The Project Gutenberg EBook of Der Abend, by Ferdinand Hardekopf This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Der Abend Ein kleines Gespräch Author: Ferdinand Hardekopf Release Date: July 12, 2012 [EBook #40217] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER ABEND *** Produced by Jens Sadowski
1913
KURT WOLFF VERLAG • LEIPZIG
Dies Buch wurde
gedruckt im Mal 1913 als vierter
Band der Bücherei „Der jüngste Tag“ bei
Poeschel & Trepte in Leipzig
COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1913
FÜR
LUDWIG RUBINER
Ostap und Germaine
überschreiten die Schwelle des Hotelzimmers. Der Herr,
der sie bis dahin geleitet hatte, nach einer Verbeugung,
zieht sich zurück. Kaum sind sie allein, so fliegt Germaine
schräg an Ostaps Brust. Germaine ist 25 Jahre alt.
Ostap ist 30 Jahre alt.
Ostap:
In diesem Zimmer sind die Teppiche rot und tief. Es ist Abend. Hier ist es warm. Das Hotel hat Zentralheizung. Draußen regnet es stark. Das Gepäck ist schon da. Du hast alle deine Parfüms. Du hast deine Bücher. Du hast deine Bilder. Und die Madonnen.
Du wirst deine Knöchel nicht mehr verletzen, wenn du steile Treppen hinaufrennst . . . Warum ranntest du immer so die Treppen hinauf? . . . Mein Kind, vielleicht magst du sehr lange ausruhen. Wir fahren nicht mehr auf der Eisenbahn. Kaffee, Brötchen, Zigaretten kommen ans Bett. Die elektrische Leselampe kommt ans Bett. In diesem Spiegel — —
Ich bin soweit. . . Bei mir geht das rasch . . . Ein Korsett trug ich zuletzt in . . . Krakau. Meine Kleider saßen viel besser. Sie saßen besser an. Aber jetzt trage ich keins mehr. Bei dir habe ich es gut. Ich brauche auch meine Haare nicht zu brennen. Ich darf sie glatt tragen. Du schickst mich nicht hinaus. Aber wenn du willst, will ich sofort in den Regen hinausgehen.
Ostap:
Nein . . . Ich denke daran, wie mißtrauisch gegen mich Madame Chantavoine war, als ich am ersten Abend in euer Haus kam, Rue St. Fiacre im zweiten Arrondissement. Ihr stecktet alle in roten Kleidern. Ich empfand: daß alle Mädchen, die es noch geben würde, rote Kleider tragen würden. Wir sprachen zusammen. Aber wie ich aufstand, da trat Madame sehr schnell vor dich hin und hielt dich zurück. Im Atrium sah ich noch, durch einen hellen Streif, die letzte Welle deines roten Kleides . . . Man schob mich hinaus. An der Tür murmelte die Concierge verächtlich: ich sei ja schon aus vielen Häusern hinausgeworfen worden.
Germaine:
Niemand soll Böses zu dir sagen! . . . Aber du kamst wieder. Du benahmst dich geschickt. Und als ich dich mit aufs Zimmer hinaufnehmen durfte —
. . . da verlangtest du zehn Franks von mir, Geliebte. Soviel wollte ich dir nicht geben. Schließlich sagtest du: „Mein Herr, Sie werden mir soviel geben, wie ich Ihnen wert gewesen sein werde.“ Das tat ich.
Germaine:
War ich zehn Franks wert?
Ostap:
Du warst mehr als zehn Franks wert. — — —
Germaine:
. . . Wir lieben uns ganz innig. Als man dir neulich den Hals schnitt, taten mir die Brüste ebenso weh. Was ich dir gesagt habe, das hat dir noch kein Mädchen gesagt. Und du hast es angenommen! Das weißt du. Wir verschieben es nur noch, nicht wahr? Aber . . . etwas möchte ich gern wissen.
Ostap:
. . . . .
Germaine:
Warum du mich nicht heiratest.
Ostap:
. . . . .
Germaine:
Du brauchst es ja nicht zu tun. Du bist an nichts gebunden. Aber sag’ nur einen Augenblick, daß du es tun willst. Du brauchst es ja nicht zu tun. Es macht mich so namenlos glücklich, wenn du es nur sagst. Du bist an nichts gebunden.
Ostap:
Wir werden uns heiraten.
Germaine:
. . . Wäre es möglich, daß ich dich einst nicht mehr liebte, so könnte ich nicht sagen: „Ich habe dich geliebt.“ Das . . . dächte ich dann nicht mehr aus. Vergangen könnte dies nur sein, wenn ich nicht mehr wüßte, wie süß es war. Wenn ich kein . . . Bewußtsein mehr hätte. Wenn ich . . . nicht mehr Herrin meiner selbst wäre. Sonst wäre es: grauenvoll. Du . . .
Ostap:
Bitte, sprich nicht von mir! Ich komme nicht im geringsten in Betracht! Ich bin ein alter Mann. Ich habe graue Haare. Ich bin . . . dein Publikum. Ich lebe von dem Gifte das du bist. Ich habe nie eine Rolle gespielt. Ich bin ja überglücklich, wenn du totkrank bist, nur damit ich eine Rolle übernehmen darf: in tiefster Seele um dich besorgt zu sein.
Germaine:
Und doch hast du eine Rolle von mir angenommen. Das weißt du. Hättest du sie aber nur gespielt, so wärst du immer noch ein guter Schauspieler. Denn du hast so zu mir gesprochen, wie . . . Lupu Hood nicht zu mir gesprochen hat.
Ostap:
Wo ist Lupu Hood?
Germaine:
Im Zuchthaus.
Ostap:
Was hatte er getan?
Germaine:
. . . . .
Ostap:
Du hast ihn wahnsinnig geliebt.
Germaine:
Ich liebe dich.
Ostap:
. . . Aber vielleicht hast du alles nur gespielt! Alles das, was du für mich tun wolltest. Du warst freigebig, mein Kind. Du sagtest: „Denke dir aus, was ich tun soll. Ich tue alles!“
Germaine:
Das sage ich auch jetzt.
Ostap:
Der Regen kam immer dabei vor. Vielleicht hast du alles nur gespielt!?
Wenn ich es gespielt hätte, hätte ich es dir am anderen Morgen doch gesagt! Was ich dir gesagt habe, ist meine Natur. Eine Zeitlang hatte ich meine Natur vergessen. Du selbst hast mich sie wiedergelehrt. Du sprachst von dreierlei, was man anbete, und was ein jeder deshalb „du“ nennen dürfe: Gott, Könige und die Kokotten. Du sprachst wild. Ich hatte meinen Charakter verloren. Du hast mir meinen Charakter wiedergegeben. Ich fühle es so tief.
Ostap:
. . . (hè), in der Nacht, als du dich plötzlich verändertest. Ich erkannte dich nicht wieder. Deine Augen wurden wasserklar und bleich. Dein Gesicht wurde rein. Da schien mir jeder Atemzug, den du tatest, wie tausend Jahre der Weltgeschichte. Da ward die kleinste Bewegung, die du tatest, eine Revolution . . . Damals erzählte ich dir auch meine . . . armselige Lebensgeschichte.
Germaine:
Ja, Mädchen wie ich bin, denen erzählt man viel.
Ostap:
Bist du denn ein solches Mädchen?
Germaine:
Natürlich! So glaube es doch endlich! . . . Du sollst es gut haben. Du schläfst bis Mittag. Dann komme ich. Kaffee, Brötchen, Zigaretten kommen ans Bett. Du kannst den ganzen Tag im Café sitzen. Wir werden dich alle lieb haben. Du hast mir versprochen, daß du es tun willst.
Ostap:
. . . Wer will mich lieb haben?
Germaine:
Wir Mädchen und unsere Freunde.
Ostap:
. . . Was wollte ich tun?
Germaine:
Nichts tun. Mich tun lassen.
Ostap:
. . . Du sollst alles für mich tun. So tun, daß du es merkst, mein Kind, daß es für mich ist! Amüsant soll das für dich nicht sein! Dein Tun soll ganz gefärbt, ganz . . . entstellt, ganz verzerrt sein von dem Willen, es für mich zu tun. Du sollst die Aufopferung kennen lernen, Germaine!
Germaine:
Ich bin irrsinnig glücklich, Geliebter. Wir sind weithin gereist, aber mir fehlte etwas. Am unendlichen Ozean hatt’ ich nur den einen Wunsch: eingesperrt zu sein in einem Gefängnis oder in einem Haus, wie es das in der Rue St. Fiacre war. In all den vornehmen Hotels hatt’ ich nur den einen Wunsch, von der Polizei verfolgt zu sein mit dir. In jedem Augenblick müßte es draußen klopfen können . . . Wir müßten etwas zusammen getan haben.
Ostap:
. . . Ich fürchte, es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Polizei zu erreichen. Falls man ihr nicht ganz . . . approbierte Themata bietet, rächt sie sich durch eine . . . beleidigende Nichtachtung. Für die Nuancen hat sie kein Organ. Und die . . . Bürger wissen nicht einmal die Verbrechen zu würdigen, die auf ihre eigenen Kosten begangen werden. Das entwaffnet ein bißchen. Schließlich verliert der Abenteuerlustigste die Neigung, jemanden in die Luft zu sprengen, der für den . . . Reiz dieser Operation nicht das geringste Verständnis mitbringt. Deshalb gibt es auf beiden Seiten der Barrikade so wenig Gefahren . . . Du hast recht: wir müssen uns die Gefährdung, die wir brauchen, mit den verzweifeltsten Mitteln fortwährend selbst schaffen.
Germaine:
— — Wie spät ist es?
Ostap
(sieht nach seiner Uhr):
. . . halb zwölf. — Ich kann nur Leute zerstören die fühlen, was das bedeutet.
Germaine:
Oh! schon — Komm, trink Kognak.
(Sie gibt ihm die Flasche.)
Ostap
(trinkt gierig aus der Flasche. — Sie schweigen.)
Ostap:
. . . Ich lebte einmal mit einem Mädchen wie du.
Germaine:
Mon petit loup, das habe ich gemerkt. Wie hieß sie?
Ostap:
Aber ich liebte sie nicht. Das war der Unterschied. Ein; paarmal soupierten wir im Pavillon d’Armenonville. Am nächsten Morgen hatten wir nichts. . . . Sie hieß Suzanne. Ich malte damals in der Art von Matisse. Es galt noch als modern. Wir waren so glücklich, daß ich das Rot aus Suzannes Schminktöpfen als Abendrot auf meine Leinwand schmierte und das Indisch-Gelb aus meinen Tuben als Butter aufs Brot quetschte. Sie hieß Suzanne. Vor mir hatte sie einen Boxer geliebt. Damals war ich glücklich; ich war ja dumm genug dazu.
Germaine
(sich ankleidend):
Trink doch mehr Kognak.
Ostap
(trinkt gierig aus der Flasche):
Du auch.
Germaine
(trinkt gierig aus der Flasche):
Ja. Wir beide denken mehr, als wir sagen.
Ostap:
Ja. Dein Gesicht ist ganz zerdacht. Aber nicht von dir. Von anderen. Dein Gesicht sieht schlimm aus. Es sieht . . . wundervoll aus!
Germaine:
Ja, ich sehe manchmal schlimm aus. Ich habe auch das Schlimme in dir erkannt.
Ostap
(höhnisch):
. . . Du hast dich geirrt, Germaine. Es spricht gegen dich, daß du mich liebst.
(Er trinkt aus der Flasche.)
. . . Ich höre Symphonien, die ich nicht angeordnet habe. Auf dem Teppich die Blumen duften roh . . . Gib mir deine Hand, Germaine, nur einen Augenblick. Mir ist . . .
Wie spät ist es jetzt?
Ostap:
Danke sehr . . . Etwas nach halb zwölf. Warum fragst du danach?
Germaine:
Ach bitte, knöpfe mir die Schuhe zu. Der verdammte Schuhknöpfer ist wieder mal nicht da.
Ostap
(kniet nieder . . . und erhebt sich rasch):
Warum hast du dich angezogen? Warum hast du dich geschminkt? Was soll dies Kleid?
Germaine:
In diesem Kleide habe ich immer Glück gehabt. Laß mich jetzt gehen. Wir treffen uns nachher wieder.
Ostap:
Das nennst du Glück! — Du bleibst hier!
Germaine:
Hast du alles nur gespielt?
Ostap:
Nein. Aber heute abend bleibst du hier! Es ist warm hier. Das Hotel hat Zentralheizung. Da sind 4 . . . 5 . . . 600 Franken. Noch mehr. Bitte, nimm sie.
Das verstehst du nicht. Es muß sein. Ich sehne mich nach Ordnung . . .
(In der Tür:)
Wir treffen uns nachher wieder.
Ostap:
Du kannst das Hotel jetzt unmöglich verlassen. Es ist Mitternacht. . . Ich will mein Leben lang für dich arbeiten.
Germaine:
Das werden wir sehen! . . . — Sei doch vernünftig.
(Sie kommt ins Zimmer zurück und tritt ans Fenster.)
Siehst du? Auf der Place Stanislas gehen die Kavaliere im Regen. Die suchen doch! Es ist Mitternacht. Und ich bin nicht da . . . Ich bin wunderschön! Ich komme. Ich sehne mich nach meinem Charakter. Ich muß in Ordnung kommen.
Ostap
(packt sie am Handgelenk):
Du bleibst hier! Du . . .
Germaine:
So sag’ doch, was ich bin! So sag’ es doch endlich! Du hast es doch tausendmal gesagt! Du hast mich so frech beschimpft, daß ich dachte: „Was ist das für ein Mensch!“ Und jetzt willst du mich einsperren! Ich soll wohl keinen Menschen mehr ansehen dürfen! Mich soll wohl kein Mensch mehr ansehen dürfen! Ich war so gut im Gange. Du hast mich herausgenommen. Aber du hast mir versprochen, daß du mich der Straße zurückgeben wolltest. Ich bin einmal nicht wie die Bürgermädchen, die keine Ehre im Leibe haben. Ich kann ohne Ehre nicht leben! Ich kann meine Zeit nicht verlieren. In diesem Kleid habe ich immer Glück gehabt. — Du hast mir versprochen, daß ich für dich verdienen sollte. Du hast mir versprochen, daß ich meinen Charakter wieder haben sollte. So sei doch endlich, was du sagst! Bei mir ist alles Wirklichkeit. Bei mir langweilt man sich nicht. Du sollst es gut haben. Du schläfst bis Mittag.
Ostap
(läßt Germaines Handgelenk los):
Hast du in deiner Tasche alles, was du brauchst?
Germaine
(erfreut):
Ja.
Ostap:
. . . auch . . .?
Germaine:
Ja!
Ostap:
Wo wollen wir uns treffen?
Um 3 Uhr, im Café de la Régence.
Ostap:
Es regnet ja draußen.
Germaine:
Ja, laß mich in den Regen hinausgehen. Für dich.
(Sie geht an die Tür.)
Ostap:
Du wirst dich erkälten, mein Kind.
Germaine:
Ich erkälte mich nie.
(Sie tritt auf die Schwelle.)
Ostap:
Mein Gott!
Germaine:
Auf Wiedersehen, mein Liebling.
(Sie geht hinaus.)
Ostap:
Nein!
(Er stürzt zur Tür, reißt einen Browning aus der Tasche und feuert zwei Schüsse ab — in einer vagen Richtung. Die Kugeln schlagen in die Wand.)
Germaine
(auf der Treppe):
Laß mich aus diesem Hause hinaus! Laß mich auf die Straße hinaus! . . . Und für einen solchen Jammermenschen habe ich mich interessiert! An einen solchen Feigling habe ich mich weggeworfen! Ich muß ganz von Gott verlassen gewesen sein. Meine erste Dummheit! . . . Gute Nacht.
Ostap:
Hätte die im Mittelalter gelebt, so hätte man sie heilig gesprochen!
(Man hört, wie Germaine die Treppe hinuntereilt. Auf Ostaps Gesicht bildet sich ein feiges, unendlich trauriges Lächeln. Eine Zeitlang bleibt alles still. Dann entsteht Geräusch.)
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