The Project Gutenberg EBook of Winter. Tage., by Kasimir Edschmid

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Title: Winter. Tage.

Author: Kasimir Edschmid

Release Date: September 18, 2012 [EBook #40789]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Produced by Jens Sadowski





Kasimir Edschmid:

WINTER
TAGE.

Für Lisl Steinbrück.

Was machte, Gott, diesen Winter so groß, daß ich noch unter dem Fluch der hellen Monate meine Düsterheit schwerer empfindend, entfernt von ihm, dampfend stehe vor Abenteuer, geladen von Lüsten? Wo begann es? Kann es einen Beginn gehabt haben? Ich weiß es nicht. War es Anfang, als ich die Leopoldstraße hinabging, die Ballone der Lampen verkündend durch messinggrauen Himmel schwangen, die Pappeln hoch die Zeile hinunterrauschten und die Stadt München unter rötlichem Horizont abendlich aufging, aus dem unendlicher Schneefall sank? Hat Glück einen Anfang zeitlich erkennbar oder steht es nur, genossen, eine große Wolke plötzlich hinter uns? Lichter hingen dumpf zwischen den steilen Bäumen. Bahnen summten gedämpft. Seidenweich ward der Himmel und grau.

Wildgeruch von Frauen lag in den Strassen. Dunst der unbegrenzten Möglichkeiten war ausgebreitet. Häuser staunten fremd mit lockender Fassade. Gärten hatten Außergewöhnliches hinter Baum und Weg. Jedes Ding trug das äußere Wesen nur als Maske. Aufreizend wühlte das Herz sich in die Dinge. Frauen liefen lautlos mit warmen Augen. Schlittenschellen klangen entfernt und verwirrten das Ohr. Der weiche Schnee trieb alles verwischend in Vertauschung und unwirkliche Bewegtheit.

Da begannen die des Morgens heftig aufgenommenen Bilder sich der Buntheit der Straße zu vermischen. In die springenden Lichter unter dem schneienden Gitter, das Gebrause der Wagen, die unendlich schweigende Musik des gelassenen Himmels, die dunkelen Schatten der Menschen, die groß die Stege überschwammen, drehten sich in dem Rundlauf der Wirklichkeit schon entrissener Eindrücke: Grecos Entkleidung Christi, Sturm gleich Raketen aufwärts schießender Gesichter, und in der Garbe ihrer Entladung wie Maden erstarrte Angesichte der Frauen . . . und Memlings sieben Freuden Mariä: blaue beseelte Täler, Streiter wohlgemut, aufbrechende Sterne, Mord, Verklärung, Reitende nach der Welt, runder Hügel, auf dem im Kreis Knieende gegen den Horizont beten. War dies der Beginn?, . . . mein Gott.

Tags darauf fuhren wir ins Land, einen Kessel, wie Strahlen umzuckt von Gebirg. Flammend bog die Sonne, rot wie Stierblut, über die Grate. Pfeile stießen die Spitzen ins Blau, es wie ein Meer teilend, das zurückrann. Beilhiebe weißer Abhänge lagen zischend in der Luft. Hinter den Häusern war die Ebene hell mit dem dunklen Gefleck vorgeschobener Heuschober. In amethystenem Kristall stieg der Himmel ziellos.

Abends setzten wir Fripouille in den Kronleuchter. Es war eine weiße schöne Frau gekommen, hell, daß die Adern herausschimmerten, mit silberblondem Haar. Sie lag neben Frau Suzanne ausgestreckt auf dem Diwan, deren Gesicht, spaniolischen Bluts und südfranzösischer Landschaft, schwer, dunkel und wild war. Zwei verschiedenere Frauen gab es nie. Sie schauten in die Höhe, ruhig und träumerisch, wo der Plafond sich zum Fenster neigte, hinter dem Feuer auf die Berge regnete im vollen Abend.

Ich knipse den Leuchter auf, daß zwanzig runde Kugeln des unteren Kranzes rotes Licht in die Bernsteinaugen Fripouilles schleudern. Es ist still. Fripouille öffnet das rosa Maul, faucht und beißt in das Glas. Sein Angoraschwanz, dick wie ein Arm, sträubt sich. Er wirft entsetzt den Kopf nach oben. Da lasse ich die große Glühlampe über ihm aufbrechen, gelbes und betäubendes Licht. Der große Leuchter schwingt entsetzt in die Dämmerung. Kugeln rollen bestürzt fallend durch das Zimmer. Fripouille rennt Karussell durch den Raum. Es ist still. Fripouille schleicht zu Luchs, dem Kaninchen der weißen Frau. Luchs hockt in einem Klumpen, bebt mit dem Maul und spitzt die weißrote Nasenpartie. Er ist schwarz gefleckt, macht einen Satz und läuft voll ungeahnter Bewegung. Fripouille folgt, langsam, zurückhaltend, im Erstaunen den Schwanz senkrecht. Wir lassen eine aufgezogene Maus durch den Teppich rollen. Fripouille ist ein Feuerrad in der Luft, die Augen leuchten wie Quallen. Weich fällt der Leib aus der Schwingung auf das eiserne Tier. Die weiße Frau hebt den nachlässigen Arm vom Diwan herunter und nimmt die Maus. Fripouille wie ein Wappenlöwe mit einer steifen Tatze reißt eine rote Rinne in das weiße Fleisch. Luchs rennt verrückt ins Nebenzimmer. Fripouille folgt. Es ist still. Im Fensterbogen steht der Mond, reißt die Bogen der Berge aus der Dämmerung, spannt sie in die Wucht riesiger Linien, bricht mit Sternhimmel drüber her und leuchtet kalt. Weiße Abschwünge biegen sich wild in das brutale Blau. Fripouille schreit begehrlich. Der Kamin flackert. „Der Kater ist kastriert“, sagt Schüleins helle Stimme. Es ist still. Im oberen Fensterbogen steht die Konstellation von Venus und Jupiter, bengalisch glühend, Seite an Seite. Der Horizont hat einen grünlichen Schimmer. Die anderen Sterne sind blaß.

Wir sind zur Rodelbahn gegangen. Irgendwo aus dem Schnee und dem Berg biegt eine blitzende Linie, ein bestürzendes weißes unerträgliches Licht. Aus diesem silbernen Gestirn schießen dunkel Fahrer auf Fahrer. Wir suchen lange. Ich nehme ein breites Stück aus derbem Holz, stämmig wie eine englische Dogge, mit blinkenden schmalen Kufen. Dann verlieren wir uns hinauf in das kochende Strahlen. Abfahrend oben liegen wir nach hinten, daß die Haare hinter uns fliegen. Wir brechen in die Kurven ein, fühlen berauscht die Sekunde des Schwebens am Grat des Walls und stemmen fliegend in die Bahn. Sie blitzt lang hinunter wie weißblauer Stahl. Zwischen Wällen und Fahnen spritzen wir durch. Gesichter und Farben der aufgereihten Menge kettet sich in eine Orgie zerstäubten Eindrucks in den Vorbeischwung. Wir wachsen an den Rodel. Er zischt einen kleinen Hügel hinauf, hebt sich, glänzt gierig unten mit den schmalen Kufen, wir schweben. Dann prallt er zurück, wir vereinigen uns in nachgebendem Gleiten wilden Rucks mit der Bahn. Wir heben uns toller, reißen die Flanken des Rodels an uns, schwingen einen Bogen in die Luft, tosen zurück. Geschrei steigt neben uns prasselnd auf. Die stählerne Fläche bebt, wir glühen im springenden Sausen wie Bremsen, wir fliegen in das Blau. Die Kufen rasseln in toller Gier auf das Eis. In graziler Kurve erreichen wir die Ebene, flüssiges Nickel, brausen in Rädern aufspritzenden Schnees. Verachtend andere, die lenken mit Fuß und Arm, lachend der Vorsicht des Mittelmaßes, befehlen wir, aufundabrasend die stürzende Fläche, mit dem Hirn. Wir besiegen die entgegenschäumende Wucht der Kurven mit dem Ruck der Lenden. Ganz uns hingebend dem Abschuß, herrschen wir über ihn mit dem Willen. Abstürzend in das betäubende Silber, vor dem das Auge erblindet, wiegen wir uns mit den Hüften hinunter wie im Liebesspiel.

Neben uns sinkt die gewölbte Schale eines anderen Bergs aus Föhren. Dunkle Silhouetten der Skier furchen seine Seite. Morgen werden wir skiern. Wir haben unmäßigen Hunger. Vor dem Holzhaus am Auslauf an gedeckten Tischen bringen Mädchen die Speisen. Plötzlich entsteht eine Bewegung und pflanzt sich fort. Fripouille, einen Kanarienvogel im Maul, den Schwanzbusch aufwärts, schreitet durch die bunte Menge, in stillem Adel, ohne Menschen zu achten, wie durch eine Gasse auf die Eisbahn zu.

Juju kann, wie wir in der Klamm sind, den Kopf nicht heben, der Himmel unendlich hoch ist zu dünn, die Sonne schießt herein. Hier ist ein Riß durch den Berg gegangen, die Wände zittern noch, es schneit. Eishauch schlägt entgegen. Ganz aus unsichtbarer Höhe stürzen Eiszapfen herunter, verwachsen sich wie starres Schlinggewächs und prallen bis an den Wildbach, der Wasserrollen zersplitternd gegen den Stein aufwirft. Der Grat ist schmal und schüssig und taucht in Tunnels. Geschwader von Eis strotzt von oben herunter. Die Sonne in dunklem Rot hängt einen Fackelbogen über den Riß. „Grand Boche“, sagt Juju und gräbt den Daumen in seinen Arm. Er, toll, nimmt Steine und schmeißt sie gegen den Eissturm, der heruntertobt. Doch es gibt wie einen Ball den Stein zurück. Da reißt er einen Eisspeer heraus und läßt die Wärme seiner Hände sich hineinfressen, bis sie ihn zersägt haben. Solange steht er unbeweglich. Juju zieht, während aus der Höhe ein geschmolzener Quader herunterkracht, die gelben Handschuhe aus und biegt ihren Mund in seinen. Aus den Seiten des Bergs wächst Eis wie wucherndes Fleisch in Wunden. Es frißt sich durch die Wände, Knorpel wuchern. Granulationen schießen empor. Auswüchse sperren den Pfad. Berge aus einzelnen Bowisten stülpen sich unzüchtig und schleimblaß, brennend kühl heraus. Quader und Türme formen sich zu massivem Gewächs. Wasserdampf schlägt sich frierend an die Schläfe, heulend wühlt in grünlichen Wirbeln giftig zu Füßen der Bach. Die Sonne kreist bös wie ein Geier, Juju zieht Schuhe und Strümpfe aus und weint vor Tollheit . . . Abends flammt eine Lampe auf, braun verhüllt, und greift vier Gesichter aus dem verschatteten Raum, rötlich, starr, geschliffen — pokernd.

Es schneit drei Tage. Wie ein Leib wälzt sich die Bergseite vor meinem Haus wollüstig aus dem Schneefall. Schneegitter sinkt hüllend zurück. Der spitze Kirchturm quert manchmal die quadratische Fläche eines Hangs. Dann steht der Schneetag unbeweglich wie eine Wand. Der Horizont ist Schneefall und grauweiß. Die einzelnen Häuser bleigegossen hocken steif davor. Wir fahren nach Innsbruck.

Die Bahn klettert greisenhaft, erreicht die Höhe und läßt sich wie eine Taube in schönen Serpentinen die Wände abstreichend gelassenen Zugs ins Tal, das unbeschreiblich voll wallender Sonne liegt. Unsere Herzen lauschen und schlagen in die Südlichkeit betäubend hinein. Hier könnten Olivenbäume stehen.

Wachsgelbes Licht flutet warm wie Meran. Wir zittern. Wir dehnen uns, voll Rausch. Aus allen Fenstern leuchten die guten gelben Äpfel, still und groß. Wir kaufen viele, schmeicheln sie an die Wange und beißen in das süße Fleisch. Wie glücklich wir sind auf der Mitte der Straße. Szlivovicza gießen wir in die Brust, Feuer aus serbischen Pflaumen. Das ist die Stadt greifbarer Sonne, Seligkeit der mittäglichen Straße. Wir sind an den Süden herangerückt, wie alle Fenster leuchten, die Gitter und die Ecken. Wir knien uns mitten auf die Straße und beten die Ruhe an, die Wärme, die gelben Calvilles, den Brunnen, die Verzierung des Likörladens und die unbegreiflich gleich Schneebogen über die Stadt ziehenden Höhen. Demütig stehen wir auf und gehen in die Domkirche zu den bronzenen Königen.

Wir waren stolz diesen Tag, wir hatten Cadix und Limoges im Herzen. Wir gaben Preise aus: Teodorick, kuning der Goot, sanft in die Hüfte geknickter Streiter, schmerzlich ein duldender Engel über das Schwert hingelehnt . . . und Teopertus, kuning zu Provanz, herzog zu Burgundi, der die Fäuste geballt vor sich hin hielt, dessen übermäßige gerüstete Brust die Miniaturen unzähliger Kinder überspielten, der ohne Gesicht den Schnabel des Visiers Gott frech in das milde Antlitz hinaufhielt. Durch Gottes großes Auge fiel Zinnoberlicht. Dem Abend gaben wir uns hin, der verzauberte und verführte, weich und duftend und honigfarbnes Geleucht durch alte Gassen ziehend. O Brunnen, die in den Abend fielen. O Geräusche. Wie nahm unsere Inbrunst die Madonnen über Türen, tanzende Sonne auf dem goldenen Gitter, starre Riesen in gotischer Fassade und die unendliche Tiefe blauwarmer Schatten in den Laubengängen. Wir weinten in den Abend.

Dann fuhren wir zurück in das Land, und es kamen die Berge. Einige standen wie Kegel schwarzseidig allein. Wildere warfen sich entgegen, verwüstet die Rücken, die Brüste zerfleischt. Dann sammelte die Dämmerung sie in Rot, in dem sie unwirklich verschwammen, als wie große Symbole harter Sehnsucht in die Landschaft hinausgeboren von unseren Augen, die noch trauernd im Süden hingen. „Boches mythische Sehnsucht in die Sonne“, lachte die Magyarin. Aber als Schneefall und Dunkel die Berge hinwegnahm und entrückte, da wuchs zu der Trauer eine noch unbändigere Verzweiflung: wir könnten auch das Entsetzlichere, wir könnten auch keine Berge mehr sehen, und steigerte sich tödlich, wie an jenem furchtbaren Abend, als zwischen Colmar und Straßburg auf meiner letzten Fahrt die stahlblauen Rücken der Vogesen wie Tiger von mir weg in die Hölle des feurigen Abends hineinsausten, bis nichts mehr war, als Angst, Verlorenhaben und Einsamkeit.

In der Nacht fuhr ich aus dem Bett. Das Zimmer gleißte. Draußen stemmen sich metallen leuchtend die Berge in das Fensterbild. Der Mond warf feurige Brände herein und heulte Glühflammen durch die eisige Nacht.

Eine schöne Frau ist angekommen mit einem lachsroten großen Mund. Wir haben sie angestaunt und ihr die Hände geküßt. Wie kann man so schön sein, solche Pflege und die Linie solcher Bewegung. Uns donnert nur die Sonne in das Gesicht.

Unser Haaransatz ist silbern gebleicht. Das bronzene Braun der Gesichter hat einen weißen silbernen Unterglanz. Die schöne schmale Frau floß mit einer Rinne dünnen Geruchs nach sich über die Rodelbahn. Sie hatte einen dicken, ganz seltsam einfachen Stock in der Hand. Sie war wie ein Wunder. Die Schlitten sprangen höher vor ihr. Der Wind wehte entgegen, doch die tausend Fahnen drehten sich gegen ihn und flogen auf sie zu. Abends haben wir sie in den seidenen Schuhen zur Bahn im Pferdeschlitten gefahren. Fripouille biß in der Nacht einen Dachshund tot. Ihr Kopf ist gewaltig angeschwollen vor Stolz, halb so groß wie der riesige Albert Steinrücks. Das Leben wäre eine einzige berstende Wildheit, wäre nicht die Stunde des Tees bei der lieben Frau, ihre aus gelben Shawls herauskommende weiße Hand. Mit Stöcken gehen wir den Abend noch spazieren in die Ebene hinter den Häusern.

Hinten auf blaurandigem Grüngrund hebt sich flamingone Röte. Die Berge geben sich ihr grenzenlos hin, verlieren die dritte Dimension und stehen verklärt in Flächigkeit wie Kulissen. In ihrer Mitte aber erscheint, sie alle einordnend in die Beziehung seiner Art, ein Berg, der am Tag sich entzieht. Sie nennen ihn Daniel. Nach oben gestülpt bricht seine Form wüst und herrschend heraus wie die Begehrlichkeit einer wilden Sau.

Das Licht geht Wochen funkelnd über den Himmel. Die Luft wird reiner, unirdischer in der Durchsicht. Alles lebt in einem Taumel nach Sonne. Die Häuser werfen ihr die vollen Balkone der Südfront entgegen und pressen sie wie saftige Brüste langsam ihrem Steigen nach In tropischer Hitze läuft der Mittag über den Schnee. Das Holz der Liegestühle knistert vor Heißem. Wir schwälen und rauchen. Wir sind nun völlig aufgegangen in diesem Leben, voll verschmolzen dieser Umgebung, Landschaft und Winter. Morgens stehen wie mosaische Signale rund im Kreise Säulen feuriger Wolken auf den Spitzen des Gebirgs.

Fünfzehnhundert Meter hoch ist es Mittag. Morgens schon sind wir von hier aus ohne Felle einen hohen Vorsprung auf Harsch hinaufgetanzt, die Breitseiten der Skier eingebohrt, in zickzackigen Linien, die Fesseln ans Zerreißen angedehnt. Wie dunkle Vögel schossen wir ab. In ungeheuren Stemmbogen zogen wir halbe Kreise schwingend über die Seiten. An einem Abgrund rissen wir aus dem Schuß Telemarks heraus, daß die Bergflanken dröhnten. Das Holz zischte unter der Reibung brandig auf. Wir sprangen wie Hirsche, der Ewigkeit zugeneigt, die Erde schmähend, und bissen uns ihr dennoch zurückgleitend wieder ins Genick, wir zogen uns werfend in eine unendlich rauschende Schußfahrt durch die blaue Luft hinunter auf den kleineren Berg.

Nun sind wir fabelhaft faul. Die Sennhütte raucht. Wir haben gespeist. Auf Bänken längs der Holzhütte liegen wir in der Sonne. Schülein tanzt im Schnee, einen roten Shawl um sein Torerogesicht geschlungen. Frau Suzanne trägt seidene schwarze Breeches und weiße Pompiersgamaschen, einen zitronenen Sweater und um das braune Gesicht die schwarze Zipfelmütze der Skierinnen. Wir liegen und schauen zu. Amelie, die Tatarin, lehnt von innen aus der Hütte, ein grünes Tuch um die starken Haare. Ihr Gesicht ist unbeweglich und nur junge Fläche wie vom Anblicken ewigen Horizonts. Sie ist gelassen in ihrer selbstsicheren Bewegung, als hätte sie statt Skiern über die Schulter gekreuzt tagelang Zeltstangen durch die Steppe getragen. Sie raucht kühl musternd eine Zigarette. Nur, als hinter allen Gipfeln mit einem Mal wilde weiße Schaumwolken überkochen und sich abfließend nach der inneren Seite über die Spitzen wälzen, sagt sie: „Aszt a kutya fáját“. Unter ihrem magyarischen Fluche entsteht Stille der elementaren Bewegtheit. Die Sonne ist ungeheuer. Sie schmeißt die Wolken zurück. Schmetternd wie eine Posaune brüllt sie über das Tal.

Sie schwebt in Kreisen wie ein wildes bronzenes Schild und schüttelt Hitze herunter. Es sind nicht Strahlen, Hagel von heißen Blitzen zuckt auf uns. Wir liegen ausgestreckt, die Körper geöffnet, kochenden Blutes. Wir fühlen, wie wir in ihr wachsen und uns entfalten, aufgehoben werden in einer mächtig rauschenden Schwellung. Wir wissen, daß sie uns strafft und groß macht, unsere Adern durchheulend mit Glut, empfinden uns, die Augen geschlossen als Früchte, auseinanderglühend und reifend hinauf zu einem mächtigen Geladensein in Trotz, Stürmischem und Lust zur Sünde.

Suzanne, der Königstiger, springt zuerst in den gebogenen Abhang und verrauscht, eine gelbe pfeifende Linie, im Gebüsch. Ich fahre den Hügel auf der Seite. Der Schnee ist weicher unter der Sonne, ich habe gut gewachst und fliege, Juju fährt nach. ängstlich und zart in den Knien, aber voll furchtbaren Muts. Ich stehe. Sie schießt an. Sie bricht nicht mit Hüftschwung zur Seite. Sie braust nicht starr in Christiania. Sie saust atemlos auf mich. Skischnäbel verwirren sich knirschend, wir prallen aufeinander. Wir fallen glühenden Gesichts miteinander in den weichen bläulichen Schnee.

Auf der Abfahrt standen blühende Weidenkätzchen in Büschen in den weißen Hängen. Ich fing eine Biene mit meinem Haar.

Suzanne ist ganz unten ein kleiner Fleck wie ein laufender Fasan. Wir fahren. Juju hat einen Zweig Hagebutten in der Hand und einen wilden roten Mund voll Blut. Wir gehen blitzhaft in die Knie, durchkufen die Senkung, springen, schweben und werfen uns toll in die Schußfahrt.

Die Nacht legt der Mond einen Hof riesenhaft über die zackigen Räder des Kessels. Die Lawinen brüllen. Die Adern zucken durch unsere Körper.

Wir haben einen Vormittag in alten silbernen Dosen gekramt. Wir sind fromm und schlicht auf der Reichsstraße Italien zu marschiert. Wir hatten Neuschnee, sind in Wolken explodierenden Geflocks wie in unheiligen Flammenscheinen abgefahren. Wir haben ein Haus gesehen in Mittenwald, in dem Goethe wohnte. Wir sind vor der reißenden bestürzenden Zeit erschauert, aber wir haben uns gelangweilt. Wir haben die Liebe Frau besucht. Wir haben nichts gearbeitet. Wir sind verrückt wie Stiere vor Lust. Wir fahren den Abend, um Theater zu sehen, in die bunte Stadt.

Was war uns das: steinerne Straßen, durch die Gefährte jagen, grelle Lichter, die den Himmel auslöschen, deren Sehnsucht gesäugt ist am Löwenton stürzender Lawinen. O unsere Flucht zum englischen Garten, Herden von Schwänen ins Grün gelagert, Mövenschwärme über beschneiten Ufern, Rollen weißen Wassers an den Kanälen. Bäurische Pracht Nymphenburgs, eingeschneit in Safransonne, Tanz von Figuren und Licht an vereisten Wasserstraßen, süße Brust der scheuenden Venus Ganovas.

Dann erst faßte uns die Buntheit der Menschen und der Säle. Wir hörten aus den gemilderten Höllen Advents die noch zu feine süße Stimme Lucy von Jakobis singen. Unda gleißt auf, kaleidoskopischen Blutes, das Weibchen. Paul Marx stößt seinem Partner widerhakende Worte in den Leib, heiser schreiend daran reißend. Es erscheint Kalsers schmale, nur geistige Linie, von Vangogh’schen Verzückungen verklärt, nicht für andere spielend, nicht den Menschen, Gott vielleicht oder dem Mond. Wir sahen den großen Schauspieler Albert Steinrück, Kapitän des Totentanzes, den wir nie vergessen. Als Albert den Säbel auf den Tisch hieb, schlug er die Mitspielenden aus unserem Hirn, sie klebten an der Wand, irr, ausgelöscht. Als er mit nackter Klinge den Bojarentanz sprang, glaubte das Herz, hier sei die obere Grenze des Wilden, nichts könne furchtbarer sein, und erschrak in Zorn. Wenn er schrie, brüllten unsere Zungen stumm mit vor Wonne. Als er aber schweigend die Lichter zündete, wie sein Hirn büffelhaft am Metaphysischen riß, als er stumm nach dem Anfall sich ins Leben mit wüstem Ruck hinaufzwang, da brausten aus der Stille der Bühne reißende Ströme unbegreiflicher Kraft, daß wir geschüttelt uns in ihnen bewegten, entsetzt und niedergeschmissen, und die Herzen der Frauen auf die Knie stürzten.

Aber unsere übergroße Sehnsucht hat uns über azurnen See, aus dem Dampferschaufeln silberne Strahlen wühlten, in das Blau zurückgezogen. In roter Lawine saust unsere furchtbare Sonne durch den geruhigen Himmel. Berge wachsen aus der breiten Erde und liegen weiß an der glänzenden Brust des Horizonts. Luft der großen Dinge weht durch unser Tal. Hier ist nicht Kampf, keine Bedrückung. Hier ist Ruhe und Andacht im wilden Widerhall des Blutes. Hinausströmend uns in das Leben, bleibt keine Besinnung, nur Erwarten, Sehnsucht und Wiedererfassen des Daseins.

Ich habe das Tal verlassen. Herz wuchs sich groß und krampfte unter zu großer Klarheit. Wir sind nicht gemacht, nur um zu leben.

Ich habe die schmetternde Sonne verlassen, freiwillig mich wendend, entsagend, in die arbeitsschwere Einsamkeit der Stadt. Stadt bestürzender Enge, niederen Behagens, wohl genährt, aber ohne Wollust, Stadt Georg Büchners, der ein Schicksal Prüfungen nie gab, klein, feist und bürgerlich und selbst zu feig zur Sünde. Ich hasse ihre Trottoirs, ihre Häuser, Gesichter, ihre Bäume. Doch ich fühle, wie im Zurückströmen der Welt, der ich mich hingab an den Bergen, eine Glut aufwächst im Zorn, die ich schwer entflammt in Arbeit verbrenne. Möge Gott mich an seinen Fingern hinaufreißen an der Welle dieses Gefühls, daß ich, zu den letzten ekstatischen Höllen des Kraters aufsteigend, unser dichterisches Schicksal erfüllend, blutige Worte im Mund den Haß der Vaterstädte aufrufe.

Wie Sie, so sehr liebe Frau, vom Langbalkon Ihres Hauses die hohe Südkette weißer Berge sahen, den glühenden Horizont am Mittag umfassend und das Glas über den Augen unseren Herausbruch aus den Hängen erkennen konnten: Suzannes springende Gerecktheit, Amelies helle Hüftenschleife, Jujus süße Angst, Schülein, den rasenden Skier . . . und leicht vor dem Abend stehend dies tolle Dasein vor sich zerfließen sahen — — so reckt sich manchmal in unbändigerer Vision eine Ebene zu mir herauf in mein fensterloses Zimmer, auf der Figuren starr stehen: Albert wie ein Boxer in schneeiger Straße malend, Lucy von Jakobi blauschwarzen Haares dunkel im Liegestuhl unter rotbraun fallender Sonne, der Schauspieler Marx, die Rätsel erratend, Erna Morenas schönes Lächeln, Schmidtbonn Lola führend, Herzog seltsam sprechend, Alfred Meyers gütiges Gesicht, . . . bis sie beginnen, bewegt in unerhörten Tempen sich zu verwirren und verblassend zu verschwinden. Dann rauscht das Zimmer, und donnernde Musik vom Menschen umschlägt den Entfernten, dem schon der Garten hereinwächst mit März, Tulpe und Gebüsch.

 

 

 

Anmerkung zur Transkription

Quelle: Die weißen Blätter, Rascher & Cie., Zürich, Leipzig, 1916, pp. 162-173.






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Foundation as set forth in Section 3 below.

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work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

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     www.gutenberg.org

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