und der bösen Leidenschaft. Gib mir und den Meinigen das Heil, das Deine heilige Lehre den Gerechten zuspricht. Läutere uns alle, damit Dein Geist auf uns ruhe. Erleuchte uns mit dem Geiste der Weisheit und der Einsicht, daß an uns die Verheißung erfüllet werde: „Und es wird auf ihm ruhen der Geist Gottes, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und des Mutes, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht.“
O, möge es Dein Wille sein, mein Gott und meiner Väter Gott, daß ich tugendhaft werde und bleibe und immerdar dem Edlen ergeben sei, und daß ich den Weg der Redlichen vor Dir wandle.
Laß' uns alle die Heiligkeit des Wandels suchen nach Deinen Geboten, damit wir eines langen Lebens in dieser Welt und eines seligen Lebens in der Ewigkeit würdig befunden werden. Bewahre uns vor bösen Taten und vor bösen Zeiten, die mit Ungestüm die Welt heimsuchen.
Wer auf Gott vertraut, dem ist seine Gnade nahe. Amen.
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד
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Betrachtung.
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„Gib Tau und Regen zum Segen dem Erdreich“; „Du bist es, der den Windhauch wehen und den Regen fallen läßt“; so beten wir während eines großen Teiles des Jahres alltäglich im Morgen- und Abendgebete. Wir beten es nicht für Israel allein, sondern für die ganze Menschheit in der ganzen weiten Welt. Denn der Erde Grund ist einer, des Himmels Höhe eine, des Wassers Tiefe eine für alle Menschenkinder. So weitet sich der Blick hinaus in die Unendlichkeit, hebt das allumfassende Gefühl über beengende Grenzen. Gottes Walten im Reiche der Natur erkennen und bekennen wir ehrfürchtig. Grünende Fluren, rauschende Wälder, prangende Blumen, duftende Blüten, wogende Saaten, nährende Früchte — die Erde spendet sie in unendlicher Macht und Fülle. Mit berauschendem Entzücken weilt der Menschen sonniges Auge auf gesegneten Triften und Äckern. Auf das Haupt des emsigen Landmanns, der mit nervigen Armen die Pflugschar führt, die Körner streut, die Egge zieht, fleht der dankbare Erdensohn den Segen des Himmels herab. Und wenn die Arbeit getan, das Feld bestellt ist und durstige Halme den Boden decken, blickt das Auge zum Himmel empor, die Hände falten sich und fromme Lippen lispeln: „Gib Tau und Regen zum Segen dem Erdreich“. Zähme, o Gott, die Kraft der Elemente. Des Donners drohendes Rollen, der Blitze fahles Zucken, lasse sie nicht zum Verderben und Schrecken werden. Dämme die Wasserflut, mildere die Sonnenglut. — Am ersten Tage des Peßachfestes, wenn wir das Fest der Befreiung feiern, das uns den Frühling unserer Geschichte kündet, vergessen wir selbstlos des eignen Geschickes und gedenken in Liebe aller Menschenbrüder. Er, der uns wundertätig durch das Meer geleitet hat, der Wüste Schrecknisse überwinden ließ, Er so beten wir innig, möge die Winterfesseln der Natur in Güte lösen, die starre Scholle lockern, der Keime Triebkraft wecken, damit den Menschen ihr unermüdlicher Fleiß gelohnt und nährendes Brot zuteil werde. Die leuchtenden Tropfen, die am taufrischen Morgen am Angergrase zittern, sie sind Sinnbilder der Tränen der Sorge und der Freude. „Denn belebender, erquickender Tau ist Dein.“ Wie aus dem Erdenmutterschoße sich das Körnlein aus Dunkel zum Lichte ringt, so möge Gott auch uns das Werk gedeihen lassen, die Saat, die wir am Morgen gesät und am Abend, uns dem Glücke entgegenführen.
Wenn wir im Herbstesgrau das Hüttenfest beschließen und die Festgedanken zum Ergebnis sammeln; wenn der Winzer den Weinberg reich belohnt verläßt, Kelter und Tenne gefüllt sind und aller Früchte Erntesegen unversehrt die Speicher schmückt; dann wendet sich wieder unser dankbares Gemüt zum himmlischen Vater. Wieder erweitert sich uns das Volksgefühl zum Menschentum, wird uns das geschichtlich-religiöse Festgebet zum Weltgebete. Die Stammväter, deren wir in Ehrfurcht gedenken, werden zu Vätern der Menschen, die Mütter zu Menschenmüttern, der waltende Gott Israels zum liebevollen Weltengotte. Die große Vergangenheit gliedert sich bescheiden dem Ganzen der Geschichte an und mit erlösender Begeisterung umschließt unser Festgedanke alle. Wie frischer Regenguß die duftende Erde befruchtet und schlummernde Kräfte weckt, wie kühlender Windhauch schweifende Wolken sammelt und scheucht, so wirkt die Menschenliebe auf jegliches Menschenherz. Wie die gewaltige Kraft der Natur zu neuem Leben in Ruhe- und Restzeit Atem schöpft, so mögen auch wir, wenn es Zeit ist, in stiller Sammlung zu erneuter, sittlicher Tatkraft uns rüsten. All unser Denken und Fühlen und Tun gedeihe unserem Volke und heiligen Glauben
„zum Segen und nicht zum Fluche
zur Sättigung und nicht zum Hunger
zum Leben und nicht zum Tode.“
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Bald ist nun der Kampf vorüber,
Und die milde Sonne siegt,
Darum ist mein Herz so fröhlich,
Meine Seele so vergnügt.
Nach dem Frühling war mein Sehnen.
O, nun ist es bald erfüllt!
Süße Lust der Frühlingsahnung
Zieht ins Herz mir warm und mild.
Bald ist nun der Kampf vorüber,
Und es bricht des Winters Macht!
Schon gewichen sind die Stürme,
Kürzer wird die kalte Nacht!
Nicht mehr strömen rauh hernieder
Feuchte Flocken sonder Zahl,
Durch der Wolken graue Decke
Bricht hervor der lichte Strahl!
Ach, es waren schlimme Tage!
Böse war die Winterzeit!
O, wir suchten scheu und schüchtern
Schützend Dach und warmes Kleid.
Ach, und wem der Güter Fülle
Nicht die schwache Hilfe bot,
Zehnfach bitter mußt' er fühlen
Wintershärte, Wintersnot.
Nun, Gottlob! es ist vorüber!
Und es kündet seine Spur
Tausendfach der holde Frühling
Freundlich an in Feld und Flur!
Droben nur noch trübe Schatten
Einzeln schnell vorüberflieh'n,
Und auf Erden keimt und sprosset
Lächelnd auf ein junges Grün.
Abgestreift von meinem Geiste
Wird der Fessel letzter Rest,
Jubelnd feiert meine Seele
Heute ein Befreiungsfest.
Neuer Mut und neues Leben
So ist's Israel gewesen
Nach Ägyptens Winternacht.
O, es faßten die Befreiten
Der Befreiung Wonne kaum,
Also ist ein süß Erwachen
Nach dem bösen, langen Traum!
Darum eil' ich, Dich zu preisen,
Vater, vor Dein Angesicht!
Du verließest uns, die Deinen,
Auch in trüben Tagen nicht.
Wirst auch ferner uns bewahren,
Wirst uns stets ein Hüter sein!
Bringst den Frühling und den Sommer
Uns zum Segen und Gedeih'n!
Du wirst Tau und Regen spenden
Zu der Erde Fruchtbarkeit
Auch in diesem Jahre wieder,
Immerdar zur rechten Zeit.
Ja, wir wissen, daß der Vater
Alle seine Kinder liebt,
Daß er nimmermehr ihr Leben
Dem Verderben übergibt.
Wir, wir können es nicht schaffen,
Doch wir können Dir vertrau'n,
Können auch in diesem Jahre
Hoffend auf den Sommer schau'n.
Du, o Herr! befiehlst den Wolken
Durch Dein göttlich Allmachtswort!
Daß sie kommen, daß sie gehen,
Uns zum Segen fort und fort,
Daß die Sonne sie verhüllen,
Wenn ihr Strahl uns wird zur Glut,
Daß sie schwinden, wenn zu lange
Niederströmt des Regens Flut.
Du, o Herr! befiehlst dem Strome,
Daß er bleibt in seinem Gleis!
Du, Du bist es, der dem Blitze
Seinen Weg zu zeigen weiß!
Du, Du bist es, der im Taue
Himmelsgnade niedersenkt,
Der auf reiche Segensbahnen
Wunderbar die Winde lenkt!
Darum zieht die Frühlingsahnung
Mir ins Herz so warm und mild,
Und mein Hoffen und mein Sehnen
Ist nun bald so süß gestillt.
Bald ist nun der Kampf vorüber
Und die milde Sonne siegt,
Darum ist mein Herz so fröhlich,
Meine Seele so vergnügt.
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„Gott der Herr ist meine Kraft, meinem Fuße verleiht er Behendigkeit, er läßt mich auf meinen Höhen wandeln.“
So kündet das Prophetenwort am heutigen Tage die Größe und Bedeutung des Segens an, der uns in der Stunde zuteil geworden war, in der wir das heilige Gesetz, die Thora, empfingen. „Gott der Herr ist meine Kraft, er läßt mich auf meinen Höhen wandeln“; das ist der Wahlspruch, der uns zur Selbstvollendung emporführt; das ist der Wegweiser zu sittlicher Vollkommenheit. Zunächst sind wir von der Vorsehung dazu ausersehen gewesen, dieses heilige Gesetz zu empfangen und zu verbreiten. In jener feierlich-großen Stunde galt das große Wort: „Heute bist Du zum Volke geworden Deinem Gotte.“ Wann ist dieser Geburtstag Israels? Das ist der Tag, an dem der Ewige seinem Volke die „Kraft“ verlieh, den „Frieden“ gab. Denn die Thora ist die „Kraft“, die nie versagt und nie versiegt, sie ist der unwandelbare, ewige „Friede“. Sie ist die „Kraft“, die sich jahrtausendelang bewährt, der „Friede“, der durch nichts gestört wird, der Geburtstag der Thora! Wir feiern ihn stolz, wir feiern ihn glücklich; wir feiern ihn in demütiger Anerkennung der unerreichbaren Größe, der unergründlichen Tiefe des Thorawortes, Thorageistes. Sie hat den Siegeszug durch die Welt angetreten, hat Menschenherzen, Menschenseelen erobert und bezwungen. „Du stiegest empor, nahmst gefangen, machtest Menschen zu Deinen Geschenken.“ Mit dem Doppeldiadem des Gehorsams und der Tat wurden nach alter Sage die Väter gekrönt, als sie die Heilsbotschaft Gottes mit den Worten empfingen: „Wir wollen nach dem Gesetze handeln und gehorchen.“ Mit der Krone der Tugend und des Glaubens wird die ganze Menschheit gekrönt durch die Thora. Zum Eigentum der gesitteten Menschheit ist sie geworden. Erfüllt hat sich der alten Weisen Lehre und Deutung: „Die Erde erzitterte und alle Bewohner, als das „Ich“ die Säulen der Erde feststellte“ — jenes „Ich“, mit dem die zehn Gebote beginnen. Allumfassend war die Botschaft; sie erfüllt die ganze gesittete Welt. Wie die Wüste, wo sie zum erstenmal gehört war, niemandem eignet, so ist sie, diese Thora, jedwedem zu eigen, der sie annimmt; wie das Weltmeer, so ist sie weltumarmend; wie Wasser und Feuer nicht feil und käuflich sind, so sind Moral und Glaube. Als Allgemeingut war die Thora gedacht. Dieser Tag ist nicht allein der Geburtstag Israels; er ist der Geburtstag festgegründeter Sittlichkeit. Und wir sollten ihn nicht festlich begehen? sollten nicht die heilige Lade mit Kränzen umwinden? sollten nicht Blumen streuen auf den Weg der Thora, deren „Pfade allesamt sind Lieblichkeit“? Wir sollten nicht in inbrünstiger Dankbarkeit der Zeit gedenken, die uns zum Lehrmeister der Welt gemacht, uns, die vielgeschmähten Stiefkinder der Menschheit, zu den liebeerfüllten Spendern von Friede, Freude und Liebe?! Die „Wüsten freuen sich und Steppen jubeln“; die Wüsten der Lieblosigkeit, die Steppen der Menschenverfeindung, denn einzieht die Lehre der Menschenliebe. Wir wollen Sendboten sein und bleiben dieser Lehre, im Zeichen dieser „Kraft“ auf unseren Höhen wandeln.
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Allgütiger! Das liebliche Fest der Erstlingsfrüchte begrüßt uns wieder mit dem zauberischen Lächeln seines holden Angesichts. Da wird auch unser Angesicht heiter, unser Herz fröhlich, und das Wort des Gebetes wird auf unseren Lippen zum heiteren Jubelton innerer Fröhlichkeit. Was kann das Herz des Menschen mehr entzücken als der Anblick der Natur, die da pranget in ihrer ganzen Herrlichkeit! Das ist eine Freude, die höher steht, als alle anderen Freuden, die gemeinsamer Anteil der Menschen sind, denn sie ist unvergänglich, wenn auch dem Wechsel unterworfen; im Hinschwinden dieser Schönheit liegt schon die Gewißheit des Wiederentstehens. Und wenn sie eingetreten ist, diese Verjüngung, so hat sie nichts von ihrer Anmut verloren, nichts von ihrer Kraft eingebüßt, keines ihrer Wunder ist geringer geworden. Der aus Deinem Munde wieder gerufene Frühling ist derselbe heitere Garten Gottes, der in den Tagen meiner Kindheit meine jugendliche Seele ergötzte, der, immer wiederkehrend, jahraus jahrein mir seine Freuden zum Genusse bot, und der mit süßem Schmeichelton noch in der Brust des Greises und der Greisin die sanfte Empfindung inniger Lebensfreude erweckt und das Bekenntnis hervorruft: Freue, Mensch, Dich Deiner Erde, freue, Mensch, Dich ihres Schöpfers! Wie ist sein Werk so schön!
Nicht wir Menschen allein sind es, die nunmehr ein Fest zu Deinem Preise feiern, Allgütiger. Die ganze Natur hat festlich sich geschmückt, auch sie stimmt ein in unsern Jubel; der heitere Morgen, der freundliche Abend, das junge Grün des Waldes, die Fröhlichkeit der Tiere auf Erden, alles! alles preiset Gott, alles spricht vernehmlich: Halleluja! Gott ist die Liebe, Halleluja!
Wie aber? Ist es denn des Menschen würdig, nicht mehr zu wollen, nicht mehr zu bedürfen, als alle Dinge ringsumher? Unterscheidet sich mein Frühlingsfest nicht von dem Frühlingsfeste der Natur? Reicht es hin zu meiner Befriedigung, wenn in der Schönheit der Erde meine Sinne ihr Genüge finden?
O nein, mein Gott, ich feiere heute noch ein anderes, noch ein höheres Fest der Erstlingsfrüchte!
Einst lag ein harter, starrer Winter auf den Ahnen meines Volkes, auf dem Volke, das Du um ihrer frommen Väter willen bestimmt hattest, die Verkündiger des Frühlings zu werden, der dem Menschengeschlecht anbrechen sollte in der Welt des Geistes. Da hast Du, Allmächtiger, mit starker Hand die Eisdecke der Sklaverei gespalten, da hast Du die Deinen erweckt aus dem Winterschlaf geistiger Finsternis, da hast Du unter ihnen in Deiner wunderbaren Erlösung die Saat ausgestreut, aus der das Heil der ganzen Menschheit für alle Geschlechter auf Erden erblühen sollte, und als am Sinai Dein Donnerwetter ertönte, da war das herrliche, unvergängliche, menschenbeglückende Gesetz die Erstlingsfrucht des anbrechenden Frühlings.
Ja, das ist das Fest, das ich feiere, daß ich Deiner Liebe mich freue, die sich offenbaret in der Körperwelt und daß ich Deiner Liebe mich freue, die sich offenbart in Deiner heiligen Lehre.
Und daß ich einzudringen versuche in die Weisheit Deiner heiligen Gebote vom Sinai, daß ich betrachte, wie sie auch mir zum Heile und zur Glückseligkeit gegeben sind, das sei die Aufgabe, die am morgenden Tage des Festes mich beschäftigen soll!
Allgütiger, Deine Liebe ist mein Glück, Deine Zufriedenheit mein Streben. Amen!
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(Vorher Nischmath Seite 19.)
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Urquell aller Weisheit! Du, mein Gott, der Du die Menschen beglückt hast durch Deine heilige Lehre, Dir will auch ich danken, daß ich dieser Lehre teilhaftig bin. Darum sei heut, am Feste der Gesetzgebung meine Andachtsübung, daß ich mich beschäftige mit den Geboten, die Du am Sinai verkündigt, die Du ausgesprochen hast unter dem Schalle der mächtigen Posaune, die erweckend forttönt für jedes willige Menschenohr bis zu den spätesten Geschlechtern.
Du wolltest es, o Herr, daß die Menschen nicht ferner in der Finsternis wandeln, daß das Licht der Wahrheit sie erleuchte und ihnen den Blick eröffne weit über die Zeitlichkeit hinaus. Du wolltest sie lehren, daß nichts von allem, was entsteht und vergeht, ein würdiges Ziel ihrer Anbetung sei und Du sprachst es aus: „Ich, der Ewige, bin Dein Gott!“
Du wolltest, daß die Menschen nicht bangen und zagen, sich dem Erhabensten zu nahen, daß sie nicht glauben sollen: der Allmächtige ist zu groß für mich, zu erhaben für meine Verehrung; zwischen ihm und mir liegen Millionen Dinge, die Macht über mich haben und über mein Bestehen; all die Kräfte der Natur, all die wunderbaren Erscheinungen am Himmel und auf Erden, warum sollte ich sie nicht anbeten? Oder daß sie sprechen: Der Erhabene, der Unkörperliche ist unfaßbar für mich, ich will ihn mir darstellen im Bilde, und Du sprachst es aus: „Du sollst keine andern Götter haben vor meinem Angesichte!“
Du wolltest, daß die Menschen, trotz der Gewißheit, daß Du ihnen nahe bist und nahe sein willst, und es keinen Vermittler gibt zwischen Dir und ihnen, sich dennoch mit allen Kräften ihrer Seele zu Dir erheben, und nicht Deinen heiligen Namen aussprechen, als hätte Deine Herrlichkeit sich herabgelassen zu ihrer Niedrigkeit, und Du sprachst es aus: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht vergeblich führen!“
Du wolltest, daß die Menschen Dich verehren als den Schöpfer der Welt, der durch sein Schöpfungswort sie aus dem Nichts hervorgerufen, der noch fort und fort in Ewigkeit sie regieret und leitet, Du wolltest, daß diesem Gedanken ein Tag geweiht sei, der an die Vollendung Deines Schöpfungswerkes sie erinnere, und der sie mahne, daß Du es bist, der für sie sorgt und nicht ihrer Hände Werk, und Du sprachst es aus: „Gedenk des Sabbattages, daß Du ihn heiligest!“
Du wolltest, daß die Liebe herrsche unter den Menschen, und Du pflanztest sie ein in ihr Herz, daß sie die Grundlage sei menschlicher Güte und menschlicher Tugend, und Du wolltest, daß der Mensch ihr Dasein und ihre Macht nimmer verleugne, darum schufst Du auf Erden ein sichtbares Abbild Deiner eigenen Liebe in den Herzen der Eltern, und Du sprachst es aus: „Ehre Deinen Vater und Deine Mutter!“
Du wolltest, daß der Frieden herrsche unter den Menschen, daß der eine seine Kraft nicht mißbrauche, dem andern zu schaden an seinem Leibe und an seinem Wohlsein, daß der Starke nicht Herr sei des Schwachen, der Mächtige nicht vernichte den Machtlosen, und Du sprachst es aus: „Du sollst nicht morden!“
Du wolltest, daß die Unschuld herrsche unter den Menschen, daß Sitte und Selbstbeherrschung sie veredle, daß das Band der Liebe und Treue die Menschen zu Familien eine, und die Familie zum Vorbild diene für die Vereinigung aller Menschen untereinander, und Du sprachst es aus: „Du sollst nicht ehebrechen.“
Du wolltest, daß Redlichkeit und Vertrauen herrsche unter den Menschen, daß nicht der eine rechtlos genieße, was der andere erworben, daß nicht Bosheit und List sich bereichere und der Fleiß und die Rechtschaffenheit darbe, daß nicht die Gewalt siege über die Gerechtigkeit, und Du sprachst es aus: „Du sollst nicht stehlen!“
Du wolltest, daß die Lüge verbannt sei und verachtet unter den Menschen, daß der Tückische nicht schände den Namen des Unschuldigen, die Gerechtigkeit nicht verhüllt werde von dem Gewebe des Truges, der Gerechte sicher sei vor der Verleumdung des Lasterhaften, und Du sprachst es aus: „Du sollst nicht falsches Zeugnis aussagen wider Deinen Nebenmenschen!“
Und Du wolltest, daß der Mensch sorgsam achte auf sich selber, daß er selbst der Wächter seiner Tugend sei, daß die bösen Leidenschaften nicht über ihn Herr werden, daß er nicht der Genußsucht und der Habgier zur Beute werde, sondern sein Anteil in Zufriedenheit genieße und nach seinen Kräften Gutes wirke, und Du sprachst es aus: „Du sollst nicht begehren, was Deinem Nächsten gehört!“
Das sind Deine heiligen Gebote, o Herr! Sei mir gnädig und gib mir Kraft und Willen, sie zu üben in allen Tagen meines Lebens. Amen!
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(Seite 39.)
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(Seite 44.)
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(2. Buch Mose, Kap. 19 u. 20.)
[Vorlesung aus der Thora am ersten Tage des Wochenfestes.]
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Im dritten Monate nach dem Auszuge der Kinder Israel aus dem Lande Ägypten, an eben diesem Tage kamen sie in die Wüste Sinai. Sie zogen von Rephidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten in der Wüste; also lagerte Israel daselbst dem Berge gegenüber. Und Mose stieg hinauf zu Gott, und es rief ihn der Herr vom Berge, sprechend: so sollst du sprechen zum Hause Jakobs und verkünden den Kindern Israels: „Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern getan habe, und wie ich euch auf Adlersflügeln getragen, und wie ich euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr meiner Stimme gehorchen und meinen Bund hüten wollt, dann sollt ihr mir ein auserlesenes Volk von allen Völkern sein, denn mein ist die ganze Erde. Und ihr sollt mir sein ein Reich von Priestern und eine heilige Gemeinde. Dieses sind die Worte, welche du zu den Kindern Israels reden sollst.“ Und Mose kam und rief die Ältesten des Volkes und legte ihnen alle diese Worte vor, welche der Herr ihm geboten hatte. Da antwortete das ganze Volk einstimmig und sie sprachen: „Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun“. Und Mose brachte die Worte des Volkes vor den Ewigen zurück. Und der Ewige sprach zu Mose: „Siehe, ich komme zu dir in einem dichten Gewölke, damit das Volk es höre, wenn ich mit dir rede, daß sie auch dir glauben immerdar“. Und es verkündete Mose die Worte des Volkes dem Ewigen. Und der Ewige sprach zu Mose: „Gehe zum Volke, und sie mögen sich heilig halten heute und morgen, und ihre Kleider sollen sie waschen. Und sie sollen bereit sein für den dritten Tag, denn am dritten Tag wird der Herr sich herablassen vor den Augen des ganzen Volkes auf den Berg Sinai. Du aber sollst das Volk ringsumher abgrenzen sprechend: Hütet euch, den Berg zu besteigen, oder sein Ende zu berühren; wer den Berg anrührt, soll des Todes sein.
Keine Hand soll ihn berühren, er soll gesteinigt oder erschossen werden, es sei Tier oder Mensch, es soll nicht leben; wenn aber das Horn lang ertönt, dann können sie den Berg besteigen. Und Mose stieg hinab vom Berge und heiligte das Volk und sie wuschen ihre Kleider. Und er sprach zum Volke: seid bereit auf den dritten Tag, es nahe keiner einem Weibe. Und es war am dritten Tage, als es Morgen wurde, da waren Donner und Blitze und eine schwere Wolke auf dem Berge und auch die Stimme einer sehr mächtigen Posaune, und es zitterte alles Volk, welches im Lager war. Und es führte Mose das Volk dem Herrn entgegen vom Lager und sie stellten sich hin unten am Berge. Und der Berg Sinai rauchte ganz und gar, weil der Herr sich auf ihn herabgelassen hatte im Feuer, und der Rauch stieg von ihm auf, wie der Rauch eines Ofens, und der ganze Berg bebte sehr. Und die Stimme der Posaune hielt an und verstärkte sich mächtig, Mose redete, und Gott antwortete ihm im Donner. Und es ließ sich nieder der Herr auf den Berg Sinai, auf die Spitze des Berges, und Mose stieg hinauf. Und der Herr sprach zu Mose: steige hinab und warne das Volk, daß sie nicht hinzudrängen zum Herrn, um zu schauen, es könnten sonst viele von ihnen fallen. Auch die Priester, die da hintreten zum Herrn, sollen sich heilig halten, daß der Herr nicht einbreche unter sie. Da sprach Mose zum Herrn: Das Volk kann den Berg Sinai nicht besteigen, denn Du hast uns gewarnt, sprechend: umzäune den Berg und heilige ihn. Da sprach der Herr zu ihm: gehe hinab und steige hinauf, du und Aharon mit dir; aber die Priester und das Volk sollen nicht hinzudrängen, hinaufzusteigen zum Herrn, daß er nicht unter sie einbreche. Da stieg Mose hinab zum Volke und sagte es ihnen.
Und Gott redete alle diese Worte, sprechend:
„Ich bin der Ewige, dein Gott, der ich dich herausgeführt habe aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft.
Du sollst keine andern Götter haben vor meinem Angesicht. Du sollst dir kein Bild machen und keinerlei Gestalt weder von dem, was im Himmel oben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht; denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifervoller Gott, der da ahndet die Schuld der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Geschlecht bei denen, die mich hassen, der aber Gnade erweiset bis ins tausendste Geschlecht denen, die mich lieben und meine Gebote halten.
Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht vergeblich führen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen vergeblich führt.
Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Geschäfte verrichten, der siebente Tag aber ist ein Ruhetag für den Herrn, deinen Gott. Da sollst du kein Werk tun, weder du, noch dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh und dein Fremdling, der in deinen Toren ist; denn in sechs Tagen hat der Herr den Himmel und die Erde geschaffen, das Meer und alles was darin ist, und am siebenten Tage hat er geruht; darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.
Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf daß deine Tage lang werden auf der Erde, welche der Herr, dein Gott, dir gibt.
Du sollst nicht morden.
Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen.
Du sollst nicht falsches Zeugnis aussagen wider deinen Nächsten.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, seinen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel und alles, was deinem Nächsten gehört.“
Und alles Volk nahm den Donner und die Flammen wahr und die Stimme der Posaune und den rauchenden Berg und es bebte und stellte sich von ferne. Und sie sprachen zu Mose: „Rede du mit uns, so wollen wir hören, möge nicht Gott mit uns reden, wir müssen sonst sterben“. Da sprach Mose zum Volke: „Fürchtet euch nicht, denn um euch zu prüfen, ist Gott gekommen, und damit seine Ehrfurcht auf eurem Angesicht sein soll, damit ihr nicht sündiget“. Und das Volk stellte sich von ferne, und Mose trat in das dichte Gewölk, woselbst Gott war.
Und der Herr sprach zu Mose: So sollst du sprechen zu den Kindern Israel: ihr habt gesehen, daß ich vom Himmel mit euch geredet habe. Ihr sollt nicht neben mir machen silberne Götter, und goldene Götter sollt ihr euch nicht machen. Einen Altar von Erde sollst du mir machen und darauf opfern deine Ganzopfer, deine Freudenopfer, dein Kleinvieh und dein Rindvieh; an jedem Orte, wo ich meinen Namen preisen höre, werde ich zu dir kommen und dich segnen. Und wenn du einen Altar von Steinen mir errichten willst, so sollst du ihn nicht aufbauen von gehauenen Steinen, denn wenn du dein Eisen über sie geschwungen, so hast du sie entweiht. Du sollst auch nicht auf Stufen hinaufsteigen zu meinem Altar, daß deine Blöße auf ihm nicht offenbar werde.
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Das Fest der Hütten ist das Fest der Freude. An keinem anderen, wie an diesem Jahresfeste, schreibt uns die religiöse Satzung die Freude vor. „Freue dich an deinem Feste, du, dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, der Levite, der Fremde, Waise und Witwe.“ Wir erinnern uns in kindlicher Dankbarkeit der göttlichen Gnadenwaltung, die unseren Vätern bei ihrem Zuge durch die Wüste zuteil geworden war. Wie die schwanke Hütte ihnen sicheren Schutz gewährte gegen Hitze und Kälte und das Zelt des Wanderers stark genug war, feindlichem Angriffe zu widerstehen.
Wenn die Früchte des Herbstes eingesammelt werden, feiern wir das Fest der Hütten, das gleichzeitig ein fröhliches Erntefest war und ist. Und als Zeichen des Erntesegens bringen wir in den traulichen Kreis der Behausung wie in den geweihten Kreis des Gotteshauses die Palmenblätter, Myrtenzweiglein, Bachweiden und die goldige Ethrogfrucht, sie alle in unseren Händen vereint zu einem Bunde, wie die Hausgenossen von einem Familienbande umschlossen sind und zu gemeinsamer Freude sich friedlich vereinigen. Die bescheidene Hütte ist uns nicht minder ein Zeichen der Demut und der Zufriedenheit, des stillen Glückes, das die kampfgewohnten Menschen beruhigt und vereinigt. So verkündet das „Fest der Freude“ mit seinen sinnigen Zeichen den Frieden und die Eintracht. Ist die Palme das Sinnbild der männlichen Kraft, dann ist die Myrte mit ihrem sanften Glanze und würzigem Dufte, dem Weiß der vollen Blüte dem Frauenbilde gleich; und der Weide bescheidener Zweig, vereint mit dem prunkvollen Goldgelb der Ethrogfrucht, stellt den ersehnten Ausgleich dar zwischen Beglückten und Bedrückten. Alle finden sich zusammen unter gemeinsamem Dache der Hütte, über welcher der allen gleiche Himmel sich wölbt. Alles aber stellt uns den Geist des Glaubens dar, den Geist der heiligen Lehre, der unser jüdisches Leben durchdringt und umringt; der auch das Hüttenfreudenfest in deutlicher Rede verkündet. Denn es erzählt von Gottes Liebe und Beschirmung, von reiner, inniger Freude, die allen Menschen zuteil wird. Es ruft uns mit lockender, sanfter Stimme in die vor Einsturz sichere Hütte aufrichtigen Gottvertrauens, in der wir Schatten finden am Tage vor der Sonnenglut, der Leidenschaft, der Mißgunst und Verirrung, Bergung in der Nacht vor der Kälte liebloser Mitwelt und den Enttäuschungen des ränkevollen, harten Lebens. Wir wollen freudig in Deinem Schutze uns bergen, denn in Deinem Hause weilen Liebe und Freude.
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Herr der Welt, ewig gütiger Wohltäter der Menschen! In Deiner Liebe hast Du uns, den Kindern Deines treuen Volkes, das Hüttenfest eingesetzt, auf daß wir uns freuen sollen vor dem Herrn, unserem Gotte. Und also heißt es in Deiner heiligen Lehre: „Am fünfzehnten Tage des siebenten Monats, wenn ihr eingesammelt habt die Früchte der Erde, da sollt ihr ein Fest feiern dem Ewigen, sieben Tage.“ Da sollen wir anerkennen mit freudigem Danke, daß Du, Herr, wiederum unsere Speicher gefüllt hast mit dem Ertrage der Felder.
Ach, wie so ganz stimmt dieses Gebot mit dem innigsten Bedürfnis unseres Herzens überein! In wessen Seele könnte das Gefühl des Dankes und der Freude unerweckt bleiben bei dem Beginn des Herbstes, wenn der Gedanke sich auf die Größe Deiner Gnade richtet, die sich offenbaret in der Fülle Deiner Gaben, mit der Du in dem nun schon hinschwindenden Sommer unsere Felder gesegnet hast, auf daß wir getrosten Mutes auf die Zeit hinblicken, da nicht Saat und Ernte sein wird.
Bedarf es denn aber eines besonderen Festes, einer absichtlich erregten Stimmung, um uns diesen Dank und diese Freude lebhafter empfinden zu lassen? Erinnert nicht jedes Brot, das wir genießen, das auch im Winter uns nicht fehlt, daran, daß Du, o Herr, der Spender aller Gaben bist, die uns Nahrung und Erquickung gewähren?
Freilich wohl bedarf es eines Festes; und auch hierin, daß Du es uns eingesetzt, gibt sich Deine Liebe kund. Nur allzuweit entfernen die verschiedensten Lebenswege, die verschiedensten Beschäftigungen mit all ihren Gedanken und Sorgen von dem süßesten, reinsten Genuß auf Erden; der Freude und der Erbauung an den Vorgängen in der Natur. Nicht wir alle pflügen den Boden und ernten die Frucht der Saaten. Der Reiche labt sich am gesegneten Tische, doch seine Hand hat keine Furche in die Erde gezogen. Der Arbeiter wendet sich von seiner Werkstatt zum Mahle, aber der Schweiß seines Angesichts galt nicht dem Acker, aus dem sein Brot hervorgegangen ist; und auch derjenige, der den Boden des Geistes fruchtbar macht im Reiche der Gedanken, er ißt das Brot des Feldes, dem er die Frucht nicht entlockt hat durch die Arbeit seiner Hand. Da betrachten wir bald in unserer Alltäglichkeit das uns so Naheliegende teilnahmslos als ein Fernes, und mit der unmittelbaren Beschäftigung mit der Erzeugungskraft der Erde geht uns die Freude verloren an ihrer Fruchtbarkeit und Schönheit.
Da ruft uns denn das frohe Erntefest herbei von allen Grenzen unseres Berufes und spricht zu uns: Kehret zurück, ihr Kinder der Erde! Seht, der liebende Vater hat wieder für euch gesorgt, und wenn auch das Laub herabrieselt von den Bäumen, ihre Früchte sind für euch aufbewahrt; und wenn die Decke des Winters auch die Oberfläche umhüllt, euch verschließt sie den Quell der Ernährung nicht, drum kommet herbei: und freuet euch vor dem Herrn, eurem Gotte.
Also danken wir Dir für Deinen Segen und für dies Fest, und erkennen frohen Herzens, daß Du es bist, der jeder redlichen Aussaat ihre Ernte, jeder rechtschaffenen Tätigkeit ihren Lohn gibt.
Und auch, wer den Frühling seines Lebens benutzt hat als eine Zeit der Aussaat und den Sommer seines Lebens als eine Zeit der Arbeit, der sammelt im Herbste seine Früchte und darf den Winter seines Erdenwandels nicht fürchten.
O laß' mich, Herr, immer stark und fest sein in dieser Erkenntnis, daß auch das Vertrauen auf Dich als Festesfreude das Hütten- und Erntefest mir verherrliche. Amen!
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(Vorher Nischmath Seite 19.)
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Du, Herr der Welt, der Du in Deiner heiligen Lehre uns geboten hast, das Erntefest zu feiern sieben Tage und an demselben den Feststrauß zu binden aus Palmen und Myrten und Bachweiden und sie zu vereinigen mit der Frucht des herrlichen Baumes, auf daß wir mit diesem Strauße uns freuen vor dem Herrn, unserem Gotte, Du hast auch bestimmt, daß dies Ernte- und Freudenfest gleichzeitig ein Erinnerungsfest für uns sei, damit, wie Du es ausgesprochen hast, „die spätesten Geschlechter es wissen, daß ich in Hütten die Kinder Israels habe wohnen lassen, als ich sie herausführte aus Ägypten, denn ich bin der Ewige, euer Gott.“
Und diese Bedeutung des Festes, diese Erinnerung an jene geschichtliche Tatsache, ist die schönste Ergänzung zur Feier des Erntefestes. Wir haben Deine Vatergüte erkannt in den Gaben, die auf Dein Geheiß die Natur uns hervorbringt, und nun sollen wir auch dessen inne werden, daß Du selber über die Natur erhaben bist, daß ihre Gesetze von Dir ausgehen, Du aber selber ihnen nicht unterworfen bist.
Der Winter naht heran, und wir fürchten nicht, denn wir haben Vorrat eingesammelt für die unfruchtbare Zeit und schützen uns in festen Häusern vor den Stürmen der rauhen Jahreszeit. Anders war es bei unseren Vätern in der Zeit ihrer Wanderung durch die Wüste. Da war nicht Saat und Ernte und selten genug ein Quell frischen Wassers; aber die Wanderer in der Wüste haben nicht Mangel gelitten, Du hast sie gespeist mit dem Brote des Himmels, Du schufst das Manna zu ihrer Nahrung, und stilltest ihren Hunger vierzig Jahre, und der Fels verwandelte sich auf Dein Wort zum lebendigen Wasserquell.
Und sie hatten kein festes Haus, keine sichere Wohnung, weil sie keine Heimat hatten; aber die Hütten, die sie sich bauten in der Wüste, waren ein hinreichender Schutz für sie, denn mehr als die Hütte schützte sie Dein allmächtiger Wille.
Und als denjenigen, dessen Wille mächtiger ist als alle Gesetze und Kräfte der Natur, sollen auch alle späteren Geschlechter Dich verehren, und als denjenigen, dessen Schutz allein uns, den Menschen, Bürgschaft sein kann für ihr Bestehen auf Erden.
O, wir wären töricht, wollten nicht auch wir das erkennen. Unser ganzes Leben auf Erden ist eine Wanderung durch die Wüste. Die Kräfte der Natur sind nur zum Teil für uns, zum Teil sind sie auch gegen uns. Von tausend und abertausend Gefahren sind wir bedroht; Du aber, o Herr, schützest uns, und Deine Fügungen für unser Heil sind nicht minder wunderbar, als Deine Taten für unsere Väter.
Ja, unser Leib selber ist nur eine zerbrechliche Hütte, die jedes Unwetter und jeder böse Zufall vernichten kann, so Du nicht mit Deiner Liebe ein schützendes Zelt über uns ausbreitest.
Du aber hast es ausgesprochen: In Hütten sollt ihr wohnen, wie Eure Väter in Hütten gewohnt haben, und trotzdem nicht fürchten: denn „ich, der Ewige, bin ja euer Gott!“
So ist es gewesen bis heutigen Tages. Auch das Leben unseres Volkes war eine Wanderung durch die Zeiten, durch die Jahrtausende, durch die traurige Wüste, aber Deine Hand hat uns bewahrt vor dem Untergange, und endlich führtest Du uns dennoch in das gelobte Land, in das Reich auf Erden, in dem alle Menschen, als Brüder vereint, Dich anbeten und den Namen des Einzigen preisen sollen. Amen!
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(Seite 39.)
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(Seite 44.)
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„Besser ist der Dinge Ende, als ihr Anfang.“ So lautet eines der Weisheitsworte des Denkers, der in dem Koheleth-Buche zu uns spricht, das wir im Verlaufe dieses Festes lesen. Es ist ein trostreicher, herzstärkender, ermutigender Kernspruch, der uns schaffensfreudig und zukunftsfroh machen soll. Am Tage des Schlußfestes zumal gewinnt dieser Gedanke besondere Bedeutung. Die Reihe der Feste ist nun bald geschlossen. Eine ernst-ehrliche Rückschau soll zu dem befriedigenden Ergebnis führen, daß „das Ende besser ist als der Anfang“. Wie würde doch jede Kraft gelähmt, jeder Plan zerstört, jede Hoffnung getötet werden, wenn nicht diese Zuversicht uns erfüllte? Im Keime müßte jede Saat verderben und ersterben, wenn nicht die beschwingende Kraft dieser Aussicht den Mut des Sämanns heben würde. Alles Gedeihen, alle Arbeit, aller Fortschritt ruhen auf dem fruchtbringenden Boden dieser Überzeugung. — Versöhnt mit Gott und Menschen, gesühnt von Schuld und Fehlern hat uns die Zeit der Rückkehr, der Buße und der gnadenreichen Fülle des Versöhnungstages. Reine Herzensfreude und aufrichtende geschichtliche Erinnerung brachte uns das Fest der Hütten. Denn es greift nach seinem Wesen und Festgedanken zurück auf das Fest der ungesäuerten Brote, da es ja gleich diesem an den Auszug aus Mizrajim gemahnt und auch an das Fest der Offenbarung, die dem Volke Israel in der Wüste zuteil geworden war, in der unsere Ahnen in Hütten gewohnt hatten. So steht das Schlußfest am Ende der Reihe und sammelt die Gedankenernte aller Festeszeiten, heimst den Gefühlsertrag ein, den jene schönen, guten Tage aufgehäuft haben sollen. Das sichere Ergebnis ist ein wahrer, tiefer Segen für Israel. „Dies ist der Segen“; so beginnt der letzte Abschnitt des fünften der Mosesbücher, das wir am Fest der Thorafreude lesen. Das ist der Segen, der unseren Festen stetig entströmt. Sie rufen große Tage großer Geschichte wach; festigen uns zu gestähltem Gottvertrauen, hämmern unseren Charakter, adeln unser Volksbewußtsein und erweitern es zu allumfassender Menschenliebe.
Um den aus Wolken quellenden Regen und Segen beten wir an diesem Tage. Er befruchtet die Scholle und lockert das Erdreich. So strömt die heilige Lehre in unser empfängliches Herz, träufelt das Wort Gottes Heilung und Labung in alle schwachen Gemüter. Wenn der Fuß des müden Weltwanderers über raschelndes, dürres Laub schreitet und Nebelschleier sich vom feuchten Himmel zur Erde senken, Vogelsang verstummt und der Sonne sonst wärmender Strahl nur fahl und kalt durch nebelfeuchtes Dunkel dringt; dann verzagt mein Herz nicht und ist nicht bange. Denn: „Es ward Abend und es ward Morgen“. Das Abendrot ist der Bruder des Morgenrots. Das „Ende der Dinge ist besser als ihr Beginn“. Aber in dem Ende schlummert der Trieb zu neuem Leben in nie versiegender Schaffenskraft, in unaufhörlichem Kreislauf. Wie in dem Menschenkörper der Kreislauf des Blutes vom Herzen zum Herzen das Leben bedingt, so wirkt der Feste Jahreskreislauf belebend auf den Körper des Judentums. Sein Herz aber ist die Thora, die Lehre des Lebens, seine Seele der feste Glaube an den einzigen Gott.
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(Vorher Nischmath, Seite 19.)
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Herr und Vater! Der Feststrauß ist aus der Hand gelegt, die Hütte ist verlassen, diese sinnbildlichen Darstellungen unserer Festgedanken sind nicht mehr verknüpft mit der Feier des heutigen Tages. Mit kurzen Worten hast Du uns unsere Aufgabe angedeutet, die für diesen Tag uns geworden: „Und am achten Tage sollt ihr feierliche Festversammlung halten, ein Schlußfest soll es euch sein.“
Aber ich kenne den Sinn dieser Aufgabe; sie fordert von mir, daß ich am Schlusse der heiligen Feiertage noch einmal die Andacht meines Herzens erwecke, um die Gedanken, die an den heiligen Tagen meine Seele erfüllt haben, noch einmal an mir vorüberzuführen, und den Gewinn, den mein Geist in ihnen gesammelt hat, als bleibendes Gut mit hinüberzunehmen in das Leben der Alltäglichkeit.
Es hat das heilige Neujahrsfest mir Gott den Herrn gezeigt als den allwissenden Richter, der die Handlungen der Menschen kennt und ihre innersten Gedanken. Vor diesem Richter kann die Lüge nimmer bestehen, der Trug zerfällt in nichts, und kein Schein kann vor ihm die Wahrheit verhüllen. Aus all' den Betrachtungen, die an jenem Fest in mir rege wurden, mußte die Überzeugung hervorgehen, daß der Mensch nur dann weise handelt, wenn in jedem Augenblicke seines Lebens das Bewußtsein in ihm klar ist, daß Gott der Herr seine Wege kennt und seine Taten prüft. Wie sollte der nicht auf dem Gleise der Rechtschaffenheit und Tugend bleiben, der es nie vergißt, daß er Rechenschaft geben muß vor dem Allwissenden für alle seine Schritte!
Es hat alsdann der große Versöhnungstag, mit seinem ganzen mächtigen Eindruck auf unser Gemüt, Gott den Herrn mir gezeigt als den Gott der Gnade, der die Sünden der Menschen vergibt, so sie in wahrer Reue ihn um Vergebung anflehen. Aber dieser Reue mußte die strengste Selbstprüfung sich verbinden, auf daß der Mensch sich des Unterschiedes bewußt werde zwischen dem, was er in Wirklichkeit leisten kann, und dem, was er in Wirklichkeit leistet. Wir sollen es kennen lernen, daß die Neigung zum Bösen nicht zu den Naturnotwendigkeiten gehört, denen der Mensch unterworfen ist, daß es vielmehr in unserer Kraft liegt, das Gute zu üben und das Böse zu fliehen. Aus all' den Betrachtungen, die an jenem Feste in mir rege wurden, mußte die Überzeugung hervorgehen, daß strenge Selbstprüfung die beste Führerin ist, dem Irrenden die rechte Bahn zu zeigen, die beste Beschützerin ist gegen jede feindliche Macht der Versuchung. Wie sollte der nicht auf dem Gleise der Rechtschaffenheit und der Tugend bleiben, der bei allen seinen Schritten sich selber prüft, ob nur die Neigung des betörten Herzens ihn leitet, oder ob Vernunft, Religion und Gottesfurcht sein Bestreben billigen!
Es hat das fröhliche Hüttenfest mir Gott den Herrn gezeigt als den liebenden Vater, der für alle seine Geschöpfe sorgt, der ihnen Saat und Ernte, Früchte und Labung gibt, damit es ihnen niemals an dem mangle, dessen sie bedürfen, und daß sie viel des Guten noch darüber hinaus genießen dürfen, auf daß ihr Herz fröhlich sei; der auch in den Zeiten der Not den Menschen beisteht und seine Güte nie abwendet von denen, die auf ihn vertrauen. Aus all' den Betrachtungen, die an diesem Feste in mir rege wurden, mußte die Überzeugung hervorgehen, daß Gott der Herr Freude hat an unserer Fröhlichkeit. Wie sollte auch der die Gleise der Rechtschaffenheit und Tugend finden, wie sollte der beitragen zum Glücke seiner Nebenmenschen und zu ihrer Freude, der nur trüben Sinnes einherwandelt auf Erden, die Erde für eine Stätte des Jammers und der Finsternis hält, der Freude keinen Vorzug gibt vor dem Leide, der Tugend keinen Vorzug vor dem Laster, der Liebe keinen Vorzug vor dem Hasse.
Das sind die Lehren und die Vorteile, die ich aus den Tagen der Festzeit mit hinübernehmen will in die Tage der Alltäglichkeit: daß Gott der Herr alle meine Wege kennt, und daß ich vor ihm Rechenschaft ablegen muß, daß die strengste Selbstüberwachung und Selbstprüfung die beste Führerin ist, die den rechten Weg mir zeigt, und daß Gott der Herr es will, daß ich des Daseins auf Erden mich freue und im Bewußtsein seiner Liebe fröhlich sei und Frohsinn um mich verbreite.
Mein Gott! Gib zu all' dem mir Deinen Beistand und Deinen Segen. Amen!
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(Seite 39.)
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(Seite 44.)
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Betrachtung über den Regen siehe Seite 45 „Tau und Regen“.
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Nun am Fest, dem Schluß der Feste,
Die wir, Schöpfer, Dir geweiht,
Die uns ernst und freundlich brachte
Dieses Monats heil'ge Zeit,
Sei vor Dir noch eine Bitte
Uns'res Herzens dargelegt;
O, vernimm es wohlgefällig,
Was zum Bitten uns bewegt:
Ewig rollt das Rad der Zeiten
In dem sichern, festen Gleis,
Tage kommen, Tage schwinden
In der Jahreszeiten Kreis.
Kürzer wird die Bahn der Sonne,
Matter ihr belebend Licht,
Und schon zeigt mit trübem Ernste
Uns der Herbst sein Angesicht.
Und der Herbst, er wird vergehen,
Trüber noch, als er erschien,
Und der Winter wird die Schatten
Über uns're Erde zieh'n;
Und die Stürme werden toben,
Und der Tag wird seine Macht
Schüchtern eilend überlassen,
Weichend schnell, der strengen Nacht.
Und der Frost, er wird erstarren
Alles, was die Erde schmückt,
Wenn auf sie die weiße Hülle
Uns der Wolkenhimmel schickt.
Da ist Sprossen nicht und Keimen,
Nicht ein Wachsen und Gedeih'n,
Da wird nicht der Fluren Segen
Aller Menschen Freude sein.
Böse sind die kalten Tage,
Düster ist die Winterszeit!
O, wir werden sorgsam suchen
Schützend Obdach, warmes Kleid.
Doch wenn auch der Armut Bürde
Mit des Mangels Last bedroht,
Fürchten muß er, ach, mit Schrecken,
Wintershärte, Wintersnot.
D'rum, o Schöpfer, nimm in Liebe
Gnädig uns're Bitte auf:
Mach' uns freundlich auch den Winter
In der Jahreszeiten Lauf;
Laß' ihn nicht zu strenge walten;
Und sein ernstes Angesicht
Trübe uns're Lebensfreude,
Uns're Lust, zu hoffen, nicht.
Laß' der Speicher Vorrat reichen,
Daß wir ohne Furcht dabei
Wissen, daß am Tisch der Armen
Nicht der Hunger Herrscher sei;
Daß wir ohne Furcht und Zagen
Sorglos in die Zukunft seh'n,
Und dem Frühling und dem Sommer
Frohen Mut's entgegengeh'n.
Tu's, um Deiner Liebe willen,
Die Du immer uns bewährt,
Du, Du bist ja unser Vater,
Der die Kinder gern ernährt.
Tu's, um Deiner Liebe willen,
Die Du immerdar geübt,
Denn es ist nicht uns're Tugend,
Die ein Recht, zu hoffen, gibt.
Tu's, um Deiner Liebe willen,
Wie Du stets uns wohlgetan,
Wie Du stets die Deinen leitest
Auf des Heiles rechter Bahn.
Ja, wir wollen auf Dich harren,
Stets auf Deine Liebe bau'n!
Du verlässest nie die Frommen,
Die in Demut Dir vertrau'n! Amen!
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Festbetrachtung.
„Seid fröhlich und freudig am Simchath-Thora
Und Ehre verleihet der Thora.
Das Köstlichste ist sie der Güter,
Teurer als Gold- und Perlengeschmeide.“
Unerschöpflich scheint die Quelle, aus welcher Propheten, Dichter und Sänger des Judentums ihre helle Begeisterung für die Thora schöpfen. Wenn sie von der Thora künden, sprechen und singen, dann erfüllt die Rede inbrünstige Andacht, die Dichtung höchster Gedankenschwung, den Gesang wundersam ergreifende Melodie; alle sind von den reinsten, edelsten Gefühlen getragen. Die Thora ist die Sonne, die das ganze jüdische Leben erwärmt, durchleuchtet vom ersten bis zum letzten Tage des Jahres, des Lebens. — Sie ist Lehrerin, Erzieherin, Trösterin, ist Führerin, Warnerin, Meisterin. Sie gibt Haltung und Festigkeit dem Glücklichen; Regel und Ordnung dem Leben. Des Gesetzes starke Hand leitet durch die Irre und Wirrnis; führt an Anstoß und Hindernis sicher vorüber. Handel und Wandel weist es die Wege, Lieben und Meiden zeigt es den Pfad. Gutes und Böses lehrt es scheiden, Recht und Unrecht mit Klarheit erkennen. Das Thorawort ist tief und wahr, der Thorageist ist gerecht und milde. Sie gibt Kraft und Weisung dem Unglücklichen; Richtung und Zweck dem Leben. Sie ist das Leben. Seit uralten Tagen der Vorzeit hat sie sich dem Judentume als lebenerhaltende Kraft bewährt. Im buntwechselnden Wogen der Völker, die durch Jahrtausende der Geschichte kamen und gingen, ist das Judentum aufrecht und im Wesen unverändert geblieben. Das will auch die Sage erzählen, welche meldet, daß Gott selbst seine Thora zu allen Völkern der Erde trug, sie ihnen anzubieten, sie aber die Gotteslehre als unannehmbar zurückwiesen, bis endlich nach langer Irrfahrt Israel sich bereit fand und erklärte, „die Last des Gesetzes“ zu tragen und die Sendung übernahm, den Glauben an den Einzigen und Einen in der ganzen Welt zu verbreiten, und mit diesem Glauben den friedenstiftenden Gedanken der Menscheneinheit, Menschenliebe, Menschenerlösung. Denn von einem Menschenpaare läßt die altehrwürdige Erzählung der heiligen Schrift alle Menschen stammen und schafft so die Vorstellung gleicher Würde aller Menschenkinder, denen Gott ein Allvater ist. Und nur auf diesem geweihten Boden konnte die Wunderblume der unbedingten „Nächstenliebe“ wachsen; man hat sie zu entwurzeln und als einem anderen Muttergrunde entsprossen zu bezeichnen versucht. Vergeblich. Dieser Ruhm gebührt unserer Thora; diese Botschaft hat sie der lauschenden Mit- und Nachwelt gebracht.
Deshalb auch freuen wir uns an diesem Tage, beglückt durch solche Betrachtung und in allen Widerwärtigkeiten gestärkt durch diese geschichtliche Überzeugung. Deshalb lesen wir das letzte und das erste Wort der Thora am heutigen Tage der Thorafreude, den ewigen, ungeschmälerten Wert der heiligen Lehre anzuerkennen, deren Anfang und Ende Liebe ist. In festgeschlossener Kette reiht sich Sabbat an Sabbat im Jahreslaufe. Ein gottesdienstliches Jahr schließt unmittelbar an das andere. Wenn wir das Schlußwort der Thora hören: „Vor den Augen aller Kinder Israel“, klingt uns schon vertraulich und bekannt die Botschaft entgegen: „Im Anfange hat Gott Himmel und Erde erschaffen.“ Glücklich im Besitze des Kleinods, hüten wir es treu und sorgsam. Und zum Zeichen, daß die Thora uns auf allen Wegen sicheres Geleite gibt, tragen wir die ehrwürdigen Rollen liebevoll in unseren Armen und umschreiten in feierlichem Zuge den heiligen Schrein, in dem sie ruhen. Sie, die Thora, ist Losung im Kampfe, Losung zum Siege.
„Freuen und jubeln lasset uns am Simchath-Thora,
Denn sie ist uns Kraft und Leuchte.“
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Herr und Vater! Es heißt von Deiner heiligen Lehre: „Sie soll nicht schwinden aus Deinem Munde und aus dem Munde Deiner Nachkommen in Ewigkeit!“ und eben darum machen wir an dem heutigen Festtage dieselbe Stunde, in der wir die Vorlesung aus der Lehre Moses beendigen, zur Stunde des Wiederbeginnens. Nie soll es in unserem Leben eine Stunde geben, die uns außerhalb der Beschäftigung mit den heiligen Büchern der Thora fände, eine Stunde, von der wir sagen können, wir haben die Durchlesung zwar beendet, aber noch nicht wiederbegonnen. Und ist auch dies nur ein äußerliches Werk, so ist es uns doch ein Zeichen und eine Mahnung, daß wir nie aufhören sollen in der heiligen Lehre zu forschen, daß wir es nie imstande sind, ihren ganzen Inhalt zu erschöpfen, daß wir nicht immer wieder aufs neue Belehrung, Trost, Weisheit und Erbauung in ihr zu finden vermöchten. Und das ist auch am heutigen Feste, dem Tage, den wir „die Freude des Gesetzes“ nennen, der Sinn dieser Freude, daß in der Lehre ein ewiger, nie versiegender Quell des Heiles uns gegeben ist, dessen Labung eine immer süßere wird, je mehr wir aus ihm schöpfen.
Aber auch eine hiervon ganz verschiedene Betrachtung macht uns diesen Tag würdig. Wie ein erhabenes Kunstwerk aus dem Reich der Töne, das bald ernst und würdig, bald stürmisch brausend, bald süß und liebkosend, bald zürnend und erschütternd, aber immer in gleicher Pracht und Herrlichkeit zu uns geredet hat in den verschiedenen Melodien, wie ein solches Kunstwerk der Töne endlich verhallt in leiser, zitternder Klage, so verhallt am heutigen Tage der Inhalt des Gottesbuches in der Erzählung vom Tode des herrlichsten der Menschen, des göttlichen Propheten. Aber auch dieser Schluß, er enthält noch eine hohe unschätzbare Lehre der Weisheit. Mose, der Mann Gottes, der sein Leben und Streben eingesetzt für das Glück seines Volkes, für das Glück der Menschheit, er sieht das Ziel seiner Taten von ferne, er selbst genießt keine Frucht seiner treuen Aussaat. Von der Höhe des Berges schaut er das herrliche Land, in das sein Volk einziehen soll, er selber aber zieht ein in die Heimat der seligen Geister. Laß' dieses Leben, diesen Tod, o Herr, mir eine Lehre sein! Nicht der Genuß sei das Ziel unseres Strebens, sondern die edle Tat. Gutes wirken, das allein heißt leben. Die Bahn der Tugend ebnen für andere, das heißt auch selber auf ihr wandeln. Nicht strebe meine Seele darnach, zu herrschen über andere und zu glänzen vor Anderen, wohl aber ein leuchtendes Vorbild zu sein für andere in edlem Wollen und Wirken, um endlich in der Stunde des Scheidens aus der Erdenwelt das Bewußtsein mitzunehmen in die Ewigkeit, keine Kraft, die der Herr mir gegeben, unbenutzt gelassen, sondern sie angewandt zu haben zum Wohle der Menschen und zur Ehre Gottes.
All' mein Lebtag möchte ich eine würdige Schülerin des großen Lehrers sein, dem nie ein Prophet geglichen, der die Herrlichkeit Gottes geschaut von Angesicht zu Angesicht. Amen!
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Wenn es in irgend bedeutsamen Augenblicken geschieht, daß es uns an Worten gebricht, uns auszudrücken und mitzuteilen — wie muß uns die Sprache nicht ohnmächtig erscheinen in einem Augenblicke, der für unser Leben immer der bedeutsamste bleibt, am Anfange eines neuen Jahres! Was da uns erfaßt, was da uns bewegt, wie da von hinterwärts und vorwärts, aus der Vergangenheit und Zukunft, Ströme von Empfindungen und Gefühlen in unser Herz sich ergießen, wie da Erinnerungen und Hoffnungen in unserer Brust auf- und niederwogen, wie könnte solch ein vielgestaltig Bild durch den langsamen Griffel des Wortes wiedergegeben werden! Dafür aber hat uns der Schöpfer eine andere Sprache gegeben: Was die Rede nicht meistert, was das Wort nicht sagen kann, — es sagt's die Träne. Und ob sie in nicht verhaltenem Gusse die Wange mag herniederperlen, oder ob wir, uns bewältigend, sie nach innen weinen, wer den überwältigenden Gedanken dieses Tages denkt, er weint die Träne, die Zeugin seiner Herzenswallung, die Träne des Leides und die Träne der Freude.
Das vergangene Jahr, es will sein Recht. Und ob man gleich die Zeit eitel und flüchtig nennt, für den hat sie eine eiserne Gegenwart, dem sie wehe getan, ihm schwebt das Bild seiner trüben Erfahrungen vor den Augen, als wäre es mit ewigem Griffel gezeichnet, und oft ist der Schmerz noch so wenig vernarbt, daß es nicht einmal der Erinnerung bedarf, um die Träne des Leides in sein Auge zu drängen.
Wer aber hätte sich nicht einmal von der Hand des Geschickes unsanft erfaßt gesehen, oder wer hätte nicht die oft noch unsanftere Berührung empfunden, mit welcher Menschen unser innerstes Gefühl verletzend antasten? Ob das Geschick, oder ob die Menschen sie uns erpreßt, sie fließt, die Träne des Leides.
Ob wir durch Sorgen uns hindurchgewunden, um das tägliche Brot, ob wir zu den Füßen erblicken die Trümmer von Hoffnungen, Wünschen und Entwürfen, oder ob wir als leer und nichtig erkennen, was wir einst fest und sicher glaubten, die Freundschaft, die Treue, die Hingebung, die alles kündigt, dies alles umschließt eine Träne.
Aber nicht bloß des Schmerzes Zeugnis ist sie, diese Träne, sie ist auch des Trostes Erweckerin. Ist es doch dem Weinenden, als ob er mit ihr auch seinen Schmerz ausgösse, denn sie erweckt in uns den Gedanken, daß Gott es war, der über uns entschieden. Wie traurig wäre es, wie könnten wir es ertragen, wenn sich zu dem Schmerze auch noch der Zweifel gesellte, wenn unser trostbedürftiges Herz der Gedanke umstrickte: Es war alles nur des Zufalls Spiel. Eine kalte Naturnotwendigkeit hat das Liebste uns vom Herzen gerissen, ein blindes Geschick hat der Sorgen Last über uns ausgeschüttet. Darum spricht dieser Tag mit seinen schmerzlichen Erinnerungen uns den Trost zu: Er, der die Zeiten dahinrauschen läßt, ist es auch, der der Zeiten Ereignisse bestimmt. Wohl gibt es ein Festes, ein Notwendiges, demgegenüber all unser Wollen und Streben ohnmächtig sich erweist, aber es ist nicht die erklärungslose Festigkeit eines Fatums, nicht die starre Notwendigkeit der Natur, es ist vielmehr der zweckvolle Wille einer höheren Weisheit. So ist die Träne des Leides zugleich die Erweckerin des Trostes. Und wenn wir nicht nur um uns, sondern auch in uns schauen, und in dem niederdrückenden Gefühl unserer Schwäche, in dem Bewußtsein unserer Fehler und Mängel auch die Träne der Schuld vergießen, so ist sie allerdings auch die des Leides, aber, wer Tränen vergießt, ob seiner Schuld, der fühlt die Sehnsucht nach Vervollkommnung, der hat das Streben nach Besserung, und mit dem Streben nach Besserung kommt das Selbstvertrauen und die Träne wird zur Quelle des Trostes.
Aber auch eine Träne der Freude haben wir zu weinen! War denn ein Tag im hingeschwundenen Jahr, dem nicht auf die Nacht das Morgenrot gefolgt wäre? Und hat sich nicht mit jedem Morgen die Güte des Herrn neu an uns bewiesen? Ruft doch selbst jener Sänger, der den schmerzlichen Fall Israels gesehen unter Klagen aus: „Ja, die Güte Gottes, sie hört nicht auf, seine Gnade schwindet nicht, wie von neuem stets der Morgen tagt, so erneuert sich Deine Güte.“ Und wer hätte selbst, wenn ihm die Hand des Herrn noch so wehe getan, von derselben Hand nicht auch der Wohltaten Fülle empfangen? Hat er nicht vielfach den Lohn seines Fleißes, das Gedeihen des Werkes seiner Hände erblickt? So manches von dem, was er erstrebt, gewünscht, versucht, hat sich verwirklicht und erfüllt. Und dann vor allem, erblickt er nicht diesen Tag? Hat er nicht das Leben? Wer aber Leben hat, der hat auch Hoffnung. So fließet denn in der Träne der Freude, wie sie der dankbare Erguß unseres Herzens ist, zugleich der Quell der Hoffnung. Und wann bedürfen wir der Hoffnung mehr, als heute, da wir ein neues Jahr beginnen, da unser Auge sich auf die Zukunft richtet, die vor uns liegt, umhüllt von dem dichten Schleier des tiefsten Geheimnisses. Die Hoffnung allein gibt uns den Mut, der Ungewißheit nicht zu achten und getrost den Fuß auf unbekannten Pfad zu setzen, sie ist die Stimme, die zu uns spricht mit fast überzeugender Kraft der Beruhigung. Und was ist es, das wir hoffen! Sollten nicht, wie in dem dahingeschwundenen Jahre, so viel Denkmale aufgerichtet stehen, von Gottes Gnade und Güte, als wir Stunden durchlebt haben, sollte nicht ebenso in dem kommenden die Kette der Gnadenzeugnisse sich fortsetzen? Und wenn wir auch hier nicht um uns, sondern in uns schauen und, in dem Bewußtsein, daß Gott trotz unserer Fehler und Schwächen und Sünden dennoch uns seine Güte nicht entzogen hat, eine Träne der Reue weinen, und wenn sich dabei die Zuversicht kräftigt, daß Gott uns auch bei dem Werke unserer Veredlung beistehen wird, dann ist auch diese Träne eine Träne der Freude und auch sie erscheint als ein frischer Lebensquell der Hoffnung.
Und so treten wir getrost in das neue Jahr, denn wir hoffen auf den, der in der Zeiten Wandelbarkeit allein unwandelbar ist. Beherzigen wir, was mit der Vergangenheit uns versöhnt, für die Zukunft uns stärkt. Tröstlich ergeben in die Vergangenheit, die Gottes war, mutig hoffen auf die Zukunft, die Gottes sein wird, das ist die Lehre dieses Tages — die Lehre zweier Tränen. Amen!
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So sinke nun hernieder
Du letzter Tagesrest,
Des' letzter Schimmer wieder
Ein Jahr uns enden läßt!
Das neue wird erscheinen
Nun bald im Abendstern,
Der ruft, uns zu vereinen
In Demut vor dem Herrn.
Wir trauen Deiner Liebe
O, Herr, und fürchten nicht,
Du, Vater, uns! o übe
Mit uns ein mild' Gericht!
All' uns're Lebenspfade
Bestimmst Du, Herr, allein,
O, schreib' ins Buch der Gnade,
Allgütiger uns ein.
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(Zum Jahreswechel.)
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Allmächtiger! So oft ich nachdenke über mein Verhältnis zu Dir, so oft erfüllt die Betrachtung Deiner Größe und Ewigkeit, gegenüber meiner Hinfälligkeit und Vergänglichkeit, meine ganze Seele mit Demut und Zagen, aber das Bewußtsein Deiner Liebe richtet sich wieder auf, und im Gebete zu Dir finde ich mich wieder als Dein Kind, finde ich Dich wieder, als meinen Vater.
Das ist mein wahres Verhältnis zu Dir, und im Gefühle desselben will ich auch jetzt die Gedanken und Wünsche meines Herzens vor Dir offenbaren, wie ein Kind mit dem Bekenntnis seiner Empfindungen vertrauensvoll hintritt vor seinen Vater, jetzt, da der Ernst einer weihevollen Stunde zum Gebete mich mahnt, jetzt, da die letzten scheidenden Strahlen der Sonne nicht bloß einen Tag, sondern ein ganzes Jahr beschließen.
Was ist ein Jahr vor Dir? „Tausend Jahre sind vor Dir dem gestrigen Tage gleich, der schnell vorüberzog.“ Was aber ist ein Jahr vor mir? Ein großes Stück meines Lebens. „Denn uns'rer Jahre hohe Zahl ist siebenzig, und ausgezeichnet ist's, wenn deren achtzig werden.“ Darum gleitet die Stunde des Jahreswechsels dem denkenden Sinne nicht unbeachtet vorüber, und der wache Geist vernimmt den Zuruf: Steh' still, Wanderer, auf der Lebensbahn, steh' still und schaue um dich!
Und so richte ich denn meinen Blick zurück auf die Tage des verflossenen Jahres. Mancher von ihnen ist hingegangen, und er ragt nicht hervor aus der Reihe der übrigen, seine Ereignisse sind meinem Gedächtnisse entschwunden; mancher hingegen hat sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt und einen bleibenden Denkstein hingestellt auf den Pfad meiner Erinnerung; alle haben wie die Glieder einer Kette sich an einander gereihet, die abgelaufen ist von dem Rade meines Erdenwandels. Wiederum habe ich den Ernst des Lebens mehr erkannt, und neue Änderungen sind eingetreten in meinem Streben und in meinen Neigungen, neue Spuren der Erfahrung haben sich eingegraben auf die Tafel meiner Weltanschauung. Und hervorgegangen aus allen diesen Veränderungen ist mehr und mehr das Bewußtsein, daß es nur ein Glück gibt auf Erden, das des Ringens und Strebens würdig ist, das ist ein friedliches Gewissen, ein reines Gemüt, das freien Mutes hintreten kann vor Dich, seinen Schöpfer.
Viel des Guten habe ich erfahren in den Tagen des verflossenen Jahres. Unausgesetzt hat die Liebe der Meinigen mein Herz erquickt, oft habe ich mich des Abends zur Ruhe gelegt mit dem süßen Gefühle erfüllter Pflicht, oft ist mir die Gelegenheit geworden, das Herz meines Nebenmenschen zu erfreuen, oft habe ich mit Freuden beobachtet, wie das ganze Menschengeschlecht fortschreitet auf der Bahn der Erkenntnis und der Einsicht, oft genug habe ich mit Stolz es wahrgenommen, wie mein Volk, das Haus Israels, seine Fähigkeit offenbart und seine Bestimmung nicht verleugnet, voranzuleuchten als Licht des Glaubens und der Gotteslehre allen Völkern auf der Erde. All diese Freuden aber sind Dein Werk, all diese Süßigkeiten sind ein Ausfluß Deiner Liebe.
Viel des Trüben habe ich auch erfahren in den Tagen des verflossenen Jahres. Ach, nicht immer war mein Haupt frei von Sorge, mein Herz frei von Kummer! Oft trat die Gefahr an mich heran, die grimmig die Hand ausstreckt, die Zufriedenheit, die Freude und viele andere Schätze des Lebens mir zu rauben. Oft sah ich Leid um mich her und konnte es nicht beseitigen, oft sah ich Bosheit an meiner Seite und konnte ihren Weg nicht hemmen, oft sah ich Not bei meinen Nebenmenschen und konnte sie nicht lindern, oft sah ich auch das Gebäude meiner eigenen Hoffnungen in Trümmer sinken, und noch öfter erkannte ich die Torheit meiner Wünsche und vermochte nicht, sie zu bannen. Alles aber hast Du, mein Gott, so gewollt und durch Deine Gnade hast Du mich erhalten, daß ich jetzt am Schlusse des Jahres, auch für diese Prüfung Dir danken kann.
Und so richte ich meinen Blick nun auch auf die Tage des Jahres, die da kommen sollen. Doch was ich schaue, ist nichts als ein dichter Nebel, mit dem Deine Allweisheit den Blick des Menschen verschleiert, daß er die Zukunft nicht durchdringe, und dieser Nebel der Unwissenheit lehrt uns mehr als alle Betrachtung der sichtbaren Dinge, daß wir Dir allein unterworfen sind, Dir allein unser Schicksal anheimstellen müssen und nur das eine Recht besitzen, in inbrünstigem Gebete zu Dir das Heil für uns zu erflehen.
Darum bitte auch ich Dich, mein gütiger, himmlischer Vater, jetzt am Beginne des Jahres um Deine Gnade für mich in den Tagen des Jahres.
O Herr, mein Gott! gib meinem Geiste Einsicht und meinem Herzen den Willen, das Gute zu finden und die Tugend zu üben. Erhalte mir die Gesundheit des Leibes und der Seele, sei mit den Meinigen allen und laß täglich Deine Liebe an uns offenbar werden, schütze uns vor Gefahren und halte die Versuchung von uns ferne. Vergib uns unsere Sünden und begnadige uns mit einer milden Gesinnung, daß auch wir Nachsicht üben mit den Fehlern unserer Nebenmenschen.
Auf Dich will ich hoffen, Dir will ich vertrauen, Du warst mein Beschützer und Leiter bis zu dieser Stunde, Du wirst es auch ferner sein, mein Gott und Vater! Amen!
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(Vorher Nischmath, Seite 19.)
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Mein Gott! Mit Andacht öffne ich meine Lippen, daß mein Mund Deinen Ruhm verkünde.
Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs! Du bist der Große, der Mächtige, der Ehrfurchtbare, Du bist der erhabene Wohltäter und Vergelter aller guter Handlungen. Du gedenkest auch der Frömmigkeit unserer Vorfahren, die in Treue vor Dir gewandelt sind, und vergiltst ihre Tugend noch ihren Kindeskindern, um Deines heiligen Namens Willen in Liebe.
O gedenke auch unser darum am Neujahrstage mit Deiner Liebe und bestimme uns zum Leben; Du, o König, hast ja Wohlgefallen am Leben! O schreibe uns ein in das Buch des Lebens, um Deiner Liebe Willen, Du Herr des Lebens.
König bist Du über die Welt, Helfer, Retter, Schild und Beistand allen Deinen.
Ja, Du bist der Allmächtige in Ewigkeit! Deine Gnade gegen die Erdenkinder erstreckt sich über ihr Leben auf Erden hinaus, denn auch denen, die entschlafen sind zum Tode, bist Du ein Helfer in den Gefilden der Ewigkeit. Auf Erden aber ernährst Du die Lebendigen, stützest die Fallenden, heilest die Kranken, erlösest die, so gefesselt sind in den Banden des Unglücks.
Wer ist Dir gleich, Vater der Barmherzigkeit! Du gedenkest in Gnade aller Deiner Geschöpfe, Dein Geschenk ist ihr Leben.
Heilig bist Du, und heilig ist Dein Name, und allen Frommen gebührt es, Dich täglich zu loben.
O, so möge denn auch die Zeit immer näher kommen, daß Dich, den Ewigen, unseren Gott, alle Deine Geschöpfe in Ehrfurcht preisen, daß alle Menschen auf der Erde erfüllt werden von dem Bewußtsein Deiner Erhabenheit, daß alle einmütig vor Dir sich beugen, daß alle in einem Bunde sich vereinigen, um mit freudigem Herzen Deinen Willen zu üben; daß sie es erkennen, so wie wir es wissen, daß Dein allein die Herrschaft ist, alle Macht nur in Deiner Hand, alle Stärke nur in Deiner Rechten, und daß Dein Name allein würdig ist, der Inbegriff aller Ehrfurcht zu sein für alle Geschöpfe der Erde.
Und so möge es auch zur Ehre Deines Volkes anerkannt werden, daß sein Glauben die Wahrheit ist. Das sei der Ruhm Deiner Verehrer, die Hoffnung derer, die Dich suchen. Das freimütige Wort derer, die auf Dich harren, sei immerdar die Rede: „Einst wird der Herr das Licht der Wahrheit leuchten lassen über die ganze Welt.“ O tue es bald! O tue es bald!
Bringe näher die Zeiten des Heiles vor unseren Augen, so daß die Gerechten es sehen und sich dessen freuen, die Redlichen jauchzen, die Frommen in Jubel ausbrechen, wenn das Laster verstummt, die Bosheit wie Rauch vergeht und die Herrschaft des Übermutes schwindet von der Erde.
Dann wird der Glauben an Dich allein die Welt regieren, dann wird erfüllt sein Dein heiliges Wort:
„Der Herr allein regiert die Welt, dein Gott ists, der Gott auf Zion, angebetet von Geschlecht zu Geschlecht, Halleluja!“
O Ewiger! unser Gott! laß diesen Tag der Erinnerung, diesen Tag des Posaunenschalles zu unserem Heile werden.
Laß heutigen Tages vor Dir aufsteigen das Andenken an uns, die Betenden, auch das Andenken an unsere Väter, die vor Dir gewandelt, auch das Andenken an den Erlöser, den Du Deinem Volke verheißen, auch das Andenken an Jerusalem, Deine heilige Stadt, auch das Andenken an das ganze Volk Israel, dem Du ein treuer Hüter gewesen bist auf seinem Wege durch die Zeiten, damit Du am heutigen Tage der Erinnerung unser gedenkest in Milde und Barmherzigkeit, zum Glücke und zur Rettung, zum Leben und zum Wohlsein.
O, gedenke unser heut zum Glücke!
Erinnere Dich unser zum Segen!
Steh' uns bei, auf daß wir leben!
Denn auf Dich sind unsere Augen gerichtet, Du bist Gott, Du bist König, Du bist der Allgütige.
O Du, unser Gott und Gott unserer Vorfahren! Reinige auch unser Herz von Sünde und Irrtum, daß wir in Aufrichtigkeit und Wahrheit Dir dienen. Wenn wir uns sättigen an den Gaben Deiner Liebe, so laß uns auch wandeln in den Wegen Deiner Gebote, daß wir Deine Lehre als unser liebstes Anteil achten, damit auch wir vollkommen würdig werden jener seligen Zeiten, da alle Werke es wissen werden, daß Du der Meister bist, alle Geschöpfe es verstehen werden, daß Du der Schöpfer bist, und alles, was Odem hat, es aussprechen wird: „Der Ewige, der Gott Israels ist König und seine Herrschaft reicht über das Weltall.“
Nimm auch unsern Dank, o Gott und Gott unserer Vorfahren, für das Leben, das Du bis heute uns bewahrt, für die Wohltaten, die Du bis heute uns erwiesen hast. Alles was Du für uns tust, ist groß und wunderbar. Wir könnten nicht genügend Dir danken, und wollten wir auch jeden Tag vom Morgen bis an den Abend Dich rühmen. Ohne Ende ist Deine Güte, und Deine Liebe hat keine Grenzen.
Verzeichne zum glücklichen Leben alle Kinder Deines Bundes.
Laß Deinen Frieden walten über uns, und laß uns allezeit wandeln in Deinem Lichte.
Verzeichne uns heut, uns und das ganze Haus Israels, ins Buch des Friedens, der Nahrung und des Wohlseins.
Bewahre unsere Zunge vor böser Rede und unser Gemüt vor Hochmut, segne uns mit einem willigen Herzen und einem eifrigen Geiste zur Erfüllung unsrer Pflichten, und nimm wohlgefällig auf die Worte meines Mundes, Du, mein Fels und mein Erlöser! Amen.
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Gebet für das Neujahrsfest, den Versöhnungstag und die 10 Bußtage.
(Dieses Gebet wird am Sabbat nicht gesprochen.)
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Herr und Vater! Wir haben gesündigt vor Dir.
H. u. V.! Du bist allein der Herr, auf den wir vertrauen.
H. u. V.! Übe Gnade an uns zur Verherrlichung Deines Namens.
H. u. V.! Laß das neue Jahr zu Glück und Heil uns herankommen.
H. u. V.! Halte fern von uns jedes schwere Verhängnis.
H. u. V.! Vernichte die Ratschläge unserer Feinde, die sie gegen uns gerichtet.
H. u. V.! Halte fern von uns Pest, Krieg und Hungersnot. Laß die Deinen nicht in die Gewalt der Unterdrückung und des Verderbens fallen.
H. u. V.! Behüte uns vor gefährlicher Krankheit.
H. u. V.! Verzeihe und vergib uns unsere Sünden.
H. u. V.! Laß in vollständiger Buße uns zu Dir zurückkehren.
H. u. V.! Sende vollkommene Heilung allen unseren Kranken.
H. u. V.! Gedenke unser mit Wohlwollen und Gnade.
H. u. V.! Bestimme für uns ein Leben ohne Unglück.
H. u. V.! Bestimme für uns Heil und Erlösung.
H. u. V.! Bestimme für uns, daß Not und Mangel uns fern bleiben.
H. u. V.! Möge es Deine Bestimmung sein, daß auch wir verdienstlich leben.
H. u. V.! Möge es Deine Bestimmung sein, daß Fehl und Unrecht uns verziehen werde.
H. u. V.! Laß das Heil der Menschen wachsen und zunehmen.
H. u. V.! Erhebe Israel zu seiner wahren Größe und zur Erkenntnis seines Berufes.
H. u. V.! Laß Dein Reich auf Erden immer mehr und mehr sich erweitern.
H. u. V.! Fülle unsere Hand mit Deinen Segnungen.
H. u. V.! Höre unsere Stimme und erbarme Dich über uns.
H. u. V.! Nimm unser Gebet in Gnaden auf.
H. u. V.! Öffne die Pforten des Himmels unserem Flehen.
H. u. V.! Gedenke, daß wir nur Staub sind.
H. u. V.! Laß uns nicht leer zurückkehren, da wir gebetet vor Deinem Angesicht.
H. u. V.! Laß diese Stunde eine Stunde der Barmherzigkeit, eine Zeit der Gnade vor Dir sein.
H. u. V.! Erbarme Dich über unsere unmündigen Kinder.
H. u. V.! Gedenke des Verdienstes der Frommen, unserer Vorfahren, die in den Tod gegangen sind um des Glaubens willen, die standhaft ihr Leben geopfert haben für das Bekenntnis Deiner Einheit.
H. u. V.! Laß auch ferner Deinen Namen durch uns geheiligt und verbreitet werden.
H. u. V.! Nicht unserem Verdienste vertrauen wir, sondern Deiner Gnade. Amen!
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O Ewiger! Ewiger! Barmherziger Gott! Du bist der Allgnädige, langmütig und von unbegrenzter Huld und Treue, der seine Gnade bewahret bis ins tausendste Geschlecht, der Missetat, Abfall und Sünde vergibt und Übeltäter losspricht.
(Dreimal.)
Herr des Weltalls! o erfülle die Wünsche meines Herzens, so sie zu meinem Heile gereichen; willfahre meinem Verlangen und erhöre meine Bitte! Vergib erbarmungsvoll alle meine Missetaten, und vergib Fehl und Sünde allen, die mir nahe stehen, und die ich in mein Gebet einschließe. Laß Deine Verzeihung walten über uns aus Gnade und Barmherzigkeit; laß uns rein sein von Sünde und Vergehen. Gedenke heute unser mit Wohlwollen, erinnere Dich unser zu unserm Heile, schenke uns ein glückliches Leben, gewähre uns Frieden, Nahrung, Zufriedenheit, und sorgenfreie Befriedigung der Bedürfnisse des Lebens. Laß es uns nimmer fehlen an Brot und Kleid. Beglücke uns mit Wohlstand und Ansehen und Lebensfreude, damit es uns vergönnt sei, diese Güte anzuwenden zu Werken der Tugend, schenke uns Leben und Gesundheit, damit wir noch lange zu wandeln vermögen in den Wegen Deiner Lehre. Gib uns Weisheit und Einsicht, daß es uns mehr und mehr gelinge, einzudringen in den Plan Deiner Weltregierung. Befreie uns von den Leiden, die uns drücken, und segne die Taten unsrer Hände. Verhänge über uns das Glück, Heil und Trost. Vernichte die Gefahren, die uns drohen, ob sie uns bekannt oder unbekannt sind. Wende immerdar das Herz unseres erhabenen Regenten zum Wohlwollen daß nie wieder über Israel hereinbrechen Tage des Druckes und der Erniedrigung. Also sei es wohlgefällig vor Dir, barmherziger Vater, Herr des Weltalls. Amen!
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד
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Wiederum ist die kurze, ernste und feierliche Spanne Zeit uns gegenwärtig, die in den Tönen des Schofars uns verkünden wird, daß Du, o Gott, der Weltenkönig bist von Ewigkeit bis in Ewigkeit, daß Du, o Gott, der Richter bist, der alle Wesen vor seinen Thron fordert, damit ihr Urteil ihnen werde, daß Du, o Gott, der Lehrer bist, der mit Donnerstimme am Sinai den Weg verkündiget hat, der zur Wahrheit führt.
Noch schweigt das Horn, und feierliche Stille vergönnt mir einen Augenblick der Sammlung, daß ich die Kräfte meines Geistes und die Empfindungen meines Herzens alle wach rufe, um jene erhabenen Gedanken zu fassen.
Ja, aufraffen will ich mich und erheben im Gebete zu Dir, und niederbeugen will ich mich zum Staube vor Dir, und hinwenden will ich alle meine Gedanken zu Dir, mein König, mein Richter, mein Lehrer!
Gott, Du allein bist König in Ewigkeit. Was ist irdische Macht, was ist menschliche Größe? Die Erde nicht und nicht der Himmel und nicht des Himmels Himmel und nicht der Raum des Weltalls, den die Gedanken des Sterblichen begreifen, umfassen den Abglanz Deiner Herrlichkeit. Nicht Dein Befehl ist's, dem die Welten dienen, nicht Dein Wort ist's, dem die Heere des Himmels gehorchen, Dein Willen ist's allein. Wo ist ein Willen, der dem Deinem trotzt? Wo ist ein Wirken, daß nicht Du geordnet? Wo ist ein Raum, und er wäre nicht im Gebiete Deiner Macht? Wo ist ein Anfang, der vor Dir war? wo ist ein Ende, das hinausreicht über Deine Dauer? Raum und Zeit sind nicht vor Dir vorhanden. Ja Du, Gott, allein bist der Allmächtige, Du allein bist König, Du allein regierst, Du hast regiert und wirst regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Gott, Du allein bist Richter! Laß ab, mein Geist, von dem vergeblichen Streben, die Größe des Erhabenen zu erkennen; kehre zurück zur kleinen Erde und preise Gott als den, der auch das Kleine schauet! Ja, Deiner Allwissenheit ist nichts verborgen. Du kennst die Wesen alle und ihr Tun, Du kennst auch mich. Vor Dir ist meine Seele offenbar, und die Gedanken meines Herzens sind bekannt. Fern bist Du mir und unerreichbar, wenn ich meinen Blick hinaussende in Deine weite Welt; aber nahe bist Du mir und fühlbar, wenn ich ihn in mein Inneres richte. Wenn die Begierden in mir streiten, wenn die Tugend mit der Sünde in mir um die Herrschaft kämpfen, dann empfinde ich es, daß ich verantwortlich bin für meine Taten, daß ich die Freiheit des Willens nicht erhalten habe zum Dienste der Leidenschaft, sondern als Waffe gegen sie, auf daß ich bestehe vor dem prüfenden Auge des Richters. Mein Richter aber bist Du, Dein Urteilsspruch ist mein Schicksal. O richte mich, mein Gott! Richte mich nach Deiner Gnade und nicht nach meinem Verdienste.
Gott, Du allein bist Lehrer. Wollte ich auch mit der besten Kraft des Willens meine Tugend einrichten nach meiner Weisheit, so würde ich im Finstern wandeln. Du aber hast das nicht gewollt. Du hast den Weg des Verdienstes mir vorgezeichnet in Deiner heiligen Lehre. Du hast den Menschen Deinen Willen kund getan am Sinai. Dein Willen sei mein Gesetz! Deine Lehre sei meine Weisheit!
So möge denn das Horn ertönen, es wird mich vorbereitet finden, seine Sprache zu verstehen. Fremdartig und wunderbar erklingt es vor meinem Ohre, wie der Widerhall aus ferner, alter Zeit, als wollte es von den Wundern erzählen, die Gott in grauer Vorzeit meinen Vätern erwiesen, und dennoch spricht es zu uns und zu allen Geschlechtern in der verständlichen Zunge gegenwärtiger Zeit: Erwache, Menschengeist, erwache! Erhebe Dich, Menschenherz, erhebe Dich! Es ruft Dich Gott! er ist Dir nahe. Bringe Huldigung dem Könige, bringe Bekenntnis dem Richter, bringe Dank und Ehrfurcht dem erhabenen Lehrer. Herbei! Herbei! es ist der Tag des Herrn! Amen!
Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der Du uns geheiligt hast durch Deine Gebote und uns befohlen hast zu vernehmen die Stimme des Schofars!
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Erwäge nun, mein Geist, die Heiligkeit
Des Tages heut, erwäge seine Größe!
Denn mächtig ist er, furchtbar und erhaben.
Heut tust Du, Herr! uns Deine Herrschaft kund.
Der Weltregierung Herrscherstuhl errichtet
Hast Du vor uns, auf Gnade ihn gegründet
Und thronest d'rauf im Himmelsglanz der Wahrheit.
Ja, Wahrheit ist's, daß Du ein Richter bist,
Der nimmer irren kann; Allwissenheit
Macht Dich zugleich zum Geber des Gesetzes,
Zum Zeugen und zum unfehlbaren Richter.
Geschrieben und gezählt von Deiner Hand,
Besiegelt auch sind alle uns're Taten, —
Die wir vergessen, sind von Dir gedacht.
Heut schlägst das Buch Du der Erinn'rung auf,
Und siehe! Alles deutlich d'rin zu lesen,
Als wär's von uns'rer eigenen Hand verzeichnet.
Da tönet mächtig der Posaune Schall,
Und sie verhallt in feierlicher Stille,
Und zitternd eilt herbei der Engel Schar,
Sie laden zum Gericht und rufen aus:
„Erschienen nun ist des Gerichtes Tag!
Herbei, ihr Himmelsscharen! eilt herbei!“
Denn sie auch sind nicht fehlerlos vor Dir.
Und die Geschöpfe alle zieh'n vorüber
Vor Deinem Angesichte, wie eine Herde.
So wie der Hirte, musternd seine Schafe,
Sie läßt dahinzieh'n unter seinem Stabe,
So musterst Du, so leitest Du und zählest
Die Seelen der Lebend'gen, alle, alle;
Das Ziel bestimmst Du jedem Deiner Wesen,
Verzeichnest ihr Gericht, wie Du's verhängst
Am Neujahrstage, da wird's aufgeschrieben
Und am Versöhnungstage wird's beschlossen:
Wieviel der Wesen aus dem Leben scheiden,
Wieviel zur Welt gerufen werden sollen,
Wer leben soll und wer zum Tode eingeh'n,
Wer da sein Ziel erreichen, wer verfehlen,
Und wen die rohen Kräfte der Natur,
Wen Schwert und Krankheit oder Hungersnot
Als ihre Beute sich erwählen werden,
Und wessen Anteil wird der Frieden sein.
Wer unstät irren müsse durch das Leben,
Wer Freudigkeit, wer Trübsal finden soll,
Wer wandeln soll im Segen oder Mangel,
Und wer erniedrigt, wer erhöhet werde;
aber
Reue, Gebet und Liebeswerke
lassen das böse Verhängnis vorübergehen.
Denn wie Dein Name, so ist auch Dein Ruhm,
Bist schwer erzürnt und leicht geneigt zur Milde,
Du willst nicht, daß der Todesschuld'ge sterbe,
Du willst, daß er bereue, daß er lebe,
Du harrst auf ihn bis auf den Tag des Todes
Und nimmst ihn auf, so er zu Dir sich wendet.
Fürwahr, Du bist der Schöpfer aller Menschen,
Kennst ihre Triebe, — sie sind Fleisch und Blut. —
Der Mensch ist Staub und kehrt zurück zum Staube,
Wenn mühsam er das Leben hingebracht.
Er ist zerbrechlich, gleich dem ird'nen Scherben,
Dem dürren Grase gleich, der welken Blüte,
Dem Schatten gleich, der stumm vorüberzieht,
Der Wolke gleich, die sich als Nebel löset.
Wie Wind dahingeht, wie der Staub verfliegt:
So fliegt er hin vergänglich wie ein Traum.
Du aber bist König, Gott, der Lebendige, der Bestehende in Ewigkeit!
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Wohl mag es uns gebühren, ihn, den Herrn der Welt zu preisen,
Ihm, der das Schöpfungswerk vollbracht, Anbetung zu erweisen.
Er hat uns nicht, den Heiden gleich, in Finsternis gelassen,
Und seiner Größe Herrlichkeit vermögen wir zu fassen.
Beneidenswert ist unser Los durch seiner Gnade Gaben,
Die uns der Wahrheit Licht gezeigt, daß wir erkannt ihn haben.
Es kennt ihn nicht den Herrn der Welt, der blöden Heiden Menge,
Wir aber nahen seinem Thron durch Dank und Lobgesänge.
Wir bücken uns, wir beugen uns vor seinem heil'gen Namen.
Der Heilige ist der Herr der Herrn, in Ewigkeiten! Amen!
Er hat den Himmel ausgespannt, er hat erbaut die Erde,
Auf daß der Abglanz seiner Macht geoffenbart uns werde!
Es thronet seine Herrlichkeit am hohen Himmel droben;
Er nur allein ist unser Gott, den wir in Demut loben,
Er nur ist König uns allein und außer ihm kein Wesen,
Wie wir es in dem heil'gen Wort der Gotteslehre lesen:
„So wisse nun und laß erfüllt dein Herz vom Glauben werden:
Der Ewige allein ist Gott im Himmel und auf Erden.“
Und darum hoffen wir auf Dich, es wird die Zeit erscheinen,
Daß alle Erdenkinder sich in Deinem Dienst vereinen;
Daß aller Wahn und aller Trug und Aberglaube schwinden,
Und alle Zungen Deinen Ruhm und Deine Macht verkünden.
Und alles Fleisch wird demutsvoll zu Deinem Dienst sich wenden,
Und alle Bosheit wird vergehn an allen Erdenenden,
Und jedes Knie — es wird vor Dir, vor Dir allein sich beugen,
Und jeder Mund wird schwören Dir, Dir jedes Haupt sich neigen,
Und Preis allein wird Dir gebracht, Dir von den Menschen allen,
Und im Gebet zum Staub vor Dir der Staubgebor'ne fallen;
Und Deiner Herrschaft Allgewalt wird jeder Geist empfinden:
So wird auf Erden sich Dein Reich für Ewigkeit begründen,
So wie es heißt: „Es kommt der Tag, dann wird des Ewigen Namen
Von allen Menschen anerkannt: Der Herr ist einzig!“ Amen!
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Festbetrachtung am Versöhnungstage.
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Wie die kühlende Flut den vom Sonnenbrande ermatteten Leib erfrischt, so verjüngt sich unser Geist, wenn er niedertaucht in die belebende Wahrheit der Versöhnung; und der Hinblick auf die lange Reihe von Vergehungen, die bei dem Gedanken an unsere Entsündigung uns vor die Seele treten, soll uns den göttlichen Frieden, den dieser Tag uns bietet, nicht verbittern, uns nicht verhindern, die Größe des Tages in ungetrübter Reinheit zu empfinden, seine Wohltat in unverkürzter Fülle zu genießen.
Die Versöhnung, mit welcher Gott der Herr uns alljährlich bedenkt, ist die notwendige Ergänzung unseres lückenhaften Daseins. Sündhaft, wie wir sind, wären wir im Grunde dem göttlichen Strafgericht unabänderlich verfallen, darum tritt Gottes Gnade, tritt dieser Tag vor den Riß, er bildet den Kitt unseres Lebens und gibt dem Stückwerk unserer Tätigkeit Abschluß und Abrundung.
Das ist wohl der edelste Gedanke aus dem Gedankenschatze des Judentums. Er weist die Annahme kräftig zurück, daß es einer Vermittelung zwischen Gott und der Welt durch den Opfertod eines Menschen bedurft hätte, der für die Welt habe sterben müssen. Gott selber vielmehr gleicht alljährlich durch den Versöhnungstag das Mißverhältnis zwischen unserer Aufgabe und unseren Leistungen aus.
Wenn nun aber das Bewußtsein, daß wir die Versöhnung als ein Gnadengeschenk Gottes unmittelbar aus der Hand des liebenden Vaters empfangen, uns auch Trost und Erhebung gewährt, ist es alsdann nicht schon bitter genug, daß wir der Sünde so leicht anheim fallen, daß wir die Idee der Vollkommenheit denken und doch nicht erreichen können? Warum sollen wir nicht wenigstens die Kraft der Ausgleichung besitzen, warum sollen wir, was wir gesündigt, nicht selbst wieder gut machen, die Versöhnung nicht verdienen können?
Und in der Tat, wir können es. Gott will nicht, daß sie als ein Geschenk uns zufalle, Gott will, daß wir als einen Lohn und nicht als eine unverdiente Gnade sie empfangen, und seine heilige Lehre zeigt uns den Weg, auf welchem wir durch unsere eigene Leistung die Versöhnung zu unserer Tat gestalten können. Gott spricht zu Mose auf seine Fürbitte für die Sünder: „Ich vergebe nach deinen Worten.“ In diesem knappen Satze ist es angedeutet, worin die Leistungen bestehen, die der Versöhnung den Stempel einer freien Tat verleihen, darin nämlich, daß wir zuvörderst nach der Versöhnung verlangen und an die Versöhnung glauben. Das ist die erste Aufgabe, zu deren Erfüllung dieser Tag uns aufruft.
Gott spricht zum Sünder: Ich vergebe, wenn du ein Wort nur aussprichst, denn dies eine Wort ist das Verlangen nach Aussöhnung — es bedeutet für Gott die Sehnsucht nach dem Göttlichen, das Bedürfnis, sich im Einklange zu wissen mit den ewigen Gesetzen der Tugend und Sittlichkeit, und diese Sehnsucht, dieses Bedürfnis, das ist der Puls, der, wenn er auch leise schlägt, so lange er schlägt, sittliche Kraft, sittliches Leben, ein fühlendes Menschenherz bekundet. So hoch hat das Judentum den Menschen gestellt, daß er tief sinken kann, ohne zu versinken, daß er tief fallen kann, ohne unterzugehen — es hat dem Menschen fast unmöglich gemacht, ein verlorener Mensch zu sein. Das Verlangen nach Aussöhnung ist auch an und für sich schon eine sittliche Tat. Wie oft weigert sich die Lippe des Freundes gegenüber dem Freunde, die des Kindes gegenüber den Eltern, das Verlangen nach Aussöhnung zu offenbaren, sie scheint oft verschlossen und versteinert, weil die Bitte schwer erscheint; erst der Sieg der Selbstüberwindung muß dem ausgesprochenen Sieg vorangehen. Mehr aber als dies fordert der heutige Tag, er fordert einen größeren Sieg.
Der verstockte Sünder hat den Lohn seiner Selbstüberwindung in der Erreichung des Zieles klar vor Augen, nicht so der gebrochene Sünder. Er hat sich selbst aufgegeben, ihm fehlt die Kraft des Vertrauens, er wähnt, wie vom Menschen, so auch von Gott sich verstoßen, er sinkt und sinkt, bis die Wellen über ihm zusammenschlagen. „Bin ich denn aus jener Welt verstoßen“, so spricht er, „so will ich die Freuden dieser Welt genießen.“ Dieser Ausspruch ist eine Giftpflanze, die der Trümmerhaufen eines gebrochenen Menschendaseins, der Sumpf der Verzweiflung noch hervorzubringen vermag. Aber das Judentum hat keine Anerkennung für die gänzliche Verlorenheit eines Menschen, es hat für alle die Pforten der Versöhnung erschlossen; doch fordert es von dem Sünder den Sieg über die Verzweiflung, es fordert von ihm den Sieg des Glaubens: das Vertrauen auf die Versöhnung. Wende dich an die Gnade Gottes, spricht die Religion zu dem Verzweifelnden, und auch für dich hat Gott es ausgesprochen: „Ich vergebe, so du nur ein Wort zu mir sprichst.“
Aber auch darin besteht unsere Leistung, durch die wir der Versöhnung den Stempel der freien Tat zu verleihen vermögen, daß wir das Verlangen nach Versöhnung und den Glauben an sie offen aussprechen.
Gott spricht: „Ich vergebe nach deinen Worten“, das will uns bedeuten: Ich vergebe, wenn du bekennst. In dem rückhaltlosen Bekenntnis, darin äußert sich eben das Verlangen und der Glauben. Wer da glaubt, daß Gott ihm vergebe, warum sollte der verschlossen sein, warum sollte der sein schuldbeladenes Herz nicht öffnen wollen? So tritt denn heute nicht umsonst an uns die Pflicht heran, unser Herz zu entsiegeln, und was wir verbrochen, was wir gefehlt, vor dem Herrn aufzudecken.
Freilich wohl bedarf der Allwissende unseres Bekenntnisses nicht, er sieht ja doch in die geheimsten Falten unserer Brust, kennt unsere Gedanken, noch ehe sie in uns aufgestiegen sind, unsere Worte, noch ehe sie uns von den Lippen strömen. Allein, wenn es auch für Gott unseres Bekenntnisses nicht bedarf, so doch für uns. Wir sind so sehr an die Selbsttäuschung gewöhnt, daß uns die Wahrheit nur allzu leicht unter den Händen entschlüpft. Nur das Bekenntnis macht die Erkenntnis unserer Fehler zur wirklichen Tat. „Ich vergebe“, spricht Gott, „so du offen und rückhaltslos dich aussprichst.“
In solcher Weise erkennen wir die Versöhnung, mit der Gott der Herr uns alljährlich bedenkt, für ein Geschenk seiner Gnade, das uns ohne Vermittelung vom liebenden Vater zuteil wird, und auch für mehr als dies: als eine Gabe, die wir erwerben können durch unsere eigene freie Tat. Amen.
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Wir beugen tief uns nieder,
O Herr, vor Deiner Macht!
Du hast den Tag uns wieder,
Den heiligen, gebracht.
O laß uns Gnade finden!
O schau' auf uns in Huld!
Ach tilge uns're Sünden,
Vergib uns uns're Schuld!
Laß uns'rer Bitte offen
Des Himmels Pforte sein:
Auf Dich ist unser Hoffen
Gerichtet, Herr allein.
Wie könnten wir bestehen,
Wenn Du nicht Gnade übst,
Wenn nicht auf unser Flehen
Die Sünden Du vergibst!
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Allmächtiger! Die Andacht meines Herzens möchte ich offenbaren im Ausspruch meiner Lippen, alle meine Gedanken möchte ich zutage rufen im inbrünstigen Gebete.
Was soll ich sprechen vor Dir, Allmächtiger, Unfaßbarer! Wie soll ich beginnen, wo soll ich enden!
Alle meine Worte reichen nicht hin für die Anbetung, die mein Herz Deiner Heiligkeit zollt; alle meine Worte reichen nicht hin, meine Niedrigkeit zu bezeichnen, in der ich vor Dir stehe! Alle meine Worte reichen nicht hin, den Wünschen meines Herzens Ausdruck zu geben, die vor Dir ich offenbaren will, und alle meine Worte reichen nicht hin, die Schuld zu bekennen, für die ich um Gnade flehe vor dem Throne Deiner Herrlichkeit!
Anbeten will ich Dich, — das ist heute, an dem großen, Dir geweiheten Tage mein Verlangen. Wer ist heilig, wie Du, wer ist erhaben wie Du! Du bist der Schöpfer aller Dinge, die Erde und der Himmel sind das Werk Deiner Hand, und die Sonne und den Mond und das zahllose Heer der Sterne hast Du geschaffen. Du leitest alle Weltkörper in ihren Bahnen, Du weißt auch, wann sie zu wandeln begonnen, und wann ihr Ende sein wird. Mein Auge kann wohl gen Himmel blicken, aber wie sollte ich sprechen: Ich überschaue den Himmel? Weiter als meine Gedanken reichen, reicht die Ferne, in der immer neue Welten Deiner Schöpferhand entrollen. Wo aber, wo ist der Wohnsitz Deiner Herrlichkeit? O Gott, wie bist Du so groß, so groß! Welcher Sterbliche kann so vermessen sein, zu sprechen: Ich kenne den Herrn! Und betrachte ich Dir gegenüber mich, den Erdenbewohner, ach, dann erscheine ich mir gleich dem Sandkorn unter den millionenmal Millionen am Ufer des Meeres; und denke ich an die Zeit, die meinem Erdenleben bestimmt ist, so erscheint sie mir flüchtig, wie der Schatten eines Pfeiles, der über einen Fußbreit Landes dahinfliegt. Was ist der Mensch, daß Du sein gedenkest, der Erdensohn, daß Du Dich seiner annimmst?
Und doch! o Herr! Nimmst Du auch meiner Dich an!
Du bist mir nahe und sorgst für mich, Du kennst meine Lust und mein Leid, meine Freude und meinen Schmerz, meine Bedürfnisse und meine Sehnsucht. Also bist Du mir nahe, wie der gotterfüllte Sänger es ausspricht: „Herr! Du erforschest mich und weißt von mir, ich sitze, stehe auf, Dir ist's bekannt, und was ich denke, prüfest Du von ferne. Du hast mir Gang und Lager zugemessen und meine Wege alle angeführt. Bevor ein Wort auf meiner Zunge schwebt, hast Du es, Herr! schon ganz gewußt.“ Darum ist es keine Vermessenheit, wenn ich mit den Wünschen meines Herzens mich unmittelbar vor Dich zu stellen wage, denn wie ein Vater sich seiner Kinder annimmt, so nimmst Du Dich der Menschen an. O Vater! zu Dir will ich beten. Du nur kannst mir Leben und Gesundheit schenken, Du nur kannst meine Seele bewahren vor allen Gefahren, die ihr drohen durch des Herzens Gelüste und durch den Tand der Welt. Du nur kannst mich bewahren vor Betrübnis und Herzeleid, in Deiner Hand liegt es, daß nicht meine Arbeit eine fruchtlose, mein Bestreben ein unnützes, meine Hoffnung eine trügerische sei. Du nur kannst mich erleuchten mit dem Lichte der Wahrheit, daß meine Wege mich nicht durch Finsternis und Torheit, Irrglauben und Aberglauben führen. Du nur kannst mir den Mut verleihen, der Sünde zu trotzen, und die Kraft, die Leidenschaft zu überwältigen.
Und dies alles kannst Du tun, und mögest Du tun ohne Rücksicht auf meine Würdigkeit. Denn wahrlich! Nicht auf unser Verdienst können wir bauen, wenn wir auf Deine Liebe hoffen. Sündhaft ist der Mensch, und gerecht ist in Deinen Augen schon der, der mit seiner schwachen Kraft gegen die Macht des Lasters ankämpft.
O, auch ich kenne meine Fehler und Sünden. Ich will sie nicht zu beschönigen suchen mit der Ausflucht, es sei alles menschliche Schwäche. Ich weiß es wohl, daß ich nicht immer genügend bemüht war, alle meine Kräfte zu meiner Besserung anzuwenden. Ich habe nicht immer Gott vor Augen und im Herzen gehabt, und nur allzuoft so gehandelt, als ob der Genuß irdischen Wohlseins und das Vergnügen das Ziel des menschlichen Lebens wären. In mancher Stunde des letztverlebten Jahres bin ich wider besseres Wissen rückwärts geschritten und nicht vorwärts in der Veredlung meines Geistes, weil ich den Leidenschaften freien Lauf gelassen, die mich nicht fördern konnten. Oft auch habe ich meine wahre Aufgabe verkannt, nützlich zu sein auf Erden, und habe der Eigenliebe und der Eitelkeit gedient. O, mein Gott, wo soll ich enden, wenn ich die Menge meiner Verschuldungen zu zählen beginne?
Darum ist mir aber auch der heutige Tag heilig und lieb und wert, darum erkenne ich in ihm eine der herrlichsten Wohltaten, mit welchen Du Dein Volk Israel bedacht hast, weil der Versöhnungstag erscheint wie ein ernster, aber lieber und tröstender Freund, der zu uns spricht: „Bange nicht, Mensch, und zage nicht! Du bist um Deiner Sünden willen nicht von Gott verstoßen! Er will dich aufrichten, er will dich neu beleben, er will dich reinigen von aller Schuld und verlangt nichts weiter von dir als wahrhafte Reue und Besserung!“ Wie sollte ich nicht mit Freuden diese Wohltat anerkennen, und all mein Sinnen darauf richten, ihrer ganz teilhaft zu werden! Ich will mich nicht meiner Sünden entledigen, um neue zu begehen, sondern ich will wahren und bleibenden Gewinn ziehen aus der hohen Bedeutung dieses Tages.
Darin soll meine andächtige Erhebung bestehen, daß ich dankend und preisend Dir nahe, Du Ehrfurchtbarer! Daß ich meine Bitten und alles, was mein Herz beschwert, vor Dir ausspreche, daß ich mich selbst prüfe und meine Sünden bekenne und Reue und Besserung aufrichtigen Sinnes Dir angelobe, auf daß ich am nächsten Versöhnungstage — der mir und uns allen herankommen möge zum Heile — mit freudigem Herzen zurückblicken könne auf ein im Dienste Gottes, im Dienste der Religion und Tugend verlebtes Jahr. Also sei es Dein Wille, Allmächtiger! Amen!
——————
(Dieses Gebet wird am Sabbate nicht gesprochen.)
———
Herr und Vater! Wir haben gesündigt vor Dir.
H. u. V.! Du bist allein der Herr, auf den wir vertrauen.
H. u. V.! Übe Gnade an uns zur Verherrlichung Deines Namens.
H. u. V.! Laß das neue Jahr zum Glück und Heil uns herankommen.
H. u. V.! Halte fern von uns jedes schwere Verhängnis.
H. u. V.! Vernichte die Ratschläge unserer Feinde, die sie gegen uns gerichtet.
H. u. V.! Halte fern von uns Pest, Krieg und Hungersnot. Laß die Deinen nicht in die Gewalt der Unterdrückung und des Verderbens fallen.
H. u. V.! Behüte uns vor gefährlicher Krankheit.
H. u. Vater! Verzeihe uns und vergib uns unsere Sünden.
H. u. V.! Laß in vollständiger Buße uns zu Dir zurückkehren.
H. u. V.! Sende vollkommene Heilung allen unseren Kranken.
H. u. V.! Gedenke unser mit Wohlwollen und Gnade.
H. u. V.! Bestimme für uns ein Leben ohne Unglück.
H. u. V.! Bestimme für uns Heil und Erlösung.
H. u. V.! Bestimme für uns, daß Not und Mangel uns fern bleiben.
H. u. V.! Möge es Deine Bestimmung sein, daß auch wir verdienstlich leben.
H. u. V.! Möge es Deine Bestimmung sein, daß Fehl und Unrecht uns verziehen werde.
H. u. V.! Laß das Heil der Menschen wachsen und zunehmen.
H. u. V.! Erhebe Israel zu seiner wahren Größe und zur Erkenntnis seiner Bedeutung.
H. u. V.! Laß Dein Reich auf Erden immer mehr und mehr sich erweitern.
H. u. V.! Fülle unsere Hand mit Deinen Segnungen.
H. u. V.! Höre unsere Stimme und erbarme Dich über uns.
H. u. V.! Nimm unser Gebet in Gnaden auf.
H. u. V.! Öffne die Pforten des Himmels unserm Flehen.
H. u. V.! Gedenke, daß wir nur Staub sind.
H. u. V.! Laß uns nicht leer zurückkehren, da wir gebetet vor Deinem Angesicht.
H. u. V.! Laß diese Stunde sein eine Stunde der Barmherzigkeit, eine Zeit der Gnade vor Dir.
H. u. V.! Erbarme Dich über unsere unmündigen Kinder.
H. u. V.! Gedenke des Verdienstes der Frommen, unserer Vorfahren, die in den Tod gegangen sind um des Glaubens willen, die standhaft ihr Leben geopfert haben für das Bekenntnis Deiner Einheit.
H. u. V.! Laß auch ferner Deinen Namen durch uns geheiligt und verbreitet werden.
H. u. V.! Nicht unserem Verdienste vertrauen wir, sondern Deiner Gnade. Amen!
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(Vorher Nischmath Seite 19.)
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O Herr! öffne meine Lippen, daß mein Mund Deinen Ruhm verkünde.
Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs! Du bist der Allmächtige, der Erhabene, der Ehrfurchtbare. Du bist der Vergelter aller guten Taten, Du bist es, dem alles angehört, und der auch der Frömmigkeit der Väter gedenket, um zu vergelten den Kindern um seines Namens willen in Liebe.
O gedenke unser zum Leben, Du, König, der da Wohlgefallen hat am Leben, und schreibe uns ein in das Buch des Lebens.
König, Beistand, Retter und Schirm bist Du! Gelobt seist Du, Ewiger Schild Abrahams.
Du bist mächtig in Ewigkeit, o Herr! Du belebest die Toten und ernährest die Lebendigen, Du stützest die Fallenden, heilest die Kranken, erlösest die Gefesselten. Wer ist Dir gleich, Herr aller Mächte! wer kann mit Dir sich messen! Du tötest, Du belebest, von Dir kommt alles Heil.
Wer ist wie Du, Vater der Barmherzigkeit! Du gedenkest in Gnade aller Deiner Geschöpfe, von Dir kommt ihr Leben.
Heilig bist Du, und heilig ist Dein Name, und allen Frommen gebührt es, Dich täglich zu loben.
O, so möge denn auch die Zeit immer näher kommen, daß Dich, den Ewigen, unseren Gott, alle Geschöpfe in Ehrfurcht preisen, daß alle Menschen auf der Erde erfüllt werden von dem Bewußtsein Deiner Erhabenheit, daß alle einmütig vor Dir sich beugen, daß alle in einem Bunde sich vereinigen, um mit freudigem Herzen Deinen Willen zu üben; daß sie es erkennen, so wie wir es wissen, daß Dein allein die Herrschaft ist, alle Macht nur in Deiner Hand, alle Stärke nur in Deiner Rechten, und daß Dein Name allein würdig ist, der Inbegriff aller Ehrfurcht zu sein für alle Geschöpfe der Erde.
Und so möge es auch zur Ehre Deines Volkes anerkannt werden, daß sein Glauben die Wahrheit ist. Das sei der Ruhm Deiner Verehrer, die Hoffnung derer, die Dich suchen. Das freimütige Wort derer, die auf Dich harren, sei immerdar die Rede: „Einst wird der Herr das Licht der Wahrheit leuchten lassen über die ganze Welt.“ O tue es bald! O tue es bald!
Bringe näher die Zeiten des Heiles vor unseren Augen, so daß die Gerechten es sehen und dessen sich freuen, die Redlichen jauchzen, die Frommen in Jubel ausbrechen, wenn das Laster verstummt, die Bosheit wie Rauch vergeht und die Herrschaft des Übermutes schwindet von der Erde.
Dann wird der Glauben an Dich allein die Welt regieren, dann wird erfüllt Dein heiliges Wort:
„Der Herr allein regiert die Welt, dein Gott ist's, der Gott, auf Zion, angebetet, von Geschlecht zu Geschlecht, Halleluja!“
O, Ewiger! unser Gott! laß diesen Tag der Versöhnung uns zum Heile werden, auf daß wir entsündigt werden von allen unseren Vergehungen.
Laß an dem heutigen Tage vor Dir aufsteigen das Andenken an uns, die Betenden, auch das Andenken an unsere Väter, die vor Dir gewandelt sind, auch das Andenken an den Erlöser, den Du Deinem Volke verheißen, auch das Andenken an Jerusalem, Deine heilige Stadt, auch das Andenken an das ganze Volk Israel, dem Du ein treuer Hüter gewesen bist auf seinem Wandel durch die Zeiten, damit Du am heutigen Tage der Versöhnung unser gedenkest in Milde und Barmherzigkeit, zum Glücke und zur Rettung, zum Leben und zum Wohlsein.
O, gedenke unser heut zum Glücke!
Erinnere Dich unser zum Segen!
Steh' uns bei, auf daß wir leben!
Denn auf Dich sind unsere Augen gerichtet, Du bist Gott, Du bist König, Du bist der Allgütige.
Unser Gott, und unserer Väter Gott! Vergib unsere Sünden an diesem Versöhnungstage und lasse unsere Missetaten aus Deinen Augen schwinden, wie Du verheißen hast: „Ich, ich bin es, der ablöscht deine Missetaten um meinetwillen, und deiner Vergehungen gedenke ich nicht,“ und wie es ferner heißt: „Ich habe abgelöscht wie Gewölk deine Missetaten und wie Wolkendunst deine Vergehungen. Kehre zurück zu mir, denn ich habe dich erlöset“, und wie es ferner heißt: „Denn an diesem Tage entsühnt er euch, um euch zu reinigen von allen euren Sünden, vor dem Ewigen sollt ihr rein sein.“
Reinige unser Herz, daß wir mit Eifer und in Wahrheit Dir dienen. Du bist es ja, der sein Wohlwollen nicht ablenkt von den Stämmen Jeschuruns, bis an das Ende der Zeiten. An wen sollten wir uns auch wenden, da nur Du unser König bist, der uns begnadigen kann. Alljährlich läßt Du unsere Schuld dahinschwinden. So liebst Du Dein Volk Israel, und darum auch schenktest Du uns den Versöhnungstag.
Nimm auch unsern Dank, o Gott und Gott unserer Vorfahren, für das Leben, das Du bis heute uns bewahrt, für die Wohltaten, die Du bis heute uns erwiesen. Alles, was Du für uns tust, ist groß und wunderbar, wir könnten nicht genügend Dir danken, wollten wir auch täglich vom Morgen bis an den Abend Dich rühmen. Ohne Ende ist Deine Güte, und Deine Liebe hat keine Grenzen.
O Herr! Laß unsere Bitte vor Dich kommen, wenn wir gleich auf unser Recht nicht bauen können: wir wissen gar wohl, wie vielfach wir gesündigt haben.
Wir sind abgewichen von Deiner Lehre und von Deinen Vorschriften, die so heilsam für uns sind, Du freilich bist gerecht, wir aber stehen beschämt als Sünder vor Dir.
Was sollen wir sprechen vor Dir? Du wohnest in der Höhe und überschauest das All. Was sollen wir Dir mitteilen? Dein Thron ist über den Wolken. Nur vor uns gibt es Geheimes und Offenbares, Dir aber ist alles, alles bekannt.
Du kennst die Geheimnisse der Welt und kennst sie seit Ewigkeit, und ebenso die Verborgenheit, in der das kleinste Wesen lebt, Du durchforschest die geheimsten Gedanken unserer Brust, nichts ist Dir unsichtbar, kein Verbergen gibt es vor dem Auge Deiner Allwissenheit.
O Herr! Darum kennst Du auch mich, mein ganzes Wesen, mein ganzes Leben und meine Fehler und Sünden. Ich aber flehe Dich an, o vergib! Verzeihe und gewähre mir Versöhnung!
O Herr! Wie könnte ich denn Dir zu nahe treten, wie könnte ich Dich beleidigen durch meine Sünde, nur mir, meiner Veredelung und dem Heile meiner Seele kann ich schaden, denn ob ich gleich geboren bin, bin ich immer noch ein Nichts. Staub bin ich bei meinem Leben, um wie viel mehr nach meinem Tode, wenn ich nicht die Seligkeit des ewigen Lebens mir erwerbe. Beschämt und vernichtet ich vor Dir, wenn ich die Geringfügigkeit meiner Tugend mir bedenke. O, Herr! Laß meinen Willen erstarken, daß ich fortan die Sünde meide, und was ich bis jetzt verschuldet, das laß vergessen sein vor Dir. Reinige mich und läutere mich durch Deine Gnade und Verzeihung, aber, o Herr! nicht durch Prüfungen und Strafgerichte.
Verzeichne zum glücklichen Leben alle Kinder Deines Bundes.
Verzeichne uns heut, uns und das ganze Haus Israels, ins Buch des Friedens, der Nahrung und des Wohlseins.
Bewahre unsere Zunge vor trüglicher Rede und unser Gemüt vor Hochmut, segne uns mit einem willigen Herzen und einem eifrigen Geiste zur Erfüllung unsrer Pflichten, und nimm wohlgefällig auf die Worte meines Mundes und die Gedanken meines Herzens, Du, mein Fels und mein Erlöser! Amen.
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Herr und Vater! Du hast den heiligen Versöhnungstag für uns eingesetzt, daß wir das Heil unserer Seele, die Vergebung unserer Sünden von Dir erlangen. Wohl weiß ich es, daß ich keine Versöhnung für mich herbeiführen kann ohne Reue und Besserung. Darum ist dieser Tag für mich eine Zeit der Selbstprüfung und des eifrigen Forschens nach dem Zustande meines innersten Wesens. So laß mich denn reuevoll das Bekenntnis meiner Sünden vor Dir aussprechen.
Was könnte es mir auch nützen, wenn ich sie verbergen oder auch nur das offene Eingeständnis derselben unterdrücken wollte! Ist Dir ja doch das Geheimste offenbar. Du schauest den verborgensten Zusammenhang aller Dinge im Weltall, und ebenso geöffnet vor Dir sind die Kammern meines Herzens, meine Taten alle und alle meine Gedanken.
Herr und Vater, ich habe gesündigt gegen Dich.
Ich habe die falschen Vorstellungen von Dir nicht in dem Maße aus meiner Seele verbannt, als ich es wohl vermocht hätte, wenn ich mit Eifer jede Gelegenheit gesucht hätte, Belehrung zu empfangen, um den Glauben zu befestigen und mich vom Aberglauben zu entfernen.
Ich habe nicht Dir allein gedient: habe mich des Götzendienstes schuldig gemacht, wenngleich ich nicht gebetet vor Holz oder Stein, denn oft habe ich mein Knie gebeugt vor dem Unwürdigen, um die Gunst der Menschen mir zu erkaufen, oft habe ich auch ein Opfer dargebracht auf dem Altar des Genusses, das Dir nicht wohlgefällig war.
Ich habe nicht Dir allein vertraut und nicht Dir über alles vertraut; denn ich gründete mein Hoffen oft einzig auf die Hilfe der Menschen und noch öfter auf meine eigene Einsicht.
Ich habe Deine Liebe nicht anerkannt, denn ich habe Deine Gaben genossen, ohne an Dich zu denken und Dir zu danken.
Ich habe Deinen Namen nicht heilig gehalten, sondern ihn leichtfertig und unnötig ausgesprochen, und so die Ehrfurcht gegen Dich verletzt.
Ich habe den Sabbat nicht immer geheiligt, und oft versäumt, ihn anzuwenden zur inbrünstigen Erhebung zu Dir im Gebete.
Ich habe Zeiten, die Dir geweiht sein sollen, zu weltlichen Geschäften verwandt, weil ich mich freuete an der Frucht meiner Arbeit und sie nicht betrachtete als ein Geschenk Deiner Gnade.
Herr und Vater! Ich habe auch gesündigt gegen meine Nebenmenschen.
Ich habe oft gefehlt in der Ehrfurcht gegen meine Eltern.
Ich habe oft die Gefühle der Dankbarkeit verleugnet gegen die, die mir wohlgetan.
(Ich bin meinen jüngeren Geschwistern nicht immer ein würdiges Vorbild gewesen.)
Ich habe mich aufgelehnt gegen die, die ein Recht auf meinen Gehorsam haben.
Ich habe die Gesetze der Obrigkeit verletzt und nicht beherzigt, daß das Heil aller gegründet ist auf den guten Willen aller, die Ordnung der menschlichen Gesellschaft zu hüten.
Ich habe mich versündigt am Leben meines Nächsten, weil ich ihn nicht gewarnt, wo Gefahr ihm drohte, so daß er einen Schaden genommen, den ich hätte verhüten können.
Ich habe oft unvorsichtig zerstört, was meinem Nächsten Freude gemacht hat.
Ich habe mich hart abgewandt von dem Hungrigen.
Ich habe dem Leidenden meine Hilfe versagt.
Ich habe die, welche mir um Lohn dienten, mit Arbeit überbürdet und ihre Schwäche nicht geschont.
Ich war mitleidslos, vielleicht auch grausam gegen Tiere.
Ich habe Sitte und Unschuld nicht immer in meinen Gedanken bewahrt.
Ich habe durch leichtfertige Reden die Unschuld beleidigt.
Ich habe eingestimmt in den Scherz, der die Sitte verletzt.
Ich habe das Eigentum meines Nächsten nicht geachtet und im Eigennutz sein Recht vergessen.
Ich habe meinen Vorteil auch da gesucht, wo er den Nachteil eines andern herbeiführte.
Ich habe dem Arbeiter seinen Lohn gekürzt und über die Gebühr ihn darauf warten lassen.
Ich habe meinen Nächsten beleidigt und durch Wort und Tat gekränkt.
Ich habe hart geurteilt über die Handlungen anderer Menschen.
Ich habe durch üble Nachrede ihrem guten Namen geschadet.
Ich habe Lästerungen gleichgültig oder wohlgefällig angehört und nicht zurückgewiesen.
Ich bin durch Übertreibung der Fehler anderer abgewichen von der Wahrheit.
Ich habe nicht Rücksicht geübt mit ihren Schwächen.
Ich habe auch ihren Taten oft falsche Beweggründe unterstellt und so den Schuldlosen verdächtigt.
Herr und Vater! Ich habe auch gesündigt gegen mich selbst.
Ich war zu selten bestrebt, meine Gedanken und meine Sitten zu veredeln.
Ich habe mein Herz nicht rein gehalten vom Neide.
Ich habe Genüge gefunden an meiner eigenen Mittelmäßigkeit.
Ich habe dennoch der Zufriedenheit zu selten Raum gegeben in meinen Empfindungen.
Ich habe oft die Stimme der Weisheit überhört und die Gesetze der Mäßigkeit nicht geachtet.
Ich habe zu viel nach irdischen Gütern gestrebt und das Heil meist in ihrem Besitze gesucht.
Herr und Vater! Alles dies habe ich getan und noch viel darüber:
Meine Wahrheitsliebe war zu gering, meine Treue zu wankelmütig, mein Mitleid zu selten und zu untätig; meine Ordnungsliebe zu lau, mein Fleiß war oft ohne Ausdauer, meine Mühe ohne Beharrlichkeit.
So habe ich selbst das Recht nur unvollständig geübt und auch vom Unrechten habe ich zu wenig mich fern gehalten.
Ich habe heuchlerisches Lob mit Wohlgefallen aufgenommen, habe der Schmeichelei mein Ohr geneigt, ich habe den Tadel gehaßt, ich habe meine Fähigkeiten überschätzt, meine Ansprüche zu hoch gestellt, meine Ehre oft zu gering gehalten; ich habe meine Bequemlichkeit zu sehr geliebt und meine Pflichten zu wenig.
Ach! ich könnte noch lange nicht enden, wäre ich imstande, meiner Fehler große Zahl vor Dir zu bekennen. Je tiefer ich in mein Inneres schaue, desto tiefer wird vor meinem Blicke der Abgrund meiner Sündhaftigkeit. Ich könnte auf Deine Milde, Allbarmherziger, nicht hoffen, wolltest Du mir vergelten nach Gerechtigkeit. Du aber wirst mich richten nach Deiner unendlichen Gnade. Wo ist ein Mensch, der fehlerlos vor Deinem Angesichte erschienen, denn: es gibt ja keinen Gerechten auf Erden, der nur das Gute tut und nicht sündigt.
Darum, Herr und Vater, nimm das Bekenntnis meiner Sünden wohlgefällig auf und schreibe mich in das Buch der Versöhnung und Vergebung.
Laß mich immer erfüllt sein von dem Streben, weiser und besser zu werden. Halte fern von mir die Versuchung, und wo sie mir dennoch entgegentritt, da gib mir Einsicht, sie zu erkennen und Kraft, ihr zu widerstehen.
Das ist mein Gebet, das ist mein Hoffen, das ist mein Vertrauen zu Dir, der Du den heutigen heiligen und ehrfurchtbaren Tag bestimmt hast, daß er ein Versöhnungstag für uns sei, denn Du hast es in Deiner heiligen Lehre ausgesprochen: An diesem Tage will ich euch versöhnen, euch zu reinigen; von euren Sünden sollt ihr vor dem Herrn rein sein. Amen.
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O Ewiger! Ewiger! Barmherziger Gott! Du bist der Allgnädige, langmütig und von unbegrenzter Huld und Treue, der seine Gnade bewahret bis ins tausendste Geschlecht, der Missetat, Abfall und Sünde vergibt und den Übeltäter losspricht.
(Dreimal.)
Herr des Weltalls! O erfülle die Wünsche meines Herzens, so sie zu meinem Heile gereichen; willfahre meinem Verlangen und erhöre meine Bitte: Vergib erbarmungsvoll alle meine Missetaten und vergib Fehl und Sünde allen, die mir nahe stehen und die ich in mein Gebet einschließe. Laß Deine Verzeihung walten über uns aus Gnade und Barmherzigkeit; laß uns rein sein von Sünde und Vergehen. Gedenke heute unser mit Wohlgefallen, erinnere Dich unser zu unserm Heile. Schenke uns ein glückliches Leben, gewähre uns Frieden, Nahrung, Zufriedenheit und sorgenfreie Befriedigung der Bedürfnisse des Lebens. Laß es uns nimmer fehlen an Brot und Kleid. Beglücke uns mit Wohlstand und Ansehen und Lebensfreude, damit es uns vergönnt sei, diese Güter anzuwenden zu Werken der Tugend, schenke uns Leben und Gesundheit, damit wir noch lange zu wandeln vermögen in den Wegen Deiner Lehre. Gib uns Weisheit und Einsicht, daß es uns mehr und mehr gelinge, einzudringen in den Plan Deiner Weltregierung. Befreie uns von den Leiden, die uns drücken und segne die Taten unserer Hände. Verhänge über uns Glück, Heil und Trost. Vernichte die Gefahren, die uns drohen, ob sie uns bekannt oder unbekannt sind. Wende immerdar das Herz unseres erhabenen Regenten zum Wohlwollen, daß nie wieder über Israel hereinbrechen die Tage des Druckes und der Erniedrigung. Also sei es wohlgefällig vor Dir, barmherziger Vater, Herr des Weltalls. Amen!
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד׃
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Der am heiligen Tage der Versöhnung gelesene Abschnitt der Thora ruft uns allen den tieftraurigen Tod der beiden Söhne des Priesters Ahron ins Gedächtnis. Sie starben vor dem Ewigen, als sie fremdes, unheiliges Feuer in das Heiligtum trugen. So wurde jenen die Stätte des Segens zum Unglücksorte, wurde dem schwergeprüften Vater das Heiligtum, seine zweite Heimat, zum Grabe seiner Kinder. So ist Menschenlos. Wo wir Glück erhoffen und erträumen, erwächst oft Unheil. Die Unerforschlichkeit göttlicher Bestimmung wird uns oft genug erwiesen. Wir stehen stumm und sprachlos, gleich Ahron, vor dem Grabe köstlichster Habe. Das ist Menschenschicksal. Wenn der Hohepriester am Tage der Versöhnung das Heiligtum zu verlassen sich anschickte, war eines seiner andächtigen Gebete: „Möge es Dir wohlgefallen, o Herr, daß den Bewohnern Sarons ihre Häuser nicht zu ihren Gräbern werden.“ Saron, das ist jener liebliche Landstrich des heiligen Landes, der berühmt ist durch die Schönheit und Üppigkeit seiner Fluren; dessen Rosen und Lilien farbenprächtig prangen, köstlich duften. Die Lilie von Saron zierte die jüdische Jungfrau. Kein Jahr jedoch verstrich, in welchem dieses gesegnete Erdreich nicht seine Opfer forderte. Nur an der Oberfläche war der Boden dieser rosengeschmückten Gefilde lieblich und schön. Aus der Tiefe drohten Tod und Verderben. Erderschütterung und die Wühlarbeit unterirdischer Gewässer machten Sarons Ebene zur Schreckenstätte. Die sonst beneidenswerten Bewohner waren von furchtbarer Gefahr bedroht.
Ein anderes Saron ist unser Leben, sind die Gefilde und Triften unseres Strebens und Wirkens, die Stätten unserer Wohnungen und Familienhäuser. Leben, blühendes Leben soll ihnen entsprießen. Wie fruchtbares Erdreich sollen sie sein, in das wir kräftiges Saatkorn senken, um freudig Garben binden und heimwärts tragen zu können. Unseren Häusern erwachsen in Töchtern und Söhnen liebliche Rosen, duftige Lilien. Rein wie die Lilie, keusch und lauter ist des Kindes Unschuld, wie die Rose voll Seelenduft, aber auch ebenso zart und empfindlich. Ihnen schadet die Kälte, scharfer Windhauch des Herbstes. Sie verlangen Wärme und Wacht, auf daß die Töchter und Söhne dem Judentume treu und lebendig bleiben. Der geweihte Boden des Hauses, wo Mütter und Väter sorgen und hüten, ist die Ursprungsstelle jüdischer Frauen und Männer. Hier müssen den zarten Wurzeln Triebkräfte zugeleitet werden, damit die Blumen sich entfalten und nicht vorzeitig welken und sterben. „Möchten doch unsere Häuser nicht zu unseren Gräbern werden.“ Dieses ist unser heißes Flehen in dieser heiligen Stunde, in welcher wir derjenigen wehmutsvoll gedenken, die in den Gräbern ruhen. Ihnen war das Haus verheißungsreiche Pflegestätte edelster jüdischer Tugend, biblischer Kraft, patriarchalischen Geistes. In ihrer Wohnung gediehen Lilien inniger Frömmigkeit, Rosen ungetrübter Seelenfreude, Herzensruhe, Gottergebenheit. Und ihnen erwuchsen in Töchtern und Söhnen verläßliche Glaubensschwestern, Glaubensbrüder.
In sich trugen sie die Bürgschaft für neues Leben. Nie ward ihr Haus ihr Grab. Lasset uns ernstlich Sorge tragen, daß unsere Häuser den drohenden Erschütterungen der Erde nicht zum Opfer fallen, kein wühlendes Gewässer sie zerstöre, Schuld und Sünde die Bewohner nicht dem Tode weihe. So beten wir mit dem Priester andächtig und inniglich: „Möge es Dir wohlgefallen, o Herr, daß unsere Häuser nicht unsere Gräber werden.“
(Siehe „Totenfeier“ am Schlusse des Buches).
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Was können wir denn tun, Herr und Vater, um der Gnade würdig zu sein, um die wir Dich anflehen. Der sichtbare Wohnsitz Deiner Herrlichkeit, der heilige Tempel zu Jerusalem, ist nicht mehr das Ziel unserer Wallfahrt; der Hohepriester betritt nicht mehr das Allerheiligste und sprengt nicht mehr das Blut der Entsündigung an die Wände des Altars. Der Sündenbock wird nicht mehr, beladen mit der Schuld des Volkes Israel, in die Wüste gesandt, und die Flammen des Opfers lodern nicht mehr auf dem Altare.
Wohl weiß ich es, Herr und Vater, daß Du das alles heute noch nicht von uns begehrst, und daß Du darum selbst in Deiner erhabenen Majestät nicht aufgehört hast, in der Mitte der Deinen zu thronen, wo sie zu Deinem Dienste sich versammeln an allen Enden der Erde. Du selbst hast es ausgesprochen: „Und ich werde gedenken des Bundes, den ich mit ihren Vorfahren geschlossen, welche ich aus Ägypten geführt habe vor den Augen aller Völker, ihnen ein Gott zu sein, ich, der Ewige.“ Du selbst hast uns die Versicherung gegeben: „Auch alsdann, wenn sie sein werden im Lande ihrer Feinde, werde ich sie nicht verwerfen und verstoßen, sie nicht vergehen lassen, so daß ich meinen Bund mit ihnen zerstöre, denn ich bin der Ewige, ihr Gott.“ Auch für uns gilt das Wort, das Du durch Deinen Propheten verheißen: „Wenn eure Sünden auch wie Purpur sind, weiß wie Schnee sollen sie werden.“
Und so weiß ich es, daß Du auch uns die Mittel gegeben hast, Deine Gnade zu erwerben. Auch uns ist es nicht versagt, Dir Opfer zu bringen, die Dir wohlgefällig sind. Wenn wir in aufrichtiger Buße unsere Sünden bereuen und Dir geloben, mit allen unseren Kräften die Versuchungen zu bekämpfen und die Fehler zu meiden, wenn wir in inbrünstigem Gebete zu Dir uns wenden allezeit, und wenn wir, eingedenk Deiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit, wiederum gütig und hilfreich sind gegen unsere Nebenmenschen, so oft sie unseres Beistandes bedürfen: das alles, Herr, ist wohlgefällig aufgenommen in Deinen Augen, das steigt auf zum Throne Deiner Herrlichkeit wie der liebliche Duft des Weihrauchs vom Altare. Amen!
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Wenn auch nicht mehr der Opferduft
Entsteiget den Altären,
Wir können Opferfreudigkeit
Dir dennoch, Herr, bewähren:
Des Herzens sündige Begier,
Die bringen wir zum Opfer Dir.
O Herr, laß von uns allen
Solch' Opfer Dir gefallen!
Und kann der Priester nicht für uns
Das Heiligtum betreten,
Wir können selbst im Heiligtum
Zu uns'rem Schöpfer beten.
Im Gotteshaus mit Lobgesang
Bekunden wir des Herzens Drang.
O Herr, laß von uns allen
Solch' Opfer Dir gefallen!
Und können wir zum Opfertier
Auch keine Gaben spenden,
Auf daß wir unsere Sündenlast
Zum Wüstenfelsen senden.
Wir wollen uns're Gaben weih'n
Dem Dürftigen ein Trost zu sein.
O Herr, laß von uns allen
Solch' Opfer Dir gefallen.
Das können nur die Opfer sein,
Die wir zu bringen haben:
Die wahre Buße, das Gebet
Und milde Liebesgaben.
So suchen wir des Schöpfers Huld,
So sühnen wir der Sünde Schuld.
O Herr, laß von uns allen
Solch' Opfer Dir gefallen!
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Erwäge nun, mein Geist, die Heiligkeit
Des Tages heut, erwäge seine Größe!
Denn mächtig ist er, furchtbar und erhaben.
Heut tust Du, Herr! uns Deine Herrschaft kund.
Der Weltregierung Herrscherstuhl errichtet
Hast Du vor uns, aus Gnade ihn begründet
Und thronest d'rauf im Himmelsglanz der Wahrheit.
Ja, Wahrheit ist's, daß Du ein Richter bist,
Der nimmer irren kann; Allwissenheit
Macht Dich zugleich zum Geber des Gesetzes,
Zum Zeugen und zum unfehlbaren Richter.
Geschrieben und gezählt von Deiner Hand,
Besiegelt auch sind alle uns're Taten, —
Die wir vergessen, sind von Dir gedacht.
Heut schlägst das Buch Du der Erinn'rung auf,
Und siehe! Alles deutlich d'rin zu lesen,
Als wär's von uns'rer eigenen Hand verzeichnet,
Da tönet mächtig der Posaune Schall,
Und sie verhallt in feierlicher Stille,
Und zitternd eilt herbei der Engel Schar,
Sie laden zum Gericht und rufen aus:
„Erschienen nun ist des Gerichtes Tag!
Herbei, ihr Himmelsscharen! eilt herbei!“
Denn sie auch sind nicht fehlerlos vor Dir.
Und die Geschöpfe alle zieh'n vorüber
Vor Deinem Angesichte, wie eine Herde.
So wie der Hirte, musternd seine Schafe,
Sie läßt dahinzieh'n unter seinem Stabe,
So musterst Du, so leitest Du und zählest
Die Seelen der Lebend'gen, alle, alle;
Das Ziel bestimmst Du jedem Deiner Wesen,
Verzeichnest ihr Gericht, wie Du's verhängst.
Am Neujahrstage, da wird's aufgeschrieben
Und am Versöhnungstage wird's beschlossen:
Wie viel der Wesen aus dem Leben scheiden,
Wie viel zur Welt gerufen werden sollen,
Wer leben soll und wer zum Tode eingeh'n,
Wer da sein Ziel erreichen, wer verfehlen.
Und wen die rohen Kräfte der Natur,
Wen Schwert und Krankheit oder Hungersnot
Als ihre Beute sich erwählen werden,
Und wessen Anteil wird der Frieden sein.
Wer unstät irren müsse durch das Leben,
Wer Freudigkeit, wer Trübsal finden soll,
Wer wandeln soll im Segen oder Mangel,
Und wer erniedrigt, wer erhöhet werde;
aber
Reue, Gebet und Liebeswerke
lassen das böse Verhängnis vorübergehen.
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Denn wie Dein Name, so ist auch Dein Ruhm,
Bist schwer erzürnt und leicht geneigt zur Milde,
Du willst nicht, daß der Todesschuld'ge sterbe,
Du willst, daß er bereue, daß er lebe,
Du harrst auf ihn bis auf den Tag des Todes
Und nimmst ihn auf, so er zu Dir sich wendet.
Führwahr! Du bist der Schöpfer aller Menschen,
Kennst ihre Triebe, — sie sind Fleisch und Blut. —
Der Mensch ist Staub und kehrt zurück zum Staube,
Wenn mühsam er das Leben hingebracht.
Er ist zerbrechlich, gleich dem ird'nen Scherben,
Dem dürren Grase gleich, der welken Blüte,
Dem Schatten gleich, der stumm vorüberzieht,
Der Wolke gleich, die sich als Nebel löset.
Wie Wind dahingeht, wie der Staub verfliegt,
So fliegt er hin, vergänglich wie ein Traum.
Du aber bist König, Gott, der Lebendige, der Bestehende in Ewigkeit!
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Glanzvoll und weihevoll, prächtig und erhebend war die Feier des Versöhnungstages in jenen Zeiten, da der Hohepriester noch seinen heiligen Dienst im Tempel zu Jerusalem verrichtete. Der Opferdienst des Hohenpriesters am Versöhnungstage bot dem in Andacht und feierlicher Stimmung erregten Volke das sichtbare Kennzeichen der Entsündigung dar. Der Hohepriester war der Größe seiner Aufgabe sich bewußt und alle Voranstalten zur würdigen Lösung derselben entsprachen der hohen Heiligkeit des Tages.
Entsprossen aus dem Hause Aharons, und durch diese seine Abstammung zum Priesteramte befähigt, sollte dennoch zu dem Vorzuge seiner Geburt der seiner eigenen Würdigkeit sich gesellen. Darum unterzog er sich gern allen Förmlichkeiten, die darauf abzielten, ihn zur Weihe des Tages vorzubereiten.
Sieben Tage vor dem Versöhnungstage sonderten die Ältesten den Hohenpriester von den übrigen ab, wie einst Aharon bei seiner Weihe. Man besprengte ihn mit dem Wasser der Entsündigung, dann machte er selbst die Sprengungen und Räucherungen und übte sich aufs beste in allen Verrichtungen seines Dienstes.
Alte, angesehene und weise Männer bildeten ausschließlich seine Umgebung und füllten seine Zeit mit Belehrungen und Ermahnungen aus. Am neunten Tage des Monats Tischri wurden die für den Sühnetag bestimmten stattlichen Opfertiere an ihm vorübergeführt. Um die Zeit des Sonnenunterganges durfte er nur spärliche Speise zu sich nehmen, und die Greise seines Stammes beschäftigten ihn mit Unterweisungen und lehrreichen Gesprächen, um ihn bis Mitternacht wach zu erhalten. Alsdann beeilten sich die Priester, die Asche vom Opferaltar und vom goldenen abzuräumen, um welche Verrichtung viermal gelost wurde.
Sobald der Späher auf der Warte den Anbruch des Morgens verkündete, spannten sie eine Byssusdecke aus, um den Priester zu bergen. Er entkleidete sich, badete, legte die Goldgewänder an, wusch Hände und Füße und schlachtete das tägliche Morgenopfer, fing das Blut auf und sprengte es.
Nachdem er das ganze tägliche Opferwerk vollbracht hatte, wurde abermals eine Byssusdecke vor ihm ausgespannt. In einem besonderen Gemache im Heiligtum, der Kammer des Parwah, nahm er abermals Bad und Waschungen vor und bekleidete sich mit kostbaren weißen Gewändern von Pelusischem Byssus. Er trat alsdann hervor, legte seine Hand auf den bereitstehenden Opferfarren, bekannte seine Sünden und sprach:
„O, mein Gott! Ich habe gesündigt, gefehlt, gefrevelt vor Dir, ich und mein Haus. O, bei Deinem heiligen Namen rufe ich: Vergib die Sünden, Fehle und Frevel, durch die ich gesündigt, gefehlt und gefrevelt habe vor Dir, ich und mein Haus, wie geschrieben steht in der Lehre Moses, Deines Knechtes, aus dem Munde Deiner Herrlichkeit: „Denn an diesem Tage wird er euch sühnen, euch zu reinigen von euren Sünden vor dem Ewigen“.
Der Priester aber und das Volk, das in der Vorhalle stand, wenn sie vernahmen den ehrwürdigen und erhabenen Gottesnamen, wie er klar und deutlich gesprochen aus dem Munde des Hohenpriesters kam in Weihe und Reinheit, knieten nieder und bückten sich, bekannten ihn und fielen auf ihr Angesicht und sprachen: „Gelobt sei der Name seines herrlichen Reiches in Ewigkeit“.
Und auch er (der Hohepriester) wußte es also einzurichten, daß er den Namen des Ewigen aussprach im Augenblicke der Benedeiung[2] und fügte alsdann hinzu: „sollt ihr rein sein“. Du aber, Gott in Deiner Huld, ließest Deine Barmherzigkeit rege werden und gabst Verzeihung Deinen Frommen.
[2] Absatz 3, Schluß.
Alsdann schritt der Priester an die Morgenseite der Vorderhalle. Dort standen die beiden, durch Gestalt und Ähnlichkeit gepaarten Opferböcke, die zum eigentlichen Entsündigungsopfer am Versöhnungstage bestimmt waren. Dieselben waren aus den Mitteln der Gemeinde angeschafft. Der Priester nahete ihnen, um mit ihnen zu verfahren, wie es im Gesetze des Herrn (3. Buch Mose, Kap. 16) vorgeschrieben ist. Er zog das Los und verkündete laut nach demselben die Bestimmung der beiden Böcke, welcher von ihnen zum Sündopfer dargebracht und welcher nach der Wüste gesandt werden sollte, kehrte alsdann zu seinem Opferfarren zurück, bekannte abermals seine Sünden vor Gott und die seines Stammes, und Volk und Priester stimmten ein nach voriger Weise:
„Du aber, Gott, in Deiner Huld, ließest Deine Barmherzigkeit rege werden und gabst Verzeihung dem Stamme Deiner Diener.“
Nun erst schlachtete er den Farren, beschritt das Allerheiligste, ließ daselbst eine Weihrauchsäule aufsteigen aus goldener Schale, und sprengte mit seiner Hand, zwischen den Stangen der Bundeslade stehend, von dem Blute des Opfers, einmal nach oben und siebenmal nach unten.
Dann kehrte er zurück, schlachtete auch den zum Sündopfer bestimmten Ziegenbock und nahm die Sprengungen vor wie mit dem Blute des Farren. Also geschah es im Allerheiligsten.
Hierauf kehrte der Hohepriester zu dem noch lebenden Ziegenbocke zurück und bekannte, auf denselben seine Hand legend, die Verirrungen des Volkes und seine wissentliche Schuld. Wiederum schloß er das Sündenbekenntnis mit den Worten: „vor dem Ewigen“, wiederum fiel alles Volk auf das Angesicht und alle sprachen: „Gelobt sei der Name seines herrlichen Reiches in Ewigkeit“, und der Priester fügte hinzu: „sollt ihr rein sein“. „Du aber, Gott, in Deiner Huld, ließest Dein Erbarmen rege werden und gewährtest Verzeihung der Gemeinde Jeschuruns“.
Nun entsandte er den Sündenbock durch den dazu bestellten Boten in die felsige Wüste, die Sündenmakel des Volkes in die Öde zu tragen. Von einer Felsenzinne ward er hinabgeschmettert und sein Gebein zertrümmert. Der Hohepriester verbrannte die Reste der Opfertiere, las alsdann mit lauter Stimme die Ordnung des Tages aus der Thora vor und legte die goldenen Gewänder an. Dann brachte er den für ihn und den für das Volk bestimmten Widder dar und opferte die Fettstücke des Sünd- und Mussaf-Opfers in üblicher Weise. Aufs neue mit den leinenen Gewändern bekleidet, trat er in das Allerheiligste, holte die Rauchergerätschaften, die er beim ersten Eintritt zurückgelassen hatte, heraus, vertauschte alsdann nochmals mit den Goldgewändern die Leinengewänder, die nun für immer beiseite gelegt wurden. Nun brachte er noch das tägliche Abendopfer dar, räucherte und zündete die Lichter auf dem heiligen Leuchter an. Zum Schluß des Dienstes wusch er Hände und Füße. Fünfmal hatte er gebadet und zehn Waschungen hatte er vorgenommen.
Seine Gestalt strahlte in lichter Herrlichkeit, wie die Sonne in ihrer Majestät. Frisch und fröhlich legte er nun die eigenen Kleider an, und die ganze Schar der Andächtigen geleitete unter Jubel in feierlichem Aufzuge den treuen Hirten heim in seine Wohnung.
Einen Festtag und ein Freudenmahl bereitete der Hohepriester allen seinen Freunden, wenn er in Frieden hereingezogen und in Frieden herausgekommen war aus dem Heiligtum.
Und also lautete das Gebet des Hohenpriesters am Sühnetage, wenn er wohlbehalten und ohne Unfall zurückgekehrt war aus dem Allerheiligsten:
„Es sei Dein Wille, unser Gott, und unserer Väter Gott, daß dieses Jahr, das für uns und ganz Israel nun anhebt, ein Jahr sei, in dem Du Deinen Segensschatz uns auftust, ein Jahr der Fülle, des Segens und heilvoller Verhängnisse, ein Jahr des Getreides, Mostes und Öles, ein Jahr des Gedeihens, Gelingens und des Bestandes, ein Jahr des Vereinens in Deinem Heiligtum, ein Jahr des Überflusses und des glücklichen Lebens, ein Jahr des Regens und der Sonnenwärme, ein Jahr der süßen Früchte, ein Jahr der Sühne all unserer Sünden, ein Jahr der Blüte für Verkehr und Gewerbe, ein Jahr der Förderung der Gottesfurcht und Tugend, ein Jahr des Friedens und der Ruhe, ein Jahr, in dem der Starke nicht den Schwachen bedrücke, ein Jahr, in dem der eine nicht die Mildtätigkeit des andern bedürfe, ein Jahr, in dem Dein Volk Israel glücklich und ungefährdet wohne unter den Völkern, ein Jahr, in dem Du Gedeihen gebest jeglichem nützlichen Schaffen unserer Hände.“ Und für die Bewohner des Tales Saron betete er noch: „Es sei Dein Wille, o Gott, daß ihre Häuser nicht ihre Gräber werden.“
Herrlich über alles war der Anblick des Hohenpriesters, wenn er wohlbehalten zurückkehrte aus dem Allerheiligsten:
Gleich dem blauen Himmelszelte,
Wolkenlos und frei und licht,
War des Priesters Angesicht.
Gleich dem Blitze, der als Feuer
Glühend durch die Wolken bricht,
War des Priesters Angesicht.
Gleich dem Bogen, bunt sich wölbend
Durch der Lüfte höchste Schicht,
War des Priesters Angesicht.
Gleich der Rose, die da pranget
Unter Blumen, hold und schlicht,
War des Priesters Angesicht.
Gleich dem Diadem des Königs,
Das den Blick mit Macht besticht,
War des Priesters Angesicht.
Gleich dem Bräut'gam, der die Liebe
Preist im herrlichsten Gedicht,
War des Priesters Angesicht.
Alles dies war also, als der heilige Tempel noch auf seinen Festen ruhete und der Hohepriester des Dienstes waltete. Heil dem Auge, das dies alles geschaut!
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Herr und Vater! Das Ziel unserer Sehnsucht und unsere Bitte am heutigen Tage ist Deine Gnade und Dein Erbarmen, Deine Milde und Deine Freundlichkeit. Wir haben diese Bitte schon vielfach vor Dir ausgesprochen, und hoffen, daß Du liebend sie gewähren wirst. Wohl aber wäre es einseitig und fehlerhaft, wenn wir bei all diesen Gaben nicht bedenken wollten, daß wir für ebendieselben Dir schon längst auch zu danken haben. So möge sich denn auch mein Blick heut rückwärts wenden auf die Tage, die vergangen sind, so daß ich bei diesem Rückblick nicht mich betrachte, sondern Dich, Herr, Deine ganze Liebe und Barmherzigkeit, daß meine Seele auch auf dem Altar des Dankes Dir opfere, die beste Spende meiner innigsten Empfindung, das herzlichste Wort meines jubelnden Mundes.
Ja Du, Herr, bist ein Gott der Liebe! Was wäre ich ohne Dich!
Ich habe nicht nötig, um Deine Wunder zu rühmen, aufzuschauen zur strahlenden Sonne, die die Welt erleuchtet, ich habe nicht nötig, mich zu vertiefen in die Tage der Vorzeit, um Dich als den Wohltäter der Menschheit zu preisen, ich habe nicht nötig, mit meinem Blicke die Oberfläche des Erdballs zu durchmessen, um die unzähligen Zeugen zu finden, die von Dir lehren, daß Du der allweise, allgütige Ernährer aller Wesen bist. Ich kehre nur mit meinen Gedanken zurück in den engen Kreis meines eigenen alltäglichen Lebens, und vermag auch da nicht Deine Wohltaten zu zählen, die unendliche Größe Deiner Liebestaten zu überschauen.
Wenn früh am Morgen der Schlaf von meinem Auge weicht, und ich gesund an Leib und Seele von meinem Lager mich erhebe, dann frage ich mich: Wer hat für mich, wer hat über mir gewacht? Habe ich selbst das neue Leben mir zurückgerufen, habe ich selbst mein Auge ausgerüstet mit Kraft, das Bild der Außenwelt in meine Seele zu führen, habe ich selbst meinem Ohre das Reich der Laute eröffnet, habe ich selbst mich behütet vor jeglicher Gefahr, die ungeahnt und unbewußt dem menschlichen Geiste, im Verborgenen weilen kann? Nein, mein Gott, Dir sei Dank! Das hast Du getan, was wäre ich ohne Dich!
Und wenn ich an mein Tagewerk schreite und meiner Hand die rüstige Kraft nicht fehlt, die nützliche Pflicht zu üben, und mein Geist das Urteil anwenden kann, das er gewonnen in tausend Dingen, und lauter kleine Freuden meiner warten, die ein jedes Gelingen und gutes Vollbringen in ihrem Gefolge führen, dann frage ich mich: Wer hat das alles mir vergönnt? Habe ich der Gesundheit gebieten können, daß sie meinen Leib nicht verlasse? Habe ich meiner Seele befohlen, daß sie nicht zurückbleibe hinter den Anforderungen der Einsicht und des Verstandes? Habe ich selbst mein Herz von den Abwegen bewahrt, daß es fähig bleiben konnte, die Süßigkeit vollbrachter Pflicht zu empfinden?
Nein, mein Gott, Dir sei Dank! Das hast Du getan, was wäre ich ohne Dich!
Und wenn ich mich umschaue im Kreise all der lieben Meinigen, wenn mein Herz tausendfach die Seligkeit empfindet, sie zu besitzen, wenn sich die Liebe und Zärtlichkeit (meiner lieben Eltern und Geschwister) (meiner lieben Kinder) (meines teuern Gatten) hundertmal mir bewährt, dann frage ich mich: Wer hat diese Güter mir geschenkt? Habe ich selbst das alles erworben? Habe ich selbst durch meine Weisheit und Tugend die Wonne verdient, Liebe zu genießen und Liebe zu fühlen?
Nein, mein Gott, Dir sei Dank! Das hast Du mir geschenkt, was wäre ich ohne Dich!
Und so sei denn, Herr und Vater, die Anerkennung des innigsten Dankes eines von den Opfern, die mein Herz Dir am heiligen Tage der Versöhnung darbringt!
Das soll mir die Heiligkeit des Tages erhöhen, daß ich selbst dazu beitrage, das Werk der Versöhnung zu vollziehen in dem Teile, der in meiner eigenen Macht liegt. Versöhnt will ich sein mit meinem Schicksale, daß ich nicht fürder ungerecht mit ihm rechte.
Die Unzufriedenheit sei aus meinem Herzen verbannt, und die Freude an Deinen Gaben ziehe an ihre Stelle. Für Sünde will ich es halten, wenn ich das Gute genieße, stets das Bessere zu verlangen. Wo hätte sonst menschliches Wünschen und Begehren ein Ziel? Der Besitz der höchsten irdischen Güter wird gleichgültig, wenn er alltäglich wird, und der Genuß der friedlichen Alltäglichkeit hat ewig neue Reize, so ich alles herzuleiten weiß aus Deiner Liebe, mein Gott.
Nur vor Unglück und Torheit, vor Sünde und Schande bewahre Du mich, o Herr!
O nimm nun meines Herzens Dank
Für jede Gnadengabe,
Die ich, o Herr, mein Leben lang
Von Dir empfangen habe.
Dies sei es, was die Heiligkeit
Mir dieses Tages kröne,
Daß mich mein Dank — Dir, Herr, geweiht —
Mit dem Geschick versöhne.
Zufriedenheit, es sei dein Platz
Im Herzen mein, im Innern;
Die Liebe Gottes ist mein Schatz.
Des will ich mich erinnern,
Und wachen will ich, daß der Neid
Nie Deine Macht verhöhne,
Daß mich Dein Geist, Zufriedenheit,
Stets mit mir selbst versöhne.
Das Gottvertrauen sei mein Glück!
Und freudig Gott zu loben,
Das sei mein Stern, zu dem mein Blick
Im frohen Dank erhoben.
Der leuchtet mir in Lieblichkeit,
In wunderbarer Schöne,
Er glänzt mir, daß ich jederzeit
Mich mit der Welt versöhne. Amen!
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Herr! o Gott! schon sinkt die Sonne,
Und es wendet sich der Tag,
Und noch steh'n wir hier und beten,
Wie's die schwache Kraft vermag!
Noch einmal im Staube flehen
Wir, o Herr! um Deine Huld,
Gnadenreicher! o versöhne,
Mach' zunichte uns're Schuld.
Noch einmal, bevor wir scheiden,
Sei vor Dir das Knie gebeugt
Und der Blick zu Dir erhoben,
Herr, bevor der Tag sich neigt.
Dieses Tages kurze Stunden
Waren reich und inhaltvoll,
Und sie brachten, was der Seele
Sabbatfeier bringen soll:
Demut, Glauben, Trost und Hoffen
Und der Tugend neuen Mut,
Und Erkenntnis manches Fehlers,
Der verborgen in uns ruht.
Und der Dünkel ist verronnen,
Und des Stolzes Stimme schweigt,
Und der Hochmut sank hernieder,
So, wie jetzt der Tag sich neigt.
Ja, wir haben uns're Blicke
In die Herzen tief versenkt
Ach, da haben tausend Dinge
Vor die Seele sich gedrängt:
Kummer, Sorgen, Gram und Schmerzen,
Alles, was das Herz bedrückt,
Und wir haben die Gebete
Hoffnungsvoll zu Dir geschickt.
Und es hat in dem Gemüte
Sich die Zuversicht erzeugt:
Daß, o Herr! nie Dein Erbarmen
Schwindet, wie der Tag sich neigt.
O verlösche, o vernichte
Was das Herz uns noch bedrängt,
Heute hat es all sein Sehnen,
Vater, nur zu Dir gelenkt;
Dich gesucht in diesem Hause,
Ja, mein Gott! das haben wir,
Und wir waren eng vereinigt,
Du bei uns, und wir bei Dir,
O, wir sah'n, daß zu den Deinen
Gern Dein Geist herniedersteigt,
Und wir fühlen Deine Nähe
Jetzt noch, da der Tag sich neigt.
Doch, o Herr, wo eine Seele
Noch in ihrem Schmerze weilt,
Wo noch eine Herzenswunde
Nicht des Tages Macht geheilt,
Wo noch nicht der Himmelsfrieden
In die Brust sich eingesenkt,
Wo ein Geist noch unbefriedigt
Traurig seines Kummers denkt,
O, da sende, Gott der Liebe,
Dem Gemüte, tief gebeugt,
Deinen Trost und Deine Gnade
Jetzt noch, da der Tag sich neigt.
Laß versöhnt den Gramerfüllten
Mit dem Schicksal wieder sein,
Daß der Hoffnung Sonnenschimmer
Strahle ihm ins Herz hinein,
Daß er mit Vertrauen richte
Mutvoll auf den freien Blick,
Daß die Kraft ihm wiederkehre
In den matten Geist zurück,
Daß er ferner nicht mehr meine,
Von des Harmes Last gebeugt,
Daß der Tag der Lebensfreude
Sich für immer ihm geneigt.
Laß versöhnt den Schuldbewußten,
Gnäd'ger Gott, von hinnen geh'n,
Laß der Tugend Kraft in Fülle
Wiederum in ihm ersteh'n,
„Nicht verloren, nicht verstoßen
Bin ich“, das sei sein Gefühl,
„Mir auch gibt ein neues Streben
Mit der Unschuld gleiches Ziel,
Fühl' ich's doch, daß nicht die Stimme
Des Gewissens in mir schweigt,
Heute bin ich neu geboren,
Jetzt schon, da der Tag sich neigt“.
Laß versöhnt den Zweifler scheiden,
Vater, aus dem Vaterhaus,
Daß er gehe — Gott im Herzen —
Wieder in die Welt hinaus.
Wenn Dein Wesen ihm, Dein Walten
Immer auch ein Rätsel war,
Nicht ergründen, nein! empfinden
Laß' es ihn unmittelbar.
Hier, im Kreise all der Deinen,
Fühlt das Herz sich überzeugt:
Du, im Himmel und auf Erden,
Bist's, vor dem der Tag sich neigt.
Laß versöhnt den Bruder eilen
Zum verkannten Bruder hin:
„Reiche, Freund, mir Deine Rechte.
Weil ich nicht dein Feind mehr bin,
Laß uns wandeln eine Straße,
Laß uns gehen Hand in Hand,
Einigkeit und Lieb' und Frieden
Sind der Menschheit schönstes Band,
Laß den Hader nimmer währen,
Bis empor die Sonne steigt,
Laß ihn schwinden und vergehen
Stets, bevor der Tag sich neigt“.
Laß uns nimmer, nimmer weichen
Einen einz'gen Schritt von Dir,
Wenn wir Dich im Herzen haben,
Sind wir glücklich für und für;
Laß zurück uns freudig blicken
Auf des Lebens Wechselzeit,
Wenn wir an der Pforte stehen,
Einzugeh'n zur Ewigkeit;
Wenn in Ruf: „Der Herr ist einzig!“
Uns're Lippe noch bezeugt,
Daß noch dann auf Dich wir hoffen,
Wenn der letzte Tag sich neigt.
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(Siehe Seite 122.)
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Herr und Vater! Der heilige Tag ist vorüber! Dank Dir für die Andacht, die mein Herz gelabt! Dank Dir für die Erhebung, die mein Geist gefunden, und für die Hoffnung, die meine Seele gestärkt hat. Laß mich noch einmal das heilige Bekenntnis vor Dir aussprechen:
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד׃
בָּרוּךְ שֵׁם כְּבוֹד מַלְכוּתוֹ לְעוֹלָם וָעֵד׃
(dreimal.)
יְהֹוָה הוּא הָאֱלֹהִים
(siebenmal.)
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Herr und Vater! Dank Dir! Du warst ein treuer Helfer Deines Volkes zu allen Zeiten und wirst es bleiben in Ewigkeit. Als zu den Zeiten des Hohenpriesters Matthatias, Sohnes des Hasmonäers Jochanan und seiner Söhne, die tyrannische Regierung des Heidenkönigs Antiochus wider Dein Volk tobte, um in seiner Mitte Deine heilige Lehre zu unterdrücken, Deine Verehrer abzuleiten von den Gesetzen Deines Willens und Deine Gebote der Vergessenheit anheimzugeben, da standest Du auf mit Deiner großen Barmherzigkeit, um ihnen beizustehen zur Zeit der Not. Du strittest ihren Streit, Du saßest zu Gericht, um für sie Recht zu üben, Du übernahmst die Vergeltung an ihren Widersachern. Damals hast Du die Schwachen siegen lassen über die Mächtigen, die Wenigen über die Zahlreichen, die Gerechten über die Frevler, über die Übermütigen — die demutsvollen Bekenner Deiner Lehre. Aber wie Du Sieg und Heil verschafft hast dem gedrückten und geknechteten Volke Israel, das, vertrauend auf Deine Hilfe, den Kampf der Verzweiflung aufnahm, so hast Du auch Deinen heiligen Namen groß gemacht in den Augen der ganzen Welt. Dankerfüllt wallfahrteten Deine Kinder in die Hallen Deines Hauses, ergötzten sich an der Wiederherstellung des Gottesdienstes im Tempel zu Jerusalem, reinigten die entweihte Stätte Deiner Verehrung von den Götzenbildern der Heiden, erleuchteten festlich die Vorhöfe Deines Heiligtums und bestimmten die acht Tage der Weihe zum Freudenfest für alle Zeiten, zum Ruhm und zur Verherrlichung Deines Namens. Immer will auch ich der Fürsorge eingedenk sein, mit der Du meine Vorfahren geleitet hast durch die Zeiten, daß sie siegreich hervorgingen aus allen Kämpfen, aus Leid und Drangsal. Wie Du ein Helfer bist dem ganzen Volke, so bist Du auch ein Helfer jedem Einzelnen, der in Glauben und Vertrauen zu Dir sich wendet. Gepriesen sei Dein Name in Ewigkeit! Amen!
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Herr und Vater! Du warst dem Volke Deiner Verehrer zu allen Zeiten ein treuer Helfer in Not und Drangsal, Du wirst es auch ferner bleiben und die Deinen nicht verlassen in Ewigkeit!
Auch der heutige Tag, für ewige Zeiten als ein Freudentag eingesetzt, erinnert uns in seiner Veranlassung an Deine Liebe und Güte für Israel, vergegenwärtigt uns Deine Weisheit, wie Du wunderbar wirkest auch ohne anscheinendes Wunder, wie Du helfen kannst, wo alles verloren scheint, auch ohne Eingriff in den natürlichen Lauf der Dinge. Denn in Deiner Hand sind die Herzen der Mächtigen, die Gedanken der Könige; von Dir gezählt und nach ihrem Zwecke geordnet sind die wirren Fäden in dem Knäuel irdischer Begebenheiten.
Als zu den Zeiten des persischen Königs Ahasveros, dessen mächtiger Günstling Haman, aus dem Geschlechte der seit Jahrhunderten Israel feindlichen Amalekiter, voll Rache und Bosheit die Pläne schmiedete, ganz Israel, Männer und Frauen, Greise und Kinder, in allen Provinzen des weiten Perser- und Mederreiches zu vernichten, als die Ausführung seiner bösen Ratschläge schon zum Entsetzen nahe bis an die Grenze ihres Zieles gerückt war, als selbst der freche Übermut den Tag des Mordes schon durch das Los gewählt hatte und nach menschlichem Ermessen kein Ausweg der Rettung dem Blicke der Verfolgten mehr sichtbar war, da tratest Du helfend ein mit unvorhergesehener Fügung. Hamans Veranstaltungen wurden vereitelt, er selbst erlitt den Tod samt allen Genossen seiner Bosheit und die Unschuldigen gingen gerettet und siegreich aus der Bedrängnis hervor.
Und welches Werkzeug hat Deine Weisheit sich erkoren? Ein Weib war es, an deren Mut das Haupt zertrümmerte, das Tücke und Arglist gesonnen.
Esther, das Kind ohne Eltern, der gehorsame Pflegling ihres väterlichen Freundes Mordechai, vereitelte die Anschläge des Feindes und verwandelte den gefürchteten Tag des Elends in einen Tag der Freude noch für die spätesten Geschlechter.
Aber Esther war kein blindes Werkzeug. Sie war bereit, Glanz und irdische Größe der Pflicht zu opfern, sie setzte ihr Leben ein für das Wohl ihres Volkes, sie hielt sich nicht für machtlos, denn sie vertrauete auf Gott.
So wie damals, so hast Du Herr, noch oft Dein Volk Israel aus der Gewalt mächtiger Feinde gerettet. Gar viele Männer sind im Geiste Hamans gegen uns aufgetreten, aber Israel ist nicht untergegangen, und ist heute noch, was es sein soll, ein Gotteskämpfer auf Erden, um alle Herzen und Geister zu gewinnen für Dein Reich, für die Verehrung des einzigen Gottes.
Mir aber soll Esther ein Muster und ein Vorbild sein in Mut und Stärke zur Erfüllung der Pflicht, in treuer Liebe und Anhänglichkeit an mein Volk und in unwandelbarem Vertrauen auf Deine Hilfe in den Tagen der Prüfung. Amen!
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Allgerechter Gott, der Du der Herrscher der Welt bist, Du bist auch der König aller Völker auf Erden und der allweise Leiter ihrer Schicksale. Dein Wille ist es, wenn sie emporblühen; Dein Wille ist es, wenn sie vergehen; ihr Leben und ihr Wirken ist vorgezeichnet im Plane Deiner Weltregierung. Voll Wehmut richte ich heute meinen Blick auf die Vorzeit meines Volkes, voll Ernst und Andacht betrachte ich die wechselvollen Schicksale Israels, und voll des Dankes schaue ich auf seine Gegenwart.
Ja Wehmut und Trauer erfüllen mich, wenn ich der Vorzeit meines Volkes mich erinnere, wenn ich all' die verlorene Herrlichkeit vor mein Auge führe, die einst der Anteil Deiner Lieblinge war. Finsternis und Irrwahn erfüllten die Welt, sinnloser Götzendienst umstrickte den Geist der Heiden, als in Israel allein das Licht der Erkenntnis Deines heiligen Namens hell leuchtete, die Lehre der Wahrheit sein Gesetz war, und die Gebete des Volkes und seine Lieder, sein Weihrauch und seine Opfer geweihet waren dem Höchsten, dem Einzigen. Da war der Tempel zu Jerusalem der sichtbare Wohnsitz Deiner Herrlichkeit, der geheiligte und heiligende Mittelpunkt der Gemeinschaft Deines Volkes und das froh gesuchte Ziel ihrer Wallfahrt. Herrlich und gesegnet waren die Fluren des Landes Israel, sichtbar waltete Deine Gnade über seinen Bewohnern. Fromme Priester eiferten in Deinem Dienste, und von Deinem Geiste erleuchtete Propheten verkündeten laut das Wort der Wahrheit. Aber ach! sie sprachen auch von dem Verfall des Glaubens und der Sitten, von Deinem Zorne, von Deiner Strafe und von den trüben Tagen der Zukunft. Und diese bösen Tage sind hereingebrochen; das Volk ist abgewichen von Deiner Lehre, das Anrecht auf Deine Gnade ging verloren. Der Feind tobte gegen Land und Volk, die Edelsten und Besten vernichtete das Schwert, die Flamme verzehrte den heiligen Tempel und der Rest des Volkes mußte hinwandern in alle Welt. Ihr Los war Heimatlosigkeit und Zerstreuung unter die Völker der Erde.
Wechselvoll, unheilvoll und wunderbar zugleich waren seitdem die Schicksale der Zerstreuten. Arm und elend, machtlos und hilflos irrten sie vereinzelt umher in der weiten Welt, nichts mit sich nehmend aus dem Lande ihrer Heimat, als die Liebe zu Gott im Herzen und die unvergängliche, von Geschlecht zu Geschlecht fortlebende, glühende Sehnsucht nach dem Lande Israel, nach dem längst verblichenen Glanze ehemaliger Herrlichkeit. Und wo im fremden Lande ein friedliches Plätzchen sich ihnen darbot, da schlugen sie ihre Zelte auf, wie das Zelt eines Wandernden, nicht wie das Haus dessen, der eine Heimat sich gründet. Doch das Bedürfnis, Gott dem Herrn zu dienen, vereinigt zu ihm zu beten, und Glauben und Sitte der Väter treu zu bewahren, vereinte die einzelnen zu Gemeinden, zu tausend und abertausend Gemeinden, und nur ein einziges Band schlang sich um alle; das Band gemeinsamen Unglücks und gemeinsamer Hoffnung. Überall und überall, in unbedeutender Minderzahl, in der Mitte mächtiger, feindlicher Nationen, stürmte tausendfältige Bosheit vernunftloser Dränger gegen sie heran. Der Spott bespritzte sie mit seinem Geifer, die Habsucht riß das Brot aus ihrer Hand, der Mutwille hetzte sie wie scheues Wild, Stolz und Übermacht erniedrigten sie zur Knechtschaft, die Bürger der Staaten stießen sie aus ihrer Gemeinschaft, und der blinde Eifer abergläubischer Widersacher verfolgte sie ihres Glaubens willen mit Feuer und Schwert. So ging es durch die Jahrhunderte. So war es aller Orten.
Mächtige Völker, vereinigt unter mächtigen Herrschern, sind während dieser Zeit entstanden und untergegangen. Ihre Spur ist von der Erde vertilgt, ihre Erinnerung ist wie vom Winde verweht. Selbst das mächtigste aller Reiche, das Reich, das Judäa vernichtete, ist längst dahin. Aber Israel, das schwache, kleine, schutzlose und verfolgte, ist nicht untergegangen. Das war die Wundermacht des göttlichen Willens. Mehr als Gewalt und Drangsal droheten Verführung und Verlockung den Bekennern meines Glaubens, sie abzuführen von der Lehre Gottes, von dem Wege der Väter. Sie ließen sich ins Elend führen, aber nicht auf Abwege, sie stürzten sich ins Unglück, aber nicht in die Schlinge der Versuchung, sie gingen in den Tod, aber nicht in die Gemeinschaft der Glücklichen, die liebkosend sie aufzunehmen bereit war für den Preis ihres Glaubens.
Und wohin hat bis heutigentages dieses wunderbare Schicksale uns geführt? O wahrlich! nicht zur Hoffnungslosigkeit, nicht zur Entmutigung. Wir haben es eingesehen, daß die Hand Gottes uns geführt hat, wir haben es eingesehen, daß nicht Macht und Herrschaft unter den Völkern das Ziel ist, das Gott unserem Wandel bestimmt hat eine Macht des Geistes zu sein, als Träger der reinen Gotterkenntnis voranzuziehen den Geschlechtern auf der Erde, bis aller Wahn und aller Irrglaube geschwunden sein wird unter den Menschen, bis alle sich vereinigen werden in dem Bekenntnis Israels: Der Herr ist Gott, der Herr ist einzig!
Siehe da, mein Geist! Schon tagt der Morgen! Die Nacht unserer Trübsal beginnt zu sinken. Die grellen Flammen sind erloschen, die unsere Edlen verzehrten, und das Licht der Menschenliebe und Menschenachtung leuchtet freundlich. Das Schwert des Mordes hängt nicht mehr über unserm Haupte, aber das Schwert der Wahrheit ist zum Kampfe erhoben in der Hand unserer Besten. Unsere Nachbarn sind nicht mehr unsere Feinde, sie sind unsere Genossen auf dem Wege zum Licht und zum Recht. Die Sehnsucht nach dem Jerusalem des Morgenlandes ist innig verknüpft mit der Liebe zu dem Vaterlande, in dem wir geboren sind. Dabei ist die Hoffnung auf ein gemeinschaftliches Jerusalem keineswegs erloschen. Ein neuer Tempel des Friedens wird dereinst erbaut werden, in dem alle Menschen zum Dienste des Herrn sich vereinigen werden.
Und dafür meinen Preis und Dank Dir, höchster Gott! Dir, Herr des Himmels und der Erde, Dir, Lenker der Völker und ihrer Schicksale! Wir haben Dich nicht verlassen, wir haben Deine Lehre nicht vertauscht. Darum bist Du unser Helfer gewesen und Deine Lehre unser Schutz in den Zeiten der Not.
Fern sind wir noch davon, den heutigen Tag trauriger Erinnerung verwandeln zu können in einen Tag der Freude. Aber die Trauer ist milder geworden, sie ist in Wehmut verwandelt, und mit dem Schmerze um das verlorene Zion dürfen wir den Dank verbinden für Deine wunderbaren Taten, die uns aufrechterhalten haben in den Ländern einstiger Verbannung. Wir können hoffen auf ein neues herrliches Zion im Reiche der Erkenntnis, des Glaubens und der Sitte. O bringe uns denselben immer näher, und laß' uns alle beitragen zur Verherrlichung Deines Namens auf Erden. Amen!
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O, Zion! wollte Gilead
Dir seines Balsams Fülle
Gewähren, daß er deinen Schmerz,
Den bittern Schmerz dir stille.
Er reichte nicht, sei er dir ganz
Zur Heilung überlassen,
Dein Unglück ist so groß, so groß,
Das Meer kann es nicht fassen.
Als herrlich Land warst du erkannt
Ringsum von allen Heiden,
Wer wollte nicht an deinem Glanz
Entzückt sein Auge weiden?
Der Mittelpunkt der Köstlichkeit,
Des Erdballs schönste Stelle,
Der Garten Gottes, Edens Flur,
War deiner Ströme Quelle.
Des mag Naëman Zeuge sein,
Der zweifelnd seine Schritte
Zum Jordan lenkte und entstieg
Geheilt aus seiner Mitte.
Da mußtest du dem Heiden wohl
Im Wunderglanz erscheinen!
Was er bekannt, wie sollten's nicht
Bekennen wir, die Deinen!
Dem Staub von deiner Erde muß
Der Wert des Goldes weichen,
Dem Edelstein ist dein Gestein
Der Berge zu vergleichen.
Erst halb gereist bot deine Frucht
Ein liebliches Genießen,
Dein Bitt'res war dem Honig gleich,
Dem Honigseim, dem süßen.
Genesung brachte jedes Blatt
Und jedes Gras der Felder,
Es überströmten überall
Von Honig deine Wälder,
Nie ist der Otter wild Gezücht
Aus dem Geklüft geschossen,
Und mit dem Löwen war ein Bund,
Ein Friedensbund geschlossen.
In dir hat Gott allein regiert
Und seinen Thron begründet,
Durch deine Lieder ward sein Ruhm
Der ganzen Welt verkündet.
Wie herrlich war's, wie lieblich war's,
Der Stämme frohes Wallen
Dreimal des Jahres hin zu dir,
Zu deines Tempels Hallen!
Vom fernen Osten kamen selbst
Des Morgenlandes Söhne,
Daß deiner Bücher Weisheit dort
Ihr eignes Wissen kröne;
Die Richter wandelten im Recht
Und in der Wahrheit Gleisen,
Und deine Lehrer wurden dort
Die Lehrer aller Weisen.
Es konnte dort des Jünglings Geist
Prophetengeist bekunden,
Der Sterne Lauf, der Sonne Bahn,
Sie sind durch dich gefunden.
Wo bist du hin! wo bist du hin!
Wer zeigt zu dir die Pfade!
Wo ist der heilige Tempel hin,
Wohin die Bundeslade!
Wohin sind deine Priester ach'
Wohin sind die Propheten!
Und deine Fürsten alle sind
Tief in den Staub getreten.
Ob deiner Frevel ist's geschehen,
Um deiner Sünden willen,
Mußt also, ach! dein Ende sein,
Dein Schicksal sich erfüllen!
O, flehe doch zum Herrn! o fleh'!
Bis daß er sich erbarme,
Bis daß er Hoffnung dir gewährt
Und Trost in deinem Harme.
Wie würde meine Seele sich,
Die schmachtende, erquicken,
Könnt' ich, o Zion! deinen Glanz
Nur einmal noch erblicken!
——————
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Klage, Zion, laut im Leide,
Gleich der Braut im Trauerkleide,
Die den Jüngling, auserkoren,
Durch des Todes Macht verloren!
Ob des Tempels, dessen Hallen
Durch der Sünde Schuld gefallen,
Ob der Spötter frechen Horden,
Die des Tempels Herrn geworden.
Ob der Sänger, die gefangen
In die Sklaverei gegangen,
Ob des Blutes, das vergossen,
Das in Strömen hingeflossen.
Ob der Lieder, die verklungen
In den Städten, die bezwungen,
Ach! in ihren öden Kreisen
Flehen des Gesetzes Weisen!
Opfer werden nicht gespendet,
Die Geräte sind geschändet,
Und des Räucherwerkes Düfte
Sind verweht in alle Lüfte.
Und des Fürstenstamms Genossen,
Die aus Davids Haus entsprossen,
Sind von Finsternis umfangen,
Glanz und Herrschaft sind vergangen.
Ob des Ruhmes magst du trauern,
Der gesunken mit den Mauern,
Magst um all des Unglücks Willen
Dich in Leidgewänder hüllen.
Zahllos häuften sich die Plagen,
Daß die Edelsten erlagen,
Die der Säuglinge Gebeine
Sah'n zerschmettert am Gesteine;
Die geseh'n der Feinde Rotten,
Froh ob solchen Unheils, spotten,
Während tief im Drucke weinen
Die einst Freien, die einst Reinen.
Weil die Sünde sie erkoren,
Und der Tugend Pfad verloren,
Deines Zornes Glut verbrannte
Alles, was dein Volk sich nannte.
Und dein Jammer, laut erhoben,
Tönte durch der Feinde Toben,
Die des Tempels Hof erreichen,
Schreitend über tausend Leichen.
Ob des Heil'gen Namens klage,
Der in dir entweiht, und sage
Bittend ihm von deinem Harme,
Daß er wieder sich erbarme.
Klage, Zion, laut im Leide,
Gleich der Braut im Trauerkleide,
Die den Jüngling, auserkoren,
Durch des Todes Macht verloren.
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שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד׃
בָּרוּךְ שֵׁם כְּבוֹד מַלְכוּתוֹ לְעוֹלָם וָעֵד׃
Höre, Israel, der Ewige, unser Gott, ist ein einziger Gott.
Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches in Ewigkeit!
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אֲדוֹן Es hat der Herr als König seit Ewigkeit regiert,
Noch eh' ein Körperwesen ins Dasein eingeführt,
Und als durch seinen Willen die ganze Welt entstand,
Ward Gott, der Herr, als König auf Erden anerkannt.
Und wollt' er sie vernichten, so wie sie schuf sein Wort
Er würde doch regieren für ewig, fort und fort.
So wie der Herr gewesen von je, so ist er heut,
So wird er immer bleiben in seiner Herrlichkeit.
Er ganz allein erfüllet das ganze Weltenreich,
Wo hätte Raum ein Zweiter? Kein Wesen ist ihm gleich!
Wer hat wohl Ziel und Anfang von ihm sich je erdacht!
Und alle Macht und Stärke ist Ausfluß seiner Macht.
Und dennoch! dem Erhab'nen, ich bin ihm nicht zu klein;
Er schaut auf meinen Wandel, sieht in mein Herz hinein;
Er ist mein Fels, mein Hoffen und meine Zuversicht;
Er überhört mein Bitten und meine Klage nicht.
Ich schlafe oder wache, er ist mir zugewandt,
Drum geb' ich meine Seele getrost in seine Hand.
Und auch mein Leib, er bietet dem bangen Zagen Trutz.
Was kann ich denn noch fürchten, ist Gott, der Herr, mein Schutz!
Allgütiger! Du hast wiederum den Schlummer nach süßer Ruh' von meinem Auge verscheucht, hast mich wieder neu gestärkt erwachen lassen zum lichten Tage. O segne mir auch diesen Tag, daß ich Gutes an ihm verrichte, daß ich die Pflichten erfülle, die Du als mein Anteil mir zugemessen hast. Hüte mich vor Unglück und Gefahren und laß auch heute mich weiser und besser werden. Amen!
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Mein Gott! Du sorgest als ein Vater für alle Geschöpfe auf Erden und gibst jedem Wesen seines Leibes Nahrung nach seinem Bedürfnis. Durch Deine Liebe habe auch ich mich wieder gesättigt, und wie ich bisher nicht Mangel gelitten habe, so wirst Du für und für mir Deine Gaben nicht versagen, daß mir mein täglich Brot nicht fehle. O möge es Dein Wille sein, daß mein Tisch, an dem ich esse, immerdar ein gesegneter sei, damit beim Genusse Deiner Spende auch die Fröhlichkeit des Herzens mir nicht fehle. Laß mich nie satt werden durch fremdes, unrechtmäßig erlangtes Gut, laß mich nie satt werden von dem Brote menschlicher Mildtätigkeit, sondern ernähre mich aus der Fülle Deines Segens. Versage mir, gütiger Gott, auch nie den Überfluß in solcher Weise, daß der Dürftige hungrig von meiner Türe hinweg gehen müßte.
Mein Gott, ich lobe Dich! Mein Gott, ich danke Dir! Mein Gott, ich hoffe auf Dich! Du bist es, der da öffnet seine Hand, und sättigt alles, was da lebt, in Wohlgefallen. Amen!
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Mein Gott! Ich danke Dir für Deine Huld und Güte, die Du auch in des heutigen Tages Stunden an mir bewiesen.
Ich lege mich nun getrost zum Schlummer nieder und übergebe meinen Leib und meine Seele Deiner Obhut. Wahrlich, Du schläfst nicht, Du schlummerst nicht, Du Hüter Israels. O, möge es Dein Wille sein, daß ich schlafe in Frieden, und daß ich erwache in Frieden, daß nicht böse Träume mich erschrecken und nicht kummervolle Gedanken die Ruhe von meinem Lager scheuchen.
Auf Deine Hilfe hoffe ich, Herr, allezeit.
In Deine Hand befehle ich meinen Geist zur Zeit, wenn ich schlafe und wenn ich erwache, und mit meinem Geiste auch meinen Körper; ist Gott mit mir, so fürchte ich nichts. Amen!
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהֹוָה אֱלֹהֵינוּ יְהֹוָה אֶחָד׃
בָּרוּךְ שֵׁם כְּבוֹד מַלְכוּתוֹ לְעוֹלָם וָעֵד׃
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Und Gott sprach: Es werde Licht!
Schöpfer des Himmels und der Erde! In sechs Tagen hat Dein Wink die Welt aus Nichts hervorgerufen, und als Dein allmächtiges Wort am ersten Schöpfungstage den Himmel und die Erde gebildet hat, da erschufst Du auch das Licht. Ehe die Sonne ihre Strahlen zur Erde sandte, war es helle, denn nicht sie ist der Urquell des Lichtes, Du allein bist es, Du hast es auch ihr gegeben. Alles Leben in der Körperwelt strebt nach dem Lichte. Alle Wesen freuen sich des Lichtes, doch höher als alle hast Du den Menschen bevorzugt, daß er außer dem Lichte, das er aufnimmt durch sein Auge, auch nach einem höheren Lichte strebe, nach dem Lichte des Geistes. Das Licht des Geistes aber ist die Wahrheit. Ihr immer näher zu kommen, ist die höchste Aufgabe der Sterblichen; sie mehr und mehr in sich aufzunehmen, ist seine höchste Seligkeit. Darum ist es mein inbrünstiges Gebet am ersten Tage der Woche, daß Du, mein Gott und Vater, auch mein Streben nach Licht und Wahrheit segnen mögest, auf daß es nicht fruchtlos sei. Die Unendlichkeit Deiner Größe zu fassen und zu ergründen, das freilich bleibt dem schwachen Menschengeiste auf Erden versagt, aber streben darnach, das kann ich und soll ich, das ist eine Aufgabe, des Menschengeistes würdig. Und so will ich nicht gedankenlos vorübergehen bei den Wundern Deiner Schöpfung, nicht die Kräfte der Natur, weil sie alltäglich vor mein Auge treten, unbeachtet lassen, nicht den Himmel und die Erde betrachten, ohne auf die belehrende Stimme zu hören, die aus ihnen zu mir spricht, sondern alles dies soll der Quell für mich werden, aus dem ich Lehre und Erkenntnis schöpfe, auf daß Licht und Wahrheit mir zuteil werde aus dem Buche der Natur, damit ich in Demut mich selbst erkenne und im Staube Dich anbete als den Herrn und Schöpfer der Welt. Amen!
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Und Gott schied das Wasser über der Feste von dem Wasser unter der Feste, und nannte die Feste Himmel.
Schöpfer des Himmels und der Erde! Du hast den Himmel ausgebreitet über die Erde. Das ist die endlose Ferne, in die der Blick des Menschen sich verliert, wenn er sein Auge emporhebt vom Staube der Erde, dem er angehört. Da ist kein Ende und keine Grenze, nicht für das Auge, und auch nicht für die Gedanken.
Unendlich ist die Welt und sie ist Dein Werk. Die Himmel und alle Welten, die in ihnen schweben, sind Dir untertan. Mit welchem Worte soll ich Dein Wesen bezeichnen! O Unfaßbarer! Nie wird der Blick, den ich emporhebe, mich von Deinem ganzen Wesen belehren, aber von dem meinigen belehrt er mich, und verwandelt meinen Stolz in Demut. Wie ist die Erde so klein im Reiche Deiner Welt, nicht vergleichbar dem Tropfen im Meere, und auf der Erde, was bin ich?
O Herr, mein Gott, segne mein Bestreben, diesen Gedanken in mir zu befestigen, daß er auch die Grundlage meiner Handlungen werde. Der schwache Mensch ist allzusehr geneigt, sich für den Mittelpunkt dessen zu halten, was ihn umgibt. Wenn ich aber in Demut von meiner Niedrigkeit überzeugt bin, alsdann wird die Selbstsucht aus meinem Herzen schwinden. Nicht meinetwegen, Herr, mein Gott! hast Du die Welt erschaffen, nicht meinetwegen wirst Du ihre Gesetze ändern, nicht ich bin imstande den Lauf der Dinge zu hemmen, den Deine Allweisheit vorzeichnet, und Unzufriedenheit ist Torheit.
Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe, das ist der ganze Inhalt menschlicher Weisheit, mit der er die Wünsche seines Herzens beruhigen muß. Du hast ja in Deiner Vatergüte mich nicht minder bedacht als Deine übrigen Wesen, Du hast ja auch mir die Kräfte gegeben, die ich zu meinem Heile anwenden kann. So mir aber dies gelingt, so möge auch mein Herz befriedigt sein. Mein Leben und mein Heil sind in der Hand Gottes; er, der den Himmel ausgebreitet hat über der Erde, er hat auch meine Schritte gezählt. „In seine Hand empfehle ich meinen Geist und mit meinem Geiste auch meinen Leib. Ist Gott mit mir, so fürchte ich nichts.“
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Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einem Ort.
Und Gott sprach: Die Erde lasse hervorsprießen Gras und Kraut und alles, was Samen hervorbringt.
Schöpfer des Himmels und der Erde! Du gebotest dem Wasser, daß es sich sammle in den Tiefen der Erde, Du bestimmtest den Kreislauf der Gewässer, daß sie aus den Quellen sich ergießen in die Bäche und die Bäche sich vereinigen zu Flüssen und Strömen, und „alle Ströme gehen in das Meer und füllen es nicht“, und die Dünste, die aufsteigen aus dem Meere, bewässern wiederum das Land, daß es fruchtbar werde. So gibt das Wasser Nahrung dem Menschen und den Tieren und wird nicht weniger in Ewigkeit. Und die Oberfläche hast Du bedeckt mit Gewächsen aller Art, die Samen hervorbringen und Früchte tragen in tausendfältiger Abwechselung für die Bedürfnisse des Menschen. Ehe der Mensch auf Erden wandelte, war sein Tisch ihm bereitet. Du hast Deine Gaben ihm gespendet, noch ehe er ihrer bedurfte, denn Du wolltest, daß er lebe und sich des Daseins freue, Du bist ein liebender Vater aller Deiner Geschöpfe, Du willst nicht, daß sie Mangel leiden. Wie sollte ich fürchten, daß Du mich vergessen werdest, das meines Leibes Nahrung mir fehlen könnte. Du segnest unserer Hände Werk, bald in reicherer Fülle, bald in geringerem Maße, aber was ich auch erwerbe, es ist nicht die Frucht meiner Anstrengung, sondern die Spende Deiner Gnade. „Du öffnest Deine Hand und sättigst alles, was da lebt, mit Wohlgefallen.“ Dir allein gebührt der Dank meines Herzens für den Segen, mit dem Du mich begnadigst, denn „Dein ist die Erde und was sie füllet“. Mit diesen Gedanken will ich Deine Gaben genießen und Deine Güte preisen.
Aber auch Du sei bei mir allezeit und gib Gedeihen dem Werke meiner Hände. Nicht meines Fleißes will ich mich rühmen, nicht meiner Weisheit und Geschicklichkeit will ich vertrauen, aber wenn Du dabei in meiner Hilfe bist, so wird der Segen mir nimmer fehlen. Amen!
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Und es machte Gott die beiden großen Lichter, das größere Licht, daß es den Tag regiere, und das kleinere Licht, daß es die Nacht regiere, dazu auch die Sterne.
Schöpfer des Himmels und der Erde! Das Werk des vierten Schöpfungstages prangt in erhabener Majestät am Himmel und predigt von Deiner Größe, und seine vernehmliche Stimme spricht: „Was ist der Mensch, daß Du noch sein gedenkest? Der Erdensohn, daß Du Dich seiner annimmst?“ Und dennoch hebt sich der Blick in unnennbarer Sehnsucht zu den Sternen empor. Der Himmel mit der Sonne, dem Monde und den Sternen, er ist das heiligste Buch Deiner Offenbarung. Kein Sterblicher vermag seinen ganzen Inhalt zu erforschen, aber das Wenige, das wir zu lesen vermögen, reicht hin, uns mit dem erhabensten Gedanken zu erfüllen. Um die Erde wandelt der Mond, um die Sonne wandelt die Erde und alle Wandelsterne mit ihren Begleitern, und zahllos ist das Heer der Sonnen und alle, alle bilden eine Welt, und zahllos ist das Heer der Welten. Gott, Gott! Unaussprechlicher! wo ist der Mittelpunkt Deiner Herrlichkeit? Und alle Welten sind entstanden, und alle Welten werden vergehen, und Du warst früher als alles Geschaffene, und Du wirst es überdauern. Der menschliche Geist hat kein Maß für die Räume und die Sprache keinen Ausdruck für die Zahl der Jahre Deiner Herrschaft, und nur die eine Erkenntnis ist der Zielpunkt menschlichen Wissens: Raum und Zeit sind nicht vor Gott vorhanden, sie sind nur menschliche Begriffe. Doch die Sehnsucht nach einer höheren Erkenntnis wird nicht ewig ungestillt in mir bleiben. Mein Körper gehört der Erde, aber mein Geist gehört der Welt. Einst wird er nicht mehr gefesselt sein an die irdische Hülle, und wenn er gelöst sein wird von dem Staube der Erde, dann vermag er sich aufzuschwingen, vielleicht von Stufe zu Stufe zu neuen Kreisen der Erkenntnis, vielleicht von Leben zu Leben zu höherem Range in der Reihenfolge Deiner Geschöpfe, aber jedenfalls näher zu Dir; und mehr zu wissen von der Welt und von dem Schöpfer, das ist Seligkeit. Wenn ich meinen Geist vervollkommene hier auf Erden, so reift er zur Seligkeit heran. Laß mich einst ihrer teilhaftig werden, mein Gott und Vater! Amen!
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Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Wesen nach ihren Arten, Vieh, Gewürm und Gewild der Erde nach ihren Arten! Und es geschah also.
Schöpfer des Himmels und der Erde! Ehe das Menschengeschlecht auf Erden lebte, war diese schon ein Wohnsitz der Tiere. Die unvollkommensten Gattungen hast Du zuerst geschaffen, ihnen folgten solche, die Du mit Äußerungen höherer Lebenstätigkeit begabtest, und, aufsteigend von Stufe zu Stufe, waren sie die Vorläufer des vollkommensten der Erdenbewohner: des Menschen. Mein Gott und Vater! Wie sollten diese Betrachtungen nicht den Gedanken in mir erwecken, daß auch der Mensch nicht der vollendete Inbegriff Deiner Schöpferweisheit sei! Freilich wohl weiß ich es, daß auf Erden kein Wesen höher steht als der Mensch, aber unendlich sind die Mängel, die an ihm haften, und jede höhere Vollkommenheit, die meinem Geiste denkbar, wenn auch unerreichbar ist, bezeichnet höhere Wesen, die Dein Willen zu erschaffen vermag. Solange ich auf Erden bin, werde ich die Rätsel Deiner Schöpfung nicht lösen, und die Menschennatur einzig und allein bleibt das für mich Bestimmte und ihre höchste Ausbildung das Erreichbare. Und ist das wenig? O nein! ich weiß es, es ist sehr viel. Nicht die Fähigkeiten allein, die den Menschen seinem irdischen Wesen nach vom Tiere unterscheiden, sind sein Vorzug, sondern die Fähigkeit, die Du ihm gegeben hast, auch sich selber zu vervollkommenen. Nur durch diese steht er höher als seine Mitgeschöpfe. Die vollkommene Menschenwürde kann entwickelt oder vernachlässigt werden. Das ist die freie Tätigkeit des menschlichen Geistes. Du selber bist sein Urbild und sein Vorbild. O, segne, gütiger Vater, mein Bestreben, Dir immer näher zu treten. Du bist die höchste Weisheit, so will auch ich nach Weisheit ringen. Du bist allgütig, darum will auch ich gütig sein und meine Kräfte zum Wohle meiner Nebenmenschen gebrauchen. Du bist allgnädig, darum will auch ich denen vergeben, die mich beleidigen. Du bist allgerecht, darum will auch ich Gerechtigkeit fördern helfen unter den Menschen. Du bist die Wahrheit, bei Dir ist nicht Trug und Wahn, darum will auch ich mich mehr und mehr entfernen von Schein und Eitelkeit, auf daß ich meine menschliche Natur immer mehr ausbilde bis zu dem Grade der Vollkommenheit, dessen sie fähig ist. Amen!
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Und es bildete Gott der Herr Menschen aus Staub von der Erde und blies in seine Nase einen lebendigen Geist.
Schöpfer des Himmels und der Erde! Du hast den Menschen am sechsten Schöpfungstage aus Staub von der Erde gebildet, und einen lebendigen Geist ihm eingehaucht, also daß er ein lebendiges Wesen wurde. Staub von der Erde ist der Urstoff seines Daseins und dennoch hast Du ihn in Deinem Ebenbilde geschaffen, daß er Dir ähnlich sei. Wie könnte ich bei dieser Betrachtung noch Zweifel hegen, daß Du den Menschen als ein Doppelwesen geschaffen hast, das eine Verbindung ist von Körper und Geist. „Der Staub kehrt wieder zur Erde zurück, davon er genommen ist“, der Geist aber ist lebendig und unsterblich und „kehret wieder zu Gott zurück, der ihn gegeben hat“. O möge es Dein Wille sein, mein Gott und Vater, daß ich nicht abweiche von der Lebensbahn, die diese Erkenntnis mir vorschreibt. Eingedenk will ich immerdar dessen sein, daß mein Leib nur Staub ist. Vergänglich ist die Hülle wie alles Irdische, ihre Tage sind gezählt, und ihr Wesen ist leicht zerstörbar. Und daß ich nicht töricht mit meinem Leibe verfahre, dazu hast Du den Geist als seinen Wächter eingesetzt. Ich will seiner Stimme gehorchen, denn sie ist die Stimme der Vernunft, die mich warnt, dem Genusse zu fröhnen, der Trägheit und der Unmäßigkeit anheimzufallen, auf daß ich nicht Schaden leide. Mehr als dies kann ich für das Wohlsein meines Leibes nicht tun; daß er außerdem gesund und rüstig bleibe, das hängt von Deiner Gnade ab, die Du mir gewähren wollest gütiger Vater!
Eingedenk will ich aber auch immer dessen sein, daß mein Geist nicht sterblich ist, daß er nicht der Erde angehört, daß er bestimmt ist, zu Dir aufzustreben, Dich als Inbegriff aller Vollkommenheit zu verehren und immer mehr und mehr Dir ähnlich zu werden. Mein Körper wird in Staub zerfallen und im Haushalte der irdischen Natur zu neuen Zwecken dienen; dann aber wird der Geist frei sein von den Fesseln des Körpers und des Ranges teilhaftig werden, dessen er sich würdig gemacht hat durch Weisheit und Tugend auf Erden. Darum soll meine Seele nicht meinem Leibe untertänig sein, wohl aber sollen die Kräfte meines Leibes dem reinen Begehren der Seele dienen, zu sammeln Lehre und Erfahrung, Tugend und Weisheit. Amen!
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Großer, erhabener Lenker der Welten! Die Erde wandelt dahin in ihrer Bahn, und der Mond begleitet sie nach jenen unabänderlichen Gesetzen, die Du ihnen vorgeschrieben hast, und wenn sie tausend- und abertausendmal ihren Kreislauf durchmessen, so wandeln sie dennoch fort in junger Kraft und ewiger Schönheit. Daß auch sie altern und einem Ende entgegengehen, ist für ein menschliches Auge nicht ersichtlich. Wie anders ist es mit mir! Des Menschen Dasein auf Erden ist vergänglich und hinfällig; und selbst der Glückliche, der in Fülle der Gesundheit und in Kraft der Jugend seines Lebens sich erfreut, wird durch das Erscheinen des wieder sichtbar gewordenen Mondes daran erinnert, daß abermals ein Zeitabschnitt hinter ihm liegt, daß er näher gerückt ist dem Ziel seiner Tage, daß die Zeit unwiederbringlich für ihn dahingeht und ihr Wert nur in dem liegt, was er Gutes in ihr verrichtet. Darum betrachte ich den Wechsel des Mondes mit ernsten Gedanken und bitte Dich, mein Gott, laß meinem Geiste die Einsicht und meiner Hand die Kraft, die Zeit zu nützen nach Deinem Wohlgefallen. Wenn mir dies gelingt, das fühle ich wohl, so bin ich mehr als Mond und Erde. Du hast ihnen ihren Weg bezeichnet, den sie wandeln müssen, und es liegt nicht in ihrer Macht und in ihrem Willen, davon zu weichen, es ist kein Verdienst für sie, wenn sie fortschreiten nach Deinem Gesetze. Auch mir hast Du die Bahn der Religion und Tugend vorgeschrieben und dennoch mir es überlassen, sie zu wählen oder zu verlassen: ich kann das Verdienst der Tugend mir erwerben. Mond und Erde können Dich nicht preisen, Dir nicht danken und nicht zu Dir beten, ich aber kann mein Herz zu Dir erheben, kann zu Dir mich wenden, wie das Kind zu seinem Vater. Ich weiß es, daß Du der Lenker meines Schicksals bist, daß Du mich beschützest und behütest.
Darum flehe ich denn auch zu Dir, mein Vater! Beschütze und bewahre mich vor Leid und Trübsal, vor Krankheit und Gefahr. Sei in Deiner Gnade mit mir und den Meinigen allen auch im Laufe dieses Monats. Amen!
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בָּרוּך אַתָּה יְיָ אֱלֹהֵינוּ מֶלֶך הָעוֹלָם אֲשֶׁר קִדְּשָׁנוּ בְּמִצְוֺתָיו וְצִוָּנוּ לְהַדְלִיק נֵר שֶׁל שַׁבָּת [3]׃
[3] An Festtagen spricht man statt der letzten drei Worte: נר שֶׁל יוֹם טוֹב.
Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt! der Du in Deiner heiligen Lehre den Sabbat (heutigen Feiertag) eingesetzt hast, daß er uns sei eine Zeit des Friedens und der Freude. Ich grüße seinen Eintritt, so wie ich einen lieben Gast begrüße, der mit freundlichem Angesicht meine Schwelle betritt. Ich habe die Räume meiner Häuslichkeit geschmückt und die Lichter angezündet, auf daß es nicht düster und trübe um mich her sei am heiligen Sabbat (Feiertag). Möge es auch Dein Wille sein, mein Gott, alle trüben und düstern Gedanken fernzuhalten von meinem Gemüte, laß mich Freudigkeit und Freundlichkeit um mich her wahrnehmen bei allen die ich liebe, und für deren Ruhe und Wohlsein und Frieden ich voll Inbrunst zu Dir bete. Amen!
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(Freitag Abend.)
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לְכָה דוֹדִי
Auf, auf! mein Freund, und säume nicht,
Sie kommt mit holdem Angesicht!
O, laß' uns mit Verlangen
Die süße Braut empfangen!
Ihr Angesicht ein Engelsbild,
Ihr Blick ein Strahl so licht und mild
Ihr Mund, er ladet Dich zum Kuß
Ihr Kuß, der Wonne Hochgenuß!
Ihr Lächeln grüßt wie Sonnenschein,
Der leuchtet tief ins Herz hinein.
Das ist ein Gruß, ein treuer;
O, heil'ge Sabbatfeier.
Auf, auf! usw.
Als Gott das Schöpfungswerk vollbracht,
Da ist ins Dasein sie erwacht;
Sie ist so alt, wie Sonn' und Mond
Und alles, was auf Erden wohnt.
Und bleibst doch jung für alle Zeit
In ew'ger Kindeslieblichkeit,
Wie täglich jung die Sonne,
O, heil'ge Sabbatwonne!
Auf, auf! usw.
Sie bringt Dir einen Labetrunk,
Der macht das Herz Dir frisch und jung,
Daß Du der Sorgen böse Last
Vergessen und verloren hast,
Wenn nur Dein Mund den Kelch berührt,
Den sie an Deine Lippen führt,
Daß Dich sein Geist erfülle.
O, heil'ge Sabbatstille!
Auf, auf! usw.
Es ruht die Arbeit meiner Hand.
Ich kleide mich ins Festgewand,
Ich breite meine Arme aus,
Die Königin zieht in mein Haus!
Dort strahle heller Kerzenglanz,
Wie ihres Hauptes Strahlenkranz!
Das Licht ist ihr Geschmeide.
O, heil'ge Sabbatfreude!
Auf, auf! usw.
Was klingt so lieblich an mein Ohr?
Sie ist's, sie ruft den Klang hervor!
Der ruft mich in mein Gotteshaus,
Dort zieht des Herzens Leid hinaus,
Dort ist die Seele ungetrübt
Beim Vater, der die Kinder liebt;
— Er schuf sie nicht im Grimme —
O, heil'ge Sabbatstimme!
Auf, auf! usw.
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Preise Gott nun, meine Seele!
Preise ihn, den Herrn der Herrn!
Wenn ich seine Wunder zähle,
Hört es Gott der Vater gern;
Reichen nimmer die Gedanken
Auch für seine Größe hin,
Gott kennt meines Geistes Schranken,
Weiß, daß nur ein Mensch ich bin.
Schöpfer ist er aller Dinge,
Und er bleibt es fort und fort;
Daß er eine Tat vollbringe,
Reicht sein Wille hin, sein Wort.
Schöpfer, doch erschaffen nimmer,
War er da vor aller Zeit,
Unverändert bleibt er immer
Bis in alle Ewigkeit.
Er ist Herr, und seinem Willen
Sind die Welten untertan,
Seine Vorschrift zu erfüllen,
Rollen sie auf ihrer Bahn.
Sterne, Monden, Erden, Sonnen
Wandeln hin auf sein Geheiß,
Seit zu wandeln sie begonnen;
Er bestimmte ihren Kreis.
Helfer ist er allen Seinen
Alle liebt er, groß und klein;
Wenn wir uns verlassen meinen,
Ist er Stütze uns allein.
Darum will ich nie verzagen,
Wenn mich Harm und Leid bedroht,
Fröhlich ihn zu bitten wagen,
Der da hilft aus aller Not.
Heilig ist er. Ihn verehren
Ist des Menschen Heiligkeit,
Ihm nur sei nun mein Begehren
Und mein Sabbat ganz geweiht.
Fröhlich ist mein Geist erhoben,
Seines Wertes sich bewußt;
Kann ich meinen Schöpfer loben,
Das ist heilige Sabbatlust.
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(Zum Sabbat-Ausgang.)
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O, sei uns gnädig, Herr, mein Gott!
Und gib uns Deinen Segen,
Laß' leuchten uns Dein Angesicht
Auf unsern Lebenswegen,
Daß wir erkennen Deinen Weg,
Den rechten, auf der Erde,
Daß Deine Hilfe anerkannt
Von allen Völkern werde;
Auf daß, o Gott, Dir dankend naht
Der Nationen Menge,
Daß jedes Volk vor Dir erhebt
Die höchsten Lobgesänge,
Daß Deiner Allgerechtigkeit
Sie jauchzen voll Entzücken,
Daß sie der Welt Regierung nur
In Deiner Hand erblicken.
Bis endlich Deiner Größe Lob
Aus jedem Mund erschalle,
Bis dankend sich vereinigen
Vor Dir die Menschen alle.
Du bist es, der des Feldes Frucht
Der Erde läßt entsprossen;
So ist, o Gott, aus Deiner Huld
Der Segen uns geflossen;
So wird auch ferner Gott allein
Uns seine Gaben senden;
D'rum sei ihm Ehrfurcht dargebracht
An allen Erden Enden.
——————
(Lied.)
———
Du, Hocherhabener! wählst
Die Wolken Dir zum Sitze
Und schau'st auf uns herab
Und bist uns Fels und Stütze.
Du warst der Väter Hort
Und bleibst es auch den Kindern,
Und Deine Liebe kann
Sich nie und nie vermindern.
Es dunkelt nun die Nacht,
Und sie umhüllt die Erde,
Auf daß nach kurzer Rast
Es wieder Morgen werde;
Der heil'ge Sabbat weicht,
Der Labetag der Frommen,
Auf daß zu neuem Werk
Der Woche Tage kommen.
O laß uns neu gestärkt
Zurück zur Arbeit kehren,
Und Weisheit und Verstand
Durch Tätigkeit vermehren,
Und wie Dir wohlgefällt
Der Tag, den wir Dir weihen,
So gibst Du auch dem Fleiß
Gelingen und Gedeihen.
O, stärke uns're Kraft,
Daß Gutes wir vollbringen;
Von Dir kommt alles Heil,
Gedeihen und Gelingen.
So wie bisher die Kraft
Wir Dir zu danken hatten,
Laß' ferner uns're Hand
In Schwäche nicht ermatten.
So sinke nun hinab,
Du letzte Sabbatstunde,
Begleitet von dem Lob
Des Herrn aus uns'rem Munde
Er bringt der Woche Lauf
Uns wiederum zum Segen
Und führt aufs neue uns
Der Sabbatruh' entgegen.
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———
Gütiger Gott! Mit ehrfurchtsvoller Erwartung habe ich seit langer Zeit dem Tage entgegengesehen, der heute für mich gekommen ist.
Ich soll nun heute hintreten vor Dein Angesicht, um im Bewußtsein Deiner Allgegenwart und vor den Augen vieler Zeugen das Gelöbnis auszusprechen, daß ich treu bleiben will der heiligen Religion, in der ich geboren und belehrt bin, treu bleiben will dem Wege der Tugend und Dich anbeten will im Geiste und nach der Lehre Moses, Deines Propheten, bis an das Ende meines Lebens.
Eine lange und ernste Vorbereitung ist diesem Tage vorangegangen, und alles hat darauf hingedeutet, daß er ein Tag von hoher Wichtigkeit für mich sein soll, daß er mannigfache Empfindungen in mir erwecken, heilige Scheu in mir hervorrufen und Gedanken höherer Natur in mir anregen muß.
Meine Empfindungen sind: Dank und Freude, Hoffnung und Zaghaftigkeit. Ich will sie vor Dir offenbaren, mein Gott.
Ich danke Dir aus tiefster Seele für das Glück der Kindheit, das ich genossen. Ich danke Dir aus tiefster Seele dafür, daß Du liebende, zärtliche Eltern mir gegeben hast, die den Pfad meiner Jugend so herrlich geebnet, die kein Opfer gemieden haben, mein Glück zu begründen, meinen Geist zu bilden. Und auch die Freude belebt mein Herz. Ich vermag heute öffentlich ihnen recht von Herzen zu danken und sie in der Hoffnung auf das Wohlgedeihen ihres Kindes glücklich zu machen. Auch die Hoffnung erfüllt meine Brust, denn ich hege die Zuversicht, daß ich unter dem Schirme der Tugend, wie Dein heiliges Gesetz sie vorschreibt, glücklich sein werde. Aber auch der Zaghaftigkeit kann ich mich nicht entschlagen! Ob ich immer Kraft genug besitzen werde, allen Versuchungen Trotz zu bieten? Ob ich immer besonnen genug sein werde, über mich selbst zu wachen? — —
Und eine heilige Scheu ist es, die den heutigen Tag mir weihevoll macht. Es ist die Scheu vor der Sünde. Das Beispiel gottesfürchtiger Eltern, der Unterricht treuer Lehrer haben die Erkenntnis der Sünde in mir erweckt, die Liebe zur Tugend und zur Wahrheit in mir wach gerufen, und das Bewußtsein in mir gekräftigt, daß die Tugend das Glück, die Sünde das Unglück in sich birgt.
Und die Gedanken höherer Natur, die heute mich beleben, das sind die Gedanken an Dich. Wie glücklich fühle ich mich, erkannt zu haben, daß Du allein Gott bist im Himmel und auf Erden, daß Du ewig bist und unbeschränkt im Raume und in der Zeit, daß Du ein gerechter Richter bist, der das Gute belohnt und das Böse bestraft, daß Du ein liebender Vater bist allen Menschen, und allen Wesen gibst, was für sie zum Heile ist, daß Du allwissend und allweise bist und zu den besten Zwecken die besten Mittel wählst, daß Du der Schöpfer der Welt bist, und alle Kräfte der Natur Dir untertänig sind. Wie glücklich fühle ich mich, daß es mir vergönnt ist, Dich anzubeten, mein Hoffen und Vertrauen auf Dich zu gründen. O, so erhöre auch Du mein Gebet:
Du großer Gott, Du Herr des Lebens!
Steh' gnadenvoll mir Schwachen bei,
Auf daß ich heute nicht vergebens
In Deinen Bund getreten sei.
O führe mich auf eb'nem Gleise
Durch dieses Erdenleben hin,
Und mache mein Bestreben weise
Und fromm und edel meinen Sinn.
Ich möchte gut vor meiner Seele,
Wenn ich mich selber prüfe, sein,
Erkennen, wo und wann ich fehle,
Und jeden Fehler schnell bereu'n.
Ich möchte gut und wohlgelitten
Vor allen Menschen sein, und reich
An allen angenehmen Sitten
Und immer nur den Besten gleich.
Ich möchte wandeln Deine Pfade,
Weil dort nur Heil ich finden kann,
Das gib mir, Herr, in Deiner Gnade,
Ich flehe Dich in Demut an.
Amen!
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Mein Gott! Hinweg aus der lebendigen Aufregung, die mich umgibt, und die, obschon hervorgerufen durch Liebe und Güte aller, die mir nahe sind, mich dennoch nicht die Ruhe inbrünstiger Sammlung finden läßt, flüchte ich mich auf einen Augenblick zu Dir, mein Gott, um, abgezogen von allem Weltlichen, einsam und ungestört, nur im Bewußtsein und im Gefühle Deiner Nähe mein tiefbewegtes Herz vor Dir zu offenbaren.
Der Ernst des Lebens tritt heute in seiner ganzen Größe an mich heran und verlangt von meiner schwachen Einsicht die Reife höchster Überlegung und die Festigkeit des ernstesten Entschlusses.
Mir würde bangen vor dieser Aufgabe, und ich wüßte keinen Ausweg, als ihr auszuweichen, wenn Du nicht, o Herr, Kräfte in mein Herz gepflanzt hättest, die da wohl vermögen mich mutig zu machen und meine Leiter zu sein, daß den bedeutungsvollen Schritt ich wage, den ich heut gehen soll und will.
Ja, in meinem Herzen wohnen die Kräfte, und als freundliche Engel stellen sie sich lächelnd vor mein Auge; sie heißen Liebe und Vertrauen.
Liebe und Vertrauen empfinde ich zu Dir, mein Gott. Erzogen in den Lehren der Religion, fühle ich mich als Dein Kind, das nicht unerhört sich zum Vater wendet. Ich liebe Dich als meinen Wohltäter von Jugend auf, und lege vertrauensvoll mein Schicksal in Deine Hand. Was Du über mich beschlossen hast, das wird zu meinem Heile sein.
Liebe und Vertrauen empfinde ich zu meinen Eltern, ihren Willen achte ich selbst da höher als meine Neigung, wo diese mit jenem nicht eins ist, um wieviel mehr muß ihr Wille mir heilig sein, wo er mit meinen Wünschen übereinstimmt. Was sie über mich beschließen, ist nur Liebes und Gutes, was sie von mir begehren, ist nur zum Segen für mich. So war es von je.
Liebe und Vertrauen empfinde ich endlich auch gegen ihn, der mir seinen Willen offenbart hat, mir ein Schutz und eine Stütze zu sein in allen Tagen, solange es Dir wohlgefällt, daß wir vereint die Wege des Lebens gehen, gegen ihn, der von mir begehrt, daß ich ihm die Hand zum Bunde reiche, um als treue Gefährtin seines Lebens ihn nie zu verlassen in Glück und Unglück.
Wenn aber dies alles auch geeignet ist, mich frohen Mutes die Pflichten der Braut und bald die der Gattin übernehmen zu lassen, so bangt meine Seele dennoch, weil ich mir meiner Schwäche und Mangelhaftigkeit bewußt bin, weil ich es für gar leicht erachte, durch meine Fehler mir das Glück meines Lebens zu zerstören. Darum bitte ich Dich, mein Gott, verlasse mich nicht, wie Du bisher mich nicht verlassen hast. Laß mein aufrichtiges Streben gelingen, meinen Geist verständig, mein Herz duldsam, mein Wesen angenehm und meine Lebensansprüche bescheiden zu machen. In Deine Hand befehle ich mein Leben heute und allezeit, weil ich Dich liebe und auf Dich vertraue. Du bist mein Wohltäter, meine Stütze und Zuflucht. Amen!
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Gütiger Gott! Näher und immer näher rückt der entscheidende Tag für mich heran, an dem ich das Haus meiner Eltern, die liebe Umgebung verlassen soll, in der ich gelebt habe von den Tagen meiner Kindheit bis jetzt. Der Tag naht heran, an dem ich einziehen soll in das Haus des Mannes, dem ich treu anzugehören gelobt habe für die ganze Zeit, die Du, mein Gott, für unsern gemeinsamen Lebensweg auf Erden bestimmt hast.
Je näher mir dieser Tag entgegentritt, desto mehr auch beschleicht mich das Gefühl der Bangigkeit. Ich weiß nicht, ob ich leicht oder schwer mich in die neuen Verhältnisse finden werde, ich weiß nicht, ob meine Kräfte und meine Einsicht ausreichen werden, den Pflichten der Hausfrau sogleich zu genügen, oder ob ich erst mit Mühe und Ausdauer mir die Fähigkeit, eine solche zu sein, werde erwerben müssen. Ich weiß nicht, ob ich mit Freude und Fröhlichkeit oder mit Sehnsucht und Bangen auf die Tage meiner Vergangenheit zurückblicken werde. Ich weiß nicht, ob mehr Wohlergehen oder mehr Leid und Trübsal mein Anteil sein werden. Denn wie der Würfel aus der Hand entrollt, so fällt das Los aller, die ihre Zukunft abhängig machen von dem Bündnisse der Ehe. Nicht Weisheit und Überlegung, nicht Reichtum und Erfahrung bürgen für das Glück, ja selbst die Liebe der Gatten zueinander vermag nicht Bürgschaft zu leisten für Wohlsein und Zufriedenheit.
Dennoch will ich freudig der entscheidenden Stunde entgegengehen. Denn Du, gütiger Gott, warst mein Schutz und meine Hilfe bis heute, Du wirst es auch ferner sein. Du hast bisher meine Bahn geebnet; wie sollte ich glauben, daß Du später mich verlassen wirst. Nein, gestärkt und ermutigt war ich stets, so oft ich mein Herz im Gebete zu Dir erhob, und diese Wohltat kann ja auch ferner mir nicht fehlen. Auch in diesem Augenblicke empfinde ich ihre Süßigkeit, denn ich fühle, daß Du in meiner Nähe bist, daß ein Tempel für Dich errichtet ist in meinem Innern, in dem ich alle Zeit Zuflucht finde, ich fühle, daß ich Dich liebe und von Dir geliebt werde.
Und sollte die Anerkennung Deiner unendlichen Güte und Huld mich nicht immer mehr und mehr zum festen Glauben bestimmen, daß ich geborgen sein werde unter Deiner Fürsorge?
Du weißt es, daß ich nicht leichtfertigen Sinnes oder aus eitlem Verlangen nach erträumtem Glücke, dem Manne meiner Wahl Treue gelobt, sondern daß nur das Gefühl mich bestimmt hat, daß Du, mein Gott, es bist, der meinen Schritt billigt, und der von mir verlangt, daß ich ihm nicht ausweiche.
Darum empfehle ich Dir meine Zukunft. Was Du tust, das ist wohlgetan! Amen!
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Allgütiger Vater im Himmel! Erbarmungsvoll schauest Du hernieder auf Deine Kinder auf Erden; Du wendest Dein Angesicht auf alle, die inbrünstigen Sinnes sich Dir nahen, und unerhört bleibt keine Seele, die in aufrichtiger Demut vor Dir sich neigt, kein Herz, das hoffend und vertrauend im Gebete zu Dir sich wendet.
O, so sei auch jetzt mir nahe, da ich, wenn auch in schlichten Worten, mein übervolles Herz durch die Sprache des Gebetes vor Dir erleichtern will.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß dieser Tag ein Tag des Heils für mich werde.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß meine teuren Eltern all die Freuden erleben, für die sie mit den höchsten Opfern der Liebe diesen Tag sich erkauft haben.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß mein Gatte in den Tagen der Zukunft die Stunde segne, die mich zu seiner Lebensgefährtin gemacht hat.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß ich immerdar lichten Auges und willigen Herzens des Weges gehe, auf dem ein tugendhaftes Weib die Pflichten der Gattin und Hausfrau übt.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß nicht des Schicksals Bürde allzuschwer auf meinen Schultern laste, wenn nach dem Rate Deiner Allweisheit es mir bestimmt ist, Zeiten der Prüfung zu ertragen.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß ich Dein nicht vergesse, wenn der süße Klang der Fröhlichkeit und der Freude mich umrauscht.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß ich Mut und Ausdauer nicht verliere, wenn Mühe und Arbeit mein Anteil sind.
Sei mir gnädig, mein Gott! daß mein Sinn frei bleibe von Stolz und Übermut, wenn Glanz und Wohlstand meine Tage sorglos machen.
Alle diese Bitten und unzählige andere drängen sich heut in meinem Herzen, und ich vermag nicht ihre Zahl zu bestimmen, ihre Innigkeit in schwachen Worten zu offenbaren. Du aber, mein Gott! schaust in mein Inneres, vor Dir sind meine Gedanken offenbar, und die Gefühle der Betenden sind Dir nicht verborgen. Darum fasse ich sie alle in das eine Flehen: Sei meine Hilfe, sei mein Hort, wende Deine Liebe nicht von mir, wie Du sie bisher mir nicht versagt hast.
Ach! schon drängt die Zeit, daß ich mich schmücken lasse, um als Braut lieblich zu erscheinen dem Blicke des Bräutigams, der meiner harrt, daß der Segen der Religion das Siegel drücke auf den Bund unserer Herzen. Auch er erwartet das Glück seines Lebens von dem Segen dieses Tages, auch er ist gleich mir bereit, fortan all sein Denken und Tun dem Bunde der Liebe zu weihen, den unsre Herzen geschlossen haben; o, sei auch mit ihm, daß er finde, was er sucht: Glück und Zufriedenheit, Frieden im Hause und Freude an seiner Tätigkeit. Laß ihn den Lohn finden für all sein Streben, mit dem er die Selbständigkeit sich erworben, für all den Fleiß, mit dem er sich emporgearbeitet, daß er nun ein Haus sich gründe.
Und dieses Haus, laß es sein eine Stätte der Tugend und der Gottesfurcht, lieblich in Deinen Augen und angenehm in den Augen der Menschen.
Ach, Herr mein Gott! ich fühle, daß Du bei mir bist, ich danke Dir für die Erhebung, die Du im Gebete mir zugewandt. Ich trockne die Träne der Andacht und eile hin, wo ich die der Freude vergießen will. Du bist mein Trost und meine Zuflucht, Deiner Liebe will ich heute mich erfreuen, o, wende nie sie von mir ab. Amen!
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Gütiger Vater aller Menschen! Deine Gnade hat mich begleitet von meinem ersten Tage auf Erden bis hierher. Du hast mir beigestanden in den ersten Tagen meiner Kindheit, aus Gefahren mich errettet, vor Not und Kummer mich behütet und, geführt von Deiner Hand, bin ich nunmehr zu der Aufgabe gelangt, als treue Gattin, als sorgsame Hausfrau mich zu bewähren. Welch anderes Gefühl, als das des kindlichen Dankes könnte ich Dir jetzt entgegenbringen, wenn mein Herz mich aufruft, daß ich im Gebete mich Dir nahe! Aber alle Worte des Dankes würden nicht hinreichen, ein würdiger Ausdruck der Erkenntlichkeit zu sein für die tausend und abertausend Wohltaten, die Du mir erwiesen hast. Darum will ich still in meinem Innern, doch unverborgen vor Dir, das Gelöbnis tun, durch Taten, nicht durch Worte, Dir, meinem gütigen Vater, zu zeigen, daß ich ein dankbares Kind bin. Ich will mich aufraffen mit aller Kraft, die Fehler zu erkennen, die an mir haften, und will sie ablegen. Ich will alle Mängel des Flattersinnes, die ich herüber gebracht habe aus dem Stande der Jungfrau in den der Gattin, bekämpfen in meinem Wesen, daß ich mit Ernst das Gebiet meiner Pflichten überschauen und in dasselbe mich hineinleben kann. Noch umspielt und umtändelt mich die Sorglosigkeit des jungen Ehelebens, aber ich weiß es wohl, daß es von Tag zu Tag mehr und mehr sein ernstes Angesicht mir zeigen wird. Mein Gatte wird, in Anspruch genommen von den Obliegenheiten seines Berufes, mir nicht immer mit dem Angesicht der Zärtlichkeit entgegentreten können; dann will ich es ihm nicht für Lieblosigkeit deuten, sondern meine Zuvorkommenheit verdoppeln, um ihm das Leben in seinem Hause angenehm zu machen. Ich will zu den Lasten seines Tagewerkes nicht noch die häufen, meine Launen ertragen zu müssen, ich will ihn nicht beschweren mit solchen Dingen, die ich allein verrichten kann, und mir Mühe geben, sein Leben angenehm zu machen und seine Bürde ihm zu erleichtern. So will ich bestrebt sein, ein Weib zu werden, wie Lemuël es beschrieben: „Das ihrem Gatten Liebes und kein Leides tut ihr Leben lang“, denn „trüglich ist die Anmut, nichtig ist die Schönheit, nur ein gottesfürchtiges Weib ist rühmenswert.“
Und so Du in Deiner Allwissenheit es bestimmt hast, daß Tage der Prüfung über ihn kommen, so will ich treulich ausharren, liebend und helfend an meines Mannes Seite, ich will nicht murren, wenn ich Entbehrungen erleide, Not und Kummer mit ihm tragen muß.
Du aber, gütiger Vater! sei mit ihm, mache die Sorge für das Haus ihm leicht, und seine Wohnung zur Stätte seiner Lust und Freude, daß er seine Schritte nicht unmutig von ihr abwende, wenn er eine Stunde der Erholung sucht, daß nie es ihm drückend werde, die Sorge für mein Wohl auf seine Schulter gelegt zu haben.
Erhöre, gütiger Vater! all' diese meine Bitten, zu welchen ich die Veranlassung zu überschauen vermag; wohin aber mein beschränkter Blick nicht reicht, was meiner geringen Erfahrung noch nicht wahrnehmbar ist, auch das lege ich mit Vertrauen in Deine Hand, denn Dir empfehle ich mein Leben und mein Heil; was Du tust, ist wohlgetan! Amen!
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Gnädiger Gott! Du mein himmlischer Wohltäter! Aus der Tiefe meines Herzens steigt mein Dank zu Dir empor, da ich in Freude zurückblicke auf die Zeit, die, noch vor kurzem von mir erwartet, mich mit Bangen erfüllte. Deine Hilfe ist mir nahe gewesen, durch Dich bin ich erlöset und unendlich reicher geworden, da Du ein holdes Kind mir (wiederum) geschenkt hast. (Wieder lausche ich mit Muttersorge und Mutterlust auf seine Atemzüge, wiederum treten die Bilder einer schönen Zukunft vor meine hoffende Seele.) Ich lausche mit nie geahntem Mutterglück auf seine Atemzüge, und die Bilder einer schönen Zukunft treten vor meine hoffende Seele, wenn ich daran denke, daß ich mein liebes Kind erziehen, seine Entwicklung beobachten und leiten und an seinem Gedeihen mich ergötzen soll.
Du weißt es, mein Gott, daß ich meine Pflicht erfüllen, die reinste Mutterliebe betätigen und nicht ruhen und rasten will in der Sorge um das Gedeihen meines Lieblings.
Aber alles menschliche Wollen und Streben reift nur zum Segen, wenn Du, o Gott, Deinen Beistand gibst. Darum flehe ich zu Dir: O, stehe mir bei in meinem Vorsatze. Erhalte mein Kind gesund an Leib und Seele, erhalte auch mich gesund zu seinem Heile, segne auch meinen Gatten, daß er immer in Freude und Fröhlichkeit für sein Haus zu sorgen vermöge. Schenke uns beiden die süße Lust, unser Kind kräftig emporwachsen zu sehen, daß es angenehm sei in Deinen Augen und in den Augen der Menschen. O, wie freue ich mich heute schon der Zeit, daß ich es werde anleiten können, selbst zu Dir zu beten, Dich zu lieben und zu verehren, Dich von ganzem Herzen Vater zu nennen, wie ich Dich Vater nenne.
O sei mir gnädig und bleib in meiner Hilfe. Amen!
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Lob und Preis, Dank und Anbetung widme ich Dir, Allbarmherziger! Du hast mir beigestanden zur Zeit der Not und hast mein Herz erfreut durch Dein himmlisches Gnadengeschenk, da Du (wieder) einen Sohn mir gegeben, und meine Seele (aufs neue) erfüllt hast mit dem Glücke mütterlicher Sorge und mütterlicher Liebe. Und harren auch meiner (wiederum) in der Pflege meines Kindes Kummer und Mühsal hundertfach, so werden sie dennoch tausendfach aufgewogen durch die Lust und das Entzücken, die der Besitz und der Anblick meines lieben Kindes mir bringen muß. Darum bin ich auch in Fröhlichkeit damit einverstanden, daß er nunmehr durch das Opfer seines Blutes aufgenommen werde in den Bund, den Du mit Abraham geschlossen hast. O laß, mein Gott, ihn auch im Geiste und in der Wahrheit ein treues Mitglied dieses Bundes werden, daß er frei und gern sich zu ihm bekenne in der Zeit der Reife seines Geistes. Vor allem aber laß den Begründer des Bundes sein frei erwähltes Vorbild sein. Wie Abraham seinen Blick zu den Sternen erhob, und die Seligkeit des Glaubens an Dich gewann, so möge auch mein Sohn sein Auge zum Himmel erheben in seinen heiligsten Angelegenheiten, und Gottes Walten im Geiste erkennen und im Herzen empfinden. Wie Abraham dem Menschen ein Vorbild wurde, so laß meinen Sohn reif werden, daß auch sein Beispiel geeignet sei, den Irrenden den rechten Weg zu zeigen. Wie Abraham die Neigungen und Wünsche seines Herzens unterdrückt hat, wo es galt, sie Dir zum Opfer zu bringen, so laß auch ihn bereit sein, sich selbst zu verleugnen um seines Gottes willen. So wie Abraham als ein Muster der Nächstenliebe gelebt hat unter seinen Zeitgenossen, so möge auch mein Sohn es werden unter den seinigen, übertrage auch auf ihn den Segen, den Du Deinem Liebling Abraham zugeteilt, daß er selbst ein Segen sei unter den Menschen.
Aber auch das flehe ich, Allbarmherziger! Wie Du warst mit Abraham, dem Vater unseres Volkes, wie Du ihn begnadigt hast mit Glück und Freude, Leben und Wohlsein, so sei auch mit meinem Sohne immerdar. Erhöre mein Gebet, Allgütiger! Amen!
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Mein Gott! „Durch die Fülle Deiner Gnade betrete ich Dein Haus, bücke mich vor Dir in Deinem Heiligtume in Ehrfurcht.“ Wie schön und lieblich ist diese Stätte! Wie fühle ich hier doppelt die Nähe meines Gottes! Ja, mein Gott! ich danke Dir, daß Du meinen Fuß wieder geleitet hast, die Schwelle Deines heiligen Tempels zu überschreiten.
Du hast in Deiner Liebe und Güte (aufs neue) ein heiliges Gut mir anvertraut, daß ich es treu bewahre nach Deinem Willen. O, so höre auch mein Gelöbnis, daß ich es so halten und hüten will, um jederzeit mit freudigem Bewußtsein Rechenschaft vor Dir ablegen zu können. Du hast mir (wieder) ein holdes Kind geschenkt und mit dieser Gabe mein Herz beglückt, darum will ich nun Dir geloben, daß ich es erziehen will in Deinen Wegen. Du hast (wiederum) meine Kraft gestärkt, darum will ich sie anwenden in Deinem Dienste, in Tugend und Frömmigkeit.
O, sei auch Du ferner mit mir! Laß das Kind zu meiner und zu seines Vaters Freude wachsen und erblühen, und wenn es einst herangewachsen ist, so mache es angenehm vor Dir und den Menschen. Möge es immerdar in Deinen Wegen wandeln und sein Name . . . . . . . ehrenvoll genannt werden.
Dich preise ich, mein Gott, Dir danke ich, und zu Dir bete ich.
Alles Gute kommt von Dir, Du warst mein Wohltäter, Du bist es und wirst es bleiben fürderhin. Amen!
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Du hast in Deiner Liebe, Allgütiger! mir heute (wiederum) einen Tag geschenkt, an dem ich Deine Gnade lebhafter erkenne und tiefer empfinde, weil er ein Tag ist, den mein Herz ersehnt seit langer Zeit. Mein lieber Sohn . . . . . , den ich in Liebe zu Dir und zur Kenntnis Deines Wesens und Deines Willens zu erziehen bestrebt war, ist nunmehr so weit gediehen, Dich selbständig und aus eigenem Antriebe verehren und Deine heiligen Gebote ausüben zu können, und ist heute bereit, durch feierliches Gelöbnis sich seinen Pflichten als Israelit zu unterwerfen. Dank Dir, mein Gott! daß Du mir (und meinem Gatten) die Freude vergönnt hast, Zeuge dieser Handlung zu sein. An das Gedeihen meines Sohnes knüpfen sich meine schönsten Hoffnungen. O, gib, daß diese nie und nimmer getäuscht werden, daß mein Sohn bei meinem (unserem) Leben und über dasselbe hinaus auf der Bahn der Tugend und Redlichkeit bleibe, und auch als ein Israelit nicht aufhöre, Dich vor Augen und im Herzen zu haben. Beschütze ihn auch, Allgütiger, auf seinem Lebenswege, behüte ihn vor Versuchung und Sünde, laß ihn mit Ehren einen Platz finden unter den Menschen, auf dem er imstande sei, Dir wohlgefällig, den Nebenmenschen nützlich, und zu seiner eigenen Zufriedenheit zu leben. Gib seinem Geiste Einsicht, seinem Herzen Mut zu allen guten Handlungen, die er auszurichten vermöge, und begnadige ihn mit Leben und Gesundheit und jeglichem Segen, der hervorgeht aus der Fülle Deiner Vaterliebe. Amen!
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Du Gnadenreicher! aus dessen Hand alles Gute kommt, das wir genießen, aus dessen Huld jede Freude entspringt, die wir empfinden, aus der Fülle meines Herzens bete ich heut zu Dir, um Dank und Bitte vor Dir zu offenbaren. Mit dem Gefühle, mit dem ein Wanderer das Ziel einer langen mühevollen Wanderung an seinem Gesichtskreis auftauchen sieht, mit demselben Gefühle sehe ich heut den Abschluß einer langen, mühevollen Arbeit von Ferne, und wie der Wanderer bittet: „O Herr! laß keinen Unfall nahe am Ziele die Vollendung stören“, so bitte ich: O Herr! laß keinen Unfall nahe am Ziele die Vollendung meiner Arbeit unterbrechen. Ich habe mein liebes Kind mit Mühe und Sorgfalt erzogen, ich war bestrebt, sie heranzubilden, daß sie fähig werde, als wackere Hausfrau ihre Pflichten auf Erden Dir und den Menschen wohlgefällig zu verrichten. Nun hast Du in Deiner Gnade das Werk meiner Fürsorge gesegnet und uns den Mann zugeführt, für den ich meine (wir unsere) Tochter erzogen habe (haben). Dank sei Dir für Deine Hilfe, mit der Du mir (uns) beigestanden hast bis hierher! Guter Gott! gib, daß unsere Einsicht uns nicht irre geführt habe, laß meine (unsere) Tochter durch diese Wahl glücklich werden, und den Erwählten glücklich machen. Tausend Gedanken beschäftigen mich, tausend verschiedene Wünsche möchte ich heut vor Dir aussprechen, doch Du schaust ja in mein Herz und verstehst ganz, was ich denke, wenn ich auch mangelhaft nur spreche; darum, gütiger Gott: sei mit uns allen, wie Du bisher mit uns gewesen und führe alles zum Guten. In Deine Hand befehlen wir unser Schicksal. Nichts ohne Dich, und alles mit Dir! Denn alles Gute kommt von Dir! Amen!
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Allgütiger! Deine Vaterliebe waltet über uns, und ohne Deinen Beistand ist kein Gelingen und Gedeihen unserer Bestrebungen, das müssen wir täglich empfinden, und nur ein undankbares Gemüt könnte daran nicht gemahnt werden durch die Freude am Tage der Freude. Nein, Du guter Gott, ich will nicht undankbar sein für das Glück, das Du mir heute gewährest. Heute ist der Tag, an dem ich ein Ziel erreicht, für das ich so lange, so lange schon gesorgt und gedacht, das ich ins Auge gefaßt habe bei so vielen meiner Entschlüsse und Handlungen, das der Ausgangspunkt sein sollte mütterlicher Fürsorge und mütterlicher Sehnsucht. Heute führe ich mein liebes Kind dem Manne zu, dem ich mein erstes Anrecht auf seine Liebe übertrage, dem Manne, dem meine Tochter Gattin und Hausfrau sein soll, und zu meinem Kinde spreche ich: Gehe hin mit meinem Segen, heiligere Pflichten warten dein als die, die bisher deine heiligsten waren, als die Zärtlichkeit und der Gehorsam gegen deine Eltern. Und alles das tue ich mit freudigem Herzen, mit den Gedanken der frohesten Hoffnung. Darum sei Dir, gütiger Gott, Dank und Preis dargebracht, denn Du hast diesen Tag mir geschenkt, daß ich sein mich freue und fröhlich sei.
Aber auch für das Wort der Bitte darf meine Lippe nicht geschlossen bleiben, denn die Gedanken der Menschen sind zwar mannigfach, aber nur der Ratschluß Gottes erfüllet sich, und wenn meine Pläne das Glück in ihrem Schoße bergen sollen, so kann es nur wahr werden durch Deinen Willen.
Und so flehe ich Dich denn in Demut an: O, gütiger Gott, halte Deine schützende Hand ferner über dem Haupte meines lieben Kindes. Laß die Stunde ihres Eintritts in das Leben einer Ehefrau eine Stunde sein, die meine Tochter fröhlichen Herzens noch in späten Tagen ihres Lebens als den Anbeginn ihres reinsten Glückes segnet. Halte fern von ihr und dem Hause, dem sie angehören wird, die trüben Erfahrungen des Ungemachs, mache die Prüfungen, die in keines Menschen Leben ganz ausbleiben, ihr nicht so schwer, daß sie die Heiterkeit ihres Herzens vernichten. Laß auch das Band der Liebe nicht locker werden, das uns, die ihrigen, bisher mit ihr verknüpfte, und laß sie in dem neuen Bande der Verwandtschaft und der Liebe, das sie umschlingen soll, immer eine anmutige Fessel finden, der sie nie sich zu entziehen strebe.
Mein Gott, ich hoffe auf Dich, ich vertraue Dir, und unter Deinen Schutz stelle ich mich mit allen Wünschen meines Herzens. Amen!
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Gelobt seist Du, mein Gott, daß Du den heutigen Tag mich schauen ließest. Heut erfüllt sich mir sichtbar Deine Gnade, die ich erstrebt in der Erfüllung der Pflichten mütterlicher Liebe und Zärtlichkeit. Was kann ich mehr wollen für alles, was ich an meinem Sohne getan habe, als daß ich ihn, den meine Seele zärtlich liebt, und dessen Liebe und innige Treue mich jederzeit beglückte und entzückte, als daß ich ihn nunmehr erblicke an der Schwelle des Hauses, das er sich gegründet hat, an der Seite der Liebe und Lieblichen, die ich mit Freude als Tochter umarme, die er in herzlicher Zuneigung sich erwählt hat zur Gefährtin seines Lebens. Ach, mein Gott! die Freudenträne in meinem Auge kündet Dir meinen Dank besser als mein dürftiges Wort. Aber auch im Gefühl des Glückes will ich das Bewußtsein in meiner Seele wachrufen, daß wir alle Deines Schutzes und Deines Beistandes bedürfen, wenn unser Werk sich krönen, unser Hoffen sich bestätigen soll.
Darum, mein Gott! erhöre in Gnaden mein Gebet! Laß das neubegründete Haus meines lieben Sohnes sein eine Stätte des Friedens und der Zufriedenheit, laß es fest stehen, trotzend den Stürmen der Ereignisse. Befiehl dem Segen, daß er einkehre in dasselbe, auf daß seine Bewohner sich erfreuen des Lebens auf Erden. Laß auch die Liebe und die Treue, wie sie heut mit einziehen, darin weilen, in unwandelbarer Ausdauer. Laß es sein einen Sammelplatz edlen Verlangens und edler Genüsse, und laß nimmer d'raus schwinden die Gottesfurcht und die Frömmigkeit und die Liebe zu Dir.
O, mein Gott! ich empfinde es, daß mit dem heutigen Tage mein Herz sich verjüngt, daß ich meine eigene Vergangenheit wiederfinden will in der Zukunft meiner lieben Kinder. So Du es nun in dem Ratschlusse Deiner Gnade über mich beschlossen hättest, daß ich lebe und anschaue die Entwickelung ihres häuslichen Lebens, o, so gib, daß ich allezeit mit gleicher Freudigkeit wie heut ob dieses Ehebundes Dein Walten preisen, Deine Liebe segnen kann.
(Es teilt mein Gatte heut die Freude, die mein Inneres erfüllt, auch er hat in Mühe und Fleiß die Sorgen auf sich genommen, den Sohn heranzubilden zu Deinem Wohlgefallen und zum Wohlgefallen der Menschen, o, laß uns auch vereint die Wonne genießen, die Früchte seiner unermüdeten Tätigkeit zu betrachten und ihre Lieblichkeit zu empfinden in dem Glücke unseres Sohnes. Halte Deine schützende Hand ferner über uns, und wie Du bisher uns geholfen, so hilf uns weiter, Du allein bist unser Helfer, Du bist der Gott der Liebe und der Barmherzigkeit.) Amen!
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Allgerechter! Du hast in Deiner Weisheit es beschlossen, daß ich nicht bis an das Ende meiner Tage das Glück genießen soll, an der Hand meines treuen Gatten durchs Leben zu gehen. Du hast ihn von meiner Seite gerufen, und ich muß ohne seine Stütze, ohne seinen Beistand, ohne seinen Rat und ohne seine liebevolle Fürsorge meine Tage verleben.
Allgemach erblassen die grellen Farben, in denen das Bild meines Unglücks vor mein Auge trat, als es in den ersten bitteren Tränen schwamm, die ich ob des herben Verlustes vergoß, aber nimmer werden diese Farben ganz verbleichen: langsam geht der Schmerz in stille Wehmut über, aber nie wird seine Spur verschwinden, weil ich es nie vergessen kann, wie der treue Gefährte meiner schönsten Tage in Liebe und Zärtlichkeit nur für mich gedacht und gesorgt hat.
Wenn ich daher nun, gerührt von seinem Andenken, zu Dir bete, mein Gott, so flehe ich Dich in Demut an, daß Du ihm die Freuden der ewigen Seligkeit in vollem Maße gewähren mögest.
Mir aber, mein Gott, wollest Du auch gnädig sein, daß es mir nie an der Kraft gebreche, nun ohne seinen Rat und seinen Beistand für das Wohl meiner Kinder und für das Bestehen meiner Häuslichkeit zu sorgen. Wo ich des Schutzes bedarf, da gewähre Du ihn mir, wo ich des Rates bedarf, da erleuchte Du mich mit Einsicht. Du bist ein Helfer den Witwen, ein Vater den Waisen, Du verlässest nicht, die unter das schützende Obdach Deiner Hut sich begeben, darum will ich mich allezeit an Dich wenden in der Gewißheit Deiner Gnade, mein Helfer, mein Beschützer! Amen!
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(die in dürftigen Verhältnissen lebt.)
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Allgerechter! Du hast in Deiner Weisheit es so gewollt, daß ein schweres Los mein Anteil sei auf Erden, und so oft ich mein Herz im Gebete zu Dir erhebe, ist es überwiegend das Wort der Bitte, das ich an Dich richte, weil das Drückende meiner Lage mir stets gegenwärtig ist, und Zagen und Bangen meinem Gemüte zur Natur geworden sind, so daß ich mich selten in reiner, ungetrübter Fröhlichkeit aufzurichten vermag.
Allein und fast einsam, als Witwe, stehe ich da inmitten der rauschenden Welt, die an mir vorübereilt in ihrem Jagen nach Genuß und Vorteil, die meinen Kummer nicht kennt und kaum einen Blick des Mitleids auf mich wirft, weil die Augen der Glücklichen nicht gern bei der Betrübnis weilen.
Da muß ich wohl oft der Zeiten gedenken, da es noch anders war; da mein treuer Gatte noch lebte, da er mit redlichem Herzen und rüstigem Fleiße der Versorger und Ernährer meines Hauses war. Der treu mich liebte, ist von mir gegangen, meine Stütze ist gebrochen, meine Sorglosigkeit vernichtet. Statt dessen ist das Brot, das ich esse, mir karg zugemessen, und oft vermag ich kaum den Mangel zu wehren, daß er meine Schwelle nicht überschreite (den Mangel, der mich doppelt drücken muß, um meiner lieben Kinder willen.)
Wenn ich aber auch dies alles bedenke und der Betrübnis mich nicht entschlagen kann, so will ich dennoch nicht murren und nicht rechten mit Deiner Allweisheit. Denn wenn ich eines Teiles nicht weiß, ob nicht die Prüfungen, die Du mir bestimmt hast, zu meinem Heile sind, so weiß ich andernteils gewiß, daß noch manches teure Gut mir geblieben ist, und daß es Menschen gibt, die weit tiefer hinabsteigen mußten in die Tiefe des Unglücks.
Über alles dies ist ja eine Freudigkeit mir geblieben als die Grundlage alles dessen, was mir noch Trost und Hoffnung gibt: es ist das Vertrauen auf Dich, die Zuversicht, daß Du mich nicht verlassen wirst, daß Du mich hörst, so oft ich Dich rufe. Darum auch will ich es nimmer unterlassen, die Bitte um Deinen Beistand vor Dir auszusprechen:
O mein Gott! sei mir gnädig und erhalte meine Gesundheit.
(Laß meine Kinder wohl gedeihen an Leib und Seele und gib mir die Kraft, ihnen jederzeit beizustehen mit Rat und Tat.)
Wende den Mangel von meiner Tür und laß mich in Redlichkeit und Ehre mein Brot mir erwerben.
Laß mich nicht der Hilfe der Menschen bedürfen und nie Fremden oder Angehörigen eine Last sein.
Erhalte die Zufriedenheit in meinem Herzen, daß aus ihr wieder aufsprieße der frische Lebensbaum der Seelenruhe und der Freudigkeit.
Du, mein Gott, bist ein Versorger der Witwen und Waisen, Du bist auch der meinige. Das sei Dein Willen! Amen!
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Mein Gott! Wie die Liebe der Mutter zu ihren Kindern das festeste Band auf Erden ist, das Menschenseelen aneinanderknüpft, so ist die Mutterliebe auch die süßeste Empfindung, die das Menschenherz beglückt. Dieses natürliche Band kann durch kein gewähltes ersetzt, diese Empfindung nicht willkürlich hervorgerufen werden. In dieser Überzeugung betrachte ich die Aufgabe, die Du mir zugeteilt hast, die Stelle der Mutter bei Kindern zu vertreten, die nicht leiblich mir angehören, als eine sehr schwere, als eine so schwere, daß ich meiner schwachen Einsicht nicht zutraue, sie zu vollbringen, wenn nicht Deine besondere Hilfe mir beisteht. Und um diese Hilfe flehe ich, Herr! Dich mit Inbrunst an, denn ich bin weit entfernt davon, die Arbeit von mir zu weisen oder sie als eine Last zu betrachten, ich fühle mich vielmehr glücklich, ihr unterworfen zu sein, und mein höchster Wunsch ist es, das Höchste und Beste in ihrer Vollziehung zu erreichen, was einem redlichen Herzen erreichbar ist.
Darum, mein Gott, flehe ich Dich an, schenke mir Einsicht, das Rechte jederzeit zu treffen, damit ich bestehen kann vor Deinem Auge und vor dem Auge der Menschen. Laß mich nie müde werden in der Ausübung meiner Pflichten und verscheuche jeden Gedanken aus meiner Seele, der nur dahin zielt, mir die Rechte einer Mutter zu erkaufen, gib mir Geduld und Ausdauer, daß ich auch mit den Mängeln und Schwächen meiner Kinder Nachsicht übe wie eine Mutter. Laß mir immer die Vorstellung gegenwärtig sein, daß meine Arbeit nur Stückwerk ist, und daß ich ihnen nie in Wahrheit die Mutter zu ersetzen imstande bin. Laß mich nie Mißtrauen fassen gegen sie, als ob sie nicht bereit wären, die Mutter in mir zu suchen und zu erkennen. Laß die Kinder gedeihen unter meiner Pflege, auf daß ich Freude habe an ihrem Wohlsein und meine Aufgabe mir leicht werde.
Laß mich in der Erziehung der Kinder auch die Wünsche meines Gatten befriedigen, daß der Kummer, den ihre Mutterlosigkeit ihm verursacht, gänzlich von ihm genommen werde und sein Herz immer mehr und mehr Zutrauen zu mir fasse.
Um alles dies flehe ich Dich, Allgütiger, in Demut an, zu all dem bedarf ich Deiner besonderen Hilfe. Du wirst sie mir nicht versagen, so ich mit Redlichkeit strebe, eine gute Mutter zu sein den Unschuldigen, die ihre leibliche Mutter verloren haben. Auf Dich will ich vertrauen. Amen!
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Vater aller Menschen! In dieser Anrede allein schon liegt der Trost, den ich im Gebete suche, diese Anrede allein erfüllt mich mit Mut, und so oft mein Mund sie ausspricht, ist es, als spräche auch noch eine andere Stimme freundlich zu mir: „Sei nicht betrübt, sei nicht traurig, du bist nicht vaterlos, wenngleich dein irdischer Versorger und Ernährer, der dich zärtlich liebte, von dir geschieden ist und frühzeitig eingegangen ist in seine Ruhestätte im Reiche der Seligen“. Ja, ich bin nicht vaterlos, denn die Fürsorge des guten Vaters, der mich verlassen hat, war in der Zeit darauf bedacht, mich einen ewigen Vater finden zu lassen, der so lange nicht von mir weicht, so lange ich treu und fest an ihn glaube, auf ihn vertraue und ihm gehorsam bin. Ja, Du, himmlischer Wohltäter und Versorger! Du bleibst auch der meinige.
Du hast Geduld und Nachsicht mit mir und liebst es, daß ich vor Dir mich ausspreche über alle Regungen meiner Wünsche, über alle Gedanken meines Herzens.
O, so neige Dich auch jetzt freundlich zu meiner Bitte.
Ich bitte Dich, gütiger Vater, zuerst um das, was meinem Herzen das teuerste ist: ich bitte Dich um das Wohlsein meiner geliebten Mutter. Sie trauert als Witwe um den Verlust ihres Gatten, als schwaches Weib um den Verlust dessen, der ihr Stab und Stütze, Helfer und Berater war, sie trauert als Mutter über das Leid ihrer Kinder, die des väterlichen Beistandes entbehren.
O, sei Du immerdar ihr Schutz und Schirm. Erhalte ihre Gesundheit und laß es ihr nicht an den Gaben Deines Segens fehlen, auf daß zum Schmerze sich nie der Mangel und die Entbehrung gesellen. Gib ihr Freude an allen ihren Kindern, daß keines ihr trübe Tage bereite.
Ich bitte Dich, gütiger Vater, auch für mich; halte mein Herz rein von Leichtsinn und Übermut, daß ich immer geneigt sei, alle Pflichten zu erfüllen, die Du mir zugewiesen hast. Laß mich einsichtsvoll und verständig werden, daß ich stets imstande sei, meiner guten Mutter eine treue Ratgeberin zu sein. Laß mich nie abweichen von den Lehren meines bei Dir weilenden Vaters, so daß ich seinem Andenken, das aus meinem Herzen nicht schwinden wird, auch durch meine Taten Ehre bereite.
Viel, sehr viel sind der Dinge, um die ich Dich bitten muß, ich kann ihre Zahl nicht überschauen; aber es bedarf ja auch dessen nicht; Du siehst mein Herz und weißt auch, was mir not tut. Sei Du in meiner Hilfe, und mir wird nichts fehlen. Amen!
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Öfter wohl als vielen andern meines Alters und meines Standes muß es mir, der Mutterlosen, ein Bedürfnis sein, ein stilles Stündchen zu suchen, um im andächtigen Gebete mein oft so betrübtes Herz zu erleichtern.
Immer und immer lastet der Gedanke schwer auf mir, daß ich so einsam, so verlassen bin, wenn ich des mütterlichen Rates bedarf. Immer erfüllt Trauer meine Seele, wenn die liebliche Erscheinung meiner nun im Reich der seligen Geister weilenden Mutter vor mein geistiges Auge tritt, und ich kann mich von der Vorstellung nicht entfernen, wie schön es wäre, wenn sie noch leiblich in unserer Mitte weilte. Und der Schmerz erfüllt mich, wenn ich meinen guten Vater betrachte, wie auch er verlassen ist von der treuesten Gefährtin seines Lebens.
Sollten alle diese Empfindungen sündhaft sein? Sollten sie der Pflicht widerstreben, mit Ergebung sich in Deinen Willen zu fügen? Ach nein! Du findest kein Unrecht an ihnen. Hast Du doch die Liebe zu meinen Eltern in mein Herz gepflanzt, und die ernste Betrachtung meiner Lage ist ja nur ein Ausfluß dieser Liebe.
Ach nein! diese Empfindungen sind kein Unrecht. Ich fühle es, daß auch sie zum Heile an mir werden können, weil ernste Entschlüsse, gute Vorsätze aus ihnen hervorgehen.
Ich will das Andenken an meine Mutter ehren, ihr Beispiel der Gottesfurcht und Tugend stets vor Augen haben und an dem Gedanken mich aufrichten, daß ihr Geist über mir wacht, damit ich jederzeit auch bereit sein kann, Rechenschaft vor demselben abzulegen über meinen Wandel.
Ich will hoffen und vertrauen, daß auch Du mich nicht verlassen wirst, und daß Deine Liebe mir immer Menschenherzen zuführen wird, die mir mit Zuneigung und Aufrichtigkeit begegnen.
Ich will meinem lieben Vater kindliche Treue und innige Hingebung bewahren, auf daß mein Umgang imstande sei, ihm einen Teil seines Verlustes zu ersetzen.
Zu all dem versage Du, Allgütiger! mir Deinen Beistand nicht, dann wird auch die Fröhlichkeit des Herzens mir wieder ein bleibendes Eigentum werden, und wie ich in Betrübnis zu Dir bete, so werde ich in Freudigkeit Dir danken können. Amen!
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Einsam und verlassen, himmlischer Vater, stehe ich da in der weiten, weiten Welt! Was ist die Güte befreundeter Menschen, was ist die Freundlichkeit der Anverwandten! Ach, sie gleichen einem blassen Scheine, verglichen mit dem strahlenden Lichte elterlicher Liebe. Den lieblichen Schimmer dieses Lichtes muß ich entbehren und bin noch so jung, so unerfahren, den rechten Weg allein zu finden. Ich muß im Finstern wandeln. Doch „wall ich auch im Tal der düstern Schatten, so wall ich ohne Furcht, denn Du begleitest mich, Dein Stab und Deine Stütze sind immerdar mein Trost!“
Vater und Mutter ruhen aus von den Beschwerden des Erdenlebens nun schon im Grabe, nur ihr Geist ist es, der mir nahe geblieben ist, ihr Andenken allein begleitet mich, ihre Liebe ist nicht geschwunden und hält mich wunderbar zurück, wenn die Verlockung des Unrechts mich reizen will, den Weg der Tugend zu verlassen.
Darin aber, himmlischer Vater, erkenne ich dankbar Deine Liebe, daran merke ich es, daß, „wenn auch Vater und Mutter mich verlassen haben, so hast Du mich aufgenommen“.
O, gib, daß es immer also sei! Laß das Andenken an meine im Reiche der Seligkeit weilenden Eltern nimmer aus meinem Herzen schwinden. Es tröste mich, wenn ich verzagen will, und rufe mir zu: Fürchte nicht! wir wachen über Dich. Es strafe mich mit den Vorwürfen des Gewissens, wenn ich die weisen Lehren verlassen will, die meine guten Eltern mir eingeprägt, es erinnere mich an ihr würdiges Beispiel, wenn ich die Schönheit verkennen sollte, die ein edles Leben schmückt, es rüste mich allezeit mit Geduld und Stärke, auch die Mißhelligkeiten des Lebens zu ertragen.
O, laß auf diesem Wege mich die Einsicht gewinnen, deren ich so sehr bedarf, um die Bahn meines Wandels mir zu ebnen. Groß und mannigfach sind die Hindernisse, die sich mir entgegenstellen, und groß muß meine Kraft sein, sie zu beseitigen. Bald wird die Versuchung mich locken, weil sie glaubt, daß die leitende Hand mir fehle, bald wird falsche Teilnahme mich betören, weil das Herz einer Verwaisten jeder Teilnahme begierig vertraut, bald wird ungerechtes Mißtrauen gegen wahrhaft gute Menschen mich erfüllen, weil der Schwache überhaupt mißtrauisch wird, und es könnte auch, — o, laß es nicht zu, mein Gott! der Sinne Lust mich betören und auf den trügerischen Pfad des Wohllebens mich führen, weil kein Mensch ein Recht zu haben vermeint, mich mit Strenge, gegen meinen Willen auf gutem Gleise zu erhalten.
All diese Gefahren haben jugendliche Seelen nicht zu fürchten, die überwacht sind von den Augen liebender Eltern.
Bei alledem will ich jedoch kein Bangen und Zagen fühlen. Weiß ich doch ein Mittel, das auch mir Schutz gewährt. Es ist das inbrünstige Gebet. Das bringt mich nahe zu Dir, meinem Beschützer, der Du ein Vater der Verwaisten bist.
Du, der Du in Deiner heiligen Lehre den Menschen das Gebot gegeben hast: „Ihr sollt die Witwen und Waisen nicht bedrücken, denn wenn sie zu mir rufen werden, so werde ich ihre Stimme hören,“ Du wirst auch meine Stimme hören und mein Gebet wohlgefällig aufnehmen. Amen!
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Gütiger Gott! Dank und Bitte will ich vereinigen mit Lob und Preis, wenn ich im Gebet in stiller Stunde mein Herz zu Dir erhebe. Ja, ich danke Dir aus dem Grunde meines Herzens für die Gaben Deiner Liebe, mit welchen Du mich gesegnet hast, für die Freuden, die den Reichen und Begüterten unbekannt bleiben müssen, weil sie die Empfindungen der Armen nicht kennen, weil sie tausend Dinge als gewöhnlich und kaum bemerkenswert hinnehmen, die besser geeignet sind, das Herz mit Zufriedenheit zu erfüllen als alles Wohlleben und aller Genuß zeitlicher Güter des Glückes. Dank Dir, mein Gott! daß Du meinem Geiste redlichen Willen und meinen Armen rüstige Kraft gegeben hast, in unermüdeter Arbeit mein tägliches Brot mir zu erwerben. Dank Dir, mein Gott! für die Süßigkeit, die jede Stunde der Erholung mir bringt. Und wenn ich hinschaue auf viele andere, denen gleich mir die Güter der Erde in reicherer Fülle versagt sind, wenn ich so viele unter ihnen bemerke, die nicht die Kraft besitzen, der Versuchung zu widerstehen, und die der Sünde und Niedrigkeit anheimfallen, und die, welche nur deshalb darben müssen, weil schlechte Erziehung oder körperliche Fehler sie unangenehm machen in den Augen der Menschen, auch die, welche, gefangen von den Banden körperlicher Gebrechen, vom Mitleid der Menschen leben müssen und nicht von dem Lohne für ihre Leistung, ach, dann ist zwar mein Herz betrübt, wenn ich auf sie blicke, aber es jubelt im Danke vor Dir auf, wenn ich mich selbst betrachte. Und wenn mein Tagewerk mir gelingt, wenn ich denen, so ich diene, das Geständnis der Zufriedenheit abnötige, ach, dann fehlt meiner Eitelkeit auch nicht der Schmuck des Stolzes, und Du, o Herr, vergibst und vergönnst mir ihn, weil er mich nicht zum Bösen führt.
Aber, lieber, gütiger Gott! auch bittend muß ich an Dich mich wenden, und der Gegenstand meiner Bitte ist vor allen Dingen die Erhaltung alles dessen, wofür mein Herz Dir eben dankte. O, laß mich nicht krank und hilflos werden, daß ich nicht leben muß von den Gaben der Menschengüte, sondern mich immer erhalten kann von den Gaben Deiner Gnade, die ich durch meinen Fleiß mir erwerbe. Bewahre mich aber auch immerdar vor der giftigen Schlange der Versuchung. Sie umschleicht den Armen von allen Seiten, und nur ein standhaftes Gemüt vermag ihr zu widerstehen.
Wie ist es oft so verführerisch, die Hand auszustrecken nach ungerechtem Gute, um nur ein Weniges, ein Unmerkliches zu genießen von dem Überfluß anderer! Wie oft empört der Undank für redliche Mühe mein Herz und die Stimme der Versuchung flüstert mir zu, daß ich künftig in meiner Arbeit nur dem Scheine genügen soll! Wie oft behandelt der Hochmut mich verächtlich, und ein böser Geist in mir will mich die Glücklichen hassen lehren! Wie oft muß ich unschuldige Wünsche meines Herzens unterdrücken, weil mir die Mittel fehlen, sie zu befriedigen, und das Laster winkt mir heuchlerisch und verspricht mir reichen Lohn, wenn ich ihm diene. Ach! das alles macht das Leben einer Dienenden schwer und gefahrvoll, und nur des Herzens Frömmigkeit und die unerschütterliche Liebe zu Gott zeigt ihr den rechten Weg. Laß, gütiger Gott! mich immer ihn finden. Vor Dir sind ja alle Menschen gleich. Du beachtest nicht den Grad des Standes und der Erdengüter.
Und wie ich Dir danke, und wie ich zu Dir bete, so will auch ich Dich preisen. Du, gütiger Vater, warst es, der das Auge der Menschen geöffnet hat, daß sie in ihren Nebenmenschen den Menschen achten. Wie schrecklich muß die Zeit gewesen sein, da auch bei den gebildeten Völkern der Sklave nicht abhing von weisen Gesetzen des Staates, sondern von der Willkür seines Herrn. Ich diene, weil ich dienen will, und weil ich es für nötig halte, und bin frei, sobald ich die Notwendigkeit nicht mehr anerkenne. Ich bin nicht der Willkür dessen preisgegeben, der mich bedrücken kann, ich habe mich der Arbeit unterworfen, aber kann den Herrn mir wählen. Solche Zustände hast Du geschaffen. Du bist ein Vater aller Menschen, auch mein Vater, den ich liebe, auf den ich vertraue, und den ich preisen will in allen Tagen meines Lebens. Amen!
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Lieber Gott! Es ist Dein Willen, daß ich fern von meinen lieben Eltern leben muß, und nicht, wie es mein Herz so sehr ersehnt, imstande bin, ihnen täglich und stündlich meine Liebe und Zärtlichkeit zu beweisen. Auch muß ich selbst die Lieblichkeit ihrer Nähe entbehren, kann nicht teilnehmen an allem, was sie erfreut, kann ihnen nicht dienen in kindlichem Gehorsam, um zu ihrer Fröhlichkeit und Behaglichkeit des Lebens durch meine Tätigkeit beizusteuern.
Wenn ich aber auch sie nicht leiblich vor mir sehe, so sind sie doch in jeder Stunde meinem Geiste und meinem Herzen nahe. Meinem Geiste, weil ihr Wort und ihre Lehre in meinen Gedanken lebendig sind, und meinem Herzen, weil ich an sie denke in Liebe und Treue.
Und wenn es mir auch versagt ist, für sie wirksam zu sein mit der tatsächlichen Äußerung meiner Liebe, so ist es mir doch vergönnt, für sie zu Dir zu beten, mein Gott!
Du, Allgütiger, o, erhalte sie in Deinem Schutze, bewahre sie vor Unglück und Gefahren, gib, daß die Sorge für das Leben (für das Wohl aller ihrigen) ihnen leicht werde. Verleihe ihnen eine kräftige Gesundheit und ein fröhliches Herz, gib ihnen Freude an mir (und meinen Geschwistern) und vereinige mich wieder mit ihnen in Glück und Wohlsein. Amen!
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Allgütiger Vater! Du bist allwissend und kennst das Leid, das meinen Geist beschwert, vor Dir ist nichts verborgen, somit auch nicht die geheimsten Gedanken meines Herzens. Vor Dir gilt kein Schein, vor Dir gilt nur die Wahrheit. Was kann es mir frommen, wenn ich auch vor Dir, gleichwie vor den Menschen, das Leid verbergen will, das mein Herz bedrückt! Aber zum Heile wird es mir, wenn ich vor Dir meinen Kummer im Gebete offenbare, weil ich nicht vergebens Trost und Hilfe bei Dir suchen werde. O, mein Gott! Ein Gedanke ist es, der mein ganzes Wesen erfüllt, der mich begleitet auf allen meinen Schritten, der jede wahre Fröhlichkeit in mir unterdrückt, der, ach, auch den Schlaf verscheucht von meiner Lagerstätte. O, mein Gott! Es bedrückt mich schwer, daß (hier ist das wörtliche Bekenntnis der betrübenden Tatsache einzuschalten). Laß durch dieses Bekenntnis mein Herz erleichtert, meine Seele mit Hoffnung erfüllt sein. Ich will das Vertrauen in mir beleben, daß Du eine Hilfe bist allen denen, die auf Dich hoffen. So ich aber selber dazu beitragen kann, daß mein Leid von mir gehe, so erleuchte mein Auge, daß den rechten Weg ich finde, stärke die Kraft meines Willens, daß auf dem rechten Wege ich ausharre. Wohl weiß ich es, daß Du auch Prüfungen den Menschen zu ihrem Heile sendest, und daß auch ich weiser und besser aus ihnen hervorgehen kann, so ich mich selbst prüfe und meine eigenen Fehler und meine falsche Auffassung der Dinge erkennen lerne. Aber das menschliche Herz ist schwach, und der Gedanke an Hilfe ist im Leide ihm der nächste. Nicht um meines Verdienstes willen flehe ich zu Dir, aber um Deiner unendlichen Liebe willen hilf mir, mein Gott! Nimm Dich meiner an, wie der Vater sich annimmt seines Kindes. Verschließe Dein Auge meiner Unwürdigkeit, denn ich bitte nicht um Deine Gerechtigkeit, ich bitte um Deine Gnade, und bei Dir ist Gnade und Erbarmen. Amen!
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Mein Gemüt ist heiter, mein Herz ist leicht! Die Not und die Betrübnis sind gewichen, und mit Freudigkeit schaue ich wieder in die Zukunft! Das war Dein Werk, mein Gott, mein gütiger Erlöser! Danken will ich Dir im Staube, Du hast mir wohlgetan, Du hast meine Gebete erhört, und ich bin nicht leer zurückgekehrt von meiner Annäherung zu Dir.
„Heil denen, die auf Dich vertrauen.“ „Nahe ist Gott allen, die ihn rufen, die zu ihm flehen in Wahrheit.“
„Ist Gott mein Hirt, so wird der Schutz mir nimmer fehlen. Er lagert mich auf grüner Weide, er leitet mich an stillen Bächen, er labt mein schmachtendes Gemüt und führt mich auf gerechtem Steige zu seines Namens Ruhm. Und wall' ich auch dahin im düstern Tal der Schatten, so wall' ich ohne Furcht, denn du begleitest mich, Dein Stab und Deine Stütze sind immerdar mein Trost.“
Nimm hin, mein Gott, den Preis für Deine Liebe in den Worten des erhabenen Sängers. Du bist mein Fels und meine Zuversicht jetzt und alle Zeit. Amen!
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Allgütiger Lenker der Schicksale! Wenn Sorge und Kummer mein Herz beschwerte, da fand ich den Weg zu Dir, da flehte ich um Deine Hülfe; wenn zaghaft ich bangte vor der Zukunft, da suchte ich demutsvoll Deinen Beistand! Wie wäre es sündhaft, wenn ich nun, da meine Seele voll ist der freudigen Erregung, nicht auch mich in Demut Dir nahen wollte, um meinen Dank vor Dir zu bekunden! Ja ich weiß es, alles Gute kommt von Dir, und so Du es nicht gewollt hättest, so hätten alle Mächte der Erde mir mein Glück nicht bereiten können. Aber auch zum Genusse desselben bedarf ich Deiner Gnade, darum will ich mit meinem Danke auch meine Bitte vereinigen. O Herr! gib mir Weisheit, das Geschenk Deiner Güte würdig anzuwenden, laß mich nicht übermütig sein und Dein vergessen, laß mich im Gefühle des Glückes nicht das Leid meines Nebenmenschen aus dem Auge verlieren. O Herr! mein Gott, bestätige auch Du die Freudigkeit, der ich so gern mich hingebe, damit ich nicht für Glück annehme, was nur Versuchung ist, damit es nicht ein trügerischer Schein sei, den ich für Wahrheit halte. Nicht vor Menschenaugen, sondern nur vor Deiner Allwissenheit ist das Ziel der Dinge offenbar, o, segne mich mit Deiner Huld, daß das Gute mich auch zum Guten führe. Weiß ich es doch, daß immer und immer das Beste von allem Gutem ist, Dich zu lieben, Dir zu vertrauen und in Deinen Wegen zu wandeln. Dazu gib mir Kraft und Willen heut und alle Tage meines Lebens! Amen!
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Gütiger Vater im Himmel und auf Erden, der Du liebend sorgest für alle Deine Geschöpfe, daß sie nicht Mangel leiden an dem, was sie zu ihres Lebens Unterhalt bedürfen, o erhöre mein Gebet, das auch ich um meines Leibes und Lebens Wohlfahrt an Dich richte. Nicht Reichtum und Überfluß sind es, die des Menschen Glück und Tugend erhöhen oder befördern, und um diese Gaben flehe ich auch nimmer zu Dir. Weiß ich doch nicht, ob sie der Fröhlichkeit meines Herzens zuträglich, dem Heile meiner Seele nützlich sein würden. Aber Mangel und Entbehrung andrerseits sind der Fröhlichkeit des Herzens, des Heiles der Seele gefährliche Feinde. Im ihrem Gefolge sind Unmut und Unzufriedenheit, Selbstsucht und Neid. Der höchste Sieg der Tugend ist es freilich eben, auch in der Versuchung zu bestehen und den rechten Weg zu gehen, trotz aller Hindernisse. Wer aber soll die Gefahr lieben, nach der Prüfung sich sehnen? Darum gütiger Gott und Vater! neige Dein Ohr der Bitte meines Mundes: halte fern von mir und den Meinigen Not und Entbehrung, (daß nicht die schwere Sorge um das tägliche Brot meinen Mut niederbeuge), (daß auch meine Erhaltung nicht eine Last sei denen, die sie als Pflicht auf sich genommen haben), (daß nicht die harte Arbeit mich niederdrücke und jede fröhliche, freie und edle Regung des Herzens und der Seele unter ihrem Drucke verkümmere). Segne die Arbeit (meiner) unserer Hände, daß wir in Redlichkeit und Ehre die Früchte des Fleißes genießen und Dir mit zufriedenem Herzen danken. Amen!
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Mein Gott! mein Vater! Schwer und bitter ist das Los des Armen. Die Sorge um die Bedürfnisse des Lebens beugt sein Gemüt in Traurigkeit nieder. Hart ist seine Arbeit und gering der Lohn. All seine Zeit muß er hingeben im Dienste um das Brot. Mühe und Drangsal reiben seine Kräfte auf, und doch vermag er nicht, die Mittel zu erwerben, sich wiederum durch Pflege und Ruhe aufzurichten: die er liebt, muß er darben sehen, ohne ihnen hilfreich seine Hand bieten, ohne ihren Kummer lindern zu können. Ach, Herr, mein Gott! das ist böse und mitleidswert! Wenn ich aber solches Leid betrachte und überlege, dann, gütiger Vater, erhebt sich mein Herz in frohem Danke zu Dir, daß Du ein anderes, ein besseres Los mir beschieden hast. Und ob auch andere mit den Gütern der Erde in reicherer Fülle begabt sind, so blickt mein Auge nicht mit Neid auf sie, denn auch mir hast Du so viel beschieden, daß ich nicht bange fragen muß: Was werde ich morgen essen? Wo werde ich mein Haupt zur Ruhe niederlegen? Wo soll ich Kleidung hernehmen, um nicht die Dürftigkeit zur Schau zu tragen?
Bis heutigen Tages hast Du mit Deiner Gnade mir beigestanden, Du wirst auch fernerhin mich nicht verlassen. Frei von den Sorgen um des Leibes Nahrung, kann ich mich aufrichten und erheben an allem Edlen und Schönen, kann teilnehmen an allen Dingen, die die Gesamtheit der Menschen betreffen, habe nicht nötig, in Habgier und Selbstsucht zu versinken. Dank und Preis sei Dir dafür aus der Fülle meines Herzens, Du gütiger Gott, mein Vater. Amen!
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Herr und Vater! Alles Gute kommt von Dir, jedes Glück ist ein Geschenk Deiner Gnade. Soll dieser feste Glauben nur dann lebendig und wach in mir werden, wenn ein unerwartetes, fröhliches Ereignis mich an Deine Güte erinnert, oder soll diese Erkenntnis nur dann aus meinem Munde laut werden, wenn ich in der Angst des Herzens zu Dir um Rettung flehe? Nein, zu jeder Zeit und in allen Lagen des Lebens will ich dessen eingedenk sein, auf daß ich Dich auch voll Demut um solche Gaben bitte, die ich nicht eben entbehre, denn auch auf das, was ich genieße, habe ich keinen Anspruch. Darum bitte ich Dich, mein Gott und Vater, daß Du fernerhin die Huld mir bewahren mögest, mit der Du Gesundheit und Lebensfrische mir geschenkt hast. Gib mir immer auch einen einsichtsvollen Geist, daß ich durch weise Mäßigkeit alles das vermeide, was meiner Gesundheit gefährlich ist, und, wo die Vorsicht nicht ausreicht, da reicht Dein Schutz aus. Aber nicht nur für mich bitte ich. Erhalte auch die lieben Meinigen alle gesund, denn auch die Krankheit lieber Angehörigen ist ein bitteres Wehe. Ich will zu Dir hoffen und auf Dich vertrauen, denn Du bist meine Stütze und Zuversicht, Du schauest gnadenvoll herab auf alle, die ihre Blicke vertrauend zu Dir erheben, Du bist der beste Hüter vor Gefahren, der beste Helfer aller Leidenden in Ewigkeit. Amen!
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(Psalm 6.)
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O, Herr, mein Gott, o strafe mich
In Deinem Grimme nicht!
O, sei mir gnädig, zürne nicht,
Da mir die Kraft gebricht;
Laß' Heilung, Herr, mir nahe sein,
Denn, ach! es schwindet mein Gebein!
O, meine Seele ist so matt.
Ach! Herr! wie lange noch?
Um Deiner Güte Willen nur
Errette, Herr, mich doch!
Denn in dem Grabe, o wer kann
Noch Deiner Güte danken dann!
Von Tränen bleibt mein Auge feucht
Nun jede ganze Nacht,
Die leidend ich und kummervoll
Im Seufzen hingebracht.
Es schwindet meiner Augen Licht,
Vor Gram verfällt mein Angesicht.
Nun weichet, fort, ihr Leiden, schnell,
Der Herr hat mich erhört!
Hat meiner Bitte, meinem Flehn
Sich wieder zugekehrt!
Ihr, Feinde, ja, ihr müßt zurück,
Verschwindend wie ein Augenblick.
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Lob, Preis und Dank sei Dir, allgnädiger Gott! Lob, Preis und Dank dafür, daß ich wieder imstande bin, mein Herz zu Dir zu lenken, mit dem Worte meines Mundes in andächtigem Gebete Dir zu nahen, denn ach! zu lange habe ich dieser Süßigkeit entsagen müssen, weil die Leiden des Leibes auch den Geist gefesselt hielten in den Banden des Schmerzes, weil die Mattigkeit des Körpers auch die Kraft der Seele lähmte, sich zu Dir zu erheben. Nun Lob und Dank Dir! Die Zeit der Leiden ist vorüber! Du hast mir beigestanden, Du hast mich gerettet, Du hast den Engel der Erlösung ausgesandt, daß er seine Flügel ausgebreitet hat über meine Lagerstätte. Ach, die Gesundheit ist ein gar herrliches Gut, und immer und allezeit nur ein Geschenk Deiner Gnade! Das, himmlischer Vater, erkenne ich als den Segen, der aus der Prüfung mir hervorgegangen ist, daß ich lebendiger dessen inne geworden bin, daß auch der naturgemäße Zustand des Wohlseins nur ein Merkmal Deiner Liebe und Güte ist, daß der Mensch das Glück der Gesundheit seines Leibes auch dann erkennen, auch dann dessen sich freuen und Dir dafür danken muß, wenn er es nicht entbehrt. Darum soll der Dank für Deine Liebe allezeit mich beseelen. Ich habe erkannt, daß der Unterschied zwischen Reichtum und Armut, zwischen Genuß und Entbehrung, zwischen Befriedigung und Entsagung in Tausenden von wirklichen und vermeintlichen Bedürfnissen in Nichts verschwindet vor dem Unterschiede zwischen Gesundheit und Krankheit. Darum will ich mein Herz zu bewahren suchen vor Eitelkeit, mein Streben frei zu halten suchen vor törichten Wünschen und meinen Sinn üben in Bescheidenheit, dessen aber eingedenk bleiben, daß wir Menschen verloren sind, so Du Deine schützende Vaterhand von uns abziehest, und daß in Leid und Trübsal uns geholfen ist, so Du uns gnädig bist. Du bist der Geber alles Guten, Du bist der Helfer aller Leidenden, Du richtest die Gebeugten auf, Du erlösest die Gefesselten, Du heilest die Kranken, Du bist der wundertätige Arzt alles Fleisches! Amen!
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Gott! Du erbarmungsreicher Vater! Zuflucht suche ich bei Dir in der Angst meines Herzens. Von bitterem Leide bin ich erfaßt, eine Schreckensgestalt drohender Gefahr steht vor meiner Seele. O hilf mir! Hilf, mein Gott, mein Erlöser! Ach! warum rede ich von mir! Hilf ihm, dem kranken Vater, der in Schmerz und Kraftlosigkeit hingesunken, mit kummervollem Auge auf die Seinen blickt.
Ach, stehe ihm bei mit Deiner Hilfe, die ja wunderbar ist, sei Du sein Arzt und richte ihn auf in neuer Kraft. Verscheuche den Schmerz von seinem Lager, die trüben Gedanken aus seinem Herzen, laß ihn aufs neue Freude finden an seinem Tagewerke, es ist ja stets dieses Tagewerk eine Arbeit in Deinem Dienste, im Dienste der Tugend, denn sein Streben ist, in Liebe zu den Seinigen, die Erfüllung heiliger Pflichten.
O Gott! schau auf sein redliches Herz, auf seinen frommen Sinn, auf seinen gottesfürchtigen Wandel, und übe Barmherzigkeit.
Schaue auch auf meine Träne, auf die Träne der Angst zitternder Kindesliebe. Verzeihe mir, mein Gott, wenn ich Böses getan, „strafe mich nicht in Deinem Zorne, züchtige mich nicht in Deinem Grimme.“ O, ich will mein Herz prüfen, daß es geläutert hervorgehe aus der Zeit der Gefahr, auf das all mein Tun Dir wohlgefällig werde.
Erquicke mich wieder durch die Lehre des geliebten Mundes, der mir stets den Weg der Tugend empfohlen, der die Bahn des Rechtes, der Sitte, der Gottesfurcht mich gelehrt hat.
Ich fühle es, das Gebet erleichtert mein beschwertes Herz; ach, laß mich nicht bloß Trost und Kraft, laß mich auch Gnade und Hilfe finden, Du Gütiger, Allbarmherziger! Amen!
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Allgütiger! Ein Gedanke ist es, der nun schon viele Tage (lange Wochen) mein ganzes Gemüt in düstere Schatten hüllt, meinen Geist niederbeugt, mein Herz mit Angst erfüllt; meine Mutter, meine gute Mutter ist krank. Menschliche Hilfe und treue Pflege vermögen nicht, ihr Heilung und Genesung zu bringen, ihrer Schmerzen sie zu entledigen, ihre Hoffnung aufzurichten und ihr Auge wieder heiter zu machen. Ihre Leiden verdoppeln sich, so oft sie auf uns, die ihrigen, schaut, weil der Gedanke an unser Unglück, wenn sie jetzt von uns scheiden müßte, ihr trübe und schrecklich erscheint. Ach, und auch auf uns lastet der Kummer und die Gefahr so schwer! Wir müssen die geliebte Mutter leiden sehen und können ihr nicht helfen, wir nehmen wahr, wie ihre Kräfte schwinden, und die traurige Besorgnis bemächtigt sich unser, sie vielleicht verlieren zu müssen, sie, die wir so innig lieben, sie, die (gleich unserem Vater) uns das teuerste auf Erden ist.
Was kann ich anderes tun, als meine Zuflucht zu Dir nehmen, Allgütiger, der Du in Deiner Barmherzigkeit so oft uns beigestanden hast in Not und Trübsal. O höre mein Gebet! Wie Du so oft die Gefahr gnädig von uns abgewandt, so befiehl auch diesmal ihr, daß sie von uns weiche. Ach mein Gott, ich will nicht murren gegen Deinen Willen, ich will nicht Zweifel setzen in Deine Allweisheit, aber das Menschenherz, und über alles das vom Leid gequälte Menschenherz ist schwach, und der Geängstigte legt seine Bitte Dir dar in Demut und Vertrauen. Darum, mein Gott! zürne nicht, wenn ich nicht in ruhiger Ergebenheit Deine Weisheit walten lasse, sondern meine Bitte zu Dir erheben will, die nicht Deine Wege meistern, nur Deine Gnade erflehen soll. Richte meine Mutter wieder auf von ihrem Krankenlager, laß sie wieder in Fröhlichkeit an unserer Seite wandeln, laß sie wieder in frohem Danke ihr Herz zu Dir erheben und ob ihrer Genesung Deine Vatergüte preisen.
Herr, mein Gott, Du hast zwar nicht Wohlgefallen an Opfern, und der Mensch kann Deine Weisheit nicht leiten, Deine Gerechtigkeit nicht bestechen; aber Du hast Wohlgefallen an einem reinen Herzen, darum will ich mich prüfen und meine Fehler ausfindig machen und meine üblen Neigungen und meine fehlerhaften Begierden opfern, um Deiner Gnade, Deiner Liebe würdig zu sein und täglich würdiger zu werden.
Ich suche Trost im Gebete und finde ihn, o Herr, laß mich auch Hilfe und Rettung finden. Laß mich nicht leer zurückkehren von Deinem Angesichte und öffne die Pforten der Barmherzigkeit dem andächtigen Worte meines Mundes. Amen!
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Allgütiger Gott! Mein Herz ist schwer, und traurig mein Gemüt, mein Auge blickt angstvoll auf die Gefahr, die als ein Schreckensbote des Unglücks herangenaht ist und die Hand ausstreckt, mein heilig bewahrtes Gut, mein liebliches Kind, den Liebling meines Herzens mir zu rauben. Ach, vergib, gütiger Gott, wenn ich in der Angst meiner Seele mich allzuweit entferne von der Ruhe der Frommen, deren Pflicht es ist, in Ergebenheit alles, was sie treffen kann, Deinem Willen anheimzustellen. Du aber selbst hast das Gefühl der Mutterliebe in mein Herz gepflanzt und mit ihm die Zaghaftigkeit und auch die Verzagtheit am Krankenbette eines hart und schwer darniederliegenden Kindes. Darum, mein Gott, kann ich auch jetzt nicht dulden und schweigen, ich kann nur beten: O, sei mir gnädig, mein Gott! „Herr! Herr! strafe mich nicht in Deinem Zorne, züchtige mich nicht in Deinem Grimme.“ Schenke Linderung und Genesung meinem lieben Kinde, daß es wieder heiter und freundlich sein Auge auf mich richte, sein Mund mir wieder zulächle in kindlichem Vergnügen. O, laß auch bald, bald mich inne werden des Gebetes Wunderkraft, daß das Bangen verwandelt sei in Hoffen, die Furcht in Vertrauen. Denn wahrlich, ich bedarf des Mutes und der Ruhe, um die heilige Pflicht der Pflege nicht um ein Geringes zu verabsäumen. O, Herr, Herr, gütiger Gott! Du bist ja ein wunderbarer Helfer in der Not, Du hast mir oft die Klage in Jubelton verwandelt, hast der Trauer mich entkleidet und mit Freude umgürtet. Ich will nicht wanken im Glauben an Deine Hilfe, kehrt oft am Abend auch Betrübnis ein, so wird sie bis zum Morgen Freudenruf.
Mein Gott! sei auch diesmal barmherzig. Amen!
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Barmherziger Vater! Harte Prüfung hast Du mir auferlegt, schwere Tage der Angst und Bangigkeit sind über mich gekommen, aber ich will nicht verzagen. Du wirst in meiner Hilfe sein und meine Klage in Jubel, meine Betrübnis in Freudigkeit verwandeln. Auf hartem Schmerzenslager liegt mein guter Sohn (meine gute Tochter). Seine (ihre) Kraft ist gewichen, seine (ihre) Regsamkeit geschwunden, das Leiden hat die Stärke seines (ihres) Geistes übermannt und ihn (sie) unfähig gemacht zu den Beweisen tätiger Liebe, womit er (sie) das Herz der Seinigen (Ihrigen) so gern erfreute. Ach Gott, mein Gott! laß das bald wieder anders werden. Segne die Sorgfalt, mit der wir ihn (sie) pflegen, daß sie bald zu gedeihlichem, erfreulichem Ende führe. Schenke dem (der) Kranken Linderung und Genesung; führe zurück die Kraft und Lebensfrische in seinen (ihren) Körper und frohe Gedanken in seinen (ihren) Geist. Laß ihn (sie) wieder mit Freudigkeit und Hoffnung in die Zukunft schauen und mit Rüstigkeit seinen (ihren) Pflichten dienen. Uns allen aber, die wir bekümmert um ihn (sie) Deine Gnade erflehen, uns gib die Einsicht und die rechten Mittel, ihm (ihr) beizustehen in seiner (ihrer) Not. Auf Dich, mein Gott, der Du barmherzig bist und von großer Gnade, auf Dich will ich hoffen, auf Dich vertrauen; o, öffne die Pforten der Gnade dem schwachen Worte meines Mundes. Amen!
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Allbarmherziger! Mit tiefgebeugtem Gemüte wende ich mich in der Angst meines Herzens zu Dir. O, wende ab den Kummer, der meine Seele niederdrückt, verscheuche die schweren Sorgen, die auf mir lasten, und schenke Kraft und Genesung meinem erkrankten Gatten. Du allein bist ein Arzt, dessen Willen Heilung gibt, trüglich ist die Kunst der Menschen, aber untrüglich ist Dein Beistand, wo Du Hilfe und Rettung senden willst.
O, sieh auf meinen Kummer! Gefesselt an das Schmerzenslager ist der Geliebte meines Herzens (die Stütze des Hauses) (der Ernährer meiner Kinder). O, sieh auf seine Leiden, und gebiete ihnen, daß sie von ihm weichen, daß der Kranke sich bald, recht bald wieder aufrichte, in Fröhlichkeit Dir danke und Deine Gnade preise. Alles Heil kommt von Dir; was nützt Menschenbeistand und Menschenhilfe, wenn Du nicht beistehend und helfend an unserer Seite bist! Auf Dich, Allgütiger, will ich hoffen, Dir will ich vertrauen, Du wirst mich stärken und meinem Geiste Einsicht geben, daß ich die Pflicht der Pflege mit verständigem Sinne übe. Du wirst mich nicht verlassen, gütiger Vater! Amen!
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Du, Allmächtiger, bist es, der die Gebeugten aufrichtet, der die Gefesselten erlöset! Auch ich war tief gebeugt in Kummer und Sorge, auch ich war gefesselt an das Krankenlager meines . . . . . Nun bin ich wieder aufgerichtet, nun bin ich wieder erlöset! Könnte ich nun der Freude mich hingeben, ohne Dein und Deiner Hilfe dankbar zu gedenken? Ach wie oft habe ich in den Tagen meiner Angst Dich angerufen, wie oft habe ich Dich angefleht um das Glück, daß Du nun mir beschieden hast! Darum soll mein Herz es auch nimmer vergessen, daß Du allein der höchste Wohltäter bist. Was ist Menschenhilfe, wo Deine Hilfe fehlt! Was ist Menschenkunst und Menschenweisheit, wenn es nicht Dein Willen ist, daß sie nütze! Du, Gott, allein, Du bist der treueste Arzt, der sicherste Retter aus Krankheit und Gefahr. O, ich gedenke lebhaft der trüben Stunden, da der Gedanke sich mir aufdrängte, den ich vergeblich zu verscheuchen bemüht war, den ich nicht zu denken wagte und dennoch in mir aufkommen lassen mußte, daß die Zeit gekommen sei, um meinen . . . für dies Leben zu verlieren; da war mein Herz beklommen und mein Auge voll Tränen, da waren alle Wünsche geschwunden und nur einer mir übriggeblieben, da waren alle Sorgen vergessen und von einer einzigen verdrängt. In solchen Prüfungen wird der Sinn bescheiden und das Herz genügsam. Nicht der Glanz der Welt fesselt da den Blick, er ruht einzig auf dem Antlitz des Leidenden, um ein Hoffnung erweckendes Zeichen zu erspähen. Nicht das Geräusch des Verkehrs und des Vergnügens beschäftigt da das Ohr, es horcht einzig auf die Atemzüge des Kranken, um Trost zu erlauschen aus seinem Schlummer. Und all die Qual hast Du nun von mir genommen. In frischer Lebenskraft steht . . . . . . vor mir, und ich freue mich seines (ihres) Wohlseins. O Gott! wie Du sein (ihr) Retter warst aus der Gefahr, so sei auch ferner in seiner (ihrer), in unsrer aller Hilfe. Amen!
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Allwissender! Vor Deinem Auge ist die Zukunft enthüllt, aber vor dem Auge der Menschen ist sie zu ihrem Heile verschlossen. Was die Tage, die da kommen sollen in ihrem Schoße bergen, das stellen wir gern Deiner Allweisheit anheim, und wenn wir auch in dem Gebete, daß Du alles für uns zum besten leiten mögest, uns mit kindlichem Vertrauen an Dich wenden.
Wenn ich aber an die Zukunft denke, so ist es zunächst nicht die meinige, die mich beschäftigt, wohl aber ist es die Zukunft meiner Kinder. All mein Sinnen und Denken ist darauf gerichtet, ihren Lebensweg zu ebnen, ich möchte hinreichen können mit meiner Fürsorge bis ans fernste Ziel ihres Lebens, um jede Gefahr von ihnen fernzuhalten, um jedes Hindernis auf ihrem Pfade zu beseitigen. Ach, das ist eine törichte Sehnsucht, wenn sie gleich aus Liebe und Zärtlichkeit entspringt, denn ich weiß es wohl, daß ich Glück und Segen meinen Kindern nicht geben kann. Du, nur Du kannst es, darum sei ihr Schutz und Helfer immerdar. Doch auch teilhaben will ich an der glücklichen Zukunft meiner Kinder, damit sie in dankbarer Liebe noch meiner gedenken, wenn ich längst nicht mehr an ihrer Seite bin. Dank Dir, mein Gott! daß ich es kann! Du hast die Aufgabe mir zugeteilt, die Saaten der Gottesfurcht und Tugend in ihr Herz zu streuen. O laß das Werk mir gelingen. Mache meine Kinder gut und fromm, erleuchte ihren Geist, daß ihre Bildung ihnen Achtung erwerbe unter ihren Nebenmenschen, erwärme ihr Herz für alles Edle, daß sie sich fernhalten von allem Niedrigen und Unwürdigen in ihren Empfindungen, laß sie leiblich gedeihen, daß sie angenehm zu erscheinen vermögen vor der Welt. Waffne sie mit Mut und Kraft gegenüber den Widerwärtigkeiten des Schicksals, und schmücke sie mit Demut und Ergebung gegenüber Deinem Willen. Wende von ihnen ab Krankheit und Gefahr und erquicke mein, ihrer Mutter, Herz (unser, ihrer Eltern, Herzen), an dem Anblick ihres Wohlgedeihens.
In Deine Hand, mein Gott, befehle ich diesen heißen Wunsch meiner Seele. Amen!
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Alles Gute kommt von Dir, mein Gott! Deine Liebe ist ohne Ende. Laß in Demut Dich dafür preisen! Wo sollte ich beginnen, wenn ich die Zahl Deiner Wohltaten rühmen sollte, mit denen Du mich begnadigt hast von meiner Jugend an! Aber für ein Geschenk Deiner Huld kann mein Mund nicht schweigen; eins ist es, das das heiligste und höchste Gut mir ist, weil Du mich gewürdigt hast, teil daran zu haben durch eigene Mühe. Es ist das Wohlgedeihen meiner lieben Kinder. Gesund und in Lebensfrische, fröhlichen Gemütes und klaren Geistes stehen sie vor meinen Blicken, und mein Mutterauge ruht mit Stolz und Freude auf ihnen. Nicht jeder Mutter ist gleiches Heil beschieden. Traurig ist das Los der Mutter, deren Kinder der Quell ihrer Betrübnis sind. Mitleidswert ist das gequälte Mutterherz, das sich nicht erfreuen kann an dem leiblichen und geistigen Gedeihen ihrer Kinder.
Wie anders ist es bei mir! Und wie sehr auch ist meine Liebe belohnt durch die Liebe meiner Kinder! Sie halten mich (uns, ihre Eltern) lieb und wert und keines mag mich (uns) betrüben. Sie sind wohlgeraten und an ihre Zukunft knüpfe ich (knüpfen wir) die schönsten Hoffnungen, die meine (unsere) Seele erfüllen. O Gott, mein Gott! laß' sie alle fortschreiten auf der Bahn der Tugend und der Weisheit, daß sie in ihrem ganzen Leben sich Deines Wohlgefallens, und des Wohlgefallens der Menschen erfreuen; erhalte sie gesund an Leib und Seele und statte sie aus mit allen Gaben Deines Segens, behüte sie vor Unglück und Gefahren, rufe keines von ihnen ab aus dieser Erdenwelt bei meinem Leben (und bei dem Leben ihres Vaters). O Herr mein Gott, erhöre mein Gebet und wende nicht von mir Deine Liebe. Amen!
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Du schaust in mein Herz, Allwissender, und es ist Dir bekannt, daß ich nicht mit Neid und Mißgunst auf das Glück meiner Nebenmenschen blicke. Du weißt es, daß ich mich jederzeit der Bescheidenheit in meinen Lebensansprüchen befleißigt habe, daß ich zufrieden bin mit dem Lose, das Du für mich bestimmt hast, wenn nicht Sorge und Kummer in außergewöhnlicher Weise mich niederbeugen. Ach, leider ist es nun schon lange so. Ich will nicht murren und rechten mit Deiner Allweisheit, aber Dir klagen, was mich bedrückt, zu Dir beten um Hilfe, das kann nicht sündhaft sein. Ich war redlich bestrebt, meinen Weg zu ebnen, einen anspruchslosen Pfad für meinen Wandel mir zu bahnen, ich habe dem Leichtsinn nicht Raum gegeben in mir, so daß er mich abführen mußte von der Straße des Glückes und der Zufriedenheit, und doch hast Du es anders über mich beschlossen, und nun reicht meine Einsicht nicht aus, mein Schicksal zu ändern, meine Kraft nicht, ihm Trotz zu bieten. Vielleicht führt dieser Weg mich zum Heile, aber mein Auge schaut es nicht. Vielleicht bedarf ich der Läuterung, aber mir fehlt die Ruhe der Ergebung. Darum ist meine Seele betrübt und mein Herz traurig. Nur Du, mein Gott, bist mein Trost, meine Zuflucht und meine Hoffnung; vor Dir ist die Zukunft offenbar, Du weißt den Ausgang aller Dinge. Deine Weisheit führt alles zum guten Ende. O, laß mich fest sein in diesem Glauben, damit mein Geist aufrecht bleibe. Vielleicht aber auch habe ich durch meine Torheit und meine Fehler mein Schicksal verschuldet. Dann, o Herr, mein Gott! vergib mir, laß es genug sein und blicke wieder freundlich auf mich. Nimm Dich meiner an um Deiner unendlichen Liebe willen, sende wieder Freudigkeit und Frieden in mein Denken und Fühlen. Trostreich spricht zu mir das Wort des Sängers: „Nicht für immer bleibt der Bedrängte vergessen.“ „Wird denn Gott ewig zürnen? Wird er denn nicht wieder freundlich sein? Hat denn der Herr seine Gnade vergessen, kann denn im Zorne seine Liebe untergehn?“ Darum: „Was betrübst Du Dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?“ „Vertrauen will ich auf Gott und werde ihm danken können, angesichts dessen, daß er mein Gott und meine Hilfe ist.“ Amen!
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Allmächtiger! Verschieden verteilt auf Erden sind die Lose der Menschen. Der eine wandelt sorglos dahin und kann nicht eindringen in den Kummer seines Nächsten, wenngleich er ihn oberflächlich zu überschauen vermag; der andere seufzt unter der Bürde drückender Verhältnisse und vermag nicht seinen Geist zu erheben zu urteilsfreier Anschauung der Dinge, weil eben das Leid seinen Blick umnebelt. So ist und bleibt jeder Mensch darauf angewiesen, eine Welt in sich selbst zu finden, daß er den Maßstab von Glück und Unglück nicht anlege an die vermeintlichen Lebensschicksale anderer, auch nicht an Dinge, die außerhalb seines eigenen Willens und seiner Kraft liegen, und ebensowenig an die Erscheinungen der nebelhaften Welt, die seine Einbildungskraft sich aufbaut, und an das Zauberreich, das seine Wünsche aus dem Nichts hervorrufen.
Wohl ist der Mensch nicht dazu geschaffen, unschuldige Wünsche in sich zu unterdrücken, keinerlei Hoffnungen Raum zu geben und in dumpfer Hingebung nie die Frage in sich aufkommen zu lassen: was bin ich? und was möchte oder könnte ich? Im Gegenteil! Wünsche und Hoffnungen sind die freundlichen Sonnenstrahlen, die gar oft die Dunkelheit der Gegenwart verscheuchen, und Streben nach Höherem, Streben nach Besserem ist ganz gewiß ein Zeichen und ein Bedürfnis einer edlen Natur, selbst das Streben nach zeitlichem Wohlsein. Streben ist Leben!
Aber verwerflich ist es, zu hadern mit dem Schicksal, daß es uns nicht gleich gemacht hat denen, die wir für glücklich halten; vermessen ist es, zu behaupten, daß wir glücklicher wären, so dasjenige unser Teil würde, was wir als solches annehmen und eintauschen wollen; töricht ist es, dem Glücke verächtlich den Rücken zu kehren, das wir auch in unserer Lage finden können. Im eignen Herzen ist die Welt, die wir nach unserm Wohlgefallen uns einzurichten vermögen.
Darum, mein Gott, will ich mich bestreben, nicht nachzuhängen eitlen Wünschen, will ich mich bestreben, in redlicher, gewissenhafter Ausübung meiner Pflichten meine Ruhe, in dem Gedeihen meiner Arbeit meine Freude, in den Stunden der Erholung und der Sammlung mein Vergnügen zu finden; nicht sorgen um das, was morgen mich treffen könnte, sondern Dir danken für das, was Du heute mir beschieden hast; nicht immer und immer hinschauen auf das, was mir fehlt, sondern mich erfreuen an dem, was ich besitze. Still vor mich hin will ich das Rechte tun und Dich walten lassen. Ich will mich zu schützen suchen vor Ungebühr, die an mich herantritt, aber nicht anstürmen gegen die Scheidewand, die mich trennt von den Beneideten.
Das ist nicht Trägheit, das ist Ausdauer, das ist nicht Torheit, das ist Besonnenheit, das ist nicht Stumpfsinn, das ist Zufriedenheit.
O Herr, laß mich immerdar also wandeln vor Dir, dann wird auch das Leid mir den Frieden meines Herzens nicht rauben können, dann werde ich ausgerüstet sein mit Geduld und Stärke, wenn Schweres mich trifft. Und wenn der Himmel meines Lebens nicht freundlich ist, dann wird nicht meine Torheit und Unzufriedenheit ihn mit Wolken bedecken. Ich werde fähig sein, das Böse zu ertragen und das Gute zu genießen. Amen!
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Allgütiger, der Du Kraft und Heil verleihest den Menschenkindern, Weisheit, Macht und Würde der Obrigkeit, spende die Fülle Deines Segens
unserem geliebten Vaterlande,
sowie den gesetzlichen Behörden, denen die Fürsorge für des Reiches und Landes Wohl und Ordnung obliegt. Lasse, o Herr, den Geist des Friedens und der Eintracht, der Liebe und Gerechtigkeit überall herrschen, auf daß sich das Vaterland von seinem Falle wieder erhebe zu hoher Blüte und zu einem neuen Aufschwung in allen Werken des Guten und Edlen. Amen!
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Herr und Vater! Böse Zeiten sind über uns hereingebrochen, Kummer und Traurigkeit erfüllen jegliches Herz, Trübsinn und Zaghaftigkeit jeglichen Geist. Ratlos stehen wir vor der Gefahr, angstvoll vor dem feindlichen Verhängnis. Wer aber, o Herr, sollte zweifeln an Deiner Weisheit und Gerechtigkeit! Muß nicht vielmehr die Überzeugung in uns lebendig werden, daß eben Du es bist, der seine strafende Hand ausgestreckt hat über die Menschen, daß sie in Demut ihrer Niedrigkeit inne werden, daß sie ablassen von allem Stolz und allem Dünkel und wiederum in dem gemeinsamen Gefühle ihrer vollständigen Abhängigkeit von Deinem Willen, mächtig hingedrängt werden zum Gebete, tief im Staube vor Dir. Und dieses Gebet, gnadenreicher Gott, laß es vor Dich kommen, schaue freundlich auf uns vom Throne Deiner Barmherzigkeit. Laß es genug sein und wende ab von uns Leid und Not. Gebiete dem Engel des Verderbens, den Du ausgesandt, daß er ablasse von seiner Züchtigung. (Sende den Engel des Friedens, daß er wiederum einkehre in unsere Mitte.) Wahrlich! Du bist der Herr, „dessen Zorn nur einen Augenblick und dessen Gnade lebenslang währet,“ darum „verbirg nicht ferner Dein Angesicht vor uns, vergiß nicht ferner unser Leid und Elend“. „Stehe auf zu unserer Hilfe und erlöse uns um Deiner Liebe willen.“ Amen!
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„Ehre deinen Vater und deine Mutter“. So hast Du, Herr, es geboten in Deiner heiligen Lehre. Aber die Ehrfurcht und die Liebe der Kinder zu ihren Eltern sind nicht allein eingegraben in die Tafeln des Gesetzes. Du hast sie auch eingegraben in die Tafeln unseres Herzens. Unverlöschlich ist diese Schrift, unvergänglich ist diese Liebe, sie stirbt nicht im Herzen des Kindes, wenn auch das Auge der Geliebten längst schon gebrochen ist im Tode. Darum, o Herr, mein Gott, wirst Du es in Deiner eigenen Liebe mir anrechnen, als ein Gebet zu Dir, wenn ich heut das Wort meiner Andacht an den verklärten Geist meines Vaters richte, der bei Dir weilt, geborgen im Schatten Deines Zeltes, gewürdigt des seligen Lebens in der Ewigkeit, das Du als ewiges Anteil den Frommen bestimmt hast, die in Deinen Wegen wandeln auf Erden.
Und so wende ich mich nun an dich, verklärter Geist meines lieben Vaters, heute, da im Laufe des Jahres der Tag wiedergekehrt ist, der einst dich abrief von unserer Seite, um dich einzuführen in deine himmlische Heimat.
Ach, ich muß vor dir aussprechen, wessen ich mich erinnere, was ich glaube, und was ich hoffe.
Ich erinnere mich heute, lieber Vater, an deine unendliche Liebe, mit der du in den Tagen deines Lebens mich und alle die Deinen geliebt, wie ihr Wohl dein höchster Wunsch, ihr Glück deine höchste Freude, ihre Tugend dein höchster Stolz war. Ich erinnere mich, lieber Vater, an deine Treue, wie du für uns gesorgt und gearbeitet, gestrebt und gelitten hast in unermüdeter Tätigkeit. Ich erinnere mich heute, lieber Vater, an deine Milde und Güte, wie du stets mit liebevollem Auge uns angeblickt, wie du Nachsicht geübt mit unseren Schwächen und Mängeln, und wie du uns Freuden und Genüsse darbotest, wo du sie zu ersinnen und zu schaffen vermochtest. Ich erinnere mich an deine weise Lehre, die es nie und nimmer fehlen ließ, den Samen der Tugend und der Gottesfurcht in unsere Herzen zu streuen. An alles dieses erinnere ich mich, und wiederum steht dein ganzes Wesen lebhaft vor meiner Seele. Ach, alles das ist hingeschwunden in der Stunde deines Todes.
Meine Erinnerung erfüllt mich mit Trauer, aber mein Glauben erfüllt mich mit Trost. Ich glaube, daß dein Geist nicht von uns geschieden ist wie dein Körper, daß er, entledigt der Fesseln des Irdischen, frei und glücklich ein neues Leben lebt im Reiche der Seligen, daß er auf uns schaut und auf uns achtet, ich glaube, daß deine Liebe nicht gestorben ist, daß sie fortlebt für uns, wie unsere Liebe für dich. Ich glaube, daß wir nicht für die Ewigkeit getrennt sind, daß du uns nur vorangegangen bist in das Land des ewigen Lebens, und daß du harrest, bis daß wir kommen.
Und dieser Glauben, er gibt mir die Hoffnung, daß wir nicht ganz entrückt sind dem Einflusse deiner väterlichen Liebe. Unsere menschliche Erkenntnis vermag den Zusammenhang nicht zu bestimmen zwischen den Seelen der Lebenden und denen der Abgeschiedenen, aber das menschliche Herz vermag sein Dasein lebhaft zu empfinden. Was gibt es Süßeres, als das Bewußtsein, daß du mich siehst, daß ich noch heute deine Zufriedenheit mir erwerben, daß ich noch heute dich verehren kann. Und in diesem Glauben hoffe ich auch, daß du, verklärter Geist, ein Fürsprecher für mich und für uns alle bist vor Gott.
Du aber, barmherziger Gott, o gewähre meinem lieben Vater die reinsten Freuden himmlischer Seligkeit. Laß unser Gebet für sein ewiges Seelenheil vor den Thron Deiner Barmherzigkeit gelangen und nimm es auf mit Wohlgefallen. Gedenke seiner Seele all seine Tugend, die er geübt in den Tagen seines Erdenwandels, und laß sie reiche Vergeltung finden in der Ewigkeit, verlösche seine Schuld, wenn er gefehlt in seinem Wollen oder seinem Tun auf Erden, und richte ihn nach Deiner Milde. O Herr, mein Gott, womit kann ich des Herzens Innigkeit Dir bekunden? Dem Auge Deiner Allwissenheit ist der geheimste Gedanke meines Herzens nicht verborgen. Nicht bestechen will ich deine Gnade, nur befriedigen will ich den Drang meines Gemütes durch die Gabe, die ich niederlege auf dem Altar der Wohltätigkeit. Darum nimm wohlgefällig auf die Spende, die ich darbringe für das Seelenheil meines Vaters. Amen!
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Allgerechter! Allgütiger! Vernimm heute in Gnade und Barmherzigkeit ein Gebet aus meinem Munde, das hervorgeht aus der lebhaftesten, aus der tiefsten Empfindung meines Herzens. Heut an dem Jahrestage jenes traurigen Tages, an dem Dein unerforschlicher Ratschluß das Teuerste auf Erden, die inniggeliebte Mutter, von meiner Seite nahm, so daß ich fortan ihre leibliche Nähe entbehren mußte und entbehren muß für die ganze Zeit meines Wandels in dieser Zeitlichkeit, vernimm heute mein inniges Gebet für das ewige Heil der geliebten Seele. O gütiger Vater im Himmel, schenke meiner Mutter jetzt und allezeit die reinste Seligkeit des ewigen Lebens bei Dir, daß sie in himmlischer Wonne Vergeltung finde für alles, was sie auf Erden verdient, für alles, was sie auf Erden gelitten hat. Vergelte mit Deiner Liebe ihrer Seele die Liebe, die sie in diesem Leben so reichlich gespendet und um sich verbreitet hat. Laß ihre Seele in der Ewigkeit Genüge finden für alles Streben, das unbefriedigt geblieben ist auf Erden und stärke mich und alle die ihrigen mit dem Geiste der Tugend und Rechtschaffenheit, der Weisheit und Gottesfurcht, auf daß ihr seliger Geist jederzeit mit Befriedigung auf uns zu blicken vermöge. Amen!
Du aber, verklärte, geliebte Seele, vernimm mit Wohlgefallen den Ausspruch meines Mundes, der mein inniges Andenken an dich bekunden soll. Lebhaft steht heute, du liebe Mutter, dein Bild vor meinem Auge, wie du mit Güte und Zärtlichkeit auf mich und alle die Deinen geblickt, wie du für uns gedacht, gesorgt, wie du uns geleitet und gelehrt, wie du so ganz für uns gelebt hast.
Da muß ich es wohl empfinden, daß ich von dir nicht ganz getrennt bin, daß du von mir nicht ganz geschieden bist, daß du lebst, auch in meiner Nähe lebst, denn du bist in meinem Herzen geblieben. Das Band der Liebe, das dich mit uns vereinte, ist nicht zerrissen und nicht aufgelöst. Noch vermag ich dir wohlgefällig zu sein, noch vermag ich, dich zu verehren, noch vermag ich deine Zufriedenheit mir zu erwerben. Ja, auch noch vermag ich es, zu bereuen, wenn ich dich betrübt, wenn ich deine Treue und Hingebung verkannt und die Ehrerbietung gegen Dich verletzt habe, und auch jetzt noch wirst du im Reiche der Seligkeit es freundlich hören, wenn ich für alles um Verzeihung dich bitte, wodurch ich einst dein edles Herz verletzt habe.
O, so sei auch du eine Fürsprecherin für mich und die Meinigen alle vor dem Throne des Allmächtigen, daß Gottes Güte von uns wende Gefahr, Trübsal und Not, daß er unser Bestreben segne, reinen Herzens zu wandeln vor ihm und vor den Menschen, damit wir immer und immer so leben, wie du es gewollt, wie du es uns gelehrt hast. Des himmlischen Vaters Barmherzigkeit sei mit uns auf Erden und mit dir in der Ewigkeit. Amen!
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(für eine Frühverwaiste.)
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Mit Andacht und Trauer erfüllt der heutige Tag meine Seele. Ach, es ist der Tag, an dem ich das herrlichste der Erdengüter verloren habe, ehe ich es vermochte, die Größe des Verlustes zu ermessen. Heut ist der Tag, an welchem meine Mutter eingegangen ist in das Reich der Ewigkeit, um die Seligkeit der Gerechten zu genießen. Verlassen aber bin ich auf Erden, nie dringt der liebliche Mutterblick in mein Auge, nie koset mit mir die liebliche Hand der Mutter, nie beglückt mich das himmlische Gefühl, ihre Zufriedenheit zu erwerben, die Zärtlichkeit zu verdienen. Ach, das ist ein trauriges, bitteres Los! Aber eines tröstet mich, eines empfinde ich, daß ich sie dennoch liebe, und daß auch mir ihre Liebe nicht fehlt. Mit Begeisterung habe ich seit meiner Kindheit Tagen jedes Wort vernommen, das von ihr und ihrer Güte und Lieblichkeit mir Kunde gab, und noch heute erregt kein Gedanke mich lebhafter, als die Vorstellung, daß ihr seliger Geist mir nahe sei, mich beachte, mich beschütze, mich liebe.
O, Herr mein Gott! Allgütiger Vater! Nie habe ich in meinem Leben meiner Mutter Freude bereiten, nie meine kindliche Liebe ihr beweisen können. O, so nimm Du mein Gebet nun wohlgefällig auf, das ich für ihr ewiges Seelenheil an dich richte. Schenke ihr alle Freuden, die das Reich der Ewigkeit allen tugendhaften Seelen gewährt.
Du aber, geliebte Seele meiner Mutter, schaue freundlich aus dem Paradiese auf dein treues Kind. Sei eine holde Fürsprecherin für mich (und für meinen Vater und für die Unsrigen alle) vor dem Throne Gottes, daß er seine Gnade und seine Barmherzigkeit nicht von uns wende. Ich will so gern es glauben, daß du es schon bis heutigentags für mich gewesen bist, o, dann fehlt mir auch die Freude nicht, dir dankbar zu sein.
Ehren will ich dich in meinem ganzen Leben durch meine Liebe, durch meine eigene Ehrbarkeit und durch mein inniges Andenken. Amen!
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(auf dem Friedhofe am Vorabend des Nissan-Neumonds)[4].
[4] Sowie für den Besuch der Gräber überhaupt.
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Herr, was ist der Mensch, daß Du Dich sein annimmst, der Erdensohn, daß Du auf ihn achtest!
Der Mensch, einem Hauche gleich, seine Tage — dem Schatten, der dahinzieht! (Ps. 144, V. 3 u. 4.)
Und Du hast ihn göttlichen Wesen wenig nachgesetzt, mit Würde und Hoheit krönst Du ihn. (Ps. 8, V. 6.)
Doch weiß ich, Du führst zum Tode mich, ins Sammelhaus für alles Lebende. (Hiob 30, V. 23.)
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An der Stätte wehmütiger Erinnerungen sind wir versammelt, und lebendig treten uns geliebte Gestalten entgegen, deren liebevolle Nähe wir schmerzlich vermissen. Wir haben viele hierher begleitet, mit denen wir gern gewandelt sind, bis wir zu diesem Orte hin den letzten Gang mit ihnen gemacht haben; erst dann werden wir mit ihnen wieder vereinigt, wenn auch uns die letzte Erdenstunde geschlagen hat. Manches teure Haupt ruht hier, das Gedanken voll Ernst in sich gehegt, mit Hingebung für uns gesorgt und gewirkt hat, und Herzen sind hier vergraben, die bis zu ihrem letzten Hauche in Zärtlichkeit und Wohlwollen sich für uns bewegt haben. Hier schweigen die Lebenskämpfe; auch die Mühseligkeiten finden hier ihr Ende, auch die Eitelkeit hier ihr Grab. Was den Menschen an die Sinnlichkeit und die Selbstsucht fesselt, das ist der Vergänglichkeit preisgegeben; ein wenig Staub, das ist der Überrest seines irdischen Teiles. Aber der Geist, der hienieden schon das Unendliche umfaßt, der hienieden schon über Zeit und Raum sich erhebt, er verwest nicht hier, das liebende Herz, welches seinen Reichtum auf andere überträgt, welches überfließend in der Teilnahme und im Wirken für andere lebt, es ist nicht tot. Aus dem Frieden der Gräber tönt es hervor: was irdisch war an uns, das ist der Erde zurückgegeben, aber der Geist ist unsterblich, die Liebe ist unendlich, ewig. Die Stimme der im hiesigen Leben uns Teuern rufen uns zu aus den Wohnungen der Verklärten: nicht der finstern, dahinbrütenden Trauer ergebt euch, weil wir von euch geschieden sind; wir sind dem Rufe des ewigen Geistes, des Vaters der Liebe, gefolgt, sein Geist wird auch über euch wachen, seine Liebe auch euch beschützen. Lernet aber hier, dem Geiste und der Liebe, der Wahrheit und der tätigen Fürsorge für die Gesamtheit, dem Ewigen und dem Allgemeinen eure Kräfte zu widmen; es ist das Einzige, das die Brücke bildet zwischen dem Leben hienieden und dem in der Ewigkeit, es allein füllt die Kluft aus, welche das Grab öffnet. Säet Liebe aus, und die Frucht wird euch werden; es heilen die eigenen Wunden, wenn wir anderer Wunden zu heilen bemüht sind.
Ja, mit Ruhe und Ergebung wollen wir zu euren Gräbern hinwandern, die ihr im Leben uns nahe gestanden und Lieblichkeit auf unseren Pfaden verbreitet habt. Im Geiste sind wir noch verbunden, für die Liebe gibt es keine Trennung; die Selbstsucht aber wollen wir bannen, und die Stimme, die den Genuß bejammert, der uns durch euch geworden ist, wollen wir zum Schweigen bringen. Ein edles, reines Band umschlingt uns auch heute noch, und euer Andenken möge uns stärken und erquicken in den Kämpfen des Lebens, auf daß wir in Redlichkeit und mit reichen Gaben des Geistes das Leben durchwandern, bis uns einst des Sieges und des Friedens Palme weht. Dort leben wir dann vereint in den Geistesräumen, wo, wie hier, ein ewiger Vater uns alle beschirmt. Amen!
(Die einzelnen verfügen sich an die Gräber ihrer Angehörigen oder Freunde und verrichten dort ihre Gebete.)
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An dein Grab trete ich, lieber Vater (liebe Mutter), deine teuern Züge treten mir vor die Seele, deiner Liebe gedenke ich lebhaft. Deine zärtliche hingebende Sorgfalt gegen mich hat mich während deines Lebens so treu geführt, und im gegenwärtigen Augenblick erinnere ich mich so vieler Beweise deines unerschöpflichen Wohlwollens, deiner Güte und Freundlichkeit gegen mich. Nicht immer erkennt das Kind bei Lebzeiten seiner Eltern genügend diese reiche Liebe an, die unermüdete Tätigkeit, mit der die Eltern wachen und sorgen, nicht genügend beweiset es ihnen Dank und Erkenntlichkeit. Auch ich habe dich wohl zuweilen, geliebte Seele, betrübt, selbst in den Jahren der Reife, auch ich mag nicht immer deinen Erwartungen entsprochen haben, die nur meinem wahren Wohle galten. Lieber Vater, (liebe Mutter), Du blickest dennoch segnend auf mich herab, denn die Liebe ist nachsichtig und milde! Mir aber fehlt deine Stütze, dein weiser Rat, dein freundliches Wort, deine liebevolle Tat, mir fehlt der seelenvolle Blick, der das Innerste meines Herzens erwärmte, der mich ermutigte und belehrte, mich kräftigte und abmahnte. Jedoch die Weisheit der göttlichen Weltregierung bestimmt es so, daß die Kinder zur Selbständigkeit heranreifen sollen, daß sie, der eigenen Stütze beraubt, andern wieder Stütze werden sollen. (Wohl bist du mir frühzeitig entrissen worden, du hast nicht das gewöhnliche Lebensziel erreicht; mir ward nicht das Glück zuteil, meine Eltern um mich zu sehen, bis sie satt an Tagen, segnend von hinnen geschieden, und in Zeiten ernster Lebensentscheidungen, wo das Kind des Rates und der Führung bedarf, da fehlte mir, da fehlt mir dein gewichtig Wort. Doch wird dein unsichtbarer Geist mich beratend umschweben, ich fühle deine Nähe in solchen Augenblicken, und der alliebende Vater wird auch mich nicht verlassen). (Kaum habe ich dich, lieber Vater (liebe Mutter), gekannt, kaum habe ich jenen Namen, der alle Süßigkeit in sich schließt, aussprechen gelernt; ach, jene schützende Fürsorge, die andere so sehr beglückt, sie ist mir durch den Ratschluß Gottes, durch dich nicht geworden; dein brechendes Auge sah wehmütig auf mich, damals noch Unmündigen (Unmündige), dein enteilender Geist zögerte in Bekümmernis um mich, ach, ich wußte es nicht. Dennoch hängt mein Herz mit Verehrung an dir, ich füge mich in den göttlichen Willen, der eine große Freude meinem Leben entzogen hat. Deine äußere Persönlichkeit vermochte nicht auf mich einzuwirken, deine Liebe blieb mir doch, und, mir unsichtbar, leitest du mich doch.)
Drum sei mein Leben, lieber Vater (liebe Mutter), der Aufgabe geweiht, einen Wandel zu führen, der deinem reinen Geiste wohlgefällt Deine Liebe soll nicht einem (einer) Unwürdigen zugewandt sein. Dein Andenken steht mir allezeit nahe, und dein Name soll durch mich stets geehrt werden. Ich fühle mich mit dir verbunden, und dir nachzueifern in allem Guten und Edlen, sei mein Streben. Blicke auf dein Kind herab und umgib es in allen Lagen des Lebens. Bewahre mein Herz vor Stolz und vor Verzagung, vor der Genußsucht und der Gleichgültigkeit gegen das Leben, lenke meinen Geist auf die Bahn der Klarheit und flöße meinem Herzen Vertrauen ein auf Gott und Wohlwollen gegen die Menschen. In Zeiten der Gefahr und der Versuchung mögest du mir ein unsichtbarer Berater (eine unsichtbare Beraterin) sein, daß ich nicht wanke und strauchle und mich schämen müßte, dann zu dir aufzublicken, damit, wenn ich einst zu dir komme, du mich freudig begrüßen kannst und nicht der Blick des Vorwurfs und des Kummers mich von dir fernhalten müsse.
Für dein Seelenheil aber flehe ich zum ewigen Vater. Bei aller Liebe zu dir, bei aller Verehrung gegen dich darf das Kind es doch aussprechen; kein Mensch ist ohne Fehl, und nur die Gnade Gottes bedeckt die Sünde, nur seine Verzeihung führt zum ewigen Heile. Dunkel ist meinem Geiste jetzt noch die Bahn, die du nun wandelst! Aber du bist, du lebst noch, das fühle ich tief in meinem Innern. Wenn eine solche Gotteskraft schwinden könnte, wenn eine solche tiefe Innerlichkeit, wie deine Liebe war, wenn solche Gefühle, wie du sie gegen mich gehegt, bloß ein Erzeugnis von Erde, von Fleisch und Blut und deshalb vergänglich wären, dann müßte alles zusammenstürzen, dann gäbe es auch hier keinen Geist, keine Höhe, keine Würde, keine Liebe, keine beseeligende Innigkeit. Nein, du lebst, du lebst bei Gott, und in seiner geistigen Nähe strahlt auch dein Geist für und für.
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Du bist mir vorausgeeilt mein liebes Kind! Schon manche Träne habe ich dir nachgeweint, schon mancher Seufzer ist meiner Brust entstiegen, weil du mir fehlst. Es ist eine harte Prüfung, die Gott mir auferlegt, und mein Herz ist tief betrübt, sooft ich deiner gedenke. Du hattest schöne Hoffnungen in mir erweckt, und manche Freude strahlte mir von dir aus der Zukunft entgegen. Ich glaubte, du würdest mein Alter schmücken, du würdest der jugendliche Kranz auf meinem Haupte sein, wenn es greis wird; ach, ich habe dir den Totenkranz auf dein Haar gedrückt! Gott wollte es so! Ich kann nicht, ich darf nicht gegen sein Gebot murren. Habe ich etwa gesündigt gegen dich? War mein Herz zu stolz in der Liebe zu dir? Habe ich meine ganze Hoffnung zu sehr auf dich gesetzt und Gott wollte meine Kraft wachrufen? Ich weiß es nicht. Aber das weiß ich, daß das Leben des unvollkommenen Menschen Leiden haben muß, damit das Herz geläutert werde, damit der Mensch tüchtiger werde an Kraft. Ich habe Jahre der Seligkeit genossen in deinem Besitze, die Liebe freut sich der Gabe, freut sich der Sorge um den geliebten Gegenstand, freut sich lieben zu können. Diese Liebe sei mir ein unentreißbares Gut, sei mir das teure Vermächtnis von dir, die Liebe zu dir schwinde nicht aus meinem Herzen, sie lehre mich auch, andere lieben. Der Genuß, auch der reinste, ist vergänglich, aber die Liebestat bereitet immerwährende Freude, sie ist ein Balsam für das verwundete Herz. Mein geliebtes Kind: ich hätte gern noch weiter um dich gesorgt, gern dich eingeführt in die höheren Stufen des Lebens; du bist frühzeitig in ein anderes Dasein versetzt und meiner Sorgfalt entrückt worden. Ob du dort schon als vollendeter Geist wirken kannst? Ich vertraue auf Gottes Güte, er wird dir, was du hier nicht erreichen konntest, dort leicht machen, er wird den jugendlichen Geist rasch zu den Zielen der Vollendung gelangen lassen. Du bist hier über die Mühen des Lebens rasch hinweggeglitten, du hast die harten Prüfungen nicht zu bestehen gehabt, harmlos und heiter wie in diesem Leben gingst du in das Gottesreich ein. Dort ist deine Seele, nicht berührt von den verunreinigenden und niederdrückenden Kräften des Erdendaseins, verklärt, und du weilest im Chore der Edlen. Sollte ich um deinetwillen klagen? Nein, auch ich will den Verlust tragen mit der Kraft der Liebe, welche du mir eingeflößt hast. Dein Andenken sei mir ein reines, nicht getrübt durch die Tränen bittern Schmerzes, welche es mir entlocken könnte, nicht entstellt durch den Gram, der in meine Züge sich einprägen möchte. Wir vereinigen uns einst wieder, die Sehnsucht des elterlichen Herzens ist wahr, sie ist wahrer als alle Erscheinungen der Welt, denn sie lebt im Tiefsten des Gemütes, diese Sehnsucht ist wahr, und der ewige Gott der Liebe wird sie befriedigen.
Für dein Seelenheil aber, mein frühverklärtes Kind, bete ich innigst zu Gott; bist du in jugendlicher Unreife eingegangen in sein Reich, hast du noch Spuren des Leichtsinns in jener ernsten Stunde an dir getragen, der Allgütige wird sie dir vergeben. Ein Vater verzeiht gern, und er ist ja unser aller Vater!
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Wir hatten ein unauflösliches Band geknüpft, wir wollten gemeinsam durch das Leben wandern; das Band ist zerrissen, ich stehe einsam da. Ich danke dir, mein guter Mann (mein gutes Weib), für die Treue, welche du gegen mich geübt, für die Sorgfalt, mit der du mich umgeben, für die Innigkeit, die du mir bewiesen hast; überall, wenn ich in mich, wenn ich um mich her blicke, da gewahre ich die Spuren deines Wirkens. (Kurz war unsere gemeinschaftliche Erden-Wallfahrt, aber die Erinnerung an die empfundene Liebe bleibt immer erquicklich, das treue Andenken ist unverlöschlich) — (Du hast unsere Kinder (unser Kind) mit einer Zärtlichkeit gehütet, die nur ich verstand, du hast sie (es) gelehrt, daß sie (es) Gott verehren (verehre) und auf ihn vertrauen (vertraue), daß sie (es) das Gute lieben (liebe) und in der Erfüllung der Menschenpflichten ihre schönste Aufgabe finden (finde); du hast ihnen (ihm) als teures Vermächtnis auch die Liebe gegen mich hinterlassen. Auch dafür danke ich dir, mein guter Mann (mein gutes Weib). Deine Sorgfalt kann ich unsern Kindern (unserm Kinde) nicht ersetzen, aber ich werde, soweit es in meiner Kraft liegt — das verspreche ich dir hier, wo deine Asche ruht, und wo dein Geist sich losgerungen hat, das verspreche ich dir hier im Angesicht Gottes — ich werde sie (es) führen nach meiner Kraft, auf daß dein frommes Auge wohlgefällig auf ihnen (ihm) ruhe, ich werde sie (es) führen in Gottesfurcht und Menschenliebe, daß sie (es) ehrenhaft leben (lebe) in redlichem Willen und nicht verachtet seien (sei) bei Gott und den Menschen, ich werde sie (es) lehren, dein teures Andenken ehren und die Liebe zu dir im Herzen tragen.) — Was du mir warst, ich werde es ewig tief fühlen. Doch ich muß noch in diesem Leben weilen, während du schon einen verklärten Himmelssitz einnimmst. Gott will es so. Soll ich fragen? Soll ich klagen? Die Frage wird nicht beantwortet. Der Mensch ist unvollkommen, seine Wallfahrt hienieden, damit er seine Kraft erprobe und ausbilde, nicht, damit er ungestört genieße. Ich will nicht als ein verdrossener Knecht, sondern als ein williges Kind Gottes erfunden werden (verlange ich ja auch von unsern Kindern (unserm Kinde), daß sie (es) sich ohne Murren ergeben (ergebe), und verlange ich ja Gehorsam von ihnen (ihm), wenn sie (es) auch nicht einsehen (einsieht), daß es zu ihrem (seinem) Wohle gereicht). Darum will ich ruhig hienieden fortwandeln, bis es einst dem Herrn über Leben und Tod gefällt, auch mich einzusammeln zu allen, die mir vorangegangen sind, auch zu dir, mein guter Mann (mein gutes Weib). Was rein und edel hier an uns war, das lebt dort sicherlich fort, und schöner wird das Band sein, das uns dann in Wahrheit unauflöslich umschlingt.
Ach, daß es dir dort wohlergehe, bis ich wieder mit dir vereint bin, das ist mein täglich Flehen zu Gott. Wie dein wachsames Auge uns von dort auch umgibt, mich und alle, die uns in Liebe angehören, so möge Gottes Vaterhuld dir die Fülle seiner Segnungen gewähren! Mein guter Mann (mein gutes Weib), dieser Grabhügel decket deine Asche, dein Herz ist nicht tot, dein liebevolles Gemüt ist nicht gestorben, du lebst in mir, du lebst bei Gott!
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Ich sehe dich nicht mehr mit leiblichem Auge, Du, dessen (deren) Nähe mich und alle, die zu uns gehören, so oft erquickte. Du bist dem Kreise der Unsrigen entrückt, und schmerzlich vermissen wir dich. Wir sind um vieles ärmer geworden durch deinen Verlust, ärmer geworden an Lebensfrische, ärmer an den Beweisen deiner Liebe. Du hast überall Freundlichkeit hingetragen, für alle Angehörigen einen Blick der Liebe gehabt. Und dein Wort, es erfrischte und erquickte. Nun du fehlest, da fühlen wir erst recht, was du gewesen bist, wie du das Band so eng geknüpft, wie du heilsam gewirkt, wie du die Liebe gepflegt hast. Mein Herz ist tief betrübt; nur dein kühles Grab kann ich umfassen, ich breite die Arme nach dir aus, sie können dich nicht umfangen. So zieht einer nach dem andern hin, der Kreis wird gelichtet, doch setzen auch neue Äste sich an, wenn nur der Stamm ein gesunder ist. So will auch ich denn in deinen Wegen gehen, ich will die Zurückgebliebenen mit treuer Liebe umfassen, in der Erinnerung an dich, liebe, abgeschiedene Seele, wollen wir uns enger aneinander schließen, und meinem Geiste und Herzen will ich die edlen Saaten zu entlocken suchen, die bei dir so schön aufgegangen waren. Ich will des Lebens Prüfung mit starkem Mute tragen, auf daß ich den unsrigen mit tröstender Kraft vorangehe. Des Lebens Wert besteht in tätiger Liebe, nicht in der Klage um das unwiederbringlich Dahingegangene. In unserm Streben wirst auch du fortleben und in unserm Herzen ist dir eine sicherere Stätte bereitet als die, welche deine Gebeine umschließt. Deine Heimat ist nun im Gottesreiche, und im Kreise verwandter Seelen möge dein Heil wahrhaft erblühen.
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Wir hatten einander im Leben gefunden, liebe, verklärte Seele, und ein enges Band war zwischen uns geknüpft. Nicht Fleisch und Blut, nein! dein Geist und dein Herz haben mich zu dir hingezogen, und je tiefer ich in dein Inneres eindrang, je mehr die Tiefen deiner Seele vor mir sich enthüllten, um so mehr lernte ich dich lieben und achten. Der Umgang mit gleichgestimmten Seelen ist die erhebendste geistige Nahrung, das fühlte ich in deinem Umgange, in den heitern und den ernsten Gesprächen, die wir miteinander führten. Deine Klarheit, deine liebevolle Teilnahme belehrten und erquickten mich; dein edler Sinn verlieh auch mir den Aufschwung zum Höhern und Bessern. Habe Dank, du liebe Seele, für deine Freundlichkeit, habe Dank, für die Stunden höheren Genusses, die du mir bereitet, für die Vorahnung eines schönern geistigen Daseins, die du in mir geweckt und bestärkt hast. Die Ahnung, sie ist dir nun zur Klarheit geworden; ich aber soll weiter im Kampfe des Lebens stehen, ohne deine Stütze, ohne deinen ermahnenden und beschwichtigenden Zuspruch. Schwer ist es, einen solchen Verlust zu ertragen. Das seltene Gut wahrer Freundschaft wird nicht so leicht ersetzt. Die Empfänglichkeit des Herzens nimmt ab, der Einklang der Seelen wird schwerer gefunden. Doch mir bleibt die Erinnerung an dich. Bei jedem Schritte des Lebens, bei jedem Gedanken und Gefühle, da seiest du mein Führer und mein Richtmaß. Immer werde ich mich fragen: wie würde dein Freund (deine Freundin) hier geurteilt, wie geraten, wie gehandelt haben? Und in unsichtbarem Verkehre mit dir werde ich mich läutern und veredeln, um deiner stets würdig zu bleiben. So lebe nochmals wohl, teure Seele, bis auch ich einst zu dir komme. Ja, wir vereinigen uns wieder im großen Vaterhause. Was aus dem Geiste entsprungen ist, das ist ewig, was die Liebe zart gewunden hat, das ist unauflöslich. Es ist der Erde gegeben, was der Erde entstammt; aber gehörtest du der Erde ganz an, daß du zu ihr wieder werden könntest? War das Aufblitzen deines Auges, wenn ein schöner Gedanke dich durchleuchtete, irdisch? War der innige Blick, der dich bei teilnehmender Hingebung verklärte, ein Werk des Staubes? Nein, das lebt fort an dir, lebt schöner, freier. So lebe wohl im Umgange mit höhern Geistern. Deine Liebe wird auch jetzt noch mich umschweben, dein Geist aber in Klarheit die lichten Bahnen der Ewigkeit durchwandern, und himmlische Freuden mögen dich erquicken!
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Viel verdanke ich dir, und deines teilnehmenden Wirkens für mich werde ich nie vergessen. Ich stehe an deinem Grabe und bete für dich aus der Tiefe meines Herzens. Mein leibliches und mein geistiges Wohl hast du gefördert, weil du als Mensch den Menschen liebtest, nicht um meines Verdienstes willen. Aus der Saat der Liebe da sprießen Garben hervor, die du dort einsammeln wirst. Schwach ist mein Dank, was kann ich für den reinen Geist tun? Nur ein ehrendes Andenken bleibt mir, das will ich bewahren; dein Werk nach Kräften fortsetzen, in deinen Wegen der Güte wandeln, das sei mein Dank, der dir am meisten wohlgefällt. Dort aber wirst einen schöneren Lohn du empfangen: „Vor dir her wandelt deine Frömmigkeit, die Herrlichkeit Gottes nimmt dich auf.“
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Meinem Geiste bist du, als er noch unentwickelt war, ein redlicher Führer (eine redliche Führerin) gewesen, meinem Herzen hast du die Richtung gegeben. Nun erst erkenne ich es recht, was dein liebevoller Ernst von mir verlangt hat, was ich deinem Wirken schulde. Nimm, verklärter Geist, den Dank des Geistes an, der in dir seine Nahrung gefunden hat; du warst der Quell, der mich befruchtet hat; der Quell versieget nicht, wenn er auch meinem leiblichen Auge sich entzieht. Ob ich immer deinen Wünschen entsprochen habe? Ob deine Lehren eine fruchtbare Stätte bei mir gefunden haben, es sei mein redlich Streben, deine würdige Schülerin heißen zu dürfen. — Schon hier war dein Leben einem höheren Ziele zugewandt, du hast es erreicht; des Lebens Mühsal ist geschwunden, des Geistes freudige Klarheit, nach der du so ernst gerungen, sie ist dein Lohn. Was Menschen nicht belohnen können, oft auch nicht belohnen wollen, das wägt Gott auf gerechter Wage, und seine Liebe wird dort dich beglücken!
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Du weilest nicht mehr unter uns, aber die Spuren deines Wirkens sind tief eingegraben und sprießen vielfach hervor: du bist noch unter uns mit deinem bessern Anteile. An deinem Grabe lerne ich es und wird es mir zur unzweideutigen Gewißheit: es ist nicht alles eitel und vergänglich. Die Taten deines Geistes, deiner edlen Natur leben fort und erquicken viele, die dich nicht geschaut haben mit leiblichem Auge, die, ach, vielleicht kaum ahnen, daß sie dir reiche Nahrung des Geistes und des Herzens zu danken haben. In dem Menschen, der über die Gewöhnlichkeit sich erhebt, da erkennen wir erst das Göttliche, da ist Gott uns nahe. Nicht mit Schmerz stehe ich an deinem Grabe, die Vernichtung hat nur deine Hülle getroffen. Hier fühle ich mich gehoben, denn ich lerne den Menschen in seiner Würde kennen und ehren; neben der Demut, die mich erfüllt, ob meiner eignen Schwäche, gewinne ich doch auch Kraft, um zum Ziele wahrer Menschenbildung mich hinanzuringen. Der Geist, der hier schon die Unendlichkeit in sich getragen hat, ihm ist wohl in den Räumen der Ewigkeit; dort fühlst du dich heimisch, du begrüßest alle Edlen, du lebst in Gott, bei dem da ist des Lebens Quelle, in dessen Licht du Licht schaust.
(Die Gemeinde kehrt von den Gräbern zurück.)
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Es kehrt der Staub zur Erde zurück, wie er gewesen, doch der Geist kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben. (Pred. Sal. 12, 7.)
Und wall' ich auch im finstern Tale, nicht fürcht' ich Böses; denn du bist bei mir; Dein Stab und deine Stütze, sie trösten mich. (Psalm, 23, 4.)
Wandle ich in Frömmigkeit, werde ich Dein Antlitz schauen, erwachend mich freuen Deines Anblickes. (Ps. 17, 15.)
וְיָשֹׁב הֶעָפָר עַל הָאָרֶץ כְּשֶׁהָיָה וְהָרוּחַ תָּשׁוּב אֶל הָאֱלֹהִים אֲשֶׁר נְתָנָהּ׃
גַּם כִּי אֵלֵךְ בְּגֵיא צַלְמָוֶת לֹא אִירָא רָע כִּי אַתָּה עִמָּדִי שִׁבְטְךָ וּמִשְׁעַנְתֶּךָ הֵמָּה יְנַחֲמֻנִי׃
אֲנִי בְּצֶדֶק אֶחֱזֶה פָנֶיךָ אֶשְׂבְּעָה בְהָקִיץ תְּמוּנָתֶךָ׃
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Wir kehren zurück von den Gräbern zum bewegten Leben! Nicht die Vernichtung starrt uns dort entgegen, sondern der Friede der Seele weht uns zu, die der irdischen Bande entledigt ist. Möge dieser Friede in unser Herz einziehen, die Leidenschaft beschwichtigen, die Sinnlichkeit demütigen, auch den Schmerz besänftigen! Wir haben ein treues Andenken erneuert allen denen, die wir hier liebten und achteten; sie sind auferstanden in uns, und in seliger Verklärung bleiben sie uns. Von der Liebespflicht gegen die Toten wenden wir uns wieder zur Liebespflicht gegen die Lebenden, auf daß einst auch unser Andenken nicht untergehe, und zu dem Ewiglebenden richten wir Hand und Herz, Auge und Geist empor.
So sei gepriesen, großer Gott, von den Lippen der Unvollkommenen, wie im Reiche der vollkommenen Geister Dein Name mit Ehrfurcht verkündet wird! Amen!
Sei gepriesen, Allgütiger, für das Leben, das Du uns auf Erden anweisest, wie für das ewige Geistesleben, dem wir entgegengehen! Amen!
Sei gepriesen, Allgütiger, für die Liebe, mit der Du dieses Leben schmückest, die in höherer Weise einst uns noch aufgehen wird! Amen!
Sei gepriesen, Allgütiger, für die teuren Anverwandten und Freunde, die Du uns hier geschenkt hast, deren Staub hier ruhet, deren Geist in Deinem Reiche sich erquickt. Amen!
Deine Gnade walte über ihnen und gebe ihnen freudiges Seelenheil, Deine Gnade walte über uns auch hienieden, bis wir eingehen in Dein ewiges Reich. Amen!
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„Friede, Friede den Fernen und den Nahen“. Unsagbar wehmütig und doch wieder beruhigend zieht die sanfte Melodie dieser Worte jetzt durch unser Gemüt, wo wir der Seligen gedenken, die uns einst nahe waren und jetzt ferne sind. Ist es Verzagtheit was wir empfinden, ist es Todesangst oder Todessehnsucht; ist es Lebensschwäche oder Lebensfreude, was in uns so große Empfindungen erweckt? Ein Gedanke ist es sicher, der sich mit unabweisbarer Macht in uns regt und uns gefangen hält: „Was ist der Mensch, daß Du, o Gott, seiner gedenkest; der Erdensohn, daß Du auf ihn achtest?“ Wozu hast Du uns ins Leben gerufen? Ist unser Ziel und Zweck das Grab; wozu das Leben? wozu, wenn neben der Wiege die Grube ist, Geburt und Tod rauh und hart aneinanderstoßen? Als der Ewige, so erzählt eine alte Sage, die Welt und in ihr den Menschen zu schaffen sich anschickte, erhob sich Widerspruch in den Scharen der Engel. „Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkst?“, so fragten sie höhnisch. Was willst Du mit diesem gebrechlichen Gebilde? Lasse es Dir an den himmlischen Wesen, den Monden, Sonnen und Gestirnen, an den irdischen Wesen der Pflanzen und Tiere genügen. „Ich will ein weises Geschöpf; ein freies Gebilde will ich in meine Welt versetzen, das sie besitzen, beherrschen soll“. Und er führte alle Wesen dem neugeschaffenen Menschen vor. In tieferkennender Weisheit gab dieser allen belebten und unbelebten Wesen treffende Namen. Da verstummte der Engel Widerspruch. Und als Gott den Menschen die Thora geben wollte, murrten die himmlischen Geschöpfe und sagten: „Wie, das Werk Deines erhabenen Geistes überlieferst Du der Willkür dieser armseligen, nichtigen Gebilde?“ „Wer bestätigt und betätigt der Thora Inhalt,“ fragte der Ewige; „etwa ihr in den ewiggleichen Sphären des Himmelreiches? Wer bekundet Gottesverehrung, Elternliebe; wer führt den Kampf mit dem Leben, den Kampf mit den Trieben, wie gerade der Mensch? Seid ihr Versuchungen preisgegeben wie er? Naht euch die Verführerstimme wie ihm? Pocht auch im Herzen die Begierde wie ihm? Führt ihr ein Leben der Mühsal und Arbeit wie er?“ Die Engel verstummten und sangen: „Wie gewaltig ist Dein Name auf der ganzen Erde“. Und als die Seele des Moses in die hohen Hallen des Himmels getragen wurde, um vor Gottes Thron zu erscheinen, betrachteten die Engel den Eindringling neidisch und riefen: „Was ist dieser Erdensohn, daß Du Dich seiner annimmst?“ Wie wagt es dieser Rest eines Irdischen in göttlichen Kreis zu treten? Gott aber breitete die Hand über die scheu zurückweichende Moses-Seele und forderte sie auf, Antwort und Rede zu stehen auf die Frage: „Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkest“. Voll Würde und Weisheit sprach sie: Es steht geschrieben: „Ich bin der Ewige, Dein Gott“. Würde Gott verehrt, wenn ich nicht der Mittler seiner Lehre wäre? Wie; sollte der Allgütige mich vergeblich zu seinem Boten erkoren haben, seinem erwählten Volke den höchsten Gedanken zu überbringen und es zum Lehrmeister der Welt zu machen? Und siehe; wieder verstummten die Engel und riefen: „Gott, unser Herr, wie mächtig ist Dein Name auf der ganzen Erde.“ — — — —
Das ganze Rätsel der Schöpfung liegt hier zur Lösung vor. Niederdrückend und gewaltig ist der Weltenbau. Geheimnisvoll ist der Plan, und nur schwach vermag des Menschen Geist einzudringen. Aber der Denker erhebt sich zu kühnstem Fluge; dem Bergmann gleich, steigt er auch hinab in die Schächte grabenden Wissens, hebt das Gold der Erkenntnis. Er verfolgt des Schöpfers Gedanken; prüft, wägt, misset, urteilt, vergleicht, verwirft, lobt, tadelt, zersetzt. So greift er kühn in den Bauplan, blickt zum gestirnten Himmel, findet auch da nicht Ruhe, noch Rast; er rechnet, sinnt und grübelt über Bahnen und Wege der Sterne. „Wie gewaltig ist Dein Name auf der Erde, der Du Deine Allmacht im Himmel gezeigt hast“. Er erforscht Geschichte und Ursprung des Menschen; er spricht, schreibt über Lieben und Hassen, Tugend und Laster, Jugend und Alter, Mann und Weib, Mut und Feigheit, Menschenglück und Menschenunheil, Krieg und Frieden, Geburt und Tod. Und vollgesogen und erfüllt von Weisheit schließt er seine Rechnung und findet: „Der Mund der Lallenden und Säuglinge begründet Deine Macht“. Dein Wunderreich sehe ich wirksam in dem unmündigen Kinde; wie es entsteht, wie der sprühende Funke des Abglanzes Deiner Herrlichkeit, die Seele, im Leibe wirkt und das unbeholfene Wesen zum weltbezwingenden Gedankenhelden emporgedeiht, zum welterstürmenden Eroberer. „Nur um geringes hast Du ihn Göttlichen nachgesetzt“; „das All warfst Du unter seine Füße“. — Wir sterben nicht; wir leben in unsren Taten. Ein Teil von uns ist unsterblich. Und wenn wir die goldene Frucht vom Baume der Erkenntnis pflücken, ist uns die Frucht vom Baume des ewigen Lebens wohl versagt; doch die Blüte haben wir erhalten, ihren Duft haben wir eingesogen in den sterblichen Leib als unsterbliche Seele. Wir fragen bange: „Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkest?“ Er ist Dein Werk, o Herr! Zerschlägt der Künstler sein Gebilde? Zerstört der Gärtner seine Pflanzung? Zertrümmert der Weise seinen Gedankenbau? Tötest Du, o Herr, im Tode, alles, alles? Er ist Dein Kind, Du Vater der Welt. Wir sind sterblich, wir fühlen es. Wir sind unsterblich, wir empfinden es. Hast Du, Ewiger, ein Vergängliches geschaffen, dann muß es würdig gewesen sein, geschaffen zu werden. Wir fürchten das Ende nicht. Es steht vor uns als natürlicher Abschluß einer Ereigniskette.
Uns ängstigt die Schicksalsfrage nicht: „Wer ist der Erdensohn, daß Du Dich seiner annimmst“. Der Frage klingt die Antwort entgegen: „Ich bin Dein Gott“. In der gedankenvollen Erinnerung an die Ahnen der Vorzeit, an die Großen in Israel und in der ganzen Welt, an die Teueren, die uns Väter, Mütter, Brüder, Schwestern waren, ist die Frage von selbst beantwortet. Ihr Leben war des Lebens wert. Spende auch uns segensreiches Leben, gedenke der Nahen, der Sterblichen, die Du zum Leben geschaffen; der Fernen, der Entschlafenen, Seligen gedenke. Gib uns Mut zum Leben, Mut zum Sterben.
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יְיָ־מָה אָדָם וַתֵּדָעֵהוּ בֶּן־אֱנוֹשׁ וַתְּחַשְּׁבֵהוּ׃ אָדָם לַהֶבֶל דָּמָה יָמָיו כְּצֵל עוֹבֵר׃ וַתְּחַסְּרֵהוּ מְּעַט מֵאֱלֹהִים, וְכָבוֹד וְהָדָר תְּעַטְּרֵהוּ׃ כִּי־יָדַעְתִּי מָוֶת תְּשִׁיבֵנִי, וּבֵית מוֹעֵד לְכָל־חָי׃ רוּחַ־אֵל עָשָׂתְנִי, וְנִשְׁמַת שַׁדַּי תְּחַיֵּנִי׃ וְיָשֹׁב הֶעָפָר עַל־הָאָרֶץ כְּשֶׁהָיָה וְהָרוּחַ תָּשׁוּב אֶל־הָאֱלֹהִים אֲשֶׁר נְתָנָהּ׃ גַּם כִּי־אֵלֵךְ בְּגֵיא צַלְמָוֶת לֹא־אִירָא רָע כִּי־אַתָּה עִמָּדִי שִׁבְטְךָ וּמִשְׁעַנְתֶּךָ הֵמָּה יְנַחֲמֻנִי׃ אֲנִי בְּצֶדֶק אֶחֱזֶה פָנֶיךָ אֶשְׂבְּעָה בְהָקִיץ תְּמוּנָתֶךָ׃
Herr, was ist der Mensch, daß Du Dich seiner annimmst? der Erdensohn, daß Du auf ihn achtest? Der Mensch einem Hauche gleich, seine Tage — dem Schatten, der dahinzieht (Ps. 144, 3. 4.)! Und Du hast ihn göttlichen Wesen wenig nachgesetzt, mit Würde und Hoheit krönst Du ihn (Ps. 8, 6.). Wohl weiß ich, Du führst zum Tode mich, heim ins Sammelhaus für alles Lebende (Hiob 30, 23.). Doch Gottes Geist hat mich gemacht, und der Odem des Allmächtigen belebet mich (Hiob 33, 4.). Und kehrt der Staub zur Erde zurück, wie er gewesen, so kehrt der Geist zu Gott zurück, der ihn gegeben (Pred. Sal. 12, 7.). Und wall' ich auch im finstern Tale, nicht fürcht' ich Böses! denn Du bist bei mir; Dein Stab und Deine Stütze, sie trösten mich (Ps. 23, 4.). Ich werde in Tugend Dein Antlitz schauen, erwachend mich freuen Deines Anblickes (Ps. 17, 15.).
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Unerforschlicher, großer Gott! In Deinem Ebenbilde hast Du den Menschen geschaffen, ihm den Geist verliehen, welcher der Vollendung entgegenstrebt. Diese Erde aber hast Du ihm angewiesen, damit der Mensch auf ihr sich läutere und in Deinem Sinne wirke; und wenn Deine Weisheit es für gut findet, rufst Du ihn ab, und der Körper wird der Erde zurückgegeben. Doch der Geist ist ewig, er stirbt nicht; die Seele kehrt zu Dir zurück und lebt rein in Deinem Heiligtume. Lässest Du ja, Herr, keine Kraft vergeh'n, die Deinem großen Weltalle Du eingesenkt hast: wohl wechseln Formen und Gestalten, aber die Kraft, welche sie erzeugt und trägt, sie schafft und wirkt ewig. Und der menschliche Geist, diese wunderbar wirkende, unsichtbare Kraft, die uns denken lehrt und Selbstbewußtsein gibt, sie sollte plötzlich abgeschnitten werden? Nein, wir zagen nicht vor dem Tode, denn unser edler Teil dauert fort; wir scheiden aus diesem Leben, um in ein besseres einzugehen. Wird auch manches Band, das hienieden eng geknüpft war, gelöst, dort oben werden wir uns wieder in Deinem Reiche vereinigen. Darum wollen wir auch heute mit Ruhe und Ergebung der Lieben und Teuren gedenken, die uns vorangegangen sind in die ewige Heimat; wir danken Dir, Herr, daß Du uns an ihrer Liebe erquickt hast, und die Erinnerung an ihr Wohlwollen gegen uns soll aus unsern Herzen nimmer schwinden. Es gedenken die Kinder der Treue und Hingebung, mit der die Pfleger und Hüter ihrer Kindheit für sie bedacht und besorgt waren, wie sie für sie gelebt und gelitten haben, wie sie mit weisem Rate, mit Lehre, Trost und Beispiel ihnen vorgegangen sind, sie in Deinen Wegen, Gott, geleitet, ihnen ihren Segen hinterlassen haben, der bis auf den heutigen Tag sich an ihnen bewährt. Es gedenken Gatten und Gattinnen des, ach! zu früh gelösten Bundes, den sie vor Dir, o Gott geschlossen und den sie heilig und treu gehütet haben, solange es Deiner Weisheit gefallen hat, sie in der engsten Gemeinschaft des Lebens hier zusammen weilen zu lassen. Die Erinnerung liebender Zärtlichkeit und treuer Innigkeit, an der sie in den mannigfachen Lebensgeschicken festgehalten haben, erfüllt ihnen noch heute erhebend und herzerquickend die Seele. Auch der teuren Pfänder gedenken die Eltern, welche Du ihnen, o Gott, anvertraut hattest. Sie haben an ihrer Freundlichkeit und dankbaren Liebe sich erquickt, in ihrer Entwicklung sich mitverjüngt und freudig der Erfüllung schöner Hoffnungen durch sie in der Zukunft entgegengesehen, und wieder steht heute das Bild der Frühvollendeten vor dem Auge derer, denen sie vorangegangen sind in die Ewigkeit. Wir gedenken, Herr, alle Männer und Frauen, die mit freundlich mildem Blicke auf uns geschaut haben, die durch ihre Liebe uns gefördert, das Gotteslicht in uns angezündet, uns die Wahrheit haben erkennen lassen, uns im Glauben gestärkt, die Sorgen des Lebens uns erleichtert und unsere Bahn geebnet haben. Wir ehren und segnen ihr Andenken in dieser Stunde; gib, Gott, daß es auch an uns gesegnet sei, daß es zu allem Guten und Dir Wohlgefälligen uns erwecke, uns ermutige, uns Kraft und Ausdauer verleihe, daß der Segen, mit dem sie von uns geschieden sind, sich zu unserm Heile an uns bemühte, daß wir ihre Lehre und ihr Beispiel in kindlicher Erinnerung bewahren, ihr Werk fördern, ihren Namen in Ehren halten, ihrer stets würdig befunden werden; auf daß sie aus Deinem Himmelreiche in Freundlichkeit auf uns herabschauen, die Segnungen des Lebens für uns erbitten, wie wir für ihr ewiges Seelenheil beten!
Nicht alle sind vollendet in Dein Reich eingetreten, kein Frommer ist auf Erden, der nicht der Sünde Raum gäbe in seinem Herzen und in seinem Wandel. Doch Dein Erbarmen, Herr, wird den Fehl ablöschen und dem schwachen Sterblichen eine gnadenvolle Versöhnung gewähren. Laß unsere Bitte für sie Erhörung bei Dir, barmherziger Gott, finden! Viele auch sind frühzeitig von uns geschieden, ehe sie zu voller Entwicklung gelangten, ehe sie durch ihr Wirken sich Deiner Gnade würdig machen konnten; nimm sie, die Schuldlosen, in Dein ewiges Reich auf! Sie haben die Prüfungen des Lebens nicht erfahren, aber Deine Huld wird sie dennoch dort beglücken. Uns aber, Allvater, wollest Du ein freudiges Wirken auf Erden verleihen, und wenn Du einst uns abrufest, so gib uns Kraft und Mut und eine gnadenvolle Aufnahme in die Ewigkeit. Amen! Amen!
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Ich gedenke, Gott, vor Dir meiner Hingeschiedenen — in inniger Liebe. Gedenke auch Du ihrer in einer gnadenreichen Stunde. Gib ihnen einen hellen, lichten Himmelssitz, daß ihre Seele eingehe zur ewigen Ruhe, zur ewigen Freude, zur ewigen Seligkeit, und sie der Segnungen teilhaftig werden, die du den Frommen und Gerechten hast verheißen als ihren Gotteslohn für alles irdische Leid, das sie erlitten, für all ihr Sorgen, Streben und Bemühen. Gib Frieden den Verklärten; laß ihr innerstes Sehnen und Hoffen und Bangen bei Dir Erhörung und Gewährung finden um des Glaubens und der Liebe willen, mit der sie aus der Welt gegangen sind. Erhöre und verherrliche sie, Gott, in Deinem Himmelreiche, und laß auch mein Bitten und Beten erhört sein, um der innigen Liebe willen, mit der ich meines Herzens Opfer Dir gelobe und bringe. Amen! Ihr, meine Teuren, schauet aus eurem Himmel auf mich herab in Freundlichkeit und Liebe, so wie ihr mich angeschaut habt in Freundlichkeit, bevor euch Gott von mir und zu sich genommen hat. (Empfanget meinen Dank für eure väterliche und mütterliche Sorgfalt und Liebe und Treue, für eure Nachsicht und Milde, die ihr mir so mannigfach bewiesen habt. Vergebet mir, was ich an euch aus jugendlicher Unbesonnenheit je verschuldet und gesündigt habe.) Gedenket meiner vor Gott, betet für mich und für die Meinen alle, daß Gott mich schirme und bewahre vor jedem Leid. Und wenn ich selber abberufen werde und eingehe in meine ewige Ruhestätte, dann möge eure Liebe mich empfangen, mich einführen und geleiten in das Gottesreich der Wahrheit und des Friedens, auf daß ich Versöhnung und Vergebung finde für jede Sünde und Schwäche, Erhörung und Gewährung für all mein Wünschen und Hoffen, und mit euch der ewigen Seelenruhe und Freude teilhaftig werde. Amen!
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מָה רַב טוּבְךָ אֲשֶׁר־צָפַנְתָּ לִּירֵאֶיךָ· פָּעַלְתָּ לַחוֹסִים בָּךְ נֶגֶד בְּנֵי אָדָם׃ מַה־יָּקָר חַסְדְּךָ אֱלֹהִים· וּבְנֵי אָדָם בְּצֵל כְּנָפֶיךָ יֶחֱסָיוּן׃ יִרְוְיוּן מִדֶּשֶׁן בֵּיתֶךָ· וְנַחַל עֲדָנֶיךָ תַשְׁקֵם׃ יַעְלְזוּ חֲסִידִים בְּכָבוֹד יְרַנְּנוּ עַל־מִשְׁכְּבוֹתָם׃ אַשְׁרֵי אָדָם מָצָא חׇכְמָה· וְאָדָם יָפִיק תְּבוּנָה׃ טוֹב שֵׁם מִשֶּׁמֶן טוֹב וְיוֹם הַמָּוֶת מִיּוֹם הִוָּלְדוֹ׃
Wie groß ist Dein Gut, das Du bewahrt Deinen Frommen, das Du wirkst denen, die auf Dich vertrauen, vor den Menschen! Wie wert ist Deine Gnade, Gott! In dem Schatten Deiner Flügel bergen sich die Erdensöhne. Sie werden satt vom Mahle Deines Hauses. Du tränkest sie aus dem Strome Deiner Wonne. Es freuen sich die Frommen in Ehren, sie lobsingen auf ihrem Lager. Heil dem Manne, der Weisheit findet, dem Menschen, der Einsicht verkündet! Besser ist guter Ruf als köstlich Öl, der Tag des Todes besser denn der der Geburt.
שֶׁקֶר הַחֵן וְהֶבֶל הַיֹּפִי· אִשָּׁה יִרְאַת־יְיָ הִיא תִתְהַלָּל׃ תְּנוּ־לָהּ מִפְּרִי יָדֶיהָ· וִיהַלְלוּהָ בַשְּׁעָרִים מַעֲשֶׂיהָ׃
Anmut ist trügerisch, Schönheit eitel, ein gottesfürchtig Weib wird gerühmet! Gebet ihm von seiner Hände Frucht; an den Toren preisen es seine Werke.
מְנוּחָה נְכוֹנָה תַחַת כַּנְפֵי הַשְּׁכִינָה· בְּמַעֲלוֹת קְדוֹשִׁים וּטְהוֹרִים· כְּזֹהַר הָרָקִיעַ מְאִירִים וּמַזְהִירִים׃ וְכַפָּרַת אֲשָׁמִים· וְהַרְחָקַת פֶּשַׁע· וְהַקְרָבַת יֶשַׁע· וְחֶמְלָה וַחֲנִינָה· מִלִּפְנֵי שׁוֹכֵן מְעוֹנָה· וְחֵלֶק טוֹב לְחַיֵּי הָעוֹלָם הַבָּא· שָׁם תְּהֵא מְנַת וִישִׁיבַת נֶפֶשׁוֹת הַנִּכְבָּדִים כׇּל אֲבוֹת הַנִּמְצָאִים וְהַנִּמְצָאוֹת פֹּה וְאִמּוֹתֵיהֶם· וּבַעֲלֵיהֶם וּנְשֵׁיהֶם· וְאַחֵיהֶם וְאַחְיוֹתֵיהֶם· וּבְנֵיהֶם וּבְנוֹתֵיהֶם· וּקְרוֹבֵיהֶם וּקְרוֹבוֹתֵהֶים· שֶׁנֶּאְסְפוּ לְעַמָּם· רוּחַ יְיָ תְּנִיחַם בְּגַן עֵדֶן· מֶלֶךְ מַלְכֵי הַמְּלָכִים· בְּרַחֲמָיו יָחוֹס וְיַחמוֹל עֲלֵיהֶם· יַסְתִּיר אוֹתָם בְּצֵל כְּנָפָיו וּבְסֵתֶר אׇהֳלוֹ· לַחֲזוֹת בְּנוֹעַם יְיָ וּלְבַקֵּר בְּהֵיכָלוֹ· יִלָּוֶה אֲלֵיהֶם הַשָּׁלוֹם· וְעַל מִשְׁכְּבָם יִהְיֶה שָׁלוֹם· כָּאָמוּר יָבֹא שָׁלוֹם· יָנוּחוּ עַל מִשְׁכְּבוֹתָם הוֹלֵךְ נְכוֹחוֹ· הֵם וְכׇּל שׁוֹכְבֵי יִשְׂרָאֵל עִמָּהֶם· וְכֵן יְהִי רָצוֹן· וְנֹאמַר אָמֵן׃
Sichere Ruhe ist im Schutze der Vorsehung, im Kreise der Heiligen und Reinen, die in himmlischer Klarheit leuchten; dort ist Vergebung für Sünden, Vergehen fern und Heil nahe, Erbarmen und Gnade beim Hochthronenden, und dort ewiges Leben! Dort sei auch der Anteil der würdigen Väter und Mütter, Gatten und Gattinnen, Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter und aller Verwandten der hier in Andacht Versammelten, die heimgegangen sind zu ihren Vätern: der Gottesgeist leite sie im Paradiese! Der Allerbarmer lasse seine Gnade über sie walten, berge sie in seinem sichern Schutze, daß sie die Freude in Gott schauen! Friede geleite sie, und auf ihrer Ruhestätte sei Friede, wie es heißt: Der Friede kommt, es ruht auf seinem Lager, der grade wandelte. So mögen sie und alle Frommen in Seligkeit ruhen. Amen!
כׇּל יִשְׂרָאֵל יֵשׁ לָהֶם חֵלֶק לָעוֹלָם הַבָּא· שֶׁנֶּאֱמָר וְעַמֵּךְ כֻּלָּם צַדִּיקִים· לְעוֹלָם יִירְשׁוּ אָרֶץ׃ אַשְׁרֵי מִי שֶׂעֲמָלוֹ בַּתּוֹרָה· וְעֹשֶׂה נַחַת רוּחַ לְיוֹצְרוֹ· גָּדַל בְּשֵׁם טוֹב· וְנִפְטַר בְּשֵׁם טוֹב מִן הָעוֹלָם׃ וְעָלָיו אָמַר שְׁלֹמֹה בְּחׇכְמָתוֹ· טוֹב שֵׁם מִשֶּׁמֶן טוֹב וְיוֹם הַמָּוֶת מִיּוֹם הִוָּלְדוֹ׃ לְמוֹד תּוֹרָה הַרְבֵּה וְיִתְּנוּ לְךָ שָׂכָר הַרְבֵּה· וְדַע מַתַּן שְׂכָרָם שֶׁל צַדִּיקִים לֶעָתִיד לָבֹא:
Wer ein Gott wohlgefälliges Leben führt und des Namens Israel sich würdig erweist, wird des ewigen Lebens teilhaftig, wie es heißt: Wenn das Volk gerecht und fromm ist, dann nimmt es das Land der Ewigkeit in Besitz. Heil dem, der nach der Gotteslehre trachtet, seinem Schöpfer wohlgefällig wirkt, an gutem Namen wächst, mit gutem Namen stirbt; von ihm gilt der weise Spruch: Besser guter Ruf als köstlich Öl und der Todestag besser denn der der Geburt. Strebe fort zur Vervollkommnung, der Lohn im Jenseits wird nicht ausbleiben.
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יִתְגַּדַּל וְיִתְקַדַּשׁ שְׁמֵיהּ רַבָּה· Gem.:) אָמֵן( בְּעָלְמָא דִּי־בְרָא כִרְעוּתֵיהּ וְיַמְלִיךְ מַלְכוּתֵיהּ בְּחַיֵּיכוֹן וּבְיוֹמֵיכוֹן וּבְחַיֵּי דְּכׇל בֵּית יִשְׂרָאֵל· בַּעֲגַלָא וּבִזְמָן קָרִיב וְאִמְרוּ (Gem.:) אָמֵן·
יְהֶא שְׁמֵיהּ רַבָּה מְבָרַךְ לְעָלְמָא וּלְעָלְמֵי עָלְמַיָּא· (Vorb.) יִתְבָּרַךְ וְיִשְׁתַּבַּח וְיִתְפָּאַר וְיִתְרוֹמַם וְיִתְנַשֵּׂא וְיִתְהַדַּר וְיִתְעַלֵּה וְיִתְהַלַּל שְׁמֵהּ דְּקֻדְשָׁא· (Gem.:) בְּרִיךְ הוּא· לְעֵלָּא (וּלְעֵלָּא) מִן כׇּל בִּרְכָתָא וְשִׁירָתָא תֻשְׁבְּחָתָא וְנֶחָמָתָא דַּאֲמִירָן בְּעָלְמָא וְאִמְרוּ (Gem.:) אָמֵן׃
יְהֶא שְׁלָמָא רַבָּא מִן־שְּׁמַיָּא וְחַיִּים עַלֵינו וְעַל כׇּל־יִשְׂרָאֵל וְאִמְרוּ (Gem.:) אָמֵן׃
עוֹשֶׂה שָׁלוֹם בִּמְרוֹמָיו הוּא יַעֲשֶׂה שָׁלוֹם עַלֵינו וְעַל-כׇּל־יִשְׂרָאֵל וְאִמְרוּ (Gem.:) אָמֵן׃
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So sei gepriesen, großer Gott (Gemeinde: Amen!), von den Lippen der Unvollkommenen, wie im Reiche der vollkommenen Geister Dein Name mit Ehrfurcht verkündet wird!
Gemeinde: Amen! Dein Name sei gepriesen hier und dort!
Sei gepriesen, Allgütiger (Gemeinde: Preis Ihm!), für das Leben, das Du uns auf Erden anweisest, wie für das ewige Geistesleben, dem wir entgegengehen! (Gemeinde: Amen!)
Sei gepriesen, Allgütiger, für die Liebe, mit der Du dieses Leben schmückest, für die teuren Anverwandten und Freunde, die Du uns hier geschenkt, deren Geist nun in Deinem Reiche sich erquickt! (Gemeinde: Amen!)
Deine Gnade walte über sie und gebe ihnen freudiges Seelenheil, Deine Gnade walte über uns hienieden, bis wir einst zu ihnen eingehen in Dein ewiges Reich! (Gemeinde: Amen!)
לָכֵן שָׂמַח לִבִּי וַיָּגֶל כְּבוֹדִי, אַף בְּשָׂרִי יִשְׁכֹּן לָבֶטַח׃
כִּי לֹא־תַעֲזֹב נַפְשִׁי לִשְׁאוֹל, לֹא־תִתֵּן חֲסִידְךָ לִרְאוֹת שָׁחַת׃
תּוֹדִיעֵנִי אֹרַח חַיִּים שֹׂבַע שְׂמָחוֹת אֶת־פָּנֶיךָ נְעִמוֹת בִּימִינְךָ נֶצַח׃
Darum freut sich mein Herz, ist fröhlich meine Seele, auch mein Fleisch wird sicher ruhen. Denn nicht überlässest Du meine Seele der Gruft, lässest Deinen Frommen nicht Verwesung schauen. Du zeigst mir an den Pfad des Lebens, Fülle der Freuden vor Deinem Angesichte, Lieblichkeit zu Deiner Rechten ewiglich. (Ps. 16, 9-11.)
Druck von Th. Schatzky A.-G., Breslau.
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