The Project Gutenberg EBook of Römische Geschichte Book 1, by Theodor Mommsen

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Title: Römische Geschichte Book 1

Author: Theodor Mommsen

Release Date: February, 2002 [Etext #3060]
[Most recently updated: January 15, 2020]

Language: German

Character set encoding: UTF-8

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE ***











Römische Geschichte

Erstes Buch
Bis zur Abschaffung des römischen Königtums

von Theodor Mommsen


The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some (ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek words, nor is there any differentiation between the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

Vorrede zu der zweiten Auflage
Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage

Erstes Buch—Bis zur Abschaffung des römischen Königtums
Kapitel I. Einleitung
Kapitel II. Die ältesten Einwanderungen in Italien
Kapitel III. Die Ansiedelungen der Latiner
Kapitel IV. Die Anfänge Roms
Kapitel V. Die ursprüngliche Verfassung Roms
Kapitel VI. Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung
Kapitel VII. Roms Hegemonie in Latium
Kapitel VIII. Die umbrisch-sabellischen Stämme. Anfänge der Samniten
Kapitel IX. Die Etrusker
Kapitel X. Die Hellenen in Italien. Seeherrschaft der Tusker und Karthager
Kapitel XI. Recht und Gericht
Kapitel XII. Religion
Kapitel XIII. Ackerbau, Gewerbe und Verkehr
Kapitel XIV. Mass und Schrift
Kapitel XV. Die Kunst

Vorrede zu der zweiten Auflage

Die neue Auflage der ‘Roemischen Geschichte’ weicht von der frueheren betraechtlich ab. Am meisten gilt dies von den beiden ersten Buechern, welche die ersten fuenf Jahrhunderte des roemischen Staats umfassen. Wo die pragmatische Geschichte beginnt, bestimmt und ordnet sie durch sich selbst Inhalt und Form der Darstellung; fuer die fruehere Epoche sind die Schwierigkeiten, welche die Grenzlosigkeit der Quellenforschung und die Zeit- und Zusammenhanglosigkeit des Materials dem Historiker bereiten, von der Art, dass er schwerlich andern und gewiss sich selber nicht genuegt. Obwohl der Verfasser des vorliegenden Werkes mit diesen Schwierigkeiten der Forschung und der Darstellung ernstlich gerungen hat, ehe er dasselbe dem Publikum vorlegte, so blieb dennoch notwendig, hier noch viel zu tun und viel zu bessern. In diese Auflage ist eine Reihe neu angestellter Untersuchungen, zum Beispiel ueber die staatsrechtliche Stellung der Untertanen Roms, ueber die Entwicklung der dichtenden und bildenden Kuenste, ihren Ergebnissen nach aufgenommen worden. Ueberdies wurden eine Menge kleinerer Luecken ausgefuellt, die Darstellung durchgaengig schaerfer und reichlicher gefasst, die ganze Anordnung klarer und uebersichtlicher gestellt. Es sind ferner im dritten Buche die inneren Verhaeltnisse der roemischen Gemeinde waehrend der Karthagischen Kriege nicht, wie in der ersten Ausgabe, skizzenhaft, sondern mit der durch die Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des Gegenstandes gebotenen Ausfuehrlichkeit behandelt worden.

Der billig Urteilende und wohl am ersten der, welcher aehnliche Aufgaben zu loesen unternommen hat, wird es sich zu erklaeren und also zu entschuldigen wissen, dass es solcher Nachholungen bedurfte. Auf jeden Fall hat der Verfasser es dankbar anzuerkennen, dass das oeffentliche Urteil nicht jene leicht ersichtlichen Luecken und Unfertigkeiten des Buches betont, sondern vielmehr wie den Beifall so auch den Widerspruch auf dasjenige gerichtet hat, darin es abgeschlossen und fertig war.

Im uebrigen hat der Verfasser das Buch aeusserlich bequemer einzurichten sich bemueht. Die Varronische Zaehlung nach Jahren der Stadt ist im Texte beibehalten; die Ziffern am Rande * bezeichnen das entsprechende Jahr vor Christi Geburt. Bei den Jahresgleichungen ist durchgaengig das Jahr 1 der Stadt dem Jahre 753 vor Christi Geburt und dem Olympiadenjahr 6, 4 gleichgesetzt worden; obgleich, wenn die verschiedenen Jahresanfaenge des roemischen Sonnenjahres mit dem 1. Maerz, des griechischen mit dem 1. Juli beruecksichtigt werden, nach genauer Rechnung das Jahr 2 der Stadt den letzten zehn Monaten des Jahres 753 und den zwei ersten des Jahres 752 v. Chr. sowie den vier letzten Monaten von Ol. 6, 3 und den acht ersten von Ol. 6, 4 entsprechen wuerde. Das roemische und griechische Geld ist durchgaengig in der Art reduziert worden, dass Pfundas und Sesterz, Denar und attische Drachme als gleich genommen und fuer alle Summen ueber 100 Denare der heutige Gold-, fuer alle Summen bis zu 100 Denaren der heutige Silberwert des entsprechenden Gewichtsquantums zugrunde gelegt wurde, wobei das roemische Pfund (= 327,45 Gramm) Geld gleich 4000 Sesterzen nach dem Verhaeltnis des Goldes zum Silber 1:15,5 zu 304½ Talern preussisch, der Denar nach Silberwert zu 7 Groschen preussisch angesetzt wird. Die dem ersten Bande beigefuegte Kiepertsche Karte wird die militaerische Konsolidierung Italiens anschaulicher darstellen, als die Erzaehlung es vermag. Die Inhaltsangaben am Rande werden dem Leser die Uebersicht erleichtern. Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis wird dem dritten Bande beigegeben werden **, da anderweitige Obliegenheiten es dem Verfasser unmoeglich machen, das Werk so rasch, wie er es wuenschte, zu foerdern.

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* Hier in Klammern im Text.

** Karte und Register sind hier weggelassen.

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Breslau, im November 1856

Die Aenderungen, welche der Verfasser in dem zweiten und dritten Bande dieses Werkes bei der abermaligen Herausgabe zu machen veranlasst gewesen ist, sind zum groesseren Teil hervorgegangen aus den neu aufgefundenen Fragmenten des Licinianus, welche er durch die zuvorkommende Gefaelligkeit des Herausgebers, Herrn Karl Pertz, bereits vor ihrem Erscheinen in den Aushaengebogen hat einsehen duerfen und die zu unserer lueckenhaften Kunde der Epoche von der Schlacht bei Pydna bis auf den Aufstand des Lepidus manche nicht unwichtige Ergaenzung, freilich auch manches neue Raetsel hinzugefuegt haben.

Breslau, im Mai 1857

Vorrede zu der dritten bis neunten Auflage
Einleitung

Die dritte (vierte, fuenfte, sechste, siebente, achte und neunte) Auflage wird man im ganzen von den vorhergehenden nicht betraechtlich abweichend finden. Kein billiger und sachkundiger Beurteiler wird den Verfasser eines Werkes, wie das vorliegende ist, verpflichtet erachten, fuer dessen neue Auflagen jede inzwischen erschienene Spezialuntersuchung auszunutzen, das heisst zu wiederholen. Was inzwischen aus fremden oder aus eigenen, seit dem Erscheinen der zweiten Auflage angestellten Forschungen sich dem Verfasser als versehen oder verfehlt ergeben hat, ist wie billig berichtet worden; zu einer Umarbeitung groesserer Abschnitte hat sich keine Veranlassung dargeboten. Eine Ausfuehrung ueber die Grundlagen der roemischen Chronologie im vierzehnten Kapitel des dritten Buches ist spaeterhin in umfassender und dem Stoffe angemessener Weise in einer besonderen Schrift (‘Die roemische Chronologie bis auf Caesar’. Zweite Auflage. Berlin 1859) vorgelegt und deshalb hier jetzt auf die kurze Darlegung der Ergebnisse von allgemein geschichtlicher Wichtigkeit eingeschraenkt worden. Im uebrigen ist die Einrichtung nicht veraendert.

Berlin, am 1. Februar 1861; am 29. Dezember 1864; am 11. April 1868; am 4. August 1874; am 21. Juli 1881; am 15. August 1887; am 1. Oktober 1902.

Meinem Freunde
Moritz Haupt
In Berlin

Erstes Buch
Bis zur Abschaffung des römischen Königtums

Τά παλαίστερα σαφώς μέν ευρείν διά χρόνου πλήθος αδύνατα ήν. Εκ δέ τεκμηρίων ων επί μακρότατον σκοπούντί μοι πιστεύσαι ξυμβαίνει ου μεγάλα νομίζω γενέσθαι, ούτε κατά τούς πολέμους οίτε ες τά άλλα.

Die aelteren Begebenheiten liessen sich wegen der Laenge der Zeit nicht genau erforschen; aber aus Zeugnissen, die sich mir bei der Pruefung im grossen Ganzen als verlaesslich erwiesen, glaube ich, dass sie nicht erheblich waren, weder in bezug auf die Kriege noch sonst.

Thukydides

KAPITEL I.
Einleitung

Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den groessten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in betraechtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Voelkerstaemme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehoerig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier grossen Entwicklungsstadien an uns vorueberfaehrt: die Geschichte des koptischen oder aegyptischen Stammes an dem suedlichen Gestade, die der aramaeischen oder syrischen Nation, die die Ostkueste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europaeischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl knuepft jede dieser Geschichten an ihren Anfaengen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlaegt bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten Nationen aber, die diesen grossen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich beruehrt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit ueberhaupt Kulturkreise sich abschliessen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Hoehepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentuemlichen und grossartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfuellt war, bis neue Voelkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspuelt hatten, sich ueber beide Ufer ergossen und, indem sie die Suedkueste geschichtlich trennten von der noerdlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht bloss zufaellig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschliesst an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die aelteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und Voelkerglueck und Voelkerleid im vollen Masse zu erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglueckende Muehe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuss erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorlaeufiges sein; das grossartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfuellen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in hoeherem Sinne neu gestellt wird.

Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes grossen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom noerdlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Sueden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunaechst in suedoestlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen oestlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine hoechste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in suedlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von betraechtlicher Hoehe; nach einer Einsattlung, die eine Huegellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren suedoestlichen und einen steileren suedlichen Hoehenzug und schliesst dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das noerdlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehoert geographisch und bis in sehr spaete Zeit auch historisch nicht zu dem suedlichen Berg- und Huegelland, demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschaeftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das Kuestenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch maessige Paesse verbundene Taeler und Hochebenen einschliessend gewaehrt er selbst den Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstaette, und mehr noch gilt dies von dem oestlich, suedlich und westlich an ihn sich anschliessenden Vor- und Kuestenland. Zwar an der oestlichen Kueste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Ruecken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einfoermiger Flaeche mit schwach entwickelter Kuesten- und Strombildung aus. An der Suedkueste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Huegelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Haefen arm, aber wasserreich und fruchtbar ist. Die Westkueste endlich, ein breites, von bedeutenden Stroemen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Huegel-, Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis suedlich von Kampanien das Vorland allmaehlich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespuelt wird. Ueberdies schliesst, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schoenste und groesste des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil oedes Innere ringsum, vor allem im Osten und Sueden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, grossenteils vulkanischen Kuestenlandes umguertet ist; und wie geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen “Riss” (Ρήγιον) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in aelterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Staemme und der gemeinsame Sitz der gleichen hoeheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemaessigte Temperatur und die gesunde Luft auf den maessig hohen Bergen und im ganzen auch in den Taelern und Ebenen. In der Kuestenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn ueberlegen durch die reichen Flussebenen und die fruchtbaren und kraeuterreichen Bergabhaenge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schoenes Land, das die Taetigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eroeffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade fuer Hellas, so sind die apulischen und messapischen Kuesten fuer Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich doch frueher und enger auf jeder andern Strasse beruehrt als auf der naechsten ueber das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den Bodenverhaeltnissen der geschichtliche Beruf der Voelker vorgezeichnet: die beiden grossen Staemme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach Westen.

Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzaehlt werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst ueber Italien, dann ueber die Welt gewann, so laesst sich doch dies im hoeheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Roemer zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der Italiker, von dem die Roemer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein Zweig sind.

Die italische Geschichte zerfaellt in zwei Hauptabschnitte: in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Fuehrung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefaehrdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung durch Voelker anderer Herkunft und aelterer Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kaempfe der beiden italischen Hauptstaemme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fuenften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten Buecher bilden. Den zweiten Abschnitt eroeffnen die Punischen Kriege; er umfasst die reissend schnelle Ausdehnung des Roemerreiches bis an und ueber Italiens natuerliche Grenzen, den langen Status quo der roemischen Kaiserzeit und das Zusammenstuerzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Buechern erzaehlt werden.

KAPITEL II.
Die ältesten Einwanderungen in Italien

Keine Kunde, ja nicht einmal eine Sage erzaehlt von der ersten Einwanderung des Menschengeschlechts in Italien; vielmehr war im Altertum der Glaube allgemein, dass dort wie ueberall die erste Bevoelkerung dem Boden selbst entsprossen sei. Indes die Entscheidung ueber den Ursprung der verschiedenen Rassen und deren genetische Beziehungen zu den verschiedenen Klimaten bleibt billig dem Naturforscher ueberlassen; geschichtlich ist es weder moeglich noch wichtig festzustellen, ob die aelteste bezeugte Bevoelkerung eines Landes daselbst autochthon oder selbst schon eingewandert ist.

Wohl aber liegt es dem Geschichtsforscher ob, die sukzessive Voelkerschichtung in dem einzelnen Lande darzulegen, um die Steigerung von der unvollkommenen zu der vollkommneren Kultur und die Unterdrueckung der minder kulturfaehigen oder auch nur minder entwickelten Staemme durch hoeher stehende Nationen soweit moeglich rueckwaerts zu verfolgen. Italien indes ist auffallend arm an Denkmaelern der primitiven Epoche und steht in dieser Beziehung in einem bemerkenswerten Gegensatz zu anderen Kulturgebieten. Den Ergebnissen der deutschen Altertumsforschung zufolge muss in England, Frankreich, Norddeutschland und Skandinavien, bevor indogermanische Staemme hier sich ansaessig machten, ein Volk vielleicht tschudischer Rasse gewohnt oder vielmehr gestreift haben, das von Jagd und Fischfang lebte, seine Geraete aus Stein, Ton oder Knochen verfertigte und mit Tierzaehnen und Bernstein sich schmueckte, des Ackerbaues aber und des Gebrauchs der Metalle unkundig war. In aehnlicher Weise ging in Indien der indogermanischen eine minder kulturfaehige dunkelfarbige Bevoelkerung vorauf. In Italien aber begegnen weder Truemmer einer verdraengten Nation, wie im keltisch-germanischen Gebiet die Finnen und Lappen und die schwarzen Staemme in den indischen Gebirgen sind, noch ist daselbst bis jetzt die Verlassenschaft eines verschollenen Urvolkes nachgewiesen worden, wie sie die eigentuemlich gearteten Gerippe, die Mahlzeit- und Grabstaetten der sogenannten Steinepoche des deutschen Altertums zu offenbaren scheinen. Es ist bisher nichts zum Vorschein gekommen, was zu der Annahme berechtigt, dass in Italien die Existenz des Menschengeschlechts aelter sei als die Bebauung des Ackers und das Schmelzen der Metalle; und wenn wirklich innerhalb der Grenzen Italiens das Menschengeschlecht einmal auf der primitiven Kulturstufe gestanden hat, die wir den Zustand der Wildheit zu nennen pflegen, so ist davon doch jede Spur schlechterdings ausgeloescht.

Die Elemente der aeltesten Geschichte sind die Voelkerindividuen, die Staemme. Unter denen, die uns spaeterhin in Italien begegnen, ist von einzelnen, wie von den Hellenen, die Einwanderung, von anderen, wie von den Brettiern und den Bewohnern der sabinischen Landschaft, die Denationalisierung geschichtlich bezeugt. Nach Ausscheidung beider Gattungen bleiben eine Anzahl Staemme uebrig, deren Wanderungen nicht mehr mit dem Zeugnis der Geschichte, sondern hoechstens auf aprioristischem Wege sich nachweisen lassen und deren Nationalitaet nicht nachweislich eine durchgreifende Umgestaltung von aussen her erfahren hat; diese sind es, deren nationale Individualitaet die Forschung zunaechst festzustellen hat. Waeren wir dabei einzig angewiesen auf den wirren Wust der Voelkernamen und der zerruetteten, angeblich geschichtlichen Ueberlieferung, welche aus wenigen brauchbaren Notizen zivilisierter Reisender und einer Masse meistens geringhaltiger Sagen, gewoehnlich ohne Sinn fuer Sage wie fuer Geschichte zusammengesetzt und konventionell fixiert ist, so muesste man die Aufgabe als eine hoffnungslose abweisen. Allein noch fliesst auch fuer uns eine Quelle der Ueberlieferung, welche zwar auch nur Bruchstuecke, aber doch authentische gewaehrt; es sind dies die einheimischen Sprachen der in Italien seit unvordenklicher Zeit ansaessigen Staemme. Ihnen, die mit dem Volke selbst geworden sind, war der Stempel des Werdens zu tief eingepraegt, um durch die nachfolgende Kultur gaenzlich verwischt zu werden. Ist von den italischen Sprachen auch nur eine vollstaendig bekannt, so sind doch von mehreren anderen hinreichende Ueberreste erhalten, um der Geschichtsforschung fuer die Stammverschiedenheit oder Stammverwandtschaft und deren Grade zwischen den einzelnen Sprachen und Voelkern einen Anhalt zu gewaehren.

So lehrt uns die Sprachforschung drei italische Urstaemme unterscheiden, den iapygischen, den etruskischen und den italischen, wie wir ihn nennen wollen, von welchen der letztere in zwei Hauptzweige sich spaltet: das latinische Idiom und dasjenige, dem die Dialekte der Umbrer, Marser, Volsker und Samniten angehoeren.

Von dem iapygischen Stamm haben wir nur geringe Kunde. Im aeussersten Suedosten Italiens, auf der messapischen oder kalabrischen Halbinsel, sind Inschriften in einer eigentuemlichen verschollenen Sprache ^1 in ziemlicher Anzahl gefunden worden, unzweifelhaft Truemmer des Idioms der Iapyger, welche auch die Oberlieferung mit grosser Bestimmtheit von den latinischen und samnitischen Staemmen unterscheidet; glaubwuerdige Angaben und zahlreiche Spuren fuehren dahin, dass die gleiche Sprache und der gleiche Stamm urspruenglich auch in Apulien heimisch war. Was wir von diesem Volke jetzt wissen, genuegt wohl, um dasselbe von den uebrigen Italikern bestimmt zu unterscheiden, nicht aber, um positiv den Platz zu bestimmen, welcher dieser Sprache und diesem Volk in der Geschichte des Menschengeschlechts zukommt. Die Inschriften sind nicht entraetselt, und es ist kaum zu hoffen, dass dies dereinst gelingen wird. Dass der Dialekt den indogermanischen beizuzaehlen ist, scheinen die Genetivformen aihi und ihi entsprechend dem sanskritischen asya, dem griechischen οιο anzudeuten. Andere Kennzeichen, zum Beispiel der Gebrauch der aspirierten Konsonanten und das Vermeiden der Buchstaben m und t im Auslaut, zeigen diesen iapygischen in wesentlicher Verschiedenheit von den italischen und in einer gewissen Uebereinstimmung mit den griechischen Dialekten. Die Annahme einer vorzugsweise engen Verwandtschaft der iapygischen Nation mit den Hellenen findet weitere Unterstuetzung in den auf den Inschriften mehrfach hervortretenden griechischen Goetternamen und in der auffallenden, von der Sproedigkeit der uebrigen italischen Nationen scharf abstechenden Leichtigkeit, mit der die Iapyger sich hellenisierten: Apulien, das noch in Timaeos’ Zeit (400 Roms, [350]) als ein barbarisches Land geschildert wird, ist im sechsten Jahrhundert der Stadt, ohne dass irgendeine unmittelbare Kolonisierung von Griechenland aus dort stattgefunden haette, eine durchaus griechische Landschaft geworden, und selbst bei dem rohen Stamm der Messapier zeigen sich vielfache Ansaetze zu einer analogen Entwicklung. Bei dieser allgemeinen Stamm- oder Wahlverwandtschaft der Iapyger mit den Hellenen, die aber doch keineswegs so weit reicht, dass man die Iapygersprache als einen rohen Dialekt des Hellenischen auffassen koennte, wird die Forschung vorlaeufig wenigstens stehen bleiben muessen, bis ein schaerferes und besser gesichertes Ergebnis zu erreichen steht ^2. Die Luecke ist indes nicht sehr empfindlich; denn nur weichend und verschwindend zeigt sich uns dieser beim Beginn unserer Geschichte schon im Untergehen begriffene Volksstamm. Der wenig widerstandsfaehige, leicht in andere Nationalitaeten sich aufloesende Charakter der iapygischen Nation passt wohl zu der Annahme, welche durch ihre geographische Lage wahrscheinlich gemacht wird, dass dies die aeltesten Einwanderer oder die historischen Autochthonen Italiens sind. Denn unzweifelhaft sind die aeltesten Wanderungen der Voelker alle zu Lande erfolgt; zumal die nach Italien gerichteten, dessen Kueste zur See nur von kundigen Schiffern erreicht werden kann und deshalb noch in Homers Zeit den Hellenen voellig unbekannt war. Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen Nation.

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^1 Ihren Klang moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie θeotoras artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi.

^2 Man hat, freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin, eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten anderseits die Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz Griechenland und namentlich in den noerdlichen Landschaften hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet damit als auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst noch nicht folgen.

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Die Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei Staemmen desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen Volksstamm sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies bei der iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig das italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern, den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse der diesen Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und dass die Epoche, in der sie eine Einheit bildeten, eine verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den Etruskern, aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die haerteren davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den Italikern urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit moeglich beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt erhalten, ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen des Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist begruendet, sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat. Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil der Tempora durch Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird, waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten, haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig, grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst irgendwo durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter.

Diese aus einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben zugleich sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten der Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller italischen wie aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein; denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung Οπικός, die von allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von Iapygern oder Etruskern gebraucht wird.

Innerhalb des italischen Sprachstammes aber tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei, der umbrische und der samnitische oder oskische Dialekt, einigermassen, und auch diese nur in aeusserst lueckenhafter und schwankender Weise bekannt; von den uebrigen Dialekten sind die einen, wie der volskische und der marsische, in zu geringen Truemmern auf uns gekommen, um sie in ihrer Individualitaet zu erfassen oder auch nur die Mundarten selbst mit Sicherheit und Genauigkeit zu klassifizieren, waehrend andere, wie der sabinische, bis auf geringe, als dialektische Eigentuemlichkeiten im provinzialen Latein erhaltene Spuren voellig untergegangen sind. Indes laesst die Kombination der sprachlichen und der historischen Tatsachen daran keinen Zweifel, dass diese saemtlichen Dialekte dem umbrisch-samnitischen Zweig des grossen italischen Stammes angehoert haben, und dass dieser, obwohl dem lateinischen Stamm weit naeher als dem griechischen verwandt, doch auch wieder von ihm aufs bestimmteste sich unterscheidet. Im Fuerwort und sonst haeufig sagte der Samnite und der Umbrer p, wo der Roemer q sprach - so pis fuer quis; ganz wie sich auch sonst nahverwandte Sprachen scheiden, zum Beispiel dem Keltischen in der Bretagne und Wales p, dem Gaelischen und Irischen k eigen ist. In den Vokalen erscheinen die Diphthonge im Lateinischen und ueberhaupt den noerdlichen Dialekten sehr zerstoert, dagegen in den suedlichen italischen Dialekten sie wenig gelitten haben; womit verwandt ist, dass in der Zusammensetzung der Roemer den sonst so streng bewahrten Grundvokal abschwaecht, was nicht geschieht in der verwandten Sprachengruppe. Der Genetiv der Woerter auf a ist in dieser wie bei den Griechen as, bei den Roemern in der ausgebildeten Sprache ae; der der Woerter auf us im Samnitischen eis, im Umbrischen es, bei den Roemern ei; der Lokativ tritt bei diesen im Sprachbewusstsein mehr und mehr zurueck, waehrend er in den andern italischen Dialekten in vollem Gebrauch blieb; der Dativ des Plural auf bus ist nur im Lateinischen vorhanden. Der umbrisch-samnitische Infinitiv auf um ist den Roemern fremd, waehrend das oskisch-umbrische, von der Wurzel es gebildete Futur nach griechischer Art (her-est wie λέγ-σω) bei den Roemern fast, vielleicht ganz verschollen und ersetzt ist durch den Optativ des einfachen Zeitworts oder durch analoge Bildungen von fuo (ama-bo). In vielen dieser Faelle, zum Beispiel in den Kasusformen, sind die Unterschiede indes nur vorhanden fuer die beiderseits ausgebildeten Sprachen, waehrend die Anfaenge zusammenfallen. Wenn also die italische Sprache neben der griechischen selbstaendig steht, so verhaelt sich innerhalb jener die lateinische Mundart zu der umbrisch-samnitischen etwa wie die ionische zur dorischen, waehrend sich die Verschiedenheiten des Oskischen und des Umbrischen und der verwandten Dialekte etwa vergleichen lassen mit denen des Dorismus in Sizilien und in Sparta.

Jede dieser Spracherscheinungen ist Ergebnis und Zeugnis eines historischen Ereignisses. Es laesst sich daraus mit vollkommener Sicherheit erschliessen, dass aus dem gemeinschaftlichen Mutterschoss der Voelker und der Sprachen ein Stamm ausschied, der die Ahnen der Griechen und der Italiker gemeinschaftlich in sich schloss; dass aus diesem alsdann die Italiker sich abzweigten und diese wieder in den westlichen und oestlichen Stamm, der oestliche noch spaeter in Umbrer und Osker auseinander gingen.

Wo und wann diese Scheidungen stattfanden, kann freilich die Sprache nicht lehren, und kaum darf der verwegene Gedanke es versuchen, diesen Revolutionen ahnend zu folgen, von denen die fruehesten unzweifelhaft lange vor derjenigen Einwanderung stattfanden, welche die Stammvaeter der Italiker ueber die Apenninen fuehrte. Dagegen kann die Vergleichung der Sprachen, richtig und vorsichtig behandelt, von demjenigen Kulturgrade, auf dem das Volk sich befand, als jene Trennungen eintraten, ein annaeherndes Bild und damit uns die Anfaenge der Geschichte gewaehren, welche nichts ist als die Entwicklung der Zivilisation. Denn es ist namentlich in der Bildungsepoche die Sprache das treue Bild und Organ der erreichten Kulturstufe; die grossen technischen und sittlichen Revolutionen sind darin wie in einem Archiv aufbewahrt, aus dessen Akten die Zukunft nicht versaeumen wird, fuer jene Zeiten zu schoepfen, aus welchen alle unmittelbare Ueberlieferung verstummt ist.

Waehrend die jetzt getrennten indogermanischen Voelker einen gleichsprachigen Stamm bildeten, erreichten sie einen gewissen Kulturgrad und einen diesem angemessenen Wortschatz, den als gemeinsame Ausstattung in konventionell festgestelltem Gebrauch alle Einzelvoelker uebernahmen, um auf der gegebenen Grundlage selbstaendig weiter zu bauen. Wir finden in diesem Wortschatz nicht bloss die einfachsten Bezeichnungen des Seins, der Taetigkeiten, der Wahrnehmungen wie sum, do, pater, das heisst den urspruenglichen Widerhall des Eindrucks, den die Aussenwelt auf die Brust des Menschen macht, sondern auch eine Anzahl Kulturwoerter nicht bloss ihren Wurzeln nach, sondern in einer gewohnheitsmaessig ausgepraegten Form, welche Gemeingut des indogermanischen Stammes und weder aus gleichmaessiger Entfaltung noch aus spaeterer Entlehnung erklaerbar sind. So besitzen wir Zeugnisse fuer die Entwicklung des Hirtenlebens in jener fernen Epoche in den unabaenderlich fixierten Namen der zahmen Tiere: sanskritisch gâus ist lateinisch bos, griechisch βούς; sanskritisch avis ist lateinisch ovis, griechisch όις; sanskritisch açvas, lateinisch equus, griechisch ίππος; sanskritisch hansas, lateinisch anser, griechisch χήν; sanskritisch âtis, griechisch νήσσα, lateinisch anas; ebenso sind pecus, sus, porcus, taurus, canis sanskritische Woerter. Also schon in dieser fernsten Epoche hatte der Stamm, auf dem von den Tagen Homers bis auf unsere Zeit die geistige Entwicklung der Menschheit beruht, den niedrigsten Kulturgrad der Zivilisation, die Jaeger- und Fischerepoche, ueberschritten und war zu einer wenigstens relativen Stetigkeit der Wohnsitze gelangt. Dagegen fehlt es bis jetzt an sicheren Beweisen dafuer, dass schon damals der Acker gebaut worden ist. Die Sprache spricht eher dagegen als dafuer. Unter den lateinisch-griechischen Getreidenamen kehrt keiner wieder im Sanskrit mit einziger Ausnahme von ζέα, das sprachlich dem sanskritischen yavas entspricht, uebrigens im Indischen die Gerste, im Griechischen den Spelt bezeichnet. Es muss nun freilich zugegeben werden, dass diese von der wesentlichen Uebereinstimmung der Benennungen der Haustiere so scharf abstechende Verschiedenheit in den Namen der Kulturpflanzen eine urspruengliche Gemeinschaft des Ackerbaues noch nicht unbedingt ausschliesst; in primitiven Verhaeltnissen ist die Uebersiedelung und Akklimatisierung der Pflanzen schwieriger als die der Tiere, und der Reisbau der Inder, der Weizen- und Speltbau der Griechen und Roemer, der Roggen- und Haferbau der Germanen und Kelten koennten an sich wohl alle auf einen gemeinschaftlichen urspruenglichen Feldbau zurueckgehen. Aber auf der andern Seite ist die den Griechen und Indern gemeinschaftliche Benennung einer Halmfrucht doch hoechstens ein Beweis dafuer, dass man vor der Scheidung der Staemme die in Mesopotamien wildwachsenden Gersten- und Speltkoerner ^3 sammelte und ass, nicht aber dafuer, dass man schon Getreide baute. Wenn sich hier nach keiner Seite hin eine Entscheidung ergibt, so fuehrt dagegen etwas weiter die Beobachtung, dass eine Anzahl der wichtigsten hier einschlagenden Kulturwoerter im Sanskrit zwar auch, aber durchgaengig in allgemeinerer Bedeutung vorkommen: agras ist bei den Indern ueberhaupt Flur, kûrnu ist das Zerriebene, aritram ist Ruder und Schiff, venas das Anmutige ueberhaupt, namentlich der anmutende Trank. Die Woerter also sind uralt; aber ihre bestimmte Beziehung auf die Ackerflur (ager), auf das zu mahlende Getreide (granum, Korn), auf das Werkzeug, das den Boden furcht wie das Schiff die Meeresflaeche (aratrum), auf den Saft der Weintraube (vinum) war bei der aeltesten Teilung der Staemme noch nicht entwickelt; es kann daher auch nicht wundernehmen, wenn die Beziehungen zum Teil sehr verschieden ausfielen und zum Beispiel von dem sanskritischen kûrnu sowohl das zum Zerreiben bestimmte Korn als auch die zerreibende Muehle, gotisch quairnus, litauisch girnôs ihre Namen empfingen. Wir duerfen darnach als wahrscheinlich annehmen, dass das indogermanische Urvolk den Ackerbau noch nicht kannte, und als gewiss, dass, wenn es ihn kannte, er doch noch in der Volkswirtschaft eine durchaus untergeordnete Rolle spielte; denn waere er damals schon gewesen, was er spaeter den Griechen und Roemern war, so haette er tiefer der Sprache sich eingepraegt, als es geschehen ist.

Dagegen zeugen fuer den Haeuser- und Huettenbau der Indogermanen sanskritisch dam(as), lateinisch domus, griechisch δόμος; sanskritisch vêças, lateinisch vicus, griechisch οίκος; sanskritisch dvaras, lateinisch fores, griechisch θύρα; ferner fuer den Bau von Ruderbooten die Namen des Nachens - sanskritisch nâus, griechisch ναύς, lateinisch navis - und des Ruders - sanskritisch aritram, griechisch ερετμός, lateinisch remus, tri-res-mis; fuer den Gebrauch der Wagen und die Baendigung der Tiere zum Ziehen und Fahren sanskritisch akshas (Achse und Karren), lateinisch axis, griechisch άξων, αμ-αξα; sanskritisch iugam, lateinisch iugum, griechisch ζυγόν. Auch die Benennungen des Kleides - sanskritisch vastra, lateinisch vestis, griechisch εςθής - und des Naehens und Spinnens - sanskritisch siv, lateinisch suo; sanskritisch nah, lateinisch neo, griechisch νήθω - sind in allen indogermanischen Sprachen die gleichen. Von der hoeheren Kunst des Webens laesst dies dagegen nicht in gleicher Weise sich sagen ^4. Dagegen ist wieder die Kunde von der Benutzung des Feuers zur Speisenbereitung und des Salzes zur Wuerzung derselben uraltes Erbgut der indogermanischen Nationen und das gleiche gilt sogar von der Kenntnis der aeltesten zum Werkzeug und zum Zierat von dem Menschen verwandten Metalle. Wenigstens vom Kupfer (aes) und Silber (argentum), vielleicht auch vom Gold kehren die Namen wieder im Sanskrit, und diese Namen sind doch schwerlich entstanden, bevor man gelernt hatte, die Erze zu scheiden und zu verwenden; wie denn auch sanskritisch asis, lateinisch ensis auf den uralten Gebrauch metallener Waffen hinleitet.

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^3 Nordwestlich von Anah am rechten Euphratufer fanden sich zusammen Gerste, Weizen und Spelt im wilden Zustande (Alphonse de Candolle, Géographie botanique raisonnée. Paris 1855. Bd. 2, S. 934). Dasselbe, dass Gerste und Weizen in Mesopotamien wild wachsen, sagt schon der babylonische Geschichtschreiber Berosos (bei Georgios Synkellos p. 50 Bonn.).

^4 Wenn das lateinische vieo, vimen, demselben Stamm angehoert wie unser weben und die verwandten Woerter, so muss das Wort, noch als Griechen und Italiker sich trennten, die allgemeine Bedeutung flechten gehabt haben, und kann diese erst spaeter, wahrscheinlich in verschiedenen Gebieten unabhaengig voneinander, in die des Webens uebergegangen sein. Auch der Leinbau, so alt er ist, reicht nicht bis in diese Zeit zurueck, denn die Inder kennen die Flachspflanze wohl, bedienen sich ihrer aber bis heute nur zur Bereitung des Leinoels. Der Hanf ist den Italikern wohl noch spaeter bekannt geworden als der Flachs; wenigstens sieht cannabis ganz aus wie ein spaetes Lehnwort.

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Nicht minder reichen in diese Zeiten die Fundamentalgedanken zurueck, auf denen die Entwicklung aller indogermanischen Staaten am letzten Ende beruht: die Stellung von Mann und Weib zueinander, die Geschlechtsordnung, das Priestertum des Hausvaters und die Abwesenheit eines eigenen Priesterstandes sowie ueberhaupt einer jeden Kastensonderung, die Sklaverei als rechtliche Institution, die Rechtstage der Gemeinde bei Neumond und Vollmond. Dagegen die positive Ordnung des Gemeinwesens, die Entscheidung zwischen Koenigtum und Gemeindeherrlichkeit, zwischen erblicher Bevorzugung der Koenigs- und Adelsgeschlechter und unbedingter Rechtsgleichheit der Buerger gehoert ueberall einer spaeteren Zeit an. Selbst die Elemente der Wissenschaft und der Religion zeigen Spuren urspruenglicher Gemeinschaft.

Die Zahlen sind dieselben bis hundert (sanskritisch çatam, ékaçatam, lateinisch centum, griechisch ε-κατόν, gotisch hund); der Mond heisst in allen Sprachen davon, dass man nach ihm die Zeit misst (mensis). Wie der Begriff der Gottheit selbst (sanskritisch devas, lateinisch deus, griechisch θεός) gehoeren zum gemeinen Gut der Voelker auch manche der aeltesten Religionsvorstellungen und Naturbilder. Die Auffassung zum Beispiel des Himmels als des Vaters, der Erde als der Mutter der Wesen, die Festzuege der Goetter, die in eigenen Wagen auf sorgsam gebahnten Gleisen von einem Orte zum andern ziehen, die schattenhafte Fortdauer der Seele nach dem Tode sind Grundgedanken der indischen wie der griechischen und roemischen Goetterlehre. Selbst einzelne der Goetter vom Ganges stimmen mit den am Ilissos und am Tiber verehrten bis auf die Namen ueberein - so ist der Uranos der Griechen der Varunas, so der Zeus, Jovis pater, Diespiter der Djâus pitâ der Veden. Auf manche raetselhafte Gestalt der hellenischen Mythologie ist durch die neuesten Forschungen ueber die aeltere indische Goetterlehre ein ungeahntes Licht gefallen. Die altersgrauen geheimnisvollen Gestalten der Erinnyen sind nicht hellenisches Gedicht, sondern schon mit den aeltesten Ansiedlern aus dem Osten eingewandert. Das goettliche Windspiel Saramâ, das dem Herrn des Himmels die goldene Herde der Sterne und Sonnenstrahlen behuetet und ihm die Himmelskuehe, die naehrenden Regenwolken zum Melken zusammentreibt, das aber auch die frommen Toten treulich in die Welt der Seligen geleitet, ist den Griechen zu dem Sohn der Saramâ, dem Saramêyas oder Hermeias geworden, und die raetselhafte, ohne Zweifel auch mit der roemischen Cacussage zusammenhaengende hellenische Erzaehlung von dem Raub der Rinder des Helios erscheint nun als ein letzter unverstandener Nachklang jener alten sinnvollen Naturphantasie.

Wenn die Aufgabe, den Kulturgrad zu bestimmen, den die Indogermanen vor der Scheidung der Staemme erreichten, mehr der allgemeinen Geschichte der alten Welt angehoert, so ist es dagegen speziell Aufgabe der italischen Geschichte, zu ermitteln, soweit es moeglich ist, auf welchem Stande die graecoitalische Nation sich befand, als Hellenen und Italiker sich voneinander schieden. Es ist dies keine ueberfluessige Arbeit; wir gewinnen damit den Anfangspunkt der italischen Zivilisation, den Ausgangspunkt der nationalen Geschichte.

Alle Spuren deuten dahin, dass, waehrend die Indogermanen wahrscheinlich ein Hirtenleben fuehrten und nur etwa die wilde Halmfrucht kannten, die Graecoitaliker ein korn-, vielleicht sogar schon ein weinbauendes Volk waren. Dafuer zeugt nicht gerade die Gemeinschaft des Ackerbaues selbst, die im ganzen noch keineswegs einen Schluss auf alle Voelkergemeinschaft rechtfertigt. Ein geschichtlicher Zusammenhang des indogermanischen Ackerbaus mit dem der chinesischen, aramaeischen und aegyptischen Staemme wird schwerlich in Abrede gestellt werden koennen; und doch sind diese Staemme den Indogermanen entweder stammfremd oder doch zu einer Zeit von ihnen getrennt worden, wo es sicher noch keinen Feldbau gab. Vielmehr haben die hoeher stehenden Staemme vor alters wie heutzutage die Kulturgeraete und Kulturpflanzen bestaendig getauscht; und wenn die Annalen von China den chinesischen Ackerbau auf die unter einem bestimmten Koenig in einem bestimmten Jahr stattgefundene Einfuehrung von fuenf Getreidearten zurueckfuehren, so zeichnet diese Erzaehlung im allgemeinen wenigstens die Verhaeltnisse der aeltesten Kulturepoche ohne Zweifel richtig. Gemeinschaft des Ackerbaus wie Gemeinschaft des Alphabets, der Streitwagen, des Purpurs und andern Geraets und Schmuckes gestattet weit oefter einen Schluss auf alten Voelkerverkehr als auf urspruengliche Volkseinheit. Aber was die Griechen und Italiker anlangt, so darf bei den verhaeltnismaessig wohlbekannten Beziehungen dieser beiden Nationen zueinander die Annahme, dass der Ackerbau, wie Schrift und Muenze, erst durch die Hellenen nach Italien gekommen sei, als voellig unzulaessig bezeichnet werden. Anderseits zeugt fuer den engsten Zusammenhang des beiderseitigen Feldbaus die Gemeinschaftlichkeit aller aeltesten hierher gehoerigen Ausdruecke: ager αγρός, aro aratrum αρόω άροτρον, ligo neben λαχαίνω, hortus χόρτος, hordeum κριθή, milium μελίνη, rapa ραφανίς, malva μαλάχη, vinum οίνος, und ebenso das Zusammentreffen des griechischen und italischen Ackerbaus in der Form des Pfluges, der auf altattischen und roemischen Denkmaelern ganz gleich gebildet vorkommt, in der Wahl der aeltesten Kornarten: Hirse, Gerste, Spelt, in dem Gebrauch, die Aehren mit der Sichel zu schneiden und sie auf der glattgestampften Tenne durch das Vieh austreten zu lassen, endlich in der Bereitungsart des Getreides: puls πόλτος, pinso πτίσσω, mola μύλη, denn das Backen ist juengeren Ursprungs, und wird auch deshalb im roemischen Ritual statt des Brotes stets der Teig oder Brei gebraucht. Dass auch der Weinbau in Italien ueber die aelteste griechische Einwanderung hinausgeht, dafuer spricht die Benennung “Weinland” (Οινοτρία), die bis zu den aeltesten griechischen Anlaendern hinaufzureichen scheint. Danach muss der Uebergang vom Hirtenleben zum Ackerbau oder, genauer gesprochen, die Verbindung des Feldbaus mit der aelteren Weidewirtschaft stattgefunden haben, nachdem die Inder aus dem Mutterschoss der Nationen ausgeschieden waren, aber bevor die Hellenen und die Italiker ihre alte Gemeinsamkeit aufhoben. Uebrigens scheinen, als der Ackerbau aufkam, die Hellenen und Italiker nicht bloss unter sich, sondern auch noch mit anderen Gliedern der grossen Familie zu einem Volksganzen verbunden gewesen zu sein; wenigstens ist es Tatsache, dass die wichtigsten jener Kulturwoerter zwar den asiatischen Gliedern der indogermanischen Voelkerfamilien fremd, aber den Roemern und Griechen mit den keltischen sowohl als mit den deutschen, slawischen, lettischen Staemmen gemeinsam sind ^5. Die Sonderung des gemeinsamen Erbgutes von dem wohlerworbenen Eigen einer jeden Nation in Sitte und Sprache ist noch lange nicht vollstaendig und in aller Mannigfaltigkeit der Gliederungen und Abstufungen durchgefuehrt; die Durchforschung der Sprachen in dieser Beziehung hat kaum begonnen, und auch die Geschichtschreibung entnimmt immer noch ihre Darstellung der Urzeit vorwiegend, statt dem reichen Schacht der Sprachen, vielmehr dem groesstenteils tauben Gestein der Ueberlieferung. Fuer jetzt muss es darum hier genuegen, auf die Unterschiede hinzuweisen zwischen der Kultur der indogermanischen Familie in ihrem aeltesten Beisammensein und zwischen der Kultur derjenigen Epoche, wo die Graecoitaliker noch ungetrennt zusammenlebten; die Unterscheidung der den asiatischen Gliedern dieser Familie fremden, den europaeischen aber gemeinsamen Kulturresultate von denjenigen, welche die einzelnen Gruppen dieser letzteren, wie die griechisch-italische, die deutsch-slawische, jede fuer sich erlangten, kann, wenn ueberhaupt, doch auf jeden Fall erst nach weiter vorgeschrittenen sprachlichen und sachlichen Untersuchungen gemacht werden. Sicher aber ist der Ackerbau fuer die graecoitalische, wie ja fuer alle anderen Nationen auch, der Keim und der Kern des Volks- und Privatlebens geworden und als solcher im Volksbewusstsein geblieben. Das Haus und der feste Herd, den der Ackerbauer sich gruendet anstatt der leichten Huette und der unsteten Feuerstelle des Hirten, werden im geistigen Gebiete dargestellt und idealisiert in der Goettin Vesta oder Εστία, fast der einzigen, die nicht indogermanisch und doch beiden Nationen von Haus aus gemein ist. Eine der aeltesten italischen Stammsagen legt dem Koenig Italus, oder, wie die Italiker gesprochen haben muessen, Vitalus oder Vitulus, die Ueberfuehrung des Volkes vom Hirtenleben zum Ackerbau bei und knuepft sinnig die urspruengliche italische Gesetzgebung daran; nur eine andere Wendung davon ist es, wenn die samnitische Stammsage zum Fuehrer der Urkolonien den Ackerstier macht oder wenn die aeltesten latinischen Volksnamen das Volk bezeichnen als Schnitter (Siculi, auch wohl Sicani) oder als Feldarbeiter (Opsci). Es gehoert zum sagenwidrigen Charakter der sogenannten roemischen Ursprungssage, dass darin ein staedtegruendendes Hirten- und Jaegervolk auftritt: Sage und Glaube, Gesetze und Sitten knuepfen bei den Italikern wie bei den Hellenen durchgaengig an den Ackerbau an ^6.

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^5 So finden sich aro aratrum wieder in dem altdeutschen aran (pfluegen, mundartlich eren), erida, im slawischen orati, oradlo, im litauischen arti, arimnas, im keltischen ar, aradar. So steht neben ligo unser Rechen, neben hortus unser Garten, neben mola unsere Muehle, slawisch mlyn, litauisch malunas, keltisch malirr.

Allen diesen Tatsachen gegenueber wird man es nicht zugeben koennen, dass es eine Zeit gegeben wo die Griechen in allen hellenischen Gauen nur von der Viehzucht gelebt haben. Wenn nicht Grund-, sondern Viehbesitz in Hellas wie in Italien der Ausgangs- und Mittelpunkt alles Privatvermoegens ist, so beruht dies nicht darauf, dass der Ackerbau erst spaeter aufkam, sondern dass er anfaenglich nach dem System der Feldgemeinschaft betrieben ward. Ueberdies versteht es sich von selbst, dass eine reine Ackerbauwirtschaft vor Scheidung der Staemme noch nirgends bestanden haben kann, sondern, je nach der Lokalitaet mehr oder minder, die Viehzucht damit sich in ausgedehnterer Weise verband, als dies spaeter der Fall war.

^6 Nichts ist dafuer bezeichnender als die enge Verknuepfung, in welche die aelteste Kulturepoche den Ackerbau mit der Ehe wie mit der Stadtgruendung setzte. So sind die bei der Ehe zunaechst beteiligten Goetter in Italien die Ceres und (oder?) Tellus (Plut. Rom. 22; Serv. Aen. 4, 166; A. Rossbach, Untersuchungen ueber die roemische Ehe. Stuttgart 1853, S. 257, 301), in Griechenland die Demeter (Plut. coniug. praec. Vorrede), wie denn auch in alten griechischen Formeln die Gewinnung von Kindern selber “Ernte” heisst (Anm. 8); ja die aelteste roemische Eheform, die Confarreatio, entnimmt ihren Namen und ihr Ritual vom Kornbau. Die Verwendung des Pflugs bei der Stadtgruendung ist bekannt.

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Wie der Ackerbau selbst beruhen auch die Bestimmungen der Flaechenmasse und die Weise der Limitation bei beiden Voelkern auf gleicher Grundlage; wie denn das Bauen des Bodens ohne eine wenn auch rohe Vermessung desselben nicht gedacht werden kann. Der oskische und umbrische Vorsus von 100 Fuss ins Gevierte entspricht genau dem griechischen Plethron. Auch das Prinzip der Limitation ist dasselbe. Der Feldmesser orientiert sich nach einer der Himmelsgegenden und zieht also zuerst zwei Linien von Norden nach Sueden und von Osten nach Westen, in deren Schneidepunkt (templum, τέμενος von τέμνω) er steht, alsdann in gewissen festen Abstaenden den Hauptschneidelinien parallele Linien, wodurch eine Reihe rechtwinkeliger Grundstuecke entsteht, deren Ecken die Grenzpfaehle (termini, in sizilischen Inschriften τέρμονες, gewoehnlich όροι) bezeichnen. Diese Limitationsweise, die wohl auch etruskisch, aber schwerlich etruskischen Ursprungs ist, finden wir bei den Roemern, Umbrern, Samniten, aber auch in sehr alten Urkunden der tarentinischen Herakleoten, die sie wahrscheinlich ebensowenig von den Italikern entlehnt haben als diese sie von den Tarentinern, sondern es ist altes Gemeingut. Eigentuemlich roemisch und charakteristisch ist erst die eigensinnige Ausbildung des quadratischen Prinzips, wonach man selbst, wo Fluss und Meer eine natuerliche Grenze machten, diese nicht gelten liess, sondern mit dem letzten vollen Quadrat das zum Eigen verteilte Land abschloss.

Aber nicht bloss im Ackerbau, sondern auch auf den uebrigen Gebieten der aeltesten menschlichen Taetigkeit ist die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Griechen und Italiker unverkennbar. Das griechische Haus, wie Homer es schildert, ist wenig verschieden von demjenigen, das in Italien bestaendig festgehalten ward; das wesentliche Stueck und urspruenglich der ganze innere Wohnraum des lateinischen Hauses ist das Atrium, das heisst das schwarze Gemach mit dem Hausaltar, dem Ehebett, dem Speisetisch und dem Herd, und nichts anderes ist auch das homerische Megaron mit Hausaltar und Herd und schwarzberusster Decke. Nicht dasselbe laesst sich von dem Schiffbau sagen. Der Rudernachen ist altes indogermanisches Gemeingut; der Fortschritt zu Segelschiffen aber gehoert der graecoitalischen Periode schwerlich an, da es keine nicht allgemein indogermanische und doch von Haus aus den Griechen und Italikern gemeinsame Seeausdruecke gibt. Dagegen wird wieder die uralte italische Sitte der gemeinschaftlichen Mittagsmahlzeiten der Bauern, deren Ursprung der Mythus an die Einfuehrung des Ackerbaues anknuepft, von Aristoteles mit den kretischen Syssitien verglichen; und auch darin trafen die aeltesten Roemer mit den Kretern und Lakonen zusammen, dass sie nicht, wie es spaeter bei beiden Voelkern ueblich ward, auf der Bank liegend, sondern sitzend die Speisen genossen. Das Feuerzuenden durch Reiben zweier verschiedenartiger Hoelzer ist allen Voelkern gemein; aber gewiss nicht zufaellig treffen Griechen und Italiker zusammen in den Bezeichnungen der beiden Zuendehoelzer, des “Reibers” (τρύπανον, terebra) und der “Unterlage” (στόρευς εσχάρα, tabula, wohl von tendere, τέταμαι). Ebenso ist die Kleidung beider Voelker wesentlich identisch, denn die Tunika entspricht voellig dem Chiton, und die Toga ist nichts als ein bauschigeres Himation; ja selbst in dem so veraenderlichen Waffenwesen ist wenigstens das beiden Voelkern gemein, dass die beiden Hauptangriffswaffen Wurfspeer und Bogen sind, was roemischerseits in den aeltesten Wehrmannsnamen (pilumni - arquites) deutlich sich ausspricht ^7 und der aeltesten nicht eigentlich auf den Nahkampf berechneten Fechtweise angemessen ist. So geht bei den Griechen und Italikern in Sprache und Sitte zurueck auf dieselben Elemente alles, was die materiellen Grundlagen der menschlichen Existenz betrifft; die aeltesten Aufgaben, die die Erde an den Menschen stellt, sind einstmals von beiden Voelkern, als sie noch eine Nation ausmachten, gemeinschaftlich geloest worden.

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^7 Unter den beiderseits aeltesten Waffennamen werden kaum sicher verwandte aufgezeigt werden koennen: lancea, obwohl ohne Zweifel mit λόγχη zusammenhaengend, ist als roemisches Wort jung und vielleicht von den Deutschen oder Spaniern entlehnt.

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Anders ist es in dem geistigen Gebiet. Die grosse Aufgabe des Menschen, mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit dem Ganzen in bewusster Harmonie zu leben, laesst so viele Loesungen zu, als es Provinzen gibt in unsers Vaters Reich; und auf diesem Gebiet ist es, nicht auf dem materiellen, wo die Charaktere der Individuen und der Voelker sich scheiden. In der graecoitalischen Periode muessen die Anregungen noch gefehlt haben, welche diesen innerlichen Gegensatz hervortreten machten; erst zwischen den Hellenen und den Italikern hat jene tiefe geistige Verschiedenheit sich offenbart, deren Nachwirkung noch bis auf den heutigen Tag sich fortsetzt. Familie und Staat, Religion und Kunst sind in Italien wie in Griechenland so eigentuemlich, so durchaus national entwickelt worden, dass die gemeinschaftliche Grundlage, auf der auch hier beide Voelker fussten, dort und hier ueberwuchert und unsern Augen fast ganz entzogen ist. Jenes hellenische Wesen, das dem Einzelnen das Ganze, der Gemeinde die Nation, dem Buerger die Gemeinde aufopferte, dessen Lebensideal das schoene und gute Sein und nur zu oft der suesse Muessiggang war, dessen politische Entwicklung in der Vertiefung des urspruenglichen Partikularismus der einzelnen Gaue und spaeter sogar in der innerlichen Aufloesung der Gemeindegewalt bestand, dessen religioese Anschauung erst die Goetter zu Menschen machte und dann die Goetter leugnete, das die Glieder entfesselte in dem Spiel der nackten Knaben und dem Gedanken in aller seiner Herrlichkeit und in aller seiner Furchtbarkeit freie Bahn gab; und jenes roemische Wesen, das den Sohn in die Furcht des Vaters, die Buerger in die Furcht des Herrschers, sie alle in die Furcht der Goetter bannte, das nichts forderte und nichts ehrte als die nuetzliche Tat und jeden Buerger zwang, jeden Augenblick des kurzen Lebens mit rastloser Arbeit auszufuellen, das die keusche Verhuellung des Koerpers schon dem Buben zur Pflicht machte, in dem, wer anders sein wollte als die Genossen, ein schlechter Buerger hiess, in dem der Staat alles war und die Erweiterung des Staates der einzige nicht verpoente hohe Gedanke - wer vermag diese scharfen Gegensaetze in Gedanken zurueckzufuehren auf die urspruengliche Einheit, die sie beide umschloss und beide vorbereitete und erzeugte? Es waere toerichte Vermessenheit, diesen Schleier lueften zu wollen; nur mit wenigen Andeutungen soll es versucht werden, die Anfaenge der italischen Nationalitaet und ihre Anknuepfung an eine aeltere Periode zu bezeichnen, um den Ahnungen des einsichtigen Lesers nicht Worte zu leihen, aber die Richtung zu weisen.

Alles, was man das patriarchalische Element im Staate nennen kann, ruht in Griechenland wie in Italien auf denselben Fundamenten. Vor allen Dingen gehoert hierher die sittliche und ehrbare Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ^8, welche dem Manne die Monogamie gebietet und den Ehebruch der Frau schwer ahndet und welche in der hohen Stellung der Mutter innerhalb des haeuslichen Kreises die Ebenbuertigkeit beider Geschlechter und die Heiligkeit der Ehe anerkennt. Dagegen ist die schroffe und gegen die Persoenlichkeit ruecksichtslose Entwicklung der eheherrlichen und mehr noch der vaeterlichen Gewalt den Griechen fremd und italisches Eigen; die sittliche Untertaenigkeit hat erst in Italien sich zur rechtlichen Knechtschaft umgestaltet. In derselben Weise wurde die vollstaendige Rechtlosigkeit des Knechts, wie sie im Wesen der Sklaverei lag, von den Roemern mit erbarmungsloser Strenge festgehalten und in allen ihren Konsequenzen entwickelt; wogegen bei den Griechen frueh tatsaechliche und rechtliche Milderungen stattfanden und zum Beispiel die Sklavenehe als ein gesetzliches Verhaeltnis anerkannt ward.

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^8 Selbst im einzelnen zeigt sich diese Uebereinstimmung, z. B. in der Bezeichnung der rechten Ehe als der zur Gewinnung rechter Kinder abgeschlossenen” (γάμος επί παίδων γνησίων αρότω - matrimonium liberorum quaerendorum causa).

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Auf dem Hause beruht das Geschlecht, das heisst die Gemeinschaft der Nachkommen desselben Stammvaters; und von dem Geschlecht ist bei den Griechen wie den Italikern das staatliche Dasein ausgegangen. Aber wenn in der schwaecheren politischen Entwicklung Griechenlands der Geschlechtsverband als korporative Macht dem Staat gegenueber sich noch weit in die historische Zeit hinein behauptet hat, erscheint der italische Staat sofort insofern fertig, als ihm gegenueber die Geschlechter vollstaendig neutralisiert sind und er nicht die Gemeinschaft der Geschlechter, sondern die Gemeinschaft der Buerger darstellt. Dass dagegen umgekehrt das Individuum dem Geschlecht gegenueber in Griechenland weit frueher und vollstaendiger zur innerlichen Freiheit und eigenartigen Entwicklung gediehen ist als in Rom, spiegelt sich mit grosser Deutlichkeit in der bei beiden Voelkern durchaus verschiedenartigen Entwicklung der urspruenglich doch gleichartigen Eigennamen. In den aelteren griechischen tritt der Geschlechtsname sehr haeufig adjektivisch zum Individualnamen hinzu, waehrend umgekehrt noch die roemischen Gelehrten es wussten, dass ihre Vorfahren urspruenglich nur einen, den spaeteren Vornamen fuehrten. Aber waehrend in Griechenland der adjektivische Geschlechtsname frueh verschwindet, wird er bei den Italikern, und zwar nicht bloss bei den Roemern, zum Hauptnamen, so dass der eigentliche Individualname, das Praenomen, sich ihm unterordnet. Ja es ist, als sollte die geringe und immer mehr zusammenschwindende Zahl und die Bedeutungslosigkeit der italischen, besonders der roemischen Individualnamen, verglichen mit der ueppigen und poetischen Fuelle der griechischen, uns wie im Bilde zeigen, wie dort die Nivellierung, hier die freie Entwicklung der Persoenlichkeit im Wesen der Nation lag.

Ein Zusammenleben in Familiengemeinden unter Stammhaeuptern, wie man es fuer die graecoitalische Periode sich denken mag, mochte den spaeteren italischen wie hellenischen Politien ungleich genug sehen, musste aber dennoch die Anfaenge der beiderseitigen Rechtsbildung notwendig bereits enthalten. Die “Gesetze des Koenigs Italus”, die noch in Aristoteles’ Zeiten angewendet wurden, moegen diese beiden Nationen wesentlich gemeinsamen Institutionen bezeichnen. Frieden und Rechtsfolge innerhalb der Gemeinde, Kriegsstand und Kriegsrecht nach aussen, ein Regiment des Stammhauptes, ein Rat der Alten, Versammlungen der waffenfaehigen Freien, eine gewisse Verfassung muessen in denselben enthalten gewesen sein. Gericht (crimen, κρίνειν), Busse (poena, ποινή), Wiedervergeltung (talio, ταλάω τλήναι) sind graecoitalische Begriffe. Das strenge Schuldrecht, nach welchem der Schuldner fuer die Rueckgabe des Empfangenen zunaechst mit seinem Leibe haftet, ist den Italikern und zum Beispiel den tarentinischen Herakleoten gemeinsam. Die Grundgedanken der roemischen Verfassung - Koenigtum, Senat und eine nur zur Bestaetigung oder Verwerfung der von dem Koenig und dem Senat an sie gebrachten Antraege befugte Volksversammlung - sind kaum irgendwo so scharf ausgesprochen wie in Aristoteles’ Bericht ueber die aeltere Verfassung von Kreta. Die Keime zu groesseren Staatenbuenden in der staatlichen Verbruederung oder gar der Verschmelzung mehrerer bisher selbstaendiger Staemme (Symmachie, Synoikismos) sind gleichfalls beiden Nationen gemein. Es ist auf diese Gemeinsamkeit der Grundlagen hellenischer und italischer Politie um so mehr Gewicht zu legen, als dieselbe sich nicht auch auf die uebrigen indogermanischen Staemme mit erstreckt; wie denn zum Beispiel die deutsche Gemeindeordnung keineswegs wie die der Griechen und Italiker von dem Wahlkoenigtum ausgeht. Wie verschieden aber die auf dieser gleichen Basis in Italien und in Griechenland aufgebauten Politien waren und wie vollstaendig der ganze Verlauf der politischen Entwicklung jeder der beiden Nationen als Sondergut angehoert ^9, wird die weitere Erzaehlung darzulegen haben.

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^9 Nur darf man natuerlich nicht vergessen, dass aehnliche Voraussetzungen ueberall zu aehnlichen Institutionen fuehren. So ist nichts so sicher, als dass die roemischen Plebejer erst innerhalb des roemischen Gemeinwesens erwuchsen, und doch finden sie ueberall ihr Gegenbild, wo neben einer Buerger- eine Insassenschaft sich entwickelt hat. Dass auch der Zufall hier sein neckendes Spiel treibt, versteht sich von selbst.

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Nicht anders ist es in der Religion. Wohl liegt in Italien wie in Hellas dem Volksglauben der gleiche Gemeinschatz symbolischer und allegorisierter Naturanschauungen zugrunde; auf diesem ruht die allgemeine Analogie zwischen der roemischen und der griechischen Goetter- und Geisterwelt, die in spaeteren Entwicklungsstadien so wichtig werden sollte. Auch in zahlreichen Einzelvorstellungen, in der schon erwaehnten Gestalt des Zeus-Diovis und der Hestia-Vesta, in dem Begriff des heiligen Raumes (τέμενος, templum), in manchen Opfern und Zeremonien, stimmten die beiderseitigen Kulte nicht bloss zufaellig ueberein. Aber dennoch gestalteten sie sich in Hellas wie in Italien so vollstaendig national und eigentuemlich, dass selbst von dem alten Erbgut nur weniges in erkennbarer Weise und auch dieses meistenteils unverstanden oder missverstanden bewahrt ward. Es konnte nicht anders sein; denn wie in den Voelkern selbst die grossen Gegensaetze sich schieden, welche die graecoitalische Periode noch in ihrer Unmittelbarkeit zusammengehalten hatte, so schied sich auch in ihrer Religion Begriff und Bild, die bis dahin nur ein Ganzes in der Seele gewesen waren. Jene alten Bauern mochten, wenn die Wolken am Himmel hin gejagt wurden, sich das so ausdruecken, dass die Huendin der Goetter die verscheuchten Kuehe der Herde zusammentreibe; der Grieche vergass es, dass die Kuehe eigentlich die Wolken waren, und machte aus dem bloss fuer einzelne Zwecke gestatteten Sohn der Goetterhuendin den zu allen Diensten bereiten und geschickten Goetterboten. Wenn der Donner in den Bergen rollte, sah er den Zeus auf dem Olymp die Keile schwingen; wenn der blaue Himmel wieder auflaechelte, blickte er in das glaenzende Auge der Tochter des Zeus, Athenaia; und so maechtig lebten ihm die Gestalten, die er sich geschaffen, dass er bald in ihnen nichts sah als vom Glanze der Naturkraft strahlende und getragene Menschen und sie frei nach den Gesetzen der Schoenheit bildete und umbildete. Wohl anders, aber nicht schwaecher offenbarte sich die innige Religiositaet des italischen Stammes, der den Begriff festhielt und es nicht litt, dass die Form ihn verdunkelte. Wie der Grieche, wenn er opfert, die Augen zum Himmel aufschlaegt, so verhuellt der Roemer sein Haupt; denn jenes Gebet ist Anschauung und dieses Gedanke. In der ganzen Natur verehrt er das Geistige und Allgemeine; jedem Wesen, dem Menschen wie dem Baum, dem Staat wie der Vorratskammer, ist der mit ihm entstandene und mit ihm vergehende Geist zugegeben, das Nachbild des Physischen im geistigen Gebiet; dem Mann der maennliche Genius, der Frau die weibliche Juno, der Grenze der Terminus, dem Wald der Silvanus, dem kreisenden Jahr der Vertumnus, und also weiter jedem nach seiner Art. Ja es wird in den Handlungen der einzelne Moment der Taetigkeit vergeistigt; so wird beispielsweise in der Fuerbitte fuer den Landmann angerufen der Geist der Brache, des Ackerns, des Furchens, Saeens, Zudeckens, Eggens und so fort bis zu dem des Einfahrens, Rufspeicherns und des Oeffnens der Scheuer; und in aehnlicher Weise wird Ehe, Geburt und jedes andere physische Ereignis mit heiligem Leben ausgestattet. Je groessere Kreise indes die Abstraktion beschreibt, desto hoeher steigt der Gott und die Ehrfurcht der Menschen; so sind Jupiter und Juno die Abstraktionen der Maennlichkeit und der Weiblichkeit, Dea Dia oder Ceres die schaffende, Minerva die erinnernde Kraft, Dea bona oder, bei den Samniten, Dea cupra die gute Gottheit. Wie den Griechen alles konkret und koerperlich erschien, so konnte der Roemer nur abstrakte, vollkommen durchsichtige Formeln brauchen; und warf der Grieche den alten Sagenschatz der Urzeit deshalb zum groessten Teil weg, weil in deren Gestalten der Begriff noch zu durchsichtig war, so konnte der Roemer ihn noch weniger festhalten, weil ihm die heiligen Gedanken auch durch den leichtesten Schleier der Allegorie sich zu trueben schienen. Nicht einmal von den aeltesten und allgemeinsten Mythen, zum Beispiel der den Indern, Griechen und selbst den Semiten gelaeufigen Erzaehlung von dem nach einer grossen Flut uebriggebliebenen gemeinsamen Stammvater des gegenwaertigen Menschengeschlechts, ist bei den Roemern eine Spur bewahrt worden. Ihre Goetter konnten nicht sich vermaehlen und Kinder zeugen wie die hellenischen; sie wandelten nicht ungesehen unter den Sterblichen und bedurften nicht des Nektars. Aber dass sie dennoch in ihrer Geistigkeit, die nur der platten Auffassung platt erscheint, die Gemueter maechtig und vielleicht maechtiger fassten als die nach dem Bilde des Menschen geschaffenen Goetter von Hellas, davon wuerde, auch wenn die Geschichte schwiege, schon die roemische, dem Worte wie dem Begriffe nach unhellenische Benennung des Glaubens, die “Religio”, das heisst die Bindung, zeugen. Wie Indien und Iran aus einem und demselben Erbschatz jenes die Formenfuelle seiner heiligen Epen, dieses die Abstraktionen des Zendavesta entwickelte, so herrscht auch in der griechischen Mythologie die Person, in der roemischen der Begriff, dort die Freiheit, hier die Notwendigkeit.

Endlich gilt, was von dem Ernst des Lebens, auch von dessen Nachbild in Scherz und Spiel, welche ja ueberall, und am meisten in der aeltesten Zeit des vollen und einfachen Daseins, den Ernst nicht ausschliessen, sondern einhuellen. Die einfachsten Elemente der Kunst sind in Latium und in Hellas durchaus dieselben: der ehrbare Waffentanz, der “Sprung” (triumpus, θρίαμβος, δι-θύραμβος); der Mummenschanz der “vollen Leute” (σάτυροι, satura), die, in Schaf- und Bockfelle gehuellt, mit ihren Spaessen das Fest beschliessen; endlich das Instrument der Floete, das den feierlichen wie den lustigen Tanz mit angemessenen Weisen beherrscht und begleitet. Nirgends vielleicht tritt so deutlich wie hier die vorzugsweise enge Verwandtschaft der Hellenen und der Italiker zu Tage; und dennoch ist die Entwicklung der beiden Nationen in keiner anderen Richtung so weit auseinandergegangen. Die Jugendbildung blieb in Latium gebannt in die engen Schranken der haeuslichen Erziehung; in Griechenland schuf der Drang nach mannigfaltiger und doch harmonischer Bildung des menschlichen Geistes und Koerpers die von der Nation und von den Einzelnen als ihr bestes Gut gepflegten Wissenschaften der Gymnastik und der Paedeia. Latium steht in der Duerftigkeit seiner kuenstlerischen Entwicklung fast auf der Stufe der kulturlosen Voelker; in Hellas ist mit unglaublicher Raschheit aus den religioesen Vorstellungen der Mythos und die Kulturfigur und aus diesen jene Wunderwelt der Poesie und der Bildnerei erwachsen, derengleichen die Geschichte nicht wieder aufzuzeigen hat. In Latium gibt es im oeffentlichen wie im Privatleben keine anderen Maechte als Klugheit, Reichtum und Kraft; den Hellenen war es vorbehalten, die beseligende Uebermacht der Schoenheit zu empfinden, in sinnlich idealer Schwaermerei dem schoenen Knabenfreunde zu dienen und den verlorenen Mut in den Schlachtliedern des goettlichen Saengers wiederzufinden.

So stehen die beiden Nationen, in denen das Altertum sein Hoechstes erreicht hat, ebenso verschieden wie ebenbuertig nebeneinander. Die Vorzuege der Hellenen vor den Italikern sind von allgemeinerer Fasslichkeit und von hellerem Nachglanz; aber das tiefe Gefuehl des Allgemeinen im Besondern, die Hingebung und Aufopferungsfaehigkeit des Einzelnen, der ernste Glaube an die eigenen Goetter ist der reiche Schatz der italischen Nation. Beide Voelker haben sich einseitig entwickelt und darum beide vollkommen; nur engherzige Armseligkeit wird den Athener schmaehen, weil er seine Gemeinde nicht zu gestalten verstand wie die Fabier und Valerier, oder den Roemer, weil er nicht bilden lernte wie Pheidias und dichten wie Aristophanes. Es war eben das Beste und Eigenste des griechischen Volkes, was es ihm unmoeglich machte, von der nationalen Einheit zur politischen fortzuschreiten, ohne doch die Politie zugleich mit der Despotie zu vertauschen. Die ideale Welt der Schoenheit war den Hellenen alles und ersetzte ihnen selbst bis zu einem gewissen Grade, was in der Realitaet ihnen abging; wo immer in Hellas ein Ansatz zu nationaler Einigung hervortritt, beruht dieser nicht auf den unmittelbar politischen Faktoren, sondern auf Spiel und Kunst: nur die olympischen Wettkaempfe, nur die Homerischen Gesaenge, nur die Euripideische Tragoedie hielten Hellas in sich zusammen. Entschlossen gab dagegen der Italiker die Willkuer hin um der Freiheit willen und lernte dem Vater gehorchen, damit er dem Staate zu gehorchen verstaende. Mochte der Einzelne bei dieser Untertaenigkeit verderben und der schoenste menschliche Keim darueber verkuemmern; er gewann dafuer ein Vaterland und ein Vaterlandsgefuehl, wie der Grieche es nie gekannt hat, und errang allein unter allen Kulturvoelkern des Altertums bei einer auf Selbstregiment ruhenden Verfassung die nationale Einheit, die ihm endlich ueber den zersplitterten hellenischen Stamm und ueber den ganzen Erdkreis die Botmaessigkeit in die Hand legte.

KAPITEL III.
Die Ansiedelungen der Latiner

Die Heimat des indogermanischen Stammes ist der westliche Teil Mittelasiens; von dort aus hat er sich teils in suedoestlicher Richtung ueber Indien, teils in nordwestlicher ueber Europa ausgebreitet. Genauer den Ursitz der Indogermanen zu bestimmen, ist schwierig; jedenfalls muss er im Binnenlande und von der See entfernt gewesen sein, da keine Benennung des Meeres dem asiatischen und dem europaeischen Zweige gemeinsam ist. Manche Spuren weisen naeher in die Euphratlandschaften, so dass merkwuerdigerweise die Urheimat der beiden wichtigsten Kulturstaemme, des indogermanischen und des aramaeischen, raeumlich fast zusammenfaellt - eine Unterstuetzung fuer die Annahme einer allerdings fast jenseits aller verfolgbaren Kultur- und Sprachentwicklung liegenden Gemeinschaft auch dieser Voelker. Eine engere Lokalisierung ist ebensowenig moeglich, als es moeglich ist, die einzelnen Staemme auf ihren weiteren Wanderungen zu begleiten. Der europaeische mag noch nach dem Ausscheiden der Inder laengere Zeit in Persien und Armenien verweilt haben; denn allem Anschein nach ist hier die Wiege des Acker- und Weinbaus. Gerste, Spelt und Weizen sind in Mesopotamien, der Weinstock suedlich vom Kaukasus und vom Kaspischen Meer einheimisch; ebenda sind der Pflaumen- und der Nussbaum und andere der leichter zu verpflanzenden Fruchtbaeume zu Hause. Bemerkenswert ist es auch, dass den meisten europaeischen Staemmen, den Lateinern, Kelten, Deutschen und Slawen der Name des Meeres gemeinsam ist; sie muessen also wohl vor ihrer Scheidung die Kueste des Schwarzen oder auch des Kaspischen Meeres erreicht haben. Auf welchem Wege von dort die Italiker an die Alpenkette gelangt sind und wo namentlich sie, allein noch mit den Hellenen vereinigt, gesiedelt haben moegen, laesst sich nur beantworten, wenn es entschieden ist, auf welchem Wege, ob von Kleinasien oder vom Donaugebiet aus, die Hellenen nach Griechenland gelangt sind. Dass die Italiker eben wie die Inder von Norden her in ihre Halbinsel eingewandert sind, darf auf jeden Fall als ausgemacht gelten. Der Zug des umbrisch-sabellischen Stammes auf dem mittleren Bergruecken Italiens in der Richtung von Norden nach Sueden laesst sich noch deutlich verfolgen; ja die letzten Phasen desselben gehoeren der vollkommen historischen Zeit an. Weniger kenntlich ist der Weg, den die latinische Wanderung einschlug. Vermutlich zog sie in aehnlicher Richtung an der Westkueste entlang, wohl lange bevor die ersten sabellischen Staemme aufbrachen; der Strom ueberflutet die Hoehen erst, wenn die Niederungen schon eingenommen sind, und nur, wenn die latinischen Staemme schon vorher an der Kueste sassen, erklaert es sich, dass die Sabeller sich mit den rauheren Gebirgen begnuegten und erst von diesen aus, wo es anging, sich zwischen die latinischen Voelker draengten.

Dass vom linken Ufer des Tiber bis an die volskischen Berge ein latinischer Stamm wohnte, ist allbekannt; diese Berge selbst aber, welche bei der ersten Einwanderung, als noch die Ebenen von Latium und Kampanien offenstanden, verschmaeht worden zu sein scheinen, waren, wie die volskischen Inschriften zeigen, von einem den Sabellern naeher als den Latinern verwandten Stamm besetzt. Dagegen wohnten in Kampanien vor der griechischen und samnitischen Einwanderung wahrscheinlich Latiner; denn die italischen Namen Novla oder Nola (Neustadt), Campani Capua, Volturnus (von volvere wie Iuturna von iuvare), Opsci (Arbeiter) sind nachweislich aelter als der samnitische Einfall und beweisen, dass, als Kyme von den Griechen gegruendet ward, ein italischer und wahrscheinlich latinischer Stamm, die Ausōner, Kampanien innehatten. Auch die Urbewohner der spaeter von den Lucanern und Brettiern bewohnten Landschaften, die eigentlichen Itali (Bewohner des Rinderlandes), werden von den besten Beobachtern nicht zu dem iapygischen, sondern zu dem italischen Stamm gestellt; es ist nichts im Wege, sie dem latinischen Stamm beizuzaehlen, obwohl die noch vor dem Beginn der staatlichen Entwicklung Italiens erfolgte Hellenisierung dieser Gegenden und deren spaetere Ueberflutung durch samnitische Schwaerme die Spuren der aelteren Nationalitaet hier gaenzlich verwischt hat. Auch den gleichfalls verschollenen Stamm der Siculer setzten sehr alte Sagen in Beziehung zu Rom; so erzaehlt der aelteste italische Geschichtschreiber Antiochos von Syrakus, dass zum Koenig Morges von Italia (d. h. der Brettischen Halbinsel) ein Mann Namens Sikelos auf fluechtigem Fuss aus Rom gekommen sei; und es scheinen diese Erzaehlungen zu beruhen auf der von den Berichterstattern wahrgenommenen Stammesgleichheit der Siculer, deren es noch zu Thukydides’ Zeit in Italien gab, und der Latiner. Die auffallende Verwandtschaft einzelner Dialektwoerter des sizilischen Griechisch mit dem Lateinischen erklaert sich zwar wohl nicht aus der alten Sprachgleichheit der Siculer und Roemer, sondern vielmehr aus den alten Handelsverbindungen zwischen Rom und den sizilischen Griechen; nach allen Spuren indes sind nicht bloss die latinische, sondern wahrscheinlich auch die kampanische und lucanische Landschaft, das eigentliche Italia zwischen den Buchten von Tarent und Laos und die oestliche Haelfte von Sizilien, in uralter Zeit von verschiedenen Staemmen der latinischen Nation bewohnt gewesen.

Die Schicksale dieser Staemme waren sehr ungleich. Die in Sizilien, Grossgriechenland und Kampanien angesiedelten kamen mit den Griechen in Beruehrung in einer Epoche, wo sie deren Zivilisation Widerstand zu leisten nicht vermochten, und wurden entweder voellig hellenisiert, wie namentlich in Sizilien, oder doch so geschwaecht, dass sie der frischen Kraft der sabinischen Staemme ohne sonderliche Gegenwehr unterlagen. So sind die Siculer, die Italer und Morgeten, die Ausōner nicht dazu gekommen, eine taetige Rolle in der Geschichte der Halbinsel zu spielen.

Anders war es in Latium, wo griechische Kolonien nicht gegruendet worden sind und es den Einwohnern nach harten Kaempfen gelang, sich gegen die Sabiner wie gegen die noerdlichen Nachbarn zu behaupten. Werfen wir einen Blick auf die Landschaft, die wie keine andere in die Geschicke der alten Welt einzugreifen bestimmt war.

Schon in uraeltester Zeit ist die Ebene von Latium der Schauplatz der grossartigsten Naturkaempfe gewesen, in denen die langsam bildende Kraft des Wassers und die Ausbrueche gewaltiger Vulkane Schicht ueber Schicht schoben desjenigen Bodens, auf dem entschieden werden sollte, welchem Volk die Herrschaft der Erde gehoere. Eingeschlossen im Osten von den Bergen der Sabiner und Aequer, die dem Apennin angehoeren; im Sueden von dem bis zu 4000 Fuss Hoehe ansteigenden volskischen Gebirg, welches von dem Hauptstock des Apennin durch das alte Gebiet der Herniker, die Hochebene des Sacco (Trerus, Nebenfluss des Liris), getrennt ist und von dieser aus sich westlich ziehend mit dem Vorgebirg von Terracina abschliesst; im Westen von dem Meer, das an diesem Gestade nur wenige und geringe Haefen bildet; im Norden in das weite etruskische Huegelland sich verlaufend, breitet eine stattliche Ebene sich aus, durchflossen von dem Tiberis, dem “Bergstrom”, der aus den umbrischen, und dem Anio, der von den sabinischen Bergen herkommt. Inselartig steigen in der Flaeche auf teils die steilen Kalkfelsen des Soracte im Nordosten, des circeischen Vorgebirgs im Suedwesten, sowie die aehnliche, obwohl niedrigere Hoehe des Ianiculum bei Rom; teils vulkanische Erhebungen, deren erloschene Krater zu Seen geworden und zum Teil es noch sind: die bedeutendste unter diesen ist das Albaner Gebirge, das nach allen Seiten frei zwischen den Volskergebirgen und dem Tiberfluss aus der Ebene emporragt.

Hier siedelte der Stamm sich an, den die Geschichte kennt unter dem Namen der Latiner, oder, wie sie spaeter zur Unterscheidung von den ausserhalb dieses Bereichs gegruendeten latinischen Gemeinden genannt werden, der “alten Latiner” (prisci Latini). Allein das von ihnen besetzte Gebiet, die Landschaft Latium, ist nur ein kleiner Teil jener mittelitalischen Ebene. Alles Land noerdlich des Tiber ist den Latinern ein fremdes, ja sogar ein feindliches Gebiet, mit dessen Bewohnern ein ewiges Buendnis, ein Landfriede nicht moeglich war und die Waffenruhe stets auf beschraenkte Zeit abgeschlossen worden zu sein scheint. Die Tibergrenze gegen Norden ist uralt, und weder die Geschichte noch die bessere Sage hat eine Erinnerung davon bewahrt, wie und wann diese folgenreiche Abgrenzung sich festgestellt hat. Die flachen und sumpfigen Strecken suedlich vom Albaner Gebirge finden wir, wo unsere Geschichte beginnt, in den Haenden umbrisch-sabellischer Staemme, der Rutuler und Volsker; schon Ardea und Velitrae sind nicht mehr urspruenglich latinische Staedte. Nur der mittlere Teil jenes Gebietes zwischen dem Tiber, den Vorbergen des Apennin, den Albaner Bergen und dem Meer, ein Gebiet von etwa 34 deutschen Quadratmeilen, wenig groesser als der jetzige Kanton Zuerich, ist das eigentliche Latium, die “Ebene” ^1, wie sie von den Hoehen des Monte Cavo dem Auge sich darstellt. Die Landschaft ist eben, aber nicht flach, mit Ausnahme des sandigen und zum Teil vom Tiber aufgeschwemmten Meeresstrandes wird ueberall die Flaeche unterbrochen durch maessig hohe, oft ziemlich steile Tuffhuegel und tiefe Erdspalten, und diese stets wechselnden Steigungen und Senkungen des Bodens bilden zwischen sich im Winter jene Lachen, deren Verdunsten in der Sommerhitze, namentlich wegen der darin faulenden organischen Substanzen, die boese fieberschwangere Luft entwickelt, welche in alter wie in neuer Zeit im Sommer die Landschaft verpestet. Es ist ein Irrtum, dass diese Miasmen erst durch den Verfall des Ackerbaues entstanden seien, wie ihn das Missregiment des letzten Jahrhunderts der Republik und das der Paepste herbeigefuehrt haben; ihre Ursache liegt vielmehr in dem mangelnden Gefaell des Wassers und wirkt noch heute wie vor Jahrtausenden. Wahr ist es indes, dass bis auf einen gewissen Grad die boese Luft sich bannen laesst durch die Intensitaet der Bodenkultur; wovon die Ursache noch nicht vollstaendig ermittelt ist, zum Teil aber darin liegen wird, dass die Bearbeitung der Oberflaeche das Austrocknen der stehenden Waesser beschleunigt. Immer bleibt die Entstehung einer dichten ackerbauenden Bevoelkerung in Gegenden, die jetzt keine gesunden Bewohner gedeihen lassen und in denen der Reisende nicht gern die Nacht verweilt, wie die latinische Ebene und die Niederungen von Sybaris und Metapont sind, eine fuer uns befremdliche Tatsache. Man muss sich erinnern, dass auf einer niedrigen Kulturstufe das Volk ueberhaupt einen schaerferen Blick hat fuer das, was die Natur erheischt, und eine groessere Fuegsamkeit gegen ihre Gebote, vielleicht auch physisch ein elastischeres Wesen, das dem Boden sich inniger anschmiegt. In Sardinien wird unter ganz aehnlichen natuerlichen Verhaeltnissen der Ackerbau noch heutzutage betrieben; die boese Luft ist wohl vorhanden, allein der Bauer entzieht sich ihren Einfluessen durch Vorsicht in Kleidung, Nahrung und Wahl der Tagesstunden. In der Tat schuetzt vor der Aria cattiva nichts so sicher als das Tragen der Tiervliesse und das lodernde Feuer; woraus sich erklaert, weshalb der roemische Landmann bestaendig in schwere Wollstoffe gekleidet ging und das Feuer auf seinem Herd nicht erloeschen liess. Im uebrigen musste die Landschaft einem einwandernden ackerbauenden Volke einladend erscheinen; der Boden ist leicht mit Hacke und Karst zu bearbeiten und auch ohne Duengung ertragsfaehig, ohne nach italienischem Massstab auffallend ergiebig zu sein; der Weizen gibt durchschnittlich etwa das fuenfte Korn ^2. An gutem Wasser ist kein Ueberfluss; um so hoeher und heiliger hielt die Bevoelkerung jede frische Quelle.

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^1 Wie latus (Seite) und πλατύς (platt); es ist also das Plattland im Gegensatz zu der sabinischen Berglandschaft, wie Campania die “Ebene” den Gegensatz bildet zu Samnium. Lātus, ehemals stlātus gehoert nicht hierher.

^2 Ein franzoesischer Statistiker, Dureau de la Malle (Economie politique des Romains. Bd. 2, S. 226), vergleicht mit der roemischen Campagna die Limagne in Auvergne, gleichfalls eine weite, sehr durchschnittene und ungleiche Ebene, mit einer Bodenoberflaeche aus dekomponierter Lava und Asche den Resten ausgebrannter Vulkane. Die Bevoelkerung, mindestens 2500 Menschen auf die Quadratlieue, ist eine der staerksten, die in rein ackerbauenden Gegenden vorkommt, das Eigentum ungemein zerstueckelt. Der Ackerbau wird fast ganz von Menschenhand beschafft, mit Spaten, Karst oder Hacke; nur ausnahmsweise tritt dafuer der leichte Pflug ein der mit zwei Kuehen bespannt ist und nicht selten spannt an der Stelle der einen sich die Frau des Ackermanns ein. Das Gespann dient zugleich um Milch zu gewinnen und das Land zu bestehen. Man erntet zweimal im Jahre, Korn und Kraut; Brache kommt nicht vor. Der mittlere Pachtzins fuer einen Arpent Ackerland ist 100 Franken jaehrlich. Wuerde dasselbe Land statt dessen unter sechs oder sieben grosse Grundbesitzer verteilt werden wuerden Verwalter- und Tageloehnerwirtschaft an die Stelle des Bewirtschaftens durch kleine Grundeigentuemer treten, so wuerde in hundert Jahren ohne Zweifel die Limagne oede, verlassen und elend sein wie heutzutage die Campagna di Roma.

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Es ist kein Bericht darueber erhalten, wie die Ansiedlungen der Latiner in der Landschaft, welche seitdem ihren Namen trug, erfolgt sind, und wir sind darueber fast allein auf Rueckschluesse angewiesen. Einiges indes laesst sich dennoch erkennen oder mit Wahrscheinlichkeit vermuten.

Die roemische Mark zerfiel in aeltester Zeit in eine Anzahl Geschlechterbezirke, welche spaeterhin benutzt wurden, um dar aus die aeltesten “Landquartiere” (tribus rusticae) zu bilden. Von dem Claudischen Quartier ist es ueberliefert, dass es aus der Ansiedlung der Claudischen Geschlechtsgenossen am Anio erwuchs; und dasselbe geht ebenso sicher fuer die uebrigen Distrikte der aeltesten Einteilung hervor aus ihren Namen. Diese sind nicht, wie die der spaeter hinzugefuegten Distrikte, von Oertlichkeiten entlehnt, sondern ohne Ausnahme von Geschlechternamen gebildet; und es sind die Geschlechter, die den Quartieren der urspruenglichen roemischen Mark die Namen gaben, soweit sie nicht gaenzlich verschollen sind (wie die Camilii, Galerii, Lemonii, Pollii, Pupinii, Voltinii), durchaus die aeltesten roemischen Patrizierfamilien, die Aemilii, Cornelii, Fabii, Horatii, Menenii, Papirii, Romilii, Sergii, Voturii. Bemerkenswert ist es, dass unter all diesen Geschlechtern kein einziges erscheint, das nachweislich erst spaeter nach Rom uebergesiedelt waere. Aehnlich wie der roemische, wird jeder italische und ohne Zweifel auch jeder hellenische Gau von Haus aus in eine Anzahl zugleich oertlich und geschlechtlich vereinigter Genossenschaften zerfallen sein; es ist diese Geschlechtsansiedlung das “Haus” (οικία) der Griechen, aus dem, wie in Rom die Tribus, auch dort sehr haeufig die Komen oder Demen hervorgegangen sind. Die entsprechenden italischen Benennungen “Haus” (vicus) oder “Bezirk” (pagus von pangere) deuten gleichfalls das Zusammensiedeln der Geschlechtsgenossen an und gehen im Sprachgebrauch begreiflicherweise ueber in die Bedeutung Weiler oder Dorf. Wie zu dem Hause ein Acker, so gehoert zu dem Geschlechtshaus oder Dorf eine Geschlechtsmark, die aber, wie spaeter zu zeigen sein wird, bis in verhaeltnismaessig spaete Zeit noch gleichsam als Hausmark, das heisst nach dem System der Feldgemeinschaft bestellt wurde. Ob die Geschlechtshaeuser in Latium selbst sich zu Geschlechtsdoerfern entwickelt haben oder ob die Latiner schon als Geschlechtsgenossenschaften in Latium eingewandert sind, ist eine Frage, auf die wir ebenso wenig eine Antwort haben, als wir zu bestimmen vermoegen, in welcher Weise die Gesamtwirtschaft, welche durch eine derartige Ordnung gefordert wird, sich in Latium gestaltet hat ^3, in wie weit das Geschlecht neben der Abstammung noch auf aeusserlicher Ein- und Zusammenordnung nicht blutsverwandter Individuen mit beruhen mag.

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^3 In Slawonien, wo die patriarchalische Haushaltung bis auf den heutigen Tag festgehalten wird, bleibt die ganze Familie, oft bis zu fuenfzig, ja hundert Koepfen stark, unter den Befehlen des von der ganzen Familie auf Lebenszeit gewaehlten Hausvaters (Goszpodár) in demselben Hause beisammen. Das Vermoegen des Hauses, das hauptsaechlich in Vieh besteht, verwaltet der Hausvater; der Ueberschuss wird nach Familienstaemmen verteilt. Privaterwerb durch Industrie und Handel bleibt Sondereigentum. Austritte aus dem Hause, auch der Maenner, z. B. durch Einheiraten in eine fremde Wirtschaft, kommen vor (Csaplovics, Slawonien und Kroatien. Pest 1839. Bd. 1, S. 106, 179). Bei derartigen Verhaeltnissen, die von den aeltesten roemischen sich nicht allzuweit entfernen moegen, naehert das Haus sich der Gemeinde.

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Von Haus aus aber galten diese Geschlechtsgenossenschaften nicht als selbstaendige Einheiten, sondern als die integrierenden Teile einer politischen Gemeinde (civitas, populus), welche zunaechst auftritt als ein zu gegenseitiger Rechtsfolge und Rechtshilfe und zu Gemeinschaftlichkeit in Abwehr und Angriff verpflichteter Inbegriff einer Anzahl stamm-, sprach- und sittengleicher Geschlechtsdoerfer. An einem festen oertlichen Mittelpunkt konnte es diesem Gau so wenig fehlen wie der Geschlechtsgenossenschaft; da indes die Geschlechts-, das heisst die Gaugenossen in ihren Doerfern wohnten, so konnte der Mittelpunkt des Gaues nicht eine eigentliche Zusammensiedlung, eine Stadt, sondern nur eine gemeine Versammlungsstaette sein, welche die Dingstaette und die gemeinen Heiligtuemer des Gaues in sich schloss, wo die Gaugenossen an jedem achten Tag des Verkehrs wie des Vergnuegens wegen sich zusammenfanden und wo sie im Kriegsfall sich und ihr Vieh vor dem einfallenden Feind sicherer bargen als in den Weilern, die aber uebrigens regelmaessig nicht oder schwach bewohnt war. Ganz aehnliche alte Zufluchtsstaetten sind noch heutzutage in dem Huegellande der Ostschweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Ein solcher Platz heisst in Italien “Hoehe” (capitolium, wie άκρα, das Berghaupt) oder “Wehr” (arx von arcere); er ist noch keine Stadt, aber die Grundlage einer kuenftigen, indem die Haeuser an die Burg sich anschliessen und spaeterhin sich umgeben mit dem “Ringe” (urbs mit urvus, curvus, vielleicht auch mit orbis verwandt). Den aeusserlichen Unterschied zwischen Burg und Stadt gibt die Anzahl der Tore, deren die Burg moeglichst wenige, die Stadt moeglichst viele, jene in der Regel nur ein einziges, diese mindestens drei hat. Auf diesen Befestigungen ruht die vorstaedtische Gauverfassung Italiens, welche in denjenigen italischen Landschaften, die zum staedtischen Zusammensiedeln erst spaet und zum Teil noch bis auf den heutigen Tag nicht vollstaendig gelangt sind, wie im Marserland und in den kleinen Gauen der Abruzzen, noch einigermassen sich erkennen laesst. Die Landschaft der Aequiculer, die noch in der Kaiserzeit nicht in Staedten, sondern in unzaehligen offenen Weilern wohnten, zeigt eine Menge altertuemlicher Mauerringe, die als “veroedete Staedte” mit einzelnen Tempeln das Staunen der roemischen wie der heutigen Archaeologen erregten, von denen jene ihre “Urbewohner” (aborigines), diese ihre Pelasger hier unterbringen zu koennen meinten. Gewiss richtiger wird man in diesen Anlagen nicht ummauerte Staedte erkennen, sondern Zufluchtsstaetten der Markgenossen, wie sie in aelterer Zeit ohne Zweifel in ganz Italien, wenngleich in weniger kunstvoller Weise angelegt, bestanden. Dass in derselben Epoche, wo die zu staedtischen Ansiedlungen uebergegangenen Staemme ihren Staedten steinerne Ringmauern gaben, auch diejenigen Landschaften, die in offenen Weilern zu wohnen fortfuhren, die Erdwaelle und Pfahlwerke ihrer Festungen durch Steinbauten ersetzten, ist natuerlich; als dann in der Zeit des gesicherten Landfriedens man solcher Festungen nicht mehr bedurfte, wurden diese Zufluchtsstaetten verlassen und bald den spaeteren Generationen ein Raetsel.

Jene Gaue also, die in einer Burg ihren Mittelpunkt fanden und eine gewisse Anzahl Geschlechtsgenossenschaften in sich begriffen, sind als die urspruenglichen staatlichen Einheiten der Ausgangspunkt der italischen Geschichte. Indes wo und in welchem Umfang innerhalb Latiums dergleichen Gaue sich bildeten, ist weder mit Bestimmtheit auszumachen noch von besonderem historischen Interesse. Das isolierte Albaner Gebirge, das den Ansiedlern die gesundeste Luft, die frischesten Quellen und die am meisten gesicherte Lage darbot, diese natuerliche Burg Latiums, ist ohne Zweifel von den Ankoemmlingen zuerst besetzt worden. Hier lag denn auch auf der schmalen Hochflaeche oberhalb Palazzuola zwischen dem Albanischen See (Lago di Castello) und dem Albanischen Berg (Monte Cavo) lang hingestreckt Alba, das durchaus als Ursitz des latinischen Stammes und Mutterort Roms sowie aller uebrigen altlatinischen Gemeinden galt; hier an den Abhaengen die uralten latinischen Ortschaften Lanuvium, Aricia und Tusculum. Hier finden sich auch von jenen uralten Bauwerken, welche die Anfaenge der Zivilisation zu bezeichnen pflegen und gleichsam der Nachwelt zum Zeugnis dastehen davon, dass Pallas Athene in der Tat, wenn sie erscheint, erwachsen in die Welt tritt: so die Abschroffung der Felswand unterhalb Alba nach Palazzuola zu, welche den durch die steilen Abhaenge des Monte Cavo nach Sueden zu von Natur unzugaenglichen Ort von Norden her ebenso unnahbar macht und nur die beiden schmalen, leicht zu verteidigenden Zugaenge von Osten und Westen her fuer den Verkehr frei laesst; und vor allem der gewaltige, in die harte, sechstausend Fuss maechtige Lavawand mannshoch gebrochene Stollen, durch welchen der in dem alten Krater des Albaner Gebirges entstandene See bis auf seine jetzige Tiefe abgelassen und fuer den Ackerbau auf dem Berge selbst ein bedeutender Raum gewonnen worden ist.

Natuerliche Festen der latinischen Ebene sind auch die Spitzen der letzten Auslaeufer der Sabinergebirge, wo aus solchen Gauburgen spaeter die ansehnlichen Staedte Tibur und Praeneste hervorgingen. Auch Labici, Gabii und Nomentum in der Ebene zwischen dem Albaner und Sabinergebirge und dem Tiber; Rom am Tiber, Laurentum und Lavinium an der Kueste sind mehr oder minder alte Mittelpunkte latinischer Kolonisation, um von zahlreichen andern, minder namhaften und zum Teil fast verschollenen zu schweigen. Alle diese Gaue waren in aeltester Zeit politisch souveraen und wurden ein jeder von seinem Fuersten unter Mitwirkung des Rates der Alten und der Versammlung der Wehrmaenner regiert. Aber dennoch ging nicht bloss das Gefuehl der Sprach- und Stammgenossenschaft durch diesen ganzen Kreis, sondern es offenbarte sich dasselbe auch in einer wichtigen religioesen und staatlichen Institution, in dem ewigen Bunde der saemtlichen latinischen Gaue. Die Vorstandschaft stand urspruenglich nach allgemeinem italischen wie hellenischen Gebrauch demjenigen Gau zu, in dessen Grenzen die Bundesstaetten lagen; es war dies der Gau von Alba, der ueberhaupt, wie gesagt; als der aelteste und vornehmste der latinischen betrachtet ward. Der berechtigten Gemeinden waren anfaenglich dreissig, wie denn diese Zahl als Summe der Teile eines Gemeinwesens in Griechenland wie in Italien ungemein haeufig begegnet. Welche Ortschaften zu den dreissig altlatinischen Gemeinden oder, wie sie in Beziehung auf die Metropolrechte Albas auch wohl genannt werden, zu den dreissig albanischen Kolonien urspruenglich gezaehlt worden sind, ist nicht ueberliefert und nicht mehr auszumachen. Wie bei den aehnlichen Eidgenossenschaften zum Beispiel der Boeoter und der Ionier die Pamboeotien und Panionien, war der Mittelpunkt dieser Vereinigung das “latinische Fest” (feriae Latinae), an welchem auf dem “Berg von Alba” (mons Albanus, Monte Cavo) an einem alljaehrlich von dem Vorstand dafuer fest gesetzten Tage dem “latinischen Gott” (Iuppiter Latiaris) von dem gesamten Stamm ein Stieropfer dargebracht ward. Zu dem Opferschmaus hatte jede teilnehmende Gemeinde nach festem Satz ein Gewisses an Vieh, Milch und Kaese zu liefern und dagegen von dem Opferbraten ein Stueck zu empfangen. Diese Gebraeuche dauerten fort bis in die spaete Zeit und sind wohlbekannt; ueber die wichtigeren rechtlichen Wirkungen dieser Verbindung dagegen vermoegen wir fast nur Mutmassungen aufzustellen. Seit aeltester Zeit schlossen sich an das religioese Fest auf dem Berg von Alba auch Versammlungen der Vertreter der einzelnen Gemeinden auf der benachbarten latinischen Dingstaette am Quell der Ferentina (bei Marino); und ueberhaupt kann eine solche Eidgenossenschaft nicht gedacht werden ohne eine gewisse Oberverwaltung des Bundes und eine fuer die ganze Landschaft gueltige Rechtsordnung. Dass dem Bunde wegen Verletzung des Bundesrechts eine Gerichtsbarkeit zustand und in diesem Fall selbst auf den Tod erkannt werden konnte, ist ueberliefert und glaublich. Auch die spaetere Rechts- und eine gewisse Ehegemeinschaft der latinischen Gemeinden darf wohl schon als integrierender Teil des aeltesten Bundesrechts gedacht werden, so dass also der Latiner mit der Latinerin rechte Kinder erzielen und in ganz Latium Grundbesitz erwerben und Handel und Wandel treiben konnte. Der Bund mag ferner fuer die Streitigkeiten der Gaue untereinander ein Schieds- und Bundesgericht angeordnet haben; dagegen laesst sich eine eigentliche Beschraenkung des souveraenen Rechts jeder Gemeinde ueber Krieg und Frieden durch den Bund nicht nachweisen. Ebenso leidet es keinen Zweifel, dass mit der Bundesverfassung die Moeglichkeit gegeben war, einen Bundeskrieg abwehrend und selbst angreifend zu fuehren, wobei denn ein Bundesfeldherr, ein Herzog, natuerlich nicht fehlen konnte. Aber wir haben keinen Grund anzunehmen, dass in diesem Fall jede Gemeinde rechtlich gezwungen war, Heeresfolge zu leisten, oder dass es ihr umgekehrt verwehrt war, auf eigene Hand einen Krieg selbst gegen ein Bundesmitglied zu beginnen. Dagegen finden sich Spuren, dass waehrend der latinischen Feier, aehnlich wie waehrend der hellenischen Bundesfeste, ein Gottesfriede in ganz Latium galt ^4 und wahrscheinlich in dieser Zeit auch die verfehdeten Staemme einander sicheres Geleit zugestanden. Noch weniger ist es moeglich, den Umfang der Vorrechte des fuehrenden Gaues zu bestimmen; nur soviel laesst sich sagen, dass keine Ursache vorhanden ist, in der albanischen Vorstandschaft eine wahre politische Hegemonie ueber Latium zu erkennen und dass moeglicher-, ja wahrscheinlicherweise dieselbe nicht mehr in Latium zu bedeuten hatte als die elische Ehrenvorstandschaft in Griechenland ^5. Ueberhaupt war der Umfang wie der Rechtsinhalt dieses latinischen Bundes vermutlich lose und wandelbar; doch war und blieb er nicht ein zufaelliges Aggregat verschiedener, mehr oder minder einander fremder Gemeinden, sondern der rechtliche und notwendige Ausdruck des latinischen Stammes. Wenn der latinische Bund nicht zu allen Zeiten alle latinische Gemeinden umfasst haben mag, so hat er doch zu keiner Zeit einer nicht latinischen die Mitgliedschaft gewaehrt - sein Gegenbild in Griechenland ist nicht die delphische Amphiktyonie, sondern die boeotische oder aetolische Eidgenossenschaft.

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^4 Das latinische Fest wird geradezu Waffenstillstand” (indutiae Macr. Sat. 1, 16; εκεχερίαι Dion. Hal. 4, 49) genannt, und es war nicht erlaubt, waehrend desselben einen Krieg zu beginnen (Macr. a.a.O.).

^5 Die oft in alter und neuer Zeit aufgestellte Behauptung, dass Alba einstmals in den Formen der Symmachie ueber Latium geherrscht habe, findet bei genauerer Untersuchung nirgends ausreichende Unterstuetzung. Alle Geschichte geht nicht von der Einigung, sondern von der Zersplitterung der Nation aus, und es ist sehr wenig wahrscheinlich, dass das Problem, das Rom nach manchem durchkaempften Jahrhundert endlich loeste, die Einigung Latiums, schon vorher einmal durch Alba geloest worden sei. Auch ist es bemerkenswert, dass Rom niemals als Erbin Albas eigentliche Herrschaftsansprueche gegen die latinischen Gemeinden geltend gemacht, sondern mit einer Ehrenvorstandschaft sich begnuegt hat, die freilich, als sie mit der materiellen Macht sich vereinigte, fuer die hegemonischen Ansprueche Roms eine Handhabe gewaehrte. Von eigentlichen Zeugnissen kann bei einer Frage, wie diese ist, ueberall kaum die Rede sein; und am wenigsten reichen Stellen wie Fest. v. praetor p. 241 und Dion. Hal. 3, 10 aus, um Alba zum latinischen Athen zu stempeln.

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Diese allgemeinen Umrisse muessen genuegen; ein jeder Versuch, die Linien schaerfer zu ziehen, wuerde das Bild nur verfaelschen. Das mannigfache Spiel, wie die aeltesten politischen Atome, die Gaue, sich in Latium gesucht und geflohen haben moegen, ist ohne berichtfaehige Zeugen voruebergegangen, und es muss genuegen, das Eine und Bleibende darin festzuhalten, dass sie in einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zwar nicht ihre Einheitlichkeit aufgaben, aber doch das Gefuehl der nationalen Zusammengehoerigkeit hegten und steigerten und damit den Fortschritt vorbereiteten von dem kantonalen Partikularismus, mit dem jede Volksgeschichte anhebt und anheben mass, zu der nationalen Einigung, mit der jede Volksgeschichte endigt oder doch endigen sollte.

KAPITEL IV.
Die Anfänge Roms

Etwa drei deutsche Meilen von der Muendung des Tiberflusses stromaufwaerts erheben sich an beiden Ufern desselben maessige Huegel, hoehere auf dem rechten, niedrigere auf dem linken; an den letzteren haftet seit mindestens dritthalbtausend Jahren der Name der Roemer. Es laesst sich natuerlich nicht angeben, wie und wann er aufgekommen ist; sicher ist nur, dass in der aeltesten uns bekannten Namensform die Gaugenossen Ramner (Ramnes) heissen, nicht Romaner; und diese der aelteren Sprachperiode gelaeufige, dem Lateinischen aber in frueher Zeit abhanden gekommene ^1 Lautverschiebung ist ein redendes Zeugnis fuer das unvordenkliche Alter des Namens. Eine sichere Ableitung laesst sich nicht geben; moeglich ist es, dass die Ramner die Stromleute sind.

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^1 Aehnlichen Lautwechsel zeigen beispielsweise folgende Bildungen saemtlich aeltester Art: pars portio, Mars mors, farreum alt statt horreum, Fabii Fovii, Valerius Volesus, vacuus vocivus.

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Aber sie blieben nicht allein auf den Huegeln am Tiberufer. In der Gliederung der aeltesten roemischen Buergerschaft hat sich eine Spur erhalten, dass dieselbe hervorgegangen ist aus der Verschmelzung dreier wahrscheinlich ehemals unabhaengiger Gaue, der Ramner, Titier und Lucerer, zu einem einheitlichen Gemeinwesen, also aus einem Synoekismus wie derjenige war, woraus in Attika Athen hervorging ^2. Wie uralt diese Drittelung der Gemeinde ist ^3, zeigt wohl am deutlichsten, dass die Roemer namentlich in staatsrechtlicher Beziehung fuer “teilen” und “Teil” regelmaessig sagen “dritteln” (tribuere) und “Drittel” (tribus) und dieser Ausdruck schon frueh, wie unser Quartier, die urspruengliche Zahlbedeutung einbuesst. Noch nach der Vereinigung besass jede dieser drei ehemaligen Gemeinden und jetzigen Abteilungen ein Drittel der gemeinschaftlichen Feldmark und war in der Buergerwehr wie im Rate der Alten gleichmaessig vertreten; wie denn auch im Sakralwesen die durch drei teilbare Mitgliederzahl fast aller aeltesten Kollegien, der heiligen Jungfrauen, der Taenzer, der Ackerbrueder, der Wolfsgilde, der Vogelschauer, wahrscheinlich auf diese Dreiteilung zurueckgeht. Man hat mit diesen drei Elementen, in die die aelteste roemische Buergerschaft zerfiel, den heillosesten Unfug getrieben; die unverstaendige Meinung, dass die roemische Nation ein Mischvolk sei, knuepft hier an und bemueht sich in verschiedenartiger Weise, die drei grossen italischen Rassen als komponierende Elemente des aeltesten Rom darzustellen und das Volk, das wie wenig andere seine Sprache, seinen Staat und seine Religion rein und volkstuemlich entwickelt hat, in ein wuestes Geroelle etruskischer und sabinischer, hellenischer und leider sogar pelasgischer Truemmer zu verwandeln. Nach Beseitigung der teils widersinnigen, teils grundlosen Hypothesen laesst sich in wenige Worte zusammenfassen, was ueber die Nationalitaet der komponierenden Elemente des aeltesten roemischen Gemeinwesens gesagt werden kann. Dass die Ramner ein latinischer Stamm waren, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem neuen roemischen Gemeinwesen den Namen gaben, also auch die Nationalitaet der vereinigten Gemeinde wesentlich bestimmt haben werden. Ueber die Herkunft der Lucerer laesst sich nichts sagen, als dass nichts im Wege steht, sie gleich den Ramnern dem latinischen Stamm zuzuweisen. Dagegen die zweite dieser Gemeinden wird einstimmig aus der Sabina abgeleitet, und dies kann wenigstens zurueckgehen auf eine in der titischen Bruederschaft bewahrte Ueberlieferung, wonach dieses Priesterkollegium bei dem Eintritt der Titier in die Gesamtgemeinde zur Bewahrung des sabinischen Sonderrituals gestiftet worden waere. Es mag also in einer sehr fernen Zeit, als der latinische und der sabellische Stamm sich noch in Sprache und Sitte bei weitem weniger scharf gegenueber standen als spaeter der Roemer und der Samnite, eine sabellische Gemeinde in einen latinischen Gauverband eingetreten sein - wahrscheinlich, da die Titier in der aelteren und glaubwuerdigen Ueberlieferung ohne Ausnahme den Platz vor den Ramnern behaupten, in der Art, dass die eindringenden Titier den aelteren Ramnern den Synoekismus aufnoetigten. Eine Mischung verschiedener Nationalitaeten hat hier also allerdings stattgefunden; aber schwerlich hat sie viel tiefer eingegriffen als zum Beispiel die einige Jahrhunderte spaeter erfolgte Uebersiedlung des sabinischen Attus Clauzus oder Appius Claudius und seiner Genossen und Klienten nach Rom. So wenig wie diese Aufnahme der Claudier unter die Roemer berechtigt die aeltere der Titier unter die Ramner, die Gemeinde darum den Mischvoelkern beizuzaehlen. Mit Ausnahme vielleicht einzelner, im Ritual fortgepflanzter nationaler Institutionen lassen auch sabellische Elemente in Rom sich nirgends nachweisen, und namentlich gibt die latinische Sprache fuer eine solche Annahme schlechterdings keinen Anhalt ^4. Es waere in der Tat mehr als auffallend, wenn die Einfuegung einer einzelnen Gemeinde von einem dem latinischen naechstverwandten Stamm die latinische Nationalitaet auch nur in fuehlbarer Weise getruebt haette; wobei vor allem nicht vergessen werden darf, dass in der Zeit, wo die Titier neben den Ramnern sich ansaessig machten, die latinische Nationalitaet auf Latium ruhte und nicht auf Rom. Das neue dreiteilige roemische Gemeinwesen war, trotz etwaiger urspruenglich sabellischer Bestandteile, nichts als was die Gemeinde der Ramner gewesen war, ein Teil der latinischen Nation.

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^2 Eine wirkliche Zusammensiedlung ist mit dem Synoekismus nicht notwendig verbunden, sondern es wohnt jeder wie bisher auf dem Seinigen, aber fuer alle gibt es fortan nur ein Rat- und Amthaus (Thuk. 2, 15; Hdt. 1, 170).

^3 Man koennte sogar, im Hinblick auf die attische τριττύς, die umbrische trifo, die Frage aufwerfen, ob nicht die Dreiteilung der Gemeinde eine graecoitalische Grundform sei; in welchem Falle die Dreiteilung der roemischen Gemeinde gar nicht auf die Verschmelzung mehrerer einstmals selbstaendigen Staemme zurueckgefuehrt werden duerfte. Aber um eine gegen die Ueberlieferung sich also auflehnende Annahme aufzustellen, muesste doch die Dreiteilung im graecoitalischen Gebiet allgemeiner auftreten, als dies der Fall zu sein scheint, und ueberall gleichmaessig als Grundschema erscheinen. Die Umbrer koennen das Wort tribus moeglicherweise erst unter dem Einfluss der roemischen Herrschaft sich angeeignet haben; im Oskischen ist es nicht mit Sicherheit nachzuweisen.

^4 Nachdem die aeltere Meinung, dass das Lateinische als eine Mischsprache aus griechischen und nicht-griechischen Elementen zu betrachten sei, jetzt von allen Seiten aufgegeben ist, wollen selbst besonnene Forscher (z. B. A. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, Tuebingen 1853, S. 184, 193) doch noch in dem Lateinischen eine Mischung zweier nahverwandter italischer Dialekte finden. Aber vergebens fragt man nach der sprachlichen oder geschichtlichen Noetigung zu einer solchen Annahme. Wenn eine Sprache als Mittelglied zwischen zwei anderen erscheint, so weiss jeder Sprachforscher, dass dies ebenso wohl und haeufiger auf organischer Entwicklung beruht als auf aeusserlicher Mischung.

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Lange bevor eine staedtische Ansiedlung am Tiber entstand, moegen jene Ramner, Titier, Lucerer erst vereinzelt, spaeter vereinigt auf den roemischen Huegeln ihre Burg gehabt und von den umliegenden Doerfern aus ihre Aecker bestellt haben. Eine Ueberlieferung aus diesen uraeltesten Zeiten mag das “Wolfsfest” sein, das das Geschlecht der Quinctier am palatinischen Huegel beging: ein Bauern- und Hirtenfest, das wie kein anderes die schlichten Spaesse patriarchalischer Einfalt bewahrt und merkwuerdig genug noch im christlichen Rom sich unter allen heidnischen Festen am laengsten behauptet hat.

Aus diesen Ansiedlungen ging dann das spaetere Rom hervor. Von einer eigentlichen Stadtgruendung, wie die Sage sie annimmt, kann natuerlich in keinem Fall die Rede sein: Rom ist nicht an einem Tage gebaut worden. Wohl aber verdient es eine ernstliche Erwaegung, auf welchem Wege Rom so frueh zu einer hervorragenden politischen Stellung innerhalb Latiums gelangt sein kann, waehrend man nach den Bodenverhaeltnissen eher das Gegenteil erwarten sollte. Die Staette, auf der Rom liegt, ist minder gesund und minder fruchtbar als die der meisten alten Latinerstaedte. Der Weinstock und der Feigenbaum gedeihen in Roms naechster Umgebung nicht wohl und es mangelt an ausgiebigen Quellen- denn weder der sonst treffliche Born der Camenen vor dem Capenischen Tor noch der spaeter im Tullianum gefasste Kapitolinische Brunnen sind wasserreich. Dazu kommt das haeufige Austreten des Flusses, der bei sehr geringem Gefaell die in der Regenzeit reichlich zustroemenden Bergwasser nicht schnell genug dem Meere zuzufuehren vermag und daher die zwischen den Huegeln sich oeffnenden Taeler und Niederungen ueberstaut und versumpft. Fuer den Ansiedler ist die Oertlichkeit nichts weniger als lockend, und schon in alter Zeit ist es ausgesprochen worden, dass auf diesen ungesunden und unfruchtbaren Fleck innerhalb eines gesegneten Landstrichs sich nicht die erste naturgemaesse Ansiedlung der einwandernden Bauern gelenkt haben koenne, sondern dass die Not oder vielmehr irgendein besonderer Grund die Anlage dieser Stadt veranlasst haben muesse. Schon die Legende hat diese Seltsamkeit empfunden; das Geschichtchen von der Anlage Roms durch Ausgetretene von Alba unter Fuehrung der albanischen Fuerstensoehne Romulus und Remus ist nichts als ein naiver Versuch der aeltesten Quasihistorie, die seltsame Entstehung des Orts an so unguenstiger Staette zu erklaeren und zugleich den Ursprung Roms an die allgemeine Metropole Latiums anzuknuepfen. Von solchen Maerchen, die Geschichte sein wollen und nichts sind als nicht gerade geistreiche Autoschediasmen, wird die Geschichte vor allen Dingen sich frei zu machen haben; vielleicht ist es ihr aber auch vergoennt, noch einen Schritt weiter zu tun und nach Erwaegung der besonderen Lokalverhaeltnisse nicht ueber die Entstehung des Ortes, aber ueber die Veranlassung seines raschen und auffallenden Gedeihens und seiner Sonderstellung in Latium eine positive Vermutung aufzustellen.

Betrachten wir vor allem die aeltesten Grenzen des roemischen Gebietes. Gegen Osten liegen die Staedte Antemnae, Fidenae, Caenina, Gabii in naechster Naehe, zum Teil keine deutsche Meile von dem Servianischen Mauerring entfernt, und muss die Gaugrenze hart vor den Stadttoren gewesen sein. Gegen Sueden trifft man in einem Abstand von drei deutschen Meilen auf die maechtigen Gemeinden Tusculum und Alba und es scheint das roemische Stadtgebiet hier nicht weiter gereicht zu haben als bis zum cluilischen Graben, eine deutsche Meile von Rom. Ebenso war in suedwestlicher Richtung die Grenze zwischen Rom und Lavinium bereits am sechsten Milienstein. Waehrend so landeinwaerts der roemische Gau ueberall in die moeglichst engen Schranken zurueckgewiesen ist, erstreckt er sich dagegen seit aeltester Zeit ungehindert an beiden Ufern des Tiber gegen das Meer hin, ohne dass zwischen Rom und der Kueste irgendeine als alter Gaumittelpunkt hervortretende Ortschaft, irgendeine Spur alter Gaugrenze begegnete. Die Sage, die fuer alles einen Ursprung weiss, weiss freilich auch zu berichten, dass die roemischen Besitzungen am rechten Tiberufer, die “sieben Weiler” (septem pagi) und die wichtigen Salinen an der Muendung durch Koenig Romulus den Veientern entrissen worden sind, und dass Koenig Ancus am rechten Tiberufer den Brueckenkopf, den Janusberg (Ianiculum) befestigt, am linken den roemischen Peiraeeus, die Hafenstadt an der “Muendung” (Ostia) angelegt habe. Aber dafuer, dass die Besitzungen am etruskischen Ufer vielmehr schon zu der aeltesten roemischen Mark gehoert haben muessen, legt besseres Zeugnis ab der eben hier, am vierten Milienstein der spaeteren Hafenstrasse, gelegene Hain der schaffenden Goettin (dea dia), der uralte Hochsitz des roemischen Ackerbaufestes und der Ackerbruederschaft; und in der Tat ist seit unvordenklicher Zeit das Geschlecht der Romilier, wohl einst das vornehmste unter allen roemischen, eben hier angesessen, das Ianiculum ein Teil der Stadt selbst, Ostia Buergerkolonie, das heisst Vorstadt gewesen. Es kann das nicht Zufall sein. Der Tiber ist Latiums natuerliche Handelsstrasse, seine Muendung an dem hafenarmen Strande der notwendige Ankerplatz der Seefahrer. Der Tiber ist ferner seit uralter Zeit die Grenzwehr des latinischen Stammes gegen die noerdlichen Nachbarn. Zum Entrepôt fuer den latinischen Fluss- und Seehandel und zur maritimen Grenzfestung Latiums eignete kein Platz sich besser als Rom, das die Vorteile einer festen Lage und der unmittelbaren Nachbarschaft des Flusses vereinigte, das ueber beide Ufer des Flusses bis zur Muendung gebot, das dem den Tiber oder den Anio herabkommenden Flussschiffer ebenso bequem gelegen war wie bei der damaligen maessigen Groesse der Fahrzeuge dem Seefahrer, und das gegen Seeraeuber groesseren Schutz gewaehrte als die unmittelbar an der Kueste gelegenen Orte. Dass Rom wenn nicht seine Entstehung, doch seine Bedeutung diesen kommerziellen und strategischen Verhaeltnissen verdankt, davon begegnen denn auch weiter zahlreiche Spuren, die von ganz anderem Gewicht sind als die Angaben historisierter Novelletten. Daher ruehren die uralten Beziehungen zu Caere, das fuer Etrurien war, was fuer Latium Rom und denn auch dessen naechster Nachbar und Handelsfreund wurde; daher die ungemeine Bedeutung der Tiberbruecke und des Brueckenbaues ueberhaupt in dem roemischen Gemeinwesen; daher die Galeere als staedtisches Wappen. Daher der uralte roemische Hafenzoll, dem von Haus aus nur unterlag, was zum Feilbieten (promercale), nicht was zu eigenem Bedarf des Verladers (usuarium) in dem Hafen von Ostia einging, und der also recht eigentlich eine Auflage auf den Handel war. Daher, um vorzugreifen, das verhaeltnismaessig fruehe Vorkommen des gemuenzten Geldes, der Handelsvertraege mit ueberseeischen Staaten in Rom. In diesem Sinn mag denn Rom allerdings, wie auch die Sage annimmt, mehr eine geschaffene als eine gewordene Stadt und unter den latinischen eher die juengste als die aelteste sein. Ohne Zweifel war die Landschaft schon einigermassen bebaut und das Albanische Gebirge sowie manche andere Hoehe der Campagna mit Burgen besetzt, als das latinische Grenzemporium am Tiber entstand. Ob ein Beschluss der latinischen Eidgenossenschaft, ob der geniale Blick eines verschollenen Stadtgruenders oder die natuerliche Entwicklung der Verkehrsverhaeltnisse die Stadt Rom ins Leben gerufen hat, darueber ist uns nicht einmal eine Mutmassung gestattet. Wohl aber knuepft sich an diese Wahrnehmung ueber Roms Emporienstellung in Latium eine andere Beobachtung an. Wo uns die Geschichte zu daemmern beginnt, steht Rom dem latinischen Gemeindebund als einheitlich geschlossene Stadt gegenueber. Die latinische Sitte, in offenen Doerfern zu wohnen und die gemeinschaftliche Burg nur zu Festen und Versammlungen oder im Notfall zu benutzen, ist hoechst wahrscheinlich im roemischen Gau weit frueher beschraenkt worden als irgendwo sonst in Latium. Nicht als ob der Roemer seinen Bauernhof selbst zu bestellen oder ihn als sein rechtes Heim zu betrachten aufgehoert haette; aber schon die boese Luft der Campagna musste es mit sich bringen, dass er, soweit es anging, auf den luftigeren und gesunderen Stadthuegeln seine Wohnung nahm; und neben dem Bauer muss eine zahlreiche nicht ackerbauende Bevoelkerung von Fremden und Einheimischen dort seit uralter Zeit ansaessig gewesen sein. Die dichte Bevoelkerung des altroemischen Gebietes, das hoechstens zu 5½ Quadratmeilen zum Teil sumpfigen und sandigen Bodens angeschlagen werden kann und schon nach der aeltesten Stadtverfassung eine Buergerwehr von 3300 freien Maennern stellte, also mindestens 10000 freie Einwohner zaehlte, erklaert sich auf diese Art einigermassen. Aber noch mehr. Wer die Roemer und ihre Geschichte kennt, der weiss es, dass das Eigentuemliche ihrer oeffentlichen und Privattaetigkeit auf ihrem staedtischen und kaufmaennischen Wesen ruht, und dass ihr Gegensatz gegen die uebrigen Latiner und ueberhaupt die Italiker vor allem der Gegensatz ist des Buergers gegen den Bauer. Zwar ist Rom keine Kaufstadt wie Korinth oder Karthago; denn Latium ist eine wesentlich ackerbauende Landschaft und Rom zunaechst und vor allem eine latinische Stadt gewesen und geblieben. Aber was Rom auszeichnet vor der Menge der uebrigen latinischen Staedte, muss allerdings zurueckgefuehrt werden auf seine Handelsstellung und auf den dadurch bedingten Geist seiner Buergerschaft. Wenn Rom das Emporium der latinischen Landschaften war, so ist es begreiflich, dass hier neben und ueber der latinischen Feldwirtschaft sich ein staedtisches Leben kraeftig und rasch entwickelte und damit der Grund zu seiner Sonderstellung gelegt ward. Die Verfolgung dieser merkantilen und strategischen Entwicklung der Stadt Rom ist bei weitem wichtiger und ausfuehrbarer als das unfruchtbare Geschaeft, unbedeutende und wenig verschiedene Gemeinden der Urzeit chemisch zu analysieren. Jene staedtische Entwicklung koennen wir noch einigermassen erkennen in den Ueberlieferungen ueber die allmaehlich entstandenen Umwallungen und Verschanzungen Roms, deren Anlage mit der Entwicklung des roemischen Gemeinwesens zu staedtischer Bedeutung notwendig Hand in Hand gegangen sein muss.

Die urspruengliche staedtische Anlage, aus welcher im Laufe der Jahrhunderte Rom erwachsen ist, umfasste nach glaubwuerdigen Zeugnissen nur den Palatin, in spaeterer Zeit auch das viereckige Rom (Roma quadrata) genannt von der regelmaessig viereckigen Form des palatinischen Huegels. Die Tore und Mauern dieses urspruenglichen Stadtringes blieben bis in die Kaiserzeit sichtbar; zwei von jenen, die Porta Romana bei S. Giorgio in Velabro und die Porta Mugionis am Titusbogen sind auch uns noch ihrer Lage nach bekannt, und den palatinischen Mauerring beschreibt noch Tacitus nach eigener Anschauung wenigstens an den dem Aventin und dem Caelius zugewendeten Seiten. Vielfache Spuren deuten darauf hin, dass hier der Mittelpunkt und der Ursitz der staedtischen Ansiedlung war. Auf dem Palatin befand sich das heilige Symbol derselben, die sogenannte “Einrichtung” (mundus), darein die ersten Ansiedler von allem, dessen das Haus bedarf, zur Genuege und dazu von der lieben heimischen Erde eine Scholle getan hatten. Hier lag ferner das Gebaeude, in welchem die saemtlichen Kurien jede an ihrem eigenen Herd zu gottesdienstlichen und anderen Zwecken sich versammelten (curiae veteres). Hier war das Versammlungshaus der “Springer” (curia saliorum), zugleich der Aufbewahrungsort der heiligen Schilde des Mars, das Heiligtum der “Woelfe” (lupercal) und die Wohnung des Jupiterpriesters. Auf und an diesem Huegel ward die Gruendungssage der Stadt hauptsaechlich lokalisiert und wurde das strohgedeckte Haus des Romulus, die Hirtenhuette seines Ziehvaters Faustulus, der heilige Feigenbaum, daran der Kasten mit den Zwillingen angetrieben war, der aus dem Speerschaft, welchen der Gruender der Stadt vom Aventin her ueber das Tal des Circus weg in diesen Mauerring geschleudert hatte, aufgeschossene Kornelkirschbaum und andere dergleichen Heiligtuemer mehr den Glaeubigen gewiesen. Eigentliche Tempel kannte diese Zeit noch nicht, und daher hat solche auch der Palatin nicht aus aelterer Zeit aufzuweisen. Die Gemeindestaetten aber sind frueh anderswohin verlegt und deshalb verschollen; nur vermuten laesst sich, dass der freie Platz um den Mundus, spaeter der Platz des Apollo genannt, die aelteste Versammlungsstaette der Buergerschaft und des Senats, die ueber dem Mundus selbst errichtete Buehne die aelteste Mahlstatt der roemischen Gemeinde gewesen sein moegen.

Dagegen hat sich in dem “Fest der sieben Berge” (septimontium) das Andenken bewahrt an die erweiterte Ansiedlung, welche allmaehlich um den Palatin sich gebildet hat, Vorstaedte, eine nach der andern erwachsen, eine jede durch besondere, wenn auch schwaechere Umwallungen geschuetzt und an den urspruenglichen Mauerring des Palatin, wie in den Marschen an den Hauptdeich die Aussendeiche, angelehnt. Die “sieben Ringe” sind der Palatin selbst; der Cermalus, der Abhang des Palatins gegen die zwischen diesem und dem Kapitol nach dem Fluss zu sich ausbreitende Niederung (velabrum); die Velia, der den Palatin mit dem Esquilin verbindende, spaeter durch die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Huegelruecken; das Fagutal, der Oppius und der Cispius, die drei Hoehen des Esquilin; endlich die Sucūsa oder Subūra, eine ausserhalb des Erdwalls, der die Neustadt auf den Carinen schuetzte, unterhalb S. Pietro in Vincoli in der Einsattlung zwischen dem Esquilin und dem Quirinal angelegte Festung. In diesen offenbar allmaehlich erfolgten Anbauten liegt die aelteste Geschichte des palatinischen Rom bis zu einem gewissen Grade deutlich vor, zumal wenn man die spaeterhin auf Grund dieser aeltesten Gliederung gebildete Servianische Bezirkseinteilung damit zusammenhaelt.

Der Palatin war der Ursitz der roemischen Gemeinde, der aelteste und urspruenglich einzige Mauerring; aber die staedtische Ansiedlung hat in Rom wie ueberall nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg begonnen und die aeltesten Ansiedlungen, von denen wir wissen, die, welche spaeterhin in der Servianischen Stadteinteilung das erste und zweite Quartier bilden, liegen im Kreise um den Palatin herum. So diejenige auf dem Abhang des Cermalus mit der Tuskergasse, worin sich wohl eine Erinnerung bewahrt haben mag an den wohl schon in der palatinischen Stadt lebhaften Handelsverkehr zwischen Caeriten und Roemern, und die Niederlassung auf der Velia, die beide spaeter in der Servianischen Stadt mit dem Burghuegel selbst ein Quartier gebildet haben. Ferner die Bestandteile des spaeteren zweiten Quartiers: die Vorstadt auf dem Caelius, welche vermutlich nur dessen aeusserste Spitze ueber dem Colosseum umfasst hat; die auf den Carinen, derjenigen Hoehe, in welche der Esquilin gegen den Palatin aus laeuft, endlich das Tal und das Vorwerk der Subura, von welcher das ganze Quartier den Namen empfing. Beide Quartiere zusammen bilden die anfaengliche Stadt, und der suburanische Bezirk derselben, der unterhalb der Burg etwa vom Bogen des Konstantin bis nach S. Pietro in Vincoli und ueber das darunter liegende Tal hin sich erstreckte, scheint ansehnlicher, vielleicht auch aelter gewesen zu sein als die in der Servianischen Ordnung dem palatinischen Bezirk einverleibten Siedlungen, da jener diesem in der Rangfolge der Quartiere vorangeht. Eine merkwuerdige Erinnerung an den Gegensatz dieser beiden Stadtteile hat einer der aeltesten heiligen Gebraeuche des nachherigen Rom bewahrt, das auf dem Anger des Mars jaehrlich begangene Opfer des Oktoberrosses: bis in spaete Zeit wurde bei diesem Feste um das Pferdehaupt gestritten zwischen den Maennern der Subura und denen von der Heiligen Strasse und je nachdem jene oder diese siegten, dasselbe entweder an den mamilischen Turm (unbekannter Lage) in der Subura oder an dem Koenigshaus unter dem Palatin angenagelt. Es waren die beiden Haelften der Altstadt, die hier in gleich berechtigtem Wetteifer miteinander rangen. Damals waren also die Esquiliae - welcher Name eigentlich gebraucht die Carinen ausschliesst - in der Tat, was sie hiessen, der Aussenbau (ex-quiliae, wie inquilinus von colere) oder die Vorstadt; sie wurden in der spaeteren Stadteinteilung das dritte Quartier und es hat dieses stets neben dem suburanischen und dem palatinischen als minder ansehnlich gegolten. Auch noch andere benachbarte Anhoehen, wie Kapitol und Aventin, moegen von der Gemeinde der sieben Berge besetzt gewesen sein; vor allem die “Pfahlbruecke” (pons sublicius) ueber den natuerlichen Brueckenpfeiler der Tiberinsel wird - das Pontifikalkollegium allein buergt dafuer hinreichend - schon damals bestanden und man auch den Brueckenkopf am etruskischen Ufer, die Hoehe des Ianiculum nicht ausser acht gelassen haben; aber die Gemeinde hatte beides doch keineswegs in ihren Befestigungsring gezogen. Die Ordnung, die als Ritualsatz bis in die spaeteste Zeit festgehalten worden ist, dass die Bruecke ohne Eisen lediglich aus Holz zusammenzufuegen sei, geht in ihrem urspruenglichen praktischen Zweck offenbar darauf hinaus, dass sie nur eine fliegende sein sollte und jederzeit leicht musste abgebrochen oder abgebrannt werden koennen: man erkennt daraus, wie lange Zeit hindurch die roemische Gemeinde den Flussuebergang nur unsicher und unterbrochen beherrscht hat.

Ein Verhaeltnis dieser allmaehlich erwachsenen staedtischen Ansiedlungen zu den drei Gemeinden, in die die roemische staatsrechtlich seit unvordenklich frueher Zeit zerfiel, ist nicht zu ersehen. Da die Ramner, Titier und Lucerer urspruenglich selbstaendige Gemeinden gewesen zu sein scheinen, muessen sie freilich auch urspruenglich jede fuer sich gesiedelt haben; aber auf den sieben Huegeln selbst haben sie sicherlich nicht in getrennten Umwallungen gewohnt und was der Art in alter oder neuer Zeit erfunden worden ist, wird der verstaendige Forscher dahin stellen, wo das anmutige Maerchen von der Tarpeia und die Schlacht am Palatin ihren Platz finden. Vielmehr werden schon die beiden Quartiere der aeltesten Stadt, Subura und Palatin und ebenso das vorstaedtische jedes in die drei Teile der Ramner, Titier und Lucerer zerfallen sein; womit es zusammenhaengen kann, dass spaeterhin sowohl in dem suburanischen und palatinischen wie in jedem der nachher hinzugefuegten Stadtteile es drei Paare Argeerkapellen gab. Eine Geschichte hat die palatinische Siebenhuegelstadt vielleicht gehabt; uns ist keine andere Ueberlieferung von derselben geblieben als die des blossen Dagewesenseins. Aber wie die Blaetter des Waldes fuer den neuen Lenz zuschicken, auch wenn sie ungesehen von Menschenaugen niederfallen, also hat diese verschollene Stadt der sieben Berge dem geschichtlichen Rom die Staette bereitet.

Aber die palatinische Stadt ist nicht die einzige gewesen, die in dem spaeterhin von den Servianischen Mauern eingeschlossenen Kreise vor alters bestanden hat; vielmehr lag ihr in unmittelbarer Nachbarschaft gegenueber eine zweite auf dem Quirinal. Die “alte Burg” (Capitolium vetus) mit einem Heiligtum des Jupiter, der Juno und der Minerva und einem Tempel der Goettin des Treuworts, in welchem Staatsvertraege oeffentlich aufgestellt wurden, ist das deutliche Gegenbild des spaeteren Kapitols mit seinem Jupiter-, Juno- und Minervatempel und mit dem ebenfalls gleichsam zum voelkerrechtlichen Archiv bestimmten Tempel der roemischen Treue, und ein sicherer Beweis dafuer, dass auch der Quirinal einstmals der Mittelpunkt eines selbstaendigen Gemeinwesens gewesen ist. Dasselbe geht hervor aus dem zwiefachen Marskult auf dem Palatin und dem Quirinal: denn Mars ist das Vorbild des Wehrmanns und der aelteste Hauptgott der italischen Buergergemeinden. Damit haengt weiter zusammen, dass dessen Dienerschaft, die beiden uralten Genossenschaften der Springer (salii) und der Woelfe (luperci), in dem spaeteren Rom gedoppelt vorhanden gewesen sind und neben der palatinischen auch eine Springerschaft vom Quirinal bestanden hat, neben den Quinctischen Woelfen von Palatin eine Fabische Wolfsgilde, die ihr Heiligtum hoechst wahrscheinlich auf dem Quirinal gehabt hat ^5. Alle diese Anzeichen, schon an sich von grossem Gewicht, gewinnen um so hoehere Bedeutung, wenn man sich erinnert, dass der genau bekannte Umkreis der palatinischen Siebenhuegelstadt den Quirinal ausschloss und dass spaeterhin in dem Servianischen Rom, waehrend die drei ersten Bezirke der ehemaligen palatinischen Stadt entsprechen, aus dem Quirinal nebst dem benachbarten Viminal das vierte Quartier gebildet wurde. So erklaert sich auch, zu welchem Zweck ausserhalb der Stadtmauer das feste Vorwerk der Subura in dem Talgrunde zwischen Esquilin und Quirinal angelegt ward - hier beruehrten sich ja die beiderseitigen Marken und musste von den Palatinern, nachdem sie die Niederung in Besitz genommen hatten, zum Schutz gegen die vom Quirinal eine Burg aufgefuehrt werden.

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^5 Dass die Quinctischen Luperker den Fabischen im Rang vorgingen, geht daraus hervor, dass die Fabulisten dem Romulus die Quinctier, dem Remus die Fabier beilegen (Ov. fast. 2, 373f.; Ps. Aur. Vict. orig. 22). Dass die Fabier zu den Huegelroemern gehoerten, beweist ihr Geschlechtsopfer auf dem Quirinal (Liv. 5, 46, 52), mag dies nun mit den Luperkalien zusammenhaengen oder nicht.

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Uebrigens heisst der Lupercus jenes Kollegiums auf Inschriften (Orelli 2253) Lupercus Quinctialis vetus, und der hoechst wahrscheinlich mit dem Luperkalkult zusammenhaengende Vorname Kaeso (siehe Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 17) findet sich ausschliesslich bei den Quinctiern und den Fabiern; die bei den Schriftstellern gangbare Form Lupercus Quinctilius und Quinctilianus ist also entstellt und das Kollegium nicht den verhaeltnismaessig jungen Quinctiliern, sondern den weit aelteren Quinctiern eigen. Wenn dagegen die Quinctier (Liv. 1, 30) oder Quinctilier (Dion. Hal. 3, 29) unter den albanischen Geschlechtern genannt werden, so duerfte hier die letztere Lesung vorzuziehen und das Quinctische vielmehr als altroemisch zu betrachten sein.

Endlich ist auch der Name nicht untergegangen, mit dem sich die Maenner vom Quirinal von ihren palatinischen Nachbarn unterschieden. Wie die palatinische Stadt sich die “der sieben Berge”, ihre Buerger “die von den Bergen” montani) sich nennen, die Bezeichnung “Berg” wie an den uebrigen ihr angehoerigen Hoehen, so vor allem an dem Palatin haftet, so heisst die quirinalische Spitze, obwohl nicht niedriger, im Gegenteil etwas hoeher als jene, und ebenso die dazu gehoerige viminalische im genauen Sprachgebrauch nie anders als “Huegel” (collis); ja in den sakralen Urkunden wird nicht selten der Quirinal als der “Huegel” ohne weiteren Beisatz bezeichnet. Ebenso heisst das von dieser Hoehe ausfuehrende Tor gewoehnlich das Huegeltor (porta collina), die daselbst ansaessige Marspriesterschaft die vom Huegel (salii collini) im Gegensatz zu der vom Palatium (salii Palatini), das aus diesem Bezirk gebildete vierte Servianische das Huegelquartier (tribus collina) ^6. Den zunaechst wohl an der Gegend haftenden Namen der “Roemer” moegen dabei die Huegelmaenner ebenso wie die von den Bergen sich beigelegt und etwa Huegelroemer (Romani collini) sich genannt haben. Dass in dem Gegensatz der beiden Nachbarstaedte zugleich eine Stammverschiedenheit obgewaltet hat, ist moeglich, aber an Beweisen, welche ausreichten, um eine auf latinischem Boden gegruendete Gemeinde fuer stammfremd zu erklaeren, fehlt es auch fuer die quirinalische Gemeinde durchaus ^7.

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^6 Wenn spaeterhin fuer die Hoehe, wo die Huegelroemer ihren Sitz hatten, der Name des Quirinushuegels gebraeuchlich gewesen ist, so darf darum doch keineswegs der Name der Quiriten als urspruenglich der Buergerschaft auf dem Quirinal vorbehalten angesehen werden. Denn einerseits fuehren, wie gezeigt ist, alle aeltesten Spuren fuer diese auf den Namen Collini; andrerseits ist es unbestreitbar gewiss, dass der Name der Quiriten von Haus aus wie nachher lediglich den Vollbuerger bezeichnet und mit dem Gegensatz der montani und collini durchaus nichts gemein hat (vgl. unten 5. Kap.). Die spaetere Benennung des Quirinalis beruht darauf, dass zwar urspruenglich der Mars quirinus, der speertragende Todesgott, sowohl auf dem Palatin wie auf dem Quirinal verehrt wurde, wie denn noch die aeltesten, bei dem nachher so genannten Quirinustempel gefundenen Inschriften diese Gottheit geradezu Mars heissen, spaeterhin aber der Unterscheidung wegen der Gott der Bergroemer vorzugsweise Mars, der der Huegelroemer vorzugsweise Quirinus genannt ward. Wenn der Quirinal auch wohl collis agonalis, Opferhuegel, genannt wird, so wird er damit nur bezeichnet als der sakrale Mittelpunkt der Huegelroemer.

^7 Was man dafuer ausgibt (vgl. z. B. Schwegler, Roemische Geschichte. Bd. 1, S. 480), geht im wesentlichen auf eine von Varro aufgestellte und von den Spaeteren wie gewoehnlich einstimmig nachgesprochene etymologisch-historische Hypothese, dass das lateinische quiris quirinus mit dem sabinischen Stadtnamen Cures verwandt und demnach des Quirinalhuegel von Cures aus bevoelkert worden sei. Auch wenn die sprachliche Verwandtschaft jener Waerter sicher staende, duerfte daraus der geschichtliche Folgesatz nicht hergeleitet werden. Dass die alten Heiligtuemer auf diesem Berge - wo es uebrigens auch einen “latiarischen Huegel” gab - sabinisch sind, hat man wohl behauptet, aber nicht erwiesen. Mars quirinus, Sol, Salus, Flora, Semo Sancus oder Deus fidius sind wohl sabinische, aber auch latinische Gottheiten, gebildet offenbar in der Epoche, wo Latiner und Sabiner noch ungeschieden beisammen waren. Wenn an den heiligen Staetten des spaeterhin zuruecktretenden Quirinal ein Name wie der des Semo Sancus vorzugsweise haftet (vgl. die davon benannte porta sanqualis), der uebrigens auch auf der Tiberinsel begegnet, so wird jeder unbefangene Forscher darin nur einen Beweis fuer das hohe Alter dieser Kulte, nicht fuer ihre Entlehnung aus dem Nachbarland erblicken. Die Moeglichkeit, dass alte Stammgegensaetze dennoch hier mitgewirkt, soll damit nicht geleugnet werden; aber wenn dies der Fall war, so sind sie fuer uns verschollen und die unseren Zeitgenossen gelaeufigen Betrachtungen ueber das sabinische Element im Roemerrum nur geeignet, vor dergleichen aus dem Leeren in das Leere fuehrenden Studien ernstlich zu warnen.

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So standen an der Staette des roemischen Gemeinwesens zu dieser Zeit noch die Bergroemer vom Palatin und die Huegelroemer vom Quirinal als zwei gesonderte und ohne Zweifel vielfach sich befehdende Gemeinwesen einander gegenueber, einigermassen wie im heutigen Rom die Montigiani und die Trasteverini. Dass die Gemeinde der sieben Berge schon frueh die quirinalische bei weitem ueberwog, ist mit Sicherheit zu schliessen sowohl aus der groesseren Ausdehnung ihrer Neu- und Vorstaedte als auch aus der Zuruecksetzung, die die ehemaligen Huegelroemer in der spaeteren Servianischen Ordnung sich durchaus haben muessen gefallen lassen. Aber auch innerhalb der palatinischen Stadt ist es schwerlich zu einer rechten und vollstaendigen Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile der Ansiedlung gekommen. Wie Subura und Palatin miteinander jaehrlich um das Pferdehaupt stritten, ist schon erzaehlt worden; aber auch die einzelnen Berge, ja die einzelnen Kurien - es gab noch keinen gemeinschaftlichen Stadtherd, sondern die verschiedenen Kurienherde standen, obwohl in derselben Lokalitaet, doch noch nebeneinander - moegen sich mehr gesondert als geeinigt gefuehlt haben und das ganze Rom eher ein Inbegriff staedtischer Ansiedlungen als eine einheitliche Stadt gewesen sein. Manchen Spuren zufolge waren auch die Haeuser der alten und maechtigen Familien gleichsam festungsartig angelegt und der Verteidigung faehig, also auch wohl beduerftig. Erst der grossartige Wallbau, der dem Koenig Servius Tullius zugeschrieben wird, hat nicht bloss jene beiden Staedte vom Palatin und Quirinal, sondern auch noch die nicht in ihren Ringen einbegriffenen Anhoehen des Kapitol und des Aventin mit einem einzigen grossen Mauerring umzogen und somit das neue Rom, das Rom der Weltgeschichte, geschaffen. Aber ehe dieses gewaltige Werk angegriffen ward, war Roms Stellung zu der umliegenden Landschaft ohne Zweifel gaenzlich umgewandelt. Wie die Periode, in der der Ackersmann auf den sieben Huegeln von Rom nicht anders als auf den andern latinischen den Pflug fuehrte, und nur die in gewoehnlichen Zeiten leerstehenden Zufluchtsstaetten auf einzelnen Spitzen einen Anfang festerer Ansiedlung darboten, der aeltesten handel- und tatenlosen Epoche des latinischen Stammes entspricht, wie dann spaeter die aufbluehende Ansiedlung auf dem Palatin und in den “sieben Ringen” zusammenfaellt mit der Besetzung der Tibermuendungen durch die roemische Gemeinde und ueberhaupt mit dem Fortschritt der Latiner zu regerem und freierem Verkehr, zu staedtischer Gesittung vor allem in Rom und wohl auch zu festerer politischer Einigung in den Einzelstaaten wie in der Eidgenossenschaft, so haengt die Gruendung einer einheitlichen Grossstadt, der Servianische Wall, zusammen mit jener Epoche, in der die Stadt Rom um die Herrschaft ueber die latinische Eidgenossenschaft zu ringen und endlich sie zu erringen vermochte.

KAPITEL V.
Die ursprüngliche Verfassung Roms

Vater und Mutter, Soehne und Toechter, Hof und Wohnung, Knechte und Geraet - das sind die natuerlichen Elemente, aus denen ueberall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Voelker hoeherer Kulturfaehigkeit auseinander, dass diese natuerlichen Gegensaetze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefasst und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem roemischen gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchfuehrung der von der Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhaeltnisse.

Die Familie, das heisst der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Soehnen und Sohnessoehnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten Toechtern und Sohnestoechtern nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Toechter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehoeren, oder, wenn ausser der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem roemischen Buerger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Uebel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst fuer die Gemeinde, welche darum in fruehester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eroeffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhaengnis auszuweichen. Von vornherein trug die roemische Familie die Bedingungen hoeherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurueckgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehoert die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertaenig, die Tochter dem Vater, das Weib dem Manne ^1, die vaterlose unverheiratete Frau ihren naechsten maennlichen Verwandten; diese sind es und nicht der Koenig, von denen erforderlichenfalls die Frau verrechtfertigt wird. Aber innerhalb des Hauses ist die Frau nicht Dienerin, sondern Herrin. Befreit von den nach roemischen Vorstellungen dem Gesinde zukommenden Arbeiten des Getreidemahlens und des Kochens, widmet die roemische Hausmutter sich wesentlich nur der Beaufsichtigung der Maegde und daneben der Spindel, die fuer die Frau ist, was fuer den Mann der Pflug ^2. Ebenso wurde die sittliche Verpflichtung der Eltern gegen die Kinder von der roemischen Nation voll und tief empfunden, und es galt als arger Frevel, wenn der Vater das Kind vernachlaessigte oder verdarb oder auch nur zum Nachteil desselben sein Vermoegen vergeudete. Aber rechtlich wird die Familie unbedingt geleitet und gelenkt durch den einen allmaechtigen Willen des Hausvaters (pater familias). Ihm gegenueber ist alles rechtlos, was innerhalb des Hauses steht, der Stier und der Sklave, aber nicht minder Weib und Kind. Wie die Jungfrau durch die freie Wahl des Mannes zu seiner Ehefrau wird, so steht auch das Kind, das sie ihm geboren, aufzuziehen oder nicht, in seinem freien Willen. Es ist nicht Gleichgueltigkeit gegen die Familie, welche diese Satzung eingegeben hat, vielmehr wohnte die Ueberzeugung, dass Hausbegruendung und Kinderzeugung sittliche Notwendigkeit und Buergerpflicht sei, tief und ernst im Bewusstsein des roemischen Volkes. Vielleicht das einzige Beispiel einer in Rom von Gemeinde wegen gewaehrten Unterstuetzung ist die Bestimmung, dass dem Vater, welchem Drillinge geboren werden, eine Beihilfe gegeben werden soll; und wie man ueber die Aussetzung dachte, zeigt die Untersagung derselben hinsichtlich aller Soehne - mit Ausnahme der Missgeburten - und wenigstens der ersten Tochter. Aber wie gemeinschaedlich auch die Aussetzung erscheinen mochte, die Untersagung derselben verwandelte sich bald aus der rechtlichen Ahndung in religioese Verwuenschung; denn vor allen Dingen war der Vater in seinem Hause durchaus unbeschraenkt Herr. Der Hausvater haelt die Seinigen nicht bloss in strengster Zucht, sondern er hat auch das Recht und die Pflicht, ueber sie die richterliche Gewalt auszuueben und sie nach Ermessen an Leib und Leben zu strafen. Der erwachsene Sohn kann einen gesonderten Hausstand begruenden oder, wie die Roemer dies ausdruecken, sein “eigenes Vieh” (peculium) vom Vater angewiesen erhalten; aber rechtlich bleibt aller Erwerb der Seinigen, mag er durch eigene Arbeit oder durch fremde Gabe, im vaeterlichen oder im eigenen Haushalte gewonnen sein, Eigentum des Vaters, und es kann, so lange der Vater lebt, die untertaenige Person niemals eigenes Vermoegen haben, daher auch nicht anders als im Auftrag des Vaters veraeussern und nie vererben. In dieser Beziehung stehen Weib und Kind voellig auf gleicher Linie mit dem Sklaven, dem die Fuehrung einer eigenen Haushaltung auch nicht selten verstattet ward, und der mit Auftrag des Herrn gleichfalls befugt war zu veraeussern. Ja, der Vater kann wie den Sklaven so auch den Sohn einem Dritten zum Eigentum uebertragen; ist der Kaeufer ein Fremder, so wird der Sohn sein Knecht; ist er ein Roemer, so wird der Sohn, da er als Roemer nicht Knecht eines Roemers werden kann, seinem Kaeufer wenigstens an Knechtes Statt. Die vaeterliche und eheherrliche Gewalt unterlag insofern einer Rechtsbeschraenkung ausser der schon erwaehnten des Aussetzungsrechts, als einige der aergsten Missbraeuche mit rechtlicher Ahndung wie mit dem religioesen Bannfluch belegt wurden; so trafen diese den, der seine Ehefrau oder den verheirateten Sohn verkauft; und durch die Familiensitte ward es durchgesetzt, dass bei der Ausuebung der haeuslichen Gerichtsbarkeit der Vater und mehr noch der Ehemann den Spruch ueber Kind und Frau nicht faellte, ohne vorher die naechsten Blutsverwandten, sowohl die seinigen wie die der Frau, zugezogen zu haben. Aber eine rechtliche Minderung der Gewalt lag in der letzteren Einrichtung nicht; denn die bei dem Hausgericht zugezogenen Blutsverwandten hatten nicht zu richten, sondern nur den richtenden Hausvater zu beraten. Es ist die hausherrliche Macht aber nicht bloss wesentlich unbeschraenkt und keinem auf der Erde verantwortlich, sondern auch, so lange der Hausherr lebt, unabaenderlich und unzerstoerlich. Nach den griechischen wie nach den deutschen Rechten ist der erwachsene, tatsaechlich selbstaendige Sohn auch rechtlich von dem Vater frei; die Macht des roemischen Hausvaters vermag bei dessen Lebzeiten nicht das Alter, nicht der Wahnsinn desselben, ja nicht einmal sein eigener freier Wille aufzuheben, nur dass die Person des Gewalthabers wechseln kann: denn allerdings kann das Kind im Wege der Adoption in eines andern Vaters Gewalt kommen, die Tochter durch eine rechte Ehe aus der Hand des Vaters uebergehen in die Hand des Mannes und, aus ihrem Geschlecht und Gottesschutz in das Geschlecht und den Gottesschutz des Mannes eintretend, ihm nun untertan werden, wie sie bisher es ihrem Vater war. Nach roemischem Recht ist es dem Knechte leichter gemacht, sich von dem Herrn, als dem Sohne, sich von dem Vater zu loesen; die Freilassung des ersteren ward frueh und in einfachen Formen gestattet, die Freigebung des letzteren wurde erst viel spaeter und auf weiten Umwegen moeglich gemacht. Ja, wenn der Herr den Knecht und der Vater den Sohn verkauft und der Kaeufer beide freigibt, so erlangt der Knecht die Freiheit, der Sohn aber faellt durch die Freilassung vielmehr zurueck in die fruehere vaeterliche Gewalt. So ward durch die unerbittliche Konsequenz, mit der die vaeterliche und eheherrliche Gewalt von den Roemern aufgefasst wurde, dieselbe in wahres Eigentumsrecht umgewandelt. Indes, bei aller Annaeherung der hausherrlichen Gewalt ueber Weib und Kind an die Eigentumsgewalt ueber Sklaven und Vieh blieben dennoch die Glieder der Familie von der Familienhabe nicht bloss tatsaechlich, sondern auch rechtlich aufs schaerfste getrennt. Die hausherrliche Gewalt, auch abgesehen davon, dass sie nur innerhalb des Hauses sich wirksam erzeigt, ist voruebergehender und gewissermassen stellvertretender Art. Weib und Kind sind nicht bloss um des Hausvaters willen da, wie das Eigentum nur fuer den Eigentuemer, wie in dem absoluten Staat die Untertanen nur fuer den Koenig vorhanden sind; sie sind wohl auch Gegenstand des Rechts, aber doch zugleich eigenberechtigt, nicht Sachen, sondern Personen. Ihre Rechte ruhen nur der Ausuebung nach, weil die Einheit des Hauses im Regiment einen einheitlichen Repraesentanten erfordert; wenn aber der Hausherr stirbt, so treten die Soehne von selbst als Hausherren ein und erlangen nun ihrerseits ueber die Frauen und Kinder und das Vermoegen die bisher vom Vater ueber sie geuebten Rechte, wogegen durch den Tod des Herrn die rechtliche Stellung des Knechtes in nichts sich aendert.

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^1 Es gilt dies nicht bloss von der alten religioesen Ehe (matrimonium confarreatione), sondern auch die Zivilehe (matrimonium consensu) gab zwar nicht an sich dem Manne Eigentumsgewalt ueber die Frau, aber es wurden doch die Rechtsbegriffe der foermlichen Tradition (coemptio) und der Verjaehrung (usus) ohne weiteres auf dieselbe angewandt und dadurch dem Ehemann der Weg geoeffnet, Eigentumsgewalt ueber die Frau zu gewinnen. Bis er sie gewann, also namentlich in der bis zur Vollendung der Verjaehrung verfliessenden Zeit, war das Weib, ganz wie bei der spaeteren Ehe mit causae probatio bis zu dieser, nicht uxor, sondern pro uxore; bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft erhielt sich dieser Satz, dass die nicht in der Gewalt des Mannes stehende Frau nicht Ehefrau sei, sondern nur dafuer gelte (uxor tantummodo habetur. Cic. top. 3, 14).

^2 Die folgende Grabschrift, obwohl einer viel spaeteren Zeit angehoerig, ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.

Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt’ an und lies ihn durch.

Es deckt der schlechte Grabstein eine schoene Frau.

Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;

Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;

Zwei Soehne gebar sie; einen liess auf Erden sie

Zurueck, den andern barg sie in der Erde Schoss.

Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,

Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.

Vielleicht noch bezeichnender ist die Auffuehrung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften, die in roemischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non conspiciendi, cultus modici.

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Indes war die Einheit der Familie so maechtig, dass selbst der Tod des Hausherrn sie nicht vollstaendig loeste. Die durch denselben selbstaendig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Toechter zu ordnen. Da nach aelterer roemischer Ansicht das Weib nicht faehig ist, weder ueber andere noch ueber sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt ueber sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heisst, die Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehoert, und wird statt des verstorbenen Hausherrn jetzt ausgeuebt durch die Gesamtheit der naechsten maennlichen Familienglieder, regelmaessig also ueber die Muetter durch die Soehne, ueber die Schwestern durch die Brueder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegruendete Familie unveraendert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur musste freilich von Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Moeglichkeit des Nachweises der urspruenglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach roemischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfasst nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun koennen, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloss die Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollstaendig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermoegen. Sehr klar spricht sich das in den roemischen Namen aus, wenn es heisst: “Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der Quintier”, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhoert, tritt ergaenzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.

Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Aufloesung solcher Haeuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechtseinheiten gehoerten ausserdem noch an zwar nicht die Gaeste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche voruebergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hoerigen (clientes, von cluere), das heisst diejenigen Individuen, die, ohne freie Buerger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschuetzter Freiheit sich befanden. Dahin gehoerten teils die landfluechtigen Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils diejenigen Knechte, denen gegenueber der Herr auf den Gebrauch seiner Herrenrechte vorlaeufig verzichtet, ihnen die tatsaechliche Freiheit geschenkt hatte. Es war dies Verhaeltnis in seiner Eigentuemlichkeit nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hoerige blieb ein unfreier Mann, fuer den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die “Hoerigen” (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem Willen des “Buergers” (patronus, wie patricius) abhaengige “Knechtschaft” (familia); darum ist nach urspruenglichem Recht der Buerger befugt, das Vermoegen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei zurueckzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsaechliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schaerfe dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung des Herrn, fuer seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsaechlich freier gestellten Klienten groessere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders musste die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich naehern, wo das Verhaeltnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht ueber die Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietaet in Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis abhaengig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.

Auf diesem roemischen Hause beruht der roemische Staat sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfuegung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das roemische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser Geschlechter; roemischer Buerger war, wer einem jener Geschlechter angehoerte. Jede innerhalb des Kreises in den ueblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte roemische und begruendete fuer die Kinder das Buergerrecht; wer in unrechter oder ausser der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die roemischen Buerger sich die “Vaterkinder” (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die haeuslichen und Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate gegenueber galt die Stellung in denselben nicht, so dass der Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen aenderte sich natuerlich dahin, dass die Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunaechst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie angehoerten, aber es lag doch auch in der Sache, dass von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gaenzlich ausgeschlossen werden konnten, wenn auch die eigentlichen buergerlichen Rechte wie die eigentlichen buergerlichen Lasten selbstverstaendlich dieselben nicht trafen. Um so mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Buergern und den Insassen.

Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergaenglich bestehen soll, findet sich kein natuerlicher Herr, wenigstens in der roemischen nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu ruehmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) und Herr im Hause der roemischen Gemeinde, wie denn auch in spaeterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die roemische Vesta und die roemischen Penaten zu finden sind - sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloss. Das Koenigsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem Koenig erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfaehigen Freien zusammenberufen und sie foermlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Goettern der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt alle Priester und Priesterinnen. Die Vertraege, die er abschliesst im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend fuer das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmaechtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm ueberall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, oeffentlich zu den Buergern zu reden, und er ist es, der die Schluessel zu dem Gemeindeschatz fuehrt. Ihm steht wie dem Vater das Zuechtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich Stockschlaege wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und kriminellen Rechtshaendeln und entscheidet unbedingt ueber Leben und Tod wie ueber die Freiheit, so dass er dem Buerger den Mitbuerger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefaelltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muss er bei Feuerlaerm persoenlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Maechtigste ist, sondern der allein Maechtige, so ist auch der Koenig nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen Maennern Sachverstaendigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die Uebung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern uebertragen, die Mitteilungen an die Buergerschaft, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspuerung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen genoetigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt eines Stellvertreters daselbst zuruecklassen; aber jede Amtsgewalt neben der koeniglichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den Koenig und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der aeltesten Zeit, der ausserordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsfuehrer (tribuni, von tribus Teil) des Fussvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts als Beauftragte des Koenigs und keineswegs Magistrate im spaeteren Sinn. Eine aeussere rechtliche Schranke hat die Koenigsgewalt nicht und kann sie nicht haben; fuer den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie fuer den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Koenigs steht bei dem Rat der Alten, auf den im Fall der Vakanz das “Zwischenkoenigtum” (interregnum) uebergeht. Eine formelle Mitwirkung bei der Koenigswahl kommt der Buergerschaft erst nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Koenigtum auf dem dauernden Kollegium der Vaeter (patres), das durch den interimistischen Traeger der Gewalt den neuen Koenig auf Lebenszeit einsetzt. Also wird “der hohe Goettersegen, unter dem die beruehmte Roma gegruendet ist”, von dem ersten koeniglichen Empfaenger in stetiger Folge auf die Nachfolger uebertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveraenderlich bewahrt. Diese Einheit des roemischen Volkes, die im religioesen Gebiet der roemische Diovis darstellt, repraesentiert rechtlich der Fuerst, und darum ist auch seine Tracht die des hoechsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuss geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene Eichenkranz kommen dem roemischen Gott wie dem roemischen Koenig in gleicher Weise zu. Aber man wuerde sehr irren, darum aus der roemischen Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott und Koenig in aegyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der Koenig, sondern viel eher der Eigentuemer des Staats. Darum weiss man auch nichts von besonderer goettlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der Koenig von anderem Stoff waere als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit frueheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib gesunde roemische Mann zum Koenigtum gelangen ^3. Der Koenig ist also eben nur ein gewoehnlicher Buerger, den Verdienst oder Glueck, vor allem aber die Notwendigkeit, dass einer Herr sein muesse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben ueber seinesgleichen, den Bauer ueber Bauern, den Krieger ueber Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Buerger dem Gebieter, ohne ihn gerade fuer seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Koenigsgewalt. Der Koenig konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute schmaelern, er konnte uebermaessige Fronden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Buergers; aber wenn er es tat, so vergass er, dass seine Machtfuelle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schuetzte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergass, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschraenkung aber der Koenigsgewalt lag darin, dass er das Gesetz nur zu ueben, nicht zu aendern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheissen sein musste oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die roemische Koenigsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveraenitaet und ueberhaupt im modernen Leben so wenig vom roemischen Hause wie vom roemischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.

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^3 Dass Lahmheit vom hoechsten Amte ausschloss, sagt Dionys. Dass das roemische Buergertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Koenigtums war, versteht sich so sehr von selbst, dass es kaum der Muehe wert ist, die Fabeleien ueber den Buerger von Cures noch ausdruecklich abzuweisen.

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Die Einteilung der Buergerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fussheer (daher mil-es, wie equ-es, der Tausendgaenger), zehn Reiter und zehn Ratmaenner. Bei kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natuerlich als Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfaeltigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunaechst auf den Personalbestand der Buergerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit diese ueberhaupt aufgeteilt war. Dass es nicht bloss Teil-, sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter den wenigen ueberlieferten roemischen Kuriennamen neben anscheinend gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher oertliche, zum Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfasste in dieser aeltesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede war.

In ihrer einfachsten Gestalt ^4 begegnet diese Verfassung in dem Schema der spaeterhin unter roemischem Einfluss entstandenen latinischen oder Buergergemeinden; durchgaengig zaehlten dieselben hundert Ratmaenner (centumviri). Aber auch in der aeltesten Tradition ueber das dreiteilige Rom, welche demselben dreissig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fusssoldaten beilegt, treten durchgaengig dieselben Normalzahlen hervor.

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^4 Selbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst frueh verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwuerdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren unsere Rechtsueberlieferung gedenkt fuer den aeltesten zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, dass deren zehn Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreissig Liktoren in der Dreissigkurienverfassung sind.

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Nichts ist gewisser, als dass dieses aelteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar ueber die Trennung der Staemme zurueckreicht. Die in solchen Dingen sehr glaubwuerdige roemische Verfassungstradition, die fuer alle uebrigen Einteilungen der Buergerschaft eine Geschichte hat, laesst einzig die Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloss in Rom, sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts ueberhaupt.

Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die “Teile” koennen schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, weil ihr Vorkommen ueberhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufaellig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als dass das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in ihnen bewahrte ^5. Es ist nirgends ueberliefert, dass der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkuenfte gehabt habe; und die grosse Wahrscheinlichkeit spricht dafuer, dass im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zaehlte das Fussvolk zwar soviel Anfuehrerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten ueber das gesamte Fussheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, dass die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das grosse Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes gezaehlt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, fuehrt in der roemischen Ueberlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschraenkter Weise geschehen, dass der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht veraendert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel weniger die der Haeuser gedacht werden duerfen als rechtlich fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuss und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder ueberliefert noch glaublich, dass man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fussgaenger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem aeltesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und geschaetzt, und im Ding trat die Buergerschaft nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunaechst der Abstimmung wegen eingefuehrt sein, da man sonst sicherlich die Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben wuerde.

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^5 Es liegt dies schon im Namen. Der “Teil” ist, wie der Jurist weiss, nichts als ein ehemaliges oder auch ein kuenftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne alle Realitaet.

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So schroff der Buerger dem Nichtbuerger gegenueberstand, so vollkommen war innerhalb der Buergerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchfuehrung des einen wie des andern Satzes es den Roemern jemals gleichgetan hat. Die Schaerfe des Gegensatzes zwischen Buergern und Nichtbuergern bei den Roemern tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des Ehrenbuergerrechts, welches urspruenglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluss in den Kreis der Buerger hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Buergerrecht aufgeben, wo er dann voellig in die neue Gemeinschaft uebertrat, aber auch jenes mit dem ihm neu gewaehrten verbinden. So war es aelteste Sitte und so ist es in Hellas immer geblieben, wo auch spaeterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren Gemeinden gleichzeitig verbuergert war. Allein das lebendiger entwickelte Gemeindegefuehl Latiums duldete es nicht, dass man zweien Gemeinden zugleich als Buerger angehoeren koenne, und liess fuer den Fall, wo der neugewaehlte Buerger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbuergerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und Schutzverpflichtung, wie sie auch Auslaendern gegenueber von jeher vorgekommen war.

Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen aussen ging Hand in Hand, dass aus dem Kreise der roemischen Buergergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Dass die innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwaehnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also als Buerger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzuege aber gab es nicht; dass die Titier den Ramnern, beide den Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen Eintrag. Die Buergerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuss verwandt ward und mehr eine Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste, bestgeruestete und bestgeuebte Mannschaft in sich schloss, war natuerlich angesehener als das Buergerfussvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein tatsaechlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmaessige Gliederung der Buergerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im uebrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der aeusserlichen Erscheinung durchgefuehrt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfaehigen Knaben aus; uebrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene oeffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weissem Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Buerger ist ohne Zweifel urspruenglich begruendet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser Schaerfe der Auffassung und Durchfuehrung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten Eigentuemlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich erinnern, dass in Italien keine den latinischen Einwanderern botmaessig gewordene Rasse aelterer Ansiedlung und geringerer Kulturfaehigkeit begegnet und damit die hauptsaechliche Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl ueberhaupt der hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Staendescheidung angeknuepft hat.

Dass der Staatshaushalt auf der Buergerschaft ruht, versteht sich von selbst. Die wichtigste Buergerleistung war der Heerdienst; denn nur die Buergerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Buerger sind zugleich die “Kriegerschaft” (populus, verwandt mit populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die “speerbewehrte Kriegsmannschaft” (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der Koenig sie anredet, der Quiriten ^6, wird als Bezeichnung des Wehrmanns gefasst. In welcher Art das Angriffsheer, die “Lese” (legio) gebildet ward, ist schon gesagt worden; in der dreiteiligen roemischen Gemeinde bestand sie aus drei Hundertschaften (centuriae) der Reiter (celeres, die Schnellen oder flexuntes, die Schwenker) unter den drei Abteilungsfuehrern der Reiter (tribuni celerum) ^7 und drei Tausendschaften der Fussgaenger (milites) unter den drei Abteilungsfuehrern des Fussvolks (tribuni militum); letzteres war vermutlich von Haus aus der Kern des Gemeindeaufgebots. Dazu moegen etwa noch eine Anzahl ausser Reihe und Glied fechtende Leichtbewaffnete, besonders Bogenschuetzen gekommen sein ^8. Der Feldherr war regelmaessig der Koenig selbst. Ausser dem Kriegsdienst konnten noch andere persoenliche Lasten den Buerger treffen, wie die Pflicht zur Uebernahme der koeniglichen Auftraege im Kriege wie im Frieden (I, 78) und die Fronden zur Bestellung der Aecker oder zur Anlage oeffentlicher Bauten; wie schwer namentlich der Bau der Stadtmauer auf der Gemeinde lastete, zeigt, dass der Name der “Fronden” (moenia) den Ringwaellen verblieb. Eine regelmaessige direkte Besteuerung dagegen kam ebensowenig vor wie direkte regelmaessige Staatsausgaben. Zur Bestreitung der Gemeindelasten bedurfte es derselben nicht, da der Staat fuer Heerfolge, Fronde und ueberhaupt oeffentliche Dienste keine Entschaedigung gewaehrte, sondern, soweit eine solche ueberhaupt vorkam, sie dem Dienenden entweder von dem Bezirk geleistet ward, den zunaechst die Auflage traf, oder auch von dem, der selber nicht dienen konnte oder wollte. Die fuer den oeffentlichen Gottesdienst noetigen Opfertiere wurden durch eine Prozesssteuer beschafft, indem, wer im ordentlichen Prozess unterlag, eine nach dem Werte des Streitgegenstandes abgemessene Viehbusse (sacramentum) an den Staat erlegte. Von stehenden Geschenken der Gemeindebuerger an den Koenig wird nichts berichtet. Dagegen flossen dem Koenig die Hafenzoelle zu (I, 62), sowie die Einnahme von den Domaenen, namentlich der Weidezins (scriptura) von dem auf die Gemeinweide aufgetriebenen Vieh und die Fruchtquote (vectigalia), die die Nutzniesser der Staatsaecker an Zinses Statt abzugeben hatten. Hierzu kam der Ertrag der Viehbussen und Konfiskationen und der Kriegsgewinn. In Notfaellen endlich wurde eine Umlage (tributum) ausgeschrieben, welche indes als gezwungene Anleihe betrachtet und in besseren Zeitlaeuften zurueckgezahlt ward; ob dieselbe die Buerger ueberhaupt traf, oder nur die Ansaessigen, laesst sich nicht entscheiden, doch ist die letztere Annahme wahrscheinlicher. Der Koenig leitete die Finanzen; mit dem koeniglichen Privatvermoegen indes, das, nach den Angaben ueber den ausgedehnten Grundbesitz des letzten roemischen Koenigsgeschlechts der Tarquinier zu schliessen, regelmaessig bedeutend gewesen sein muss, fiel das Staatsvermoegen nicht zusammen und namentlich der durch die Waffen gewonnene Acker scheint stets als Staatseigentum gegolten zu haben. Ob und wie weit der Koenig in der Verwaltung des oeffentlichen Vermoegens durch Herkommen beschraenkt war, ist nicht mehr auszumachen; nur zeigt die spaetere Entwicklung, dass die Buergerschaft hierbei nie gefragt worden sein kann, wogegen es Sitte sein mochte, die Auflage des Tributum und die Verteilung des im Kriege gewonnenen Ackerlandes mit dem Senat zu beraten.

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^6 Quĭris quirītis oder quirinus wird von den Alten gedeutet als der Lanzentraeger, von quĭris oder cŭris = Lanze und ire, und faellt ihnen insofern zusammen mit samnis, samnitis und săbinus, das auch bei den Alten von σαύνιον, Speer, hergeleitet wird. Mag diese Etymologie, die sich anschliesst an arquites, milites, pedites, equites, velites, die mit dem Bogen, die im Tausend, die zu Fuss, die zu Pferde, die ohne Ruestung im blossen Oberwurf gehen, auch unrichtig sein, sie ist mit der roemischen Auffassung des Buergerbegriffs verwachsen. Ebenso werden die Juno quiritis, der (Mars) quirinus, der Janus quirinus als speerschwingende Gottheiten gedacht; und von Menschen gebraucht ist quiris der Wehrmann, das ist der Vollbuerger. Damit stimmt der Sprachgebrauch ueberein. Wo die Oertlichkeit bezeichnet werden soll, wird nie von Quiriten gesprochen, sondern stets von Rom und Roemern (urbs Roma, populus, civis, ager Romanus), weil die Benennung quiris so wenig eine lokale Bedeutung hat wie civis oder miles. Eben darum koennen auch diese Bezeichnungen nicht miteinander verbunden werden: man sagt nicht civis quiris, weil beides, wenngleich von verschiedenen Standpunkten aus, denselben Rechtsbegriff bezeichnet. Dagegen lautet die feierliche Ankuendigung der Buergerleiche darauf, dass “dieser Wehrmann mit Tode abgegangen” (ollus quiris leto datus), und ebenso redet der Koenig die versammelte Gemeinde mit diesem Namen an und spricht, wenn er zu Gericht sitzt, nach dem Rechte der wehrhaften Freien (ex iure quiritium, ganz gleich dem juengeren ex iure civili). Populus Romanus, quirites ( populus Romanus quiritium ist nicht genuegend beglaubigt) heisst also “die Gemeinde und die einzelnen Buerger” und werden darum in einer alten Formel (Liv. 1, 31) dem populus Romanus die prisci Latini, den quirites die homines prisci Latini entgegengesetzt (Becker, Handbuch, Bd. 2, S. 20f.). Diesen Tatsachen gegenueber kann nur sprachliche und sachliche Unkende noch festhalten an der Vorstellung, als habe der roemischen Gemeinde einst eine gleichartige quiritische gegenuebergestanden und nach deren Inkorporierung der Name der neu aufgenommenen Gemeinde den der aufnehmenden im sakralen und rechtlichen Sprachgebrauch verdraengt. Vgl. 1, 68 A.

^7 Unter den acht sakralen Institutionen des Numa fuehrt Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Fuehrer der Reiter (οι ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. Maerz ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der aeltesten roemischen Reiterei einen Fuehrer Celer und drei Centurionen, wogegen in der Schrift ‘De viris illustribus’ 1 Celer selbst centurio genannt wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Koenige tribunus celerum gewesen sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und aehnlich, zum Teil wohl aus ihm schoepfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der Kaiserzeit.

Von diesen Angaben, den einzigen, die ueber die tribuni celerum vorhanden sind, ruehrt die letzte nicht bloss von spaeten und gaenzlich unzuverlaessigen Gewaehrsmaennern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur “Teilfuehrer der Reiter” heissen kann; vor allen Dingen aber kann der immer nur ausserordentlich und spaeterhin gar nicht mehr ernannte Reiterfuehrer der republikanischen Zeit unmoeglich identisch gewesen sein mit der fuer das Jahrfest des 19. Maerz erforderlichen, also stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muss, ab von der Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, dass die tribuni celerum den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsfuehrer der Reiter gewesen sind, also voellig verschieden von dem Reiterfeldherrn.

^8 Darauf deuten die offenbar uralten Wortbildungen velites und arquites und die spaetere Organisation der Legion.

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Indes nicht bloss leistend und dienend erscheint die roemische Buergerschaft, sondern auch beteiligt an dem oeffentlichen Regimente. Es traten hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfaehigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die “Lanzenmaenner” (quirites) auf der Dingstaette zusammen, wenn der Koenig sie berief, um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie foermlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hiess (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmaessig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. Maerz und zum 24. Mai, dergleichen foermliche Gemeindeversammlungen an und ausserdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Buerger nicht zum Reden, sondern zum Hoeren, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der Koenig oder wem er das Wort zu gestatten fuer gut findet; die Rede der Buergerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des Koenigs, ohne Eroerterung, ohne Begruendung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die roemische Buergergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die aelteste indogermanische ueberhaupt die eigentliche und letzte Traegerin der Idee des souveraenen Staats; allein diese Souveraenitaet ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder aeussert sich doch hier nur darin, dass die Buergerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der Koenig, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmaessig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz aehnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus folgerichtig, dass die Buergerschaft, eben als der Souveraen, ordentlicher Weise an dem Gang der oeffentlichen Geschaefte sich nicht beteiligte. Solange die oeffentliche Taetigkeit sich beschraenkt auf die Ausuebung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich souveraene Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Aenderung der bestehenden Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der roemischen Verfassung ohne Ausnahme die Buergerschaft handelnd auf, so dass ein solcher Akt der souveraenen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der Buergerschaft und des Koenigs oder Zwischenkoenigs. Wie das Rechtsverhaeltnis zwischen Regent und Regierten selbst durch muendliche Frage und Antwort kontraktmaessig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der Koenig an die Buerger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum ist den Roemern das Gesetz nicht zunaechst, wie wir es fassen, der von dem Souveraen an die saemtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern zunaechst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene Vertrag ^9. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Faellen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschraenkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, dass er dasselbe sofort aufgibt; dass das Eigentum vorlaeufig dem Eigentuemer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern uebergehe, ist rechtlich unmoeglich - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloss die auf dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Buergerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveraeusserliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen - es sei denn, dass ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewoehnlichen Rechtslauf kann das Buergerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden - es sei denn, dass die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft urspruenglich ohne Kurienbeschluss nicht in gueltiger Weise geschehen konnte. Im gewoehnlichen Rechtslauf trifft den todeswuerdigen Verbrecher, nachdem der Koenig oder sein Stellvertreter nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der Koenig nur richten, nicht begnadigen kann - es sei denn, dass der zum Tode verurteilte Buerger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der ueberwiesen ist, sondern dem gestaendigen, der Milderungsgruende geltend macht. Im gewoehnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht gebrochen werden - es sei denn, dass wegen zugefuegter Unbill die Buergerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher musste sie notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim Abschluss des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewoehnliche Versammlung der Buerger, sondern an das Heer. So wird endlich ueberhaupt, wenn der Koenig eine Neuerung beabsichtigt, eine Aenderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Buerger zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des Koenigs, sondern ein Recht des Koenigs und der Gemeinde. In diesen und in allen aehnlichen Faellen konnte der Koenig ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom Koenig allein zum Patrizier erklaerte Mann blieb nach wie vor Nichtbuerger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie beschraenkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des roemischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr ueber als neben dem Koenig.

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^9 Lēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich ueberhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei oeffentlichen Lizitationen der Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der Koenig, der Akzeptant das Volk; die beschraenkte Mitwirkung des letzteren ist also auch sprachlich praegnant bezeichnet.

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Aber neben dem Koenig und neben der Buergerversammlung erscheint in der aeltesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln bestimmt wie jener noch zum Beschliessen wie diese, und dennoch neben beide und innerhalb ihres Rechtskreises ueber beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Ueberlieferung, dass in dem urspruenglichen Rom die saemtlichen Hausvaeter den Senat gebildet haetten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des spaeteren Rom seinen Ursprung zurueckfuehrte auf einen jener Hausvaeter der aeltesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heisst jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgaengers, sei es durch Erbfolge bestimmten Aeltesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsaeltesten und demnach eine vom Koenig wie von der Buergerversammlung unabhaengige Institution, gegenueber der letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Buerger gebildeten gewissermassen eine repraesentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist jene gleichsam staatliche Selbstaendigkeit der Geschlechter bei dem latinischen Stamm in unvordenklich frueher Zeit ueberwunden und der erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsaeltesten, moeglicherweise in Latium lange vor der Gruendung Roms getan worden; wie wir das roemische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmaenner abstammen oder abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, so dass selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem urspruenglichen Wesen des Rates der Aeltesten auch auf den roemischen Senat noch viele und wichtige Rechtsfolgen uebergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein blosser Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Maenner, deren Ratschlaege der Koenig einzuholen zweckmaessig findet, beruht lediglich darauf, dass er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den Koenig im Kreise herum zu Rate sitzenden Fuersten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshaeupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; aber in fruehester, vielleicht schon in vorroemischer Zeit ist die Zahl der Mitglieder des Rats der Aeltesten fuer die Gemeinde ohne Ruecksicht auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodass von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in spaeterer Zeit dies lebenslaengliche Verbleiben mehr tatsaechlich als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwuerdigen oder auch nur missliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshaeupter nicht mehr gab, bei dem Koenig gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in aelterer Zeit, solange noch die Individualitaet der Geschlechter im Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der Koenig einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Koenigs uebergegangen, so dass nur das noch als Missbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt liess.

Die Befugnis dieses Rates der Aeltesten beruht auf der Anschauung, dass die Herrschaft ueber die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen den saemtlichen Geschlechtsaeltesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich auspraegenden monarchischen Grundanschauung der Roemer, zur Zeit immer nur von einem dieser Aeltesten, das ist von dem Koenig, ausgeuebt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausuebung, aber der Befugnis nach, ebenfalls Koenig der Gemeinde; weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die koeniglichen, aber denselben gleichartig sind: er traegt den roten Schuh gleich dem Koenig, nur dass der des Koenigs hoeher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es ferner, dass, wie bereits erwaehnt ward, die koenigliche Gewalt in der roemischen Gemeinde ueberhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der Koenig, so treten ohne weiteres die Aeltesten an seine Stelle und ueben die Befugnisse der koeniglichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, dass nur einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet sich ein solcher “Zwischenkoenig” (interrex) von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fuelle der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkoenigtums ist fuer die einzelnen Inhaber festgesetzt auf hoechstens fuenf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren in der Art um, dass, bis das Koenigtum auf die Dauer wieder besetzt ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemaess der durch das Los festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fuenf Tage uebergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkoenig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im uebrigen aber ist der Zwischenkoenig berechtigt und verpflichtet, nicht bloss alle dem Koenig sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen Koenig auf Lebenszeit zu ernennen - nur dem erstbestellten von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgaenger ernannt ist. Also ist diese Aeltestenversammlung am letzten Ende die Traegerin der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des roemischen Gemeinwesens und in ihr die Buergschaft gegeben fuer die ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat spaeter den Griechen eine Versammlung von Koenigen zu sein duenkte, so ist das nur in der Ordnung: urspruenglich ist er in der Tat eine solche gewesen.

Aber nicht bloss insofern der Begriff des ewigen Koenigtums in dieser Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der roemischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Aeltesten sich nicht in die Amtstaetigkeit des Koenigs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu fuehren oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen - weshalb auch spaeter noch die hoechsten Befehlshaberstellen regelmaessig nur an Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem spaeteren Rom nie ein militaerisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer der bestehenden Verfassung, selbst gegenueber dem Koenig und der Buergerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Koenigs von dieser gefassten Beschluss zu pruefen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestaetigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Faellen, wo verfassungsmaessig ein Gemeindebeschluss erforderlich war, also bei jeder Verfassungsaenderung, bei der Aufnahme neuer Buerger, bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der Buergerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden Haeusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwaechter und konnte den Beschluss nur dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse ueberschritten, also bestehende Verpflichtungen gegen die Goetter oder gegen auswaertige Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluss verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom groessten Gewichte, dass zum Beispiel, wenn der roemische Koenig die Kriegserklaerung beantragt und die Buergerschaft dieselbe zum Beschluss erhoben hatte, auch die Suehne, welche die auswaertige Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der roemische Sendbote die Goetter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den Worten schloss: “darueber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie wir zu unsrem Rechte kommen”; erst wenn der Rat der Alten sich einverstanden erklaert hatte, war der nun von der Buergerschaft beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg foermlich erklaert. Gewiss war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die Beschluesse der Buergerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die Buergerschaft ihrer souveraenen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des hoechsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung verbuergte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenueber selbst der hoechsten Gewalt, der Gemeinde.

Hieran wahrscheinlich knuepft endlich auch die allem Anschein nach uralte Uebung an, dass der Koenig die an die Volksgemeinde zu bringenden Antraege vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen saemtliche Mitglieder eines nach dem anderen darueber ihr Gutachten abgeben liess. Da dem Senat das Recht zustand, den gefassten Beschluss zu kassieren, so lag es dem Koenig nahe, sich vorher die Ueberzeugung zu verschaffen, dass Widerspruch hier nicht zu befuerchten sei; wie denn ueberhaupt einerseits die roemische Sitte es mit sich brachte, in wichtigen Faellen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Maenner Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spaetere Machtfuelle des Senats hervorgegangen; die Anfaenge indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag ueblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender Antraegen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der Einberufung der Buerger zum Wehrdienst und bei Verfuegungen ueber das eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch ueblich, rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der Koenig beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkoenige festzustellen. Dass es ferner dem Koenig zusteht, neben den Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Maenner seines Vertrauens zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag sodann ist kein Befehl; der Koenig kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne dass dem Senat ein anderes Mittel zustaende, seiner Ansicht praktische Geltung zu schaffen als jenes frueher erwaehnte keineswegs allgemein anwendbare Kassationsrecht. “Ich habe euch gewaehlt, nicht dass ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten”: diese Worte, die ein spaeterer Schriftsteller dem Koenig Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiss im wesentlichen richtig.

Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die roemische Buergergemeinde, an welcher der Begriff der Souveraenitaet haftete; aber allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslaenglich bestellten Gemeindeaeltesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit koeniglicher Gewalt, berufen im Fall der Erledigung des Koenigsamtes, dasselbe bis zur definitiven Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den rechtswidrigen Beschluss der Gemeinde umzustossen. Die koenigliche Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschraenkt und durch die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschraenkt, insofern des Koenigs Gebot, gerecht oder nicht, zunaechst unbedingt vollzogen werden musste, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souveraen, dem Volke, gutgeheissenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die aelteste roemische Verfassung gewissermassen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der Koenig als Inhaber und Traeger der Machtfuelle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die roemische Volksgemeinde ungefaehr, was in England der Koenig ist und das Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, waehrend alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde stand.

Fragen wir endlich nach dem Verhaeltnis des Staates selbst zu dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den roemischen Staat gleich weit entfernt von der Lockerheit des blossen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfuegte wohl ueber die Person des Buergers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpoenter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Roemern stets als Willkuer und Unrecht erschienen. Bei weitem beschraenkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten gross gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwuerdigsten Saetze der aeltesten roemischen Verfassung, dass der Staat den Buerger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und aehnlichen Dingen war selbst die Gemeinde dem Buerger gegenueber beschraenkt, und diese Rechtsschranke bestand nicht bloss im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische Anwendung in dem verfassungsmaessigen Veto des Senats, der gewiss befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden Gemeindebeschluss zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so wie die roemische allmaechtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der unstraeflich sich fuehrende Buerger in gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenueber seinen Mitbuergern wie gegenueber dem Staat selbst.

So regierte sich die roemische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Auspraegung der eigenen Nationalitaet, waehrend zugleich - es wird dies nachher dargestellt werden - dem Verkehr mit dem Auslande so grossherzig wie verstaendig die Tore weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern erwachsen in und mit dem roemischen Volke. Es versteht sich, dass sie auf der aelteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine unuebersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus’ Bericht ueber Deutschland sie schildern, und der aeltesten Ordnung der roemischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Aeusserung der souveraenen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten Erklaerung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, dass, wie das roemische Koenigtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab sicher den Griechen - nicht den Etruskern - entlehnt hat, so auch die zwoelf Liktoren und andere Aeusserlichkeiten mehr vom Ausland heruebergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des roemischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehoert, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgaengige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Woertern latinischer Praegung.

Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des roemischen Staats fuer alle Zeiten tatsaechlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine roemische Gemeinde gibt, dass der Beamte unbedingt befiehlt, dass der Rat der Alten die hoechste Autoritaet im Staate ist und dass jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveraens bedarf, das heisst der Volksgemeinde.

KAPITEL VI.
Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung

Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein grosser Synoekismus: schon das aelteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der voelligen Erstarrung des Roemerrums endigen die aehnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem aeltesten Verschmelzungsprozess der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der frueheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Huegelbuergerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden duerfen, dass man zu waehlen hatte zwischen dem Festhalten der Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der uebrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der Heiligtuemer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die roemische Gemeinde besass fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich spaeterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, dass die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der oertlichen Einteilung zu den drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Huegelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem urspruenglichen Synoekismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung wenigstens als Teil der neuen Buergerschaft gegolten und somit gewissermassen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die Huegelroemer noch ueberhaupt bei einem der spaeteren Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die roemische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Huegelroemer, moegen sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, muessen in die bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der Art geschehen, dass jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der Neubuerger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den Altbuergern nicht vollstaendig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit haengt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde ueberall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdruecklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich aehnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die roemische Buergerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterfuehrer wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des Fussvolks ist nichts ueberliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, dass die Legionen regelmaessig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf zurueckfuehren duerfen, und wahrscheinlich ruehrt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, dass nicht, wie wohl urspruenglich, drei, sondern sechs Abteilungsfuehrer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale geblieben; womit sich sehr wohl vertraegt, dass eine Anzahl der angesehensten Maenner der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein Koenig vor, und von seinen hauptsaechlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, dass die sakralen Institutionen der Huegelstadt fortbestanden und in militaerischer Hinsicht man nicht unterliess, der verdoppelten Buergerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im uebrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, dass der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen Neubuergern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die “zweiten” oder die “minderen” gewesen. Indes war der Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren vor denen der “minderen” gefragt. In gleicher Weise steht das collinische Quartier im Range zurueck selbst hinter dem vorstaedtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Woelfe hinter denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synoekismus, durch den die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem aeltesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander verwuchsen, und allen spaeteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen liess man nicht bloss bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was spaeterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.

Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozess, der weit allmaehlicher durchgefuehrt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfaenge gleichfalls bis in diese Epoche zurueck: es ist dies die Verschmelzung der Buergerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der roemischen Gemeinde neben der Buergerschaft die Schutzleute, die “Hoerigen” (clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen Buergerhaeuser, oder die “Menge” (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ hiessen mit Hinblick auf die mangelnden politischen Rechte ^1. Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt ward, bereits in dem roemischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde musste diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsaechlich und rechtlich zu groesserer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hoerige besitzen; besonders mochte nach Ueberwindung einer Stadt und Aufloesung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmaessig erscheinen, die Masse der Buergerschaft nicht foermlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so dass sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, sei es zu dem Koenig in Klientelverhaeltnis traten. Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht ueber die einzelnen Buerger die Moeglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen missbraeuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schuetzen. Bereits in unvordenklich frueher Zeit ist in das roemische Landrecht der Grundsatz eingefuehrt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: dass, wenn der Herr bei Gelegenheit eines oeffentlichen Rechtsakts - Testament, Prozess, Schatzung - sein Herrenrecht ausdruecklich oder stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner Deszendenten jemals wieder sollten willkuerlich rueckgaengig machen koennen. Die Hoerigen und ihre Nachkommen besassen nun zwar weder Buerger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es foermlicher Erteilung von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Buergerrecht des Gastes in einer mit der roemischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschuetzter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen laengere Zeit hindurch ihre vermoegensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhaeltnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhaengen wird, dass der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmaehlich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem Namen zu erwerben und zu veraeussern und ohne die formelle Vermittlung ihres Patrons von den roemischen Buergergerichten Recht anzusprechen und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Buergern zwar weit eher den Auslaendern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehoerigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knuepfenden Rechtsverhaeltnisse der eheherrlichen und vaeterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der buergerrechtlichen zu gestalten.

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^1 Habuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).

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Teilweise zu aehnlichen Folgen fuehrte die Ausuebung des Gastrechts, insofern auf Grund desselben Auslaender sich auf die Dauer in Rom niederliessen und dort eine Haeuslichkeit begruendeten. In dieser Hinsicht muessen seit uralter Zeit die liberalsten Grundsaetze in Rom bestanden haben. Das roemische Recht weiss weder von Erbgutsqualitaet noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem dispositionsfaehigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschraenkte Verfuegung ueber sein Vermoegen, anderseits, soviel wir wissen, jedem, der ueberhaupt zum Verkehr mit roemischen Buergern befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschraenkte Recht bewegliches und, seitdem Immobilien ueberhaupt im Privateigentum stehen konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit grossartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts uebersiedelnden Fremden gewaehrt hat.

Anfaenglich waren also die Buerger in der Tat die Schutzherren, die Nichtbuerger die Geschuetzten; allein wie in allen Gemeinden, die die Ansiedlung freigeben und das Buergerrecht schliessen, ward es auch in Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhaeltnis mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufbluehen des Verkehrs, die durch das latinische Buendnis allen Latinern gewaehrleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluss selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Haeufigkeit der Freilassungen mussten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhaeltnismaessig vermehren. Es kam dazu der groessere Teil der Bevoelkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten Nachbarstaedte, welcher, mochte er nun nach Rom uebersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel wohl sein eigenes Buergerrecht mit roemischem Metoekenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschliesslich auf den Altbuergern und lichtete bestaendig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, waehrend die Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafuer zu bezahlen.

Unter solchen Verhaeltnissen ist es nur befremdlich, dass das roemische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall war. Dass er noch laengere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des roemischen Buergerrechts an einzelne ansehnliche auswaertige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder nach der Ueberwindung ihrer Stadt das roemische Buergerrecht empfingen - denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer seltener geworden zu sein, je mehr das roemische Buergerrecht im Preise stieg. Von groesserer Bedeutung war vermutlich die Einfuehrung der Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Buergerrecht erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, dass die schon vor den Zwoelf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiss nicht urspruengliche Zivilehe eben eingefuehrt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmen ^2. Auch die Massregeln, durch welche bereits in aeltester Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Haeusern hingewirkt ward, gehoeren in diesen Zusammenhang.

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^2 Die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln ueber den Usus zeigen deutlich, dass dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, dass auch sie so gut wie die religioese Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloss und von der religioesen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, dass die religioese Ehe selbst als eigentuemliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Uebergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjaehrung, hinzutreten musste, um eine gueltige eheherrliche Gewalt zu begruenden.

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Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in bestaendigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, waehrend die der Buerger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbuerger waren nicht mehr bloss entlassene Knechte und schutzbeduerftige Fremde; es gehoerten dazu die ehemaligen Buergerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Koenigs oder eines anderen Buergers, sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermoegensrechtlich unbeschraenkt gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimat und vererbten gleich dem Buerger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Auch die drueckende Abhaengigkeit von den einzelnen Buergerhaeusern lockerte sich allmaehlich. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurueck. War in aelterer Zeit der Klient ausschliesslich fuer den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so musste, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Haeuser sank, desto haeufiger auch ohne Vermittlung des Patrons vom Koenig dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und Abhilfe der Unbill gewaehrt werden. Eine grosse Zahl der Nichtbuerger, namentlich die Mitglieder der aufgeloesten latinischen Gemeinden, standen ueberhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der Klientel der koeniglichen und der sonstigen grossen Geschlechter und gehorchten dem Koenig ungefaehr in gleicher Art wie die Buerger. Dem Koenig, dessen Herrschaft ueber die Buerger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, musste es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhaengigen Schutzleuten sich eine ihm naeher verpflichtete Genossenschaft zu bilden.

So erwuchs neben der Buergerschaft eine zweite roemische Gemeinde; aus den Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem Hoerigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhaeltnis zu einem der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloss den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefuehl der besonderen Abhaengigkeit zuruecktrat, draengte das der politischen Zuruecksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die ueber allen gleichmaessig waltende Herrschaft des Koenigs verhinderte das Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.

Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen traegt vom Koenig Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch historische Ueberlieferung, sondern nur durch Rueckschluesse aus den spaeteren Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafuer, dass nicht die Plebejer sie gefordert haben koennen, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie muss vielmehr entweder der Weisheit eines der roemischen Koenige ihren Ursprung verdanken oder auch dem Draengen der Buergerschaft auf Befreiung von der ausschliesslichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbuerger teils zu der Besteuerung, das heisst zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall vorzuschiessen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefasst, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der Nichtbuerger vermutlich von den oekonomischen Lasten: es wurden diese frueh auch auf die “Begueterten” (locupletes) oder die “stetigen Leute” (adsidui) erstreckt, und nur die gaenzlich Vermoegenslosen, die “Kinderzeuger” (proletarii, capite censi) blieben davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbuerger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Buergerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Buerger oder bloss Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persoenlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansaessige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluss der Hauskinder ansaessiger Vaeter, ohne Unterschied der Geburt; so dass selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner - anderen Auslaendern war der Erwerb roemischen Bodens nicht gestattet - wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf roemischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Groesse der Grundstuecke wurde die kriegstuechtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in vollstaendiger Ruestung erscheinen mussten und insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, waehrend von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Haelften, Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfuellung der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Haelfte der Bauernstellen Vollhufen, waehrend die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansaessigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, dass fuer das Fussvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Aehnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier ab, dass die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern blieben, waehrend die zwoelf neuen hauptsaechlich aus den Nichtbuergern gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, dass man damals die Fusstruppen fuer jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr entliess, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militaerischen Ruecksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmaessige Uebungen hielten, die als Festlichkeiten der roemischen Ritterschaft bis in die spaeteste Zeit fortbestanden ^3. So liess man denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Buerger zugaenglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmuendigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde - jeder Reiter hatte deren zwei - zu stellen und zu fuettern. Im ganzen kam auf neun Fusssoldaten ein Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.

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^3 Aus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der Huegelroemer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fussmannschaft aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.

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Die nicht ansaessigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine Anzahl Ersatzmaenner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im Felde Luecken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen ausgeruestet in die Reihe eingestellt wurden.

Zum Behuf der Aushebung des Fussvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier “Teile” (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhoehe gleiches Namens nebst der Velia in sich schloss; den der Subura, dem die Strasse dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehoerten; den esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die “Huegel” im Gegensatz der “Berge” des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der Bildung dieser Distrikte ist bereits frueher die Rede gewesen und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigefuehrt worden ist, dass jeder ansaessige Buerger einem dieser Stadtteile angehoerte, laesst sich nicht sagen; aber es war dies der Fall, und dass die vier Distrikte ungefaehr gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmaessigen Anziehung bei der Aushebung. Ueberhaupt hat diese Einteilung, die zunaechst auf den Boden allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz aeusserlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religioese Bedeutung zugekommen; denn dass in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der raetselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, dass in jeder ein Larenaltar errichtet ward.

Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annaehernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militaerischen Abteilung zu stellen, sodass jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zaehlte, um alle Gegensaetze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den maechtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Buerger zu einem Volke zu verschmelzen.

Militaerisch wurde die waffenfaehige Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die “Juengeren”, vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, waehrend die “Aelteren” die Mauern daheim schirmten. Die militaerische Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine vollstaendig nach alter dorischer Art gereihte und geruestete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend Schwergeruesteten bildete; wozu dann noch 2400 “Ungeruestete” (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgeruesteten Hopliten der Vollhufener, im fuenften und sechsten standen die minder geruesteten Bauern der zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx hinzu oder kaempften daneben als Leichtbewaffnete. Fuer die leichte Ausfuellung zufaelliger Luecken, die der Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fuenften Abteilung; ungefaehr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum Ausruecken bestimmte Heer, waehrend die gleiche Truppenmacht auf die fuer die Stadtverteidigung zurueckbleibenden Aelteren gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fussvolks auf 16800 Mann kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrueckenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des roemischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der roemischen Waffenfaehigen, wie er war zur Zeit der Einfuehrung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei steigender Bevoelkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, sondern man verstaerkte durch zugegebene Leute die einzelnen Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die roemischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen ueberhaupt haeufig durch Aufnahme ueberzaehliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.

Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfaeltigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt eingefuehrt oder doch sorgfaeltiger bestimmt, dass ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Aecker mit dem Zubehoer, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veraeusserung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde fuer nichtig erklaert und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus hervorgegangen.

Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militaerischer Natur. In dem ganzen weitlaeufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muss fuer jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genuegen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken fuer spaetere Neuerung zu erklaeren. Wenn, wie wahrscheinlich, in aeltester Zeit, wer das sechzigste Jahr ueberschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den Kurien die Buergergemeinde zu repraesentieren. Indes wenn auch die Zenturienordnung lediglich eingefuehrt ward, um die Schlagfertigkeit der Buergschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung fuer die Einfuehrung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung wesentlich zurueck. Wer Soldat werden muss, muss auch Offizier werden koennen, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen Buergerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmaelert werden sollte, so mussten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Buergerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Buergeraufgebot geuebt hatte, uebergehen auf die neuen Buerger- und Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der Koenig vor dem Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der spaeteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansaetze zu einer Beteiligung der Zenturien an den oeffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein zunaechst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr folgeweise ein, als dass er geradezu beabsichtigt worden waere, und nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche Buergergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem Koenig verpflichtete. Neben diesen neuen grundsaessigen Vollbuergern standen die angesessenen Auslaender aus dem verbuendeten Latium als teilnehmend an den oeffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher municipes); waehrend die ausser den Tribus stehenden, nicht ansaessigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Buerger nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen.

Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Buerger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das roemische Staatsrecht beherrscht haben.

Wann und wie diese neue militaerische Organisation der roemischen Gemeinde ins Leben trat, darueber sind nur Vermutungen moeglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heisst, die Servianische Mauer musste gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet musste schon seine urspruengliche Grenze betraechtlich ueberschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel Teilhufener oder Hufenersoehne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flaechenraum der vollen roemischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht moeglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzen ^4; rechnen wir als Minimum 10000 Vollhufen, so wuerden diese einen Flaechenraum von 9 deutschen Quadratmeilen Ackerland voraussetzen, wonach, wenn man Weide, Haeuserraum und nicht kulturfaehigen Boden noch so maessig in Ansatz bringt, das Gebiet zu der Zeit, wo diese Reform durchgefuehrt ward, mindestens eine Ausdehnung von 20 Quadratmeilen, wahrscheinlich aber eine noch betraechtlichere, gehabt haben muss. Folgt man der Ueberlieferung, so muesste man gar eine Zahl von 84000 ansaessigen und waffenfaehigen Buergern annehmen; denn so viel soll Servius bei dem ersten Zensus gezaehlt haben. Indes dass diese Zahl fabelhaft ist, zeigt ein Blick auf die Karte; auch ist sie nicht wahrhaft ueberliefert, sondern vermutungsweise berechnet, indem die 16800 Waffenfaehigen des Normalstandes der Infanterie nach einem durchschnittlichen die Familie zu fuenf Koepfen ansetzenden Ueberschlag eine Zahl von 84000 Buergern zu ergeben schienen und diese Zahl mit der der Waffenfaehigen verwechselt ward. Aber auch nach jenen maessigeren Saetzen ist bei einem Gebiet von etwa 16000 Hufen mit einer Bevoelkerung von nahe an 20000 Waffenfaehigen und mindestens der dreifachen Zahl von Frauen, Kindern und Greisen, nicht grundsaessigen Leuten und Knechten notwendig anzunehmen, dass nicht bloss die Gegend zwischen Tiber und Anio gewonnen, sondern auch die albanische Mark erobert war, bevor die Servianische Verfassung festgestellt wurde; womit denn auch die Sage uebereinstimmt. Wie das Verhaeltnis der Patrizier und Plebejer im Heere sich der Zahl nach urspruenglich gestellt hat, ist nicht zu ermitteln.

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^4 Schon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Duebner, wonach Plut. Crass. 2 zu berichtigen ist) den Empfaengern klein.

Die Vergleichung der deutschen Verhaeltnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide urspruenglich mehr Arbeits- als Flaechenmasse, koennen angesehen werden als urspruenglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmaessig aus 30, nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstaette haeufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei Beruecksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des roemischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer roemischen Hufe von 20 Morgen den Verhaeltnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, dass die Ueberlieferung uns eben hier im Stich laesst.

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Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, dass diese Servianische Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Staendekampf, sondern dass sie den Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich traegt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, dass sie entstanden ist unter griechischem Einfluss. Einzelne Analogien koennen truegen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, dass auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Ruestung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufaelliges Zusammentreffen. Erwaegen wir nun, dass eben im zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das Schwergewicht in die Haende der Besitzenden legte ^5, so werden wir hierin den Anstoss erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monarchische Form des roemischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsaenderung.

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^5 Auch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der attischen Metoeken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie Rom verhaeltnismaessig frueh den Insassen die Tore geoeffnet und dann auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen - staedtische Zentralisierung und staedtische Entwicklung - ueberall und notwendig die gleichen Folgen herbeifuehren.

KAPITEL VII.
Roms Hegemonie in Latium

An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem Aufbluehen des Landes und der steigenden Kultur muss die Fehde allmaehlich in den Krieg, der Raub in die Eroberung uebergegangen sein und politische Maechte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen fruehesten Raufhaendeln und Beutezuegen, in denen der Charakter der Voelker sich bildet und sich aeusserst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche Ueberlieferung, die aeussere Entwicklung der Machtverhaeltnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annaehernder Genauigkeit zu erkennen. Hoechstens von Rom laesst die Ausdehnung seiner Macht und seines Gebietes sich einigermassen verfolgen. Die nachweislich aeltesten Grenzen der vereinigten roemischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren landeinwaerts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Kueste zu bis an die etwas ueber drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermuendung (Ostia). “Groessere und kleinere Voelkerschaften”, sagt Strabon in der Schilderung des aeltesten Rom, “umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhaengigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmaessig waren”. Auf Kosten zunaechst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die aeltesten Erweiterungen des roemischen Gebietes erfolgt zu sein.

Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia drueckten am naechsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in fruehester Zeit durch die Waffen der Roemer ihre Selbstaendigkeit eingebuesst zu haben. Als selbstaendige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk spaeter nur Nomentum, das vielleicht durch Buendnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brueckenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kaempften Latiner und Etrusker, das heisst Roemer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die spaete Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen Landes ^1. Durch diese Eroberungen mochte das roemische Gebiet sich auf etwa 9 Quadratmeilen erweitert haben. Aber lebendiger als diese verschollenen Kaempfe ist, wenn auch in sagenhaftem Gewande, der Folgezeit eine andere uralte Waffentat der Roemer im Andenken geblieben: Alba, die alte heilige Metropole Latiums, ward von roemischen Scharen erobert und zerstoert. Wie der Zusammenstoss entstand und wie er entschieden ward, ist nicht ueberliefert; der Kampf der drei roemischen gegen die drei albanischen Drillingsbrueder ist nichts als eine personifizierte Bezeichnung des Kampfes zweier maechtiger und eng verwandter Gaue, von denen wenigstens der roemische ein dreieiniger war. Wir wissen eben nichts weiter als die nackte Tatsache der Unterwerfung und Zerstoerung Albas durch Rom ^2.

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^1 Ebenso charakteristisch sind die Verwuenschungsformeln fuer Gabii und Fidenae (Macr. Sat. 3, 9), waehrend doch eine wirkliche geschichtliche Verfluchung des Stadtbodens, wie sie bei Veii, Karthago, Fregellae in der Tat stattgefunden hat, fuer diese Staedte nirgends nachweisbar und hoechst unwahrscheinlich ist. Vermutlich waren alte Bannfluchformulare auf diese beiden verhassten Staedte gestellt und wurden von spaeteren Antiquaren fuer geschichtliche Urkunden gehalten.

^2 Aber zu bezweifeln, dass die Zerstoerung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, dass der Bericht ueber Albas Zerstoerung in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmoeglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das uebrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, dass die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den roemischen Buergerverband der Zerstoerung Albas durch die Roemer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine roemische Partei gegeben haben? Entscheidend duerfte aber der Umstand sein, dass Rom in religioeser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Uebersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gruenden konnte und gegruendet ward.

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Dass in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches spaeterhin als Herrin von acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spaetere verhaeltnismaessig ansehnliche Macht begruendet haben moegen, laesst sich vollends nur vermuten.

Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte ueber den rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser aeltesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, dass sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige roemische Gemeinde hervorgegangen war; nur dass die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene aeltesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbstaendigkeit bewahrten, sondern voellig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in aeltester Zeit keinen politischen Mittelpunkt ausser dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbstaendige Ansiedlungen an, wie die Phoeniker und die Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorlaeufig Klienten und kuenftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwuerdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbstaendigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbuerger-, sondern liess ihnen bloss, wenn sie es bereits besassen, das allgemeine roemische Buergerrecht ^3. Nach diesem Grundsatz bestimmte sich auch das Schicksal der schwaecheren Gaue, die durch Waffengewalt oder auch durch freiwillige Unterwerfung einem staerkeren untertaenig wurden. Die Festung des Gaues wurde geschleift, seine Mark zu der Mark der Ueberwinder geschlagen, den Gaugenossen selbst wie ihren Goettern in dem Hauptort des siegenden Gaues eine neue Heimat gegruendet. Eine foermliche Uebersiedelung der Besiegten in die neue Hauptstadt, wie sie bei den Staedtegruendungen im Orient Regel ist, wird man hierunter freilich nicht unbedingt zu verstehen haben. Die Staedte Latiums konnten in dieser Zeit wenig mehr sein als die Festungen und Wochenmaerkte der Bauern; im ganzen genuegte die Verlegung des Markt- und Dingverkehrs an den neuen Hauptort. Dass selbst die Tempel oft am alten Platze blieben, laesst sich an dem Beispiel von Alba und Caenina dartun, welchen Staedten noch nach der Zerstoerung eine Art religioeser Scheinexistenz geblieben sein muss. Selbst wo die Festigkeit des geschleiften Ortes eine wirkliche Verpflanzung der Insassen erforderlich machte, wird man mit Ruecksicht auf die Ackerbestellung dieselben haeufig in offenen Weilern ihrer alten Mark angesiedelt haben. Dass indes nicht selten auch die ueberwundenen alle oder zum Teil genoetigt wurden, sich in ihrem neuen Hauptort niederzulassen, beweist besser als alle einzelnen Erzaehlungen aus der Sagenzeit Latiums der Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur, wer die Grenzen des Gebietes erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorzuschieben befugt sei. Natuerlich wurde den ueberwundenen, uebergesiedelt oder nicht, in der Regel das Schutzverwandtenrecht aufgezwungen ^4; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Buergerrecht, das heisst dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die roemische Buergerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtuemer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu grossem Ansehen erhob.

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^3 Hieraus entwickelte sich der staatsrechtliche Begriff der See- oder Buergerkolonie (colonia civium Romanorum), das heisst einer faktisch gesonderten, aber rechtlich unselbstaendigen und willenlosen Gemeinde, die in der Hauptstadt aufgeht wie im Vermoegen des Vaters das Peculium des Sohnes und als stehende Besatzung vom Dienst in der Legion befreit ist.

^4 Darauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwoelf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesvertraege bestimmt wird und das Zwoelftafelgesetz ueberhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heisst die von den Roemern in das Plebejat genoetigten Gemeinden Latiums.

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Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer groesseren war natuerlich nichts weniger als eine spezifisch roemische Idee. Nicht bloss die Entwicklung Latiums und der sabellischen Staemme bewegt sich um die Gegensaetze der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbstaendigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem bedraengten Bunde der ionischen Staedte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalitaet bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und gluecklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner fruehen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Groesse lediglich demselben hier noch weit energischer durchgefuehrten System zu danken.

Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden duerfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloss die problematische Groesse und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den dreissig berechtigten Gemeinden. Die Zerstoerung Albas hob natuerlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstoerung Thebens die boeotische Genossenschaft ^5; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermoegen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die roemische Hegemonie ueber Latium bald und durchgaengig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben moegen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenueberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Kuesten gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern koennen. Ob der materielle Zuwachs, den Rom durch die Ueberwaeltigung von Alba erhielt, groesser war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte Machtvermehrung, laesst sich nicht ausmachen; es ist sehr moeglich, dass Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die maechtigste latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der kuenftigen Hegemonie der roemischen Gemeinde ueber die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhaeltnisse so bestimmt wie moeglich zu bezeichnen.

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^5 Es scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Staedte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).

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Die Form der roemischen Hegemonie ueber Latium war im ganzen die eines gleichen Buendnisses zwischen der roemischen Gemeinde einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark und ein ewiges Buendnis fuer den Angriff wie fuer die Verteidigung festgestellt ward. “Friede soll sein zwischen den Roemern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg fuehren untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmaessig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.” Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des Geschaeftsverkehrs, und es ward damit etwas aehnliches erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem roemischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, dass die Klagbarkeit der Verloebnisse, die in Rom frueh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstuemliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die Rechtsgleichheit moeglichst festzuhalten, fuehrten denn doch dahin, dass das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schaerfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen ueber den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Buergers. Nach einem alten ehrwuerdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Buerger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Buergerrecht einbuessen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das Buergerrecht verlieren, so musste er ausgeschieden werden aus dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben koennen innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwoelf Tafeln aufgenommene Bestimmung, dass der zahlungsunfaehige Schuldner, wenn der Glaeubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden muesse jenseits der Tibergrenze, das heisst ausserhalb des Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, dass der von den Karthagern gefangene roemische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen roemischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon frueher bemerkt worden ist, haeufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunaechst jeder Latiner nur da ausueben, wo er eingebuergert war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, dass jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Buergerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenoessisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Buerger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenueber um in volle Freizuegigkeit. Dass dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium staedtischen Verkehr, staedtischen Erwerb, staedtische Genuesse darzubieten hatte, und dass die Zahl der Insassen in Rom sich reissend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich.

In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloss die einzelne Gemeinde selbstaendig und souveraen, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreissig Gemeinden als solchem Rom gegenueber die Autonomie. Wenn versichert wird, dass Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine ueberlegenere gewesen sei als die Roms, und dass die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt haetten, so ist dies insofern wohl moeglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenueber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souveraen waren, waehrend die deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz gefuehrt zu haben, waehrend Rom die latinischen Abgeordneten selbstaendig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewaehlten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten liess und sich begnuegte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest fuer Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so dass von nun an teils auf roemischem Boden fuer Rom und Latium, teils auf latinischem fuer Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, dass die Roemer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbuendnis einzugehen - eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegruendete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenueber der maechtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spaetere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer roemischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand ein fuer allemal bei den roemischen Feldherren; Jahr fuer Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begruesste hier den erwaehlten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Roemer sich aus der Beobachtung des Voegelflugs der Zufriedenheit der Goetter mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Roemer unter die Bundesglieder verteilt. Dass dem Ausland gegenueber die roemisch-latinische Foederation nur durch Rom vertreten worden ist, laesst sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluss, sei es infolge eines feindlichen Ueberfalls, ein Bundeskrieg gefuehrt ward, so mag bei der Fuehrung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsaechlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Uebergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.

Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhaeltnismaessig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die fuehrende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, koennen wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunaechst den Veientern, hoerten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, dass es den Roemern gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus dieser gefaehrlichen Offensivbasis zu verdraengen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung. Den Sabinern und Aequern gegenueber erscheint Rom in einer mehr ueberlegenen Stellung; von der spaeterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfaenge schon in der Koenigszeit bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre oestlichen Nachbarn von zwei Seiten umfasst und niedergehalten haben. Der bestaendige Kriegsschauplatz aber war die Suedgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am fruehesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begruendeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die aeltesten noch in die Koenigszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das roemische Machtgebiet um das Ende der Koenigszeit sich erstreckte, laesst sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den roemischen Jahrbuechern der Koenigszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum duerften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Dass die Koenigszeit nicht bloss die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach aussen hin Roms Macht begruendet hat, laesst sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenueber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben und laesst erkennen, dass in Rom schon in der Koenigszeit eine energische Machtentfaltung nach aussen hin stattgefunden haben muss. Gewiss sind grosse Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Koenigszeit Roms, vor allem auf dem koeniglichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.

So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Fuehrung Roms zu einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Sueden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Buerger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der maechtige Mittelpunkt einer bluehenden Landschaft geworden. Die Umgestaltung der roemischen Kriegsverfassung und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des roemischen Gemeindewesens. Aber auch aeusserlich musste mit den reicher stroemenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich aendern. Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muss bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser die Buergerwehr sich in festen und einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Buergerschaft nicht dabei beharren, die einzelnen Huegel, wie sie nacheinander mit Gebaeuden sich gefuellt hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flussinsel und die Hoehe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhaengende Stadtwall begann am Fluss unterhalb des Aventin und umschloss diesen Huegel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluss zu, teils an dem entgegengesetzten oestlichen, die kolossalen Ueberreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstuecke von der Hoehe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus maechtigen, viereckig behauenen Tuffbloecken unregelmaessig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswaenden unvergaenglich dastehen und deren geistige Taten unvergaenglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter umfasste der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in groesseren Resten zu Tage gekommener Bau, nach aussen von Peperinbloecken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschuetzt, nach innen in einen maechtigen, gegen die Stadt zu abgeboeschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der natuerlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und stiess oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluss. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbruecke und das Ianiculum gehoerten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Hoehe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Huegel jetzt dem freien staedtischen Anbau ueberlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und bei seinem maessigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Huegel die neue “Burg” (arx, capitolium) ^6 angelegt mit dem Burgbrunnen, dem sorgfaeltig gefassten “Quellhaus” (tullianum), der Schatzkammer (aerarium), dem Gefaengnis und dem aeltesten Versammlungsplatz der Buergerschaft (area Capitolina), auf dem auch spaeter immer noch die regelmaessigen Abkuendigungen der Mondzeiten stattgefunden haben. Privatwohnungen dauernder Art sind dagegen in frueherer Zeit nicht auf dem Burghuegel geduldet worden ^7; und der Raum zwischen den beiden Spitzen des Huegels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, wie die spaetere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbstaendiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfaehiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem spaeteren Markt zu gelegen hat ^8. In aehnlicher Weise, wenn auch schwaecher, scheint der Aventin befestigt und der festen Ansiedelung entzogen worden zu sein. Es haengt damit zusammen, dass fuer eigentlich staedtische Zwecke, zum Beispiel fuer die Verteilung des zugeleiteten Wassers, die roemische Stadtbewohnerschaft sich teilte in die eigentlichen Stadtbewohner (montani) und in die innerhalb der allgemeinen Ringmauer gelegenen, aber doch nicht zu der eigentlichen Stadt gerechneten Bezirke (pagani Aventinenses, Ianiculenses, collegia Capitolinorum et Mercurialium) ^9. Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfasste also ausser der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das Ianiculum ^10; der Palatin als die eigentliche und aelteste Stadt ward von den uebrigen Anhoehen, an denen die Mauer entlang gefuehrt war, wie im Kranz umschlossen und von den beiden Kastellen in die Mitte genommen. Aber das Werk war nicht vollstaendig, solange der mit schwerer Muehe vor dem auswaertigen Feinde geschirmte Boden nicht auch dem Wasser abgewonnen war, welches das Tal zwischen dem Palatin und dem Kapitol dauernd fuellte, sodass hier vielleicht sogar eine Faehre bestand, und das Tal zwischen dem Kapitol und der Velia sowie das zwischen Palatin und Aventin versumpfte. Die heute noch stehenden, aus prachtvollen Quadern zusammengefuegten unterirdischen Abzugsgraeben, welche die Spaeteren als ein Wunderwerk des koeniglichen Rom anstaunten, duerften eher der folgenden Epoche angehoeren, da Travertin dabei verwendet ist und vielfach von Neubauten daran in der republikanischen Zeit erzaehlt wird; allein die Anlage selbst gehoert ohne Zweifel in die Koenigszeit, wenngleich vermutlich in eine spaetere Epoche als die Anlage des Mauerrings und der kapitolinischen Burg. Durch sie wurden an den entsumpften oder trockengelegten Stellen oeffentliche Plaetze gewonnen, wie die neue Grossstadt sie bedurfte. Der Versammlungsplatz der Gemeinde, bis dahin der kapitolinische Platz auf der Burg selbst, ward verlegt auf die Flaeche, die von der Burg gegen die Stadt sich senkte (comitium), und dehnte von dort zwischen dem Palatin und den Carinen in der Richtung nach der Velia hin sich aus. An der der Burg zugekehrten Seite der Dingstaette erhielten auf der nach Art eines Altanes ueber die Dingstaette sich erhebenden Burgmauer die Ratsmitglieder und die Gaeste der Stadt bei Festlichkeiten und Volksversammlungen den Ehrenplatz; und auf dem Versammlungsplatz selbst wurde das Rathaus errichtet, das spaeter den Namen der hostilischen Kurie fuehrte. Die Estrade fuer den Richterstuhl (tribunal) und die Buehne, von wo aus zur Buergerschaft gesprochen ward (die spaeteren rostra), wurden ebenfalls auf der Dingstaette selbst errichtet. Ihre Verlaengerung gegen die Velia ward der neue Markt (forum Romanum). Am Ende desselben, unter dem Palatin, erhob sich das Gemeindehaus, das die Amtswohnung des Koenigs (regia) und den gemeinsamen Herd der Stadt, die Rotunde des Vestatempels, einschloss; nicht weit davon, an der Suedseite des Marktes, ward ein dazu gehoeriges zweites Rundgebaeude errichtet, die Kammer der Gemeinde oder der Tempel der Penaten, der heute noch steht als Vorhalle der Kirche Santi Cosma e Damiano. Es ist bezeichnend fuer die neu und in ganz anderer Art, als die Ansiedelung der “sieben Berge” es gewesen war, geeinigte Stadt, dass neben und ueber die dreissig Kurienherde, mit deren Vereinigung in einem Gebaeude das palatinische Rom sich begnuegt hatte, in dem Servianischen dieser allgemeine und einheitliche Stadtherd trat ^11. Laengs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kauflaeden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward fuer die Rennspiele der “Ring” abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevoelkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtuemer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Hoehe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit gewaehrt hatte und nun, wie die Roemer ueber die umliegenden Nationen, so mit ihnen ueber die unterworfenen Goetter der Besiegten triumphierte.

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^6 Beide Namen, obwohl spaeter auch als Lokalnamen und zwar capitolium von der nach dem Fluss, arx von der nach dem Quirinal zu liegenden Spitze des Burghuegels gebraucht, sind urspruenglich, genau den griechischen άκρα und κορυφή entsprechend, appellativ, wie denn jede latinische Stadt ihr capitolium ebenfalls hat. Der Lokalname des roemischen Burghuegels ist mons Tarpeius.

^7 Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhaeuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.

^8 Denn von hier fuehrte der Hauptweg, die “Heilige Strasse”, auf die Burg hinauf und in der Wendung, die diese bei dem Severusbogen nach links macht, ist noch deutlich die Einbiegung auf das Tor zu erkennen. Dieses selbst wird in den grossen Bauten, die spaeter am Clivus stattfanden, untergegangen sein. Das sogenannte Tor an der steilsten Stelle des kapitolinischen Berges, das unter dem Namen des janualischen oder saturnischen oder auch des offenen vorkommt und in Kriegszeiten stets offenstehen musste, hatte augenscheinlich nur religioese Bedeutung und ist nie ein wirkliches Tor gewesen.

^9 Es kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jaehrlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Roemische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiss nicht zufaellig, dass diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier oertlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Huegeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehoerigen Ianiculum angehoeren; und damit steht weiter im Zusammenhang, dass als Bezeichnung der gesamten staedtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird - vgl. ausser der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz ueber die staedtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori fuer die ganze eigentliche Stadtbuergerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher die ausserhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal.

^10 Die “Siebenhuegelstadt” im eigentlichen und religioesen Sinn ist und bleibt das engere palatinische Altrom. Allerdings hat auch das Servianische Rom sich wenigstens schon in der ciceronischen Zeit (vgl. z. B. Cic. Att. 6, 5, 2; Plut. q. Rom. 69) als Siebenhuegelstadt betrachtet, wahrscheinlich weil das auch in der Kaiserzeit eifrig gefeierte Fest des Septimontium anfing, als allgemeines Stadtfest zu gelten; aber schwerlich ist man je darueber zu fester Einigung gelangt, welche von den durch den Servianischen Mauerring umfassten Anhoehen zu den sieben zaehlen. Die uns gelaeufigen sieben Berge Palatinus, Aventinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis, Quirinalis, Capitolinus zaehlt kein alter Schriftsteller auf. Sie sind zusammengestellt aus der traditionellen Erzaehlung von der allmaehlichen Entstehung der Stadt (Jordan, Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 206f.), aber das Ianiculum ist dabei nur uebergangen, weil sonst acht herauskommen wuerden. Die aelteste Quelle, welche die sieben Berge (montes) Roms aufzaehlt, die Stadtbeschreibung aus der Zeit Konstantins des Grossen, nennt als solche Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, Tarpeius, Vaticanus und Ianiculum - wo also der Quirinal und Viminal, offenbar als colles, fehlen und dafuer zwei “montes” vom rechten Tiberufer, darunter sogar der ausserhalb der Servianischen Mauer liegende Vaticanus mit hineingezogen sind. Andere, noch spaetere Listen geben Servius (Aen. 6, 783), die Berner Scholien zu Vergils Georgiken (2, 535) und Lydus (mens. p. 118 Bekker).

^11 Sowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrueckliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), dass der Vestatempel ausserhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, dass diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgruendung im Zusammenhang stehen; und wenn den Spaeteren dieses Koenigshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.

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Die Namen der Maenner, auf deren Geheiss diese staedtischen Grossbauten sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Fuehrer in den aeltesten roemischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knuepft die verschiedenen Werke an verschiedene Koenige an, das Rathaus an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbruecke an Ancus Marcius, die grosse Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Aelteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben moegen richtig sein, und es scheint nicht zufaellig, dass der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwaelle wesentliche Ruecksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnuegen muessen, aus dieser Ueberlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, dass diese zweite Schoepfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie ueber Latium und mit der Umschaffung des Buergerheeres im engsten Zusammenhange stand; und dass sie zwar aus einem und demselben grossen Gedanken hervorgegangen, uebrigens aber weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Dass auch in diese Umgestaltung des roemischen Gemeindewesens die hellenische Anregung maechtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmoeglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, dass die Servianische Militaerverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und dass die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird spaeter gezeigt werden. Auch das neue Koenigshaus mit dem Stadtherd ist vollstaendig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stueck nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die Ueberlieferung meldet, dass der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermassen als Muster diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward.

KAPITEL VIII.
Die umbrisch-sabellischen Stämme.
Anfänge der Samniten

Spaeter als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Staemme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich suedwaerts bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die oestliche Kueste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie in aeltester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Staemme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kaempfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in aeltester Zeit gegen Sueden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluss gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Groesse moegen die offenbar italischen Namen der aeltesten Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen Spuren in Suedetrurien (Fluss Umbro, Camars alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevoelkerung in dem suedlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen Beruehrungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog ist ^1. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehoeren die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese suedlichen Striche bedeutend spaeter als die Landschaft nordwaerts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische Bevoelkerung sich hier gehalten. Die spaeter nach der roemischen Eroberung im Vergleich mit dem zaehen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im noerdlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der suedlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Dass von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kaempfen zurueckgedraengt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie spaeter innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubuendens und die der Basken ihre aehnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiss zu berichten, dass die Tusker den Umbrern dreihundert Staedte entrissen haben, und, was mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst anderen Staemmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwuenscht.

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^1 In dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z ( ); es kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem aeltesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und aehnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.

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Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geuebten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Sueden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Staemmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschraenkend und mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgepraegt sein konnten, wie wir spaeter ihn finden. In diesen Kreis gehoert, was die Sage zu erzaehlen weiss von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kaempfen mit den Roemern; aehnliche Erscheinungen moegen sich laengs der ganzen Westkueste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevoelkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; waehrend anderseits die wohlbevoelkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie der Titier und spaeter der Claudier in Rom, ganz abwehren zu koennen oder zu wollen. So mischten sich hier die Staemme hueben und drueben, woraus sich auch erklaert, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so frueh und so schnell sich latinisieren konnten.

Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina oestlich in die Gebirge der Abruzzen und das suedlich an diese sich anschliessende Huegelland: sie besetzten auch hier wie an der Westkueste die bergigen Striche, deren duenne Bevoelkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, waehrend dagegen in dem ebenen apulischen Kuestenland die alte einheimische Bevoelkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, laesst sich natuerlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom die Koenige herrschten. Die Sage erzaehlt, dass die Sabiner, gedraengt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heisst schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Soehne und Toechter, nachdem sie erwachsen waeren, preiszugeben und ueber die Landesgrenze zu schaffen, damit die Goetter sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswaerts ihnen neue Sitze bescheren moechten. Den einen Schwarm fuehrte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluss und in spaeterer Zeit von da aus die schoene Ebene oestlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstaette, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen fuehrte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In aehnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die uebrigen kleinen Voelkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich beruehrend. In ihnen allen blieb das Gefuehl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Waehrend die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die westlichen Auslaeufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder hellenischen Bevoelkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Staemme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrueckt dem Anstoss der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Staedtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Grossverkehr schloss ihre geographische Lage sie beinahe voellig aus und dem Beduerfnis der Verteidigung genuegten die Bergspitzen und die Schutzburgen, waehrend die Bauern wohnen blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; aehnlich wie bei den aehnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten hoechstens mehr oder minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergtaeler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, dass diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in voelliger Isolierung gegen das uebrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der Samniten in dem oestlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Hoehepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit frueherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloss ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, spaeter mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbuertigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknuepft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, dass in Samnium keine einzelne Gemeinde ueberwog und noch weniger ein staedtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern dass die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit haengt es zusammen, dass die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die roemische aggressiv ist, sondern sich beschraenkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so maechtig, dass die Erweiterung des Gebiets planmaessig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden Voelker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Roemer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im Glueck wie im Unglueck preisgegeben waren. Doch gehoeren die Eroberungen, welche die Samniten an den Kuesten des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer spaeteren Periode an; waehrend die Koenige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir spaeter sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlassten Voelkerbewegungen ist der Ueberfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwaehnen; es moegen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefaerbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zuegen zu geschehen pflegt, die Draengenden und die Gedraengten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern suedwaerts gedraengten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; fuer diesmal gelang es noch der ueberlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schoenen Seestadt abzuschlagen.

KAPITEL IX.
Die Etrusker

Im schaerfsten Gegensatz zu den latinischen und den sabellischen Italikern wie zu den Griechen steht das Volk der Etrusker oder, wie sie sich selber nannten, der Rasen ^1. Schon der Koerperbau unterschied die beiden Nationen; statt des schlanken Ebenmasses der Griechen und Italiker zeigen die Bildwerke der Etrusker nur kurze staemmige Figuren mit grossem Kopf und dicken Armen. Was wir wissen von den Sitten und Gebraeuchen dieser Nation, laesst gleichfalls auf eine tiefe und urspruengliche Verschiedenheit von den griechisch-italischen Staemmen schliessen, so namentlich die Religion, die bei den Tuskern einen trueben phantastischen Charakter traegt und im geheimnisvollen Zahlenspiel und wuesten und grausamen Anschauungen und Gebraeuchen sich gefaellt, gleich weit entfernt von dem klaren Rationalismus der Roemer und dem menschlich heiteren hellenischen Bilderdienst. Was hierdurch angedeutet wird, das bestaetigt das wichtigste Dokument der Nationalitaet, die Sprache, deren auf uns gekommene Reste, so zahlreich sie sind, und so manchen Anhalt sie fuer die Entzifferung darbieten, dennoch so vollkommen isoliert stehen, dass es bis jetzt nicht einmal gelungen ist, den Platz des Etruskischen in der Klassifizierung der Sprachen mit Sicherheit zu bestimmen, geschweige denn die Ueberreste zu deuten. Deutlich unterscheiden wir zwei Sprachperioden. In der aelteren ist die Vokalisierung vollstaendig durchgefuehrt und das Zusammenstossen zweier Konsonanten fast ohne Ausnahme vermieden ^2. Durch Abwerfen der vokalischen konsonantischen Endungen und durch Abschwaechen oder Ausstossen der Vokale ward dies weiche und klangvolle Idiom allmaehlich in eine unertraeglich harte und rauhe Sprache verwandelt ^3; so machte man zum Beispiel ramθa aus ramuθaf, Tarchnaf aus Tarquinius, Menrva aus Minerva, Menle, Pultuke, Elchsentre aus Menelaos, Polydeukes, Alexandros. Wie dumpf und rauh die Aussprache war, zeigt am deutlichsten, dass o und u, b und p, c und g, d und t den Etruskern schon in sehr frueher Zeit zusammenfielen. Zugleich wurde wie im Lateinischen und in den rauheren griechischen Dialekten der Akzent durchaus auf die Anfangssilbe zurueckgezogen. Aehnlich wurden die aspirierten Konsonanten behandelt; waehrend die Italiker sie wegwarfen mit Ausnahme des aspirierten b oder des f, und die Griechen umgekehrt mit Ausnahme dieses Lautes die uebrigen θ φ χ beibehielten, liessen die Etrusker den weichsten und lieblichsten, das φ gaenzlich, ausser in Lehnwoertern fallen und bedienten sich dagegen der uebrigen drei in ungemeiner Ausdehnung, selbst wo sie nicht hingehoerten, wie zum Beispiel Thetis ihnen Thethis, Telephus Thelaphe, Odysseus Utuze oder Uthuze heisst. Von den wenigen Endungen und Woertern, deren Bedeutung ermittelt ist, entfernen die meisten sich weit von allen griechisch-italischen Analogien; so die Zahlwoerter alle; so die Endung al zur Bezeichnung der Abstammung, haeufig als Metronymikon, wie zum Beispiel Canial auf einer zwiesprachigen Inschrift von Chiusi uebersetzt wird durch Cainnia natus; die Endung sa bei Frauennamen zur Bezeichnung des Geschlechts, in das sie eingeheiratet haben, so dass zum Beispiel die Gattin eines Licinius Lecnesa heisst. So ist cela oder clan mit dem Kasus clensi Sohn; seχ Tochter; ril Jahr; der Gott Hermes wird Turms, Aphrodite Turan, Hephaestos Sethlans, Bakchos Fufluns. Neben diesen fremdartigen Formen und Lauten finden sich allerdings einzelne Analogien zwischen dem Etruskischen und den italischen Sprachen. Die Eigennamen sind im wesentlichen nach dem allgemeinen italischen Schema gebildet: die haeufige gentilizische Endung enas oder ena ^4 kehrt wieder in der auch in italischen, besonders sabellischen Geschlechtsnamen haeufigen Endung enus, wie denn die etruskischen Namen Maecenas und Spurinna den roemischen Maecius und Spurius genau entsprechen. Eine Reihe von Goetternamen, die auf etruskischen Denkmaelern oder bei Schriftstellern als etruskische vorkommen, sind dem Stamme und zum Teil auch der Endung nach so durchaus lateinisch gebildet, dass, wenn diese Namen wirklich von Haus aus etruskisch sind, die beiden Sprachen eng verwandt gewesen sein muessen: so Usil (Sonne und Morgenroete, verwandt mit ausum, aurum, aurora, sol), Minerva (menervare), Lasa (lascivus), Neptunus, Voltumna. Indes da diese Analogien erst aus den spaeteren politischen und religioesen Beziehungen zwischen Etruskern und Latinern und den dadurch veranlassten Ausgleichungen und Entlehnungen herruehren koennen, so stossen sie noch nicht das Ergebnis um, zu dem die uebrigen Wahrnehmungen hinfuehren, dass die tuskische Sprache von den saemtlichen griechisch-italischen Idiomen mindestens so weit abstand wie die Sprache der Kelten und der Slaven. So wenigstens klang sie den Roemern; “tuskisch und gallisch” sind Barbarensprachen, “oskisch und volskisch” Bauernmundarten. Wenn aber die Etrusker dem griechisch-italischen Sprachstamm fernstanden, so ist es bis jetzt ebensowenig gelungen, sie einem andern bekannten Stamme anzuschliessen. Auf die Stammesverwandtschaft mit dem etruskischen sind die verschiedenartigsten Idiome, bald mit der einfachen, bald mit der peinlichen Frage, aber alle ohne Ausnahme vergeblich befragt worden; selbst mit dem baskischen, an das den geographischen Verhaeltnissen nach noch am ersten gedacht werden koennte, haben entscheidende Analogien sich nicht herausgestellt. Ebensowenig deuten die geringen Reste, die von der liturgischen Sprache in Orts- und Personennamen auf uns gekommen sind, auf Zusammenhang mit den Tuskern. Nicht einmal die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuskischen Meeres, namentlich auf Sardinien, jene raetselhaften Grabtuerme, Nurhagen genannt, zu Tausenden aufgefuehrt hat, kann fueglich mit der etruskischen in Verbindung gebracht werden, da im etruskischen Gebiet kein einziges gleichartiges Gebaeude vorkommt. Hoechstens deuten einzelne, wie es scheint, ziemlich zuverlaessige Spuren darauf hin, dass die Etrusker im allgemeinen den Indogermanen beizuzaehlen sind. So ist namentlich mi im Anfang vieler aelterer Inschriften sicher εμί, ειμί und findet die Genetivform konsonantischer Staemme veneruf, rafuvuf im Altlateinischen genau sich wieder, entsprechend der alten sanskritischen Endung as. Ebenso haengt der Name des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl mit dem sanskritischen dina = Tag zusammen wie Ζάν mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber selbst dies zugegeben erscheint das etruskische Volk darum kaum weniger isoliert. “Die Etrusker”, sagt schon Dionysios, “stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte”; und weiter haben auch wir nichts zu sagen.

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^1 Ras-ennae mit der 1, 131 erwaehnten gentilizischen Endung.

^2 Dahin gehoeren z. B. Inschriften caeritischer Tongefaesse wie: minice θumamimaθumaramlisiaeipurenaieθeeraisieepanamineθunastavhelefu oder: mi ramuθas kaiufinaia.

^3 Wie die Sprache jetzt klingen mochte, davon kann einen Begriff geben zum Beispiel der Anfang der grossen Perusiner Inschrift: eulat tanna larezu amevaχr lautn velθinase stlaafunas sleleθcaru.

^4 So Maecenas, Porsena, Vivenna, Caecina, Spurinna. Der Vokal in der vorletzten Silbe ist urspruenglich lang, wird aber infolge der Zurueckziehung des Akzents auf die Anfangssilbe haeufig verkuerzt und sogar ausgestossen. So finden wir neben Porsēna, auch Porsĕna, neben Caecina Ceicne.

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Ebensowenig laesst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehoert und dessen geschichtliche Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indes ist kaum eine Frage eifriger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Archaeologen, vorzugsweise nach dem zu forschen, was weder wissbar noch wissenswert ist, “nach der Mutter der Hekabe”, wie Kaiser Tiberius meinte. Da die aeltesten und bedeutendsten etruskischen Staedte tief im Binnenlande liegen, ja unmittelbar am Meer keine einzige namhafte etruskische Stadt begegnet ausser Populonia, von dem wir aber eben sicher wissen, dass es zu den alten Zwoelf Staedten nicht gehoert hat; da ferner in geschichtlicher Zeit die Etrusker von Norden nach Sueden sich bewegen, so sind sie wahrscheinlich zu Lande nach der Halbinsel gekommen; wie denn auch die niedere Kulturstufe, auf der wir sie zuerst finden, mit einer Einwanderung ueber das Meer sich schlecht vertragen wuerde. Eine Meerenge ueberschritten schon in fruehester Zeit die Voelker gleich einem Strom; aber eine Landung an der italischen Westkueste setzt ganz andere Bedingungen voraus. Danach muss die aeltere Heimat der Etrusker west- oder nordwaerts von Italien gesucht werden. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Etrusker ueber die raetischen Alpen nach Italien gekommen sind, da die aeltesten in Graubuenden und Tirol nachweisbaren Ansiedler, die Raeter, bis in die historische Zeit etruskisch redeten und auch ihr Name auf den der Rasen anklingt; sie koennen freilich Truemmer der etruskischen Ansiedlungen am Po, aber wenigstens ebenso gut auch ein in den aelteren Sitzen zurueckgebliebener Teil des Volks sein.

Mit dieser einfachen und naturgemaessen Auffassung aber tritt in grellen Widerspruch die Erzaehlung, dass die Etrusker aus Asien ausgewanderte Lyder seien. Sie ist sehr alt: schon bei Herodot findet sie sich und kehrt dann in zahllosen Wandlungen und Steigerungen bei den Spaeteren wieder, wenngleich einzelne verstaendige Forscher, wie zum Beispiel Dionysios, sich nachdruecklich dagegen erklaerten und darauf hinwiesen, dass in Religion, Gesetz, Sitte und Sprache zwischen Lydern und Etruskern auch nicht die mindeste Aehnlichkeit sich zeige. Es ist moeglich, dass ein vereinzelter kleinasiatischer Piratenschwarm nach Etrurien gelangt ist und an dessen Abenteuer diese Maerchen anknuepfen; wahrscheinlicher aber beruht die ganze Erzaehlung auf einem blossen Quiproquo. Die italischen Etrusker oder die Turs-ennae - denn diese Form scheint die urspruengliche und der griechischen Τυρ-σηνοί, Τυρρηνοί, der umbrischen Turs-ci, den beiden roemischen Tusci Etrusci zu Grunde zu liegen - begegneten sich in dem Namen ungefaehr mit dem lydischen Volke der Τορρηβοί oder auch wohl Τυρρ-ηνοί, so genannt von der Stadt Τύρρα; und diese offenbar zufaellige Namensvetterschaft scheint in der Tat die einzige Grundlage jener durch ihr hohes Alter reicht besser gewordenen Hypothese und des ganzen babylonischen Turmes darauf aufgefuehrter Geschichtsklitterungen zu sein. Indem man mit dem lydischen Piratenwesen den alten etruskischen Seeverkehr verknuepfte und endlich noch - zuerst nachweislich tut es Thukydides - die torrhebischen Seeraeuber mit Recht oder Unrecht zusammenwarf mit dem auf allen Meeren pluendernden und hausenden Flibustiervolk der Pelasger, entstand eine der heillosesten Verwirrungen geschichtlicher Ueberlieferung. Die Tyrrhener bezeichnen bald die lydischen Torrheber - so in den aeltesten Quellen, wie in den Homerischen Hymnen; bald als Tyrrhener-Pelasger oder auch bloss Tyrrhener die pelasgische Nation; bald endlich die italischen Etrusker, ohne dass die letzteren mit den Pelasgern oder den Torrhebern je sich nachhaltig beruehrt oder gar die Abstammung mit ihnen gemein haetten.

Von geschichtlichem Interesse ist es dagegen zu bestimmen, was die nachweislich aeltesten Sitze der Etrusker waren und wie sie von dort aus sich weiter bewegten. Dass sie vor der grossen keltischen Invasion in der Landschaft noerdlich vom Padus sassen, oestlich an der Etsch grenzend mit den Venetern illyrischen (albanesischen?) Stammes, westlich mit den Ligurern, ist vielfach beglaubigt; vornehmlich zeugt dafuer der schon erwaehnte rauhe etruskische Dialekt, den noch in Livius’ Zeit die Bewohner der raetischen Alpen redeten, sowie das bis in spaete Zeit tuskisch gebliebene Mantua. Suedlich vom Padus und an den Muendungen dieses Flusses mischten sich Etrusker und Umbrer, jener als der herrschende Stamm, dieser als der aeltere, der die alten Kaufstaedte Atria und Spina gegruendet hatte, waehrend Felsina (Bologna) und Ravenna tuskische Anlagen scheinen. Es hat lange gewaehrt, ehe die Kelten den Padus ueberschritten; womit es zusammenhaengt, dass auf dem rechten Ufer desselben das etruskische und umbrische Wesen weit tiefere Wurzeln geschlagen hat als auf dem frueh aufgegebenen linken. Doch sind ueberhaupt die Landschaften noerdlich vom Apennin zu rasch von einer Nation an die andere gelangt, als dass eine dauerhafte Volksentwicklung sich hier haette gestalten koennen.

Weit wichtiger fuer die Geschichte wurde die grosse Ansiedelung der Tusker in dem Lande, das heute noch ihren Namen traegt. Moegen auch Ligurer oder Umbrer hier einstmals gewohnt haben, so sind doch ihre Spuren durch die etruskische Okkupation und Zivilisation so gut wie vollstaendig ausgetilgt worden. In diesem Gebiet, das am Meer von Pisae bis Tarquinii reicht und oestlich vom Apennin abgeschlossen wird, hat die etruskische Nationalitaet ihre bleibende Staette gefunden und mit grosser Zaehigkeit bis in die Kaiserzeit hinein sich behauptet. Die Nordgrenze des eigentlich tuskischen Gebietes machte der Arnus; das Gebiet von da nordwaerts bis zur Muendung der Macra und dem Apennin war streitiges Grenzland, bald ligurisch, bald etruskisch, und groessere Ansiedlungen gediehen deshalb daselbst nicht. Die Suedgrenze bildete anfangs wahrscheinlich der Ciminische Wald, eine Huegelkette suedlich von Viterbo, spaeterhin der Tiberstrom; es ward schon oben angedeutet, dass das Gebiet zwischen dem Ciminischen Gebirg und dem Tiber mit den Staedten Sutrium, Nepete, Falerii, Veii, Caere erst geraume Zeit spaeter als die noerdlicheren Distrikte, moeglicherweise erst im zweiten Jahrhundert Roms, von den Etruskern eingenommen zu sein scheint und dass die urspruengliche italische Bevoelkerung sich hier, namentlich in Falerii, wenn auch in abhaengigem Verhaeltnis behauptet haben muss.

Seitdem der Tiberstrom die Markscheide Etruriens gegen Umbrien und Latium bildete, mag hier im ganzen ein friedliches Verhaeltnis eingetreten sein und eine wesentliche Grenzverschiebung nicht stattgefunden haben, am wenigsten gegen die Latiner. So lebendig in den Roemern das Gefuehl lebte, dass der Etrusker ihnen fremd, der Latiner ihr Landsmann war, so scheinen sie doch vom rechten Ufer her weit weniger Ueberfall und Gefahr befuerchtet zu haben als zum Beispiel von den Stammesverwandten in Gabii und Alba; natuerlich, denn dort schuetzte nicht bloss die Naturgrenze des breiten Stromes, sondern auch der fuer Roms merkantile und politische Entwicklung folgenreiche Umstand, dass keine der maechtigeren etruskischen Staedte unmittelbar am Fluss lag wie am latinischen Ufer Rom. Dem Tiber am naechsten waren die Veienter, und sie waren es auch, mit denen Rom und Latium am haeufigsten in ernste Konflikte gerieten, namentlich um den Besitz von Fidenae, welches den Veientern auf dem linken Tiberufer, aehnlich wie auf dem rechten den Roemern das Ianiculum, als eine Art Brueckenkopf diente und bald in den Haenden der Latiner, bald in denen der Etrusker sich befand. Dagegen mit dem etwas entfernteren Caere war das Verhaeltnis im ganzen weit friedlicher und freundlicher, als es sonst unter Nachbarn in solchen Zeiten vorzukommen pflegt. Es gibt wohl schwankende und in die graueste Fernzeit gerueckte Sagen von Kaempfen zwischen Latium und Caere, wie denn der caeritische Koenig Mezentius ueber die Latiner grosse Siege erfochten und denselben einen Weinzins auferlegt haben soll; aber viel bestimmter als der einstmalige Fehdestand erhellt aus der Tradition ein vorzugsweise enges Verhaeltnis zwischen den beiden uralten Mittelpunkten des Handels- und Seeverkehrs in Latium und in Etrurien. Sichere Spuren von einem Vordringen der Etrusker ueber den Tiber hinaus auf dem Landweg mangeln ueberhaupt. Zwar werden in dem grossen Barbarenheer, das Aristodemos im Jahre 230 (524) der Stadt unter den Mauern von Kyme vernichtet, die Etrusker in erster Reihe genannt; indes selbst wenn man diese Nachricht als bis ins einzelne glaubwuerdig betrachtet, folgt daraus nur, dass die Etrusker an einem grossen Pluenderzuge teilnahmen. Weit wichtiger ist es, dass suedwaerts vom Tiber keine auf dem Landweg gegruendete etruskische Ansiedlung nachweisbar ist und dass namentlich von einer ernstlichen Bedraengung der latinischen Nation durch die Etrusker gar nichts wahrgenommen wird. Der Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermuendung blieb den Roemern, soviel wir sehen, unangefochten. Was die Uebersiedlungen etruskischer Gemeinschaften nach Rom anlangt, so findet sich ein vereinzelter, aus tuskischen Annalen gezogener Bericht, dass eine tuskische Schar, welche Caelius Vivenna von Volsinii und nach dessen Untergang der treue Genosse desselben, Mastarna, angefuehrt habe, von dem letzteren nach Rom gefuehrt worden sei. Es mag dies zuverlaessig sein, wenngleich die Herleitung des Namens des caelischen Berges von diesem Caelius offenbar eine Philologenerfindung ist und nun gar der Zusatz, dass dieser Mastarna in Rom Koenig geworden sei unter dem Namen Servius Tullius, gewiss nichts ist als eine unwahrscheinliche Vermutung solcher Archaeologen, die mit dem Sagenparallelismus sich abgaben. Auf etruskische Ansiedlungen in Rom deutet weiter das “Tuskerquartier” unter dem Palatin.

Auch das kann schwerlich bezweifelt werden, dass das letzte Koenigsgeschlecht, das ueber die Roemer geherrscht hat, das der Tarquinier, aus Etrurien entsprossen ist, sei es nun aus Tarquinii, wie die Sage will, sei es aus Caere, wo das Familiengrab der Tarchnas vor kurzem aufgefunden worden ist; auch der in die Sage verflochtene Frauenname Tanaquil oder Tanchvil ist unlateinisch, dagegen in Etrurien gemein. Allein die ueberlieferte Erzaehlung, wonach Tarquinius der Sohn eines aus Korinth nach Tarquinii uebergesiedelten Griechen war und in Rom als Metoeke einwanderte, ist weder Geschichte noch Sage und die geschichtliche Kette der Ereignisse offenbar hier nicht bloss verwirrt, sondern voellig zerrissen. Wenn aus dieser Ueberlieferung ueberhaupt etwas mehr entnommen werden kann als die nackte und im Grunde gleichgueltige Tatsache, dass zuletzt ein Geschlecht tuskischer Abkunft das koenigliche Szepter in Rom gefuehrt hat, so kann darin nur liegen, dass diese Herrschaft eines Mannes tuskischer Herkunft ueber Rom weder als eine Herrschaft der Tusker oder einer tuskischen Gemeinde ueber Rom, noch umgekehrt als die Herrschaft Roms ueber Suedetrurien gefasst werden darf. In der Tat ist weder fuer die eine noch fuer die andere Annahme irgendein ausreichender Grund vorhanden; die Geschichte der Tarquinier spielt in Latium, nicht in Etrurien, und soweit wir sehen, hat waehrend der ganzen Koenigszeit Etrurien auf Rom weder in der Sprache noch in Gebraeuchen einen wesentlichen Einfluss geuebt oder gar die ebenmaessige Entwicklung des roemischen Staats oder des latinischen Bundes unterbrochen.

Die Ursache dieser relativen Passivitaet Etruriens gegen das latinische Nachbarland ist wahrscheinlich teils zu suchen in den Kaempfen der Etrusker mit den Kelten am Padus, den diese vermutlich erst nach der Vertreibung der Koenige in Rom ueberschritten, teils in der Richtung der etruskischen Nation auf Seefahrt und Meer- und Kuestenherrschaft, womit zum Beispiel die kampanischen Ansiedelungen entschieden zusammenhaengen und wovon im folgenden Kapitel weiter die Rede sein wird.

Die tuskische Verfassung beruht gleich der griechischen und latinischen auf der zur Stadt sich entwickelnden Gemeinde. Die fruehe Richtung der Nation aber auf Schiffahrt, Handel und Industrie scheint rascher, als es sonst in Italien der Fall gewesen ist, hier eigentlich staedtische Gemeinwesen ins Leben gerufen zu haben; zuerst von allen italischen Staedten wird in den griechischen Berichten Caere genannt. Dagegen finden wir die Etrusker im ganzen minder kriegstuechtig und kriegslustig als die Roemer und Sabeller; die unitalische Sitte, mit Soeldnern zu fechten, begegnet hier sehr frueh. Die aelteste Verfassung der Gemeinden muss in den allgemeinen Grundzuegen Aehnlichkeit mit der roemischen gehabt haben; Koenige oder Lucumonen herrschten, die aehnliche Insignien, also wohl auch aehnliche Machtfuelle besassen wie die roemischen; Vornehme und Geringe standen sich schroff gegenueber; fuer die Aehnlichkeit der Geschlechterordnung buergt die Analogie des Namensystems, nur dass bei den Etruskern die Abstammung von muetterlicher Seite weit mehr Beachtung findet als im roemischen Recht. Die Bundesverfassung scheint sehr lose gewesen zu sein. Sie umschloss nicht die gesamte Nation, sondern es waren die noerdlichen und die kampanischen Etrusker zu eigenen Eidgenossenschaften vereinigt ebenso wie die Gemeinden des eigentlichen Etrurien; jeder dieser Buende bestand aus zwoelf Gemeinden, die zwar eine Metropole, namentlich fuer den Goetterdienst, und ein Bundeshaupt oder vielmehr einen Oberpriester anerkannten, aber doch im wesentlichen gleichberechtigt gewesen zu sein scheinen und zum Teil wenigstens so maechtig, dass weder eine Hegemonie sich bilden noch die Zentralgewalt zur Konsolidierung gelangen konnte. Im eigentlichen Etrurien war die Metropole Volsinii; von den uebrigen Zwoelfstaedten desselben kennen wir durch sichere Ueberlieferung nur Perusia, Vetulonium, Volci und Tarquinii. Es ist indes ebenso selten, dass die Etrusker wirklich gemeinschaftlich handeln, als das Umgekehrte selten ist bei der latinischen Eidgenossenschaft; die Kriege fuehrt regelmaessig eine einzelne Gemeinde, die von ihren Nachbarn wen sie kann ins Interesse zieht, und wenn ausnahmsweise der Bundeskrieg beschlossen wird, so schliessen sich dennoch sehr haeufig einzelne Staedte aus - es scheint den etruskischen Konfoederationen mehr noch als den aehnlichen italischen Stammbuenden von Haus aus an einer festen und gebietenden Oberleitung gefehlt zu haben.

KAPITEL X.
Die Hellenen in Italien.
Seeherrschaft der Tusker und Karthager

Nicht auf einmal wird es hell in der Voelkergeschichte des Altertums; und auch hier beginnt der Tag im Osten. Waehrend die italische Halbinsel noch in tiefes Werdegrauen eingehuellt liegt, ist in den Landschaften am oestlichen Becken des Mittelmeers bereits eine nach allen Seiten hin reich entwickelte Kultur ans Licht getreten; und das Geschick der meisten Voelker, in den ersten Stadien der Entwicklung an einem ebenbuertigen Bruder zunaechst den Meister und Herrn zu finden, ist in hervorragendem Masse auch den Voelkern Italiens zuteil geworden. Indes lag es in den geographischen Verhaeltnissen der Halbinsel, dass eine solche Einwirkung nicht zu Lande stattfinden konnte. Von der Benutzung des schwierigen Landwegs zwischen Italien und Griechenland in aeltester Zeit findet sich nirgends eine Spur. In das transalpinische Land freilich mochten von Italien aus schon in unvordenklich ferner Zeit Handelsstrassen fuehren: die aelteste Bernsteinstrasse erreichte von der Ostsee aus das Mittelmeer an der Pomuendung - weshalb in der griechischen Sage das Delta des Po als Heimat des Bernsteins erscheint -, und an diese Strasse schloss sich eine andere quer durch die Halbinsel ueber den Apennin nach Pisa fuehrende an; aber Elemente der Zivilisation konnten von dort her den Italikern nicht zukommen. Es sind die seefahrenden Nationen des Ostens, die nach Italien gebracht haben, was ueberhaupt in frueher Zeit von auslaendischer Kultur dorthin gelangt ist.

Das aelteste Kulturvolk am Mittelmeergestade, die Aegypter, fuhren noch nicht ueber Meer und haben daher auch auf Italien nicht eingewirkt. Ebensowenig aber kann dies von den Phoenikern behauptet werden. Allerdings waren sie es, die von ihrer engen Heimat am aeusseren Ostrand des Mittelmeers aus zuerst unter allen bekannten Staemmen auf schwimmenden Haeusern in dasselbe, anfangs des Fisch- und Muschelfangs, bald auch des Handels wegen, sich hinauswagten, die zuerst den Seeverkehr eroeffneten und in unglaublich frueher Zeit das Mittelmeer bis zu seinem aeussersten westlichen Ende befuhren. Fast an allen Gestaden desselben erscheinen vor den hellenischen phoenikische Seestationen: wie in Hellas selbst, auf Kreta und Kypros, in Aegypten, Libyen und Spanien, so auch im italischen Westmeer. Um ganz Sizilien herum, erzaehlt Thukydides, hatten, ehe die Griechen dorthin kamen, oder wenigstens, ehe sie dort in groesserer Anzahl sich festsetzten, die Phoeniker auf den Landspitzen und Inselchen ihre Faktoreien gegruendet, des Handels wegen mit den Eingeborenen, nicht um Land zu gewinnen. Allein anders verhaelt es sich mit dem italischen Festland. Von phoenikischen Niederlassungen daselbst ist bis jetzt nur eine einzige mit einiger Sicherheit nachgewiesen worden, eine punische Faktorei bei Caere, deren Andenken sich bewahrt hat teils in der Benennung der kleinen Ortschaft an der caeritischen Kueste Punicum, teils in dem zweiten Namen der Stadt Caere selbst, Agylla, welcher nicht, wie man fabelt, von den Pelasgern herruehrt, sondern phoenikisch ist und die “Rundstadt” bezeichnet, wie eben vom Ufer aus gesehen Caere sich darstellt. Dass diese Station und was von aehnlichen Gruendungen es an den Kuesten Italiens noch sonst gegeben haben mag, auf jeden Fall weder bedeutend noch von langem Bestande gewesen ist, beweist ihr fast spurloses Verschwinden; aber es liegt auch nicht der mindeste Grund vor, sie fuer aelter zu halten als die gleichartigen hellenischen Ansiedlungen an denselben Gestaden. Ein unveraechtliches Anzeichen davon, dass wenigstens Latium die kanaanitischen Maenner erst durch Vermittlung der Hellenen kennengelernt hat, ist ihre latinische, der griechischen entlehnte Benennung der Poener. Vielmehr fuehren alle aeltesten Beziehungen der Italiker zu der Zivilisation des Ostens entschieden nach Griechenland; und es laesst sich das Entstehen der phoenikischen Faktorei bei Caere, ohne auf die vorhellenische Periode zurueckzugehen, sehr wohl aus den spaeteren wohlbekannten Beziehungen des caeritischen Handelsstaats zu Karthago erklaeren. In der Tat lag, wenn man sich erinnert, dass die aelteste Schiffahrt wesentlich Kuestenfahrt war und blieb, den Phoenikern kaum eine Landschaft am Mittelmeer so fern wie der italische Kontinent. Sie konnten ihn nur entweder von der griechischen Westkueste oder von Sizilien aus erreichen; und es ist sehr glaublich, dass die hellenische Seefahrt frueh genug aufbluehte, um den Phoenikern in der Befahrung der Adriatischen wie der Tyrrhenischen See zuvorzukommen. Urspruenglichen unmittelbaren Einfluss der Phoeniker auf die Italiker anzunehmen, ist deshalb kein Grund vorhanden; auf die spaeteren Beziehungen der phoenikischen Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu den italischen Anwohnern der Tyrrhenischen See wird die Darstellung zurueckkommen.

Allem Anschein nach sind es also die hellenischen Schiffer gewesen, die zuerst unter den Anwohnern des oestlichen Beckens des Mittelmeers die italischen Kuesten befuhren. Von den wichtigen Fragen indes, aus welcher Gegend und zu welcher Zeit die griechischen Seefahrer dorthin gelangt sind, laesst nur die erstere sich mit einiger Sicherheit und Vollstaendigkeit beantworten. Es war das aeolische und ionische Gestade Kleinasiens, wo zuerst der hellenische Seeverkehr sich grossartig entfaltete und von wo aus den Griechen wie das Innere des Schwarzen Meeres so auch die italischen Kuesten sich erschlossen. Der Namen des Ionischen Meeres, welcher den Gewaessern zwischen Epirus und Sizilien geblieben ist, und der der Ionischen Bucht, mit welchem Namen die Griechen frueher das Adriatische Meer bezeichneten, haben das Andenken an die einstmalige Entdeckung der Sued- und Ostkueste Italiens durch ionische Seefahrer bewahrt. Die aelteste griechische Ansiedlung in Italien, Kyme, ist dem Namen wie der Sage nach eine Gruendung der gleichnamigen Stadt an der anatolischen Kueste. Nach glaubwuerdiger hellenischer Ueberlieferung waren es die kleinasiatischen Phokaeer, die zuerst von den Hellenen die entferntere Westsee befuhren. Bald folgten auf den von den Kleinasiaten gefundenen Wegen andere Griechen nach: Ionier von Naxos und von Chalkis auf Euboea, Achaeer, Lokrer, Rhodier, Korinther, Megarer, Messener, Spartaner. Wie nach der Entdeckung Amerikas die zivilisierten Nationen Europas wetteiferten, dorthin zu fahren und dort sich niederzulassen; wie die Solidaritaet der europaeischen Zivilisation den neuen Ansiedlern inmitten der Barbaren deutlicher zum Bewusstsein kam als in ihrer alten Heimat, so war auch die Schiffahrt nach dem Westen und die Ansiedelung im Westland kein Sondergut einer einzelnen Landschaft oder eines einzelnen Stammes der Griechen, sondern Gemeingut der hellenischen Nation; und wie sich zu Nordamerikas Schoepfung englische und franzoesische, hollaendische und deutsche Ansiedlungen gemischt und durchdrungen haben, so ist auch das griechische Sizilien und “Grossgriechenland” aus den verschiedenartigsten hellenischen Stammschaften oft ununterscheidbar zusammengeschmolzen. Doch lassen sich, ausser einigen mehr vereinzelt stehenden Ansiedlungen, wie die der Lokrer mit ihren Pflanzstaedten Hipponion und Medama und die erst gegen Ende dieser Periode gegruendete Niederlassung der Phokaeer Hyele (Velia, Elea) sind, im ganzen drei Hauptgruppen unterscheiden: die unter dem Namen der chalkidischen Staedte zusammengefasste urspruenglich ionische, zu der in Italien Kyme mit den uebrigen griechischen Niederlassungen am Vesuv und Rhegion, in Sizilien Zankle (spaeter Messana), Naxos, Katane, Leontini, Himera zaehlen; die achaeische, wozu Sybaris und die Mehrzahl der grossgriechischen Staedte sich rechneten, und die dorische, welcher Syrakus, Gela, Akragas, ueberhaupt die Mehrzahl der sizilischen Kolonien, dagegen in Italien nur Taras (Tarentum) und dessen Pflanzstadt Herakleia angehoeren. Im ganzen ueberwiegt in der Einwanderung die aeltere hellenische Schicht der Ionier und der vor der dorischen Einwanderung im Peloponnes ansaessigen Staemme; von den Dorern haben sich vorzugsweise nur die Gemeinden gemischter Bevoelkerung, wie Korinth und Megara, die rein dorischen Landschaften dagegen nur in untergeordnetem Grade beteiligt; natuerlich, denn die Ionier waren ein altes Handels- und Schiffervolk, die dorischen Staemme aber sind erst verhaeltnismaessig spaet von ihren binnenlaendischen Bergen in die Kuestenlandschaften hinabgestiegen und zu allen Zeiten dem Seeverkehr ferner geblieben. Sehr bestimmt treten die verschiedenen Einwanderergruppen auseinander, besonders in ihrem Muenzfuss. Die phokaeischen Ansiedler praegen nach dem in Asien herrschenden babylonischen Fuss. Die chalkidischen Staedte folgen in aeltester Zeit dem aeginaeischen, das heisst dem urspruenglich im ganzen europaeischen Griechenland vorherrschenden und zwar zunaechst derjenigen Modifikation desselben, die wir dort auf Euboea wiederfinden. Die achaeischen Gemeinden muenzen auf korinthische, die dorischen endlich auf diejenige Waehrung, die Solon im Jahre 160 Roms (594) in Attika eingefuehrt hatte, nur dass Taras und Herakleia sich in wesentlichen Stuecken vielmehr nach der Waehrung ihrer achaeischen Nachbarn richten als nach der der sizilischen Dorer.

Die Zeitbestimmung der frueheren Fahrten und Ansiedlungen wird wohl fuer immer in tiefes Dunkel eingehuellt bleiben. Zwar eine gewisse Folge darin tritt auch fuer uns noch unverkennbar hervor. In der aeltesten Urkunde der Griechen, welche, wie der aelteste Verkehr mit dem Westen, den kleinasiatischen Ioniern eignet, in den Homerischen Gesaengen reicht der Horizont noch kaum ueber das oestliche Becken des Mittelmeers hinaus. Vom Sturm in die westliche See verschlagene Schiffer mochten von der Existenz eines Westlandes und etwa noch von dessen Meeresstrudeln und feuerspeienden Inselbergen die Kunde nach Kleinasien heimgebracht haben; allein zu der Zeit der Homerischen Dichtung mangelte selbst in derjenigen griechischen Landschaft, welche am fruehesten mit dem Westland in Verkehr trat, noch jede zuverlaessige Kunde von Sizilien und Italien; und die Maerchenerzaehler und Dichter des Ostens konnten, wie seinerzeit die okzidentalischen den fabelhaften Orient, ungestoert die leeren Raeume des Westens mit ihren luftigen Gestalten erfuellen. Bestimmter treten schon in den Hesiodischen Gedichten die Umrisse Italiens und Siziliens hervor; sie kennen aus beiden einheimische Namen von Voelkerschaften, Bergen und Staedten; doch ist ihnen Italien noch eine Inselgruppe. Dagegen in der gesamten nachhesiodischen Literatur erscheint Sizilien und selbst das gesamte Gestade Italiens als den Hellenen wenigstens im allgemeinen bekannt. Ebenso laesst die Reihenfolge der griechischen Ansiedlungen mit einiger Sicherheit sich bestimmen. Als die aelteste namhafte Ansiedlung im Westland galt offenbar schon dem Thukydides Kyme; und gewiss hat er nicht geirrt. Allerdings lag dem griechischen Schiffer mancher Landungsplatz naeher; allein vor den Stuermen wie vor den Barbaren war keiner so geschuetzt wie die Insel Ischia, auf der die Stadt urspruenglich lag; und dass solche Ruecksichten vor allem bei dieser Ansiedlung leiteten, zeigt selbst die Stelle noch, die man spaeter auf dem Festland dazu ausersah, die steile, aber geschuetzte Felsklippe, die noch heute den ehrwuerdigen Namen der anatolischen Mutterstadt traegt. Nirgends in Italien sind denn auch die Oertlichkeiten der kleinasiatischen Maerchen mit solcher Festigkeit und Lebendigkeit lokalisiert wie in der kymaeischen Landschaft, wo die fruehesten Westfahrer, jener Sagen von den Wundern des Westens voll, zuerst das Fabelland betraten und die Spuren der Maerchenwelt, in der sie zu wandeln meinten, in den Sirenenfelsen und dem zur Unterwelt fuehrenden Aornossee zurueckliessen. Wenn ferner in Kyme zuerst die Griechen Nachbarn der Italiker wurden, so erklaert es sich sehr einfach, weshalb der Name desjenigen italischen Stammes, der zunaechst um Kyme angesessen war, der Name der Opiker, von ihnen noch lange Jahrhunderte nachher fuer saemtliche Italiker gebraucht ward. Es ist ferner glaublich ueberliefert, dass die massenhafte hellenische Einwanderung in Unteritalien und Sizilien von der Niederlassung auf Kyme durch einen betraechtlichen Zwischenraum getrennt war und dass bei jener Einwanderung wieder die Ionier von Chalkis und von Naxos vorangingen und Naxos auf Sizilien die aelteste aller durch eigentliche Kolonisierung in Italien und Sizilien gegruendeten Griechenstaedte ist, worauf dann die achaeischen und dorischen Kolonisationen erst spaeter erfolgt sind.

Allein es scheint voellig unmoeglich, fuer diese Reihe von Tatsachen auch nur annaehernd sichere Jahreszahlen festzustellen. Die Gruendung der achaeischen Stadt Sybaris im Jahre 33 (721) und die der dorischen Stadt Taras im Jahre 46 Roms (708) moegen die aeltesten Daten der italischen Geschichte sein, deren wenigstens ungefaehre Richtigkeit als ausgemacht angesehen werden kann. Um wieviel aber die Ausfuehrung der aelteren ionischen Kolonien jenseits dieser Epoche zurueckliege, ist ebenso ungewiss wie das Zeitalter der Entstehung der Hesiodischen und gar der Homerischen Gedichte. Wenn Herodot das Zeitalter Homers richtig bestimmt hat, so war Italien den Griechen ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms (850) noch unbekannt; indes jene Ansetzung ist wie alle anderen der Lebenszeit Homers kein Zeugnis, sondern ein Schluss, und wer die Geschichte der italischen Alphabete sowie die merkwuerdige Tatsache erwaegt, dass den Italikern das Griechenvolk bekannt ward, bevor der hellenische Stammname aufgekommen war, und die Italiker ihre Bezeichnung der Hellenen von dem in Hellas frueh verschollenen Stamm der Grai oder Graeci entlehnten ^1, wird geneigt sein, den fruehesten Verkehr der Italiker mit den Griechen um ein bedeutendes hoeher hinaufzuruecken.

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^1 Ob der Name der Graeker urspruenglich aus dem epirotischen Binnenland und der Gegend von Dodone haftet oder vielmehr den frueher vielleicht bis an das Westmeer reichenden Aetolern eigen war, mag dahingestellt bleiben; er muss in ferner Zeit einem hervorragenden Stamm oder Komplex von Staemmen des eigentlichen Griechenlands eigen gewesen und von diesen auf die gesamte Nation uebergegangen sein. In den Hesiodischen Eoeen erscheint er als aelterer Gesamtname der Nation, jedoch mit offenbarer Absichtlichkeit beiseite geschoben und dem hellenischen untergeordnet, welcher letztere bei Homer noch nicht, wohl aber, ausser bei Hesiod, schon bei Archilochos um das Jahr 50 Roms (704) auftritt und recht wohl noch bedeutend frueher aufgekommen sein kann (M. L. Duncker, Geschichte des Altertums. Berlin 1852-57. Bd. 3, S. 18, 556). Also bereits vor dieser Zeit waren die Italiker mit den Griechen soweit bekannt, dass jener in Hellas frueh verschollene Name bei ihnen als Gesamtname der griechischen Nation blieb, auch als diese selbst andere Wege ging. Es ist dabei nur in der Ordnung, dass den Auslaendern die Zusammengehoerigkeit der hellenischen Staemme frueher und deutlicher zum Bewusstsein gekommen ist als diesen selbst, und daher die Gesamtbenennung hier schaerfer sich fixierte als dort, nicht minder, dass dieselbe nicht gerade den wohlbekannten naechstwohnenden Hellenen entnommen ward. Wie man es damit vereinigen will, dass noch ein Jahrhundert vor der Gruendung Roms Italien den kleinasiatischen Griechen voellig unbekannt war, ist schwer abzusehen. Von dem Alphabet wird unten die Rede sein; es ergibt dessen Geschichte vollkommen die gleichen Resultate. Man wird es vielleicht verwegen nennen, auf solche Beobachtungen hin die Herodotische Angabe ueber das Zeitalter Homers zu verwerfen; aber ist es etwa keine Kuehnheit, in Fragen dieser Art der Ueberlieferung zu folgen?

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Die Geschichte der italischen und sizilischen Griechen ist zwar kein Teil der italischen; die hellenischen Kolonisten des Westens blieben stets im engsten Zusammenhang mit der Heimat und hatten teil an den Nationalfesten und Rechten der Hellenen. Doch ist es auch fuer Italien wichtig, den verschiedenen Charakter der griechischen Ansiedlungen daselbst zu bezeichnen und wenigstens gewisse Grundzuege hervorzuheben, durch die der verschiedenartige Einfluss der griechischen Kolonisierung auf Italien wesentlich bedingt worden ist.

Unter allen griechischen Ansiedlungen die intensivste und in sich am meisten geschlossene war diejenige, aus der der Achaeische Staedtebund hervorging, welchen die Staedte Siris, Pandosia, Metabus oder Metapontion, Sybaris mit seinen Pflanzstaedten Poseidonia und Laos, Kroton, Kaulonia, Temesa, Terina und Pyxus bildeten. Diese Kolonisten gehoerten, im grossen und ganzen genommen, einem griechischen Stamm an, der an seinem eigentuemlichen, dem dorischen naechst verwandten Dialekt sowie nicht minder, anstatt des sonst allgemein in Gebrauch gekommenen juengeren Alphabets, lange Zeit an der altnationalen hellenischen Schreibweise festhielt, und der seine besondere Nationalitaet den Barbaren wie den andern Griechen gegenueber in einer festen buendischen Verfassung bewahrte. Auch auf diese italischen Achaeer laesst sich anwenden, was Polybios von der achaeischen Symmachie im Peloponnes sagt: “nicht allein in eidgenoessischer und freundschaftlicher Gemeinschaft leben sie, sondern sie bedienen sich auch gleicher Gesetze, gleicher Gewichte, Masse und Muenzen sowie derselben Vorsteher, Ratmaenner und Richter”.

Dieser Achaeische Staedtebund war eine eigentliche Kolonisation. Die Staedte waren ohne Haefen - nur Kroton hatte eine leidliche Reede - und ohne Eigenhandel; der Sybarite ruehmte sich, zu ergrauen zwischen den Bruecken seiner Lagunenstadt, und Kauf und Verkauf besorgten ihm Milesier und Etrusker. Dagegen besassen die Griechen hier nicht bloss die Kuestensaeume, sondern herrschten von Meer zu Meer in dem “Wein-” und “Rinderland” (Οινοτρία, Ιταλία) oder der “grossen Hellas”; die eingeborene ackerbauende Bevoelkerung musste in Klientel oder gar in Leibeigenschaft ihnen wirtschaften und zinsen. Sybaris - seiner Zeit die groesste Stadt Italiens - gebot ueber vier barbarische Staemme und fuenfundzwanzig Ortschaften und konnte am andern Meer Laos und Poseidonia gruenden; die ueberschwenglich fruchtbaren Niederungen des Krathis und Bradanos warfen den Sybariten und Metapontinern ueberreichen Ertrag ab - vielleicht ist hier zuerst Getreide zur Ausfuhr gebaut worden. Von der hohen Bluete, zu welcher diese Staaten in unglaublich kurzer Zeit gediehen, zeugen am lebendigsten die einzigen auf uns gekommenen Kunstwerke dieser italischen Achaeer: ihre Muenzen von strenger, altertuemlich schoener Arbeit - ueberhaupt die fruehesten Denkmaeler von Kunst und Schrift in Italien, deren Praegung erweislich im Jahre 174 der Stadt (580) bereits begonnen hatte. Diese Muenzen zeigen, dass die Achaeer des Westens nicht bloss teilnahmen an der eben um diese Zeit im Mutterlande herrlich sich entwickelnden Bildnerkunst, sondern in der Technik demselben wohl gar ueberlegen waren; denn statt der dicken, oft nur einseitig gepraegten und regelmaessig schriftlosen Silberstuecke, welche um diese Zeit in dem eigentlichen Griechenland wie bei den italischen Dorern ueblich waren, schlugen die italischen Achaeer mit grosser und selbstaendiger Geschicklichkeit aus zwei gleichartigen, teils erhaben teils vertieft geschnittenen Stempeln grosse duenne, stets mit Aufschrift versehene Silbermuenzen, deren sorgfaeltig vor der Falschmuenzerei jener Zeit - Plattierung geringen Metalls mit duennen Silberblaettern - sich schuetzende Praegweise den wohlgeordneten Kulturstaat verraet.

Dennoch trug diese schnelle Bluete keine Frucht. In der muehelosen, weder durch kraeftige Gegenwehr der Eingeborenen noch durch eigene schwere Arbeit auf die Probe gestellten Existenz versagte sogar den Griechen frueh die Spannkraft des Koerpers und des Geistes. Keiner der glaenzenden Namen der griechischen Kunst und Literatur verherrlicht die italischen Achaeer, waehrend Sizilien deren unzaehlige, auch in Italien das chalkidische Rhegion den Ibykos, das dorische Tarent den Archytas nennen kann; bei diesem Volk, wo stets sich am Herde der Spiess drehte, gedieh nichts von Haus aus als der Faustkampf. Tyrannen liess die strenge Aristokratie nicht aufkommen, die in den einzelnen Gemeinden frueh ans Ruder gekommen war und im Notfall an der Bundesgewalt einen sicheren Rueckhalt fand: wohl aber drohte die Verwandlung der Herrschaft der Besten in eine Herrschaft der Wenigen, vor allem, wenn die bevorrechteten Geschlechter in den verschiedenen Gemeinden sich untereinander verbuendeten und gegenseitig sich aushalfen. Solche Tendenzen beherrschten die durch den Namen des Pythagoras bezeichnete solidarische Verbindung der “Freunde”, sie gebot, die herrschende Klasse “gleich den Goettern zu verehren”, die dienende “gleich den Tieren zu unterwerfen”, und rief durch solche Theorie und Praxis eine furchtbare Reaktion hervor, welche mit der Vernichtung der pythagoreischen “Freunde” und mit der Erneuerung der alten Bundesverfassung endigte. Allein rasende Parteifehden, Massenerhebungen der Sklaven, soziale Missstaende aller Art, praktische Anwendung unpraktischer Staatsphilosophie, kurz alle Uebel der entsittlichten Zivilisation hoerten nicht auf, in den achaeischen Gemeinden zu wueten, bis ihre politische Macht darueber zusammenbrach.

Es ist danach nicht zu verwundern, dass fuer die Zivilisation Italiens die daselbst angesiedelten Achaeer minder einflussreich gewesen sind als die uebrigen griechischen Niederlassungen. ueber die politischen Grenzen hinaus ihren Einfluss zu erstrecken, lag diesen Ackerbauern ferner als den Handelsstaaten; innerhalb ihres Gebiets verknechteten sie die Eingeborenen und zertraten die Keime einer nationalen Entwicklung, ohne doch den Italikern durch vollstaendige Hellenisierung eine neue Bahn zu eroeffnen. So ist in Sybaris und Metapont, in Kroton und Poseidonia das griechische Wesen, das sonst allen politischen Missgeschicken zum Trotz sich lebenskraeftig zu behaupten wusste, schneller, spur- und ruhmloser verschwunden als in irgendeinem anderen Gebiet, und die zwiesprachigen Mischvoelker, die spaeterhin aus den Truemmern der eingeborenen Italiker und der Achaeer und den juengeren Einwanderern sabellischer Herkunft hervorgingen, sind zu rechtem Gedeihen ebensowenig gelangt. Indes, diese Katastrophe gehoert der Zeit nach in die folgende Periode.

Anderer Art und von anderer Wirkung auf Italien waren die Niederlassungen der uebrigen Griechen. Auch sie verschmaehten den Ackerbau und Landgewinn keineswegs; es war nicht die Weise der Hellenen, wenigstens seit sie zu ihrer Kraft gekommen waren, sich im Barbarenland nach phoenikischer Art an einer befestigten Faktorei genuegen zu lassen. Aber wohl waren alle diese Staedte zunaechst und vor allem des Handels wegen begruendet und darum denn auch, ganz abweichend von den achaeischen, durchgaengig an den besten Haefen und Landungsplaetzen angelegt. Die Herkunft, die Veranlassung und die Epoche dieser Gruendungen waren mannigfach verschieden; dennoch bestand zwischen ihnen eine gewisse Gemeinschaft - so in dem allen jenen Staedten gemeinsamen Gebrauch gewisser moderner Formen des Alphabets ^2 und selbst in dem Dorismus der Sprache, der auch in diejenigen Staedte frueh eindrang, die, wie zum Beispiel Kyme ^3, von Haus aus den weichen ionischen Dialekt sprachen. Fuer die Entwicklung Italiens sind diese Niederlassungen in sehr verschiedenem Grade wichtig geworden; es genuegt hier, derjenigen zu gedenken, welche entscheidend in die Schicksale der Staemme Italiens eingegriffen haben, des dorischen Tarent und des ionischen Kyme.

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^2 So sind die drei altorientalischen Formen des i, l und r, fuer die als leicht zu verwechseln mit den Formen des s, g und p schon frueh die Zeichen vorgeschlagen worden sind, in den achaeischen Kolonien entweder ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend in Gebrauch geblieben, waehrend die uebrigen Griechen Italiens und Siziliens ohne Unterschied des Stammes sich ausschliesslich oder doch sehr vorwiegend der juengeren Formen bedient haben.

^3 So zum Beispiel heisst es auf einem kymaeischen Tongefaess Ταταίες εμί λέυqθος. Fόσ δ'άν με κλέφσει θύφλος έσται.

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Den Tarentinern ist unter allen hellenischen Ansiedlungen in Italien die glaenzendste Rolle zugefallen. Der vortreffliche Hafen, der einzige gute an der ganzen Suedkueste, machte ihre Stadt zum natuerlichen Entrepôt fuer den sueditalienischen Handel, ja sogar fuer einen Teil des Verkehrs auf dem Adriatischen Meer. Der reiche Fischfang in dem Meerbusen, die Erzeugung und Verarbeitung der vortrefflichen Schafwolle sowie deren Faerbung mit dem Saft der tarentinischen Purpurschnecke, die mit der tyrischen wetteifern konnte - beide Industrien hierher eingebuergert aus dem kleinasiatischen Miletos -, beschaeftigten Tausende von Haenden und fuegten zu dem Zwischen- noch den Ausfuhrhandel hinzu. Die in groesserer Menge als irgendwo sonst im griechischen Italien und ziemlich zahlreich selbst in Gold geschlagenen Muenzen sind noch heute redende Beweise des ausgebreiteten und lebhaften tarentinischen Verkehrs. Schon in dieser Epoche, wo Tarent noch mit Sybaris um den ersten Rang unter den unteritalischen Griechenstaedten rang, muessen seine ausgedehnten Handelsverbindungen sich angeknuepft haben; indes auf eine wesentliche Erweiterung ihres Gebietes nach Art der achaeischen Staedte scheinen die Tarentiner nie mit dauerndem Erfolg ausgegangen zu sein.

Wenn also die oestlichste der griechischen Ansiedlungen in Italien rasch und glaenzend sich emporhob, so gediehen die noerdlichsten derselben am Vesuv zu bescheidnerer Bluete. Hier waren von der fruchtbaren Insel Aenaria (Ischia) aus die Kymaeer auf das Festland hinuebergegangen und hatten auf einem Huegel hart am Meere eine zweite Heimat erbaut, von wo aus der Hafenplatz Dikaearchia (spaeter Puteoli), und weiter die “Neustadt” Neapolis gegruendet wurden. Sie lebten, wie ueberhaupt die chalkidischen Staedte in Italien und Sizilien, nach den Gesetzen, welche Charondas von Katane (um 100 650) festgestellt hatte, in einer demokratischen, jedoch durch hohen Zensus gemaessigten Verfassung, welche die Macht in die Haende eines aus den Reichsten erlesenen Rates von Mitgliedern legte - eine Verfassung, die sich bewaehrte und im ganzen von diesen Staedten Usurpatoren wie Poebeltyrannei fern hielt. Wir wissen wenig von den aeusseren Verhaeltnissen dieser kampanischen Griechen. Sie blieben, sei es aus Zwang oder aus freier Wahl, mehr noch als die Tarentiner beschraenkt auf einen engen Bezirk; indem sie von diesem aus nicht erobernd und unterdrueckend gegen die Eingeborenen auftraten, sondern friedlich mit ihnen handelten und verkehrten, erschufen sie sich selbst eine gedeihliche Existenz und nahmen zugleich den ersten Platz unter den Missionaren der griechischen Zivilisation in Italien ein.

Wenn zu beiden Seiten der rheginischen Meerenge teils auf dem Festlande die ganze suedliche und die Westkueste bis zum Vesuv, teils die groessere oestliche Haelfte der sizilischen Insel griechisches Land war, so gestalteten dagegen auf der italischen Westkueste nordwaerts vom Vesuv und auf der ganzen Ostkueste die Verhaeltnisse sich wesentlich anders. An dem dem Adriatischen Meer zugewandten italischen Gestade entstanden griechische Ansiedlungen nirgends; womit die verhaeltnismaessig geringere Anzahl und untergeordnete Bedeutung der griechischen Pflanzstaedte auf dem gegenueberliegenden illyrischen Ufer und den zahlreichen demselben vorliegenden Inseln augenscheinlich zusammenhaengt. Zwar wurden auf dem Griechenland naechsten Teil dieser Kueste zwei ansehnliche Kaufstaedte, Epidamnos oder Dyrrhachion (jetzt Durazzo; 127 587) und Apollonia (bei Avlona; um 167 627) noch waehrend der roemischen Koenigsherrschaft gegruendet; aber weiter noerdlich ist, mit Ausnahme etwa der nicht bedeutenden Niederlassung auf Schwarzkerkyra (Curzola; um 174? 580) keine alte griechische Ansiedlung nachzuweisen. Es ist noch nicht hinreichend aufgeklaert, warum die griechische Kolonisierung so duerftig gerade nach dieser Seite hin auftrat, wohin doch die Natur selbst die Hellenen zu weisen schien und wohin in der Tat seit aeltester Zeit von Korinth und mehr noch von der nicht lange nach Rom (um 44 710) gegruendeten Ansiedlung auf Kerkyra (Korfu) aus ein Handelszug bestand, dessen Entrepôts auf der italischen Kueste die Staedte an der Pomuendung, Spina und Atria, waren. Die Stuerme der Adriatischen See, die Unwirtlichkeit wenigstens der illyrischen Kuesten, die Wildheit der Eingeborenen reichen offenbar allein nicht aus, um diese Tatsache zu erklaeren. Aber fuer Italien ist es von den wichtigsten Folgen gewesen, dass die von Osten kommenden Elemente der Zivilisation nicht zunaechst auf seine oestlichen Landschaften einwirkten, sondern erst aus den westlichen in diese gelangten. Selbst in den Handelsverkehr teilte sich mit Korinth und Kerkyra die oestlichste Kaufstadt Grossgriechenlands, das dorische Tarent, das durch den Besitz von Hydrus (Otranto) den Eingang in das Adriatische Meer auf der italischen Seite beherrschte. Da ausser den Haefen an der Pomuendung an der ganzen Ostkueste nennenswerte Emporien in jener Zeit nicht bestanden - Ankons Aufbluehen faellt in weit spaetere Zeit und noch spaeter das Emporkommen von Brundisium -, ist es wohl begreiflich, dass die Schiffer von Epidamnos und Apollonia haeufig in Tarent loeschten. Auch auf dem Landwege verkehrten die Tarentiner vielfach mit Apulien; auf sie geht zurueck, was sich von griechischer Zivilisation im Suedosten Italiens vorfindet. Indes fallen in diese Zeit davon nur die ersten Anfaenge; der Hellenismus Apuliens entwickelte sich erst in einer spaeteren Epoche.

Dass dagegen die Westkueste Italiens auch noerdlich vom Vesuv in aeltester Zeit von den Hellenen befahren worden ist und auf den Inseln und Landspitzen hellenische Faktoreien bestanden, laesst sich nicht bezweifeln. Wohl das aelteste Zeugnis dieser Fahrten ist die Lokalisierung der Odysseussage an den Kuesten des Tyrrhenischen Meeres ^4. Wenn man in den Liparischen Inseln die des Aeolos wiederfand, wenn man am Lacinischen Vorgebirge die Insel der Kalypso, am Misenischen die der Sirenen, am Circeischen die der Kirke wies, wenn man das ragende Grab des Elpenor in dem steilen Vorgebirge von Tarracina erkannte, wenn bei Caieta und Formiae die Laestrygonen hausen, wenn die beiden Soehne des Odysseus und der Kirke, Agrios, das heisst der Wilde, und Latinos, im “innersten Winkel der heiligen Inseln” die Tyrrhener beherrschen oder in einer juengeren Fassung Latinus der Sohn des Odysseus und der Kirke, Auson der Sohn des Odysseus und der Kalypso heisst, so sind das alte Schiffmaerchen der ionischen Seefahrer, welche der lieben Heimat auf der Tyrrhenischen See gedachten, und dieselbe herrliche Lebendigkeit der Empfindung, wie sie in dem ionischen Gedicht von den Fahrten des Odysseus waltet, spricht auch noch aus der frischen Lokalisierung derselben Sage bei Kyme selbst und in dem ganzen Fahrbezirk der kymaeischen Schiffer.

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^4 Die aeltesten griechischen Schriften, in denen uns diese tyrrhenische Odysseussage erscheint, sind die Hesiodische ‘Theogonie’ in einem ihrer juengeren Abschnitte und sodann die Schriftsteller aus der Zeit kurz vor Alexander, Ephoros, aus dem der sogenannte Skymnos geflossen ist, und der sogenannte Skylax. Die erste dieser Quellen gehoert einer Zeit an, wo Italien den Griechen noch als Inselgruppe galt, und ist also sicher sehr alt; und es kann danach die Entstehung dieser Sagen im ganzen mit Sicherheit in die roemische Koenigszeit gesetzt werden.

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Andere Spuren dieser aeltesten Fahrten sind die griechischen Namen der Insel Aethalia (Ilva, Elba), die naechst Aenaria zu den am fruehesten von Griechen besetzten Plaetzen zu gehoeren scheint, und vielleicht auch des Hafenplatzes Telamon in Etrurien; ferner die beiden Ortschaften an der caeritischen Kueste Pyrgi (bei S. Severa) und Alsion (bei Palo), wo nicht bloss die Namen unverkennbar auf griechischen Ursprung deuten, sondern auch die eigentuemliche, von den caeritischen und ueberhaupt den etruskischen Stadtmauern sich wesentlich unterscheidende Architektur der Mauern von Pyrgi. Aethalia, “die Feuerinsel”, mit ihren reichen Kupfer- und besonders Eisengruben mag in diesem Verkehr die erste Rolle gespielt und hier die Altsiedlung der Fremden wie ihr Verkehr mit den Eingeborenen seinen Mittelpunkt gehabt haben; um so mehr als das Schmelzen der Erze auf der kleinen und nicht waldreichen Insel ohne Verkehr mit dem Festland nicht geschehen konnte. Auch die Silbergruben von Populonia auf der Elba gegenueberliegenden Landspitze waren vielleicht schon den Griechen bekannt und von ihnen in Betrieb genommen.

Wenn die Fremden, wie in jenen Zeiten immer, neben dem Handel auch dem See- und Landraub obliegend, ohne Zweifel es nicht versaeumten, wo die Gelegenheit sich bot, die Eingeborenen zu brandschatzen und sie als Sklaven fortzufuehren, so uebten auch die Eingeborenen ihrerseits das Vergeltungsrecht aus; und dass die Latiner und Tyrrhener dies mit groesserer Energie und besserem Glueck getan haben als ihre sueditalischen Nachbarn, zeigen nicht bloss jene Sagen an, sondern vor allem der Erfolg. In diesen Gegenden gelang es den Italikern, sich der Fremdlinge zu erwehren und nicht bloss Herren ihrer eigenen Kaufstaedte und Kaufhaefen zu bleiben oder doch bald wieder zu werden, sondern auch Herren ihrer eigenen See. Dieselbe hellenische Invasion, welche die sueditalischen Staemme erdrueckte und denationalisierte, hat die Voelker Mittelitaliens, freilich sehr wider den Willen der Lehrmeister, zur Seefahrt und zur Staedtegruendung angeleitet. Hier zuerst muss der Italiker das Floss und den Nachen mit der phoenikischen und griechischen Rudergaleere vertauscht haben. Hier zuerst begegnen grosse Kaufstaedte, vor allem Caere im suedlichen Etrurien und Rom am Tiber, die, nach den italischen Namen wie nach der Lage in einiger Entfernung vom Meere zu schliessen, eben wie die ganz gleichartigen Handelsstaedte an der Pomuendung, Spina und Atria, und weiter suedlich Ariminum, sicher keine griechischen, sondern italische Gruendungen sind. Den geschichtlichen Verlauf dieser aeltesten Reaktion der italischen Nationalitaet gegen fremden Eingriff darzulegen sind wir begreiflicherweise nicht imstande; wohl aber laesst es noch sich erkennen, was fuer die weitere Entwicklung Italiens von der groessten Bedeutung ist, dass diese Reaktion in Latium und im suedlichen Etrurien einen andern Gang genommen hat als in der eigentlichen tuskischen und den sich daran anschliessenden Landschaften.

Schon die Sage setzt in bezeichnender Weise dem “wilden Tyrrhener” den Latiner entgegen und dem unwirtlichen Strande der Volsker das friedliche Gestade an der Tibermuendung. Aber nicht das kann hiermit gemeint sein, dass man die griechische Kolonisierung in einigen Landschaften Mittelitaliens geduldet, in andern nicht zugelassen haette. Nordwaerts vom Vesuv hat ueberhaupt in geschichtlicher Zeit nirgends eine unabhaengige griechische Gemeinde bestanden, und wenn Pyrgi dies einmal gewesen ist, so muss es doch schon vor dem Beginn unserer Ueberlieferung in die Haende der Italiker, das heisst der Caeriten zurueckgekehrt sein. Aber wohl ward in Suedetrurien, in Latium und ebenso an der Ostkueste der friedliche Verkehr mit den fremden Kaufleuten geschuetzt und gefoerdert, was anderswo nicht geschah. Vor allem merkwuerdig ist die Stellung von Caere. “Die Caeriten”, sagt Strabon, “galten viel bei den Hellenen wegen ihrer Tapferkeit und Gerechtigkeit, und weil sie, so maechtig sie waren, des Raubes sich enthielten.” Nicht der Seeraub ist gemeint, den der caeritische Kaufmann wie jeder andere sich gestattet haben wird; sondern Caere war eine Art von Freihafen fuer die Phoeniker wie fuer die Griechen. Wir haben der phoenikischen Station - spaeter Punicum genannt - und der beiden von Pyrgi und Alsion bereits gedacht; diese Haefen waren es, die zu berauben die Caeriten sich enthielten, und ohne Zweifel war es eben dies, wodurch Caere, das nur eine schlechte Reede besitzt und keine Gruben in der Naehe hat, so frueh zu hoher Bluete gelangt ist und fuer den aeltesten griechischen Handel noch groessere Bedeutung gewonnen hat als die von der Natur zu Emporien bestimmten Staedte der Italiker an den Muendungen des Tiber und des Po. Die hier genannten Staedte sind es, welche in uraltem religioesen Verkehr mit Griechenland erscheinen. Der erste unter allen Barbaren, der den olympischen Zeus beschenkte, war der tuskische Koenig Arimnos, vielleicht ein Herr von Ariminum. Spina und Caere hatten in dem Tempel des delphischen Apollon wie andere mit dem Heiligtum in regelmaessigem Verkehr stehende Gemeinden ihre eigenen Schatzhaeuser; und mit der aeltesten caeritischen und roemischen Ueberlieferung ist das delphische Heiligtum sowohl wie das kymaeische Orakel verflochten. Diese Staedte, wo die Italiker friedlich schalteten und mit dem fremden Kaufmann freundlich verkehrten, wurden vor allen reich und maechtig und wie fuer die hellenischen Waren so auch fuer die Keime der hellenischen Zivilisation die rechten Stapelplaetze.

Anders gestalteten sich die Verhaeltnisse bei den “wilden Tyrrhenern”. Dieselben Ursachen, die in der latinischen und in den vielleicht mehr unter etruskischer Suprematie stehenden als eigentlich etruskischen Landschaften am rechten Tiberufer und am unteren Po zur Emanzipierung der Eingeborenen von der fremden Seegewalt gefuehrt hatten, entwickelten in dem eigentlichen Etrurien, sei es aus anderen Ursachen, sei es infolge des verschiedenartigen, zu Gewalttat und Pluenderung hinneigenden Nationalcharakters, den Seeraub und die eigene Seemacht. Man begnuegte sich hier nicht, die Griechen aus Aethalia und Populonia zu verdraengen; auch der einzelne Kaufmann ward, wie es scheint, hier nicht geduldet, und bald durchstreiften sogar etruskische Kaper weithin die See und machten den Namen der Tyrrhener zum Schrecken der Griechen - nicht ohne Ursache galt diesen der Enterhaken als eine etruskische Erfindung und nannten die Griechen das italische Westmeer das Meer der Tusker. Wie rasch und ungestuem diese wilden Korsaren, namentlich im Tyrrhenischen Meere, um sich griffen, zeigt am deutlichsten ihre Festsetzung an der latinischen und kampanischen Kueste. Zwar behaupteten im eigentlichen Latium sich die Latiner und am Vesuv sich die Griechen; aber zwischen und neben ihnen geboten die Etrusker in Antium wie in Surrentum. Die Volsker traten in die Klientel der Etrusker ein; aus ihren Waldungen bezogen diese die Kiele ihrer Galeeren, und wenn dem Seeraub der Antiaten erst die roemische Okkupation ein Ende gemacht hat, so begreift man es wohl, warum den griechischen Schiffern das Gestade der suedlichen Volsker das laestrygonische hiess. Die hohe Landspitze von Sorrent, mit dem noch steileren, aber hafenlosen Felsen von Capri eine rechte, inmitten der Buchten von Neapel und Salern in die Tyrrhenische See hinausschauende Korsarenwarte, wurde frueh von den Etruskern in Besitz genommen. Sie sollen sogar in Kampanien einen eigenen Zwoelfstaedtebund gegruendet haben und etruskisch redende Gemeinden haben hier noch in vollkommen historischer Zeit im Binnenlande bestanden; wahrscheinlich sind diese Ansiedlungen mittelbar ebenfalls aus der Seeherrschaft der Etrusker im kampanischen Meer und aus ihrer Rivalitaet mit den Kymaeern am Vesuv hervorgegangen. Indes beschraenkten die Etrusker sich keineswegs auf Raub und Pluenderung. Von ihrem friedlichen Verkehr mit griechischen Staedten zeugen namentlich die Gold- und Silbermuenzen, die wenigstens vom Jahre 200 der Stadt (550) an die etruskischen Staedte, besonders Populonia, nach griechischem Muster und auf griechischen Fuss geschlagen haben; dass dieselben nicht den grossgriechischen, sondern vielmehr attischen, ja kleinasiatischen Stempeln nachgepraegt wurden, ist uebrigens wohl auch ein Fingerzeig fuer die feindliche Stellung der Etrusker zu den italischen Griechen. In der Tat befanden sie sich fuer den Handel in der guenstigsten Stellung und in einer weit vorteilhafteren als die Bewohner von Latium. Von Meer zu Meer wohnend geboten sie am westlichen ueber den grossen italischen Freihafen, am oestlichen ueber die Pomuendung und das Venedig jener Zeit, ferner ueber die Landstrasse, die seit alter Zeit von Pisa am Tyrrhenischen nach Spina am Adriatischen Meere fuehrte, dazu in Sueditalien ueber die reichen Ebenen von Capua und Nola. Sie besassen die wichtigsten italischen Ausfuhrartikel, das Eisen von Aethalia, das volaterranische und kampanische Kupfer, das Silber von Populonia, ja den von der Ostsee ihnen zugefuehrten Bernstein. Unter dem Schutze ihrer Piraterie, gleichsam einer rohen Navigationsakte, musste ihr eigener Handel emporkommen; und es kann ebensowenig befremden, dass in Sybaris der etruskische und milesische Kaufmann konkurrierten, als dass aus jener Verbindung von Kaperei und Grosshandel der mass- und sinnlose Luxus entsprang, in welchem Etruriens Kraft frueh sich selber verzehrt hat.

Wenn also in Italien die Etrusker und, obgleich in minderem Grade, die Latiner den Hellenen abwehrend und zum Teil feindlich gegenueberstanden, so griff dieser Gegensatz gewissermassen mit Notwendigkeit in diejenige Rivalitaet ein, die damals Handel und Schiffahrt auf dem Mittellaendischen Meere vor allem beherrschte: in die Rivalitaet der Phoeniker und der Hellenen. Es ist nicht dieses Orts, im einzelnen darzulegen, wie waehrend der roemischen Koenigszeit diese beiden grossen Nationen an allen Gestaden des Mittelmeeres, in Griechenland und Kleinasien selbst, auf Kreta und Kypros, an der afrikanischen, spanischen und keltischen Kueste miteinander um die Oberherrschaft rangen; unmittelbar auf italischem Boden wurden diese Kaempfe nicht gekaempft, aber die Folgen derselben doch auch in Italien tief und nachhaltig empfunden. Die frische Energie und die universellere Begabung des juengeren Nebenbuhlers war anfangs ueberall im Vorteil; die Hellenen entledigten sich nicht bloss der phoenikischen Faktoreien in ihrer europaeischen und asiatischen Heimat, sondern verdraengten die Phoeniker auch von Kreta und Kypros, fassten Fuss in Aegypten und Kyrene und bemaechtigten sich Unteritaliens und der groesseren oestlichen Haelfte der sizilischen Insel. Ueberall erlagen die kleinen phoenikischen Handelsplaetze der energischeren griechischen Kolonisation. Schon ward auch im westlichen Sizilien Selinus (126 628) und Akragas (174 580) gegruendet, schon von den kuehnen kleinasiatischen Phokaeern die entferntere Westsee befahren, an dem keltischen Gestade Massalia erbaut (um 150 600) und die spanische Kueste erkundet. Aber ploetzlich, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts, stockt der Fortschritt der hellenischen Kolonisation: und es ist kein Zweifel, dass die Ursache dieses Stockens der Aufschwung war, den gleichzeitig, offenbar infolge der von den Hellenen dem gesamten phoenikischen Stamme drohenden Gefahr, die maechtigste ihrer Staedte in Libyen, Karthago nahm. War die Nation, die den Seeverkehr auf dem Mittellaendischen Meere eroeffnet hatte, durch den juengeren Rivalen auch bereits verdraengt aus der Alleinherrschaft ueber die Westsee, dem Besitze beider Verbindungsstrassen zwischen dem oestlichen und dem westlichen Becken des Mittelmeeres und dem Monopol der Handelsvermittlung zwischen Orient und Okzident, so konnte doch wenigstens die Herrschaft der Meere westlich von Sardinien und Sizilien noch fuer die Orientalen gerettet werden; und an deren Behauptung setzte Karthago die ganze, dem aramaeischen Stamme eigentuemliche zaehe und umsichtige Energie. Die phoenikische Kolonisierung wie der Widerstand der Phoeniker nahmen einen voellig anderen Charakter an. Die aelteren phoenikischen Ansiedlungen, wie die sizilischen, welche Thukydides schildert, waren kaufmaennische Faktoreien; Karthago unterwarf sich ausgedehnte Landschaften mit zahlreichen Untertanen und maechtigen Festungen. Hatten bisher die phoenikischen Niederlassungen vereinzelt den Griechen gegenuebergestanden, so zentralisierte jetzt die maechtige libysche Stadt in ihrem Bereiche die ganze Wehrkraft ihrer Stammverwandten mit einer Straffheit, der die griechische Geschichte nichts Aehnliches an die Seite zu stellen vermag. Vielleicht das wichtigste Moment aber dieser Reaktion fuer die Folgezeit ist die enge Beziehung, in welche die schwaecheren Phoeniker, um der Hellenen sich zu erwehren, zu den Eingeborenen Siziliens und Italiens traten. Als Knidier und Rhodier um das Jahr 175 (579) im Mittelpunkt der phoenikischen Ansiedlungen auf Sizilien bei Lilybaeon sich festzusetzen versuchten, wurden sie durch die Eingeborenen - Elymer von Segeste - und Phoeniker wieder von dort vertrieben. Als die Phokaeer um 217 (537) sich in Alalia (Aleria) auf Korsika Caere gegenueber niederliessen, erschien, um sie von dort zu vertreiben, die vereinigte Flotte der Etrusker und der Karthager, hundertundzwanzig Segel stark; und obwohl in dieser Seeschlacht - einer der aeltesten, die die Geschichte kennt - die nur halb so starke Flotte der Phokaeer sich den Sieg zuschrieb, so erreichten doch die Karthager und Etrusker, was sie durch den Angriff bezweckt hatten: die Phokaeer gaben Korsika auf und liessen lieber an der weniger ausgesetzten lukanischen Kueste in Hyele (Velia) sich nieder. Ein Traktat zwischen Etrurien und Karthago stellte nicht bloss die Regeln ueber Wareneinfuhr und Rechtsfolge fest, sondern schloss auch ein Waffenbuendnis (συμμαχία) ein, von dessen ernstlicher Bedeutung eben jene Schlacht von Alalia zeugt. Charakteristisch ist es fuer die Stellung der Caeriten, dass sie die phokaeischen Gefangenen auf dem Markt von Caere steinigten und alsdann, um den Frevel zu suehnen, den delphischen Apoll beschickten.

Latium hat dieser Fehde gegen die Hellenen sich nicht angeschlossen; vielmehr finden sich in sehr alter Zeit freundliche Beziehungen der Roemer zu den Phokaeern in Hyele wie in Massalia, und die Ardeaten sollen sogar gemeinschaftlich mit den Zakynthiern eine Pflanzstadt in Spanien, das spaetere Saguntum gegruendet haben. Doch haben die Latiner noch viel weniger sich auf die Seite der Hellenen gestellt; dafuer buergen sowohl die engen Beziehungen zwischen Rom und Caere als auch die Spuren alten Verkehrs zwischen den Latinern und den Karthagern. Der Stamm der Kanaaniten ist den Roemern durch Vermittlung der Hellenen bekannt geworden, da sie, wie wir sahen, ihn stets mit dem griechischen Namen genannt haben; aber dass sie weder den Namen der Stadt Karthago ^5 noch den Volksnamen der Afrer ^6 von den Griechen entlehnt haben, dass tyrische Waren bei den aelteren Roemern mit dem ebenfalls die griechische Vermittlung ausschliessenden Namen der sarranischen bezeichnet werden ^7, beweist ebenso wie die spaeteren Vertraege den alten und unmittelbaren Handelsverkehr zwischen Latium und Karthago.

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^5 Phoenikisch Karthada, griechisch Karchedon, roemisch Cartago.

^6 Der Name Afri, schon Ennius und Cato gelaeufig - man vergleiche Scipio Africanus -, ist gewiss ungriechisch, hoechst wahrscheinlich stammverwandt mit dem der Hebraeer.

^7 Sarranisch heissen den Roemern seit alter Zeit der tyrische Purpur und die tyrische Floete, und auch als Beiname ist Sarranus wenigstens seit dem Hannibalischen Krieg in Gebrauch. Der bei Ennius und Plautus vorkommende Stadtname Sarra ist wohl aus Sarranus, nicht unmittelbar aus dem einheimischen Namen Sor gebildet. Die griechische Form Tyrus, Tyrius moechte bei den Roemern nicht vor Afranius (bei Festus p. 355 M.) vorkommen. Vgl. F. K. Movers, Die Phoenicier. Bonn/Berlin 1840-56. Bd. 2, 1, S. 174.

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Der vereinigten Macht der Italiker und Phoeniker gelang es in der Tat, die westliche Haelfte des Mittelmeeres im wesentlichen zu behaupten. Der nordwestliche Teil von Sizilien mit den wichtigen Haefen Soloeis und Panormos an der Nordkueste, Motye an der Afrika zugewandten Spitze blieb im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der Karthager. Um die Zeit des Kyros und Kroesos, eben als der weise Bias die Ionier zu bestimmen suchte, insgesamt aus Kleinasien auswandernd in Sardinien sich niederzulassen (um 200 554), kam ihnen dort der karthagische Feldherr Malchus zuvor und bezwang einen bedeutenden Teil der wichtigen Insel mit Waffengewalt; ein halbes Jahrhundert spaeter erscheint das ganze Gestade Sardiniens in unbestrittenem Besitz der karthagischen Gemeinde. Korsika dagegen mit den Staedten Alalia und Nikaea fiel den Etruskern zu und die Eingeborenen zinsten an diese von den Produkten ihrer armen Insel, dem Pech, Wachs und Honig. Im Adriatischen Meer ferner sowie in den Gewaessern westlich von Sizilien und Sardinien herrschten die verbuendeten Etrusker und Karthager. Zwar gaben die Griechen den Kampf nicht auf. Jene von Lilybaeon vertriebenen Rhodier und Knidier setzten auf den Inseln zwischen Sizilien und Italien sich fest und gruendeten hier die Stadt Lipara (175 579). Massalia gedieh trotz seiner Isolierung und monopolisierte bald den Handel von Nizza bis nach den Pyrenaeen. An den Pyrenaeen selbst ward von Lipara aus die Pflanzstadt Rhoda (jetzt Rosas) angelegt und auch in Saguntum sollen Zakynthier sich angesiedelt, ja selbst in Tingis (Tanger) in Mauretanien griechische Dynasten geherrscht haben. Aber mit dem Vorruecken war es denn doch fuer die Hellenen vorbei; nach Akragas’ Gruendung sind ihnen bedeutende Gebietserweiterungen am Adriatischen wie am westlichen Meer nicht mehr gelungen, und die spanischen Gewaesser wie der Atlantische Ozean blieben ihnen verschlossen. Jahr aus Jahr ein fochten die Liparaeer mit den tuskischen “Seeraeubern”, die Karthager mit den Massalioten, den Kyrenaeern, vor allem den griechischen Sikelioten; aber nach keiner Seite hin ward ein dauerndes Resultat erreicht und das Ergebnis der Jahrhunderte langen Kaempfe war im ganzen die Aufrechterhaltung des Status quo.

So hatte Italien, wenn auch nur mittelbar, den Phoenikern es zu danken, dass wenigstens die mittleren und noerdlichen Landschaften nicht kolonisiert wurden, sondern hier, namentlich in Etrurien, eine nationale Seemacht ins Leben trat. Es fehlt aber auch nicht an Spuren, dass die Phoeniker es schon der Muehe wert fanden, wenn nicht gegen die latinischen, doch wenigstens gegen die seemaechtigeren etruskischen Bundesgenossen diejenige Eifersucht zu entwickeln, die aller Seeherrschaft anzuhaften pflegt: der Bericht ueber die von den Karthagern verhinderte Aussendung einer etruskischen Kolonie nach den Kanarischen Inseln, wahr oder falsch, offenbart die hier obwaltenden rivalisierenden Interessen.

KAPITEL XI.
Recht und Gericht

Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.

Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen.

Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher Gericht oder “Gebot” (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder (parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren staendigen Stellvertreter, die “Mordspuerer” (quaestores parricidii), denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta zufaellig begegnet.

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^1 Dieser “Wagenstuhl” - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.

^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch verwirrt oder zurechtgemacht.

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Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner Hand.

In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne (poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward.

Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen.

Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn.

Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner zurueckzustellen.

Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren “durch Handanlegung” (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.

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^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten.

^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert.

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Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut desselben berief.

Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemaess verteilte.

Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.

Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder zurueckzunehmen.

Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen “Wiederschaffern” (reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach.

In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der “Wandel” (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses, “Steinbrueche” oder λατομίαι, in alter Zeit auf das erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen.

Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das “reine Kraut” (herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten.

KAPITEL XII.
Religion

Die roemische Goetterwelt ist, wie schon frueher angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem hoeheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Grosse wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige Taetigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung innerhalb des roemischen Rechtskreises kehren in der roemischen Goetterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Goetterkreis. Der Schutzgeist, der ueber der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht laenger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch diesen Goetterwesen ewige Dauer zu, als aehnliche Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs neue sich erzeugen. Wie die roemischen ueber der roemischen, walten ueber jeder auswaertigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff auch der Buerger dem Nichtbuerger, der roemische dem fremden Gott entgegentreten mag, so koennen fremde Menschen wie fremde Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluss in Rom eingebuergert werden, und wenn aus der eroberten Stadt die Buerger nach Rom uebersiedelten, wurden auch wohl die Stadtgoetter eingeladen, in Rom eine neue Staette sich zu bereiten.

Den urspruenglichen Goetterkreis, wie er in Rom vor jeder Beruehrung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der oeffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der roemischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die aelteste aller aus dem roemischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die Goetter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgaenger des letzteren, dem Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, ausserdem die saemtlichen Weinfeste und verschiedene andere, spaeter noch zu erwaehnende Tage; seinem Widerspiel, dem “boesen Jovis” (Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehoert das Neujahr des 1. Maerz und ueberhaupt das grosse Kriegerfest in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im Maerz selbst an den Tagen des Schildschmiedens (equirria oeder Mamuralia, 14. Maerz), des Waffentanzes auf der Dingstaette (quinquatrus, 19. Maerz) und der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Maerz) seine Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu fuehren war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den uebrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezueglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehoert vor allem die grosse Reihe der Fruehlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der naehrenden Erde (fordicidia, Opfer der traechtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Goettin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden Herdengoettin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schuetzer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich oeffnenden Faesser von der vorjaehrigen Lese (Vinalia), am 25. dem boesen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und gluecklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Goettin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunaechst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der Aussaat (Saturnalia von Saëturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. Gleichermassen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, waehrend die urspruengliche Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am Jahresschluss das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitaegige sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgoettern (Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kuerzesten Tages, der die neue Sonne herauffuehrt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).

Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das fuer die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten laesst, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Goetterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem ausser dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis (Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl urspruenglich als die Goettin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schuetzerin der Geburten verehrt ward.

Dem haeuslichen und Familienleben ueberhaupt galten das Fest der Goettin des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest der Geburtsgoettin ^1 (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. Maerz), das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitaegige Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), waehrend auf die buergerlichen Verhaeltnisse sich die beiden uebrigens fuer uns nicht klaren Festtage der Koenigsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.

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^1 Das ist allem Anschein nach das urspruengliche Wesen der “Morgenmutter” oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, dass, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde fuer die Geburt als glueckbringend galt. Zur See- und Hafengoettin ist die Mater matuta wohl erst spaeter unter dem Einfluss des Leukotheamythus geworden; schon dass die Goettin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie urspruenglich als Hafengoettin zu fassen.

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Diese Tafel ist vollstaendig fuer die unbeweglichen oeffentlichen Feste; und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit aeltester Zeit Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so oeffnet doch diese Urkunde, in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie auslaesst, uns den Einblick in eine sonst fuer uns beinahe gaenzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der altroemischen Gemeinde und der Huegelroemer war bereits erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloss des roemischen, sondern ueberhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, wo der Stamm noch sich selber ueberlassen auf der Halbinsel hauste, war allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der toetende Gott ^2, vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende goettliche Vorfechter der Buergerschaft - natuerlich in der Art, dass eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besass und ihn fuer den staerksten und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer Gemeindebegruendung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der - sonst goetterlosen - roemischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den saemtlichen uebrigen latinischen und sabellischen der erste Monat geheiligt; unter den roemischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner Goetter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht knuepft sich die aelteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der roemischen Buergerschaft, und was von heiligen Stammsagen die roemische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht ausschliesslich zurueck auf den Gott Mars und seinen Doppelgaenger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine reinere und mehr buergerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der roemischen Gemeinde, einen groesseren Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz glaublich, dass, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und dass der wahrhafte Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren roemischen Gemeinde auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Maerzfest war, wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen spaeter eingefuehrte “Sorgenbrecher”, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des herzerfreuenden Weines.

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^2 Aus Maurs, was die aelteste ueberlieferte Form ist, entwickeln sich durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Uebergang in ŏ (aehnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers.

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Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die roemischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentuemlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der roemischen wie der hellenischen Goetterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung oder einem Begriff, und dass dem Roemer eben wie dem Griechen jede Gottheit als Person erscheint, dafuer zeugt die Auffassung der einzelnen als maennlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit: “bist du Gott oder Goettin, Mann oder auch Weib”; dafuer der tiefhaftende Glaube, dass der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde unausgesprochen bleiben muesse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn ueber die Grenzen hinueberlocke. Ein Ueberrest dieser maechtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der aeltesten und nationalsten italischen Goettergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die roemischen Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt dem Roemer der Grundgedanke in seiner urspruenglichen nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklaerung, dem goettlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die roemische Religion nichts auch nur entfernt aehnliches entgegenzustellen, das ihr eigentuemlich waere. Sie weiss wohl auch von einem “schlimmen Gott” (Ve-diovis), von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), spaeterhin auch von Gottheiten der boesen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Boesartigen in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der roemischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgoetter, der Penaten; das Wesen uebrigens auch dieser Goetter war jedem offenbar.

Die nationalroemische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch auszupraegen und schematisch - zunaechst nach der auch dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen - zu klassifizieren, um darnach die Goetter und Goetterreihen selber richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen (indigitare). In solchen aeusserlich abgezogenen Begriffen von der einfaeltigsten, halb ehrwuerdigen, halb laecherlichen Schlichtheit ging die roemische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat (saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein (terminus) gehoeren zu den aeltesten und heiligsten roemischen Gottheiten. Vielleicht die eigentuemlichste unter allen roemischen Goettergestalten und wohl die einzige, fuer die ein eigentuemlich italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelkoepfige Janus; und doch liegt in ihm eben nichts als die fuer die aengstliche roemische Religiositaet bezeichnende Idee, dass zur Eroeffnung eines jeden Tuns zunaechst der “Geist der Eroeffnung” anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefuehl davon, dass es ebenso unerlaesslich war, die roemischen Goetterbegriffe in Reihen zusammenzufuegen, wie die persoenlicheren Goetter der Hellenen notwendig jeder fuer sich standen ^3. Vielleicht der innigste unter allen roemischen ist der Kult der in und ueber dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im oeffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der Wald- und Flurgoetter, der Silvane und vor allem der eigentlichen Hausgoetter, der Lasen oder Laren, denen regelmaessig von der Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des aelteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschaeft war. Aber in der Rangordnung der Goetter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste Nahrung fand.

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^3 Dass Tor und Tuere und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Muenzreihe noch vor dem Jupiter und den anderen Goettern aufgefuehrt wird, bezeichnet ihn unverkennbar als die Abstraktion der Oeffnung und Eroeffnung. Auch der nach zwei Seiten schauende Doppelkopf haengt mit dem nach zwei Seiten hin sich oeffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat urspruenglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu fuehren, dass in dieser Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. Dass uebrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des Jahres stand, auch die Eroeffnung des Jahres in den Bereich des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.

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Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und utilitarische Tendenz der roemischen Religion, wie sie in der oben eroerterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermoegensmehrung und Guetersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel - das ist es, was der Roemer von seinen Goettern begehrt; es stimmt dazu recht wohl, dass der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Gluecksgoettin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem taeglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon sehr frueh weit und breit von den Roemern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmaennische Spekulation waren zu tief im roemischen Wesen begruendet, um nicht auch dessen goettliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen.

Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der sterblichen Menschen, die “Guten” (manes) lebten schattenhaft weiter, gebannt an den Ort, wo der Koerper ruhte (dii inferi), und nahmen von den Ueberlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Raeumen der Tiefe und keine Bruecke fuehrte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Goettern. Der griechische Heroenkult ist den Roemern voellig fremd und wie jung und schlecht die Gruendungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz unroemische Verwandlung des Koenigs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, der aelteste und ehrwuerdigste Name in der roemischen Sage, ist in Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen.

Die aeltesten Gemeindepriestertuemer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der “Zuender des Mars” (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, und die zwoelf “Springer” (salii), eine Schar junger Leute, die im Maerz den Waffentanz zu Ehren des Mars auffuehrten und dazu sangen. Dass die Verschmelzung der Huegelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des roemischen Mars und damit die Einfuehrung eines zweiten Marspriesters - des flamen Quirinalis - und einer zweiten Taenzergilde - der salii collini - herbeifuehrte, ist bereits frueher auseinandergesetzt worden.

Hierzu kamen andere oeffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit ueber Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, fuer welche entweder Einzelpriester angestellt waren -solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und des Flussgottes - oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes uebertragen war. Eine derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwoelf “Ackerbrueder” (fratres arvales), welche die “schaffende Goettin” (dea dia) im Mai anriefen fuer das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoss, welches wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloss die titische Bruederschaft sich an, die den Sonderkult der roemischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, sowie die fuer die Herde der dreissig Kurien eingesetzten dreissig Kurienzuender (flamines curiales). Das schon erwaehnte “Wolfsfest” (lupercalia) wurde fuer die Beschirmung der Herden dem “guenstigen Gotte” (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Huegelroemer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat Februar gefeiert - ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die “Woelfe” (luperci) nackt mit dem Bocksfell umguertet herumsprangen und wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten.

Zu diesem aeltesten Gottesdienst der roemischen Gemeinde traten allmaehlich neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die neu geeinigte und durch den grossen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal gegruendete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der hoechste beste Jovis vom Burghuegel, das ist der Genius des roemischen Volkes, an die Spitze der gesamten roemischen Goetterschaft, und sein fortan bestellter Zuender, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes - der Vesta - und der dazu gehoerige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustoechter des roemischen Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Buergern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser haeuslich-oeffentliche Gottesdienst der heiligste aller roemischen, wie er denn auch von allem Heidentum am spaetesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repraesentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere roemische Priesterschaft fuer sie nicht bestellt; und zahlreichen anderen Goetterbegriffen gewoehnte allmaehlich die Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei sie einzelnen - zum Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgoettin (Pomona) - auch wohl einen eigenen Zuender bestellte, sodass deren zuletzt fuenfzehn gezaehlt wurden. Aber sorgfaeltig unterschied man unter ihnen jene drei “grossen Zuender” (flamines maiores), die bis in die spaeteste Zeit nur aus den Altbuergern genommen werden konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen uebrigen Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden Leistungen an die Goetter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften oder staendigen Dienern vom Staat ein fuer allemal uebertragen und zur Deckung der vermutlich nicht unbetraechtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln gewisse Laendereien, teils die Bussen angewiesen.

Dass der oeffentliche Kult der uebrigen latinischen und vermutlich auch der sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen nicht spezifisch roemische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach roemischem Muster gebildet zu sein.

Endlich kann, wie der Staat fuer den Goetterkreis des Staats, so auch der einzelne Buerger innerhalb seines individuellen Kreises aehnliche Anordnungen treffen und seinen Goettern nicht bloss Opfer darbringen, sondern auch Staetten und Diener ihnen weihen.

Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natuerlich durch den Mund des Koenigs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das urspruengliche und einfache Verhaeltnis verdecken oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verstaendlich ist; wer es aber recht versteht, der weiss den Willen des Gottes nicht bloss zu ermitteln, sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu ueberlisten oder zu zwingen. Darum ist es natuerlich, dass der Verehrer des Gottes regelmaessig kundige Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religioesen Sachverstaendigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition fuer diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und fuer deren treue Ueberlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen und sich selbst, natuerlich aus den Buergern, ergaenzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der roemischen und ueberhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien urspruenglich nur zwei: das der Augurn und das der Pontifices ^4. Die sechs “Voegelfuehrer” (augures) verstanden die Sprache der Goetter aus dem Flug der Voegel zu deuten, welche Auslegungskunst sehr ernstlich betrieben und in ein gleichsam wissenschaftliches System gebracht ward. Die sechs “Brueckenbauer” (pontifices) fuehrten ihren Namen von dem ebenso heiligen wie politisch wichtigen Geschaeft, den Bau und das Abbrechen der Tiberbruecke zu leiten. Es waren die roemischen Ingenieure, die das Geheimnis der Masse und Zahlen verstanden; woher ihnen auch die Pflicht zukam, den Kalender des Staats zu fuehren, dem Volke Neu- und Vollmond und die Festtage abzurufen und dafuer zu sorgen, dass jede gottesdienstliche wie jede Gerichtshandlung am rechten Tage vor sich gehe. Da sie also vor allen andern den Ueberblick ueber den ganzen Gottesdienst hatten, ging auch, wo es noetig war, bei Ehe, Testament und Arrogation an sie die Vorfrage, ob das beabsichtigte Geschaeft nicht gegen das goettliche Recht irgendwie verstosse, und ging von ihnen die Feststellung und Bekanntmachung der allgemeinen exoterischen Sakralvorschriften aus, die unter dem Namen der Koenigsgesetze bekannt sind. So gewannen sie, wenn auch in voller Ausdehnung vermutlich erst nach Abschaffung des Koenigtums, die allgemeine Oberaufsicht ueber den roemischen Gottesdienst und was damit zusammenhing - und was hing nicht damit zusammen? Sie selbst bezeichneten als den Inbegriff ihres Wissens “die Kunde goettlicher und menschlicher Dinge”. In der Tat sind die Anfaenge der geistlichen und weltlichen Rechtswissenschaft wie die der Geschichtsaufzeichnung aus dem Schoss dieser Genossenschaft hervorgegangen. Denn wie alle Geschichtsschreibung an den Kalender und das Jahrzeitbuch anknuepft, musste auch die Kunde des Prozesses und der Rechtssaetze, da nach der Errichtung der roemischen Gerichte in diesen selbst die Ueberlieferung nicht entstehen konnte, in dem Kollegium der Pontifices traditionell werden, das ueber Gerichtstage und religioese Rechtsfragen ein Gutachten zu geben allein kompetent war.

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^4 Am deutlichsten zeigt sich dies darin, dass in den nach dem latinischen Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices ueberall vorkommen (z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die uebrigen Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als aeltestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreissig Kurien und die Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschraenkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, ist wohl entweder durch roemischen Einfluss in das allgemein latinische Schema anstatt aelterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, oder es bedeutete urspruenglich, was sprachlich manches fuer sich hat, pons nicht Bruecke, sondern Weg ueberhaupt, pontifex also den Wegebauer.

Die Angaben ueber die urspruengliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. Dass die Zahl derselben ungerade sein musste, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, dass die Zahl der roemischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurueckgehen muesse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten laesst. Ueber die Zahl der Pontifices vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.

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Gewissermassen laesst diesen beiden aeltesten und ansehnlichsten Genossenschaften geistlicher Sachverstaendigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges Archiv das Andenken an die Vertraege mit den benachbarten Gemeinden durch Ueberlieferung zu bewahren, ueber angebliche Verletzungen des vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und noetigenfalls den Suehneversuch und die Kriegserklaerung zu bewirken. Sie waren durchaus fuer das Voelkerrecht, was die Pontifices fuer das Goetterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.

Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergass man, und am wenigsten bei den am hoechsten gestellten, dass sie nicht zu befehlen, sondern sachverstaendigen Rat zu erteilen, die Antwort der Goetter nicht unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloss im Rang dem Koenig nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem Koenig steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Voegel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es noetig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Froemmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, dass in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Buerger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkraeften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Aeusserungen der Freude, in Liedern und Gesaengen, in Spielen und Taenzen, vor allem aber in Schmaeusen. Wie ueberall bei den ackerbauenden, regelmaessig von Vegetabilien sich naehrenden Voelkerschaften war auch in Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den Goettern das wohlgefaelligste Opfer nur darum, weil es der gewoehnliche Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Ueberschwenglichkeit des Jubels ist dem gehaltenen roemischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Goetter ist einer der hervortretendsten Zuege des aeltesten latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber haelt, mit eiserner Strenge niedergedrueckt. Infolgedessen sind die Auswuechse, die von solcher Masslosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und irdische Strafe auf die Goetterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Suehnung aufzufassen, im innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes Suehnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Toetung des Feindes; der naechtliche Dieb der Feldfruechte buesst der Ceres am Galgen wie der boese Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet hierbei: wenn die Goetter der Gemeinde zuernen, ohne dass auf einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versoehnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich schliessen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein braver Buerger sich als Suehnopfer in den Schlund oder in die Feinde stuerzt. Auf aehnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Goettern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden laesst. Will man dies Menschenopfer nennen, so gehoert solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber man muss hinzufuegen, dass, soweit unser Blick in die Ferne irgend zuruecktraegt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich beschraenkt auf den Schuldigen, der vor dem buergerlichen Gericht ueberwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod waehlt. Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Staemmen ueberall, wo sie vorkommen, auf spaeterer Ausartung und Verwilderung. Bei den Roemern haben sie nie Eingang gefunden; kaum dass einmal in Zeiten hoechster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung ausserordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Roemern verhaeltnismaessig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das private und oeffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafuer auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nuechternheit und Trockenheit verfallen und frueh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer Zwecke; wie denn den religioesen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung auf das Fassliche und Reelle diese Wendung ueberhaupt gegeben wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Goetter stehen dem Menschen voellig gegenueber wie der Glaeubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da die Zahl der Goetter so gross war wie die Zahl der Momente des irdischen Lebens und die Vernachlaessigung oder verkehrte Verehrung eines jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich raechte, so war es eine muehsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religioesen Verpflichtungen auch nur sich bewusst zu werden, und so mussten wohl die des goettlichen Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluss gelangen. Denn der rechtliche Mann erfuellt die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmaennischen Puenktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Uebriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation laesst man mit dem Gotte sich ein: das Geluebde ist der Sache wie dem Namen nach ein foermlicher Kontrakt zwischen dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem fuer eine gewisse Leitung eine gewisse Gegenleistung zusichert, und der roemische Rechtssatz, dass kein Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religioesen Anliegen der Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der roemische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloss dem Buchstaben nach zu erfuellen befugt ist, so ward auch, wie die roemischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Goettern das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des Himmelsgewoelbes brachte man Zwiebel- und Mohnkoepfe dar, um auf deren statt auf der Menschen Haeupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden zur Loesung der jaehrlich von ihm erheischten Opfer jaehrlich dreissig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfen ^5. Die Ideen goettlicher Gnade und Versoehnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den gefaehrlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu beruecken und abzufinden. So ist die roemische Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht ueber die Gemueter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmaechtigen Gottheit, das den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von demjenigen Zagen, mit dem der roemische Schuldner seinem gerechten, aber sehr genauen und sehr maechtigen Glaeubiger sich naht. Es ist einleuchtend, dass eine solche Religion die kuenstlerische und die spekulative Auffassung viel mehr zu erdruecken als zu zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem Fleisch und Blut umhuellte, wurden diese Goetterideen nicht bloss die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten auch die Universalitaet und die Elastizitaet, welche die tiefste Eigentuemlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor die Phantasie und die Spekulation das Gefaess, das sie gehegt hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkoerperung der Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, dass weder der Kuenstler noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenueberstand. Da der Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild seine Staette (templum) und sein Abbild; Waende und Idole, von Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu trueben und zu befangen. Darum war der urspruengliche roemische Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshaeuser; und wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in frueher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Haeuschen (aedicula) gebaut ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas zuwiderlaufend und ueberhaupt als unrein und fremdlaendisch. Mit Ausnahme etwa des doppelkoepfigen Janus hat die roemische Religion kein ihr eigentuemliches Goetterbild aufzuweisen und noch Varro spottete ueber die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der roemischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die roemische Poesie und noch mehr die roemische Spekulation so vollstaendig nicht waren und blieben.

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^5 Hierin konnte nur unueberlegte Auffassung Ueberreste alter Menschenopfer finden.

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Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische Gewinn, welcher der roemischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser - der polizeilichen Bevormundung des Buergers durch den Staat noch fernstehenden - Zeit die Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht der Goetter zog und sie mit goettlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehoerte ausser der religioesen Einschaerfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmaessigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen Ruecksichten zusammenhaengende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Roemern ungemein frueh, weit frueher als bei den Griechen, durchgefuehrte Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird es nicht gering anschlagen duerfen, dass die latinische Landesreligion diese und aehnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein verrueckte oder der Dieb sich bei naechtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der goettliche Fluch auf dem Haupt des Frevlers. Nicht als waere der also Verwuenschte (sacer) vogelfrei gewesen; eine solche, aller buergerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur ausnahmsweise als Schaerfung des religioesen Bannfluchs in Rom waehrend des staendischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Buerger oder gar dem voellig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen goettlichen Fluches zu. Zunaechst ist der also Gebannte dem goettlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen Willkuer, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fusst, wird selbst ueber leichtsinnige und boesartige Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschraenkt darauf sich nicht; vielmehr ist der Koenig befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der Toetung des Schuldigen die Loesung durch Darbringung eines Opfertiers oder aehnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religioesen Idee der Suehnung.

Weitere Leistungen aber als dergleichen Foerderungen buergerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsaeglich viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt - dankt es doch seiner Religion nicht bloss seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung, soweit sie ueberhaupt erreicht ward; um Goetterorakel und Goetterfeste, um Delphi und Olympia, um die Toechter des Glaubens, die Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben gross, und alles, was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knuepfen eben hier auch Latiums Vorzuege vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrueckt wie sie ist auf das Mass der gewoehnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verstaendlich und allen insgemein zugaenglich; und darum bewahrte die roemische Gemeinde ihre buergerliche Gleichheit, waehrend Hellas, wo die Religion auf der Hoehe des Denkens der Besten stand, von fruehester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere urspruenglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der oberflaechlichen Betrachtung, die ueber die Tiefe des Stromes sich taeuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der hoeher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist also spaeterhin verdorrt; aber laenger als die meisten Voelker haben die Latiner die naive Glaeubigkeit sich bewahrt, und vor allem laenger als die Griechen. Wie die Farben die Wirkungen, aber auch die Truebungen des Lichtes sind, so sind Kunst und Wissenschaft nicht bloss die Geschoepfe, sondern auch die Zerstoerer des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man spaeter vergeblich sich bemueht zu erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religioese und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmoeglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie buessten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es waere darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Roemer oder die Roemer nur auf Kosten der Griechen preisen zu koennen meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten laesst, so auch die beiden grossartigen Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu begreifen, dass ihre Vorzuege gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, dass Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich beruehrt hat. Kein Volksstamm der Erde fuer sich allein war gross genug, weder das Wunder der hellenischen noch spaeterhin das Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo aramaeische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein humanen, so ist Latium nicht minder fuer alle Zeiten der Prototyp der nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von beiden zu lernen.

Also war und wirkte die roemische Religion in ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstuemlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, dass seit aeltester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande heruebergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Buergerrechts an einzelne Fremde den roemischen Staat denationalisiert hat. Dass man von alters her mit den Latinern die Goetter tauschte wie die Waren, versteht sich; bemerkenswerter ist die Uebersiedlung von nicht stammverwandten Goettern und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Goetterbegriffe entlehnt worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die aeltere Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Goettin des Gedaechtnisses (mens, menervare), welche man wohl als urspruenglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gruenden vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und passt auch wohl zu allem, was wir sonst vom roemischen Verkehr wissen, dass frueher und ausgedehnter als irgendein anderer auslaendischer der griechische Kult im Rom Beruecksichtigung fand. Den aeltesten Anlass gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der roemischen Goetter beschraenkte sich im ganzen auf Ja und Nein und hoechstens auf die Verkuendigung ihres Willens durch das - wie es scheint, urspruenglich italische - Werfen der Lose ^6; waehrend seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengoetter wirkliche Wahrsprueche erteilten. Solche Ratschlaege in Vorrat zu haben waren die Roemer gar frueh bemueht, und Abschriften der Blaetter der weissagenden Priesterin Apollons, der kymaeischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in fruehester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverstaendigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch fuer dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Faellen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wusste, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon frueh sich ratsuchende Roemer; ausser den schon erwaehnten Sagen ueber diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhaengenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die aelteste roemische Form des Namens Apollon Aperta, der Eroeffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verraet. Auch der griechische Herakles ist frueh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentuemlicher Weise aufgefasst worden, wie es scheint zunaechst als Gott des gewagten Gewinns und der ausserordentlichen Vermoegensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum ueberhaupt der Gott der kaufmaennischen Vertraege, die in aelterer Zeit haeufig an diesem Altar geschlossen und mit Eidschwur bekraeftigt wurden, und fiel insofern mit dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung des Hercules ist frueh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den Gassen der Staedte wie an den Landstrassen standen ueberall seine Altaere. Die Schiffergoetter ferner, Kastor und Polydeukes oder roemisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, der roemische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, wurden den Roemern frueh bekannt, wenngleich deren oeffentliche Verehrung erst spaeter begann. Der Name des Festes der “guten Goettin” (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen δάμιον oder δήμιον, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurueckreichen. Auf alter Entlehnung muss es auch beruhen, dass der alte Liber pater der Roemer spaeter als “Vater Befreier” gefasst ward und mit dem Weingott der Griechen, dem “Loeser” (Lyaeos) zusammenfloss, und dass der roemische Gott der Tiefe der “Reichtumspender” (Pluton - Dis pater) hiess, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch Begriffsuebertragung, ueberging in die roemische Proserpina, dass heisst Aufkeimerin. Selbst die Goettin des roemisch-latinischen Bundes, die aventinische Diana scheint der Bundesgoettin der kleinasiatischen Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem roemischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die frueh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramaeische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geuebt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunaechst Kaufleute und Schiffer die griechischen Goetter nach Italien gebracht haben.

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^6 Sors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztaefelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen erinnert.

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Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundaerer Bedeutung, die Truemmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im grossen und ganzen ist die roemische Religion eine organische Schoepfung des Volkes, bei dem wir sie finden.

Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schliessen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit lokal verschiedener Faerbung und Gestaltung. Dass sie abwich von der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gruendung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebraeuche; aber eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Staemmen die regelmaessige Weise der Goetterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Voegeln als die ramnischen Augurn. Ueberall, wo wir vergleichen koennen, zeigen sich aehnliche Verhaeltnisse; die Fassung der Goetter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersoenliche Natur sind beiden Staemmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Dass dem damaligen Kultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermoegen den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.

Aber aus den Truemmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine duestere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher Vollstaendigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spaetere Gruebelei auch manches erst hineingetragen haben, und moegen auch gerade die duesteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden Saetze uns vorzugsweise ueberliefert sein, was beides in der Tat nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug uebrig, um die Mystik und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begruendet.

Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenuegend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen laesst sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen Goettern die boesen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen einschliesst - so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokaeer, in Tarquinii die gefangenen Roemer. Statt der stillen, in den Raeumen der Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen “guten Geister”, wie die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hoelle, in die die armen Seelen zur Peinigung durch Schlaegel und Schlangen abgeholt werden von dem Totenfuehrer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Fluegeln und einem grossen Hammer; einer Gestalt, die man spaeter in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostuemieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, dass es sogar eine Erloesung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Goetter. Es ist merkwuerdig, dass, um ihre Unterwelt zu bevoelkern, die Etrusker frueh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische Lehre und der Charon eine grosse Rolle in der etruskischen Weisheit spielen.

Aber vor allen Dingen beschaeftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Roemer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Goetter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob die Handlung Glueck oder Unglueck bringen werde. Stoerungen im Laufe der Natur galten ihm als unglueckbringend und hemmten die Handlung, wie zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Missgeburt schleunigst getoetet ward. Aber jenseits des Tiber begnuegte man sich damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opfertiere dem glaeubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je seltsamer die Goettersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkuende und wie man das Unheil etwa abwenden koenne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepfluegt worden, Tages genannt - man sollte meinen, dass das zugleich kindische und altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen -, also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine Schueler und Nachfolger lehrten, welche Goetter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabaenderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame Kuenste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelueste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem roemischen Wesen widerstand, zeigt, dass, selbst als man spaeter in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubuergern; in dieser Epoche genuegten den Roemern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel.

Hoeher als die roemische Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den Roemern voellig mangelt, einer in religioese Formen gehuellten Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Ueber der Welt mit ihren Goettern walten die verhuellten Goetter, die der etruskische Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Ueber den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen gewesen zu sein.

KAPITEL XIII.
Ackerbau, Gewerbe und Verkehr

Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der aeusseren Geschichte der Staaten, dass schon bei deren Schilderung vielfach auf dieselben Ruecksicht genommen werden musste. Hier soll es versucht werden, anknuepfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die roemische Oekonomie zusammenfassend und ergaenzend zu schildern.

Dass der Uebergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel faellt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstaemme hat es in Italien in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natuerlich die Staemme ueberall, je nach der Art der Oertlichkeit in geringerem oder staerkerem Masse, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, dass jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schoene Sitte, die Anlage neuer Staedte damit zu beginnen, dass man dort, wo der kuenftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Dass namentlich in Rom, ueber dessen agrarische Verhaeltnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen laesst, nicht bloss der Schwerpunkt des Staates urspruenglich in der Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der Ansaessigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein grosser Teil des roemischen Grundbesitzes in die Haende von Nichtbuergern gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Buergerschaft nicht mehr auf der Ansaessigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies Missverhaeltnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloss fuer einmal, sondern fuer alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder ohne Ruecksicht auf ihre politische Stellung ein fuer allemal nach der Ansaessigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die Ansaessigen legte, denen die gemeinen Rechte im natuerlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen mussten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Roemer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansaessigkeit; wie im Staat der ansaessige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansaessigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die ueberwundene Gemeinde ward entweder genoetigt, ganz in der roemischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem Aeussersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewoehnlich eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmaessig roemische Bauernhoefe entstanden. Viele Voelker haben gesiegt und erobert wie die Roemer; aber keines hat gleich dem roemischen den erkaempften Boden also im Schweisse seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreissen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflueger macht; wenn die Roemer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden roemischen Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zaehen Festhalten der Bauern an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Groesse Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Buerger ueber den Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegruendeten Bauernschaft.

Dass in aeltester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die einzelnen, dem Geschlecht angehoerigen Haeuser verteilt ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhaengen und auch spaeterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr haeufig vorkam ^1. Selbst die roemische Rechtsueberlieferung weiss noch zu berichten, dass das Vermoegen anfaenglich in Vieh und Bodenbenutzung bestand und erst spaeter das Land unter die Buerger zu Sondereigentum aufgeteilt ward ^2. Besseres Zeugnis dafuer gewaehrt die aelteste Bezeichnung des Vermoegens als “Viehstand” (pecunia) oder “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und Sklaven als “Schaefchen” (peculium); ferner die aelteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur fuer bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das aelteste Mass des “Eigenlandes” (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder preussischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kann ^3. Wann und wie die Aufteilung des Ackerlandes stattgefunden hat, laesst sich nicht mehr bestimmen. Geschichtlich steht nur so viel fest, dass die aelteste Verfassung die Ansaessigkeit nicht, sondern als Surrogat dafuer die Geschlechtsgenossenschaft, dagegen schon die Servianische den aufgeteilten Acker voraussetzt. Aus derselben Verfassung geht hervor, dass die grosse Masse des Grundbesitzes aus mittleren Bauernstellen bestand, welche einer Familie zu tun und zu leben gaben und das Halten von Ackervieh sowie die Anwendung des Pfluges gestatteten; das gewoehnliche Flaechenmass dieser roemischen Vollhufe ist nicht mit Sicherheit ermittelt, kann aber, wie schon gesagt ward, schwerlich geringer als zu 20 Morgen angenommen werden.

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^1 Die bei der deutschen Feldgemeinschaft vorkommende Verbindung geteilten Eigentums der Genossen und gemeinschaftlicher Bestellung durch die Genossenschaft hat in Italien schwerlich je bestanden. Waere hier, wie bei den Deutschen, jeder Genosse als Eigentuemer eines Einzelfleckes in jedem wirtschaftlich abgegrenzten Teile der Gesamtmark betrachtet worden, so wuerde doch wohl die spaetere Sonderwirtschaft von zerstueckelten Hufen ausgehen. Allein es ist vielmehr das Gegenteil der Fall; die Individualnamen der roemischen Hufen (fundus Cornelianus) zeigen deutlich, dass der aelteste roemische Individualgrundbesitz faktisch geschlossen war.

^2 Cicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. - (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Ebenso laesst Dionys den Romulus das Land in dreissig Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest einfuehren (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16).

^3 Da dieser Behauptung fortwaehrend noch widersprochen wird, so moegen die Zahlen reden. Die roemischen Landwirte der spaeteren Republik und der Kaiserzeit rechnen durchschnittlich fuer das Iugerum als Aussaat fuenf roemische Scheffel Weizen, als Ertrag das fuenffache Korn; der Ertrag eines Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Ruecksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) fuer das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine roemische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stuetzt sich darauf, dass der Sklave der spaeteren Zeit ausschliesslicher als der freie Bauer der aelteren von Getreide gelebt hat und dass fuer die aeltere Zeit die Annahme des fuenffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, aber fuer beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemuese, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders fuer die aeltere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die aeltere roemische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der Intensitaet der aelteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen - und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen groesseren Ertrag abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der spaeteren Republik und der Kaiserzeit ihn erzielten; aber Mass wird auch hier zu halten sein, da es ja um Durchschnittssaetze sich handelt und um eine weder rationell noch mit grossem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt des fuenften wird die aeusserste Grenze sein, und sie genuegt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall laesst das enorme Defizit, welches auch nach diesen Ansaetzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch blosse Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst dann als gefuehrt zu betrachten sein, wenn eine rationelle landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer ueberwiegend von Vegetabilien sich naehrenden Bevoelkerung der Ertrag eines Grundstueckes von zwei Morgen sich als durchschnittlich fuer die Ernaehrung einer Familie ausreichend herausstellt.

Man behauptet nun zwar, dass selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegruendungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten, gegen welche es ueberhaupt der Muehe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlaessigen Ueberlieferung gezaehlt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, dass bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Buergerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefuegt werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Faelle wird jede andere Annahme besser sein als eine Hypothese, welche mit den fuenf Broten und zwei Fischen des Evangeliums ziemlich auf einer Linie steht. Die roemischen Bauern waren bei weitem weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstuecken von sieben Morgen oder 140 roemischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu koennen.

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Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewoehnliche Korn war der Spelt (far) ^4; doch wurden auch Huelsenfruechte, Rueben und Gemuese fleissig gezogen.

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^4 Vielleicht der juengste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu fuehren, dass die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben koennen, ist hauptsaechlich darauf gestuetzt worden, dass Varro (tust. 1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fuenf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert wird, dass der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen betraechtlich hoeheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell hoehere Aussaat und Ernte einfach zu erklaeren aus dem Umstand, dass die Roemer den Weizen ausgehuelst lagerten und saeten, den Spelt aber in den Huelsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesaet als der Weizen und liefert nach Scheffelmass doppelt hoeheren Ertrag, nach Abzug der Huelsen aber geringeren. Nach wuerttembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag fuer den wuerttembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von ¼-½ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die Schaelung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der Enthuelsung nicht viel ueber, nach der Enthuelsung (als Kern”) weniger als die Haelfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es zweckmaessig ist, bei Ueberschlaegen dieser Art von ueberlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt uebertragen, nicht wesentlich abweicht und der Ertrag eher faellt als steigt. Der Spelt ist genuegsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht unbetraechtlichen Enthuelsungskosten in Anschlag bringt, einen hoeheren Reinertrag (nach fuenfzigjaehrigem Durchschnitt stellt in der Gegend von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Sueddeutschland, wo der Boden ihn zulaesst, der Weizenbau vorgezogen wird, und ueberhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau zu verdraengen pflegt, so ist auch der gleichartige Uebergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein Fortschritt gewesen.

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Dass die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende Festverzeichnis der roemischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem Vater Iovis, nicht dem juengeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heisst. Wenn nach einer recht alten Sage der Koenig Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlasste, die Alpen zu ueberschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzaehlung die Bekanntschaft mit den edlen Fruechten Italiens und vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Frueh und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfaeltige Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der hoechste Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest der Fassoeffnung abgerufen hatte. Ebenso gehoert hierher nicht bloss die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Koenigs Numa bekannt gemachte Vorschrift der roemischen Priester, den Goettern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugiessen; eben wie sie, um das nuetzliche Doerren des Getreides einzufuehren, die Opferung ungedoerrten Getreides untersagten.

Juenger ist der Oelbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommen ^5. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, dass der Oelzweig und die Olive im roemischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert uebrigens der Roemer beide edle Baeume hielt, beweisen der Rebstock und Oelbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen Teiches gepflanzt wurden.

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^5 Oleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Φlhefe) aus αμόργη entstanden.

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Von den Fruchtbaeumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbaeume, deren ebenfalls mehrere auf und an dem roemischen Markte standen ^6, hat die roemische Ursprungssage ihre dichtesten Faeden gesponnen.

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^6 Aber dass der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht ueberliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert.

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Es waren der Bauer und dessen Soehne, welche den Pflug fuehrten und ueberhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; dass auf den gewoehnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tageloehner regelmaessig mit verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbstaendige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr beschraenktem Umfang; wohl aber wurden ausser dem Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Gefluegel, besonders Gaense gehalten. Im allgemeinen ward man nicht muede zu pfluegen und wieder zu pfluegen - der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren, dass das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene Ernte- und Dreschverfahren, blieben unveraendert. Mehr als das hartnaeckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener war die gemuetliche Anhaenglichkeit an die mit der ererbten Scholle ueberkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkraeutern und das Berieselungssystem der Wiesen, moegen schon frueh von den Nachbarvoelkern uebernommen oder selbstaendig entwickelt worden sein; begann doch die roemische Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleissigen und verstaendigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr Recht geltend, die Muehsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine uebrigen Geschaefte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); waehrend dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Goetter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmusse nicht bloss der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier.

In solcher Weise etwa ward die gewoehnliche roemische Bauernstelle in aeltester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es fuer die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermoegens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war ueberdies das eigene Verfuegungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmaessig einen Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der Ueberschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, dass es bei der Hypothekenschuld den vorlaeufigen Uebergang des Eigentums an der verpfaendeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Glaeubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs fuehrende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschraenkt. So wuenschenswert es auch sein mochte, dass die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das aelteste Recht dafuer die Aufloesung einer solchen Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brueder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu noetigen, ist dem liberalen Geiste des roemischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, dass es schon in der Koenigszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die Verhinderung der uebermaessigen Zerstueckelung des Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevoelkerung ueberlassen; und dass man sich hierin nicht getaeuscht hat und die Landgueter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine roemische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die Ausfuehrung von Kolonien, welche regelmaessig die Gruendung einer Anzahl neuer Vollhufen, und haeufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausfuehrte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeifuehrte. Bei weitem schwieriger ist es, die Verhaeltnisse des groesseren Grundbesitzes zu erkennen. Dass es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der fruehen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklaert sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand von groesseren Grundbesitzern ins Leben rufen musste, teils aus der Menge der in Rom zusammenstroemenden kaufmaennischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Grosswirtschaft, gestuetzt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie spaeter in Rom finden, kann fuer diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die Senatoren Vaeter genannt worden sind von den Aeckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird urspruenglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstueckes, den er nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen Parzellen unter abhaengige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfaenger konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein Verhaeltnis dasjenige, welches spaeter unter dem Namen des “Bittbesitzes” (precarium) erscheint. Der Empfaenger behielt diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, um sich gegen denselben im Besitz zu schuetzen; vielmehr konnte dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den Bodeneigentuemer lag in dem Verhaeltnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand sie haeufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhaeltnis der spaeteren Pacht sich naehert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpaechters vermittelten Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein Treueverhaeltnis und konnte ohne das Hinzutreten eines maechtigen, religioes geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das durchaus sittlich-religioese Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft moeglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhaengigen Leuten gestatten, und eben damit haengt ohne Zweifel zusammen, dass die roemische Klientel nicht persoenlich war, sondern von Haus aus der Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser aeltesten Gestalt der roemischen Gutswirtschaft erklaert es sich, weshalb aus den grossen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmaenner den Roemern fremd blieb, fand sich der roemische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als der Paechter und der Bauer; er sah ueberall selbst zu und griff selber ein, und auch dem reichen Roemer galt es als das hoechste Lob, ein guter Landwirt zu heissen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er nur ein Quartier, um seine Geschaefte dort zu besorgen und etwa waehrend der heissen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage fuer das Verhaeltnis der Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefaehrlichkeit wesentlich gemindert. Die freien Bittpaechter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die grosse Masse des Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhaengiger, als es der kleine Zeitpaechter dem grossen Gutsbesitzer gegenueber unvermeidlich ist. Die fuer den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem weniger zahlreich als die freien Paechter. Ueberall wo die einwandernde Nation nicht sogleich eine Bevoelkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven anfaenglich nur in sehr beschraenktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir spaeter sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der aelteren Epoche die “Tageloehner” (θήτες) vielfach an der Stelle der spaeteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war doch regelmaessig italischer Abkunft; der volskische, sabinische, etruskische Kriegsgefangene musste seinem Herrn anders gegenueberstehen als in spaeterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsaechlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die Moeglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem grossen Grundbesitz der aeltesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern fuer dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloss verschaffte er nach Verhaeltnis ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den verhaeltnismaessig hoch und frei gestellten Grundherren die natuerlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und eigentumslosen Bittpaechtern aber das rechte Material fuer die roemische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermoegenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu fuehren.

Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentuemer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe fuer seine eigenen, fuer die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbussen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine maessige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger mag urspruenglich tatsaechlich in einem gewissen Verhaeltnis zum Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknuepfung der einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur ausnahmsweise durch koenigliche Gnade gewaehrt ward. In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft ueberhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die urspruengliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl groesstenteils sogleich unter die Geschlechter oder spaeter unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward.

Dass der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der fruehen Entwicklung des staedtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Koenigs Numa, das heisst unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht Handwerkerzuenfte aufgezaehlt: der Floetenblaeser, der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Faerber, der Toepfer, der Schuster - womit fuer die aelteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmaessige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung fuer fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschoepft sein wird. Merkwuerdig ist es, dass keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestaetigt dies aufs neue, dass man in Latium erst verhaeltnismaessig spaet mit der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel fuer den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die spaeteste Zeit durchgaengig nur Kupfer verwandt werden durfte. Fuer das staedtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft muessen diese Gewerkschaften in der aeltesten Periode von grosser Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den spaeteren, durch die Masse der fuer den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrueckten Verhaeltnissen des roemischen Handwerks. Die aeltesten Lieder Roms feierten nicht bloss den gewaltigen Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem goettlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbuergern gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten roemischen Festverzeichnis. Auch in dem aeltesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu fuehren, Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffaertigen Verachtung der Gewerke, die spaeter daselbst begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschliesslich auf die Ansaessigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl infolge ihrer durchgaengigen Nichtansaessigkeit tatsaechlich vom Waffenrecht ausgeschlossen, ausser insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militaerisch organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der Anfang sein zu der spaeteren sittlichen Geringschaetzung und politischen Zuruecksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zuenfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverstaendigen taten sich zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Dass unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation - freilich sind auch ueber keine Seite des roemischen Volkslebens die Nachrichten so voellig versiegt wie ueber die Gewerke.

Dass der italische Handel sich in der aeltesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschraenkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewoehnlichen Wochenmaerkten (nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie moegen sich zunaechst an die internationalen Zusammenkuenfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Aehnliche und vielleicht noch groessere Bedeutung hatte fuer Etrurien die jaehrliche Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von roemischen Kaufleuten regelmaessig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht guenstiger zu finden war fuer den Warentausch unter den drei grossen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens gehoert zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmaessig erschienen hier die roemischen Kaufleute, und Verletzungen derselben fuehrten manchen Hader mit den Sabinern herbei.

Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder phoenikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei vorkommenden Missernten die Landschaften einander mit Getreide aus; hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen aeltesten Zeiten notwendig oder wuenschenswert erschien. Das aelteste Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so dass auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstaende als gesetzlich allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhaeltnissatz zwischen Gross- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloss in die graecoitalische, sondern noch darueber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurueck ^7. Daneben kam in Italien, wo man besonders fuer die Ackerbestellung und die Ruestung allgemein des Metalls in ansehnlicher Menge bedurfte, nur wenige Landschaften aber selbst die noetigen Metalle erzeugten, sehr frueh als zweites Tauschmittel das Kupfer (aes) auf, wie denn den kupferarmen Latinern die Schaetzung selbst die “Kupferung” (aestimatio) hiess. In dieser Feststellung des Kupfers als allgemeinen, auf der ganzen Halbinsel gueltigen Aequivalents, sowie in den spaeter noch genauer zu erwaegenden einfachsten Zahlzeichen italischer Erfindung und in dem italischen Duodezimalsystem duerften Spuren dieses aeltesten sich noch selbst ueberlassenen Internationalverkehrs der italischen Voelker vorliegen.

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^7 Der gesetzliche Verhaeltniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich daraus hervor, dass, als man die Vieh- in Geldbussen umsetzte, das Schaf zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach islaendischem Recht der Kuh zwoelf Widder gleich gelten; nur dass hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem aelteren dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat.

Dass die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen (englisch fee) in die des Geldes uebergeht, ist bekannt.

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In welcher Art der ueberseeische Verkehr auf die unabhaengig gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon frueher bezeichnet. Fast ganz unberuehrt von ihm blieben die sabellischen Staemme, die nur einen geringen und unwirtlichen Kuestensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel staedtischer Entwicklung ruehrt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westkueste, wo in Kampanien Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein ausgedehnter und regelmaessiger Warentausch stattfand. Was die aeltesten Einfuhrartikel waren, laesst sich teils aus den Fundstuecken schliessen, die uralte, namentlich caeritische Graeber ergeben haben, teils aus Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Roemer bewahrt sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natuerlich kaufte man laengere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir koennen zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der Staemme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst ueberlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Faerber, Gerber und Toepfer von Griechenland oder von Phoenikien aus den Anstoss empfangen oder selbstaendig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem der ueberseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den aeltesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten gefluegelten Loewen und aehnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag ueber das einzelne Fundstueck gestritten werden, ob es vom Ausland eingefuehrt oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, dass die ganze italische Westkueste in aeltester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich spaeter, wo von der Kunstuebung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, dass die Architektur wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr frueher Zeit durch griechischen Einfluss eine maechtige Anregung empfangen haben, das heisst, dass die aeltesten Werkzeuge und die aeltesten Muster aus Griechenland gekommen sind. In die eben erwaehnten Grabkammern waren ausser dem Goldschmuck noch mit eingelegt Gefaesse von blaeulichem Schmelzglas oder gruenlichem Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrueckten Hieroglyphen zu schliessen, aegyptischen Ursprungs ^8; Salbgefaesse von orientalischem Alabaster, darunter mehrere als Isis geformt; Strausseneier mit gemalten oder eingeschnitzten Sphinxen und Greifen; Glas- und Bernsteinperlen. Die letzten koennen aus dem Norden auf dem Landweg gekommen sein; die uebrigen Gegenstaende aber beweisen die Einfuhr von Salben und Schmucksachen aller Art aus dem Orient. Eben daher kamen Linnen und Purpur, Elfenbein und Weihrauch, was ebenso der fruehe Gebrauch der linnenen Binden, des purpurnen Koenigsgewandes, des elfenbeinernen Koenigsszepters und des Weihrauchs beim Opfer beweist wie die uralten Lehnnamen (λίνον līnum; πορφύρα purpura; σκήπτρον σκίπων scipio, auch wohl ελέφας ebur; θύος thus). Eben dahin gehoert die Entlehnung einer Anzahl auf Ess- und Trinkwaren bezueglicher Woerter, namentlich die Benennung des Oels (vgl. 1, 200), der Kruege (αμφορεύς amp[h]ora ampulla; κρατήρ cratera), des Schmausens (κωμάζω comissari), des Leckergerichts (οψώνιον opsonium), des Teiges (μάζα massa) und verschiedener Kuchennamen (γλυκούς lucuns; πλακούς placenta; τυρούς turunda), wogegen umgekehrt die lateinischen Namen der Schuessel (patina πατάνη) und des Specks (arvina αρβίνη) in das sizilische Griechisch Eingang gefunden haben. Die spaetere Sitte, den Toten attisches, kerkyraeisches und kampanisches Luxusgeschirr ins Grab zu stellen, beweist eben wie diese sprachlichen Zeugnisse den fruehen Vertrieb der griechischen Toepferwaren nach Italien. Dass die griechische Lederarbeit in Latium wenigstens bei der Armatur Eingang fand, zeigt die Verwendung des griechischen Wortes fuer Leder (σκύτος) bei den Latinern fuer den Schild (scutum; wie lorica von lorum). Endlich gehoeren hierher die zahlreichen aus dem Griechischen entlehnten Schifferausdruecke, obwohl die Hauptschlagwoerter fuer die Segelschiffahrt: Segel, Mast und Rahe doch merkwuerdigerweise rein lateinisch gebildet sind ^9; ferner die griechische Benennung des Briefes (επιστολή epistula), der Marke (tessera, von τέσσαρα ^10), der Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes (αρραβών arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer Rechtsausdruecke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwaehnende Austausch der Muenz-, Mass- und Gewichtsverhaeltnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta = πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), ist der klarste Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der schoenen Maia.

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^8 Vor kurzem ist in Praeneste ein silberner Mischkrug mit einer phoenikischen und einer Hieroglypheninschrift gefunden worden (Mon. Inst. X., Taf. 32), welcher unmittelbar beweist, dass, was Aegyptisches in Italien zum Vorschein kommt, durch phoenikische Vermittlung dorthin gelangt ist.

^9 Velum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht bloss den Mast-, sondern ueberhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora Anker άγκυρα, prora Vorderteil πρώρα, aplustre Schiffshinterteil άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende Strick άγκοινα, nausea Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde - aquilo der Adlerwind, die nordoestliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht der Geierwind), der Suedost; auster, der ausdoerrende Suedwestwind, der Scirocco; favonius, der guenstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende Nordwestwind - haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezuegliche Namen; alle uebrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen uebersetzt (z. B. solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ).

^10 Zunaechst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά φυλακήν βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken ueberhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung der Nacht fuer den Wachtdienst ist griechisch wie roemisch; die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im roemischen Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht fuer verhaeltnismaessig spaete Uebernahme des Wortes.

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Sonach bezog das aelteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland Missernte eingetreten war, sein Getreide.

Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Aequivalente ist schon frueher erklaert worden, warum sich der italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle hauptsaechlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel fuehren und mussten schon in aeltester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwaehnt ward; dagegen musste die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich notwendig guenstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre maechtige Handelsstellung, waehrend Latium vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen Beziehungen: die aeltesten nach griechischer Art, nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Graeber finden sich in Caere, waehrend mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem suedlichen Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck auslaendischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus aelterer Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen die Leiche deckte. Die aeltesten Muenzen, den grossgriechischen der Zeit nach wenig nachstehend, gehoeren Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat in der ganzen Koenigszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst die fremden Muenzen nicht eingefuehrt, denn nur aeusserst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort kommt ihnen ueberall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber in der Intensitaet des Verkehrs stand die suedliche Landschaft weit zurueck hinter den noerdlichen Nachbarn. Eben damit haengt es zusammen, dass die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, waehrend Latium schwerlich jemals dergleichen ausgefuehrt hat.

Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Ueber den aeltesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere koennen wir kaum etwas aussprechen als die Vermutung, dass er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Dass die westlichen Etrusker sich dreist in die oestlichen Meere wagten und nicht bloss mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloss die attischen Tongefaesse, die in den juengeren etruskischen Graebern so zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Graeberschmuck, wie bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingefuehrt worden sind, waehrend umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen frueh in Attika ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Muenzen. Die Silberstuecke von Populonia sind nachgepraegt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloss mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstueck, das sich in Athen und an der alten Bernsteinstrasse in der Gegend von Posen gefunden hat und das hoechst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiss geschlagene Muenze ist. Dass ausserdem, und seit der Entwicklung der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwaehnt; es ist beachtenswert, dass in den aeltesten Graebern von Caere ausser einheimischem Bronze- und Silbergeraet vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herruehren koennen, wahrscheinlicher aber doch von phoenikischen Handelsmaennern eingefuehrt wurden. Indes darf diesem phoenikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht uebersehen werden, dass das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den Phoenikern nach Etrurien gebracht sind.

Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der roemischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie moeglich sind, eine vollstaendige Unabhaengigkeit beider Voelkerschaften voneinander. Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Voelker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem anderen Ort geschoepft. Auch in einzelnen Woertern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der roemische Pollux, der tuskische Pultuke sind jedes eine selbstaendige Korruption des griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der roemische Ulixes gibt genau die in Sizilien uebliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der roemische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der roemische Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschliesslich auf den Zug des latinischen Handels zu den Kymaeern und Sikelioten; und eben dahin fuehrt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Muenze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Missernten in Rom bei den Volskern, Kymaeern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhaeltnis des latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der Silbermuenze νόμος, das sizilische Mass ημίνα als nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium uebergingen, so waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς, εζάς, ουγκία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein festes Verhaeltnis gesetzt worden, indem nicht bloss dem Silber der zweihundertfuenfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Aequivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des roemischen Pfundes) als Silbermuenze (λίτρα αργυρίου, das ist “Kupferpfund in Silber”) schon in fruehester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, dass die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, dass der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld nach Sizilien abfloss. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefaengnisses, der Schuessel in den sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits frueher erwaehnt worden. Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Staedten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokaeern in Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Dass er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, dass alle in aelterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Woerter - es genuegt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern - dorische Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den urspruenglich ionischen Staedten, wie Kyme und die phokaeischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur gleichgestanden haette, so wuerden ionische Formen wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der Dorismus frueh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat. Waehrend also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee ueberhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phoenikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstuecke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafuer beweisend, dass - von einigen Lokalnamen abgesehen - es fuer den alten Verkehr der Latiner mit den Voelkerschaften aramaeischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis gebricht ^11.

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^11 Das Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen oertlichen Benennungen, nicht ein einziges, in aelterer Zeit unmittelbar aus dem Phoenikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben vorkommenden, wurzelhaft phoenikischen Woerter, wie namentlich arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunaechst Lehnwoerter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwoertern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines aeltesten Verkehrs mit den Aramaeern aufzuweisen hat. Dass ελέφας und ebur von dem gleichen phoenikischen Original mit oder ohne Hinzufuegung des Artikels, also jedes selbstaendig gebildet seien, ist sprachlich unmoeglich, da der phoenikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht verwendet wird; ueberdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem raetselhaften Worte thesaurus; mag dasselbe nun urspruenglich griechisch oder von den Griechen aus dem Phoenikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches Lehnwort.

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Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise gefuehrt ward, ob von italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit fuer sich: es ist kaum denkbar, dass jene latinischen Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch haetten eindringen koennen, dass sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.

Was endlich die Personen und Staende anlangt, durch die dieser Handel in Italien gefuehrt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbstaendig gegenueberstehender hoeherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung ist, dass der Grosshandel von Latium von Anfang an sich in den Haenden der grossen Grundbesitzer befunden hat - eine Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Dass in einer von mehreren schiffbaren Fluessen durchschnittenen Landschaft der grosse Grundbesitzer, der von seinen Paechtern in Fruchtquoten bezahlt wird, frueh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natuerlich und beglaubigt; der ueberseeische Eigenhandel musste also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und in den Fruechten die Ausfuhrartikel besass. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den Roemern der aelteren Zeit nicht bekannt; die grossen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel waere allerdings diese Vereinigung nicht durchzufuehren gewesen; allein wie die bisherige Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.

KAPITEL XIV.
Mass und Schrift

Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hoert seine Erkenntnis auf, so vergaenglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Voelkern auch auf diesen Bahnen zu folgen.

Um messen zu koennen, muessen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, raeumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heisst die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als naechste Anhaltspunkte fuer die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, fuer den Raum die Laenge des Mannesfusses, der leichter misst als der Arm, fuer die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das “Gewicht” (libra). Als Anhalt fuer die Vorstellung eines aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fuenf oder die Haende mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Elemente alles Zaehlens und Messens nicht bloss ueber die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurueckreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen Mondphasen verfliessenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwaerts, sondern von der zunaechst zu erwartenden rueckwaerts zu zaehlen, ist wenigstens aelter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis fuer das Alter und die urspruengliche Ausschliesslichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewaehrt die bekannte Uebereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwoertern bis hundert einschliesslich. Was Italien anlangt, so sind hier alle aeltesten Verhaeltnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genuegt, an die so gewoehnliche Zehnzahl der Zeugen, Buergen, Gesandten, Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und ueberhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Mass und Schrift angehoerige Anwendungen dieses aeltesten Dezimalsystems sind zunaechst die merkwuerdigen italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir fuer die drei aeltesten und unentbehrlichsten Ziffern, fuer ein, fuenf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phoenikern entlehnt, dagegen den Roemern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansaetze zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des aeltesten, dem ueberseeischen voraufgehenden binnenlaendischen Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Staemme diese Zeichen erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natuerlich nicht auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es gehoeren dahin der Vorsus, das Flaechenmass der Sabeller von 100 Fuss ins Gevierte und das roemische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Massen, die nicht an griechische Festsetzungen anknuepfen und wahrscheinlich von den Italikern vor Beruehrung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des “Ganzen” (as) in zwoelf “Einheiten” (unciae) vorherrschend. Nach der Zwoelfzahl sind eben die aeltesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen Staedtebuende geordnet. Die Zwoelfzahl herrscht im roemischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Laengenmass, wo der Fuss (pes) in zwoelf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des roemischen Flaechenmasses ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte “Trieb” (actus) von 120 Fuss ins Gevierte ^1. Im Koerpermass moegen aehnliche Bestimmungen verschollen sein.

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^1 Urspruenglich sind sowohl “actus” Trieb, wie auch das noch haeufiger vorkommende Doppelte davon, “iugerum”, Joch, wie unser “Morgen” nicht Flaechen-, sondern Arbeitsmasse und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Ruecksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pfluegers.

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Wenn man erwaegt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein mag, dass aus der gleichen Reihe der Zahlen so frueh und allgemein neben der Zehn die Zwoelf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden werden koennen in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefaehr zwoelf Mondkreislaeufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und vor die erste Beruehrung mit den Hellenen zu fallen.

Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westkueste eroeffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flaechen-, aber wohl das Laengenmass, das Gewicht und vor allem das Koerpermass, das heisst diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmoeglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der aelteste roemische Fuss ist verschollen; der, den wir kennen und der in fruehester Zeit bei den Roemern in Gebrauch war, ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen roemischen Einteilung in Zwoelftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das roemische Gewicht in ein festes Verhaeltnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme - wieder ein bedeutsamer Beweis, dass der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier roemische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das roemische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die roemischen Koerpermasse teils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Uebersetzung (acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, waehrend umgekehrt ξέστης Korruption von sextarius ist; teils in den Verhaeltnissen. Nicht alle, aber die gewoehnlichen Masse sind identisch: fuer Fluessigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch fuer trockene Waren, die roemische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhaeltnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Fuer den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.

Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Roemer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnuetzen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf aehnlichem Wege wenigstens das Zeichen fuer 100 gewonnen zu haben. Spaeter setzte sich wie gewoehnlich das Ziffersystem der beiden benachbarten Voelker ins gleiche, indem das roemische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward.

In gleicher Weise ist der roemische und wahrscheinlich ueberhaupt der italische Kalender, nachdem er sich selbstaendig zu entwickeln begonnen hatte, spaeter unter griechischen Einfluss gekommen. In der Zeiteinteilung draengt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange Zeit ausschliesslich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem roemischen Markte durch den oeffentlichen Ausrufer bis in spaete Zeit hinab verkuendigt, aehnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum naechstfolgenden verfliessende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich aehnlich nicht bloss bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwaerts, sondern von dem naechsterwarteten rueckwaerts gezaehlt wurden; nach Mondwochen, die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttaegiger Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreissigtaegig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die groesste Zeiteinteilung geblieben. Erst spaeterhin begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel spaeter der Stundenteilung sich zu bedienen; damit haengt auch zusammen, dass in der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst naechstverwandten Staemme auseinandergehen, die Roemer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den Italikern voellig selbstaendig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten groesseren Zeiteinheit fortgeschritten zu sein. Die bei den Roemern uebliche Vereinfachung der Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines “Ringes” (annus) oder eines Jahrganzen traegt alle Spuren des hoechsten Altertums an sich. Spaeter, aber auch noch in einer sehr fruehen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwoelffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunaechst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhaengen, dass in den Individualnamen der Monate - welche erst entstanden sein koennen, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefasst wurde -, namentlich in den Namen des Maerz und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter sich uebereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen - diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unloesbar zu erkennen und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat -, in Italien bereits vor der Epoche, wo die Beruehrungen mit den Griechen begannen, die Gemueter beschaeftigt haben; indes diese rein nationalen Loesungsversuche sind verschollen. Was wir von dem aeltesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Staedte wissen - ueber die sabellische und etruskische Zeitmessung ist ueberall nichts ueberliefert -, beruht entschieden auf der aeltesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreissigtaegigen und der hohlen oder neunundzwanzigtaegigen Monate sowie der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch willkuerliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist moeglich, dass diese griechische Jahrordnung zunaechst unveraendert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist; die aelteste roemische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen laesst, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwoelf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies roemische Jahr beginnt mit Fruehlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen traegt, heisst nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), der fuenfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der zwoelfte und im gewoehnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser “Arbeitsmonat” (mercedonius) am Jahresschluss, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen heruebergenommenen Namen der Monate ist der roemische Kalender in der Dauer derselben selbstaendig: fuer die vier aus je sechs dreissig- und sechs neunundzwanzigtaegigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreissig- und neunundzwanzigtaegigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je vier - dem ersten, dritten, fuenften und achten - einunddreissig- und je sieben neunundzwanzigtaegigen Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtaegigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtaegigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der urspruenglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttaegige Wochen; er liess die achttaegige Woche ohne Ruecksicht auf die sonstigen Kalenderverhaeltnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein fuer allemal das erste Viertel in den einunddreissigtaegigen Monaten auf den siebenten, in den neunundzwanzigtaegigen auf den fuenften, Vollmond in jenen auf den fuenfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekuendigt zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttaegigen Zeitabschnitts des Monats wurde - der roemischen Sitte gemaess, den Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzaehlen - bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsaechlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu sein ^2, und wenn er im allgemeinen an die aelteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluss der damals in Unteritalien uebermaechtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, dass dieser roemische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich traegt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so uebereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der aelteste griechische, nicht anders als mittels haeufiger willkuerlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich mit groesserem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, hoechst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht misszuverstehendes Eingestaendnis der Unregelmaessigkeit und Unzuverlaessigkeit des aeltesten roemischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser roemische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden koennen. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsaechlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkuerlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlaengen kommen, wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus fruehzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen Staemmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.

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^2 Aus derselben Ursache sind saemtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwaehnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, dass bei mehrtaegigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird.

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Zur Messung mehrjaehriger Zeitraeume konnte man sich der Regierungsjahre der Koenige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient gelaeufige Datierung in Griechenland und Italien in aeltester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjaehrige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Suehnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzaehlung der Anlage nach gleiche Zaehlung der Lustren angeknuepft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreissenden Unregelmaessigkeit ihre chronologische Bedeutung frueh wieder eingebuesst hat.

Juenger als die Messkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus hellenischem Einfluss hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit Holztaefelchen, die Ansaetze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden koennen. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muss, beweist am besten die Tatsache, dass fuer die gesamte aramaeische, indische, griechisch-roemische und heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schoepfung der Aramaeer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbstaendig und in hoechst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugefuehrten aramaeischen Konsonantenschrift das vollstaendige Alphabet erschaffen durch Hinzufuegung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier fuer die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben fuer die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens fuer u, also durch Einfuehrung der Silbe in die Schrift statt des blossen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt:

Heilmittel also ordnend der Vergessenheit

Fuegt ich lautlos’ und lautende in Silben ein

Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.

Dies aramaeisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die Ackerkolonien Grossgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunaechst nach den uralten Vermittlungsstaetten des internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das aelteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abaenderung der Zeichen fuer υ γ λ ^3. Auch das ist schon bemerkt worden, dass das etruskische und das latinische Alphabet nicht eines aus dem anderen, sondern beide unmittelbar aus dem griechischen abgeleitet sind; ja es ist sogar dies Alphabet nach Etrurien und nach Latium in wesentlich abweichender Form gelangt. Das etruskische Alphabet kennt ein doppeltes s (Sigma s und San sch) und nur ein einfaches k ^4 und vom r nur die aeltere Form P; das latinische kennt, soviel wir wissen, nur ein einziges s, dagegen ein doppeltes k (Kappa k und Koppa q) und vom r fast nur die juengere Form R. Die aelteste etruskische Schrift kennt noch die Zeile nicht und windet sich wie die Schlange sich ringelt, die juengere schreibt in abgesetzten Parallelzeilen von rechts nach links; die latinische Schrift kennt, soweit unsere Denkmaeler zurueckreichen, nur die letztere Schreibung in gleichgerichteten Zeilen, die urspruenglich wohl beliebig von links nach rechts oder von rechts nach links laufen konnten, spaeterhin bei den Roemern in jener, bei den Faliskern in dieser Richtung liefen. Das nach Etrurien gebrachte Musteralphabet muss trotz seines relativ geneuerten Charakters dennoch in eine sehr alte, wenn auch nicht positiv zu bestimmende Zeit hinaufreichen: denn da die beiden Sibilanten Sigma und San von den Etruskern stets als verschiedene Laute nebeneinander gebraucht worden sind, so muss das griechische Alphabet, das nach Etrurien kam, sie wohl auch noch in dieser Weise beide als lebendige Lautzeichen besessen haben; unter allen uns bekannten Denkmaelern der griechischen Sprache aber zeigt auch nicht eines Sigma und San nebeneinander im Gebrauch. Das lateinische Alphabet traegt allerdings, wie wir es kennen, im ganzen einen juengeren Charakter; doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Latium nicht, wie in Etrurien, bloss eine einmalige Rezeption stattgefunden hat, sondern die Latiner infolge ihres lebhaften Verkehrs mit den griechischen Nachbarn laengere Zeit sich mit dem dort ueblichen Alphabet im Gleichgewicht hielten und den Schwankungen desselben folgten. So finden wir zum Beispiel, dass die Formen /W, P ^5 und E den Roemern nicht unbekannt waren, aber die juengeren AA, R und >, dieselben im gemeinen Gebrauch ersetzten; was sich nur erklaeren laesst, wenn die Latiner laengere Zeit fuer ihre griechischen Aufzeichnungen wie fuer die in der Muttersprache sich des griechischen Alphabets als solchen bedienten. Deshalb ist es auch bedenklich, aus dem verhaeltnismaessig juengeren Charakter desjenigen griechischen Alphabets, das wir in Rom finden, und dem aelteren des nach Etrurien gebrachten den Schluss zu ziehen, dass in Etrurien frueher geschrieben worden ist als in Rom.

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^3 Die Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, dass gegenueber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heisst dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phoenikischen, die verschiedenartigsten Vorschlaege zur Ergaenzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und dass jeder dieser Vorschlaege seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschlaege, die auch fuer die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.

I. Einfuehrung eigener Zeichen fuer die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so alt, dass mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluss desselben stehen. Urspruenglich ging er wohl dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluss anzufuegen, und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, fuer den Laut ~i bereits das fuenfzehnte Zeichen des phoenikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch fuer φι, aber das Χ nicht fuer ξι sondern fuer χι. Das dritte, urspruenglich fuer χι erfundene Zeichen liess man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur dass hier nicht bloss das ψι, sondern auch das ξι nicht angenommen, sondern dafuer wie frueher der Doppelkonsonant geschrieben ward.

II. Ebenso frueh, wenn nicht noch frueher, hat man sich bemueht, die naheliegende Verwechslung der Formen fuer i und s zu verhueten; denn saemtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schaerfer zu unterscheiden. Aber schon in aeltester Zeit muessen zwei Aenderungsvorschlaege gemacht sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete fuer den Sibilanten, wofuer das phoenikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) fuer sch und das achtzehnte (Σ) fuer s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes - und so schrieb man in aelterer Zeit auf den oestlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achaeern - oder man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewoehnlichere war und in nicht allzu spaeter Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das gebrochene i ueberall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem І festhielten.

III. Juenger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch V, der wir in Athen und Boeotien begegnen, waehrend Korinth und die von Korinth abhaengigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, dass sie dem γ statt der haken- die halbkreisfoermige Gestalt C gaben.

IV. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen fuer ρ Ρ p p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche juengere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achaeern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in Grossgriechenland und Sizilien weit aeberwiegt. Doch ist die aeltere Form des r p hier nicht so frueh und so voellig verschwunden wie die aeltere Form des l; diese Neuerung faellt daher ohne Zweifel spaeter.

Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in aelterer Zeit beschraenkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Aegaeischen Meeres.

Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Guetersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch fuer die aeltesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschlaege verhaeltnismaessig zu grosses Gewicht legt. Wenn ueberhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem das spaetere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der aelteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlaegen gegenueber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhaeltnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwuerdigen Gegensatz der achaeischen Ackerstaedte zu den chalkidischen und dorischen mehr kaufmaennischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgaengig die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermassen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; dass aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene Form des r ausser Zweifel. Denn waehrend von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen ueberhaupt angehen (die fuenfte blieb auf Kleinasien beschraenkt), die drei ersten bereits durchgefuehrt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner ueberging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb fuer r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefaesses ausschliesslich die juengere Form begegnet.

^4 Dass das Koppa den Etruskern von jeher gefehlt hat, scheint nicht zweifelhaft: denn nicht bloss begegnet sonst nirgends eine sichere Spur desselben, sondern es fehlt auch in dem Musteralphabet des galassischen Gefaesses. Der Versuch, es in dem Syllabarium desselben nachzuweisen, ist auf jeden Fall verfehlt, da dieses nur auf die auch spaeterhin gemein gebraeuchlichen etruskischen Buchstaben Ruecksicht nimmt und nehmen kann zu diesen aber das Koppa notorisch nicht gehoert; ueberdies kann das am Schluss stehende Zeichen seiner Stellung nach nicht wohl einen anderen Wert haben als den des f, das im etruskischen Alphabet eben das letzte ist und das in dem, die Abweichungen .des etruskischen Alphabets von seinem Muster darlegenden Syllabarium nicht fehlen durfte. Auffallend bleibt es freilich, dass in dem nach Etrurien gelangten griechischen Alphabet das Koppa mangelte da es sonst in dem chalkidisch-dorischen sich lange behauptet hat; aber es kann dies fueglich eine lokale Eigentuemlichkeit derjenigen Stadt gewesen sein, deren Alphabet zunaechst nach Etrurien gekommen ist. Darin, ob ein als ueberfluessig werdendes Zeichen im Alphabet stehenbleibt oder ausfaellt, hat zu allen Zeiten Willkuer und Zufall gewaltet; so hat das attische Alphabet das achtzehnte phoenikische Zeichen eingebuesst, die uebrigen aus der Lautschrift verschwundenen im Alphabet festgehalten.

^5 Die vor kurzem bekannt gewordene goldene Spange von Praeneste (RM 2, 1887), unter den verstaendlichen Denkmaelern lateinischer Sprache und lateinischer Schrift das weitaus aelteste zeigt die aeltere Form des m, das raetselhafte Tongefaess vom Quirinal (herausgegeben von A. Dressel in den AdI 52, 1880) die aeltere Form des r.

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Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfaenger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwuerdiges Gefaess aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist - offenbar eine heilige Reliquie der Einfuehrung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien.

Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist fuer die Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch faellt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Kuesten mit den Fremden. In der aeltesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des eingefuehrten Alphabets unveraendert bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana beschraenkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, suedlich an der Ostkueste hinab bis in die Abruzzen, noerdlich zu den Venetern und spaeter sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodass die letzten Auslaeufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die juengere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsaechlich erstreckt auf die Einfuehrung abgesetzter Zeilenschrift, auf die Unterdrueckung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu unterscheiden wusste, und auf die Einfuehrung eines neuen Buchstabens f, wofuer dem ueberlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, waehrend sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei saemtlichen sabellischen Staemmen, zunaechst bei den Umbrern sich eingebuergert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, haeufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht bloss so alt wie die aeltesten in Etrurien gefundenen Graeber, sondern betraechtlich aelter, da das erwaehnte, wahrscheinlich in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurueckgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte.

Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Sueden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschraenkt und hier im ganzen mit geringen Veraenderungen sich behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmaehlich lautlich zusammen, wovon die Folge war, dass je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigt ^6, und unsere gesamte monumentale und literarische Ueberlieferung mit einer einzigen Ausnahme ^7 kennt sie nicht. Wer nun erwaegt, dass in den aeltesten Abkuerzungen der Unterschied von γ c und κ k noch regelmaessig durchgefuehrt wird ^8, dass also der Zeitraum, wo die Laute in der Aussprache zusammenfielen, und vor diesem wieder der Zeitraum, in dem die Abkuerzungen sich fixierten, weit jenseits des Beginns der Samnitenkriege liegt; dass endlich zwischen der Einfuehrung der Schrift und der Feststellung eines konventionellen Abkuerzungssystems notwendig eine bedeutende Frist verstrichen sein muss, der wird wie fuer Etrurien so fuer Latium den Anfang der Schreibkunst in eine Epoche hinaufruecken, die dem ersten Eintritt der aegyptischen Siriusperiode in historischer Zeit, dem Jahre 1321 vor Christi Geburt, naeher liegt als dem Jahre 776, mit dem in Griechenland die Olympiadenchronologie beginnt ^9. Fuer das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Koenigszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein Koenig Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloss, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Altertuemern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Buendnisses, das Koenig Servius Tullius mit Latium abschloss und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah - freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn dass man in der Koenigszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die aelteste derartige roemische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster fuer alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit scrobes ^10) oder malte (linere, daher littera) auf Blaetter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), spaeter auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die aeltesten, im Tempel der Goettin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der roemischen Magistrate. Es wird kaum noch noetig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat “Vaeter und Eingeschriebene” (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbuecher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des roemischen Kalenders. Wenn die roemische Sage schon in der fruehesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Maedchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muss nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der aeltesten roemischen Geschichte entzogen, sondern die Unfaehigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, fuer die aelteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzaehlungen zu begehren und ueber deren Erfindung zu vernachlaessigen, was die vorhandene schriftliche Ueberlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert haben wuerde.

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^6 In diese Zeit wird diejenige Aufzeichnung der Zwoelf Tafeln zu setzen sein, welche spaeterhin den roemischen Philologen vorlag und von der wir Truemmer besitzen. Ohne Zweifel ist das Gesetzbuch gleich bei seiner Entstehung niedergeschrieben worden; aber dass jene Gelehrten selber ihren Text nicht auf das Urexemplar zurueckfuehrten, sondern auf eine nach dem gallischen Brande vorgenommene offizielle Niederschrift, beweist die Erzaehlung von der damals erfolgten Wiederherstellung der Tafeln, und erklaert sich leicht eben daraus, dass ihr Text keineswegs die ihnen nicht unbekannte aelteste Orthographie aufwies, auch abgesehen davon, dass bei einem derartigen, ueberdies noch zum Auswendiglernen fuer die Jugend verwendeten Schriftstueck philologisch genaue Ueberlieferung unmoeglich angenommen werden kann.

^7 Dies ist die 1, 227 angefuehrte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den spaeteren Wert von κ.

^8 So ist C Gaius, CN Gnaeus, aber K Kaeso. Fuer die juengeren Abkuerzungen gilt dieses natuerlich nicht; hier wird γ nicht durch c, sondern durch G (GAL Galeria), κ in der Regel durch C (C centum, Cos consul, COL Collina), vor a durch K (KAR karmentalia, MERK merkatus) bezeichnet. Denn eine Zeitlang hat man den Laut K vor den Vokalen e i o und vor allen Konsonanten durch C ausgedrueckt, dagegen vor a durch K, vor u durch das alte Zeichen des Koppa Q.

^9 Wenn dies richtig ist, so muss die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natuerlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Bluete des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einfuehrung des hellenischen Alphabets in Italien gehoert wie der Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an.

^10 Ebenso altsaechsisch writan eigentlich reissen, dann schreiben.

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Die Geschichte der italischen Schrift bestaetigt also zunaechst die schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Voelkern. Dass jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Roemern empfingen, erklaert sich wahrscheinlich daraus, dass sie das Alphabet schon besassen, als sie den Zug auf den Ruecken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthaelt diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spaetere, der etruskischen Mystik und Altertumstroedelei ergebene roemische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wiederholt, dass die roemische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Waere dies wahr, so muesste hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, dass sie nicht einmal das so wuenschenswerte etruskische Zeichen fuer f sich angeeignet hat ^11. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Roemern wenigstens das Zeichen fuer 50 uebernommen haben.

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^11 Das Raetsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen fuer das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von Praeneste geloest mit ihrem fhefhaked fuer fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestaetigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehoerigen boeotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich naehern.

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Endlich ist es charakteristisch, dass in allen italischen Staemmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunaechst in einer Verderbung desselben besteht. So sind die Mediae in den saemtlichen etruskischen Dialekten untergegangen, waehrend die Umbrer γ d, die Samniten d, die Roemer γ einbuessten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern schon frueh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansaetze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn waehrend der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhaelt, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafuer zwei neue Sibilanten entwickelt, beschraenkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spaetere Roemer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von den Einfuehrern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen maechtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der voelligen Loesung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmaehlich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerruettet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstoerungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstoerung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerruettung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwaehrend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur dass von dem, was sonst spurlos voruebergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Dass diese Barbarisierung die Etrusker in staerkerem Masse erfasste als irgendeinen der italischen Staemme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfaehigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am staerksten die Umbrer, weniger die Roemer, am wenigsten die suedlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben.

KAPITEL XV.
Die Kunst

Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehoerte und gehoert die italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komoedie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische Tragoedie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht ueber Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch die hoechsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, goettliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbuecher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schoepferische Talent weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuositaet sich steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst ueberhaupt ein Innerliches und ein Aeusserliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schoenheit muss, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerueckt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und bildenden Kuensten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schueler des Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.

Es ist bei der Lueckenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht moeglich, die Entwicklung der kuenstlerischen Ideen bei den einzelnen Voelkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich laesst sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem urspruenglichen Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, dass in den aeltesten Religionsgebraeuchen der Tanz und demnaechst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das Lied. In dem grossen Feierzug, mit dem das roemische Siegesfest eroeffnet ward, spielten naechst den Goetterbildern und den Kaempfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Taenzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Maenner, der Juenglinge und der Knaben, alle in roten Roecken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Maenner ueberdies behelmt, ueberhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Ueberwurf, der Boecke nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die aelteste und heiligste von allen Priesterschaften die “Springer” und durften die Taenzer (ludii, ludiones) ueberhaupt bei keinem oeffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewoehnliches Gewerbe ward. Wo aber die Taenzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in aeltester Zeit dasselbe ist, die Floetenblaeser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begraebnis, und neben der uralten oeffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen roemischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und suessen Weines voll auf den Strassen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Taetigkeit auftritt und darum oeffentliche Genossenschaften fuer beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufaelliges und gewissermassen Gleichgueltiges, mochte sie nun fuer sich entstehen oder dem Taenzer zur Begleitung seiner Spruenge dienen.

Den Roemern galt als das aelteste dasjenige Lied, das in der gruenen Waldeseinsamkeit die Blaetter sich selber singen. Was der “guenstige Geist” (faunus, von favere) im Haine fluestert und floetet, das verkuenden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, spaeter carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesaengen der vom Gott ergriffenen Maenner und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprueche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die boesen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur dass in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinen ^1. Fester ueberliefert und gleich uralt sind die religioesen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrueder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:

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^1 So gibt der aeltere Cato (agr. 160) als kraeftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natuerlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nuechtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde beruehrend und ausspuckend, die Worte spricht: “Ich denke dein, hilf meinen Fuessen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil” (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).

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Enos, Lases, iuvate!

Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!

Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!

Semunis alternei advocapit conctos!

Enos, Marmar, invato!

Triumpe! ^2

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^2 Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fuenf Zeilen werden je dreimal, der Schlussruf fuenfmal wiederholt. Die Uebersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.

Die drei Inschriften des Tongefaesses vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied - asted noisi ope toitesiai pakariuois - duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verstaendlich sind nur einzelne Woerter; bemerkenswert vor allem, dass Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.

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an die Goetter Uns, Laren, helfet!

                          Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,

                          lass einstuermen auf mehrere.

                          Satt sei, grauser Mars!

an die einzelnen Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!

Brueder

an alle

Brueder Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen

an den Gott Uns, Mars, Mars, hilf!

an die einzelnen Springe!

Brueder

Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstuecke der Baliarischen Gesaenge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die aeltesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhaelt sich zu dem Latein der Zwoelf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl duerfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwuerdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen.

Schon einer juengeren Epoche gehoeren die Lob- und Schimpflieder an. Dass es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Ueberfluss gab, wuerde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Massnahmen dagegen es ausdruecklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesaenge. Wenn ein Buerger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines Floetenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Vaeter auch zum Schmaus ausser dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Floete gesungen, bald auch ohne Begleitung bloss gesagt (assa voce canere). Dass auch die Maenner bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spaetere vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, dass sie schilderten und erzaehlten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.

Andere Elemente der Poesie waren taetig in dem uralten, ohne Zweifel ueber die Scheidung der Staemme zurueckreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhaeltnissen, dass bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgefuehrten und gewiss vorwiegend praktischen Spaessen leicht mehrere Taenzer oder auch mehrere Taenzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natuerlich ueberwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden hier nicht bloss die Wechsellieder, wie sie spaeter unter dem Namen der fescenninischen Gesaenge auftreten, sondern auch die Elemente einer volkstuemlichen Komoedie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener fuer das Aeusserliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.

Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des roemischen Epos und Drama. Dass die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum Ueberfluss dadurch bewiesen, dass sie regelmaessig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des aelteren Cato Zeit waren dieselben vollstaendig verschollen. Die Komoedien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Mass, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.

Ob es in aeltester Zeit das gab, was wir Versmass nennen, ist zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrueder fuegt sich schwerlich einem aeusserlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in spaeterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnische ^3 oder faunische Mass, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der aeltesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit spaeteren Zeit angehoerende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.

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^3 Der Name bezeichnet wohl nichts als das “Liedermass”, insofern die sătura urspruenglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Saeegott Saeturnus oder Saiturnus, spaeter Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist moeglich, dass die Possen urspruenglich vorzugsweise an diesem aufgefuehrt wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehoert die unmittelbare Verknuepfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhaengende Dehnung der ersten Silbe erst der spaeteren Zeit an.

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Quod ré suá difeídens - ásperé afleícta

Paréns timéns heíc vóvit - vóto hóc soúto

Decumá factá poloúcta - leíbereís lubéntes

Donú danúnt - Hércolei - máxsumé - méreto

Semól te oránt se vóti - crébro cóndémnes

Was, Missgeschick befuerchtend - schwer betroffnem Wohlstand,

Sorgvoll der Ahn gelobt hier, - des Geloebnis eintraf,

Zu Weih’ und Schmaus den Zehnten - bringen gern die Kinder

Dem Hercoles zur Gabe - dar, dem hochverdienten;

Sie flehn zugleich dich an, dass - oft du sie erhoerest.

In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmaessig gesungen worden zu sein, zur Floete natuerlich und vermutlich so, dass namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Saenger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im roemischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmassen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es ausser anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten iambischen und trochaeischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen fuer hoehere poetische Leistungen genuegenden rhythmischen Bau zu entwickeln.

Die Grundelemente der volkstuemlichen Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben muessen, sind fuer uns verschollen; ausser dass uns von der latinischen Floete berichtet wird als einem kurzen und duennen, nur mit vier Loechern versehenen, urspruenglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.

Dass endlich die spaeteren stehenden Charaktermasken der latinischen Volkskomoedie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfrass, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus - Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomoedie verglichen hat -, dass diese Masken bereits der aeltesten latinischen Volkskunst angehoeren, laesst sich natuerlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium fuer die Volksbuehne von unvordenklichem Alter ist, waehrend die griechische Buehne in Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begruendung dergleichen Masken an nahm, da jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich die Entstehung wie die Durchfuehrung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stueck ein fuer allemal zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfaenge des roemischen Schauspiels anknuepfen oder vielmehr sie als diese Anfaenge selbst betrachten duerfen.

Wenn unsere Kunde ueber die aelteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spaerlich fliesst, so ist es begreiflich, dass wir noch weniger wissen ueber die fruehesten Anregungen, die hier den Roemern von aussen her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der auslaendischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezaehlt werden, welche letztere den Latinern natuerlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen zusammenhaengenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen wurden fuer die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in fruehester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phoeniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker uebten; nirgends begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurueckwiese, und es darf wohl ueberhaupt die phoenikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezaehlt werden ^4. Griechische Befruchtung aber blieb nicht aus. Die griechische siebensaitige Lyra, die “Saiten” (fides, von σφίδη Darm; auch barbitus βάρβυτος) ist nicht, wie die Floete, in Latium einheimisch und hat dort stets als fremdlaendisches Instrument gegolten; aber wie frueh sie daselbst Aufnahme gefunden hat, beweist teils die barbarische Verstuemmelung des griechischen Namens, teils ihre Anwendung selbst im Ritual ^5. Dass von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floss, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzaehlungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das roemische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spaetere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluss erhalten haben. Es ward als ausserordentliche Dankfeier, regelmaessig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Geluebdes und darum gewoehnlich bei der Heimkehr der Buergerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Goettern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplaetzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Buergerwehr zu Pferde und zu Fuss; sodann die Kaempfer und die frueher beschriebenen Taenzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener der Goetter mit den Weihrauchfaessern und dem anderen heiligen Geraet; endlich die Bahren mit den Goetterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, wie er in aeltester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Ross und zu Fuss. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kaempfer trug, darauf die abgesprungenen Kaempfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach roemischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich massen die Kaempfer zu Fuss, nackt bis auf einen Guertel um die Hueften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkaempfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kaempfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich liessen die Wettkaempfe an diesem selbst noch Zeit genug fuer den eigentlichen Karneval, wobei denn die Taenzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben moegen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fanden ^6. Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Ruestungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmueckt hatte.

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^4 Die Erzaehlung, dass ehemals die roemischen Knaben etruskische wie spaeterhin griechische Bildung empfangen haetten (Liv. 9, 36), ist mit dem urspruenglichen Wesen der roemischen Jugendbildung ebenso unvereinbar, wie es nicht abzusehen ist, was denn die roemischen Knaben in Etrurien lernten. Dass das Studium der etruskischen Sprache damals in Rom die Rolle gespielt habe wie etwa jetzt bei uns das Franzoesischlernen, werden doch selbst die eifrigsten heutigen Bekenner des Tages-Kultus nicht behaupten; und von der etruskischen Haruspicin etwas zu verstehen, galt selbst bei denen, die sich ihrer bedienten, einem Nichtetrusker fuer schimpflich oder vielmehr fuer unmoeglich (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 2, S. 4). Vielleicht ist die Angabe von den etruskisierenden Archaeologen der letzten Zeit der Republik herausgesponnen aus pragmatisierenden Erzaehlungen der aelteren Annalen, welche zum Beispiel den Mucius Scaevola seiner Unterhaltung mit Porsena zuliebe als Kind etruskisch lernen lassen (Dion. Hal. 5, 28; Plut. Publ. 17; vgl. Dion. Hal. 3, 70). Aber es gab allerdings eine Epoche, wo die Herrschaft Roms ueber Italien eine gewisse Kenntnis der Landessprache bei den vornehmen Roemern erforderte.

^5 Den Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der “latinische Floetenspieler samt dem Saengern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gaeste bei dem Mahle sangen nur zur Floete (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Goetterschmaeusen erzaehlt, ungenau auf Privatgastmaehler uebertragen.

^6 Das Stadtfest kann urspruenglich nur einen Tag gewaehrt haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst spaeter hinzugekommen sind. Dass in jeder Kampfgattung urspruenglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn spaeter an einem Spieltag bis zu fuenfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. Dass nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, dass zu allen Zeiten in den roemischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte Faktionen gab und dieser urspruenglich nur zwei waren, die weisse und die rote. Das zu den circensischen gehoerende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knuepfte es an den Aufzug der Knabenbuergerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt.

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Solcher Art war das roemische Sieges- oder Stadtfest, und auch die uebrigen oeffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns aehnlich, wenn auch in den Mitteln beschraenkter vorzustellen haben. Bei der oeffentlichen Leichenfeier traten regelmaessig Taenzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Buergerschaft durch den oeffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begraebnis eingeladen ward.

Aber dieses mit den Sitten und den Uebungen Roms so eng verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religioesen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Uebungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros’ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufaellig kann diese Uebereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine Folge des aeltesten internationalen Verkehrs; fuer die letztere Annahme spricht die ueberwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der aeltesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der spaeteren Koenigszeit gehoert (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluss erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine aeltere Belustigungsweise - der “Sprung” (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Uebung gebliebene Schaukeln - mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdraengt worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr frueher Zeit in die lateinische Sprache uebergegangen und liegt sogar ein ausdrueckliches Zeugnis dafuer vor, dass die Roemer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Roemer ausser den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.

Es waren also in Latium nicht bloss dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in fruehester Zeit maechtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik besassen die Latiner nicht bloss insofern, als der roemische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspiess fuehren lernte und als in Rom jeder Gemeindebuerger zugleich Soldat war; sondern es genoss die Tanzkunst von jeher oeffentlicher Pflege, und frueh trat mit den hellenischen Wettkaempfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik und Tragoedie aus aehnlichen Gesaengen erwachsen, wie das roemische Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse die Keime der Komoedie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.

Um so merkwuerdiger ist es, dass alle diese Samenkoerner nicht aufgingen oder verkuemmerten. Die koerperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tuechtig, aber fern von dem Gedanken einer kuenstlerischen Ausbildung des Koerpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die oeffentlichen Wettkaempfe der Hellenen veraenderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. Waehrend sie Wettkaempfe der Buerger sein sollten und ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkaempfe von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die roemischen bald in die Haende von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium spaeterhin kaum die Rede.

Aehnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens gruenen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Goetter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persoenlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, auch die groessten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in sehnsuechtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Ueberlieferung in der Vorstellung der Menge zu goettergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Kuenste und vor allem der Poesie, dass sie die Schranken der buergerlichen Gemeinden sprengen und aus den Staemmen ein Volk, aus den Voelkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensaetze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das duerftige und egoistische Stammgefuehl zum hellenischen Volksbewusstsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Aehnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar waere, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen ‘Werke und Tage’. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknuepfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfaenge darin wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.

Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, dass die Entwicklung der musischen Kuenste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufbluehen war, das bestaetigt, auch fuer uns noch unverkennbar, die Ueberlieferung. Die Anfaenge der Poesie eignen wohl ueberall mehr den Frauen als den Maennern; Zaubergesang und Totenlied gehoeren vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefasst worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau abloeste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die aeltere lateinische Sprache keine Bezeichnung fuer den Dichter ^7. Die Liedesmacht ist hier unverhaeltnismaessig schwaecher aufgetreten und rasch verkuemmert. Die Uebung musischer Kuenste hat sich hier frueh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zuenftige und unzuenftige Handwerker beschraenkt. Dass die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwaehnt worden; auch die religioesen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgefuehrt. Die Spielleute bildeten ein zuenftiges, die Taenzer und die Klagefrauen (praeficae) unzuenftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium urspruenglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Buerger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschaeftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Buergerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Kuensten zurueck, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich oeffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Floete liess man sich gefallen, aber die Lyra blieb geaechtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das auslaendische Ringspiel nicht bloss gleichgueltig, sondern schaendlich. Waehrend die musischen Kuenste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewusstsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der engsten Haeuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und begleitete ihn nicht bloss mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese haeusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der haeuslichen und staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, ueberhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und wuerdige Charakter des roemischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewusster Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber ueber der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht uebersehen werden, dass sie nur durchgefuehrt werden konnte und nur durchgefuehrt ward durch die Aufopferung der eigentlichen individuellen Bildung und durch voelligen Verzicht auf die so reizenden wie gefaehrlichen Gaben der Musen.

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^7 Vates ist wohl zunaechst der Vorsaenger (denn so wird der vates der Salier zu fassen sein) und naehert sich dann im aelteren Sprachgebrauch dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religioesen Ritual angehoerendes Wort und hat, auch als es spaeter vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des gotterfuellten Saengers, des Musenpriesters, behalten.

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Ueber die Entwicklung der musischen Kuenste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie jede Kunde ^8. Es kann hoechstens erwaehnt werden, dass auch in Etrurien die Taenzer (histri, histriones) und die Floetenspieler (subulones) frueh und wahrscheinlich noch frueher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloss in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich oeffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, dass an dem etruskischen Nationalfest, welches die saemtlichen Zwoelfstaedte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des roemischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, ueber den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in frueherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker spaeterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Bluete kam, mit den Juden, Chaldaeern und Aegyptern die Ehre teilten, als Urquell goettlicher Weisheit angestaunt zu werden.

Womoeglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natuerlich noch keineswegs folgt, dass sie der der Nachbarstaemme nachgestanden hat. Vielmehr laesst sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstaemme vermuten, dass an kuenstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am naechsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben moegen; und eine gewisse Bestaetigung dieser Annahme gewaehrt die Tatsache, dass die bedeutendsten und eigenartigsten unter den roemischen Poeten, wie Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehoeren, wogegen Etrurien in der roemischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und worteverkraeuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffaertigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.

Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Staemme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenoeffnung (cavum aedium) den Rauch entlaesst und das Licht einfuehrt. Unter dieser “schwarzen Decke” (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgoetter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfaengt der Mann die Gaeste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Maegde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustuer und der Strasse dafuer nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, dass man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, ausser dass um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.

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^8 Dass die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehoeren, wird seiner Zeit gezeigt werden.

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Ob und wieweit aus diesen Anfaengen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der fruehesten Zeit hier uebermaechtig eingegriffen und die etwa vorhandenen volkstuemlichen Anfaenge fast ganz ueberwuchert hat. Schon die aelteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem Einfluss der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten Graeber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das aelteste unter den kuerzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch uebereinandergeschobene, allmaehlich einspringende und mit einem grossen Deckstein geschlossene Steinlagen ueberdacht gewesen. In derselben Weise ist ein sehr altertuemliches Gebaeude an der Stadtmauer von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war urspruenglich das Quellhaus (tullianum) am Fusse des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebaeudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich voellig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die groesste Aehnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina haeufig vor und gehoeren der Anlage nach entschieden zu den aeltesten Bauwerken Italiens, obwohl der groesste Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel spaeter, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgefuehrt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus grossen unbearbeiteten Felsbloecken mit dazwischen eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen Lagen ^9, bald aus vieleckig zugehauenen, ineinandergreifenden Bloecken geschichtet; ueber die Wahl des einen oder des anderen dieser Systeme entschied in der Regel wohl das Material, wie denn in Rom, wo man in aeltester Zeit nur aus Tuff baute, deswegen der Polygonalbau nicht vorkommt. Die Analogie der beiden ersten einfacheren Arten mag man auf die des Baustoffs und des Bauzwecks zurueckfuehren; aber es kann schwerlich fuer zufaellig gehalten werden, dass auch der kuenstliche polygone Mauerbau und das Tor mit dem durchgaengig links einbiegenden und die unbeschildete rechte Seite des Angreifers den Verteidigern blosslegenden Torweg den italischen Festungen ebensowohl wie den griechischen eignet. Bedeutsame Winke liegen auch darin, dass in demjenigen Teil Italiens, der von den Hellenen zwar nicht unterworfen, aber doch mit ihnen in lebhaftem Verkehr war, der eigentliche polygone Mauerbau landueblich war und er in Etrurien nur in Pyrgi und in den nicht sehr weit davon entfernten Staedten Cosa und Saturnia begegnet; da die Anlage der Mauer von Pyrgi, zumal bei dem bedeutsamen Namen (“Tuerme”), wohl ebenso sicher den Griechen zugeschrieben werden kann wie die der Mauern von Tirynth, so steht hoechst wahrscheinlich in ihnen noch uns eines der Muster vor Augen, an denen die Italiker den Mauerbau lernten. Der Tempel endlich, der in der Kaiserzeit der tuscanische hiess und als eine den verschiedenen griechischen Tempelbauten koordinierte Stilgattung betrachtet ward, ist sowohl im ganzen eben wie der griechische ein gewoehnlich viereckiger ummauerter Raum (cella), ueber welchem Waende und Saeulen das schraege Dach schwebend emportragen, als auch im einzelnen, vor allem in der Saeule selbst und ihrem architektonischen Detail, voellig abhaengig von dem griechischen Schema. Es ist nach allem diesem wahrscheinlich wie auch an sich glaublich, dass die italische Baukunst vor der Beruehrung mit den Hellenen sich auf Holzhuetten, Verhacke und Erd- und Steinaufschuettungen beschraenkte und dass die Steinkonstruktion erst in Aufnahme kam durch das Beispiel und die besseren Werkzeuge der Griechen. Kaum zu bezweifeln ist es, dass die Italiker erst von diesen den Gebrauch des Eisens kennenlernten und von ihnen die Moertelbereitung (cal[e]x, calecare, von χάλιξ), die Maschine (machina μηχανή), das Richtmass (groma, verdorben aus γνώμων γνώμα) und den kuenstlichen Verschluss (clatri κλήθρον) ueberkamen. Demnach kann von einer eigentuemlich italischen Architektur kaum gesprochen werden. Doch mag in dem Holzbau des italischen Wohnhauses neben den durch griechischen Einfluss hervorgerufenen Abaenderungen manches Eigentuemliche festgehalten oder auch erst entwickelt worden sein und dies dann wieder auf den Bau der italischen Goetterhaeuser zurueckgewirkt haben. Die architektonische Entwicklung des Hauses aber ging in Italien aus von den Etruskern. Der Latiner und selbst der Sabeller hielten noch fest an der ererbten Holzhuette und der guten alten Sitte, dem Gotte wie dem Geist nicht eine geweihte Wohnung, sondern nur einen geweihten Raum anzuweisen, als der Etrusker schon begonnen hatte, das Wohnhaus kuenstlerisch umzubilden und nach dem Muster des menschlichen Wohnhauses auch dem Gotte einen Tempel und dem Geist ein Grabgemach zu errichten. Dass man in Latium zu solchen Luxusbauten erst unter etruskischem Einfluss vorschritt, beweist die Bezeichnung des aeltesten Tempelbau- und des aeltesten Hausbaustils als tuscanischer ^10. Was den Charakter dieser Uebertragung anlangt, so ahmt der griechische Tempel wohl auch die allgemeinen Umrisse des Zeltes oder des Wohnhauses nach; aber er ist wesentlich von Quadern gebaut und mit Ziegeln gedeckt, und in dem durch den Stein und den gebrannten Ton bestimmten Verhaeltnissen haben sich fuer ihn die Gesetze der Notwendigkeit und der Schoenheit entwickelt. Dem Etrusker dagegen blieb der scharfe griechische Gegensatz zwischen der von Holz hergerichteten Menschen- und der steinernen Goetterwohnung fremd; die Eigentuemlichkeiten des tuscanischen Tempels: der mehr dem Quadrat sich naehernde Grundriss, der hoehere Giebel, die groessere Weite der Zwischenraeume zwischen den Saeulen, vor allem die gesteigerte Schraegung und das auffallende Vortreten der Dachbalkenkoepfe ueber die tragenden Saeulen gehen saemtlich aus der groesseren Annaeherung des Tempels an das Wohnhaus und aus den Eigentuemlichkeiten des Holzbaues hervor.

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^9 Dieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus einer Verstaerkung der Huegelabhaenge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenraeumen, vor allem am Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natuerliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach aussen durch eine aehnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlaessigen Berichten der Alten 30 Fuss tief und 100 Fuss breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Ueberreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffbloecke derselben sind im laenglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 roem. Fuss) hoch und breit, waehrend die Laenge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von Moertel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach aussen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.

Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffbloecke von drei bis vier Metern Hoehe und Breite, auf welchem dann aus Bloecken von demselben Material und derselben Groesse, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Aussenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschuettete Erdwall scheint auf der oberen Flaeche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 roem. Fuss, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Aussenmauer von Quadern eine Breite bis zu fuenfzehn Metern oder 50 roem. Fuss gehabt zu haben. Die Stuecke aus Peperinbloecken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei spaeteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.

Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht fuer Ueberreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklaert worden sind.

^10 Ratio Tuscanica; cavum aedium Tuscanicum.

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Die bildenden und zeichnenden Kuenste sind juenger als die Architektur; das Haus muss erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Waende zu schmuecken. Es ist nicht wahrscheinlich, dass diese Kuenste in Italien schon waehrend der roemischen Koenigszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub frueh grosse Reichtuemer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in fruehester Zeit Fuss gefasst haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es moegen wohl die Etrusker in nicht viel spaeterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermuenzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch moegen von den etruskischen Bronzewerken, welche die spaeteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser Urzeit angehoert haben, und auch die etruskischen Terrakotten koennen nicht ganz gering gewesen sein, da die aeltesten in den roemischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsaeule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die grossen derartigen Aufsaetze auf den Tempeldaechern ueberhaupt bei den spaeteren Roemern als “tuscanische Werke” gingen.

Dagegen war bei den Italikern, nicht bloss bei den sabellischen Staemmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; dass in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium ueberhaupt, doch mindestens in Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der Diana in dem roemisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das aelteste Goetterbild in Rom galt ^11, glich genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zuenfte der Toepfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr moeglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.

Versuchen wir aus den Archiven aeltester Kunstueberlieferung und Kunstuebung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunaechst offenbar, dass die italische Kunst ebenso wie italisches Mass und italische Schrift nicht unter phoenikischem, sondern ausschliesslich unter hellenischem Einfluss sich entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild faende, und insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten Tonbilder, ohne Zweifel der aeltesten Kunstart, in Italien zurueckfuehrt auf die drei griechischen Kuenstler: den “Bildner”, “Ordner” und “Zeichner”, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, dass diese Kunst zunaechst von Korinth und zunaechst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbstaendig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der urspruenglich aegyptischen Kaefer- oder Skarabaeenform festhielten, so sind doch auch die Skarabaeen in Griechenland in sehr frueher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Kaeferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und koennen also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Phoeniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.

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^11 Wenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, dass die Roemer mehr als 170 Jahre die Goetter ohne Bilder verehrt haetten, so denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Goetterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwaehnten. Vgl. oben 1, 230.

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Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster zunaechst zugekommen sind, laesst sich eine kategorische Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen und der aeltesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien wenigstens spaeterhin in grosser, in Griechenland nur in sehr beschraenkter Ausdehnung geuebt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um die Cella herumgefuehrten Saeulengang sowie in der Unterlegung eines besonderen Postaments unter jede einzelne Saeule, folgt der etruskische Stil dem juengeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen griechischen dem tuskischen am naechsten. Fuer Latium mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch fuer die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen werden, dass die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natuerlich die aeltere etruskische Kunst auch fuer Latium Muster. Den sabellischen Staemmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn ueberhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Staemme nahegetreten.

Wenn aber endlich ueber die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil gefaellt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in den spaeteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher hervortritt, dass die Etrusker wohl frueher zur Kunstuebung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nuetzlichkeit nicht minder wie an Geist und Schoenheit zurueckstehen. Es zeigt sich dies allerdings fuer jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmaessige wie schoene polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland haeufig, in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Bloecken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwuerdigen religioesen Hervorhebung des Bogens und der Bruecke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfaenge der spaeteren roemischen Aquaedukte und roemischen Konsularstrassen zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die fuer den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau uebertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten Saeulenzwischenraeume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, “ein breites, niedriges, sperriges und schwerfaelliges Ansehen” gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fuelle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister uebertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwuerdiges Zeugnis handwerksmaessig angeeigneter und handwerksmaessig festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivitaet. Wie man sich auch straeuben mag, so gut wie man laengst aufgehoert hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschliessen muessen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.






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