The Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Dritter Band by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Der Todesgruss der Legionen, Dritter Band Author: Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow Release Date: October 6, 2004 [EBook #13659] Language: German Character set encoding: ASCII *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, *** Produced by PG Distributed Proofreaders. Der Todesgruss der Legionen Zeit-Roman von Gregor Samarow. Dritter Band. Berlin, 1874. Druck und Verlag von Otto Janke. Erstes Capitel. Der Kaiser Napoleon ging in heftiger Bewegung in seinem Cabinet auf und nieder; die krankhafte Abgespanntheit, welche sonst auf seinem Gesicht zu liegen pflegte, war verschwunden, an deren Stelle war eine lebhafte Aufregung getreten, seine Lippen zuckten, seine Augen blickten unruhig hin und her, und sein sonst so wohl geordneter Bart war durch das Spiel seiner zitternden Finger aus der Ordnung gebracht. Auf seinem Schreibtisch lag eine grosse Anzahl von Telegrammen ueber einander geworfen. Er hielt eine Photographie in Cabinetformat in der Hand, die er, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, aufmerksam betrachtete. "Welch eine Anhaeufung von Unruhe und Aufregung," sagte er mit einem tiefem Athemzug, "die Erwartung wegen des Ausfalls des Plebiscits waere allein genuegend, um mich in Spannung und in diese so schmerzvolle Nervenerregung zu versetzen,--da muss noch dieses Complott hinzutreten, das mir vor zehn Jahren gleichgueltig gewesen waere, das mir auch heute gleichgueltig ist, so weit es sich dabei um die Gefahr fuer mein Leben handelt,--diesem Complott aber liegt eine groessere Gefahr zu Grunde. Mein Tod ist nur ein Theil des Plans, den man hier verfolgt, und so abenteuerlich und thoericht diese Absicht der Zerstoerung der Tuilerien und der oeffentlichen Gebaeude im ersten Augenblick erscheinen mag, so liegt darin doch eine tiefe Kenntniss der so scharf concentrirten Zustaende. Wuerde der Streich gelungen sein, so gehoerte ganz Frankreich dem Aufstande. Und," sprach er dumpf, vor sich hin starrend, "bin ich denn schon sicher, dass er nicht gelingen wird, bin ich sicher, dass was heute verhindert ist, sich nicht morgen wiederholen kann." Er blickte lange auf die Photographie, welche er in seiner Hand hielt und pruefte genau mit scharfem forschendem Blick die Zuege des Bildes. "Dieser Mensch," sagte er dann, "ist kein Fanatiker,--das ist kein exaltirter Kopf, der aus ueberspannten Theorien in dem Gedanken sich fuer eine grosse Idee zu opfern, zum Moerder wird,--dies Gesicht ist gemein und gleichgueltig. Dieser Mensch ist einfach ein Werkzeug--und wenn er unschaedlich gemacht wird, kann man Werkzeuge wie ihn ueberall wiederfinden,--und man wird sie wiederfinden, wenn dieser Zustand dumpfer Gaehrung weiter besteht, wenn die allgemeine Unzufriedenheit, wenn das allgemeine Gefuehl der Erniedrigung Frankreichs, das in der That in diesem Augenblick die oeffentliche Stimmung beherrscht, den tollkuehnen Unternehmungen der Verschwoerer zu Huelfe kommt. Haben nicht vielleicht Diejenigen doch Recht," sagte er in tiefem Gedanken, "welche mir rathen, durch eine militairische Aktion das Gefuehl der Nation wieder mit dem Kaiserthum zu verbinden." Er warf die Photographie auf den Tisch und ging die Haende auf den Ruecken gelegt, den Kopf tief auf die Brust gesenkt mehrere Male langsam im Zimmer auf und nieder. "Eine glaenzende Action," sagte er dann--"ja--aber wenn sie nicht glaenzend waere--wenn das launenhafte Glueck _nicht_ ueber meinen Fahnen schwebte--was dann? Dann wuerde all das Unheil, welches jetzt unter der Oberflaeche glimmt, in hellen Flammen emporlodern, und diese Flammen wuerden ueber den Truemmern meines Gebaeudes zusammenschlagen--warum aber soll das Glueck sich von mir wenden?" rief er dann stehen bleibend und den aufleuchtenden Blick seines grossen geoeffneten Auges auf eine Marmorbueste Caesars richtend, welche auf schwarzem Fuss in der Naehe seines Schreibtisches stand. "War es mir doch bisher guenstig wie jenem Roemer, dem Vorbild meines Hauses, der zwar unter den Dolchen der Verschwoerer fiel, auf dessen Thaten aber sich der glaenzende Thron des Augustus erbaute,--warum vermag ich nicht mehr an mein Glueck zu glauben--wenn dieses Plebiscit guenstig ausfaellt, so steht ja wieder der Wille der ganzen Nation hinter mir, und auf diese neue Kraft gestuetzt, sollte ich es wohl wagen koennen, dem Glueck zu gebieten, denn das Glueck beugt sich dem kuehnen Muth und dem festen Entschluss,--aber wenn das Plebiscit unguenstig ausfaellt," sprach er, wieder in sich zusammensinkend, mit dumpfem traurigem Ton. "Doch nein," rief er dann, "nein, das ist unmoeglich, Alles ist gut vorbereitet, und die ersten Nachrichten ueber den Erfolg der Abstimmungen lauten ueberraschend guenstig." Er trat an den Tisch und durchblaetterte die auf demselben liegenden Telegramme. Dann nahm er einen Bleistift, schrieb einige Zahlen ab und addirte dieselben. "Paris," sagte er, "Marseille, Toulouse, Bordeaux, die schlimmsten Staedte haben abgestimmt, und dennoch ergiebt sich nach den vorliegenden Nachrichten bereits eine Summe von einer Million 400,000 Stimmen fuer "Ja" und nur 200,000 fuer "Nein." Wenn es so weiter geht, so ist der Sieg gewiss." Der Dienst thuende Kammerdiener meldete den Gross-Siegelbewahrer. "Er ist willkommen," rief der Kaiser lebhaft und ging rasch nach der Thuer hin, durch welche Herr Ollivier laechelnd und freudig bewegt eintrat. Er ergriff mit tiefer Verneigung die dargebotene Hand des Kaisers, zog dann einige Telegramme aus seiner Tasche und rief, ohne die Anrede seines Souverains abzuwarten: "Alles geht vortrefflich, Sire, bis heute morgen war das Resultat von hundertundsechzig Wahlbezirken bekannt. Die Zahl der eingetriebenen Waehler betrug 3,671,400 davon haben 2,614,000 mit Ja gestimmt und 432,000 mit Nein. So eben," fuhr er fort, "habe ich dieses zweite Telegramm erhalten, nach welchem nunmehr bis auf sechsundzwanzig Wahlbezirke die Resultate saemmtlich bekannt sind. Fuer Ja stimmten hiernach 6,399,000, mit Nein 1,349,000. Die Stimmen der Armee und der Marine und der Bevoelkerung von Algier sind hierbei noch nicht mitgerechnet; da die Gesammtzahl der Stimmenden ungefaehr auf acht bis zehn Millionen anzuschlagen ist, so ist eine colossale Majoritaet bereits gesichert." Der Kaiser athmete tief auf und drueckte noch einmal herzlich die Hand seines Ministers. "Das Glueck steht mir noch zur Seite," sagte er halblaut, mehr seinem fruehern Gedankengang folgend, als zu Herrn Ollivier sprechend. "Dies glaenzende Resultat," sagte er dann mit unendlich liebenswuerdiger Verbindlichkeit, "habe ich zum grossen Theil meinen Ministern und Ihnen ins Besondere, mein lieber Herr Ollivier, zu verdanken, da Sie es verstanden haben, die Sympathien des ganzen Volkes um die kaiserliche Regierung zu vereinigen, und vielleicht war dieses unglueckliche traurige Complott, das man entdeckt hat, ebenfalls eine glueckliche Fuegung, da gerade dadurch dem ganzen Lande klar geworden ist, von welchen Gefahren die Ordnung des Staats und der Gesellschaft bedroht wird, von Gefahren, gegen welche nur ein freisinniges und kraftvolles kaiserliches Regiment Schutz und Rettung bieten kann. Seien Sie ueberzeugt, dass ich die Dienste, welche Sie dem Lande, mir und meinem Hause geleistet haben, niemals vergessen werde." Herr Ollivier verneigte sich mit zufriedenem Laecheln. "Eure Majestaet haben ganz mit Recht bemerkt," sagte er dann, "dass das verbrecherische Complott, welches die Wachsamkeit der Polizei vor einigen Tagen entdeckt, sehr guenstig auf die Theilnahme der gut gesinnten Bevoelkerung auf die Abstimmungen gewirkt hat,--dessen ungeachtet" fuhr er fort, "bleibt die Sache sehr zu beklagen, denn Alles, was man bis jetzt ermittelt hat, zeigt deutlich, dass man es hier mit einem tief angelegten Plan unversoehnlicher Verschwoerer zu thun hat, und ich bitte Eure Majestaet zu genehmigen, dass nicht wie in fruehern aehnlichen Faellen die Angelegenheit mit der Ihnen persoenlich so nahe liegenden Milde behandelt, sondern dass hier mit der aeussersten Strenge vorgegangen werde, um ein fuer allemal ernstlich und nachdruecklich von aehnlichen Unternehmungen abzuschrecken. "Es widerstrebt mir," sagte der Kaiser mit einem sanften weichen Ausdruck, "Unternehmungen, welche gegen meine Person und mein Leben gerichtet sind, mit aeusserster Strenge zu verfolgen. Nach meinem Gefuehl moechte ich Wahnsinnige, die derartiges versuchen, am liebsten voellig ungestraft lassen, und das um so mehr in einem Augenblick, in welchem mir das ganze Volk auf eine so glaenzende Weise sein Vertrauen bezeigt. Doch," fuhr er ernster fort, "es handelt sich hier nicht allein um mich, man hat nicht nur mich bedroht, sondern zugleich die Sicherheit des ganzen Staatsgebaeudes, wie ich dasselbe unter Mitwirkung der besten Kraefte des Landes und der Acclamation des ganzen Volkes errichtet habe; hier darf keine Milde walten! Was hat man weiter entdeckt," fuhr er fort. "Ich bin sehr gespannt auf die Ermittelung des Zusammenhangs der Verschwoerung." "Der Polizeipraefect befindet sich in Eurer Majestaet Vorzimmer," erwiderte Herr Ollivier, "und wenn Sie es erlauben, kann er hier sogleich seinen Bericht erstatten, und Eure Majestaet koennen die Massregeln genehmigen, welche ich zur gerichtlichen Verfolgung der Verbrecher und zum Schutz der oeffentlichen Sicherheit vorschlagen moechte." Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf. Herr Ollivier ging hinaus und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Polizeipraefecten Pietri zurueck, dessen bleiches, scharfes Gesicht unbeweglich und kalt wie immer war und dessen scharfe Augen fast noch stechender als gewoehnlich unter dem tiefen Schatten der vorspringenden Stirn hervorblickten. Auf den Wink des Kaisers nahmen der Justizminister und der Polizeipraefect neben dem Schreibtisch Platz, waehrend Napoleon sich in seinen Lehnstuhl niedersinken liess,--den Ellenbogen auf das Knie gestuetzt blickte er Herrn Pietri fragend und erwartungsvoll an. "Eurer Majestaet," begann dieser, indem er eine kleine Mappe oeffnete und mehrere Papiere aus derselben hervorzog, "erlaube ich mir mitzutheilen, dass der fruehere Corporal Beaury in seiner Wohnung in der Rue St. Maur, die er nach seiner Ankunft aus London bezogen hatte, verhaftet wurde. Man hat bei ihm einen Dolch und einen Revolver, eine Summe von etwas ueber dreihundert Francs gefunden, zugleich aber auch vor allen Dingen Briefe von Gustav Flourens aus London, welche zweifellos beweisen, dass Beaury den Auftrag erhalten und angenommen hatte, Eure Majestaet durch die Bomben zu toedten, von denen ich Ihnen bereits eine Probe zu ueberreichen die Ehre gehabt habe." "Die Sprengbomben sind vortrefflich construirt," sagte der Kaiser--"ich wuerde ihrer Wirkung nicht entgangen sein," fuegte er laechelnd hinzu. "Die Briefe von Flourens," fuhr Pietri fort, "welche ich Eurer Majestaet hier vorzulegen die Ehre habe"--er legte mehrere beschmutzte Papiere auf den Tisch vor dem Kaiser nieder, beweisen aber zugleich, dass es sich nicht nur um ein Attentat gegen Allerhoechst Ihre Person handelte, sondern dass zu gleicher Zeit die Tuilerien und die saemmtlichen oeffentlichen Gebaeude, in welchen die leitenden Organe der oeffentlichen Regierung ihren Sitz haben, zerstoert werden sollten. Man hat auf die Aussage Beaury's gestuetzt, welcher sogleich nach seiner Verhaftung umfassende Gestaendnisse ablegte, Nachforschungen gehalten und bei einem Kunsttischler Roussel, dessen die Agenten leider bis jetzt noch nicht habhaft geworden sind, eine weitere groessere Anzahl von Bomben, Massen von Nitroglycerin, so wie bedeutende Quantitaeten Petroleum gefunden; auch steht nach den Aussagen Beaury's die Theilnahme der Internationale an der ganzen Verschwoerung ausser Zweifel, was zugleich beweist, dass diese Verbindung, welche sich nur mit der Eroerterung socialer Fragen und mit der Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu beschaeftigen vorgiebt, die eigentliche Triebfeder aller Attentate gegen die bestehende Staatsordnung ist." "Haben Sie alle diese Beweisstuecke da," fragte der Kaiser. "Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Pietri, indem er mehrere Briefe und Protokolle dem Kaiser ueberreichte. Dieser legte sie auf seinen Tisch. "Ich werde das Alles spaeter pruefen," sagte er. "Es ist eine schmerzliche Erfahrung fuer mich," fuhr er fort, "dass gerade diese internationale Arbeiterassociation, welcher ich, so weit sie sich mit dem Interesse der Arbeiter beschaeftigte, stets wo das mit den Gesetzen vereinbar war, mein Wohlwollen bewiesen, und meinen Schutz gewaehrt habe, sich jetzt zu solchen Zwecken missbrauchen laesst." "Ich habe Eure Majestaet stets darauf aufmerksam gemacht," sagte Pietri, "dass diese Organisation selbst unter ihren frueheren gemaessigten, so zu sagen philosophischen Fuehrern eine grosse Gefahr fuer den Staat und die Gesellschaft in sich schloss, und dass es nothwendig sei, mit der aeussersten Strenge gegen dieselbe vorzugehen, um sie und ihren weit verzweigten Einfluss zu zerstoeren. Nachdem nun ihre gefaehrlichen und verbrecherischen Ziele so klar an's Tageslicht getreten sind, moechte ich Eure Majestaet um die Erlaubniss bitten, die ganze Internationale mit einem Schlage zu zertruemmern, und in allen Staedten Frankreichs ihre Fuehrer, die mir sehr wohl bekannt sind, verhaften zu lassen." Der Kaiser dachte einen Augenblick nach. "Ich erkenne die Nothwendigkeit energischer Massregeln vollkommen an," sagte er, "doch weiss ich nicht, ob die Verhaftung der Fuehrer von einigem Nutzen sein wird. So weit mir aus frueheren Berichten die Organisation jener Gesellschaft bekannt ist, hat jeder Fuehrer einen Substitut, und die Verhaftung der ersten Leiter wuerde also fuer die Unterdrueckung der Sache selbst nicht viel nuetzen, ausserdem gehoert dieser Internationale eine Menge von Arbeitern an, die im Grunde gut gesinnt sind und die verbrecherischen Absichten der Haeupter weder kennen, noch billigen. Ich glaube deshalb, dass es klug waere, den Massregeln, welche gegen die Internationale getroffen werden muessen, jeden polizeilichen Character zu nehmen und sie lediglich als die Folgen richterlichen Verfahrens erscheinen zu lassen." Er richtete den Blick fragend auf Herrn Ollivier. "Ich theile vollkommen die Ansicht Eurer Majestaet," sagte dieser. "Und es sind in diesem Sinne alle Einleitungen getroffen, der Generalprocurator Grandperret soll einen Bericht an mich erstatten, welcher das Complott in seinem ganzen Zusammenhange darstellt und die Einberufung des hohen Gerichtshofes beantragt. Ich werde diesen Bericht des Generalprocurators, der bereits morgen in meinen Haenden sein soll, Eurer Majestaet ueberreichen und zugleich den Entwurf eines Decrets beilegen, welcher die Einberufung des hohen Gerichtshofes anordnet. Sobald das geschehen, werden alle Verhaftungen, welche auf Grund der von dem Generalprocurator Grandperret anzustellenden Anklageacte vorgenommen werden muessen, gerichtliche und nicht mehr polizeiliche Massregeln sein." "Sehr gut," sagte der Kaiser, "ich erwarte Ihren Bericht, mein lieber Herr Ollivier, und ich hoffe," fuegte er sich zu Pietri wendend hinzu, "dass Ihre Agenten geschickt genug sein werden, um keinen der Schuldigen entwischen zu lassen." "Eure Majestaet koennen ueberzeugt sein," erwiderte der Polizeipraefect, "dass in meinem Ressort geschehen wird, was nur irgend zu thun moeglich ist, dennoch aber moechte ich bitten, einige Personen welche ich dem Herrn Generalprocurator bezeichnen werde, von der Verhaftung auszuschliessen. Es sind die Personen welche wir genau zu ueberwachen in der Lage sind, und durch welche wir in Folge dieser Ueberwachung fortwaehrend Kunde von den Faeden erhalten, durch welche die revolutionaere Bewegung im ganzen Lande geleitet wird. Wuerden diese Personen verhaftet werden, so wuerde uns sich eine Quelle sehr wichtiger Nachrichten verschliessen, und wir wuerden gezwungen sein, viele Zeit aufzuwenden, um neue Netze zu knuepfen." Der Kaiser laechelte. "Ich verstehe," sagte er--"nicht wahr, mein lieber Herr Ollivier, Sie finden den Wunsch des Herrn Pietri gerechtfertigt--" "So fern dadurch," sagte der Justizminister, "der gerichtlichen Verfolgung keine Beweise entzogen werden." "Sie koennen sicher sein," sagte Herr Pietri, "dass diejenigen Personen, um welche es sich handelt,--und zu denen in erster Linie der eitle Schwaetzer Raoul Rigault gehoert, so vollstaendig umstellt sind, dass keine ihrer Bewegungen, keines ihrer Worte uns entgeht, und dass ihre Verhaftung, wenn sie jemals nothwendig werden sollte, jeden Augenblick stattfinden kann. Es ist aber eine alte Regel der polizeilichen Praxis," fuegte er hinzu, "in grossen und besonders bedeutungsvollen Faellen immer einige der betreffenden Personen in scheinbarer Freiheit zu lassen, um, wenn es noethig ist, durch sie das herstellen zu koennen, was man mit dem technischen Ausdruck eine "Mausefalle" nennt. Hat man einmal alle Personen, von denen man irgend etwas weiss, im Gefaengniss eingeschlossen, so ist es kaum moeglich, irgend etwas Weiteres und Neues zu erfahren." "Ich bitte Sie also," sagte Herr Ollivier, "sich mit dem Generalprocurator Grandperret ueber diesen Punkt zu verstaendigen." "Der Herr Marschall Kriegsminister," meldete der Kammerdiener. "Ich bitte den Marschall einzutreten," erwiderte der Kaiser. Der Marschall Leboeuf trat in das Cabinet, die militairische Haltung seiner grossen vollen Gestalt, der martialische Ausdruck seines starken Gesichts mit dem grossen, dichten Schnurrbart liessen in ihm trotz des Civilueberrocks, den er trug, den Soldaten erkennen. "Nun, mein lieber Marschall," rief ihm der Kaiser entgegen. "Sie bringen das Resultat der Abstimmungen der Armee." "Zu Befehl, Majestaet," erwiderte der Marschall. "Leider aber habe ich Eurer Majestaet mitzutheilen, dass nach den Mittheilungen, welche nunmehr beinahe abgeschlossen sind dreissigtausend Ihrer Soldaten mit "Nein" gestimmt haben." Der Kaiser liess einen Augenblick das Haupt auf die Brust sinken, ein trueber, trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. "So grossen Einfluss," sagte er, "haben die Feinde meiner Regierung also auch in den Reihen meiner Armee gewonnen, dass dreissigtausend kaiserliche Soldaten es wagen, ein Misstrauensvotum gegen mich auszusprechen." "Ich habe Eure Majestaet," sagte Herr Pietri, "bereits seit lange darauf aufmerksam gemacht, dass es vom polizeilichen Gesichtspunkt aus nicht zweckmaessig sei, die Soldaten so lange, wie das jetzt geschehen ist, oft ueber drei Jahre lang in denselben Garnisonen zu lassen, sie fraternisiren dadurch zu sehr mit der Bevoelkerung, und es sind gerade die revolutionaeren Elemente, welche in kluger Berechnung und mit grossem Geschick stets danach streben, in den Reihen der Armee Propaganda zu machen,--wenn Eure Majestaet Ihre Regimenter oefter die Garnisonen wechseln liessen, so wuerde so etwas nicht vorkommen." "Wir wollen darueber nachdenken," sagte der Kaiser, sich zum Marschall Leboeuf wendend. "Wo sind denn besonders Stimmen mit Nein abgegeben worden," fragte er, augenscheinlich noch immer sehr peinlich durch die Mittheilung des Marschalls beruehrt. "Vor allen Dingen hier in Paris," erwiderte der Marschall Leboeuf, "bei dem siebenzehnten Jaegerbataillon und dem siebenzehnten Linienregiment.--In der Kaserne Prinz Eugene," fuhr er fort, "hatte sich, wie man mir meldete, die Garnison bei der Abstimmung in zwei, fast ganz gleiche Theile gespalten. Ich bin selbst dorthin gegangen, habe die Truppen antreten lassen und eine Ansprache an sie gehalten, in welcher ich ihnen auseinandersetzte, dass gerade in diesem Augenblick, in welchem die Revolution es versucht habe, die bestehende Staatsordnung umzustuerzen, die feste Treue der Armee gegen den Kaiser eine hohe patriotische Pflicht sei." "Und," fragte der Kaiser. "Ein einstimmiges, laut schallendes Vive l'Empereur war die Antwort," erwiderte der Marschall. "Ich glaube," fuhr er fort, "dass bei dem negativen Votum der einzelnen Soldaten mehr der Reiz massgebend gewesen ist, einmal ungestraft und unbeengt durch Disciplinarvorschriften ein wenig Opposition machen koennen. Ich glaube aber nicht, dass diese Opposition gefaehrlich ist, und dass irgend ein Theil der Armee es an Energie in der Bekaempfung der Revolution fehlen lassen wuerde, wenn es jemals dazu kaeme." Der Kaiser dachte einen Augenblick nach. "Der Faubourg du Temple ist unruhig, wie Sie mir heute gemeldet haben," sagte er zu Pietri gewendet. "Zu Befehl, Majestaet," erwiderte dieser. "Es finden dort Zusammenrottungen statt. Bis jetzt ist noch nichts Ernstes geschehen, als dass einige Laternen umgeworfen wurden, indessen ist zu besorgen, dass mit dem Eintritt der Dunkelheit dort ernstere Unruhen stattfinden moechten, und meine Agenten haben mir bereits berichtet, dass Vorbereitungen zum Barrikadenbau getroffen wurden." "Commandiren Sie, mein lieber Marschall, das siebenzehnte Jaegerbataillon und das siebente Linienregiment heute Abend nach dem Faubourg du Temple, um gegen die Ruhestoerungen, welche man dort versuchen moechte, einzuschreiten. Ich will den Truppen zeigen, dass ich ihr Recht des freien Votums achte, und das mein Vertrauen in die Erfuellung ihrer Dienstpflicht durch den Gebrauch ihres Stimmrechts auch gegen mich nicht erschuettert werden kann. Nun aber," fuhr er fort, indem er sich in einer kraeftigeren Bewegung als sonst erhob und den Blick stolz und frei ueber die in seinem Cabinet befindlichen Personen gleiten liess, "ist es nothwendig, zu der Verfolgung der Verschwoerer durch die Gerichte Massregeln zu treffen, um den Staat gegen alle Attentate zu schuetzen, welche vielleicht dennoch von denen versucht werden koennten, die sich bisher der Wachsamkeit der Behoerden zu entziehen wussten. Lassen Sie, mein lieber Marschall," sprach er im festen Ton des Befehls, der keine Eroerterung und keinen Widerspruch duldet, "die Truppen saemmtlich in den Kasernen consigniren, die Truppen sollen scharfe Patronen erhalten und jeden Augenblick marschbereit sein. Commandiren Sie ferner nach allen oeffentlichen Gebaeuden wenigstens zwei Bataillone, welche vor Allem den Befehl erhalten muessen, jeden Eintritt unbekannter Personen zurueckzuweisen und die Keller und Souterrainraeume zu ueberwachen. Sodann," fuhr er fort, "sollen die Voltigeurs der Garde saemmtlich in die Gallerien commandirt werden, welche den Pavillon des kaiserlichen Prinzen mit dem Neubau vereinigen. Ich werde dem General Frossard den Befehl schicken, dass der Prinz seine Wohnung nicht verlaesst, man koennte seinen Wagen fuer den Meinigen halten, und er koennte das Opfer eines gegen mich gerichteten Attentats werden. Das darf nicht geschehen, denn auf seinem Leben beruht die Zukunft Frankreichs. Jeder Unruhe," fuhr er immer in demselben festen Ton fort, "welche heute Abend in den Strassen von Paris stattfinden koennte, soll sofort mit scharfer Waffe und ohne jede Schonung entgegen getreten werden. Die Corpsfuehrer sind mir verantwortlich dafuer, dass keine Barricade laenger als eine halbe Stunde stehen bleibt,--vor Allem," fuegte er noch hinzu, "sollen starke Posten in das Erdgeschoss des Pavillons des kaiserlichen Prinzen gelegt werden und Niemand dort zugelassen werden, der sich nicht durch seinen Dienst oder durch einen besonderen Erlaubnissschein legitimiren kann. Ausserdem werden Sie, mein lieber Pietri," sagte er, sich an den Polizeipraefecten wendend, "den Pavillon des Prinzen ringsum mit Ihren zuverlaessigen Agenten umgeben lassen, mit dem bestimmten Befehl, Niemand die Annaeherung an denselben zu gestatten." Herr Ollivier sah ganz erstaunt den Kaiser an, der Ton desselben, welcher an die Zeit des unumschraenkten persoenlichen Regiments erinnerte, schien ihn zu befremden. "Und welche Sicherheitsmassregeln befehlen Eure Majestaet," sagte Herr Pietri, "fuer den Pavillon de l'Horloge,--fuer Eurer Majestaet eigene Wohnung?" "Keine," sagte der Kaiser stolz laechelnd, "ich habe die Pflicht, fuer die Sicherheit des Staates und des Erben meines Thrones zu sorgen. Was mich betrifft,--ich vertraue meinem Stern!--Gehen Sie, meine Herren," sagte er mit freundlicher Wuerde und Hoheit, "und sorgen Sie fuer die puenktliche Ausfuehrung meiner Befehle. Sie, mein lieber Ollivier, bitte ich, noch zu bleiben, ich habe noch weiter mit Ihnen zu sprechen." Der Marschall Leboeuf und Herr Pietri zogen sich zurueck. "Sie wissen," sagte der Kaiser, als er mit dem Grosssiegelbewahrer allein war, "dass die Kaiserin nach der Verfassung des Reichs zur Regentin bestimmt ist, fuer den Fall meiner Abwesenheit oder meines Todes waehrend der Minderjaehrigkeit des Prinzen. Dieser Beaury ist gefangen," fuhr er fort, "aber man koennte einen Zweiten und einen Dritten absenden, und irgend ein ploetzliches Ereigniss koennte meinem Leben ein Ende machen." "Sire," rief Ollivier, die Hand auf die Brust legend, "die Vorsehung wird verhueten--" "Ich hoffe das," sagte der Kaiser kalt und ruhig, "indessen muss ich fuer den Fall eines verhaengnissvollen Ereignisses meine Bestimmung treffen, als ob es sich um eine dritte Person handelte. Sollte ich," fuhr er fort, "das Opfer eines Dolches, eines Revolvers oder einer Bombe werden, so werden Sie unverzueglich die ganze Garnison von Paris unter die Waffen treten lassen, meinen Sohn zum Kaiser proclamiren und die Truppen ihm und der Regentin den Eid der Treue schwoeren lassen. Sie werden jeden Versuch einer Bewegung in der Hauptstadt mit ruecksichtsloser Strenge niederwerfen und die Regierung genau so fortfuehren, als ob sich Nichts geaendert habe--Nichts," fuegte er mit einem Anklang leiser Wehmuth hinzu, "als dass neben dem Namen des Kaisers eine IV statt einer III steht. Besprechen Sie mir das, geben Sie mir Ihr Wort darauf." Er streckte Ollivier mit einer Bewegung voll Hoheit und liebenswuerdiger Herzlichkeit zugleich die Hand hin. "Ich schwoere es Eurer Majestaet," rief Ollivier mit einer von innerer Bewegung erstickten Stimme, indem er seine Hand in die des Kaisers legte. "So haben wir Vorsorge getroffen," sprach Napoleon im ruhigen, heiteren Ton weiter, "fuer den Fall eines ungluecklichen Verhaengnisses, jetzt lassen Sie uns an die Gegenwart und ihre Forderungen herantreten. Nachdem das Plebiscit dem Kaiserreich von Neuem die feste Grundlage des Nationalwillens gesichert hat, muessen wir darauf denken, die Regierung, selbst wenn sie sich in einem provisorischen Stadium befindet, wieder zu consolidiren. Das Ministerium der auswaertigen Angelegenheiten vor allen Dingen, welches Sie seit dem Ruecktritt des Grafen Daru mit so grosser Opferbereitwilligkeit neben der Last aller Ihrer uebrigen Arbeiten gefuehrt haben, muss, wie es mir scheint, definitiv besetzt werden." Herr Ollivier schien durch diese Bemerkung des Kaisers nicht besonders angenehm beruehrt zu werden. "Es ist mir eine Freude gewesen, meine Arbeitskraft auch in diesem erhoehten Masse dem Dienste Eurer Majestaet zu widmen. Und bis zu diesem Augenblick," fuegte er mit einem gewissen selbstbewussten Laecheln hinzu, "ist mir diese Last nicht zu schwer geworden. Nicht, um mich den vermehrten Arbeiten zu entziehen, moechte ich Eure Majestaet zur Besetzung des auswaertigen Portefeuille draengen." "Ich weiss, mein lieber Minister," sagte der Kaiser verbindlich, "dass Sie keine Muehe scheuen, und dass Ihre eminente Kraft auch die schwerste Last leicht zu ertragen im Stande ist. Indessen wird die gesammte politische Leitung der Regierung Sie in der naechsten Zeit, in welcher alles jetzt Geschaffene befestigt werden muss, so sehr in Anspruch nehmen, dass ich nicht die Detailarbeiten Ihnen auch noch aufbuerden moechte. Es kommt darauf an," fuhr er fort, "einen Minister der auswaertigen Angelegenheiten zu finden, welcher die fuer den internationalen Verkehr erforderliche Geschmeidigkeit mit dem festen Willen und der Kraft vereint, die Wuerde und die Interessen Frankreichs nach aussen hin energisch zu vertreten, und welcher zugleich mit den Grundsaetzen, nach welchen Sie zu meiner grossen Freude meine Regierung fuehren, voellig uebereinstimmt. Ich habe geglaubt, dass Drouyn de L'huys, welcher bereits mehrere Male die auswaertige Politik Frankreichs gefuehrt hat, im wesentlichen die erforderlichen Eigenschaften besitzt, es wuerde nur darauf ankommen, ob Sie glauben, mit demselben in inniger und aufrichtiger Uebereinstimmung zusammen arbeiten zu koennen." Herr Ollivier schien noch immer unter dem Eindruck einer gewissen Verstimmung sich zu befinden. "Ich achte Herrn Drouyn de L'huys hoch," sagte er mit einiger Zurueckhaltung, "er ist ein Mann von grosser und ausgedehnter Erfahrung, von tiefen Kenntnissen und grosser Charakterfestigkeit. Freilich," fuhr er fort, "sagt man, dass diese Charakterfestigkeit zuweilen ein wenig die Grenzen des Eigensinns streifen soll,--" "Man hat nicht ganz Unrecht," fiel Napoleon, leicht das Haupt neigend, ein. "Indess glaube ich, dass es Ihnen bei Ihrer Gewandtheit, Andere zu ueberzeugen, nicht schwer werden wuerde"-- Die Fluegel der Thuer des kaiserlichen Cabinets wurden geoeffnet. Der Huissier meldete die Kaiserin. Unmittelbar darauf trat Ihre Majestaet schnell ein, ihre Hand leicht auf den Arm des kaiserlichen Prinzen gelegt. Das schoene Gesicht der Kaiserin leuchtete vor freudiger, innerer Erregung, ihre Augen strahlten, ein triumphirendes Laecheln lag auf ihren Lippen, hoch und stolz trug sie das Haupt auf dem wunderbar schoenen, schlanken Halse. Der kaiserliche Prinz war damals vierzehn Jahre alt, seine Gestalt war schlank und schmaechtig, seine Haltung elegant und sicher, sein bleiches Gesicht mit dem dichten, dunkel glaenzenden Haar, schien aelter als seine Jahre, fruehzeitige koerperliche Leiden hatten ihm einen gewissen Ausdruck von fast melancholischer Weichheit gegeben. Seine Stirn zeigte eine auffallende Aehnlichkeit mit derjenigen des Kaisers, waehrend der untere Theil des Gesichts, die Nase und der Mund lebhaft an seine Mutter erinnerten. Seine dunklen, sinnigen Augen blickten aufmerksam forschend, es lag in denselben neben einer gewissen, kindlichen, wohlwollenden Offenheit, doch auch ein gewisses pruefendes Misstrauen. Der Prinz trug einen einfachen schwarzen Civilanzug und kuesste, nachdem die Kaiserin den Kaiser begruesst, mit liebevoller Ehrerbietung die Hand seines Vaters. "Ich komme mit unserm Louis," rief die Kaiserin, "um die Erste zu sein, welche Ihnen zu dem so glaenzenden Ausfall des Plebiscits von ganzem Herzen Glueck wuenscht, und zugleich," sagte sie, mit anmuthiger Bewegung sich zu Ollivier wendend, "dem geistvollen und treuen Rathgeber, dessen eifriger Thaetigkeit wir vor allen Dingen dieses glueckliche Resultat zu verdanken haben, auch meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank zu sagen." Sie reichte Ollivier ihre Hand, auf welche dieser seine Lippen drueckte. "Es scheint," sagte der Kaiser, "als ob gerade in diesem Augenblick, in welchem das Glueck uns laechelt, die finsteren Daemonen der Revolution von Neuem ihr Haupt erheben, hoffentlich zum letzten Mal. Ich habe," fuhr er fort, "soeben, obgleich mir das gerade in diesem Augenblick mehr als je widerstrebt, die Befehle zur energischen Verfolgung der Schuldigen gegeben und zugleich zum Schutz des Staats und der Dynastie die Voltigeurs der Garde in den Pavillon des Prinzen gelegt. Und Du, mein lieber Louis," sagte er, leicht mit der Hand ueber das Haar seines Sohnes streichend, "wirst in den naechsten Tagen Dir gefallen lassen muessen, die Tuilerien nicht zu verlassen, so lange wenigstens, bis das Complott in allen seinen Verzweigungen entdeckt und unschaedlich gemacht sein wird." "Oh, Papa," rief der junge Prinz mit blitzenden Augen, "ich fuerchte mich nicht, moegen sie nur kommen, ich werde mich zu vertheidigen wissen, und" fuegte er hinzu, den glaenzenden Blick aufwaerts gerichtet, "Gott wird nicht erlauben, dass die ruchlosen Plaene dieser Verschwoerer gelingen." "Ich bin ueberzeugt, dass Du Dich nicht fuerchtest, mein Sohn," sagte der Kaiser, indem er seinen Blick voll stolzer Freude auf dem Prinzen ruhen liess--"Du wuerdest sonst nicht im Stande sein, Frankreich zu beherrschen, aber Dein Leben gehoert der Zukunft Deines Landes, Du darfst es wohl in der Schlacht fuer die Ehre und den Ruhm Frankreichs einsetzen, aber es soll nicht die Beute heimtueckischer Meuchelmoerder werden. Wo ist der General Frossard?" fragte er. "Der General hat den Prinzen hierher begleitet," erwiderte die Kaiserin, "er befindet sich im Vorzimmer." Napoleon oeffnete selbst die Thuer seines Cabinets und rief den General. Dieser, ein Mann von etwa fuenfzig Jahren mit einem laenglichen, ernst und streng blickenden Gesicht trat ein und erwartete schweigend die Befehle des Kaisers. "Mein lieber General," sagte Napoleon, "ich bitte Sie, dafuer Sorge zu tragen, dass der Prinz bis auf weitere Befehle sein Zimmer nicht verlaesst, und dass er keine Audienzen ertheilt, welche ich nicht vorher genehmigt habe. Gehe mit dem General, mein Sohn," fuhr er fort, dem Prinzen freundlich auf die Schulter klopfend, "und beschaeftige Dich ein wenig mit Deinen Studien, ich werde spaeter zu Dir kommen und ein wenig sehen, was Du treibst." Der Prinz zoegerte einen Augenblick, ein leichter Anflug von Unmuth erschien auf seinem Gesicht, er kuesste die Hand seines Vaters, umarmte zaertlich die Kaiserin und verliess, vom General Frossard gefolgt, das Cabinet. "Ich habe soeben einen Brief von Gramont erhalten," sagte die Kaiserin--"er sendet uns seine aufrichtigsten Wuensche fuer den gluecklichen Ausfall des Plebiscits und ist entzueckt ueber die ersten Nachrichten, welche der Telegraph nach Wien gebracht hat, und welche bereits erwarten lassen, was sich inzwischen vollzogen hat. Ich wuerde Dir den Brief vorlesen," sagte sie mit einem laechelnden Seitenblick auf Ollivier, "wenn ich nicht fuerchten muesste, den Herrn Grosssiegelbewahrer in Verlegenheit zu setzen. Der Herzog ist in der That einer seiner gluehendsten Bewunderer, er preist Frankreich und das Kaiserreich gluecklich, einen solchen Mann zu den ihrigen zu zaehlen. Es ist nur zu bedauern," fuegte sie mit einem leichten Seufzer hinzu, "dass der Herzog so fern von hier auf entlegenem Posten in Wien sich befindet, er waere ein vortrefflicher Bundesgenosse des Herrn Ollivier, er wuerde keinen anderen Ehrgeiz haben, als dessen Leitung zu folgen und mit seinem Eifer und seiner Energie die Ideen auszufuehren, an denen dieser so reich und so fruchtbar ist," sagte sie, mit einem reizenden Laecheln sich gegen den Justizminister verbeugend, der einen schnellen, forschenden Blick auf den Kaiser richtete. Napoleon hatte den Kopf ein wenig niedergesenkt, sein verschleierter Blick richtete sich ausdruckslos zu Boden. "Euer Majestaet hatten so eben die Gnade," sagte Ollivier, indem er sich halb zur Kaisern wendete, "mit mir ueber die Besetzung des auswaertigen Ministeriums zu sprechen und den Namen des Herrn Drouyn de L'huys zu nennen"--ein finsterer Schatten flog einen Augenblick ueber die Zuege der Kaiserin, aber unmittelbar nahmen dieselben wieder ihren ruhig laechelnden, fast gleichgueltigen Ausdruck an. "Drouyn de L'huys," sagte sie, "wuerde reiche Erfahrungen fuer diesen Posten mitbringen,--er ist ja auch, so weit ich davon gehoert habe, im Ganzen vollkommen einverstanden mit der gegenwaertigen Richtung der Regierung. Ich bedaure nur Herrn Ollivier," fuegte sie in heiterem Tone hinzu, "er wird ein wenig Muehe haben, mit Herrn Drouyn de L'huys fertig zu werden, derselbe haelt viel auf seinen eigenen Willen. Aber," sagte sie, "es wird ja am Ende nicht schwer sein, sich ihm zu accommodiren, er ist ein Mann von vielem Geist und so viel aelter als Herr Ollivier--" Sie schwieg abbrechend. Der Justizminister schien einen Augenblick mit seinen Gedanken beschaeftigt, dann wandte er sich, wie einem schnellen Entschluss folgend, zum Kaiser und sagte: "Ich habe Eure Majestaet, vorhin die Meinung ausgesprochen, welche ich ueber Herrn Drouyn de L'huys hege. Ich kann indess eine Bemerkung nicht unterdruecken, welche ein wenig gegen die Uebertragung des auswaertigen Ministeriums an ihn sprechen moechte. Herr Drouyn de L'huys gilt in Folge der Verhaeltnisse, unter denen er das Portefeuille im Jahre 1866 abgegeben, fuer einen grossen Gegner Preussens und fuer einen Fuersprecher kriegerischer Unternehmungen." "Drouyn de L'huys will durchaus den Frieden aufrecht erhalten wissen," sagte der Kaiser schnell. Der Blick der Kaiserin flammte auf, sie machte eine leichte Wendung und fuehrte einen Augenblick ihr Taschentuch an die Lippen. "Ich glaube, dass Herr Drouyn de L'huys den Frieden will," erwiderte Ollivier, "indessen die Welt und namentlich das Ausland glaubt einmal das Gegentheil von ihm, es waere vielleicht zu befuerchten, dass seine Ernennung von den fremden Maechten, in's Besondere von dem Berliner Cabinet mit Misstrauen aufgenommen werden moechte, und in diesem Augenblick, in welchem wir so sehr mit den inneren Fragen beschaeftigt sind, wuerde eine Truebung der auswaertigen Beziehungen die Erfuellung der Aufgaben, welche wir dem Willen Eurer Majestaet gemaess uns gesteckt haben, sehr erschweren. Es waere vielleicht gut, das auswaertige Ministerium einem Manne zu uebertragen, welcher seit laengerer Zeit dem Mittelpunkt der Politik fern gestanden hat, und aus dessen Vergangenheit man keine beunruhigenden Schluesse zu ziehen im Stande ist. Ihre Majestaet die Kaiserin," fuhr er fort, "hatten so eben die Guete gehabt, mitzutheilen, dass der Herzog von Gramont sehr freundliche Gesinnungen fuer meine geringe Person hegt. Ich bin gewiss, Eure Majestaet wissen, dass ich weit davon entfernt bin, mich durch persoenliche Eindruecke leiten zu lassen, um so mehr als ich in diesem Falle glaube, dass die Sympathie des Herzogs von Gramont vor allen Dingen den Prinzipien gilt, welche ich in Uebereinstimmung mit Eurer Majestaet auszufuehren unternommen habe, und in dieser Beziehung wuerde ich allerdings ein Zusammenwirken mit einem Manne, der vollstaendig von denselben Grundsaetzen durchdrungen ist, nur fuer sehr nuetzlich halten koennen." "Wuerden Sie nicht," fragte die Kaiserin laechelnd,--"Sie, der buergerliche Stoiker, Scheu haben, durch den Herzog von Gramont sich dem Faubourg St. Germain zu sehr zu naehern?" "Ich achte alle Klassen der Gesellschaft," sagte Ollivier in pathetischem Ton, "wenn sie sich den Ideen, welche den Staat in unseren Tagen leiten muessen, unterwerfen, und wenn der alte historische Adel Frankreichs sich entschliessen koennte, den Wegen des Kaisers und seiner Regierung zu folgen, so wuerde die ganze Nation dabei gewinnen." "Sie nehmen die Sache ernst", sagte die Kaiserin leicht hin--"ich habe gar keine Ansicht aussprechen und am wenigsten den Erwaegungen vorgreifen wollen." "Die Andeutungen Eurer Majestaet," sagte Ollivier, waehrend der Kaiser fortwaehrend unbeweglich schwieg, "verdienen indess die hoechste Beachtung und vielleicht hat--Euer Majestaet verzeihen mir," fuegte er, sich leicht verneigend hinzu, "hier der weibliche Instinct schneller das Richtige getroffen, als es die ernsthaftesten und tiefsten Erwaegungen haetten finden koennen. Je mehr ich darueber nachdenke, um so mehr will es mir scheinen, als ob der Herzog von Gramont in der That eine sehr geeignete Persoenlichkeit fuer das auswaertige Ministerium waere." Der Kaiser stand auf. "Wir wollen darueber nachdenken," sagte er in einem Tone, der jede weitere Unterredung darueber abschnitt, "sobald das Plebiscit beendet sein wird. Fuer jetzt bitte ich Sie," fuhr er zu Ollivier gewendet fort, "mich zu begleiten, wenn Ihre Zeit es erlaubt, ich will einen Augenblick auf der Terrasse des Tuileriengartens spazieren gehen." "Um Gottes Willen," rief die Kaiserin erschrocken, "ganz Paris ist in unruhiger Bewegung, noch hat man nicht die Tiefe der Beschwoerung ergruendet, noch sind nicht alle Mitschuldige ermittelt und gefangen--ich bitte Sie, Louis, setzen Sie Sich einer solchen Gefahr nicht aus! Wie leicht koennte eine jener entsetzlichen Bomben Sie treffen, bleiben Sie im reservirten Garten." Der Kaiser laechelte. "Sie koennen Sich ueberzeugen, Eugenie," sagte er, "dass ich fuer die Sicherheit des Prinzen gesorgt habe,--ich selbst will meinen Feinden und allen Franzosen zeigen, dass wenn es ihnen vielleicht gelingen kann, mich zu toedten, sie doch nicht dahin kommen werden, mich einzuschuechtern." Er bewegte schnell die Glocke auf seinem Schreibtisch und nahm seinen Hut und sein spanisches Rohr. Der Huissier oeffnete die Thuerfluegel. Der Kaiser gab seiner Gemahlin den Arm und fuehrte sie durch das Vorzimmer, in welchem der Dienst thuende Adjutant und der Kammerherr der Kaiserin, wartete, bis zum Eingang zu ihren Appartements. Dann stuetzte er seinen Arm auf den des Herrn Ollivier, stieg mit ihm die Treppe herab und schritt langsam nach der reservirten Terrasse des Tuileriengartens, indem er dem Adjutanten befahl, zurueckzubleiben. Langsam schritt er unmittelbar an der Rampe dieser Terrasse nach der Place de la Concorde hin auf und nieder, indem er sich stets so wandte, dass er an der dem Platze zugekehrten Seite ging. Bald hatte man ihn erkannt, eine ziemlich dichte Menge sammelte sich unterhalb der Terrasse an und laute Rufe begruessten den Kaiser. Napoleon dankte mit der Hand, trat dicht an den Rand der Terrasse und blickte lange auf die immer mehr anwachsende Menge herab. "Sie sehen," sagte er laechelnd, sich zu Ollivier wendend, "dass das Schicksal noch nicht mit mir enden will. Es gehoert wahrlich wenig dazu, um mich von dort unten her zu treffen." "Je naeher Euer Majestaet Ihrem Volke treten," sagte Ollivier, "um so sicherer werden Sie vor allen Angriffen sein--auch ich gehoerte einst zu Ihren Gegnern; es hat nichts weiter bedurft, als dass Euer Majestaet mir erlaubten, in Ihre Naehe zu treten, um mich zu Ihrem treuesten und ergebenden Diener zu machen." Der Kaiser dankte mit einer leichten Neigung des Hauptes fuer diese in etwas rhetorischem Tone ausgesprochene Schmeichelei, legte wieder seinen Arm in den des Ministers und setzte noch eine halbe Stunde lang seinen Spaziergang fort, indem er mit der ihm eigentuemlichen bezaubernden Liebenswuerdigkeit von allen moeglichen Dingen plauderte, aber trotz aller Anspielungen Olliviers es vermied, das Thema der Besetzung des auswaertigen Ministeriums wieder zu beruehren. Zweites Capitel. Es war ungefaehr um die neunte Abendstunde desselben Tages, als der Geheimsecretair Pietri durch den besonderen Eingang aus seinem Bureau in das Cabinet des Kaisers trat. Napoleon sass ernst und gedankenvoll in seinem Lehnstuhl, er trug den Campagneueberrock der Generalsuniform und rauchte eine jener kleinen Cigarretten von tuerkischem Taback, welche er sich selbst bereitete, traeumerisch den kleinen Rauchwolken nachblickend, welche durch das von einer grossen, auf dem Schreibtisch stehenden Lampe nur matt erleuchtete Zimmer dahinzogen. Er richtete sich beim Eintritt Pietris leicht empor und sagte, indem er seinen Vertrauten mit freundlichem Laecheln gruesste. "Haben Sie nach der Rue de Bondy gesendet?" "Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Herr Pietri, "die Dame ist hier und wartet in meinem Zimmer." Der Kaiser stand auf. "Es waere doch wohl besser gewesen, unerkannt dort hinzugehen. Ich erleichtere ihr Metier zu sehr, wenn sie weiss, mit wem sie es zu thun hat." "Aber, Sire," sagte Pietri, "in diesen Tagen in jene Gegenden sich zu begeben, das waere nicht mehr Verachtung der Gefahr, das waere Tollkuehnheit, und wenn Euer Majestaet dort erkannt worden waeren, wenn irgend ein Unglueck sich ereignet haette, so wuerde man mit Recht ein solches Unternehmen als verbrecherisch verurtheilen." "Sie haben vielleicht Recht," sagte der Kaiser-- --"auch kann man ja hier die Allwissenheit der Priesterin des Pietismus pruefen, lassen Sie die Dame kommen--Mademoiselle--?" versetzte er fragend. "Mademoiselle Lesueur," erwiderte Pietri. Der Kaiser nickte mit dem Kopfe. Pietri ging hinaus und fuehrte nach wenigen Augenblicken durch die Portiere eine junge Dame von achtzehn bis neunzehn Jahren in das Cabinet, waehrend er selbst einen ganz einfachen Tisch von leichtem unpolirten Holz in der Hand trug und in die Mitte des Zimmers niedersetzte. Der Kaiser gruesste die junge Dame mit verbindlicher Artigkeit und betrachtete sie mit forschendem Blick. Mademoiselle Lesueur war eine aeusserst elegante und sympathische Erscheinung, sie trug ein dunkles, einfaches Seidenkleid um den Hals mit einer kleinen Spitzenkrause geschlossen. Ihr dunkelbraunes Haar war in leichten Flechten um den Kopf gewunden, ihr zartes Gesicht dessen durchsichtige Blaesse von einer feinen Roethe auf den Wangen belebt wurde, war von klassischer Schoenheit, ihre dunklen Augen mit den auffallend langen Wimpern waren voll Geist, Lebendigkeit und Sanftmuth zugleich, und um ihren zierlichen und frischen Mund lag ein Zug von fast kindlicher Harmlosigkeit und Naivitaet. Sie verneigte sich ohne alle Befangenheit mit den Manieren der besten Gesellschaft vor dem Kaiser, welcher ganz erstaunt schien, die beruehmte Sybille in der Gestalt eines so anmuthigen, jungen Maedchens zu erblicken. "Man hat mir viel erzaehlt," sagte der Kaiser, "von der besonderen, eigentuemlichen Kraft, welche Sie besitzen, das Reich der Geister zu oeffnen. Und da ich mich fuer alle solche Dinge interessire, durch welche man versucht, den Schleier der Geheimnisse zu lueften, welche unser Leben umgeben, so habe ich gewuenscht, eine Probe Ihrer Kunst zu sehen." "Es macht mich gluecklich," erwiderte Fraeulein Lesueur mit einer ungemein wohltoenenden, etwas tiefen Stimme, "Euer Majestaet Wunsch zu erfuellen. Es ist keine geheimnissvolle Kunst dabei," fuhr sie fort, "meine Mutter hatte die Kraft, durch das Medium dieses kleinen Tisches eine Verbindung mit dem unsichtbaren Reich der Geister herzustellen. Diese ihre Kraft ist auf mich uebergegangen, und nach ihrem Tode habe ich es versucht, wie sie die Geister sprechen zu lassen,--es ist mir in vielen Faellen gelungen, und ich hoffe, dass es mir auch Euer Majestaet gegenueber gelingen wird." "So beginnen wir," sagte der Kaiser. Pietri stellte zwei Stuehle einander gegenueber an den kleinen Tisch. Mademoiselle Lesueur setzte sich auf den einen, zog ihre Handschuhe aus,--legte die Spitzen ihrer zierlichen Finger leicht auf die Tischplatte und sagte: "Wollen Euer Majestaet die Gnade haben, mir gegenueber Platz zu nehmen." Der Kaiser setzte sich mit einem fast unwillkuerlichen Laecheln an die andere Seite des Tisches. "Ich bitte Euer Majestaet," sagte Fraeulein Lesueur, "Ihre Haende ebenso wie ich auf die Platte legen zu wollen." Der Kaiser that es. Fraeulein Lesueur schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie ihre dunklen Augen mit schwaermerischem Ausdruck empor und sprach mit halb lauter Stimme: "Allmaechtiger, dreieiniger Gott, der Du herrschest auf der Erde, wie in den Hoehen des Himmels und in den Tiefen der Hoelle, ich bitte Dich den Geistern, die ich in Deinem Namen rufe, zu erlauben, dass sie aus ihren Wohnungen herabsteigen und auf meine Fragen antworten, zu verkuendigen, was sie wissen und was Du ihnen erlaubst, zu sagen." Der Kaiser hoerte ganz erstaunt diesen im Ton des inbruenstigen Gebets gesprochenen Worten zu. "Befehlen Euer Majestaet," sagte die junge Dame sodann, "dass ich einen bestimmten Geist rufen soll, oder wollen Sie den mir persoenlich befreundeten Geist hoeren." Abermals konnte der Kaiser ein leichtes Laecheln nicht unterdruecken. "Ich bitte Sie zunaechst Ihren Geist kommen zu lassen, Mademoiselle," sagte er. "Es ist der Geist meiner Mutter," erwiderte Mademoiselle Lesueur, "und er wird sogleich erscheinen." Sie beugte sich ein wenig nieder und fluesterte eine unverstaendliche Formel leise vor sich hin. Wenige Augenblicke darauf begann der Tisch leise zu zittern. Der Kaiser drueckte die Haende staerker auf die Platte, allein die unruhige, beinahe wellenfoermige Bewegung des Holzes vermehrte sich immer mehr und mehr. Nach kurzer Zeit hob sich der Tisch auf der Seite des Kaisers ein wenig in die Hoehe und blieb in dieser schwebenden Stellung stehen. "Der Geist ist da," sagte Mademoiselle Lesueur, "und bereit, Euer Majestaet zu antworten. Ich bitte, Euer Majestaet, zu fragen,--es ist aber nicht noethig, dass Sie die Frage aussprechen, Sie koennen Sie in Gedanken stellen, die Geister haben die Kraft, die Gedanken zu lesen." Der Kaiser dachte einen Augenblick nach. "Kann mir der Geist," fragte er, "den Namen nennen, an welchen ich in diesem Augenblick denke?" "Wie heisst der Name?" fragte Mademoiselle Lesueur mit gesenktem Haupt und leiser Stimme. Der Tisch setzte sich sogleich in eine lebhafte Bewegung. Er schwankte einige Male stark hin und her, dann senkten sich die beiden erhobenen Fuesse desselben nieder, und in rascher Folge begann er scharf und vernehmbar auf das Parquet zu klopfen, immer nach einer gewissen Zahl von Schlaegen inne haltend. Mademoiselle Lesueur folgte aufmerksam diesen Schlaegen, mit leiser Stimme sagte sie: B-e-a-u-r-y. "Der Name, an den Euer Majestaet gedacht, heisst Beaury," sprach sie dann ruhig und bestimmt, den Blick fest auf den Kaiser richtend. Napoleon zuckte zusammen, erschrocken blickte er in das laechelnde Gesicht der jungen Dame. "Sie haben Recht," sagte er, "der Geist hat den Namen richtig gelesen." Er bog sich einen Augenblick zurueck und blickte unter den Tisch, dessen Fuesse unmittelbar an der Platte befestigt waren. Die vier Fuesse standen vollkommen frei, auf dem Boden, Mademoiselle Lesueur etwas vorgebeugt, sass so weit zurueck, dass nicht einmal der Saum ihres Kleides die Fuesse des Tisches beruehrte. Der Kaiser schuettelte den Kopf und legte die Haende wieder auf den Tisch. "Da Ihr Geist," sagte er, "den Namen gelesen hat, an welchen ich gedacht, so wird er mir auch eine andere Frage beantworten koennen, welche sich an diesen Namen knuepft." "Ich bitte Euer Majestaet," sagte Mademoiselle Lesueur, "die Frage in Ihren Gedanken zu formuliren--" Abermals begann der Tisch zu schwingen und zu zittern, diesmal staerker als vorher. Nach kurzer Zeit schlugen die Fuesse abermals regelmaessig und schnell hinter einander auf das Parquet. "Wollen Sie die Guete haben, zu schreiben," sagte Mademoiselle Lesueur, sich zu Pietri wendend, welcher schnell ein Blatt Papier und einen Bleistift nahm und die Buchstaben notirte, welche Mademoiselle Lesueur in schneller Folge ihm sagte. Der Tisch hielt an. "Wollen Sie die Antwort lesen," sagte die junge Dame, zu Herrn Pietri gewendet. Pietri las. "Der Kaiser wird ruhig im Kreise der Seinen sterben, keine Waffe weder in der Schlacht noch in der Hand des Meuchelmoerders wird seinem Leben Gefahr bringen." "Diese Antwort passt allerdings auf meine Frage," sagte der Kaiser, "aber sagt sie die Wahrheit?" "Es steht Eurer Majestaet frei, zu glauben oder nicht," erwiderte Mademoiselle Lesueur, "ich fuer meine Person bin davon ueberzeugt, dass die Geister die Wahrheit sagen, wenn sie sie kennen--sie sind nicht allwissend--das ist Gott allein--aber sie wissen viel, und namentlich ist ihnen die Macht gegeben, das Schicksal derer zu lesen, mit denen ihre koerperliche Huelle einst durch die Bande des Blutes verbunden war. "Noch eine Frage," sagte der Kaiser, "wer ist mein bester Freund?" "Euer Majestaet haetten nicht noethig gehabt, die Frage auszusprechen," sagte Mademoiselle Lesueur. Der Tisch begann seine Schwingungen, die Schlaege ertoenten auf dem Boden. Mademoiselle Lesueur fluesterte die Buchstaben vor sich hin, dann sagte sie. "Die Antwort des Geistes heisst: Napoleon." Der Kaiser liess den Kopf auf die Brust sinken, in tiefem Schweigen sass er einen Augenblick da. "Der Geist hat Rechte," sagte er halblaut, "Niemand ist der Freund eines Souverains, als er selbst, und aus mir allein muss ich die Entschluesse schoepfen, in mir allein die Kraft suchen, zu erfuellen, was ich mir vorgesteckt." "Doch," rief er, indem er den brennend aus den Schleiern seiner Augenlider hervortretenden Blick auf Mademoiselle Lesueur richtete, "kann Ihr Geist mir sagen, wer mein groesster und gefaehrlichster Feind ist?" Abermals bewegte sich der Tisch und Mademoiselle Lesueur buchstabirte: "Orleans." "Wunderbar," rief der Kaiser, indem er finster vor sich niederblickte. "Es ist, als ob der Geist in den schwarzen Gedanken lesen koennte, welche Tag und Nacht auf dem Grunde meiner Seele einher ziehen," fluesterte er leise vor sich hin. "Noch eins," fragte er dann laut, "kann mir Ihr Geist den Namen nennen, welcher bestimmt ist, die Stelle auszufuellen, ueber welche ich in diesem Augenblick nachdenke." Das Spiel des Tisches begann wieder, und Mademoiselle Lesueur sagte, die einzelnen Buchstaben verfolgend: "Gramont." Betroffen zuckte der Kaiser zusammen. "Sind Sie schon einmal hier in den Tuilerien gewesen," fragte er rasch. "Haben Sie irgend Jemand aus dem Schlosse gesprochen? Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen,--die zu erfahren ich in jedem Fall im Stande bin," fuegte er in strengem Tone hinzu. "Ich war niemals hier im Schlosse," sagte Mademoiselle Lesueur mit offenem, freiem Blick und unbefangenem Laecheln, "ich habe Niemanden von hier jemals gesehen, bis dieser Herr hier," sie deutete auf Pietri, "heute zu mir kam und mich ersuchte, ihm hierher zu folgen." "Seltsam--sehr seltsam" sagte der Kaiser, augenscheinlich tief bewegt durch die Antworten, welche er erhalten. "Sie haben mir vorhin gesagt, sprach er dann--ein wenig zoegernd, indem er die junge Dame scharf anblickte, dass die Geister besonders klar ueber das Schicksal derjenigen zu antworten im Stande sind, mit denen sie durch besonders nahe Bande verbunden sind?"-- "So ist es, Sire," erwiderte Mademoiselle Lesueur.--"Der Geist meiner Mutter sieht in allen Dingen, die mich betreffen, klarer als in den Angelegenheiten ueber welche andere Personen Fragen stellen." "Koennen Sie einen Geist citiren," fragte der Kaiser, "den ich Ihnen bezeichnen wuerde." "Eure Majestaet haben nicht noethig, den Geist zu nennen," sagte Fraeulein Lesueur,--"Sie duerfen nur Ihre Gedanken fest auf denselben richten,--das genuegt." "Wie kann ich aber wissen, ob wirklich der Geist spricht, den ich zu hoeren wuensche," fragte der Kaiser. "Eure Majestaet werden nur noethig haben, ihn nach seinem Namen zu fragen," erwiderte die junge Dame. "So beginnen Sie," sagte der Kaiser, indem ein tiefer Ernst sich auf seine Zuege legte. "Erlauben Eure Majestaet," sprach die junge Dame, "dass ich zunaechst den Geist, der Ihnen bisher geantwortet hat, entlasse." Sie beugte den Kopf nieder und fluesterte eine Zeitlang leise vor sich hin. Der Tisch zitterte, hob und senkte sich in leiser Schwankung,--dann stellte er sich fest auf seine vier Fuesse. "Nun Sire," sagte Fraeulein Lesueur, "dann bitte ich Eure Majestaet, Ihre Gedanken sehr scharf auf die Person zu richten, deren Geist Sie zu citiren wuenschen." Der Kaiser nickte mit dem Kopf, immer tieferer Ernst erfuellte sein Gesicht indem er die beiden Haende fest auf den Tisch legte. Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel. Einige Augenblicke herrschte eine so tiefe Stille im Zimmer, dass man den Herzschlag der drei anwesenden Personen haette hoeren koennen. Da krachte es in dem Holz der Tischplatte,--diese Platte schien zu zucken, hoch richtete sich der Tisch auf der Seite des Kaisers empor und mit maechtigem hallenden Schlag sank er wieder auf das Parquet nieder. Der Kaiser fuhr zusammen. Fast schien es als wolle er aufspringen und seinen Platz verlassen. "Der Geist ist da und bereit Eurer Majestaet zu antworten," sagte Mademoiselle Lesueur in ruhigem Tone. "Will der Geist mir seinen Namen sagen?" fragte der Kaiser. Der Tisch begann rasch sich zu bewegen,--er schlug auf das Parquet--Mademoiselle Lesueur zaehlte,--und sagte dann sich gegen den Kaiser verneigend: "Der Geist antwortet: "Napoleon." Die Bewegung, welche der Kaiser machte indem er den Kopf auf die Brust sinken liess, war fast eine ehrfurchtsvolle Verneigung. Er schwieg einige Augenblicke, waehrend Fraeulein Lesueur ihn mit ihren klaren Augen erwartungsvoll anblickte. "Will der Geist, wenn er hier anwesend ist, mir eine Frage beantworten?" sagte er dann mit einer beinahe demuethigen Stimme. Der Tisch begann sich schnell zu bewegen. "Schreiben Sie, mein Herr," sagte Mademoiselle Lesueur zu Herrn Pietri gewendet, und dieser nahm schnell Bleistift und Papier, um die Buchstaben zu notiren, welche Mademoiselle Lesueur in rascher Reihenfolge ihm nannte. "Die Antwort?" rief der Kaiser, als der Tisch mit einem starken Schlage seine Bewegung beendete. Herr Pietri las: "Mir ist nicht vergoennt, auf einzelne kleine Fragen zu antworten;--wer auf dem Throne von Frankreich sitzt und Napoleon heisst, der sollte nicht mit vorsichtiger Neugier einzelne Blicke hinter den Schleier zu werfen suchen, welcher die Zukunft verhuellt,--er sollte mit kuehner Hand diesen Schleier selbst heben, indem er die Zukunft sich nach seinem Willen zu gestalten zwingt. Denn dem festen und klaren Willen gehoert die Zukunft; aber frage,--ich werde antworten, soweit es mir erlaubt ist,--wenn Deine Fragen das Schicksal des Hauses betreffen, das meinen Namen traegt, und wenn Du keine einzelnen und besonderen Dinge zu wissen verlangst." Pietri schwieg. Der Kaiser starrte einen Augenblick vor sich hin,--brennend richtete sich sein Blick in das Leere,--er schien nach einer sichtbaren Spur des Geistes zu forschen, dessen Worte ihm dieses ruhige und freundlich laechelnde junge Maedchen verdollmetschte. Dann beugte er sich vor, blickte Mademoiselle Lesueur durchdringend an und oeffnete die Lippen. "Ich bitte Eure Majestaet, sich erinnern zu wollen," sagte die junge Dame, "dass es nicht erforderlich ist, die Frage laut zu stellen,--der Geist kann Ihre Gedanken lesen." "Gut denn," sagte der Kaiser,--"ich frage." Und schweigend blickte er voll Spannung auf den Tisch, welcher sich unter seinen Haenden zu bewegen begann. Fraeulein Lesueur nannte diesmal schneller als sonst die Buchstaben--Pietri schrieb. "Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein,--er wird neuen Ruhm und neuen Glanz an den Namen knuepfen, den er traegt." Der Kaiser athmete tief auf. Es leuchtete wie ein dankbares Gebet aus seinen Augen, die er mit unbeschreiblich gluecklichem Ausdruck emporschlug. Dann rief er mit dumpfem Ton, wie aus den Tiefen seiner Brust heraus: "O koennte ich wissen, ob dies die Wahrheit ist." Der Tisch zuckte--er hob sich hoch empor und schlug zweimal schallend auf den Boden. "Es ist die Wahrheit Sire," sagte Mademoiselle Lesueur ernst und ueberzeugungsvoll. "Werde ich die Armeen Frankreichs noch einmal zum Kriege fuehren muessen?" fragte der Kaiser schnell. Der Tisch schlug abermals laut und fest auf. "Der Geist bejaht die Frage Eurer Majestaet," sagte die junge Dame. "Und welches wird das Schicksal dieses Krieges sein?" fragte der Kaiser in athemloser Spannung. Einige Augenblicke vergingen,--dann bewegte sich der Tisch wieder,--Pietri schrieb die Buchstaben nieder welche Mademoiselle Lesueur ihm angab. "Wie heisst die Antwort?" rief der Kaiser, welcher vergebens versucht hatte, den schnell gesprochenen Buchstaben zu folgen. Pietri las: "Ave Caesar, morituri te salutant!" Napoleon erbleichte und drueckte die Haende an die Stirn. "Was ist der Sinn der dunkeln Antwort?" fluesterte er vor sich hin--und schnell sich aufrichtend fragte er mit lauter dringender Stimme: "Wird der Todesgruss der Sterbenden dem _siegreichen_ Caesar ertoenen?" Mehrere Minuten vergingen,--der Tisch blieb unbeweglich. "Der Geist antwortet nicht mehr," sagte Mademoiselle Lesueur,--"es wuerde vergeblich sein, ihn weiter zu fragen.--Erlauben Eure Majestaet, dass ich ihm danke und ihn entlasse?" Der Kaiser neigte tief sinnend das Haupt. Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel,--der Kaiser faltete die Haende in andaechtigem Schweigen. "Wuenschen Eure Majestaet noch eine weitere Citation?" fragte die junge Dame. "Ich danke Ihnen, mein Fraeulein," erwiderte Napoleon aufstehend, indem sein Gesicht wieder seinen gewoehnlichen ruhigen Ausdruck annahm.--"Ihr Experiment hat mich in hohem Grade interessirt,--ich hatte viel von dem Spiritismus gehoert,--aber noch nie einen Versuch gesehen, bei welchem so durchaus kein Apparat angewendet wurde,"--fuegte er mit einem leichten Laecheln hinzu, das aber mehr verbindlich und artig als ironisch war. Mademoiselle Lesueur hatte sich erhoben und verneigte sich tief bei den Worten des Kaisers. "Ich bin gluecklich, Sire" sagte sie, "dass Eure Majestaet zufrieden sind, und hoffe,--oder vielmehr,"--fuegte sie mit sicherem Ausdruck hinzu, "ich bin gewiss, dass Alles Gute, was die Geister Eurer Majestaet verkuendet haben, sich erfuellen werde." "Alles Gute?" sprach der Kaiser sinnend--"aber war es gut?--was war es?-- Morituri te salutant!" fluesterte er leise. Dann wendete er sich zu Pietri und blickte ihn fragend an. Dieser reichte ihm ein kleines Etui. Der Kaiser nahm es und sagte mit liebenswuerdiger Freundlichkeit zu Mademoiselle Lesueur: "Erlauben Sie mir, mein Fraeulein, Ihnen ein kleines Erinnerungszeichen an diese Stunde zu geben,"--er oeffnete das Etui ein wenig,--die Facetten eines schoenen Solitaers funkelten farbenspielend im Licht der Lampe. Mit der naiven Freude eines jungen Maedchens ergriff Fraeulein Lesueur den Ring und indem sie das Regenbogenspiel der Lichtreflexe entzueckt betrachtete, sagte sie: "Ich werde Gott unablaessig bitten, dass er alle seine guten Geister zum Schutz Eurer Majestaet und Frankreichs aussende." Sie verneigte sich tief vor dem Kaiser und zog sich von Pietri geleitet, der den kleinen Tisch forttrug, durch die Portiere zurueck, durch welche sie in das Cabinet eingefuehrt worden war. Napoleon ging in tiefem Sinnen auf und nieder. "Giebt es einen Zusammenhang mit jener Welt der abgeschiedenen Geister," sprach er leise vor sich hin,--"und kann es ihnen erlaubt sein, auf irgend welche Weise uns Mittheilungen zu machen ueber das, was ihrem Blicke sich oeffnet? "Dieses junge Maedchen scheint aufrichtig von ihrer Sache ueberzeugt," sprach er gedankenvoll,--"ich wuesste nicht, wie sie den Tisch in Bewegung setzen koennte,--und wenn dieses Kind von kaum neunzehn Jahren aus sich selbst heraus die Antworten auf die Fragen construirt hat, die ich ihr stellte, so ist sie ein Phaenomen an Menschenkenntniss und Geist!-- "Welch eine treffende Antwort, die mich selbst als meinen besten Freund bezeichnete,--und wie wahr--alles, was mir feindlich ist, in diesen einen Namen Orleans zusammenzufassen." Er ging langsam, die Haende auf dem Ruecken gekreuzt auf und nieder. "Und Drouyn de L'huys," sagte er kaum hoerbar,--"er war der Freund dieser Orleans,--er ist es noch--kann jemand mein Freund sein--der zugleich der Freund meiner Feinde ist?--Gramont" fuhr er fort,--"der Geist nannte Gramont als den kuenftigen Minister der auswaertigen Angelegenheiten,--Gramont war Legitimist,--die Legitimitaet hat keine Moeglichkeit einer Zukunft,--sie ist eine fromme Erinnerung,--eine Erinnerung, vor der ich selbst hohe Achtung habe, an die ich anknuepfen,--deren edle Traditionen ich fortsetzen moechte.-- "Seltsam," rief er,--"sehr seltsam ist das Alles,--oder sollte auch hier eine Intrigue"-- Pietri trat wieder ein. Der Kaiser naeherte sich ihm; dicht vor ihm stehen bleibend, legte er den Arm auf seine Schulter und blickte ihn scharf und durchdringend in die Augen. "Pietri" sagte er,--"haben Sie mit diesem jungen Maedchen ueber die Politik--ueber irgend Etwas gesprochen, was auf die gegenwaertige Lage bezug hat?" "Sire," erwiderte Pietri in ernstem und traurigem Ton,--"Eure Majestaet sind zum Misstrauen gegen Jedermann berechtigt, fast verpflichtet,--dennoch schmerzt mich dasselbe,--ich schwoere Eurer Majestaet," fuhr er fort, den Blick des Kaisers frei und offen erwidernd, "dass ich mit Fraeulein Lesueur nichts Anderes gesprochen habe, als was nothwendig war, um den Auftrag Eurer Majestaet auszurichten und sie hieher zu fuehren." "Und was denken Sie davon?" fragte der Kaiser. Pietri laechelte ein wenig. "Ich denke, dass dieses junge Maedchen sehr viel Geist hat," erwiderte er,--"und dass sie manchen Diplomaten in der scharfen Erkenntniss der Verhaeltnisse beschaemen wuerde." Der Kaiser schuettelte langsam den Kopf. "Wie dunkel, wie mystisch die Antworten ueber meine Zukunft waren," sagte er.-- "Glauben denn Eure Majestaet ernsthaft an solche Dinge?" fragte Pietri. "Denken Sie sich," erwiderte der Kaiser ernst,--"eine Welt von Blindgebornen,--wuerde nicht ein Sehender, der unter sie traete, der den Sinn besaesse, der ihnen allen fehlte, Wunder unter ihnen verrichten,--wuerde er ihnen nicht als ein uebernatuerlicher Prophet erscheinen,--oder als ein Narr verlacht werden,--und das bloss weil er einen Sinn mehr haette als sie und durch diesen Sinn eine Welt wahrnehmen koennte, welche da ist, welche die andern Alle umgiebt wie ihn,--welche aber ihrer Wahrnehmung sich entzieht, weil ihnen das Medium dazu fehlt.--Koennen denn nicht auch uns solche Welten umgeben, fuer welche unser Organismus keinen Sinn besitzt,--und ist es unmoeglich, dass Einzelnen dieser Sinn gegeben ist, der sie das erblicken laesst, was uns verschlossen bleibt und was wir deshalb in selbstgenuegsamer Beschraenktheit fuer nicht vorhanden erklaeren?"-- "Und wenn dem so waere," sagte Pietri,--"Eure Majestaet koennen mit der Perspective, welche Fraeulein Lesueur geoeffnet, zufrieden sein--Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein--hat sie ihren Geist antworten lassen,--und" sprach er mit herzlichem und aufrichtigem Tone,--"ich habe dazu nur den Wunsch hinzuzufuegen, dass das recht spaet und nach einer noch recht langen und gluecklichen Regierung Eurer Majestaet eintreten moege." "Nun," rief der Kaiser mit freudigem Ausdruck,--"wenn nur diese Verkuendigung sich erfuellt, so will ich darauf verzichten, das Dunkel zu lichten, welches in den Antworten der Geister meine Zukunft verhuellt,--ein Fuerst darf keine Person sein,--er ist ein Glied in einer grossen Kette, welche die Epochen der fortschreitenden Weltgeschichte aneinander knuepft--ob, wann und wie ich untergehe,--was liegt daran, wenn nur meine Dynastie erhalten bleibt, um die Vergangenheit und die Zukunft Frankreichs mit einander zu verbinden." Er schwieg und blickte wie traeumend vor sich hin. "Gehen Sie zum Prinzen," sagte er dann,--"er soll seine Uniform anlegen und sich bereit halten, mich zu begleiten. Ich will die Kaiserin abholen, um jene braven Truppen zu besuchen, welche in den Galerien Wache halten und die Zukunft Frankreichs beschuetzen." Pietri eilte hinaus. Der Kaiser ergriff das rothe goldgestickte Kaeppi der Generalsuniform, steckte den neben seinem Tische stehenden Degen an und ging, selbst die Thuer oeffnend, in das Vorzimmer. Er nahm den Arm des Generals Castelnau, welcher hier, ebenfalls in der Campagne-Uniform wartete, und schritt mit ihm nach den Appartements der Kaiserin. Am Eingang der Gemaecher Ihrer Majestaet oeffnete der Huissier schnell die Fluegelthueren und eilte den Kaiser ankuendigend durch die Vorzimmer in den kleinen Salon, in welchem die Kaiserin mit der Baronin de Pierres, der Vicomtesse Aguado und der Graefin de la Poeze sass. "Der Kaiser!" rief der Huissier. Die Damen standen auf, die Kaiserin ging ihrem Gemahl bis zur Eingangsthuer des Salons entgegen, Napoleon kuesste ihre Hand und gruesste die Damen verbindlich. "Sie sind in militaerischer Tenne," fragte Eugenie, erstaunt den Kaiser und den Grafen Castelnau anblickend,--"zu so spaeter Stunde,--ist denn etwas Aussergewoehnliches geschehen?" fuegte sie unruhig hinzu,--"sind die Unruhen in Paris bedenklicher geworden?" "Seien Sie unbesorgt," erwiderte der Kaiser laechelnd,--"es ist nichts Besonderes geschehen,--aber die Truppen sind consignirt--und da muss auch der Kaiser der Consigne folgen und im Dienst sein,--ausserdem wollte ich mit Ihnen und Louis die Voltigeurs der Garde besuchen, denen ich die Bewachung der Tuilerien und den Schutz des kaiserlichen Prinzen anvertraut habe." Die Kaiserin schlug freudig bewegt die Haende zusammen. "Das ist ein vortrefflicher Gedanke," rief sie lebhaft, "je fester und lebendiger wir die Verbindung mit unseren Truppen erhalten, um so sicherer werden wir ueber alle unsere Feinde triumphiren. Ich bin sogleich bereit," sagte sie, indem sie sich schnell zu dem Tisch wendete und eine kleine, goldene Glocke bewegte, welche auf demselben stand. Eine Kammerfrau trat ein. Die Kaiserin warf einen raschen Blick auf einen grossen Spiegel, welcher ihr fast ihre ganze Gestalt zeigte. Sie trug eine einfache Robe von blauer Seide. "Bringen Sie mir eine weisse Mantille und ein rothes Band." Nach wenigen Augenblicken, waehrend welcher der Kaiser sich mit den Damen seiner Gemahlin unterhielt, erschien die Kammerfrau wieder. Sie trug eine Mantille von weissem Atlas und ein breites schaerpenartiges Band von rother Seide. Die Kaiserin liess die Mantille ueber ihre Schultern legen, naeherte sich dann der Graefin von Poeze und sagte: "Wollen Sie die Guete haben, meine liebe Graefin, mir aus diesem Bande eine grosse Schleife hier zu befestigen." Sie deutete mit dem Finger auf den Halsausschnitt ihrer Robe. Die Graefin von Poeze machte mit geschickter Hand eine breite Schleife mit langen herabhaengenden Enden und befestigte sie dann auf der Robe der Kaiserin. "Jetzt trage ich die Farben Frankreichs," rief Eugenie mit einem Blick auf den Spiegel, "lassen Sie uns gehen," fuhr sie zum Kaiser gewendet fort. "Sie werden," sagte Napoleon, indem er seiner Gemahlin den Arm reichte, "diese Farben ebenso unwiderstehlich machen, wie es die Tapferkeit unserer Soldaten auf allen Schlachtfeldern gethan hat." Er ging langsam mit der Kaiserin durch das Vorzimmer und wandte sich nach dem Pavillon des kaiserlichen Prinzen; der Graf von Castelnau und die Damen folgten. Im Vorzimmer seiner Wohnung erwartete der Prinz bereits mit dem General Frossard seine Eltern. Der Prinz trug die Uniform eines Souslieutenants, der General Frossord war ebenfalls in Uniform. Der kaiserliche Prinz trat auf die rechte Seite seines Vaters, der General Frossard schritt voraus und fuehrte den Kaiser und die Kaiserin nach der unmittelbar an den Pavillon stossenden Gallerie. Als die Thuere derselben geoeffnet wurde, bot sich ein wunderbar belebtes Schauspiel dar,--die weithin ausgedehnten Gallerien strahlten in hellster Beleuchtung, alle Kerzen auf den Lustres und Wandleuchtern brannten, der Marmor und die Vergoldungen glaenzten, an den Waenden her standen kleine, mit weissen Leintuechern bedeckte Tische, auf welchen kalte Speisen und rothe und weisse Weine in geschliffenen Crystallcaraffen aufgestellt waren. An diesen Tischen sassen die Voltigeurs der Garde in vollstaendiger Feldausruestung, ihre Waffen neben sich, die Kaeppis auf den Koepfen, essend, trinkend und froehlich plaudernd. In gewissen Zwischenraeumen befanden sich kleinere elegant servirte Tische, an welchen die Officiere soupirten. Als die grosse Eingangsthuer sich oeffnete, und im Rahmen derselben der Kaiser, die Kaiserin und der kaiserliche Prinz erschienen, erhoben sich die langen Reihen der Soldaten. Die Officiere eilten rasch heran und im lauten, einstimmigen Rufen begruesste diese Elite-Truppe den Kaiser. Napoleon erhob dankend die Hand, die Kaiserin neigte gruessend das Haupt nach allen Seiten, indem ihr strahlender Blick freudig und stolz ueber diese muthigen und begeisterten Soldaten hinglitt. Der kaiserliche Prinz hielt sein Kaeppi in der Hand und verneigte sich ehrerbietig gegen den Commandeur des Regiments, welcher herantrat, um dem Kaiser zu melden, das alle Wachen nach seinen Befehlen bezogen worden seien. "Lassen Sie die Leute haeufig abloesen," sagte der Kaiser, "damit ihnen der Dienst nicht zu schwer wird und damit sie Gelegenheit finden, sich hier im Kreise ihrer Kameraden wieder zu erfrischen." Er trat an den naechsten Tisch, ergriff eines der dort stehenden Glaeser, fuellte es aus einer Crystallcaraffe mit rothem Wein und rief mit lauter Stimme: "Ich trinke auf das Wohl meiner Voltigeurs, auf das Wohl der Garde, auf das Wohl der ganzen Armee, welche die Bluethe des franzoesischen Volkes ist!" In raschen Zuegen leerte er das Glas bis auf den letzten Tropfen. "Es lebe der Kaiser. Es lebe der kaiserliche Prinz!" brauste ihm der Ruf der Soldaten entgegen. "Ich danke Euch, meine Tapferen," sagte der Kaiser, als nach einigen Minuten die Rufe der nahe herandraengenden Soldaten verstummt waren, "ich kenne Eure Ergebenheit fuer mich, ich weiss, dass Ihr gegen jeden Feind Frankreich und das Kaiserreich vertheidigen werdet. Frankreich und das Kaiserreich," fuegte er hinzu, der Kaiserin die Hand reichend, "deren edle und ruhmvolle Farben meine Gemahlin, die Mutter des kaiserlichen Prinzen, Eures Kameraden traegt." "Es lebe die Kaiserin!" riefen die Officiere, und die Soldaten stimmten in den Ruf ein. Dann gab Napoleon seiner Gemahlin wieder den Arm, die Officiere schlossen sich dem Gefolge an und umringten den kaiserlichen Prinzen, der ganz stolz und freudig in ihrer Mitte dahinschritt. Und so bewegte sich der Zug langsam durch die weiten Gallerien hin,--oft blieb der Kaiser stehen und redete diesen oder jenen mit der Tapferkeitsmedaille und dem Orden der Ehrenlegion decorirten Soldaten an, ihn fragend, wo er diese Ehrenzeichen erworben habe, und mit liebenswuerdigster Geduld den zuweilen etwas breiten und ausfuehrlichen Erzaehlungen der Soldaten zuhoerend. Fast eine Stunde dauerte der Umgang durch die Gallerien, immer fester wurde der Schritt des Kaisers, immer stolzer sein Blick, immer willenskraeftiger der Ausdruck seiner Gesichtszuege. Dicht umdraengt von den Soldaten, gruesste er endlich am Eingang der Gallerie noch einmal. Ein gewaltiges Vive l'Empereur durchzitterte die weiten Raeume, die Officiere verabschiedeten sich vom Kaiser, die Thueren schlossen sich, Napoleon entliess den kaiserlichen Prinzen, welcher sich mit dem General Frossard in seine Wohnung zurueckzog, und fuehrte dann die Kaiserin nach ihren Appartements zurueck. "Wenn Marie Antoinette es verstanden haette," sagte die Kaiserin leise zu ihrem Gemahl, "die Begeisterung der Soldaten zu erhalten und zu benutzen, so haette sie niemals den dornenvollen Weg vom Thron zum Schaffot zu gehen noethig gehabt." "Man muss aus den Beispielen der Geschichte lernen," erwiderte der Kaiser, "und die Fehler vermeiden, welche unsere Vorgaenger begangen haben." Am Eingang der Appartements der Kaiserin kuesste er seiner Gemahlin die Hand, gruesste mit artiger Verbeugung die Damen und begab sich mit dem General Castelnau nach seinem Cabinet zurueck. Als er dort angekommen war, rief er Pietri. Der Geheimsecretair trat schnell durch die Portiere, welche der Kaiser erhoben hatte, in das Cabinet ein. Napoleon ging einige Augenblicke nachdenkend auf und nieder. "Schreiben Sie sogleich an Gramont," sagte er dann, "sagen Sie ihm in kurzen Worten, dass ich entschlossen sei, ihm das Ministerium der auswaertigen Angelegenheiten zu uebertragen, und dass ich ihn bitte, sogleich hierher zu kommen. Ich wuensche, dass er vor seiner Abreise sich noch ausfuehrlich und definitiv mit dem Grafen Beust unterhalte und dessen Anschauungen ueber die verschiedenen Fragen und Eventualitaeten der europaeischen Politik moeglichst bestimmt constatire." Pietri verneigte sich. "Eure Majestaet sind also entschlossen?" fragte er. "Ich bin entschlossen," erwiderte der Kaiser,--"legen Sie mir morgen frueh den Brief zur Unterschrift vor,--jetzt will ich ruhen. Wenn irgend Etwas Aussergewoehnliches in Paris vorfaellt, soll man mich rufen. Gute Nacht," sagte er freundlich, indem er Pietri die Hand reichte. Dann bewegte er die Glocke. Sein Kammerdiener trat ein, folgte dem Kaiser, welcher sich in sein Schlafzimmer begab. Drittes Capitel. Der junge Cappei hatte sich in den ersten Tagen seines Aufenthalts im Hause seines Oheims zu Bodenfeld ganz den Erinnerungen seiner Jugend hingegeben, welche diese Umgebung so lebhaft in ihm erweckte. Er hatte in liebevoller Pietaet alle die Orte besucht, welche in dem Leben seiner Kindheit vorzugsweise bedeutungsvoll gewesen waren, und war erstaunt gewesen, wie klein und einfach ihm diese Plaetze alle erschienen, die doch in den Bildern seiner Erinnerung so gross und so schoen gewesen waren. Dennoch aber hatten alle diese Orte auch jetzt noch ihren Zauber auf ihn ausgeuebt, sie hatten die Empfindungen wieder erregt, welche seine kindliche Seele einst erfuellten, und welche, wenn sie nach langer Abwesenheit und selbst im hohen Alter wieder geweckt werden, immer ihre wunderbare und unvergaengliche Jugendfrische behalten. Er hatte einzelne seiner alten Gespielen besucht und war der Gegenstand der Neugier des ganzen Dorfes gewesen, denn die hannoeversche Legion in Frankreich, von welcher man so wenig regelmaessige und bestimmte Nachrichten erhielt, war in den Vorstellungen dieser einfachen Bauern fast zu einer Mythe geworden, von der nur geheimnissvolle und beinahe maerchenhafte Nachrichten herueber gedrungen waren, ueber welche man nun von dem in Fleisch und Blut hier erschienenen Mitgliede der Legion Naeheres zu hoeren hoffte. Cappei war sehr zurueckhaltend und vorsichtig in seinen Aeusserungen gewesen und hatte nur das Eine bestimmt bestaetigt, dass Alles zu Ende und die Sache des Koenigs nunmehr ein fuer allemal aufgegeben sei. Eine Mittheilung, welche bei den Meisten zwar eine gewisse wehmuethige Trauer, doch aber auch zu gleicher Zeit ein Gefuehl der Beruhigung verursachte, denn die das Land durchziehenden Agitatoren hatten selbst in den Kreisen dieser einfachen Landbevoelkerung eine unbehagliche Unsicherheit erzeugt und den Wunsch hervorgerufen, dass so oder so nun einmal ein Ende werden moege, damit man wisse, woran man sei. Der junge Cappei war mit seinem Oheim dann auf das Feld hinausgegangen, hatte sich von dem vortrefflichen Zustande der Felder ueberzeugt und gesehen, dass in den Zeiten seiner Abwesenheit die Wirthschaft bedeutende Fortschritte gemacht und das Besitzthum einen erhoehten Werth erhalten habe. Abends hatte er sich dann zu seiner Mutter und den alten Bauern hingesetzt und ihnen, die nicht muede wurden, zuzuhoeren, immer von Neuem von dem Leben in Frankreich erzaehlt--von dem Leben der Offiziere in Paris, wo er einige Male gewesen war, von dem Leben auf dem Lande, von den franzoesischen Soldaten, von der franzoesischen Feldwirthschaft. Und immer hatte er bei diesen Erzaehlungen den einen Punkt umgangen, der sein Herz erfuellte, der die Neugier seiner Mutter erregte und von dem sein Oheim in seinem einfachen practischen Sinn nicht das Geringste bemerkte. Dennoch beschaeftigte gerade dieser Punkt den jungen Mann auf das Lebhafteste und versetzte sein ganzes inneres Wesen in eine peinliche und schwankende Unruhe. Er hatte sich gleich am Tage nach seiner Ankunft unter dem Vorwande sich nach Mittag auszuruhen, in seinem Zimmer eingeschlossen und mit grosser Muehe einen nicht immer ganz orthographisch gehaltenen Brief an Fraeulein Luise Challier geschrieben, um ihr seine glueckliche Ankunft in der Heimath anzuzeigen und ihr zu sagen, dass er mit aller Liebe seines Herzens ihrer gedaechte und mit heisser Sehnsucht den Tag erwarte, an welchem er nach Ordnung seiner Angelegenheiten zu ihr zurueckkehren wuerde. Konnte er sich auch ganz gelaeufig muendlich in franzoesischer Sprache ausdruecken, so fand er seinen Brief, als er ihn geschrieben hatte, dennoch sehr ungenuegend, sehr kalt und steif, indess er hoffte, dass seine Geliebte zwischen den Zeilen das Alles lesen wuerde, was der Mangel an Gewandtheit des Ausdrucks ihn zu sagen verhinderte. Er hatte diese Hoffnung in einem Postscriptum ausgesprochen, dann seinen Brief sorgfaeltig verschlossen und sich am Abend mit einiger Muehe von seinem Oheim und seiner Mutter entfernt, um den Brief in den Kasten der Landpostexpedition zu werfen, welcher sich an dem Hause des Gewuerzkraemers des Dorfes befand, wobei er zu seinem Verdruss von mehreren Bekannten aufgehalten und beobachtet wurde. Von einem Tage zum andern hatte er sich dann vorgenommen, ueber seine Liebe und seine Zukunft zunaechst mit seiner Mutter und dann mit seinem Oheim zu sprechen. Indess immer wieder war er nicht dazu gekommen, immer wieder waren die Worte auf seinen Lippen stecken geblieben, obgleich er doch sonst nicht zu denen gehoerte, welche sich scheuen, das auszusprechen, was sie fuer nothwendig und richtig erkannt haben. Aber er fuehlte in seinem Innern einen Widerspruch streitender Empfindungen und sagte sich, dass das, was ihn schmerzlich und peinlich bewegte, seiner Mutter und seinem Oheim noch viel mehr Kummer bereiten muesste. Die alte Heimath, diese Erde, auf der er erwachsen war, dieses Haus, dieser Garten, diese Felder, um welche sich alle seine Erinnerungen rankten, zogen ihn mit unwiderstehlicher Macht an sich und schmerzlich schnuerte sich sein Herz bei dem Gedanken zusammen, dass er hierher zurueckgekehrt sei, nur um das Alles wieder zu verlassen. Es war, als ob jeder Baum, jede Blume ihn mit stillem Vorwurf anblickte, dass er dies ihm bestimmte Besitzthum, an welches sein Oheim, um es ihm reicher und bluehender zu hinterlassen, so viel Muehe und Fleiss gewendet habe, fremden Haenden ueberlassen solle, um im fernen Lande eine neue Heimath zu suchen. Auf der andern Seite fuehlte er in der Entfernung noch lebhafter und maechtiger die Macht der Liebe, welche ihn zu dem jungen Maedchen hinzog, dessen Umgang seine Verbannung so freundlich verklaert hatte;--wenn er die Augen schloss, so sah er ihr Bild vor sich in lebendiger Frische, er sah ihren seelenvollen Blick, es schien ihm, dass sie die Arme sehnsuechtig nach ihm ausstreckte und ihn fragte, wann er zu ihr zurueckkehren werde, um sie nicht mehr zu verlassen. Dieser Kampf zwischen der Anhaenglichkeit an die Heimath und die Liebe seines Herzens, der sich in seinem Innern bereits so schmerzlich fuehlbar machte, musste ja viel heftiger und peinlicher die Seele seiner Mutter bewegen, wenn sie erfahren wuerde, was mit ihrem Sohn vorgegangen und was fuer Zukunftsplaene er in sich truege; und erst sein Oheim, der alte Mann mit dem eigenwilligen Bauernsinn, der so fest mit der Scholle verwachsen war, auf welcher er geboren, die er gepflegt und gehuetet und welche ihm so reiche und dankbare Frucht fuer seine Muehe und Arbeit gegeben hat. Was wuerde er sagen bei dem Gedanken seines Neffen, dies Besitzthum, das ein Theil seines Selbst war, zu verlassen und in der Fremde sich eine Existenz zu gruenden. Die Grundlage der ganzen Lebensfassung des alten Bauern war. "Bleibe im Lande und naehre Dich redlich"--schon der Gedanke, eine Fremde, welche die Sprache der Heimath nicht verstaende, als Hausfrau in diesen Bauernhof einziehen zu sehen, musste dem Gefuehl des alten Bauern widersprechen. Was aber sollte er erst sagen, wenn er erfuehre, dass sein Neffe, den er mit so viel Stolz und Liebe wieder in den wirtschaftlichen Betrieb einfuehrte, nun um nimmer wiederzukehren, abermals in die weite Welt hinausziehen wolle. Alle diese Gedanken versetzten den jungen Mann in eine fieberhafte Unruhe. Er musste Klarheit in die Verhaeltnisse bringen, er musste das entscheidende Wort sprechen, und doch wusste er, dass dieses Wort die beiden Menschen, welche ihm durch die naechsten Bande auf Erden verknuepft waren, mit Schmerz und Bekuemmerniss erfuellen wuerde. So hatte er von einem Tage zum andern die Erklaerung hinausgeschoben. Seine peinliche Unruhe war noch vermehrt worden, als die Zeit voruebergegangen war, in welcher er eine Antwort auf seinen Brief an seine Geliebte erwarten konnte, ohne dass eine solche eingetroffen waere. Mit zitternder Ungeduld sah er dem Landbrieftraeger entgegen, wenn derselbe erschien, um die wenig zahlreichen Postsendungen an die Einwohner des Dorfes zu vertheilen. Einige Male hatte er es ueber sich vermocht, denselben zu fragen, ob er nichts fuer ihn habe, aber immer hatte er eine verneinende Antwort erhalten und in quaelender Sorge, in einer steigenden bangen Unruhe fragte er sich, welches der Grund dieses unerklaerlichen Schweigens seiner Geliebten sein koennte, die doch so fest versprochen hatte, ihm sogleich zu schreiben, sobald er sie von seiner Ankunft in der Heimath benachrichtigt haben wuerde. Endlich konnte er diesen Zustand widerstreitender Gefuehle und quaelender Sorge und Unruhe nicht laenger ertragen. Seine Mutter hatte ihn bereits mehrere Male mit freundlicher Theilnahme gefragt, was ihm fehle und ihn gebeten, es ihr zu sagen, wenn ihn ein Kummer bedruecke,--er hatte zum zweiten und dritten Male an Luise geschrieben, sie beschworen, ihm zu antworten oder durch ihren Vater ihm mitteilen zu lassen, wenn sie krank sei,--aber immer erfolglos. Der alte Brieftraeger hatte nur immer dieselbe Antwort auf seine Fragen,--dass nichts fuer ihn angekommen sei. Eines Morgens war sein Oheim allein auf das Feld gegangen, er war unter dem Vorwand einer notwendigen haeuslichen Arbeit zu Hause zurueckgeblieben,--fast aengstlich, mit aehnlichen Gefuehlen, wie einst als Knabe, wenn er irgend einen Fehltritt einzugestehen hatte, trat er in das Wohnzimmer, setzte sich neben den Lehnstuhl seiner Mutter und ergriff die Hand der alten Frau, indem er ihr halb fragend, halb bittend in die Augen sah, die Worte suchend, um die Gefuehle seines unruhigen, gedrueckten Herzens auszusprechen. Die alte Frau sah ihren Sohn freundlich und liebevoll mit ihren grossen, klaren Augen an. Sie hatte ruhig gewartet, sie wusste, dass der Tag kommen musste, an welchem sein Herz sich seiner Mutter oeffnen wuerde, die Stunde war da, sie war bereit, ihn anzuhoeren und sein Vertrauen mit all der selbstlosen Liebe zu erwidern, an welcher das muetterliche Herz so unerschoepflich reich ist. "Meine Mutter," sagte der junge Mann mit leicht zitternder Stimme, "ich bin ueberaus gluecklich gewesen, dass ich Sie und den Oheim, unser Dorf und das alte Haus wiedergesehen habe." Er hielt einen Augenblick inne. "Und wir nicht minder, mein Sohn," sagte die alte Frau, "dass wir Dich nach so langer Trennung hier wieder bei uns haben." Der junge Cappei schwieg einige Augenblicke, indem er sanft die welke Hand der alten Frau streichelte. "Ich bin aber doch," sagte er dann, "nicht gluecklich, wie ich es sonst bei Euch war, ich bin unruhig und habe lange die Gelegenheit gesucht, mit Euch allein zu sprechen, denn ich muss Euch Alles sagen, bevor ich mit dem Oheim darueber rede, der gleich so heftig und aufbrausend ist." Die alte Frau sah ihn mit glaenzenden, liebevollen Blicken an, sie fuehlte, dass jetzt der Augenblick gekommen sei, in welchem das Raethsel sich loesen muesse, sie sah die Befangenheit ihres Sohnes mit dem feinen Tact, welcher das Eigenthum der Frauen aller Staende ist,--sie musste ihm entgegenkommen. "Du hast liebe Freunde in Frankreich zurueckgelassen?" sagte sie. "Ach ja, Mutter," erwiderte er, "sehr liebe Freunde, sie sind Alle immer so gut gegen mich gewesen, und es wurde mir recht schwer, mich von ihnen zu trennen," fuegte er seufzend hinzu. "Sind es bloss Deine Freunde," fragte die Alte mit einem freundlichen, beinahe neckischen Laecheln, "oder hast Du auch Dein Herz dort gelassen, hast Du eine Geliebte in dem fernen Lande gefunden,--Du der Du hier so gleichgueltig gegen die huebschesten Maedchen unseres Dorfes warst?" Und mit muetterlichem Stolz strich sie das Haar aus der erroethenden Stirn ihres Sohnes, der halb verlegen, halb gluecklich darueber, dass seine Mutter ihm auf halbem Wege entgegenkam, zu ihr aufsah. "Ja," rief er, indem er ihre Hand so heftig drueckte, dass sie leise zusammenzuckte, "ja, ich habe dort eine Geliebte gefunden, sie ist so gut und so treu, wie nur irgend ein Maedchen aus der Heimath es sein kann und dabei ist sie doch so anders wie sie hier sind. Und so schoen, Mutter, oh, so schoen," rief er schnell aufbringend, die alte Frau stuermisch umarmend, "so schoen, wenn Sie sie sehen wuerden, Sie wuerden sie auch lieben, und sie ist so sanft, sie wuerde Ihnen eine zaertliche und gehorsame Tochter sein,--sie, die selbst keine Mutter mehr hat, bei ihrem Vater aufgewachsen ist, die leitende Hand der Mutter schmerzlich entbehrend, wie sie mir so oft gesagt hat." Die alte Frau ordnete die Baender ihrer Haube, welche durch die stuermische Umarmung ihres Sohnes etwas zerknittert waren. Mit freundlichem, zufriedenem Schmunzeln sah sie den gluehend erregten jungen Mann an und sagte: "Nun das ist ja eine gute Nachricht, und ich begreife nicht, warum Du mir das nicht frueher mitgetheilt hast; Du bist ja laengst in dem Alter, Dich zu verheirathen, Du kannst eine Frau ernaehren,--dass Deine Wahl auf keine Unwuerdige gefallen, davon bin ich ueberzeugt. Ich werde aelter und aelter, und der Hof hier bedarf einer jungen und ruestigen Hausfrau." Ihr Sohn blickte truebe zu Boden. "Das ist es ja eben, Mutter," sagte er mit leiser Stimme, "was mir so viele Sorge gemacht und mir so lange den Mund verschlossen hat. Ich weiss, wie Sie und namentlich der Oheim an dem Hof und an der Heimath haengen und nun--sehen Sie, meine Braut haengt eben so sehr an ihrer Heimath, sie ist die einzige Tochter ihres Vaters, die Erbin seines Geschaefts, eines grossen Holzhandels, und sie wuenscht so dringend, dass ich zu ihr nach Frankreich kommen moechte, um dort das Geschaeft ihres Vaters zu uebernehmen und fortzufuehren,--ich habe ihr das auch versprochen," fuhr er ohne aufzublicken fort,--"als ich bei ihr war, schien mir das so leicht, und nun ich wieder hierher gekommen bin, nun ich wieder unter Euch lebe, nun ich wieder den alten Garten und die alten Felder sehe, da fuehle ich," sagte er mit zitternder Stimme, "wie schwer es Ihnen werden muesste, mit mir fortzuziehen in ein fremdes Land oder hier zu bleiben,--durch weite Entfernungen von mir getrennt." Die Alte sah einen Augenblick schmerzlich bewegt vor sich nieder, sie strich langsam die Falten ihrer weissen Schuerze glatt, als wolle sie ihre Gedanken und Gefuehle ordnen und glaetten wie diese Falten. Dann legte sich ein heiteres und ruhiges Laecheln um ihre Lippen, freundlich, beinahe stolz und gluecklich sah sie ihren Sohn an und sagte. "Gott fuegt die Schicksale der Menschen nach seinem Wohlgefallen und hat schon Manchen aus dem Lande seiner Vaeter fort gefuehrt, um ihn sein Glueck in der Ferne finden zu lassen. Es steht geschrieben, dass der Mann Vater und Mutter verlassen wird, um seinem Weibe zu folgen, zu dem sein Herz ihn hinzieht, aber," fuhr sie fort, ihm die Hand reichend, "Deine Mutter wird ihren Sohn nicht verlassen, und wenn Du eine alte schwache Frau mit Dir nehmen willst, die wenn sie nichts mehr fuer Dich thun kann doch Tag und Nacht fuer Dein Glueck beten wird, so bin ich bereit, mit Dir in die Ferne zu ziehen, da wo Du gluecklich bist, wo Du Deine Heimath findest, da werde ich auch in fremder Erde sanft ruhen. Gott segne Dich, mein Sohn, und Diejenige, zu welcher Dein Herz Dich hinzieht." "Oh, Mutter," rief der junge Mann, indem er zu den Fuessen der alten Frau auf die Knie niedersank und wie in der fernen gluecklichen Kinderzeit sein Haupt auf ihren Schooss legte, "wie danke ich Ihnen fuer dieses Wort, das eine schwere, schwere Last von meinem Herzen nimmt." Einige Augenblicke blieb er so schweigend und unbeweglich, waehrend sie mit den welken, zitternden Haenden ueber sein volles Haar hinstrich. Dann erhob er den Kopf und sah sie sorgenvoll und fragend an. "Aber der Oheim," fragte er, "was wird er dazu sagen?" "Das wird einen harten, schweren Kampf kosten," sagte die alte Frau, den Kopf schuettelnd, "er wird sich so leicht nicht von hier trennen und so leicht auch nicht damit einverstanden sein, dass Du die alte Heimath verlaessst--aber," sagte sie dann laechelnd nach einigen Augenblicken des Nachdenkens, "der Oheim hat ein gutes, weiches Herz, er liebt Dich wie seinen eigenen Sohn, und wenn er sich ueberzeugt, dass diese Verbindung Dein Glueck ist, so wird auch er zuletzt seine Zustimmung nicht versagen. Lass mich das nur machen, sage Du ihm nichts, ich verstehe ihn zu behandeln, wenn er sieht, das es Dein Ernst ist, so wird er die Reise nicht scheuen, um sich selbst von Allem zu ueberzeugen, und wenn sich Alles gut fuegt, so koennt Ihr ihn ja jedes Jahr hier besuchen, so lange er noch die Kraft hat, seine Wirtschaft zu fuehren--wer weiss, ob er sich dann nicht auch entschliesst, die Menschen und die lebendige Liebe seiner Kinder hoeher zu stellen, als dieses Haus, und diesen Hof. Wenn er auch Alles aeusserlich ruhig hinnimmt und wenig spricht, so weiss ich doch, dass die neuen Verhaeltnisse hier im Lande ihm wehe thun und ihm den Aufenthalt hier verleiden. Ueberlass das der Zeit, mein Sohn, und dem lieben Gott, der Alles nach seiner Weisheit fuegen wird. Zuerst aber lass mich die Sache dem Oheim mittheilen, ich werde den ersten Sturm seiner Heftigkeit schon auszuhalten wissen." "Doch nun, Mutter," sagte der junge Mann, indem ein Ausdruck tiefer Traurigkeit auf seinem Gesicht erschien, "muss ich Euch noch etwas sagen, das mir vielen Kummer macht, so grosse Hoffnungen mir auch Eure liebevollen und freundlichen Worte gegeben haben,--ich habe," fuhr er fort, "gleich nach meiner Ankunft hier an meine Braut geschrieben,--ich habe nochmal und nochmal geschrieben, aber bis jetzt habe ich keine Antwort erhalten,--und sie muss doch wissen, wie sehr ich mich nach einem Lebenszeichen, nach einem Gruss von ihr sehne, und waere es nur eine Zeile, nur ein Wort, das mir eine Botschaft ihrer Liebe braechte--aber nichts, gar nichts,"--sagte er mit schmerzlich zitternder Stimme. "Was kann das bedeuten, ich habe sie gebeten, wenn sie krank waere, mir durch ihren Vater Nachricht geben zu lassen,--ich weiss nicht, was ich davon sagen soll," fuegte er traurig den Kopf schuettelnd hinzu. "Bist Du der Liebe Deiner Erwaehlten ganz sicher," fragte die Alte, "kannst Du ihrer Treue und Bestaendigkeit vertrauen,--oder kannst Du Dir irgend eine Veranlassung denken, durch welche sie verhindert sein koennte, Dir Nachricht zu geben." "Oh," rief der junge Mann mit lauter Stimme, den Blick voll gluehender Begeisterung auf seine Mutter richtend, "ich bin ihrer sicher, wie meiner selbst! Sie ist treu wie Gold, auf ihr Wort wuerde ich Haeuser bauen. Auch kann keine aeussere Veranlassung sie abhalten,--ich habe mit ihrem Vater gesprochen, er hat unserer Verbindung seinen Segen gegeben, sie konnte offen und ohne Scheu an mich schreiben und dennoch, dennoch," sagte er, wieder finster zu Boden blickend, "keine Nachricht trotz aller meiner Bitten, keine Antwort,--oh, es muss ein grosses Unglueck geschehen sein, sie muss sehr krank oder todt sein, und ihr Vater wagt es nicht, mir diese schmerzvolle Nachricht zu geben." "Sei ruhig, mein Sohn" sagte die Alte, "bei einer so weiten Entfernung kann ja alles Moegliche geschehen, wie leicht kann ein Brief verloren gehen--Alles wird sich aufklaeren,--sei ruhig,--wenn Du sie kennst und ihres Herzens sicher bist, so darfst Du Dich nicht in unnuetzer Unruhe aufregen. Du hast ja jetzt mich, Deine Mutter, in deren Herz Du alle Deine Sorgen ausschuetten kannst. Lass mich erst mit Deinem Oheim sprechen. Vielleicht," sagte sie, wie von einem Gedanken erfasst, "erwartet ihr Vater erst die bestimmte Mittheilung von der Einwilligung Deiner Angehoerigen, bevor er ihr erlaubt, zu schreiben,--ja, ja," sagte sie, "so wird es sein; und ich muss sagen," fuhr sie immer zuversichtlicher und heiterer fort, "ich wuerde ihrem Vater ganz Recht geben,--er weiss ja nichts von Deiner Familie, und Du hast ihm auch noch nicht sagen koennen, dass dieselbe mit Deiner Wahl einverstanden ist." "Ja" sagte der junge Mann sinnend, "so koennte es sein--das waere moeglich"--und wie getroestet durch den von seiner Mutter angeregten Gedanken, richtete er sich empor und ging einige Male im Zimmer auf und nieder. "Ich will es Ihnen ganz ueberlassen, Mutter," sagte er dann, "mit dem Oheim zu sprechen. Ich weiss ja, Sie werden es viel besser und geschickter machen, als ich,--aber nun erlauben Sie mir auch, meiner Geliebten sogleich zu schreiben, dass Sie wenigstens mit meiner Wahl einverstanden sind. Und nicht wahr," fuegte er schmeichelnd ueber das Gesicht der alten Frau streichelnd, hinzu, "Sie werden einige freundliche Worte unter meinen Brief schreiben--sie versteht zwar nicht deutsch, aber sie wird schon Jemanden finden, der ihr das uebersetzt, und dann wird ihr Vater sehen, dass auch hier Alles in Ordnung ist, und wird ihr erlauben, mir zu antworten." Die alte Frau versprach ihm laechelnd, seiner Geliebten zu schreiben, und dann setzte er sich zu ihr und plauderte lange mit ihr, und er erzaehlte von seiner Geliebten, ihren schoenen treuen Augen--ihrer suessen Stimme, von dem alten Hause in St. Dizier, von den kreidereichen Weinbergen der Champagne und von den gruenen Ufern der Marne,--er malte ihr so glueckliche freundliche Bilder der Zukunft aus, wie sie dort bei ihm leben wuerde, wie seine Luise sie pflegen und wie sie dann die kleinen Enkel hueten und erziehen wuerde, dass die alte Frau ganz selig und stolz sich mit ihm in diese lieblichen Zukunftstraeume vertiefte. * * * * * Wieder waren dann mehrere Wochen vergangen, er hatte seinen Brief mit der Nachschrift seiner Mutter abgesendet. Die Alte hatte dann mit ihrem Bruder ueber die Sache gesprochen. Es hatte einen grossen Sturm gegeben. Der alte Niemeyer war einige Tage in finsterm Brueten schweigend einher gegangen, dann hatte er heftig gescholten ueber junge Leute, die auf Abenteuer hinauszoegen in ferne Laender und den Sinn und die Liebe fuer die Heimath verloeren,--der junge Cappei hatte, dem Rath und dem Wink seiner Mutter folgend, das Alles schweigend und ohne Erwiderung mit angehoert; er hatte Abends die beiden alten Leute allein gelassen, und dann hatte seine Mutter in ihrer Weise mit ihrem Bruder gesprochen, sicher dass trotz seines Scheltens und Grollens ihre Worte den Weg zu seinem Herzen fanden. Endlich hatte er seinen Neffen gerufen, ihn ausfuehrlich und scharf inquirirt ueber die Familie seiner Geliebten, ueber das Geschaeft und Vermoegen ihres Vaters, und die klaren, scharfen und bestimmten Antworten des jungen Mannes, welche ihm ueber das Alles so befriedigende Auskunft gaben, hatten augenscheinlich dazu beigetragen, ihn zu beruhigen und ihn die ganze Sache in einem freundlicheren und milderen Licht ansehen zu lassen. Dann als nochmals einige Tage vergangen waren, hatte er allmaehlig angefangen,--wenn auch noch immer murrend und scheltend,--ueber die Zukunftsplaene des jungen Mannes zu sprechen. Er hatte sogar die Absicht angedeutet, trotz seines Alters und seiner Schwerfaelligkeit, die Reise nach Frankreich zu machen und mit dem alten Herrn Challier, vor dessen ausgedehntem Geschaeft ihm die Mittheilungen seines Neffen einen grossen Respect eingefloesst hatten, selbst ueber die Angelegenheit sich zu berathen. So weit war Alles gut, und die alte Frau lebte und webte schon in dem Gedanken an die glueckliche Zukunft ihres Sohnes und ihrer kuenftigen Schwiegertochter, welche sie bereits mit aller muetterlichen Zaertlichkeit liebte, obgleich sie sie nie gesehen. Aber der junge Cappei wurde immer ernster und trauriger, denn auch auf den Brief, welchen er mit der Unterschrift seiner Mutter abgesandt hatte, war keine Antwort erfolgt, und mit jedem Tage wurde die Qual des dumpfen Wartens angstvoller und peinlicher, und immer tiefer schnitten die misstrauischen Fragen seines Oheims in sein von banger Unruhe gequaeltes Herz. Endlich konnte er diesen Zustand nicht laenger ertragen, und er kuendigte den beiden alten Leuten seinen Entschluss an, selbst nach Frankreich zu reisen und den Grund dieses unerklaerlichen Schweigens zu erforschen. Seine Mutter billigte den Entschluss, denn das Leiden ihres Sohnes erfuellte sie mit tiefem Mitgefuehl,--auch der alte Niemeyer hatte nichts dagegen einzuwenden, sein practischer Sinn verlangte eine Abaenderung dieses Zustandes der Ungewissheit, und im Stillen hoffte er, dass sein Neffe an Ort und Stelle irgend ein Hinderniss faende, welches diese Sache, die so stoerend in seinen Lebenskreis eintrat, ein fuer allemal beenden moechte. Der junge Cappei traf also seine Vorbereitungen zur Abreise, welche nur in der Ordnung seines geringen Gepaecks bestanden und begab sich eines Morgens auf das Amtshaus, um der von ihm uebernommenen Verpflichtung gemaess dort um die Erlaubniss zu seiner Reise nachzusuchen und sich einen Urlaubspass zu erbitten. Der Amtsverwalter empfing den jungen Mann sehr ernst und hoerte schweigend sein Gesuch an. "Sie wollen nach Frankreich gehen," sagte er--"welchen Zweck hat Ihre Reise." Cappei zoegerte einen Augenblick. "Ich bitte Sie, ganz aufrichtig zu sein," sagte der Beamte,--"Sie befinden sich in einer besonderen Lage, und jede ausweichende Antwort koennte Ihnen nur nachtheilig sein." "Ich habe keinen Grund, meine Absicht zu verheimlichen," sagte der junge Mann--"ich habe eine Braut in Frankreich und wuensche dort die zu unserer Verbindung noethigen Vorbereitungen persoenlich zu besprechen." "Sie sind landwehrpflichtig," sagte der Amtsverwalter, "und es thut mir leid, dass ich im Hinblick auf ihre Vergangenheit Ihnen die nachgesuchte Erlaubniss nicht ertheilen kann." "Ich verspreche," sagte der junge Mann erbleichend, "meine Adresse hier zu lassen und jedem Ruf sofort Folge zu leisten. Auch wird ohnehin meine Abwesenheit nicht lange dauern, ich werde in spaetestens vierzehn Tagen wieder hier sein." "Ich kann," erwiderte der Beamte, "auch trotz dieses Versprechens Ihnen die Erlaubniss zur Reise und einen Pass nicht geben,--jedenfalls nicht ohne hoehere Genehmigung." Ein Ausdruck finsterer Entschlossenheit erschien auf dem Gesicht Cappei's, es schien, dass er etwas sagen wollte, doch schwieg er und wandte sich mit kurzer Verbeugung um, um das Zimmer zu verlassen. Der Amtsverwalter hatte ihn forschend angeblickt. "Bleiben Sie," rief er in strengem Ton. Cappei wendete sich erstaunt um und wartete. "Da Sie mir den Wunsch ausgesprochen haben, den Ort zu verlassen," sagte der Beamte, "und da ich befuerchten muss, dass Sie bei der Verweigerung des Urlaubs heimlich abreisen moechten, so sehe ich mich gezwungen, Sie zu verhaften." "Mich zu verhaften," rief Cappei mit bebenden Lippen, indem eine toedliche Blaesse sein Gesicht ueberzog, "und warum?" Der Beamte klingelte, ein Amtsdiener trat herein. "Der fruehere Dragoner Cappei ist Arrestant, er wird einstweilen hier im Amtsgefaengniss bleiben, bis weitere Bestimmung ueber ihn getroffen ist. Ich will sogleich ein erstes und vorlaeufiges Verhoer mit ihm vornehmen." Der junge Mann stand wie niederschmettert da, seine Gedanken verwirrten sich, er konnte keine Erklaerung fuer diesen Schlag finden, der ihn so unerwartet traf. Der Beamte zog ein Actenstueck aus seinem Schreibtisch hervor, oeffnete dasselbe, faltete dann einen Bogen Papier und ergriff eine Feder, bereit das Protocoll aufzunehmen. "Haben Sie," fragte er, sich an Cappei wendend, "seit ihrem Aufenthalt hier mit Personen in Frankreich in Verbindung gestanden und mit demselben correspondirt?" "Ich habe keine Verbindung dort," erwiderte Cappei, "als diejenige mit meiner Braut, welche besuchen zu duerfen, ich soeben um Erlaubniss bat, ich habe mit Niemanden correspondirt, als mit ihr, aber zu meiner tiefen Betruebniss keine Nachricht von ihr erhalten." Der Beamte nahm mehrere beschriebene Blaetter aus dem ihm vorliegenden Actenstueck und fragte, indem er Cappei winkte, naeher heranzutreten. "Kennen Sie diese Briefe?" Der junge Mann warf einen Blick auf die Papiere, er zuckte zusammen, ein fast convulsivisches Zittern erschuetterte seine Gestalt. "Es sind die Briefe, welche ich an meine Braut geschrieben," rief er mit bebender Stimme. "Sie erkennen also an, dass diese Briefe von Ihrer Hand geschrieben sind?" "Gewiss," rief Cappei, den starren Blick fortwaehrend auf die Briefe gerichtet, welchen er einen nach dem andern glaubte abgesendet zu haben, und in welchem er immer dringender und sehnsuchtsvoller um Nachrichten gebeten hatte. "Sie behaupten also," fuhr der Beamte fort, "dass diese Briefe wirklich an ein junges Maedchen gerichtet sind, und dass der Inhalt derselben keinen anderen Sinn hat, als den, welchen die Worte ausdruecken." "Welchen anderen Sinn koennte er haben?" rief Cappei, entsetzt vor diesem Raethsel stehend, das sich da so ploetzlich vor ihm erhob. "Man hat Beispiele," sagte der Beamte, "dass scheinbar unverfaengliche Worte eine andere vorher verabredete Bedeutung haben, oder dass sie durch darauf gelegte Papierausschnitte in anderer Reihenfolge erscheinen. Doch das wird sich finden," fuhr er fort. Dann nahm er einige andere Blaetter und hielt dieselben dem jungen Manne vor. "Kennen Sie diese Handschrift?" "Nein," rief Cappei, auf die ihm voellig fremden Schriftstuecke blickend. "Dennoch," sagte der Beamte, "sind diese Briefe hier unter Ihrer Adresse angekommen, und sie enthalten sehr bestimmte und compromittirende Fragen, Auftraege ueber Truppendislocationen und politische Verhaeltnisse Nachricht zu geben. Sie werden einsehen, dass das Alles sehr verdaechtig ist und dass der auf Ihnen ruhende Verdacht durch Ihren Wunsch, jetzt nach Frankreich zu reisen, nur verstaerkt werden kann. Ich muss das Resultat meiner polizeilichen Beobachtung, zu welcher meine Pflicht mich Ihnen gegenueber zwang, nunmehr an die Untersuchungsrichter uebergeben und kann Sie nur noch darauf aufmerksam machen, dass ein offenes Gestaendniss Ihre Lage nur verbessern kann,--wenn Sie nicht im Stande sind, sogleich eine genuegende Erklaerung zu geben." Der junge Mann starrte noch immer unbeweglich auf die ihm vorgelegten Papiere. "Tragen diese Briefe eine Unterschrift?" fragte er. "Nein," sagte der Beamte, "solche Correspondenzen pflegt man nicht zu unterschreiben, da der Absender dem Empfaenger doch genuegend bekannt ist," fuegte er mit leichtem ironischen Laecheln hinzu. "Mein Gott, sollte es moeglich sein," rief Cappei, indem eine gluehende Roethe sein Gesicht ueberflog, "ich erinnere mich, einmal ein Billet von diesem Vergier gelesen zu haben,--sollte es moeglich sein,--sollte er--" "Junger Mann," sagte der Beamte mit ernstem Ton, durch welchen ein gewisses Mitleid hindurchklang, ich will glauben, dass Sie irre geleitet sind, und dass Ihre Ergebenheit fuer Ihren Koenig von gewissenlosen Agenten gemissbraucht ist. Sagen Sie offen und ehrlich Alles, was Sie ueber die Sache wissen,--ich wiederhole Ihnen, es ist der einzige Weg, um Sie vor scharfer Strafe zu schuetzen. "Herr Amtmann," rief Cappei in verzweiflungsvollem Ton, "ich muss glauben, dass hier eine niedertraechtige Bosheit veruebt worden ist, um mich von meiner Geliebten zu trennen. Ich schwoere Ihnen, ich weiss von nichts,--ich bin mir keiner Schuld bewusst, ich habe keine Ahnung von diesen Briefen, und die Schreiben von mir, welche Sie da vor sich haben, enthalten keinen verborgenen Sinn." Der Beamte schien betroffen von dem Ton der Wahrheit in den Worten des jungen Mannes. "Ich will in Ihrem Interesse wuenschen," sagte er, "dass es so ist, wie Sie sagen, und dass Sie Ihre Unschuld beweisen koennen. Indess die Indicien erscheinen zu gravirend, und die Agitationen, um die es sich hier handelt, sind zu staatsgefaehrlich, als dass ich es verantworten kann, Sie in Freiheit zu lassen. Ich will indess Anordnungen treffen, dass Sie gut behandelt werden, und dafuer sorgen, dass Ihre Sache so schnell als moeglich untersucht wird. Denken Sie genau ueber Alles nach und bedenken Sie, dass die groesste Offenherzigkeit in Ihrer Lage das Beste ist. Fuehren Sie den Arrestanten ab," sagte er, zu dem Amtsdiener gewendet. In dumpfem Schweigen liess sich der junge Mann nach dem in einem Seitenfluegel des Amtshauses befindlichen Arrestlocal fuehren. Er bat den Amtsdiener nur noch, seinem Oheim und seiner Mutter Nachricht von seiner Verhaftung zu geben und warf sich dann in dumpfer Verzweiflung auf das einfache Bett mit einer Strohmatratze, welche nebst einem hoelzernen Tisch das ganze Ameublement des Zimmers ausmachte, dessen Fenster mit Eisenstaeben vergittert waren und vor dessen Thuer sich klirrend der schwere Riegel schob, der ihn von der Freiheit und von allen seinen Zukunftstraeumen und Hoffnungen trennte. Viertes Capitel. Wochen waren seit dem Plebiscit verflossen, die grosse Mehrzahl des franzoesischen Volkes hatte sich in ihrem Votum aufs Neue fuer das Kaiserreich und die neue Verfassung desselben erklaert,--die Elemente des Aufruhrs, welche einen Augenblick ihr Haupt aus den finsteren Vorstaedten von Paris erhoben, hatten sich wieder in ihre dunklen Schlupfwinkel zurueckgezogen, die unbequemen Mitglieder des Cabinets waren entfernt, der Herzog von Gramont war von Wien gekommen und hatte das Portefeuille der auswaertigen Angelegenheiten uebernommen, und der Kaiser sah sich umgeben von lauter Maennern, welche sowohl dem Prinzip seiner Regierung, als ihm persoenlich vollkommen ergeben waren, und welche er, wenn er sich die Muehe geben wollte, leicht und vollstaendig nach seinem Willen zu lenken im Stande war. Alles schien vortrefflich geordnet und glaenzend befestigt. Der kaiserliche Hof hatte sich nach Fontainebleau begeben, es fanden dort jene reizenden, kleinen Gartenfeste Statt, welche die Kaiserin mit ihrem intimen Cirkel so ausgezeichnet zu arrangiren verstand. Die Zeitungen beschaeftigten sich im Ganzen wenig mit der Politik. Sie berichteten ueber die Toiletten der Damen bei den Soireen a la Watteau, welche unter dem tiefen Schatten der Baeume des Parks von St. Cloud Statt fanden. Sie erzaehlten mit hoher Befriedigung, dass die Gesundheit des Kaisers ganz vortrefflich sei und dass Seine Majestaet Napoleon III in seinem kleinen Privatgarten in St. Cloud mit ganz besonderem Eifer sich mit der Cultur der Rosen beschaeftige und nahe daran sei, das grosse Problem der Horticultur zu loesen und eine schwarze Rose zu erzielen. Die Zeit der Villeggiaturen begann, Graf Bismarck ritt in Varzin spazieren, Seine Majestaet der Koenig Wilhelm badete in Ems, und der Kaiser Napoleon mit einer blauen Schuerze und einer grossen Scheere in der Hand, pflegte seine Rosen im Garten von St. Cloud. Der Genius des tiefen Friedens hatte sich ueber Europa herabgesenkt, die Zeitungsredacteure und Correspondenten in allen Hauptstaedten der Welt konnten trotz des sorgfaeltigsten Spuerens an dem blauen Sonnenhimmel der Politik kein Woelkchen entdecken, aus welchem sich irgend eine meteorologische Combination haette machen lassen,--und die Berichte der Zeitungen waren wahr. Denn an einem schoenen, glaenzenden Sommermorgen haetten diejenigen, welche in das abgeschlossene Innere der Sommerresidenz von St. Cloud zu blicken im Stande gewesen waeren, den Kaiser Napoleon in der That sehen koennen, wie er, einen breiten Strohhut auf dem Kopf, von seinem Gaertner begleitet, zwischen den Rosenbeeten umherging, und mit liebevoller Sorgfalt alle diese Straeucher und Staemme musterte, auf denen so viel gestaltig und verschieden farbig die Koenigin der Blumen ihre Bluethen entfaltete. Er pruefte genau jeden Stock und jeden Zweig, er schnitt jede welkende Bluethe und jedes trocknende Blatt ab, Alles in ein Koerbchen werfend, das der Gaertner trug und sorgfaeltig darueber wachend, dass kein gelbes Blatt auf den reinen Kies der Gaenge fiel. Er forschte sorgfaeltig nach dem Mehlthau, diesem boesen Feinde der Rosen und blies, wenn er etwas davon entdeckte, den Dampf seiner grossen braunen Havannacigarre auf die kleinen Milben, vergnuegt zusehend, wie dieselben betaeubt zu Boden fielen. Bei allen diesen Operationen musste er sich oft zu den kleinen Straeuchern herunterbuecken, oft sich neben den hohen und schlanken Staemmen auf die Spitzen der Zehen erheben, wodurch zuweilen sehr complicirte und schwierige Stellungen hervorgerufen wurden, in denen die kleine, von dem grossen Panamastrohhut ueberdachte Gestalt des Kaisers fuer alle Diejenigen einen sehr befremdenden und erstaunlichen Eindruck gemacht haben wuerde, welche gewohnt waren, ihn von den Hundertgarden umgeben bei den grossen Truppenrevuen oder bei den grossen Empfaengen in den Tuilerien inmitten der Grosswuerdentraeger unter dem kaiserlichen Thronhimmel stehen zu sehen. Aber das Gesicht des Kaisers war hier, wenn er klein zusammengebueckt vor einer Zwergrose sass, oder wenn er sich mit Muehe zu einer hochstaemmigen Centifolie emporhob, unendlich heiterer und gluecklicher, als in jenen Augenblicken der glaenzenden, kaiserlichen Repraesentation, sein sonst so undurchdringlich verschleierter Blick ruhte hier frei und klar auf den Pflanzen und Bluethen, diesen ewig jungen Kindern der stets sich erneuenden Natur, seine Lippen laechelten und auf seinem welken, von den Linien des Alters bereits tief durchfurchten Gesicht lag der Schimmer einer natuerlichen, fast kindlichen Heiterkeit. Er war hier der Mensch, der seine Freude hatte an dem, was alle Menschenherzen erfreut hat, seit das Schoepfungswort Gottes allerlei Kraeuter und Blumen auf der zwischen Licht und Finsterniss gestellten Erde erwachsen liess, und alle Diejenigen, welche den Kaiser hassten und bekaempften im grossen Ringen des politischen Lebens, sie waeren hier vor dem Menschen entwaffnet gewesen,--denn nur ein guter Mensch kann sich in seinem Herzen die kindlich reine Freude an der einfachen Natur bewahren. Der Kaiser blieb vor einem mittelgrossen Stamm stehen, aus dessen dunkelgruenen Blaettern Knospen mit tief dunklen Spitzen hervorragten. Der Kaiser betrachtete sorgfaeltig pruefend diese Knospen, die alle noch geschlossen waren, vorsichtig die Zweige auseinander biegend, suchte er nach, ob nicht irgend eine sich bereits geoeffnet habe. Ploetzlich stiess er einen leichten Schrei aus. An der anderen Seite des kleinen Baumes, welche dem Morgensonnenlicht zugewendet war, entdeckte er eine halb erschlossene Bluethe, deren tief dunkle Blaetter so eben die Umhuellung gesprengt hatten. "Ah," sagte er, indem er mit der Hand dem Gaertner winkte, welcher rasch herzutrat, "da ist die Loesung meines Problems, die Bluethe ist erschlossen und"--er blickte ganz enttaeuscht und niedergeschlagen auf die Blume. Die dunklen Blaetter derselben, welche beim ersten Anblick schwarz erschienen waren, schimmerten im Strahl des darueber hin streifenden Sonnenlichts in einem sehr deutlichen Purpurblau. "Die Rose ist blau," sagte der Kaiser, indem er vorsichtig die Bluethe erfasste und sie hin und her wendete. Aber von welcher Seite auch der Strahl der Sonne darauf fallen mochte, immer zeigte sich der blaue Glanz. Der Gaertner laechelte mit einer gewissen Miene der Ueberlegenheit. "Ich habe es Eurer Majestaet immer gesagt," sprach er, "dass es Ihnen niemals gelingen wird eine schwarze Rose zu ziehen. Die Natur hat die schwarze Farbe nicht, und so sehr sich auch die verschiedenen Farben immer mehr und mehr verdunkeln moegen, es wird Ihnen doch niemals gelingen, sie bis zum wirklichen Schwarz zu bringen." "Aber man hat doch die schwarze Farbe in der Thierwelt," sagte der Kaiser. "Das Haar des Menschen ist schwarz, das Gefieder so manchen Vogels"-- "Ich glaube, dass Eure Majestaet sich taeuschen," sagte der Gaertner kopfschuettelnd, "Alles das ist nicht schwarz,--es sind nur tiefe Schattirungen irgend einer anderen Farbe, deren Grundton Sie im Sonnenlicht leicht erkennen koennen. Die wirklich schwarze Farbe kommt in der Natur nicht vor, sie kann nur von Menschen kuenstlich geschaffen werden." Der Kaiser liess die Bluethe los. Sein bisher so heiteres Gesicht wurde ernst, seine Augen verschleierten sich, truebe blickte er vor sich nieder. "Die Natur schafft die schwarze Farbe nicht," sagte er--"das menschliche Herz ist auch eine Schoepfung dieser Natur, und doch ist die Sorge so schwarz, welche dieses Menschenherz erfuellt,--die Menschen muessen kuenstlich die schwarze Farbe schaffen,----sind alle die Sorgen, die uns quaelen, nicht auch kuenstliche Schoepfungen einer der reinen und heiteren Natur entfremdeten Welt,--aus den wir uns dennoch nicht losmachen koennen," fuegte er seufzend hinzu, "um wieder zur Reinheit und Freiheit der Natur zurueckzukehren,--einer Welt, aus der uns nur der Tod hinausfuehrt, der uns mit dem letzten und tiefsten Schwarz bedeckt----werden wir dahinter," sprach er tief sinnend weiter, "eine neue Welt voll Licht und Farbenglanz finden, oder wird dieser letzte schwarze Grund fuer immer alles Licht und alle Farben aufsaugen?" Er stand noch einige Augenblicke in schweigendem Nachdenken, dann nahm er seine blaue Schuerze ab, reichte dieselbe mit der Scheere, deren er sich zum Schneiden der Zweige bedient hatte, dem Gaertner,--gruesste denselben freundlich mit der Hand und warf noch einen langen wehmuethigen Blick ueber seinen bluehenden Rosengarten,--dann wandte er sich schnell um und stieg die Stufen hinauf, welche ihn in sein Zimmer fuehrten. All das helle Licht, welches ihn im Garten umgeben hatte, all die freundliche Heiterkeit, welche ihn dort erfuellt hatte, schien wie verschwunden zu sein. Ernst und sorgenvoll trat er zu seinem Schreibtisch, auf welchem Pietri am Morgen die zu des Kaisers eigener Durchsicht bestimmten Correspondenzen gelegt hatte und liess sich in dem davor flehenden tiefen Lehnstuhl von Rohrgeflecht mit einem laenglich runden Sitzkissen nieder. "Die gluecklichen Augenblicke des Tages sind vorueber," sagte er, "die Sorge tritt wieder in ihr Recht und trotz des Anscheins von Ruhe und Sicherheit, welche Frankreich und die Welt heute darbietet, stehe ich heute mehr als je vor ungeloesten Fragen der Zukunft. Dieses Deutschland consolidirt sich," sagte er, "Oesterreich schwankt und trotz aller guten Dispositionen des Koenigs Victor Emanuel wendet sich die oeffentliche Stimmung in Italien mehr und mehr von mir ab, so dass es schwer sein wird, eine Allianz mit dieser Macht, welche ich geschaffen habe, zu schliessen. Und selbst wenn es gelaenge," fuhr er fort, "wuerde eine solche Allianz im Augenblick einer entscheidenden Action--im Augenblick der Gefahr vielleicht--gehalten werden? Die meisten Sorgen aber," sagte er nach einigen Augenblicken, "machen mir diese spanischen Angelegenheiten, die Candidatur des Herzogs von Montpensier wird eifrig betrieben und trotz der geringen persoenlichen Popularitaet des Herzogs kann sie urploetzlich mir entgegentreten, denn schliesslich wird man dort nach jedem Auskunftsmittel greifen, um nur wieder zu geordneten Zustaenden zu gelangen, und die Orleans verstehen sich auf die Agitationen und die Intriguen. Aber ich muss Alles aufbieten, um ein orleanistisches Koenigthum in Spanien zu verhindern. Ich habe soeben den Einfluss gebrochen, welchen diese erbittertsten und gefaehrlichsten Feinde meiner Regierung und meiner Dynastie hier in Frankreich wieder zu erringen begannen, und wuerden sie jemals in Spanien festen Fuss fassen, so wuerde ihre Agitation trotz der Pyrenaeen mit erneuter Kraft Frankreich durchziehen. Der Erbprinz von Hohenzollern waere vielleicht eine Loesung gewesen,--und ich will diesen Faden nicht ganz aus der Hand lassen, aber das Erste und Naechstliegende ist doch die Wiederherstellung der Dynastie der Koenigin Isabella unter dem Prinzen von Asturien. Meine Einleitungen sind getroffen: Olozaga ist der Combination guenstig, und dieser eitle Serrano wird lieber der Majordomus des unmuendigen Don Alphonso sein, als einfacher General unter dem Herzog von Montpensier, der sich seiner wahrscheinlich bald entledigen wuerde--was vielleicht Prim auch thun wird," fuegte er mit einem leichten Laecheln hinzu--"den ich vorlaeufig ganz aus dem Spiel lassen muss, um ihn mir fuer jene hohenzollersche Eventualitaet im aeussersten Falle zu reserviren." Er beugte sich ueber seinen Schreibtisch und ergriff die auf demselben zurecht gelegten Briefe. Nach fluechtigem Ueberblick warf er mehrere derselben bei Seite, dann ergriff er lebhaft einen andern und lehnte sich, denselben in der Hand haltend, in seinen Stuhl zurueck. "Von meinem Agenten in Spanien," rief er,--"vielleicht naehert sich diese Sache ihrem Ende." Er durchflog rasch die ersten Zeilen des Briefes. "Alles ist vorbereitet," las er dann, den Zeilen folgend, "die massgebenden Personen sind der Proclamation des Prinzen von Asturien guenstig. Das Volk im Ganzen mit Ausnahme einiger unterwuehlten grossen Staedte wuerde jede feste Regierung, welche Ruhe und Stabilitaet verbuergt, mit Freuden begruessen. Die Armee ist zum grossen Theil ganz alphonsistisch gesinnt und die Proklamation des Prinzen, namentlich wenn derselbe die unmittelbare und bestimmte Anerkennung Frankreichs faende, wuerde nirgends ernsten Schwierigkeiten begegnen. Vor allen Dingen aber ist es noethig, dass die Koenigin Isabella so schnell als moeglich feierlich abdicirt und alle ihre Rechte auf ihren Sohn uebertraegt, zugleich auch jeden Anspruch auf die Regentschaft ausdruecklich aufgiebt und sich verpflichtet, auch nach der etwaigen Thronbesteigung ihres Sohnes im Auslande zu leben und nicht nach Spanien zurueckzukehren. Dies Document ist unerlaesslich fuer jede weitere Thaetigkeit, denn Niemand, die Alphonsisten ebenso wenig, wie alle Andern, will die Rueckkehr der Koenigin, und man fuerchtet, dass selbst bei ihrer persoenlichen Anwesenheit in Spanien sie und ihre Umgebung auf die Regierung von Neuem einen Einfluss ausueben wuerden, den man mit Recht oder Unrecht fuer verderblich haelt. Wenn Eure Majestaet die Abdication der Koenigin in der oben angedeuteten Weise erreichen koennen, so scheint die Thronbesteigung des Prinzen von Asturien sicher zu sein." Der Kaiser warf den Brief zurueck. "Ich kann mich auf diese Mittheilung verlassen," sagte er,--"das Glueck scheint mir zu laecheln. Die Regierung des Prinzen von Asturien, mag sie in seinem Namen gefuehrt werden, durch wen sie wolle, wird Frankreich guenstig sein und in der auswaertigen Politik im Grossen und Ganzen derjenigen der Koenigin Isabella sich anschliessen. Vor allen Dingen aber wird sie dem Herzog von Montpensier und den Orleans unversoehnlich feindlich sein--vielleicht liesse sich dann doch noch auf jene Combination zurueckkommen, welche durch diese unglueckliche Revolution in Spanien vereitelt wurde.-- Die Koenigin wird sich freilich schwer zur Abdankung entschliessen. Das Document darueber ist schon aufgesetzt und befindet sich in ihren Haenden. Sie hat bis jetzt die Unterzeichnung verweigert, weil sie Buergschaft verlangte, dass nach ihrer Abdication die Thronbesteigung ihres Sohnes wirklich gesichert sei. Ich glaube ihr nach dieser Nachricht, welche durch die Mittheilungen Olozaga's vollstaendig bestaetigt wird, jede Garantie geben zu koennen." Er sann einige Minuten nach. "In Augenblicken wie dieser," sagte er dann, "kommt es auf schnelles und entschiedenes Handeln an. Guenstige Situationen muss man benutzen und zu rascher Entscheidung fuehren,--man weiss niemals, wie lange sie dauern koennen. Ich will sogleich zur Koenigin, um womoeglich gleich die Sache mit einem Schlage zu erledigen." Er klingelte. "Meinen Wagen," befahl er dem eintretenden Kammerdiener, "grosse Attelage, ich will nach Paris fahren. General Fave soll mich begleiten." Er stand auf und ging in sein Toilettenzimmer. * * * * * An der Avenue du Roi de Rome liegt das prachtvolle Hotel Basilensky, welches die Koenigin Isabella gekauft und eingerichtet hatte und ueber dessen vergoldeten Gitterthoren der Lilienschild des koeniglichen Wappens von Spanien glaenzte. Die innere Eingangsthuer dieses Hotels stand weit offen und liess durch die Gitter des aeusseren Hofes den Blick in die prachtvolle weite Halle dringen, in deren Hintergrund die breite Marmortreppe nach den obern Gemaechern emporfuehrt. In dieser Halle war die Dienerschaft der Koenigin in ihrer dunkelblauen goldgestickten Livree mit den rothen Struempfen aufgestellt, und am Fuss der Treppe stand der Graf von Ezpeleta, der Oberhofmeister der Koenigin, ein alter Mann mit grauem Haar, mit dem grossen blauen Bande des Ordens Karls III. geschmueckt; neben ihm der Kammerherr Albacete, ein noch junger, schoener Mann mit schwarzem gelocktem Haar, kleinem schwarzem Schnurrbart und dunklen Augen, mit dem Cordon des Ordens Isabella der Katholischen. Bereits eine Viertelstunde standen die beiden Herren hier, von Zeit zu Zeit einige Worte mit einander wechselnd und oft ungeduldig durch die Thuer nach dem Vorhof hinaus blickend, zu welchem wenige Stufen hinabfuehrten. Endlich fuhr ein einfaches Coupe mit dunkler Livree durch das Gitterthor in den Hof und hielt vor dem Haupteingang des Hotels. Graf Ezpeleta eilte schnell an den Schlag des Wagens, den der vom Bock herabspringende Diener bereits geoeffnet hatte. Herr von Albacete folgte ihm, den Hut in der Hand; beide Herren verbeugten sich tief vor einem jungen Manne von etwa zwei und zwanzig Jahren, der hoch und schlank gewachsen war und leicht und gewandt aus seinem Wagen auf den Boden sprang. Dieser junge Mann hatte ein blasses laengliches Gesicht von vornehm strengem, aber ein wenig apathischem Ausdruck. Seine Nase war lang und etwas stark, die von Natur weichen Linien seines Mundes waren durch feste und energische Willenskraft zusammengezogen,--aus seinen kleinen Augen leuchtete ein hoher unbeugsamer Stolz. Er trug einen schwarzen Salonanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, das goldene Vliess am rothen Bande um den Hals. Mit einer leichten Neigung des Kopfes, ohne den Hut zu beruehren, erwiderte er die ehrfurchtsvollen Begruessungen des Grafen Ezpeleta und des Herrn von Albacete. Dann stieg er, ohne ein Wort an die Herren zu richten, die Stufen des Eingangs hinauf und schritt durch die Reihen der sich tief verneigenden Lakaien zu der grossen Treppe hin, waehrend Herr von Albacete halb rueckwaerts gewendet, einige Schritte vor ihm herging, und der Graf Ezpeleta ehrerbietig ihm folgte. Der junge Mann stieg mit leichtem elastischem Schritt die Stufen der Treppe hinauf. Am obern Ende derselben vor dem Eingang in ihre Gemaecher stand die Koenigin Isabella. Sie trug eine weite Robe von dunkelblauer Seide, das rothe Band des goldenen Vliesses um den Hals. Ihr zur Seite befand sich die Graefin Ezpeleta und einige Hofdamen. Der junge Mann, welchen die Cavaliere der Koenigin mit so viel Ehrfurcht begruesst hatten, stieg ruhig die letzte Stufe der Treppe hinauf, und erst als er unmittelbar vor der Koenigin stand, nahm er mit einer Bewegung voll ritterlicher Hoeflichkeit, aber ohne jeden Ausdruck von Ehrerbietung oder Unterwuerfigkeit den Hut ab, ergriff die Hand, welche die Koenigin ihm entgegenstreckte und fuehrte sie leicht an die Lippen. "Ich danke Ihnen, mein Vetter," sagte die Koenigin, "dass sie gekommen sind, und ich bitte Gott, dass er unsere Begegnung und unsere Unterredung segnen moege zum Wohle Spaniens und zum Wohl unseres Hauses." Der Infant Don Carlos, welchem man bei seiner Geburt den Namen des Herzogs von Madrid gegeben, welcher in der Verbannung den Titel eines Grafen von Monte Molin fuehrte, und welchen die spanischen Legitimisten den Koenig Carlos VII nannten, erwiderte nichts auf diese Worte. Schweigend reichte er der Koenigin den Arm und fuehrte sie durch einen grossen, mit reich vergoldeten Meubeln ausstatteten Salon, in welchem ueber den Fenstern und Thueren, so wie ueber dem grossen prachtvollen Kamin die Lilien des koeniglichen Hauses von Bourbon auf blauem Grunde glaenzten, nach dem Cabinet der Koenigin, welches von dem vordern Salon durch eine einzige grosse Glaswand aus maechtigen Spiegelscheiben getrennt war, so dass man aus dem einen Raum vollstaendig den andern uebersehen konnte. Dies Cabinet, in welchem die Koenigin ihre Audienzen zu ertheilen pflegte, war mit weissem Marmor ausgelegt, neben dem Kamin, welcher der Glaswand sich gegenueber befand, standen einander gegenueber einige grosse Fauteuils mit vergoldeter Lehne und mit purpurrothem Seidendamast ueberzogen. Die Koenigin nahm auf einem dieser Lehnstuehle Platz. Don Carlos setzte sich, immer schweigend und kalt, ihr gegenueber. "Erlauben Sie, mein Vetter," sagte Isabella, absichtlich jede Titulatur in ihrer Anrede vermeidend, "dass ich Ihnen die Infanten, meine Kinder, vorstelle?" Der Graf von Monte Molin neigte artig das Haupt. Die Koenigin winkte durch die Glaswand nach dem andern Zimmer hin, in welchem ihr Gefolge zurueckgeblieben war, und kurze Zeit darauf fuehrte die Graefin Ezpeleta den dreizehnjaehrigen Prinzen Alphons von Asturien und seine drei juengeren Schwestern in das Cabinet, worauf sie sich wieder in das Vorzimmer zurueckzog. Der Prinz von Asturien, ein bleicher, zarter Knabe mit sanftem und kraenklichem, aber intelligentem Gesicht, in einen Anzug von schwarzem Sammet gekleidet, welcher die zarte Farbe seines Gesichts noch mehr hervorhob, naeherte sich mit offenem und unbefangenem Anstand dem Grafen von Monte Molin. Er kuesste seinem Oheim die Hand, waehrend die drei Infantinnen sich in einer gewissen kindlichen Befangenheit neben den Stuhl ihrer Mutter stellten. "Don Alphonso," sagte die Koenigin, ihren Sohn vorfallend, "Donna Maria del Pilar--Donna Maria della Pay,--Donna Eulalia,"--fuhr sie fort, die kleinen Prinzessinnen bezeichnend, welche sich nach der Reihe ihrem Oheim naeherten und ihre Lippen auf seine Hand drueckten. Das bisher so ernste, strenge und unbewegliche Gesicht des Grafen von Monte Molin wurde einen Augenblick von einem feuchten Schimmer ueberstrahlt. Ein weiches und inniges Gefuehl leuchtete aus seinen Augen, wie in unwillkuerlicher Bewegung umarmte er den Prinzen von Asturien, zog dann die kleinen Infantinnen an sich heran und kuesste sie eine nach der andern auf die Stirn. "Die lieben Kinder," sagte er,--"die Gluecklichen, die noch allen Sorgen des Lebens--und der Politik fern stehen,--Gott segne sie." Die Koenigin hatte mit bewegtem Ausdruck diese Scene mit angesehen, eine tiefe, maechtige Ruehrung zuckte ueber ihr Gesicht, ein feuchter Schimmer verhuellte ihren Blick. Dann winkte sie mit der Hand, die Graefin Ezpeleta erschien wieder und fuehrte, sich tief und ceremoniell verneigend, die Kinder hinaus. "Ich habe Sie gebeten, zu nur zu kommen, mein Vetter," sagte die Koenigin, "um mit Ihnen ueber die Lage Spaniens zu sprechen und mit Ihnen zu berathen, was wir, die wir durch unser Blut mit dem Geschick der spanischen Nation verknuepft sind, thun koennen, um das edle Volk aus seiner traurigen Lage zu befreien und um auch in unserm Hause den Frieden wieder herzustellen." Das Gesicht des Grafen von Monte Molin nahm wieder seinen frueheren, kalten und strengen Ausdruck an. "Ueber die spanische Nation," sagte er, "ist das Strafgericht hereingebrochen, dem kein Volk entgehen kann, das sich von Gott abwendet und das heilige Recht seiner Koenige verleugnet. Spanien wird durch dieses Strafgericht gelaeutert und so Gott will, einer gluecklichen Zukunft zugefuehrt werden." "Sie haben Recht, mein Vetter," sagte die Koenigin mit sanfter Stimme. "Indess," fuhr sie fort, "ist das spanische Volk vielleicht entschuldbar, wenn es sich ueber das Recht seiner Fuersten taeuscht, da ja bei den Traegern dieses Rechts selbst zwei verschiedene Anschauungen ueber dasselbe bestehen." "Es giebt nur ein Recht," erwiderte Don Carlos, "und wenn zwei verschiedene Anschauungen darueber bestehen, so trifft die Schuld denjenigen Fuersten unseres Hauses, welcher in unverzeihlicher Weise die alten, die heiligsten Satzungen nach seiner persoenlichen Willkuer zu aendern unternommen hat. Und Ruhe und Frieden," fuhr er in klangvoller Stimme fort, "wird in Spanien nicht eher wieder herrschen, als bis das alte, gottgeheiligte Recht wieder zur vollen Geltung gekommen ist." "Ich will darueber nicht mit Ihnen streiten, mein Vetter," sagte die Koenigin, "wo das wahre Recht liegt. Sie muessen mir aber zugeben," fuhr sie fort, indem sie ihn mit weichem Blick ansah und die Hand wie bittend gegen ihn erhob, "dass ich unschuldig bin an dem, was vor mir--was zu meinen Gunsten geschah. Ich habe im guten Glauben meinen Thron bestiegen, ueberzeugt, dass das Gesetz, welches mich auf denselben berief, ein im Rechte begruendetes gewesen sei." "Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, meine Cousine," sagte Don Carlos, in sanftem Tone, "es ist Ihre Schuld nicht, dass Sie die Vertreterin eines Prinzips geworden sind, welchem dem wahren Koenigthum und der von Gott eingesetzten Monarchie ebenso feindlich gegenueber steht, als es diese Revolution thut, welche heute unser armes Spanien zerruettet." "Wenn Sie das anerkennen, mein Vetter," sagte die Koenigin, "so werden Sie mit mir auch den Wunsch theilen, dass das traurige Zerwuerfniss, welches die Linien unseres koeniglichen Hauses von einander trennt, und welches uns unsern Gegnern gegenueber schwaecht und laehmt, beendet werde. Sie werden gewiss die Hand dazu bieten, dass wieder das Koenigthum in Spanien einig und in geschlossener Macht den Elementen des Unglaubens und Aufruhrs gegenueber gestellt werde." Und in lebhafter, offener Bewegung reichte sie dem Infanten ihre Hand, dieser beruehrte dieselbe sich artig verbeugend, einen Augenblick und sprach dann, indem er die Koenigin gerade und fest ansah: "Sobald sich das ganze koenigliche Haus von Spanien unter meiner Fahne vereinigt, wird jene traurige Spaltung verschwunden sein, und wir werden kraeftiger und erfolgreicher als bisher der Revolution gegenueber treten koennen." Die Koenigin schwieg einen Augenblick. "Ich schwoere es Ihnen bei Gott, mein Vetter," sagte sie dann, "dass ich mich wahrlich nicht nach der Herrschaft und nach dem Throne sehne,--sie haben mir kein Glueck in meinem Leben gebracht. Unruhe, Sorge und Kummer ist mein Loos gewesen, und auch das Glueck meines Herzens ist diesem traurigen Glanz der Krone zum Opfer gefallen. Aber," fuhr sie fort, "ich habe die Rechte meines Sohnes zu vertreten, und man sagt mir, dass die monarchische Partei in Spanien zu einem grossen Theil auf ihn seine Hoffnungen setzt und durch seinen Namen zusammengehalten werde." Don Carlos hoerte ruhig und unbeweglich zu. "Ich setze voraus," fuhr die Koenigin fort, "dass in Ihrem Herzen, wie in dem meinen das Wohl Spaniens, die Groesse und der Glanz unseres Hauses weit ueber allen persoenlichen Ruecksichten und Wuenschen stehen--wenn dies der Fall ist, wenn wir uns darueber verstaendigen koennten, die Vergangenheit und die Gegenwart einer besseren und gluecklicheren Zukunft zu opfern, so wuerde es vielleicht in unsere Haende gegeben sein, das Schicksal Spaniens und unseres Hauses neuem Glueck und neuem Glanz entgegen zu fuehren." "Mein Volk und mein Haus stehen mir wahrlich hoeher, als meine Person," erwiderte Don Carlos, "und fuer das Wohl Beider bin ich jeden Augenblick bereit, mich zum Opfer zu bringen." "Oh," rief die Koenigin lebhaft, "dann werden Sie gewiss auf die Idee eingehen, die ich Ihnen aussprechen moechte,--eine Idee, von der mir so viele einsichtsvolle Personen sagen, dass durch sie Spanien aus seinem jetzigen, traurigen Zustand gerettet werden koenne." Don Carlos sah die Koenigin fragend an. "Mein Vetter," fuhr Isabella fort, "Sie sind der Vertreter des Rechts der einen Linie unseres Hauses; ich stehe an der Spitze der andern. Sie haben zahlreiche opferbereite Anhaenger in Spanien, und auch an mir haengt noch ein grosser Theil des Volkes und der Armee. Koennten wir diese Alle vereinigen zu gemeinsamem Kampf, der Sieg muesste unser sein. Und dazu gehoert," fuhr sie fort, "nichts weiter, als dass wir, Sie und ich auf den Thron verzichten, dass wir die Selbstverleugnung haben, unsere eigenen persoenlichen Rechte aufzugeben, um diejenigen unserer Kinder sicher zu stellen. Mein Vetter, vereinigen wir unsere beiden Linien und deren Rechte, beschliessen wir die Verbindung meines Sohnes, den Sie so eben gesehen, mit der Infantin, Ihrer Tochter. Wenn ich dann auf die Krone verzichte, die ich getragen und welche die Revolution mir vom Haupte gerissen hat, wenn Sie Ihre persoenlichen Ansprueche auf die aelteren Rechte Ihrer Linie aufgeben, so wird Don Alphonso der allein berechtigte und allseitig anerkannte Koenig von Spanien werden, Ihre Tochter wird dereinst seinen Thron mit ihm theilen, und in Zukunft wird das vereinigte Blut beider Linien unseres Hauses das ungetheilte monarchische Prinzip aufrecht erhalten." Don Carlos sah die Koenigin, welche immer bewegter gesprochen hatte, mit einem gewissen Erstaunen an. "Eine Verbindung des Infanten Don Alphonso," sagte er, "mit meiner Tochter ist ein Gegenstand, der wohl ernste Erwaegung verdient und der allerdings dazu beitragen moechte, die so beklagenswerte Spaltung des koeniglichen Hauses von Spanien auszugleichen. Doch begreife ich nicht, Madame," fuhr er fort, "wie durch eine solche Verbindung Don Alphonso unmittelbare Rechte auf den spanischen Thron erwerben sollte, selbst wenn ich auf die meinigen verzichten wuerde, was nach meiner Ueberzeugung kein Fuerst, den Gott zum Throne hat geboren werden lassen, thun darf." "Wenn Sie, mein Vetter," erwiderte die Koenigin "zugleich mit der besprochenen Verbindung Don Alphonso adoptiren wuerden, so waeren, wie mir scheint, alle Schwierigkeiten geloest, der Infant wuerde in seiner Person die Rechte Ihrer und meiner Linie vereinigen und der einzige Mittelpunkt fuer alle Anhaenger und Vertheidiger der Monarchie in Spanien sein." Don Carlos richtete sich hoch empor. "Ich bewundere, Madame," sagte er mit schneidendem Hohn, "die Klugheit Ihrer Rathgeber, welche die Schwierigkeiten auf so einfache Weise loesen wollen, auf die so unendlich einfache Weise, dass sie das hohe und unveraeusserliche Recht, welches Gott mir und meinen Nachkommen gegeben, einfach wegwerfen und alle die Rechtswidrigkeiten anerkennen, durch welche Spanien in sein gegenwaertiges Unglueck gestuerzt ist." "Aber, mein Gott," sagte die Koenigin erstaunt ueber die ploetzliche Veraenderung in dem Gesichtsausdruck und Ton des Grafen von Monte Molin, "der Vorschlag, den ich so eben gemacht, beruht ja auf der Anerkennung Ihres Rechtes, denn mein Sohn soll ja den spanischen Thron gerade gestuetzt auf unsere beiden bisher sich entgegen stehenden Rechte in Anspruch nehmen." "Das heisst mit andern Worten," fiel Don Carlos ein, "ich soll mit meinem koeniglichen Siegel legalisiren, was zur Verletzung des legitimen Rechts geschehen ist. Ich soll aufgeben alle Ansprueche, welche Gottes Willen mir gegeben und soll das alte heilige Recht in den Dienst treten lassen der willkuerlichen Verfuegungen, welche die unumstoesslichen Satzungen des spanischen Koenigshauses veraendert haben. Und wenn ich fuer meine Person dies Opfer bringen wollte, wenn ich auf mein Recht verzichten wollte, um das Unrecht zu sanctioniren, wie koennte ich eine solche That vertreten meinen Nachkommen gegenueber, das darf ich Sie wohl fragen,--Sie, Madame, die Sie von mir verlangen, dass ich Ihrem Sohn den Anspruch opfern soll auf die Krone der edelsten und vornehmsten Nation der Welt." "Aber, mein Vetter," sagte die Koenigin, "Sie haben nur eine Tochter und wenn Sie heute Koenig von Spanien werden, so waere ja Don Alphonso Ihr legitimer Erbe." "Sie vergessen, Madame," rief Don Carlos, "dass in den naechsten Tagen vielleicht die Gnade der Vorsehung mir einen neuen Nachkommen schenken wird. Wenn ich heute mit Ihnen diesen Kauf abschloesse," rief er lebhaft, "ueber die Rechte und die Zukunft meines Hauses, und wenn dann dieses Kind, das ich erwarte, ein Sohn waere, muesste ich nicht erroethend die Augen niederschlagen vor der Wiege des Saeuglings, den ich um sein koenigliches Recht vor seiner Geburt betrogen haette. Nein, Madame," sagte er kalt und ruhig, jedes Wort scharf und nachdruecklich betonend, "seien Sie ueberzeugt, dass niemals, niemals von mir ein solcher Pact geschlossen werden wird, und selbst wenn ich heute ein Greis waere, der keine Nachkommenschaft mehr zu erwarten hat--selbst dann wuerde ich meine persoenlichen Rechte nicht veraeussern,--versagt mir Gott einen Sohn, so ist der Infant Don Alphonso mein natuerlicher und berechtigter Nachfolger, ich werde ihn als solchen lieben und dahin arbeiten, ihm ein grosses und ruhmreiches Erbe zu hinterlassen,--aber so lange ich lebe," fuhr er fort, indem er aufstand, und die Hand wie zur feierlichen Bekraeftigung seiner Worte emporhob, "so lange ich lebe, giebt es in meinen Augen auf Erden keinen anderen Koenig von Spanien als mich--in Gottes Hand steht es, ob ich mein Recht erringen werde, oder ob mir das hohe Ziel um der Suenden meiner Vaeter und um der meinigen willen versagt bleiben soll--ich aber werde nichts unterlassen, um den Thron, zu dem mich Gott hat geboren werden lassen, mir und meinem Hause wieder zu erobern, mit Niemandem in der Welt werde ich ueber dieses mein hoechstes Recht, das zugleich meine heiligste Pflicht ist, handeln oder Vertraege schliessen,--und eine innere Stimme sagt mir, dass dereinst noch die alte Fahne des reinen legitimen Rechts siegreich in Spanien wehen wird. Dann, Madame," fuhr er mit mildem Tone sich zur Koenigin wendend fort, "werde ich Sie willkommen heissen im Escurial, Ihr Sohn wird der erste Prinz meines Hauses--und vielleicht mein Nachfolger und Erbe sein. Ich werde Gott bitten, dass er Sie und die Ihrigen erleuchten moege, Sich seinen ewigen Ordnungen zu fuegen, ich kann meinerseits von denselben nicht abgehen." Die Koenigin erhob sich ebenfalls. "Ich bitte Sie, mein Vetter," sagte sie, "lassen Sie unsere Unterredung nicht so enden, ich habe so grosse Hoffnungen auf unsere persoenliche Begegnung gebaut, bedenken Sie, dass die Spaltungen zwischen den beiden Linien unseres Hauses ja nur unseren gemeinschaftlichen Feinden nuetzt."-- "Ich darf nichts bedenken," erwiderte Don Carlos, "als dass Gott mir das Recht zu bewahren gegeben, das ich aufrecht halten und vertheidigen werde bis zu meinem letzten Athemzuge." Er naeherte sich der Koenigin, welche unschluessig und verwirrt da stand, kuesste ihr die Hand und sprach: "Gott segne Sie, Madame, und die Ihrigen;--wie auch das Schicksal der Zukunft sich wende, ich werde niemals vergessen, dass das gleiche Blut in unsern Adern rollt." Die Koenigin schien sprechen zu wollen. Don Carlos bot ihr mit einer entschiedenen Bewegung seinen Arm, sie legte schweigend mit einem tiefen Seufzer ihre Hand in denselben und geleitete den Infanten durch das Vorzimmer nach der Treppe, wo er mit einer artigen Verbeugung seinen Hut aufsetzte und, von dem Grafen Ezpeleta und dem Herrn von Albacete begleitet, langsam und ruhig die Stufen hinabstieg. Sein Coupe fuhr vor, er winkte leicht gruessend mit der Hand und fuhr durch das Gitterthor des Hofes hinaus. "Alles vergebens," rief die Koenigin, als der Graf von Ezpeleta zu ihr zurueckgekehrt war und fragenden Blickes in ihr Cabinet eintrat,--"Alles vergebens! Er ist unbeugsam! Er steht unerschuetterlich fest auf dem Boden seines Rechts. Und es waere doch so schoen gewesen," rief sie, "wenn diese Verstaendigung gelungen waere. Er hat maechtige Anhaenger, wenn sie sich mit den meinigen vereinigten, sie haetten die groessten Aussichten auf Erfolg gehabt. Aber so," fuhr sie fort, indem sie ihr Taschentuch heftig zusammendrueckte, "ist Alles in Frage gestellt. Man verlangt von mir die Abdankung. Aber was wird dadurch gewonnen, wenn nicht zu Gunsten meines Sohnes eine grosse, monarchische Partei gebildet werden kann?--ich wuerde mein Recht aufgeben, ohne ihm dadurch die Nachfolge sichern zu koennen--" Eine Bewegung machte sich im Vorzimmer bemerkbar. Eiligst trat Herr von Albacete durch die Thuer der grossen Glaswand in das Cabinet der Koenigin. "Seine Majestaet der Kaiser ist so eben in den Hof gefahren!" rief er und eilte schnell wieder hinweg, um den Kaiser zu begruessen. Der Graf Ezpeleta folgte ihm, und die Koenigin ging mit ihren Damen abermals nach dem Ausgang der grossen Treppe, an welcher sie sich kurz vorher von dem Grafen von Monte Molin verabschiedet hatte. Langsam und etwas schwerfaelligen Schrittes stieg Napoleon die Stufen hinauf. Er trug einen schwarzen Ueberrock und hielt seinen Hut und ein spanisches Rohr mit goldenem Knopf in der Hand. Mit tiefer Verbeugung kuesste er der Koenigin die Hand und fuehrte sie in das Cabinet zurueck. "Ich habe Ihnen gute Nachrichten zu bringen, Madame," sagte er, nachdem er ihr gegenueber vor dem Kamin Platz genommen. "Wie befinden sich die Infanten?" "Ich danke, Eure Majestaet," erwiderte die Koenigin, auf deren Gesicht bei den ersten Worten des Kaisers der Ausdruck gespannter Erwartung erschienen war, "sie befinden sich vortrefflich in dieser schoenen Luft des gastfreien Frankreichs, welche fuer sie nur den einzigen Fehler hat, dass sie die Luft des Exils ist." "Und der Koenig Don Franzesco," fragte der Kaiser, indem er leicht mit der Hand ueber seinen Schnurrbart fuhr. "Er ist in Muenchen," sagte die Koenigin, "und braucht dort eine Kur," fuegte sie mit einem leichten unwillkuerlichen Laecheln hinzu, "welche ihm statt seines feinen Organs eine tiefe Stimme geben soll. Vielleicht wird er nicht wieder zurueckkehren," sagte sie ernst mit blitzenden Augen, "es waere in der That nicht--" "Erlauben Eure Majestaet," fiel der Kaiser ein, "dass ich so schnell als moeglich auf den ernsten Gegenstand meines Besuches kommen darf. Ich habe so eben," fuhr er fort, "gute und zuverlaessige Nachrichten erhalten, dass in der spanischen Armee und in einem grossen Theil der Bevoelkerung die monarchische Restauration immer mehr Boden gewinnt, und dass sich diese Restauration an den Namen des Prinzen von Asturien knuepft. Der Proclamirung des Prinzen wuerde, wie ich Eurer Majestaet ebenfalls versichern kann, Olozaga und Serrano guenstig sein. Es ist also nunmehr die Bedingung eingetreten, welche Eure Majestaet, und wie ich glaube mit Recht, stets als unerlaesslich fuer Ihre Abdication bezeichneten. In diesem Augenblick wuerden Sie durch die Uebertragung Ihrer Rechte auf Ihren Sohn demselben nach aller wahrscheinlichen Berechnung wirklich die Nachfolge auf den Thron zu sichern im Stande sein. Ich werde in der Lage mich befinden, viel dafuer zu thun, wenn Eure Majestaet schleunigst das Document vollziehen, welches den Prinzen von Asturien zum Vertreter Ihrer Rechte macht. Ich habe mir erlaubt, schon vor einiger Zeit Eurer Majestaet den Sinn der Erklaerung mittheilen zu lassen, welche eine solche Abdankungsurkunde enthalten muesste." "Ich weiss es," sagte die Koenigin mit einem bittern Laecheln, "sie soll nicht nur die Uebertragung meiner koeniglichen Rechte, sondern auch die Verpflichtung enthalten, dass ich auch nach der Thronbesteigung meines Sohnes niemals wieder den spanischen Boden betrete." "Eure Majestaet," sagte der Kaiser, "werden ueberzeugt sein, wie tief ich die ungluecklichen Ereignisse beklage, welche sich in Spanien zugetragen haben, und wie dringend und lebhaft ich gewuenscht haette, Sie selbst wieder den spanischen Thron besteigen zu sehen. Allein," fuhr er fort, "Eure Majestaet werden auch ebenso wie ich die Zukunft Ihres Hauses hoeher stellen, als persoenliche Wuensche,--man muss im politischen Leben stets mit den gegebenen Verhaeltnissen rechnen und Schweres thun, um ein grosses Ziel zu erreichen,--was heute eine Nothwendigkeit ist, um Ihrem Hause seine Krone wieder zu gewinnen, wird nach einiger Zeit verschwinden. Diejenigen, welche sich in so schmaehlicher Undankbarkeit gegen Eure Majestaet erhoben haben, fuerchten heute natuerlich den Einfluss, den Sie bei Ihrer Anwesenheit in Spanien auf Ihren Sohn und dessen Regierung gewinnen wuerden. Lassen Sie einige Zeit vorueber gehen--Jene werden ohnehin ihrem Verhaengniss verfallen,--und ich sehe den Tag kommen und sollte er auch bis zur Grossjaehrigkeit Ihres Sohnes hinausgeschoben bleiben, an welchem Sie, Madame, unter dem Jubel des Volkes von Spanien als die Mutter seines Koenigs wieder in Madrid einziehen werden." Die Koenigin blickte nachdenkend vor sich nieder. "Bedenken Eure Majestaet," sagte der Kaiser nach einigen Augenblicken, "dass in grossen politischen Entscheidungsmomenten jede Zoegerung gefaehrlich werden kann--zoegern Sie daher nicht, durch Ihre Abdankung die Action derer zu ermoeglichen, welche Ihren Sohn auf den Thron fuehren wollen. Bedenken Sie, dass gewandte und unermuedliche Gegner ihm gegenueber stehen. Wuerden Sie Sich je verzeihen koennen, wenn durch die Verzoegerung des Opfers, welches die Verhaeltnisse von Ihnen verlangen, jener Herzog von Montpensier dennoch endlich an das Ziel seiner Intriguen gelangen sollte." "Er," rief die Koenigin mit flammenden Blicken, indem sie den Kopf empor warf, "er, der falsche Heuchler, den ich wie die Andern Alle mit Wohlthaten ueberschuettet habe! Niemals! Niemals! Und dieser stolze, hochmuethige Graf von Monte Molin," fuhr sie fort, "der jede Verstaendigung zurueckwies, der mich behandelt hat, wie ein Koenig eine Infantin seines Hauses--Keiner von ihnen soll triumphiren--ich will jedes Opfer bringen," sagte sie mit entschlossenem Ton, "wenn Eure Majestaet mir versichern koennen, dass dadurch wirklich meinem armen Kinde die Krone gesichert wird." Sie blickte den Kaiser scharf und forschend an. "Ich bin weder allwissend, Madame," sagte Napoleon, "noch allmaechtig,--indess so weit menschliche Berechnung reicht, stehen in diesem Augenblick die Chancen Ihres Sohnes unendlich guenstig, sobald Ihre Abdankung seine Freunde in den Stand setzt, offen fuer ihn aufzutreten und zu handeln, und sobald den gegenwaertigen Machthabern Garantien geboten werden koennen, dass sie unter der wieder hergestellten Monarchie die gesicherte Stellung finden, welche ihnen selbst bei der Fortdauer der republikanischen Verwirrung immer zweifelhafter zu werden scheint;--aber, ich wiederhole es," fuhr er fort, "es muss schnell gehandelt werden, damit man allen gegenseitigen Intriguen zuvorkommt." "Ich werde die Urkunde vollziehen," sagte die Koenigin, indem sie sich mit einem tiefen Athemzug erhob, "man soll von mir nicht sagen koennen, dass ich es an irgend Etwas habe fehlen lassen, um den Rechten meines Hauses Geltung zu verschaffen." "Seien Sie meiner ganzen Unterstuetzung dafuer sicher," sagte der Kaiser, indem er ebenfalls aufstand, "und genehmigen Sie den Ausdruck meiner aufrichtigen Dankbarkeit, denn Sie haben durch diesen Entschluss nicht nur Ihrem Hause, sondern auch mir und Frankreich einen grossen Dienst geleistet,--Sie wissen, wie viel auch mir daran liegen muss, jenseits der Pyrenaeen geordnete Zustaende und eine befreundete Regierung zu sehen. Ich darf Eure Majestaet bitten," fuhr er fort, "sobald die Urkunde vollzogen ist, mir ein Exemplar derselben zugehen zu lassen, damit ich meinerseits alle die Schritte thue, die die Umstaende erheischen." Er kehrte der Koenigin den Arm reichend, in das Vorzimmer zurueck, sprach mit jedem der Herren und Damen des Gefolges einige hoefliche Worte und verliess von den Cavalieren der Koenigin bis zum Wagen geleitet, das Hotel. Die Koenigin rief den Grafen Ezpeleta in ihr Cabinet. "Lassen Sie sogleich Ihre Majestaet die Koenigin, meine Mutter, bitten, sich in einer wichtigen Angelegenheit hierher bemuehen zu wollen. Lassen Sie auch den Herzog von Sesto und den Marquis von Miraflores rufen. In zwei Stunden soll mein ganzer Hof in Gala sich versammeln. Haben Sie das Document in Bereitschaft, das ich Ihnen uebergab?" "Zu Befehl, Eure Majestaet," erwiderte der Graf von Ezpeleta. "Ich werde es unterzeichnen," sagte die Koenigin seufzend. "Heute Abend wird Ihr Koenig Don Alphonso heissen." * * * * * Am Abend desselben Tages war in dem Empfangssaal des Hotel Basilensky der Hof der Koenigin Isabella versammelt. Der Graf von Ezpeleta, der Kammerherr von Albacete und die uebrigen Cavaliere der Koenigin trugen die Uniformen ihrer Grade. Die Graefin Ezpeleta, welche als Camerera-Major fungirte und die Damen der Koenigin waren in grosser Toilette. Die Kerzen brannten auf den Lustres, in der Mitte des Saales stand ein grosser runder Tisch mit einer purpurnen Sammetdecke behaengt, auf welchem in einer grossen Mappe mehrere Papiere lagen, dabei ein kostbares Schreibzeug und einige grosse Schwanenfedern. In einiger Entfernung von diesem Tisch standen drei mit rothem Sammet ueberzogene Lehnstuehle, an deren Ruecklehne sich das koenigliche Wappen von Spanien befand. In dem Saal hoerte man jenes leise Fluestern, welches an den Hoefen dem Eintritt der Souveraine vorauszugehen pflegt. Die Stunde war gekommen, zu welcher Ihre Majestaet die verschiedenen Personen befohlen hatte. Die Eingangsthuer oeffnete sich--aber noch war es nicht die Koenigin, sondern es erschien ebenfalls in grossem Galacostuem der Herzog von Sesto, der Gemahl der Wittwe des Grafen von Morny und der Marquis von Miraflores. Ihnen folgte der Marschall Bazaine in der grossen Uniform der Marschaelle von Frankreich und der Praesident des Civilgerichts Herr Benoist-Champy in der Hofgalatracht der Justizbeamten. Abermals verging eine kurze Zeit in schweigender Erwartung. Dann sprangen die Fluegelthueren auf. Graf Ezpeleta eilte in die anstossenden Gemaecher Ihrer Majestaet und trat bald darauf in den Saal zurueck, mit dem Stabe auf das Parquet stossend und die Koenigin ankuendigend. Unmittelbar darauf trat die Koenigin in den Saal, sie trug eine faltige Robe von schwarzem Sammet, ein Diadem von Brillanten auf dem Haupte, den Hermelin um die Schultern, das goldene Vliess an der Kette um den Hals und das grosse Band vom Orden Karl's III. ueber der Brust. An der rechten Seite der Koenigin, einen Schritt zurueck, folgte die Koenigin Christine, ebenfalls in schwarzen Sammet gekleidet, ebenfalls mit dem goldenem Vliess und dem Orden Karl III. decorirt. Die hohe Gestalt der Koenigin Christine, ihre scharf geschnittenen, harten und etwas starren Zuege zeigten wenig Aehnlichkeit mit ihrer Tochter, deren sanfte, weiche Augen von Thraenen geroethet erschienen, und deren grosser Mund mit den starken, vollen Lippen, durch den Ausdruck trauriger und stiller Resignation, welcher auf demselben lag, schoener und anmuthiger als sonst erschien. Zur linken Seite der Koenigin ebenfalls einen Schritt zurueck trat der Prinz von Asturien in den Saal. Er trug einen Knabenanzug von schwarzem Sammet, ebenfalls das goldene Vliess um den Hals, das blaue Band von dem Orden Karl's III. ueber der Brust, den Stern an dem kleinen Jaquet. Der Prinz war bleich und blickte voll liebevoller Theilnahme auf seine Mutter hin. Seine ganze Erscheinung war unendlich anmuthig und sympathisch, und als er mit einem halb kindlich verlegenen, halb fuerstlich stolzen Kopfnicken, die sich tief verneigende Versammlung begruesste, bot er ein ungemein interessantes und anziehendes Bild dar. Der alte Infant Don Sebastian, ein Mann mit grauem Haar und ruhigen, gleichgueltigen Gesichtszuegen in der grossen spanischen Generalsuniform folgte. Die Koenigin durchschritt mit dem fuerstlichen Anstande, welcher ihr trotz ihrer corpulenten und kleinen Figur eigenthuemlich war, den Saal und setzte sich in den mittelsten der drei Lehnstuehle. Die Koenigin Christine nahm ihr zur Rechten Platz. Don Alphonso stellte sich neben den dritten Lehnstuhl und der Infant Don Sebastian hinter den Fauteuil der Koenigin. Die Koenigin winkte dem Grafen Ezpeleta. Dieser trat an den Tisch, nahm ein grosses Pergament aus der dort liegenden Mappe und trat vor den Sessel der Koenigin. "Ich, die Koenigin," sprach Donna Isabella, "habe in Erwaegung der Interessen meines Landes und meines koeniglichen Hauses beschlossen, meine koenigliche Autoritaet und alle meine politischen Rechte aus freiem Willen und lediglich aus eigenem Antriebe auf meinen viel geliebten Sohn Don Alphonso, Prinzen von Asturien, zu uebertragen. Ich habe zugleich beschlossen," fuhr sie mit etwas zitternder Stimme fort, "um allen Parteistreitigkeiten vorzubeugen und den innern Frieden meines geliebten spanischen Volkes zu gewaehrleisten und zu erhalten so viel an mir liegt, fuer meine Person den spanischen Boden nicht mehr zu betreten; auch wenn mein Sohn durch die Cortes, die das rechtmaessige Votum der Nation vertreten, auf den Thron berufen werden wird. Bis dies geschieht, und so lange mein Sohn ausser seinem Vaterlande weilen wird, behalte ich meinen Sohn unter meinem Schutz und meiner Vormundschaft. Don Alphonso XII. ist also von heute an Euer wahrer Koenig, ein spanischer Koenig, der Koenig der Spanier, nicht der Koenig einer Partei. Ich werde zugleich mit dieser Urkunde ueber meine Abdankung durch ein Manifest an die spanische Nation dieselbe verkuendigen und mir wird nur noch uebrig bleiben, in gluehenden Gebeten lange Tage des Friedens und des Gedeihens fuer Spanien zu erflehen und fuer meinen Sohn, dem ich meinen muetterlichen Segen ertheile,--Weisheit und Vorsicht und mehr Glueck auf dem Thron als seine unglueckliche Mutter fand, welche bis heute Eure Koenigin war." Die letzten Worte der Koenigin wurden fast unverstaendlich durch das Schluchzen, welches ihre Stimme erstickte. Der junge Prinz von Asturien naeherte sich seiner Mutter und kniete weinend vor ihr nieder. Die Koenigin legte die Haende auf sein Haupt und sprach, waehrend grosse Thraenen ueber ihre Wangen rannen, mit lauter Stimme: "Gott erhoere mein Gebet und segne Dich, mein Sohn, mit seinem reichsten Segen!" Sie machte ueber seinem Haupte das Zeichen des Kreuzes und erhob sich dann. Don Alphonso und die Koenigin Christine standen gleichfalls auf. Isabella naeherte sich dem Tisch, auf welchem der Graf von Ezpeleta die Abdicationsurkunde niedergelegt hatte. Der Herzog von Sesto reichte der Koenigin die Feder und mit einem raschen, kraeftigen Zug unterzeichnete sie das Dokument. Dann wandte sie sich um, ergriff den Prinzen von Asturien bei der Hand und fuehrte ihn zu dem mittleren Lehnstuhl, welchen sie vorhin eingenommen hatte. Sie neigte sich leicht gegen ihren Sohn und setzte sich in den Sessel zu seiner Linken. Der Hof trat heran, alle anwesenden Spanier defilirten an dem jungen Prinzen, der hier in der Verbannung zum Koenig von Spanien proclamirt war, vorueber, beugten das Knie vor ihm und drueckten die Lippen auf seine Hand, die er Jedem reichte. Nachdem die Ceremonie vorueber war, wandte sich die Koenigin Isabella an ihren Sohn. "Ich bitte Eure Majestaet um die Erlaubniss," sagte sie in franzoesischer Sprache mit starkem spanischem Guttural-Accent, "in Ihrer Gegenwart noch ein Document aufnehmen zu duerfen, welches nicht die Politik betrifft, sondern nur die Privatangelegenheiten unseres Hauses ordnet. Es ist mein Testament, das ich fuer den Fall der Rathschluss Gottes die Wiederherstellung des Thrones unseres Hauses nicht gestatten sollte, nach franzoesischem Recht habe aufnehmen lassen, und welches der Herr Praesident des Civilgerichtshofes und der erlauchte Marschall, der uns die Freude seiner Gegenwart macht, als Zeugen unterzeichnen sollen." Don Alphonso wandte sich in rascher Bewegung zu seiner Mutter, umarmte sie zaertlich und kuesste ihr ehrerbietig die Hand. Herr Benoist-Champy trat an den Tisch, nahm ein ziemlich umfangreiches Dokument aus der Mappe und sagte: "Eure Majestaet erklaeren also hier vor dem Herrn Francois Achille Bazaine, Marschall von Frankreich, und vor mir, dass dieses Document, dessen Inhalt Ihnen wohl bekannt ist, Ihre letztwillige Verfuegung ueber Ihr Privatvermoegen enthaelt, und dass alle darin enthaltenen Bestimmungen im Falle Ihres Todes gueltig und unantastbar sein sollen, und wollen in unserer Gegenwart aus voellig freiem Willen und eigenem Entschluss dies durch Ihre Namensunterschrift bekraeftigen?" "Ich will es," sagte die Koenigin, trat an den Tisch und unterzeichnete die Testamentsurkunde. Der Marschall Bazaine und Herr Benoist-Champy setzten ihre Namen unter denjenigen der Koenigin. "Ich bitte nun Eure Majestaet, zu befehlen," sagte die Koenigin Isabella, sich abermals an ihren Sohn wendend, "dass von der Abdankungsurkunde ebenso wie von meinem Testamente drei beglaubigte Abschriften genommen werden moegen, und dass von denselben eine dem Herzog von Sesto, eine dem Marquis von Miraflores und eine Seiner Majestaet dem Kaiser der Franzosen uebergeben werde." Don Alphonso neigte mit einer gewissen, kindlichen Verlegenheit bestaetigend das Haupt, dann blickte er fragend auf die Koenigin. Diese trat zu ihm hin und legte ihren Arm in den seinigen und Beide verliessen unter Vortritt des Grafen Ezpeleta den Saal, um sich in ihre Gemaecher zurueckzuziehen. Die Koenigin Christine und der Infant Don Sebastian folgten. Schweigend ging die Versammlung auseinander,--Herr von Albacete begleitete den Marschall Bazaine und Herrn Benoist-Champy bis zum Fuss der Treppe des Hotels. Fuenftes Capitel. Der Kaiser Napoleon kehrte nach einer Spazierfahrt durch das Bois de Boulogne nach St. Cloud zurueck. Als er durch das Gitterthor in den Hof des alten erinnerungsreichen Schlosses eingefahren war, welches die schoenen Tage von Marie Antoinette, die weithin glaenzende Siegesherrlichkeit Napoleon I. und die letzten Tage des Koenigthums Carls X. gesehen hatte, und sich auf den Arm des Generals Fave gestuetzt, nach seinen Gemaechern begeben hatte, meldete ihm der Dienst thuende Kammerdiener, der ihm die Thuer des Vorzimmers oeffnete, dass der Herzog von Gramont angekommen sei und Seine Majestaet bitte, ihm in einer dringenden Angelegenheit sogleich nach seiner Rueckkehr Gehoer zu schenken. Der Kaiser, welcher sich waehrend der Fahrt heiter und lebhaft mit dem General Fave unterhalten hatte und dessen Gesicht den Ausdruck einer frohen, zufriedenen Stimmung trug, wurde bei dieser Mittheilung ernst und blickte fast finster vor sich nieder. "Ist es denn nicht moeglich," sagte er leise, "einen Tag von diesen ewigen Sorgen und Qualen der Politik befreit zu bleiben, die uns wie mit eisernen Klammern festhaelt, so bald sie uns einmal erfasst hat und die alles friedliche, menschliche Glueck zerstoert." Seufzend reichte er dem Kammerdiener seinen Hut und seinen Stock und befahl, den Herzog von Gramont einzufuehren, welcher wenige Augenblick darauf in das Cabinet seines Souverains trat. Der Herzog war bleich, sein sonst so ruhiges, gleichmaessiges und laechelndes Gesicht zeigte die Spuren tiefer innerer Erregung. Er hielt einige Papiere in der Hand und erwiderte hastig und ohne seine sonstige etwas ceremonielle und doch anmuthige, verbindliche Hoeflichkeit die freundliche Begruessung des Kaisers. "Ich habe Eurer Majestaet," sagte er schnell sprechend, "eine ebenso ueberraschende, als unangenehme Nachricht mitzutheilen, eine Nachricht, welche Eure Majestaet ebenso sehr befremden und ebenso peinlich beruehren muss, als dies bei mir der Fall gewesen ist." Ein Ausdruck von Ermuedung und von Widerwillen erschien auf dem Gesicht des Kaisers. Abermals tief seufzend liess er sich in einen Lehnstuhl sinken und sagte, indem er dem Herzog einen Sessel neben sich bezeichnete mit matter, tonloser Stimme: "Sprechen Sie, mein lieber Herzog--Sie wissen," fuegte er mit einem gezwungenen Laecheln hinzu, "mein grosser Oheim pflegte zu sagen, dass die Mittheilung boeser Nachrichten niemals aufgeschoben werden muesse,--die guten erfaehrt man immer frueh genug. Leider," sagte er ganz leise vor sich hin, "kommen sie nicht haeufig." "Ich erhielt bereits gestern, Sire," sprach der Herzog von Gramont, der vor dem Kaiser stehen geblieben war, "den Wortlaut einer Rede, welche der Marschall Prim in den Cortes gehalten hat, und welche mich auf das Peinlichste beruehrt. Eure Majestaet wissen, wie grosse Bereitwilligkeit ueberall gezeigt worden ist, um die Restauration des Prinzen von Asturien einzuleiten und zu unterstuetzen. Ich musste daher auf das Hoechste erstaunt sein, zu erfahren, dass der Marschall Prim den Cortes gegenueber auf das aller Bestimmteste erklaert hat, dass die bisherigen Negotiationen einen Koenig fuer Spanien zu finden, sich nach allen Richtungen hin zerschlagen haetten." "Nun," sagte der Kaiser laechelnd, "das wissen wir ja, das ist vollkommen wahr und sehr zufriedenstellend. Wenn man keinen andern Koenig finden kann, wird man endlich wohl auf den kleinen Don Alphonso zurueckkommen muessen." "Aber, Sire," fuhr der Herzog von Gramont fort, "nachdem der Marschall diese Mittheilung gemacht, hat er hinzugefuegt, er werde nicht fuer das Werk der Restauration arbeiten und zur Zurueckfuehrung Don Alphonso's niemals die Hand bieten, und dieses Niemals, Sire, hat er dreimal betont." Der Kaiser laechelte abermals. "Es giebt Faelle," sagte er, die Spitzen seines Schnurrbarts drehend, "in denen man Dasjenige am entschiedensten und bestimmtesten zurueckweist, was man zu thun entschlossen ist und dessen Ausfuehrung man vorbereitet." "Eure Majestaet haben vollkommen Recht," erwiderte der Herzog von Gramont, "und gerade von diesem Gedanken ausgehend, bin ich dahin gekommen, der Rede des Marschall Prim keinen besonderen Werth beizulegen, obgleich es mich immerhin befremdete, ihn eine Combination, ueber welche er ja fueglich haette schweigen koennen, so bestimmt ablehnen zu sehen, waehrend dieselbe doch von Olozaga und Serrano durchaus nicht so absolut zurueckgewiesen ist. Die Rede des Marschalls fand aber," fuhr er fort, "eine sehr unerfreuliche Ergaenzung und Erklaerung in einem Bericht des Herrn Mercier de Lostende, Eurer Majestaet Botschafter in Madrid. Schon gestern Abend erhielt ich ein Telegramm des Botschafters, in welchem er mir sagt, dass die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern sehr weit fortgeschritten zu sein scheint,--wenn sie nicht schon entschieden sei. Der General Prim selbst habe es ihm gesagt und er habe sogleich Herrn Bartholdy abgesendet, um seinen detaillirten Bericht zu ueberbringen, denselben durch muendliche Mittheilung zu ergaenzen und die Befehle Ihrer kaiserlichen Majestaet einzuholen." "Die Candidatur Hohenzollerns," sagte der Kaiser,--"mein Gott, diese Sache hielt ich ja seit einem Jahre fast fuer abgethan. Woher ist denn dieselbe jetzt wieder auf die Tagesordnung gekommen," fragte er, den Blick scharf und forschend auf den Herzog von Gramont richtend, "und woher kommt es, dass ich garnichts davon erfahren habe? Man haette sich darueber verstaendigen koennen, da sie jetzt so ploetzlich hervortritt, ist die Sache in der That sehr unangenehm--ich habe mich der Koenigin gegenueber," fuegte er leiser hinzu, "einigermassen engagirt, sie hat ihre Abdankung unterzeichnet." "Es scheint," sagte der Herzog von Gramont, "dass der Marschall Prim hier ganz eigenmaechtig und hinter dem Ruecken seiner Collegen und aller spanischen Staatsmaenner gehandelt hat, denn Herr Olozaga, den ich sogleich befragte, erklaerte mir, dass er von der ganzen Angelegenheit nichts wisse und sprach sich zugleich in den aller entschiedensten und staerksten Ausdruecken gegen diese ganze Combination aus, von welcher er vollkommen einsah, dass sie nur geeignet sein koenne, grosse Verwirrungen hervorzurufen." "Waere die Sache frueher herangetreten," sagte der Kaiser, immer noch halb zu sich selbst sprechend,--"man haette sich darueber verstaendigen koennen--in diesem Augenblick als fait accompli setzt es mich in der That in die aeusserste Verlegenheit.----Es scheint, dass der Marschall Prim den Spaniern einen Koenig geben moechte, welcher ihm allein seinen Thron zu verdanken haette. Er commandirt die Armee und unter einem Koenige seiner Erfindung wird er allerdings auf lange hinaus der allmaechtige Minister sein. Aber ich begreife in der That nicht, dass Serrano und die Uebrigen darauf haben eingehen koennen." "Es scheint, dass sie ueberrumpelt sind," sagte der Herzog von Gramont, "und dass sie sich in keiner Weise die Consequenzen klar gemacht haben, welche diese Candidatur nach sich ziehen muss,--denn," fuhr er fort, "wenn ein preussischer Prinz auf den spanischen Thron steigt, waehrend zugleich der Koenig von Preussen schon jetzt die fast unbestrittene Hegemonie in Deutschland hat, so ist das Reich Carl V. wieder hergestellt und in jedem Kampf mit Deutschland wuerden unsere Grenzen an den Pyrenaeen bedroht sein. Die traditionelle Politik Frankreichs erfordert es, dass wir uns einer solchen Combination auf das Aeusserste und Entschiedenste widersetzen, um so mehr als in der Person des Prinzen von Hohenzollern durch seine Verwandschaftsbeziehungen mit dem portugiesischen Koenigshause auch die Idee der iberischen Einheit ihren Ausdruck findet." Napoleon laechelte ein wenig bei den lebhaft und erregt gesprochenen Worten des Herzogs. "Nun," sagte er, "der Prinz Leopold wird wohl so bald nicht in der Lage sein, mit der unumschraenkten Autoritaet Carl V. und Philipp II. ueber die Armeen Spaniens verfuegen zu koennen, und das spanische Nationalgefuehl wuerde es ihm wohl ein wenig schwer machen, im Fall einer Verwickelung mit Deutschland unsere Grenzen zu bedrohen, um so mehr da mit der Herstellung der Monarchie auch der Einfluss Roms auf die spanische Politik wieder erheblich maechtiger werden muss. Allein," fuhr er fort, "die Sache ist immerhin unangenehm und beruehrt mich besonders in diesem Augenblick sehr peinlich. Auch ist die Art und Weise der ploetzlichen Mittheilung eines im Stillen vorbereiteten fait accompli durch den Marschall Prim geradezu eine Beleidigung Frankreichs. Man muss auf der Stelle in Madrid erklaeren lassen, dass Frankreich diese Candidatur nicht annehmen koenne. Der Marschall Prim," sagte er, "soll fuehlen, dass er noch nicht der Mann ist, um ohne mich auch nur zu fragen, Dinge von solcher Wichtigkeit zum Abschluss zu bringen. Wir werden Mercier sofort anweisen muessen, eine sehr energische Sprache zu fuehren ich glaube, das wird die Sache sehr schnell erledigen." "Sire," sagte der Herzog von Gramont, "ich stimme mit Eurer Majestaet vollkommen darin ueberein, dass sich hier eine vortreffliche Gelegenheit bietet, um das so tief gesunkene Prestige Frankreichs in Europa wieder herzustellen. Dies Prestige muss allerdings tief gesunken sein, wenn der Marschall Prim, noch dazu ohne Einverstaendniss seiner Collegen in der Regierung, es wagt, in einer so ruecksichtslosen Weise ueber Frankreich vollkommen hinweg zu gehen. Und es hat sich in Folge dessen auch," fuhr er fort, "die oeffentliche Meinung in Paris bei der ersten Nachricht ueber diese neueste Wendung der spanischen Verhaeltnisse auf das Aeusserste erregt gezeigt. Die Journale fuehren eine sehr heftige Sprache und verlangen von der Regierung Eurer Majestaet, dass dieselbe den Beweis liefere, Frankreich sei noch nicht aus der Reihe der europaeischen Grossmaechte ausgestrichen." Der Kaiser trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Lehne seines Fauteuils. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer tiefen Missstimmung. "So sehr ich nun auch," fuhr der Herzog von Gramont fort, "die Nothwendigkeit anerkenne, schnell und energisch zu handeln, so vermag ich noch nicht die Ansicht zu der meinigen zu machen, dass unsere Action sich gegen Spanien zu richten habe." Der Kaiser blickte befremdet auf. "Aber wohin denn," fragte er. "Sire," sagte der Herzog von Gramont, indem ein zufriedenes und fast ueberlegenes Laecheln um seinen fein geschnittenen Mund spielte, "das Prinzip der Regierung Eurer Majestaet beruht auf der unbedingten Anerkennung des souverainen Selbstbestimmungsrechts der Nation. Eure Majestaet nennen sich mit berechtigtem Stolz den Kaiser durch die Gnade Gottes und durch den Willen der Nation--diesem Prinzip gemaess hat Frankreich stets das Selbstbestimmungsrecht der Voelker auf das Sorgfaeltigste geachtet und vertreten, und auch den spanischen Angelegenheiten gegenueber vom ersten Augenblick an officiell erklaert, dass es sich jeder Einmischung in das Recht der spanischen Nation sich nach ihrem eigenen Willen und Belieben zu constituiren, auf das Gewissenhafteste enthalten werde. Wuerde Eurer Majestaet Regierung nun den Spaniern verbieten wollen, sich irgend einen Koenig, der ihnen passend erscheint, zu erwaehlen, so wuerde damit einem Prinzip scharf entgegengetreten werden, welches Frankreich so wohl im Innern wie nach aussen hin, bis jetzt proclamirt hat. Der Eindruck einer solchen Erklaerung muesste beim franzoesischen Volke ein sehr unguenstiger sein, und koennte bei dem grossen Nationalstolz der Spanier dahin fuehren, dass die ganze Nation die Partei des Prinzen von Hohenzollern ergriffe, nur um ihr souveraines Selbstbestimmungsrecht zu wahren, und dass gerade das, was wir vermeiden wollen, vielleicht um so sicherer geschaehe. Auch richtet sich der Unwille der oeffentlichen Meinung, die sich in den Artikeln der Journale kund giebt, nicht gegen Spanien--" "Aber wie wollen Sie denn,----" fiel der Kaiser ein, indem er den Herzog fragend ansah. "Sire," sprach der Minister lebhaft weiter, "nicht darin, dass die spanische Nation ihr Recht, sich einen Koenig zu waehlen, frei ausuebt, liegt eine Gefahr fuer Frankreich, sondern darin, dass ein Prinz des preussischen Koenigshauses eine solche Wahl annimmt, und dass in Folge dieser Annahme spaeter die preussische Politik im Fall feindlicher Beziehungen zu Frankreich in Madrid Rueckhalt und Unterstuetzung finden wird." Der Kaiser neigte mit einem feinen Laecheln das Haupt und strich mit der Hand ueber das Kinn. "Ich verstehe," sagte er leise. "Mir scheint deshalb," fuhr der Herzog fort, "dass wir nicht den Spaniern verbieten sollen, sich irgend einen Koenig zu waehlen, sondern dass wir uns an den Punkt wenden muessen, wo die Gefahr fuer uns liegt, und dass wir vom Koenige von Preussen verlangen muessen, er solle dem Prinzen von Hohenzollern die Annahme der spanischen Krone verbieten." Der Kaiser wiegte gedankenvoll den Kopf hin und her. "Dadurch enthalten wir uns," fuhr der Herzog fort, "jeder Beleidigung der spanischen Nation, jedes Eingriffs in das nationale Selbstbestimmungsrecht--wir folgen dem Zuge der oeffentlichen Meinung in Frankreich, welche sich nicht gegen Spanien, sondern ausschliesslich gegen Preussen richtet und in der ganzen Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern nur eine Intrigue des Grafen Bismarck erblickt,--wir haben ausserdem die Chance des Erfolges fuer uns, denn ich glaube nicht, dass man in Berlin geneigt sein wird, um dieser Frage willen einen ernsten Conflikt entstehen zu lassen. Und endlich," fuegte er mit Betonung hinzu, "wird sich durch diese Behandlung der Sache, die so oft vergebens gesuchte Gelegenheit finden, der Welt zu zeigen, dass der Schwerpunkt der oeffentlichen Angelegenheiten Europas noch nicht definitiv von Paris nach Berlin verlegt worden ist. Der Rueckzug, welchen die preussische Politik in dieser Sache zweifellos antreten wird, kann der oeffentlichen Meinung Frankreichs als ein grosser moralischer Sieg dargestellt werden und dies wird das schwer erschuetterte Prestige mit einem Schlage wieder herstellen. Wenn in Folge unserer Intervention die Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern zurueckgezogen werden muss, so wird dies der Regierung Eurer Majestaet ebenso viel nuetzen, als eine gewonnene Schlacht oder die Erwerbung von Compensationsobjecten, zu welcher bisher der vergebliche Versuch gemacht wurde." Er schwieg und blickte erwartungsvoll und forschend auf den Kaiser. Napoleon stand langsam auf, ging einige Male im Zimmer auf und nieder und blieb am Fenster stehen, sinnend auf seine Rosenbeete hinausblickend. Dann wandte er sich, die Hand auf die Fensterbruestung gestuetzt, zum Herzog zurueck und sprach: "Es liegt viel Wahres in dem Gedanken, den Sie da so eben ausgesprochen haben. Es waere vielleicht eine Angelegenheit um die Vergangenheit zu verbessern. Das Ganze wuerde freilich," sagte er achselzuckend, "im Wesentlichen nur ein Theatercoup sein. Aber," fuegte er hinzu, "die oeffentliche Meinung wird ja doch nur durch solche Theatercoups bestimmt, und es ist jedenfalls am besten, wenn man sie ausfuehren kann ohne ernsthafte Gefahr. Doch," sagte er dann mit tiefem Ernst, "sind wir vor solcher Gefahr sicher, sind wir vollkommen gewiss, dass wir in Preussen nicht auch diesmal wie so oft vorher auf einen bestimmten und festen Widerspruch stossen werden, dass sich aus der Sache nicht ein wirklicher und ernster Conflikt entwickelt, den ich in diesem Augenblicke um keinen Preis heraufbeschwoeren moechte." Der Herzog von Gramont richtete sich noch gerader empor als sonst, mit einem stolzen Laecheln kraeuselte er leicht seinen Schnurrbart und sagte: "Darueber bin ich ganz sicher, man wird es nicht wagen, ernstlichen Widerstand in Berlin zu leisten, wenn wir nur fest und energisch auftreten,--wie ich ueberzeugt bin," fuhr er fort, "dass man es auch bei frueheren Gelegenheiten nicht gewagt haben wuerde, wenn wir bestimmt auf unserer Forderung bestanden haetten. Man hat in Berlin mit so vielen inneren Schwierigkeiten zu kaempfen, die Haltung der sueddeutschen Staaten ist hoechst widerstrebend,--Oesterreich steht auf unserer Seite und der General Fleury erhaelt unausgesetzt die zweifellosesten Beweise der Sympathie des Kaisers Alexander fuer Eure Majestaet und fuer Frankreich. Ich bin sicher, dass man nachgeben wird und zwar um so leichter und schneller, als man die ehrgeizigen Absichten, welche nach meiner Ansicht im Hintergrunde dieser Combination liegen, nicht wird eingestehen wollen." "Dessen muesste man aber," sagte der Kaiser, "sicher sein, denn die sympathischen Aeusserungen gegen den General Fleury vermag ich fuer nichts anderes anzusehen, als fuer Worte und Ausdruecke persoenlicher Gesinnungen, welche der Kaiser Alexander gewiss hegt, aber welche kaum jemals irgend einen Einfluss auf die Politik Russlands ausueben werden,--und was Oesterreich betrifft," fuegte er achselzuckend hinzu,--"Sie sehen die Verhaeltnisse dort guenstiger an, mein lieber Herzog, als ich es zu thun im Stande bin." Er schwieg abermals einige Augenblicke nachdenklich. "Auch weiss ich nicht," sagte er dann, "ob unsere Armee so schlagfertig ist, dass man die Moeglichkeit eines ernsten Conflikts in's Auge fassen darf,--Niel ist todt," sagte er duester, "und seine sichere und energische Hand ist bis heute noch unersetzt geblieben. "Doch," sprach er dann, "unthaetig duerfen wir nicht bleiben, und ich komme immer mehr dahin, mich Ihrem Ideengang anzuschliessen. Die Situation ist aeusserst guenstig, Graf Bismarck ist in Barzin,--mit ihm wuerde man vielleicht nicht so leichten Kaufs fertig werden. Der Koenig Wilhelm ist in Ems allein,--so sehr er Soldat ist, so hegt er doch eine tiefe Scheu vor einem ernsten Conflikt, der seine Armee, welche sein ganzes Volk repraesentirt, auf die Schlachtfelder fuehren koennte. Ausserdem glaube ich nicht, dass er nach seiner persoenlichen Auffassung einen seinem Hause nahe stehenden Prinzen gern das Abenteuer dieses spanischen Koenigsversuchs wird bestehen lassen. Die Sache kann in Ems vielleicht ganz leicht und glatt erledigt werden, und Ihrer und Olliviers Geschicklichkeit," sagte er laechelnd, "wird es dann ueberlassen sein, das Resultat als einen Triumph unserer Energie der oeffentlichen Meinung in Frankreich darzustellen. "Benedetti ist in Wildbad?" fragte er. "Zu Befehl, Majestaet," sagte der Herzog von Gramont, "er muss seit einigen Tagen dort sein, der Botschafts-Secretair Le Sourd fuehrt die Geschaefte in Berlin, welche ohne diesen Zwischenfall im jetzigen Augenblick fast gaenzlich bedeutungslos waeren." "Geben Sie Benedetti den Auftrag," sagte der Kaiser, "sich sogleich nach Ems zum Koenig Wilhelm zu begeben und dort so schnell als moeglich und thunlichst ohne jedes Aufsehen die Zurueckziehung der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern zu erreichen. Er kann dabei auf das Beispiel Griechenlands hinweisen. Damals wurde ebenfalls bestimmt, dass die Wahl des Koenigs auf keinen Prinzen aus den regierenden Haeusern der Schutzmaechte fallen duerfe, auch an das Beispiel Neapels, wo ich selbst dem Prinzen Murat die Aufstellung seiner Candidatur untersagt habe,--Benedetti ist unendlich geschmeidig und insinuant, auch dem Koenige Wilhelm eine angenehme und sympathische Person, er wird dort unter den einfachen und zwanglosen Verhaeltnissen des Badelebens, welche ihm auch eine leichtere Annaeherung an den Koenig und einen freieren und natuerlicheren Verkehr mit ihm gestatten, ohne Zweifel sehr leicht erreichen koennen, dass die Candidatur des Erbprinzen zurueckgezogen wird. Lassen Sie Benedetti wissen, dass er auf meine hoechste Dankbarkeit rechnen kann, wenn er diese Angelegenheit schnell und gluecklich zu Ende fuehrt und unterlassen Sie vorlaeufig jeden officiellen Schritt in Berlin, der verletzen und das Resultat der Unterhandlungen in Ems in Frage stellen koennte." Der Herzog verneigte sich. "Ich werde sofort den Befehl an Benedetti abgehen lassen, Sire," sagte er. Napoleon rieb sich mit heiterem Laecheln die Haende. "Wenn Benedetti reussirt," sagte er, "so wird Alles vortrefflich gehen. Der Koenig Wilhelm wird die ganze Sache als einen Act freundlicher Hoeflichkeit ansehen und gern entgegenkommen, und mein Freund, der Graf Bismarck," fuegte er mit eigenthuemlicher Betonung hinzu, "wird in seiner laendlichen Einsamkeit zu Barzin nun auch einmal meinerseits eine jener kleinen Ueberraschungen empfinden, die er mir so oft bereitet hat. Vor allen Dingen aber," fuhr er fort, "schaerfen Sie Benedetti die aeusserste Geschmeidigkeit und Ruecksicht ein,--handeln Sie schnell und senden Sie mir alle eingehenden Berichte und Telegramme sofort hierher. Wenn wir nach dem Plebiscit dem franzoesischen Nationalgefuehl diesen Erfolg vorfuehren koennen, so werden wir viel gewonnen haben. Wenn," fuhr er nach einem augenblicklichen Nachdenken fort, "Sie dahin wirken koennen, dass durch Olozaga und Serrano auch von den Spaniern die Candidatur des Prinzen Leopold aufgegeben wird, so wird das um so besser sein, doch muss jeder Schein eine Pression vermieden werden." Der Herzog von Gramont ergriff mit ehrerbietiger Verneigung die Hand, welche der Kaiser ihm zum Abschied reichte und ging hinaus. "Fast scheint es dennoch," sagte der Kaiser, "dass das Glueck sich mir zuwendet. Diese Candidatur des Prinzen Leopold, dem ich," sprach er laechelnd, "diesen zweifelhaften Glanz des spanischen Thrones wirklich gern gegoennt haette, wird die Handhabe bieten, auch den aeusseren Nimbus des Kaiserreichs wieder herzustellen, nachdem dessen nationale Grundlagen wieder durch das Plebiscit befestigt sind, und so wird es mir vielleicht erspart bleiben in die entsetzliche kriegerische Catastrophe, welche seit vier Jahren wie ein Damoklesschwert ueber meinem Haupte schwebt, hineingerissen zu werden." Er zuendete eine seiner grossen braunen Havannacigarren an, setzte den breitrandigen Strohhut auf und stieg langsam ueber die, aus seinen Gemaechern herabfuehrende Treppe in seinen Rosengarten hinab. Sechstes Capitel. Die Morgenpromenade am Kursaal in Ems war aeusserst belebt und eine zahlreiche und glaenzende Gesellschaft bewegte sich in der grossen Allee hin und her. Die Damen in einfachen eleganten Sommertoiletten hielten je nach ihrem Range und der Stellung, die sie sich durch ihre persoenlichen Eigenschaften in der Gesellschaft erworben, eine Art von Cercle, indem sie in kurzer Unterhaltung die Herren ihrer Bekanntschaft begruessten, bald stehen bleibend, bald mit Diesem oder Jenem einige Schritte auf der Promenade machend. Daneben sah man alte muerrische Herren, welche hierher gekommen waren, um den waehrend des Jahres angesammelten Staub der Bureaux aus ihren Kehlen und ihren Lungen fortzuspuelen; Diplomaten, welche hier ihre Sommervilleggiatur hielten, weniger um der Heilkraft der Quellen willen, als weil die Anwesenheit des Koenigs von Preussen, wenn derselbe auch ganz ausschliesslich seiner Badekur lebte, dennoch in dieser Zeit der absoluten Stagnation in der Politik hier noch die meiste Gelegenheit bot, um ein wenig zu hoeren und zu sehen, was in der Welt vorging oder sich vorbereitete. In den letzten Tagen war in das Stillleben des Badeaufenthalts ein wenig mehr Leben und Bewegung gekommen; man hatte gelesen, dass der Erbprinz von Hohenzollern als Candidat fuer den spanischen Thron aufgestellt sei, und dass derselbe diese Candidatur angenommen habe. Man wusste, dass dieses Ereigniss, welches an sich von keiner besondern Bedeutung zu sein schien, eine grosse Aufregung in der franzoesischen Presse erregt hatte. Im Corps legislatif war eine Interpellation erfolgt, und der Herzog von Gramont hatte eine sehr kategorische und sogar etwas verletzende Erklaerung abgegeben; auch war der Botschafter des Norddeutschen Bundes Baron von Werther in Ems angekommen. Das Alles liess darauf schliessen, dass die spanische Thronfrage und die Candidatur des Prinzen Leopold Gegenstand der Verhandlungen zwischen dem Koenige Wilhelm und dem Kaiser Napoleon geworden sei oder werden wuerde und namentlich unter den sich im Ferienaufenthalt hier befindenden Diplomaten war dadurch eine gewisse neugierige Spannung hervorgerufen, doch nahm im Ganzen die Gesellschaft wenig Theil daran. Man war seit einigen Jahren ja gewoehnt, dass hier und da kleine Differenzen zwischen Frankreich und Preussen entstanden, und da dieselben jeder Zeit mit der aeussersten Courtoisie von beiden Seiten wieder ausgeglichen waren, so legte man auch diesmal der so ploetzlich aufgetauchten Frage keine grosse Bedeutung bei, und um so weniger als ja die ganze Sache Preussen und Deutschland so unendlich wenig anzugehen schien. So war denn die ganze Gesellschaft auf der Brunnenpromenade in Ems ebenso heiter, als der blaue sonnige Himmel, welcher sich ueber dem reizenden Bergthal ausspannte. Es waren nur Worte leichter und froehlicher Conversation, welche man unter den Klaengen der Badecapelle miteinander wechselte. Bereits war der Prinz Georg von Preussen auf der Promenade erschienen und hatte sich in liebenswuerdigster Weise mit den ihm bekannten Damen und Herren der Badegesellschaft unterhalten, und mit allgemeiner Spannung erwartete man den Koenig Wilhelm, welchen man puenktlich zur festgesetzten Stunde auf der Promenade erscheinen zu sehen gewohnt war, um seinen Kraenchen-Brunnen zu trinken. "Ich habe gestern Abend die neuesten Zeitungen mit Nachrichten aus Frankreich gelesen," sagte der Praesident des evangelischen Oberkirchenraths Dr. Matthis, eine hagere, trockene Gestalt mit bureaukratisch faltigem, kraenklichem Gesicht, indem er sich zu dem Regierungspraesidenten von Bernuth, einem schlanken, hoch blonden Mann mit starkem Schnurrbart, welcher in militairischer kraeftiger Haltung neben ihm ging, wandte, "es scheint mir doch ein wenig bunt in Frankreich auszusehen. Wenn ich dazu die ploetzliche Ankunft des Baron von Werther nehme, so kommt mir die Lage der Dinge doch etwas beunruhigend vor. Mir scheint die oeffentliche Meinung in Paris sehr montirt zu sein, und die Erklaerung des Herzogs von Gramont im Corps legislatif beweist, dass die Regierung sich ein wenig unter dem Druck dieser oeffentlichen Meinung befindet. Es waere doch entsetzlich," sagte er seufzend, "wenn wir hier aus unserm ruhigen Badeleben durch ernste und gefaehrliche Catastrophen aufgeschreckt werden sollten." "Ich glaube nicht daran, Excellenz," sagte Herr von Bernuth, "dieses Spiel hat sich ja seit 1866 schon oftmals wiederholt,--erinnern Sie sich nur an Luxemburg. Damals schrieben die franzoesischen Journale flammende Artikel, und so viel man davon erfuhr, fuehrte auch die franzoesische Diplomatie eine sehr hochmuethige Sprache, so dass Jedermann damals an den Ausbruch des Krieges glaubte. Die ruhige kaltbluetige Heftigkeit des Kaisers und des Grafen Bismarck haben damals dem Sturm getrotzt und derselbe hat keine gefaehrlichen Wetterwolken empor getrieben,--so wird es auch diesmal wieder sein, man wird sich wohl jetzt ebenso wenig einschuechtern lassen, wie damals und die ganze Sache hat ja auch fuer beide Theile lange nicht die Bedeutung wie die Luxemburger Affaire." Der Geheimrath Matthis schuettelte bedenklich den Kopf. "Mir will das nicht recht geheuer vorkommen," sagte er,--"es waere wirklich traurig, wenn die Kur, die mir so gut bekommt, unterbrochen werden sollte." Sie waren an die Quelle gekommen, Herr Matthis fuellte seinen Becher und schluerfte vorsichtig in kleinen Zuegen das Heil bringende Wasser ein, waehrend Herr von Bernuth rasch in kraeftigen Zuegen seinen Becher leerte. "Sehen Sie, Exzellenz," sagte er dann, "dort kommt Seine Majestaet. Ich bitte, sehen Sie den Herrn an, so lange dies Gesicht so heiter und ruhig blickt, haben wir nichts fuer den europaeischen Frieden zu fuerchten." Der Geheimrath Matthis hatte bei den Worten des Praesidenten hastig seinen Becher geleert, von der schnell in seine Kehle dringenden Fluessigkeit gereizt, begann er heftig zu husten, und sein Taschentuch vor den Mund haltend, blickte er nach dem Eingang der Allee hin, wo so eben der Koenig Wilhelm in einem einfachen dunklen Civilanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, einen Stock in der Hand erschien, begleitet von dem Fluegeladjutanten, Grafen Lehndorf, einem schoenen, hoch gewachsenen Mann mit starkem dunklem Bart, der ebenfalls in Civil erschienen war. Der Praesident von Bernuth hatte Recht; der Koenig ging so frisch, so leichten und kraeftigen Schritts einher; sein Gesicht strahlte von einer so ruhigen milden Heiterkeit, dass man unmoeglich dem Gedanken Raum geben konnte, dass ernste Sorgen um den Frieden der Welt ihn erfuellen koennten. Der Koenig schritt rasch durch die Allee nach der Quelle hin und erwiderte rechts und links freundlich mit der Hand winkend die ehrerbietigen Begruessungen der bei seinem Vorbeischreiten tief sich verneigenden Badegaeste. Der Koenig begruesste schnell, aber herzlich den Prinzen Georg, welcher ihm entgegentrat und wandte sich dann zu seinem Leibarzt Dr. von Lauer, der den Becher Seiner Majestaet aus dem Kraenchen-Brunnen fuellen liess. "Ich habe vortrefflich geschlafen, mein lieber Lauer," sagte der Koenig, indem er den Becher ergriff, "ueberhaupt bekommt mir diesmal die Kur ganz ausgezeichnet. Es ist eine vortreffliche Quelle, die Sie mir verordnet haben, sie bringt meine Natur fuer ein Jahr immer wieder in Ordnung." Er leerte mit langen Zuegen seinen Becher und athmete dann tief auf, als fuehle er die wohlthaetige Wirkung des Getraenks. "Eure Majestaet sehen in der That in den letzten Tagen und heute besonders ganz ausnehmend wohl und kraeftig aus," sagte Herr von Lauer, indem er den scharfen Blick seines klugen und geistvollen Auges auf der kraeftigen Gestalt des Koenigs ruhen liess. "Aber ich wuerde, um die Quelle zur vollen Wirksamkeit zu bringen, am liebsten sehen, dass Eure Majestaet Ihr Militair- und Civilcabinet zu Hause gelassen haetten, denn die Enthaltung von allen Arbeiten, von aller geistigen Unruhe ist die erste Bedingung einer guten Wirkung des Bades, und leider halten Eure Majestaet diese nothwendige geistige Diaet nicht mit eben der Sorgfalt, mit welcher Sie die materiellen Diaetvorschriften beobachten." "Leider ist das nicht so ganz moeglich," erwiderte der Koenig, "indess kann ich Sie versichern, dass ich auch in dieser Beziehung so viel als es angeht, Ihren Vorschriften nachkomme, und namentlich habe ich keine aufregenden und beunruhigenden Arbeiten," fuegte er hinzu, waehrend es wie ein leiser voruebergehender Schatten ueber sein Gesicht flog. "Ich fuerchte doch, dass Eure Majestaet als Bade-Patient immer noch zu viel arbeiten, denn nach der Anzahl von Depeschen, welche einlaufen--" "Controliren Sie meine Depeschen?" fragte der Koenig laechelnd. "Als Eurer Majestaet Leibarzt," sagte Herr von Lauer, "muesste ich hier im Bade eigentlich Alles controliren, was in Eurer Majestaet Leben eingreift; aber zu der Bemerkung, welche ich so eben zu machen mir erlaubte, bin ich auf zufaellige Weise gekommen; ich wohne im steinernen Hause neben dem Zimmer des Hofraths St. Blanquart"-- "Nun," fragte der Koenig. --"der Geheimrath Abeken, Majestaet, kommt nun sehr haeufig von seiner Wohnung in Huyns Gartenhaus zu St. Blanquart, um von den Depeschen nach ihrer Dechiffrirung sofort Kenntniss zu nehmen, und seit einigen Tagen hoere ich bis tief in die Nacht hinein fortwaehrend das Vorlesen der Zahlen der Chiffres. Diese ruhig und monoton ausgesprochenen Zahlen toenen in meinen Schlaf hinein, und wenn ich morgens frueh aufwache, so hoere ich bereits wieder, wie sich Zahl an Zahl in der Arbeit des Dechiffrirens an einander reiht;--ob man in der Nacht ueberhaupt aufgehoert hat, weiss ich nicht. Und alle diese unendlichen Zahlenreihen," fuhr er fort, "haben doch einen Inhalt, dieser Inhalt muss endlich zu Eurer Majestaet gelangen und ist jedenfalls der Feind meiner Kur. Ich bin mehrmals schon sehr boese gewesen und moechte am liebsten das ganze Dechiffrirbureau von Eurer Majestaet durch eine chinesische Mauer trennen, so lange bis mein Brunnen seine Wirkung gethan." Der Koenig lachte herzlich. "Nun," sagte er, "Abeken und der arme St. Blanquart werden wohl nicht so gefaehrliche Feinde meiner Gesundheit sein, lassen Sie sie nur immerhin, ich verspreche Ihnen, ich werde mich nicht zu sehr anstrengen." Und freundlich den Kopf neigend, wandte er sich zur Seite. Der Geheimrath Matthis hatte den Hustenanfall ueberwunden, und der Koenig winkte ihn freundlich heran, fragte ihn nach der Wirkung der Kur und wandte sich dann zu dem Praesidenten von Bernuth. "Wenn ich hier die Badegesellschaft in Ems ansehe," sagte er heiter, so muss ich glauben, dass dies Wasser ein Lebenselixir ist, welches meine ganze Regierungsmaschine durchdringt und verjuengt, meine Kirchenverwaltung, meine Administration, meine Diplomatie und selbst meine Officierscorps suchen sich hier Kraft und Staerkung, und so dringt diese Quelle von Ems in alle Adern des preussischen Staatslebens." "Wenn die Quelle Eurer Majestaet Kraft und Gesundheit staerkt," erwiderte Herr von Bernuth, "so durchdringt sie ja ohnehin schon den Organismus des preussischen Staats mit neuer Lebenskraft und verdient die Dankbarkeit aller Ihrer Unterthanen." Der Koenig nickte freundlich mit dem Kopf und trat dann zu dem in der Naehe stehenden Botschafter am Pariser Hofe, Freiherrn von Werther, einem schlanken eleganten Mann mit bleichem Gesicht und militairisch geschnittenem Haar und Bart. "Benedetti ist diese Nacht angekommen," sagte der Koenig mit etwas gedaempfter Stimme, indem er durch einen Wink der Hand Herrn von Werther aufforderte, ihn auf seiner Promenade zu begleiten. "Er hat mich um eine Audienz gebeten, ich habe ihm sagen lassen, dass ich ihn erst Mittags empfangen koenne, da ich morgens mit meiner Kur zu thun habe und auch am Vormittage mehrere Geschaefte zu erledigen muss. Er ist jedenfalls nicht zufaellig hier, denn er war erst vor wenigen Tagen auf Urlaub nach Wildbad gegangen und hatte so eben seine Kur begonnen. Jedenfalls kommt er in dieser Hohenzollerschen Angelegenheit, welche in Frankreich taeglich mehr Staub aufwirbelt. Es wuerde mir lieb sein, wenn ich bevor ich ihn empfange, ueber den Gegenstand seiner Mission unterrichtet waere. Wollen Sie ihn besuchen, und wenn Sie es in der Unterredung mit ihm erfahren koennen, mir ungefaehr mittheilen, was er will. Ich wuensche aber nicht," fuhr er fort, "dass Sie in eigentliche Discussion mit ihm eintreten,--wenn er ueber die Angelegenheit spricht, so sagen Sie ihm einfach, dass der Prinz Leopold mich um Rath gefragt habe, und dass ich nicht im Stande gewesen sei, seinem Wunsch, die spanische Krone anzunehmen, ein Hinderniss entgegenzustellen." "Ich zweifle nicht, Majestaet," sagte Herr von Werther, "dass der Graf Benedetti hierher gesendet ist, um Eurer Majestaet dasselbe zu sagen, was mir bereits der Herzog von Gramont und Herr Ollivier in ziemlich allgemeiner Weise ausgesprochen haben, dass naemlich Frankreich die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern, den man dort hartnaeckig fuer einen preussischen Prinzen erklaert, nicht dulden koenne, und dass man verlangen muesse, dass Eure Majestaet den Prinzen zur Verzichtleistung veranlasse." "Ich begreife nicht, was sie wollen," sagte der Koenig einen Augenblick stehen bleibend, "ich kann mir unmoeglich denken, dass der Kaiser Napoleon, dessen Gesundheit in der letzten Zeit immer weniger fest gewesen ist, darauf ausgehen sollte, einen Conflict zu suchen, und doch erscheint diese ganze Behandlung der Hohenzollerschen Candidatur wie eine Provocation, denn einen politischen Grund, sich so sehr darueber zu echauffiren, sehe ich in der That nicht. Der Prinz Leopold ist kein preussischer Prinz--und wenn er es waere, glaubt man denn, dass er in diesem von Parteien zerrissenen spanischen Lande preussische Politik machen koennte? Jeder Koenig, der dort auf den Thron steigt, wird genug zu thun haben, um sich auf demselben zu erhalten und der inneren Verwirrungen Herr zu werden. Ich begreife die ganze Sache nicht," fuhr er fort,--"ich hoffe, dass das Alles nur ein kleines Strohfeuer sein wird, wie man sie in Frankreich von Zeit zu Zeit anzuzuenden liebt, und dass der Kaiser Napoleon auch diesmal wie bei der Luxemburger Angelegenheit, die doch eigentlich ernsterer Natur war, das Feuer der Kriegspartei ein wenig daempfen wird." "Auch ich bin davon ueberzeugt, Majestaet," erwiderte Herr von Werther, "denn nach all den Eindruecken, die ich habe, wuenscht der Kaiser wirklich aufrichtig die Erhaltung des europaeischen Friedens und guter Beziehungen zu Eurer Majestaet. Indess laesst sich nicht verkennen," fuhr er fort, "dass diese Hohenzollersche Frage die oeffentliche Meinung im hohen Grade aufgeregt hat, allerdings unter Vorgang der Regierungsjournale--doch bei meiner Abreise von Paris war diese Aufregung sehr gross, und nach dem, was ich aus den Zeitungen sehe, steigt sie von Tage zu Tage. Ollivier ist aeusserst abhaengig von der oeffentlichen Meinung, der Herzog von Gramont folgt Ollivier, und der Kaiser steht, je mehr sein Koerper und seine Nerven schwach werden, immer mehr unter dem Einfluss seiner Minister und seiner Umgebung." "Nun," sagte der Koenig, "ich werde wahrhaftig nichts dazu thun, um die Situation zu verschlimmern, ich werde ein freundliches Entgegenkommen zeigen, da ich wahrlich kein Interesse daran habe, den Prinzen Leopold zu diesem spanischen Abenteuer zu treiben, aber ebenso wenig kann ich ihm auch dasselbe verbieten, ich wuerde ja auch dazu eigentlich gar kein Recht haben. Wenn er mich um Rath fragt, so ist das eine Courtoisie,--wenn er aber meinen Rath nicht befolgen will, so kann ich ihn kaum dazu zwingen--jedenfalls bin ich als Koenig von Preussen der ganzen Angelegenheit voellig fremd, meine Regierung hat mit derselben garnichts zu thun. Nun wir werden ja sehen," sagte er, "gehen Sie inzwischen zu Benedetti und erklaeren Sie ihm zugleich nochmals, warum ich ihn erst am Nachmittag empfangen kann, er wohnt in der Stadt Bruessel." Mit freundlichem Kopfnicken entliess der Koenig den Baron Werther und wendete sich zu dem Oberpraesidenten von Moeller, einem Mann von etwa fuenf und fuenfzig Jahren, dessen kluges und offenes Gesicht mit den frischen Farben und den hellen Augen sein Alter weniger verrieth als das bereits stark ergraute, ziemlich lang zurueckgestrichene Haar. "Guten Morgen, mein lieber Moeller," sagte der Koenig, "es freut mich, Sie hier zu sehen. Ich bin begierig, von Ihnen zu erfahren, wie es in Hessen steht, und ob meine neuen Unterthanen dort noch immer so unzufrieden sind, dass sie Preussen geworden sind." "Majestaet," sagte Herr von Moeller, "die allgemeine Stimmung in der Provinz, deren Leitung Allerhoechst dieselben mir uebertragen haben, soehnt sich immer mehr mit der neuen Ordnung der Dinge aus. Alle Vernuenftigen, namentlich auch die Vertreter des Handels und der Industrie empfinden immer mehr die Vorzuege einem grossen Staatswesen anzugehoeren, und ich gebe mir die groesste Muehe ueberall auf die mildeste Weise die alten Verhaeltnisse mit den neuen Zustaenden zu versoehnen."-- "Ganz recht, ganz recht," fiel der Koenig ein, "Sie handeln darin ganz in meinem Sinn. Man muss alle berechtigten Eigenthuemlichkeiten schonen, alle Erinnerungen an die Vergangenheit achten--" "Die Erinnerungen an die Vergangenheit, Majestaet, stehen uns bei der Bevoelkerung von Kurhessen vielleicht weniger entgegen, als bei derjenigen von Hannover. Die Hessen haben viele Anhaenglichkeit an die Traditionen ihrer Vergangenheit, aber gerade durch die Persoenlichkeit des letzten Kurfuersten, der ja ueberall wenig Sympathie hatte, haben jene Erinnerungen an Intensivitaet und Einfluss verloren. Den nachdruecklichsten und hartnaeckigen Widerstand findet die Regierung leider bei den Geistlichen, welche befuerchten, dass die Einverleibung in Preussen dem lutherischen Bekenntniss Gefahr bringen, und dass die Einfuehrung der Union beabsichtigt werden koennte." Der Koenig blieb einen Augenblick stehen und blickte sinnend vor sich hin. "Mein Gott," fuhr er fort, "dass doch gerade die Priester des Christenthums sich so wenig zu den Ideen der Liebe und Duldung erheben koennen, welche den Erloeser selbst erfuellten. Was ist denn die Union, dieses Werk meines unvergesslichen Vaters, anders, als der Ausdruck der wahrhaft christlichen Toleranz, um alle Bekenner des evangelischen Glaubens zu einer evangelischen Kirche zu vereinigen. "Nun ich hoffe," sprach er weiter, "der gesunde Sinn der Gemeinden wird kraeftiger sein, als der eigensinnige Zelotismus der Geglichen. Uebrigens liegt es mir ja unendlich fern, den Gewissen irgend welchen Zwang anthun zu wollen und einen Druck zur Einfuehrung der Union auszuueben. Sie werden mir ueber das Alles noch ausfuehrlich berichten," sagte er, "sobald ich eine Stunde freie Zeit habe." Er gruesste Herrn von Moeller und wendete sich zu zwei Damen, welche in einfacher Morgentoilette an der Seite der Promenade stehen bleibend, sich tief verneigten. Es waren die berliner Kuenstlerinnen, Fraeulein Marie Kessler mit dem anmuthig gedankenvollen Ausdruck in den weichen sinnenden Augen und Fraeulein Anna Schramm, deren lebhafte Blicke von Geist und Laune funkelten. "Nun, meine Damen," sagte der Koenig, "ich hoffe, dass die Vorstellung, welche Sie mit Herrn Bethge und Herren Behrend zum Besten der Abgebrannten in Pera veranstaltet haben, einen recht guenstigen Ertrag fuer die armen Opfer jener ungluecklichen Catastrophe erzielt hat." "Die Rechnungen sind noch nicht abgeschlossen, Majestaet," erwiderte Fraeulein Kessler, "doch hoffen wir, dass nach der Gesammteinnahme ein erheblicher Ueberschuss sich ergeben wird." "Ich habe mich sehr ueber Ihr Unternehmen gefreut," sagte der Koenig "und spreche Ihnen nochmals meinen Dank dafuer aus. Es ist ein schoener Zug des immer mehr erstarkenden und erwachenden Nationalgefuehls, dass wenn auch im fernsten Auslande Deutsche von dem Schlage des Ungluecks getroffen werden, die besten Kraefte der Nation sich vereinigen, um ihnen beizustehen, und es hat mich hoch erfreut, dass meine berliner Kuenstler und Kuenstlerinnen auch in dieser Beziehung mit edlem Beispiel vorangegangen." Mit ritterlich artigem Gruss gegen die beiden Damen schritt er weiter, begruesste noch die verschiedenen Bekannten auf der Promenade, waehrend er die vorgeschriebene Anzahl von Bechern an der Quelle leerte und kehrte dann, vom Grafen Lehndorf gefolgt, nach seiner Wohnung im Badehause zurueck. Ruestigen und leichten Schrittes stieg er die Treppe hinauf, trat durch das Wohnzimmer in den einfachen Raum, welcher ihm als Arbeitscabinet diente; an dem Fenster dieses Zimmers stand der breite Schreibtisch; ein Sopha und einige Lehnstuehle mit rothem Pluesch ueberzogen, bildeten das ganze Ameublement dieses anspruchslosen Aufenthalts des maechtigen Monarchen. Der Fluegeladjudant war im Vorzimmer zurueckgeblieben. Der Koenig reichte seinen Hut und seinen Stock seinem Leibkammerdiener Engel, welcher in ernster ruhiger Haltung, in seinem blauen Frack mit den goldenen Knoepfen fast an einen hohen Staatsbeamten erinnernd, seinem koeniglichen Herrn entgegengetreten war. "Ich lasse den Geheimrath Abeken bitten," sagte der Koenig, setzte sich, waehrend der Kammerdiener hinausging, an seinen Schreibtisch und oeffnete einige fuer ihn dort hingelegte Privatbriefe. Nach kurzer Zeit trat der Geheime Legationsrath Abeken, seine Vortragsmappe unter dem Arm in das Zimmer. Er war ein kleiner Mann von einundsechzig Jahren, dessen ganze Erscheinung trotz der etwas lebhaften und nervoesen unruhigen Bewegung noch ein wenig den Stempel des geistlichen Standes trug, fuer den er sich in seiner Jugend bestimmt hatte. Sein blondes Haar und sein kleiner blonder Schnurrbart erschienen noch wenig ergraut, und aus seinen lebhaften, scharf blickenden Augen blitzte das Feuer jugendlicher Frische. "Guten Morgen, mein lieber Abeken," sagte der Koenig, freundlich mit dem Kopf nickend und seinen langjaehrigen vertrauten Diener, der ihn als vortragender Rath des auswaertigen Ministeriums auf allen seinen Reisen begleitete, die Hand reichend. "Setzen Sie sich, theilen Sie mir mit, was Neues von Berlin gekommen ist. Ich muss Sie uebrigens bitten," sagte er schalkhaft laechelnd--waehrend Herr Abeken einen Sessel heranzog und seine Mappe oeffnete--"dass Sie die Leute nicht im Schlaf stoeren--" Herr Abeken sah ganz erstaunt den Koenig an. "Ich wuesste nicht, Majestaet." "Lauer hat sich beklagt," fuhr der Koenig in demselben scherzhaften Ton fort, "dass Sie und St. Blanquart am spaeten Abend und am fruehesten Morgen schon wieder ihn fortwaehrend mit dem monotonen Geraeusch der Lectuere der Zahlen des Depeschenchiffres verfolgen." "Nun Majestaet," sagte Herr Abeken laechelnd, "ich hoffe, daran wird sich Herr von Lauer gewoehnen, wie man sich an das Geraeusch einer Muehle gewoehnt, und wenn er nach Berlin zurueckkommt, wird er das Dechiffrirbureau neben seinem Zimmer vermissen." "Wie steht die Hohenzollersche Angelegenheit in Berlin," fragte der Koenig. "Sie wissen, dass Benedetti angekommen ist, es scheint, dass es da einige Weitlaeufigkeiten geben wird." "Herr von Thiele berichtet, Majestaet," sagte der Geheimrath Abeken, indem er einen Bericht aufschlug, den er aus seiner Mappe genommen hatte, "dass der franzoesische Geschaeftstraeger Le Sourd eine aeusserst scharfe und bestimmte Sprache fuehre und erklaert habe, dass die franzoesische Regierung unter keiner Bedingung die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern in Spanien dulden koenne. Und diese Sprache des Geschaeftstraegers zusammengehalten mit den Aeusserungen des Herzogs von Gramont im Corps legislatif floessen Herrn von Thiele die aeussersten Besorgnisse ein, und er fuerchtet, dass in Paris ein Hintergedanke bestehe. Der Legationsrath von Kendell ist nach Barzin gegangen, um dem Grafen Bismarck persoenlich ueber die Sache Bericht zu erstatten und demselben den Wunsch auszusprechen, dass er, wenn moeglich unter diesen Umstaenden nach Berlin zurueckkehren moechte." "Der arme Bismarck," sagte der Koenig, "er hat seine laendliche Ruhe so noethig, und ich goenne sie ihm so von Herzen nach all' den Arbeiten, die er den Winter ueber gehabt hat. Aber freilich," fuhr er fort, "wenn die Sache, was ich noch immer nicht glauben kann, irgend wie ernsthaft werden sollte, so wird er seine Sommerruhe wohl unterbrechen muessen. Ich kann ja auch hier nicht ohne Minister auf irgend welche politische Verhandlungen wirklich eingehen, doch vermag ich in der That kaum abzusehen--" er schwieg einen Augenblick. "Was haben Sie sonst noch?" fragte er. "Abgesehen von dieser spanischen Frage, Majestaet," sagte der Geheimrath Abeken, "ist in der auswaertigen Politik voelliger Stillstand. Was Eure Majestaet vielleicht besonders interessiren wird, ist ein Bericht ueber die Zustaende in Rumaenien." Der Koenig nickte leicht mit dem Kopf. "Es sieht dort bunt aus," sagte er. "Sehr bunt, Majestaet," erwiderte der Geheimrath Abeken, "die Lage ist dort so verworren, dass bereits in den Parteien sich Stimmen erheben, welche das Einschreiten der Schutzmaechte gegen die Verfassung von 1860 fuer dringend noethig erachten. Es scheint, dass die Zustaende in Rumaenien keine freie Verfassung ertragen. In allen Schichten der Bevoelkerung fehlt es an Vertretern, welche die noetige Einsicht zur Ausuebung verfassungsmaessiger Rechte besitzen. Die Verfassung dient nur dem Ehrgeiz der Parteien und legt der Thaetigkeit des Fuersten, und wenn er persoenlich die groesste Energie haette, ueberall hemmende Ketten an. Gerade diejenigen welche den Regierungsantritt des Fuersten beguenstigten, die Fuehrer der radicalen Partei, sind am wenigsten geneigt seine Autoritaet zu staerken. Sie wollen ihn zu einem lenkbaren Zoegling machen und erschweren ihm das Leben in jeder Weise, Senat und Deputirtenkammer sind seit den vier Jahren der Regierung des Fuersten Carl schon dreimal ausgeloest, und der Aufloesung folgte jedes Mal eine Agitation durch das ganze Land, die das oeffentliche Leben aufs tiefste erschuettert." "Lassen Sie mir den Bericht hier," sagte der Koenig, "der arme Carl von Hohenzollern thut mir leid, dass er sich in diese Verwirrung hinein begeben hat, welche zu loesen ihm kaum gelingen moechte. Es ist merkwuerdig," sagte er, waehrend Herr Abeken den Bericht auf den Schreibtisch des Koenigs legte, "dass das Beispiel in der Familie, den Prinzen Leopold nicht abhaelt, auch seinerseits sich auf den Weg aehnlicher Abenteuer zu begeben, die vielleicht noch unangenehmer und verhaengnissvoller werden koennen. Der Fuerst Anton hat an diesem kleinen rumaenischen Thron schon genuegend empfunden, was solche Expeditionen kosten. Das spanische Unternehmen moechte wohl leicht noch etwas theurer werden koennen. Wenn keine eiligen Sachen mehr da sind," sagte er dann, "so bitte ich Sie das Uebrige fuer morgen zu vertagen. Ich moechte noch hoeren, ob Wilmowsky etwas Dringendes vorzutragen hat und einige Briefe lesen, die ich so eben erhalten, bevor ich Benedetti empfange," sagte er mit leichtem Seufzer. "Der Kronprinz hat mir sehr ausfuehrlich ueber seine Begegnung mit dem Kaiser Alexander in Breslau geschrieben, und es ist mir eine rechte Herzensfreude gewesen, zu sehen, dass auch dort wieder die mir so lieben Familienbeziehungen den innigsten Ausdruck gefunden haben. Der Kaiser hat dem Kronprinzen selbst den St. Georgsorden zweiter Klasse an die Brust geheftet und zugleich an Fritz Carl denselben Orden geschickt, wozu er mich schon frueher um die Erlaubniss gebeten hatte. Das Alles freut mich ungemein, die Beziehungen zu dem russischen Hause hege und pflege ich wie ein theures Vermaechtniss meines Vaters und wuensche von Herzen, dass dieselben Beziehungen in der kuenftigen Generation auch fort leben moegen." "Abgesehen von diesen Traditionen," sagte der Geheimrath Abeken, welcher sich erhoben und seine Mappe unter den Arm genommen hatte, "welche ja in der glorreichsten Geschichte Preussens wurzeln, sind die guten Beziehungen mit Russland auch im Hinblick auf die politischen Verhaeltnisse der Gegenwart von der aeussersten Wichtigkeit, und gerade in Augenblicken wie der gegenwaertige, in welchem nach anderer Seite hin die Keime zu Verwickelungen sich zeigen, tritt mir so recht lebhaft die Nothwendigkeit entgegen, mit dem maechtigen Nachbar im Osten in fester Einigkeit zu leben, damit fuer alle Eventualitaeten nach dorthin uns der Ruecken gedeckt ist." "Nun," sagte der Koenig laechelnd, "dafuer ist ja gesorgt, in dieser Beziehung duerfen wir keine Bedenken haben, noetigenfalls unsere ganze Kraft nach der andern Seite hinzurichten. Auf Wiedersehen, mein lieber Abeken," sagte der Koenig, "wollen Sie veranlassen, dass Benedetti zum Diner eingeladen wird. Senden Sie mir Wilmowsky und," fuegte er laechelnd mit dem Finger drohend hinzu, "stoeren Sie mir Lauer nicht wieder im Schlaf." Der Geheime Legationsrath verliess das Cabinet. Kurze Zeit darauf waehrend welcher der Koenig noch einige der fuer ihn persoenlich angekommenen Briefe geoeffnet und durchflogen hatte, trat der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky ein, auf seinem laenglichen Gesicht, dessen unterer Theil von einem kurzen weichen Bart umgeben war, lag ruhige Heiterkeit und ein fast humoristischer Zug umgab die klaren und scharf blickenden Augen, seine breite, von vollem ergrautem Haar umgebene Stirn war zugleich hoch und schoen gewoelbt, und in seiner Haltung zeigte er die ruhige und klare Sicherheit des Hofmannes. "Sind die Bestimmungen ueber die Feier des dritten August nunmehr vollstaendig getroffen," fragte der Koenig, nachdem er seinen Cabinetsrath freundlich begruesst und derselbe ihm gegenueber Platz genommen hatte. "Es liegt mir diese Feier ganz besonders am Herzen. Die Aufrichtung eines Denkmals fuer den hochseligen Koenig ist eine Pflicht der Dankbarkeit, welche ich schon lange empfunden und welche ich mich besonders freue, noch waehrend meines Lebens abtragen zu koennen." "Eure Majestaet hatten befohlen," sagte der Geheime Cabinetsrath, "dass von den Civilbehoerden ausser den Deputationen saemmtlicher in Berlin bestehenden Behoerden und der Regierung in Potsdam nur die Oberpraesidenten der Provinzen eingeladen werden sollten." "Ganz recht," sagte der Koenig, "einfach und schlicht wie der Sinn meines Vaters war, soll auch die Feier der Enthuellung des Denkmals sein, auch wenn kein grosser Pomp entfaltet wird, so wird das Gefuehl des preussischen Volkes und seine frommen Erinnerungen dennoch diesem Act seine schoene und hohe Bedeutung geben." "Von den Rittern des eisernen Kreuzes," fuhr der Geheime Cabinetsrath fort, "sollen wie Eure Majestaet bestimmten, nur diejenigen von Berlin, Potsdam und Spandau zugezogen werden--" "Die Ritter des eisernen Kreuzes," sagte der Koenig sinnend--"um das Denkmal des verewigten Herrn, dessen einfacher frommer Sinn dieses eiserne Denkzeichen an eine eiserne Zeit stiftete! Sie werden immer weniger," fuhr er mit weicher Stimme fort, "diese alten Kaempfer fuer die Befreiung Deutschlands--noch einige Jahre und das edle Zeichen wird aus meiner Armee verschwunden sein,--sie werden dann dort oben Alle versammelt sein um meinen Vater und meine Mutter--und ich auch!--So Gott will aber soll der Geist nicht verloren gehen, welcher in jenem Zeichen lebt, der Geist der frommen und treuen Hingebung an das Vaterland, der Geist, der uns lehrt, das eiserne Schwert nur zu gebrauchen fuer eine Sache, auf welcher der Segen des heiligen Kreuzes ruht." "Uebrigens," fuhr der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky nach einigen Augenblicken fort, "wird eine umfassende Repraesentation der Stadt Berlin bei der Feier statt finden, worueber der Polizeipraesident von Wurmb, der heute oder morgen hier eintrifft, Eurer Majestaet noch naehere Mittheilungen machen wird. Auch von allen Grossstaedten der Monarchie sind Deputationen angemeldet, ebenso von Seiten der Provinzial-Staende." "Wenn es nur nicht zu gross und geraeuschvoll wird," sagte der Koenig. "Nun," fuhr er fort, "Jedermann in Preussen kennt ja den Sinn meines Vaters, und man wird verstehen, dass auch in diesem Sinne die Feier gehalten werden muss. Es sollen Deputationen der russischen Armee erscheinen," fuhr er dann fort, "ich will darueber noch mit Treskow das naehere besprechen. Diese Aufmerksamkeit des Kaisers Alexanders freut mich ganz besonders, der hochselige Herr legte ja stets so hohen Werth auf die russische Freundschaft und laechelte stets so still gluecklich, wenn es im Palais hiess, die Russen kommen. Es wird ein schoener, aber tief ergreifender Tag werden," sagte er, "und ich werde so recht ruhig und zufrieden sein, wenn ich erst das liebe und so schoen gelungene Erzbild meines Vaters als ein Denkmal der grossen und unvergesslichen Zeit werde aufgerichtet haben. Lassen Sie mir das ganze Programm hier," sagte er dann, "ich will Alles genau noch pruefen, und wenn ich Wurmb gehoert habe, Alles definitiv feststellen. Was haben Sie sonst noch?" Der Geheime Cabinetsrath nahm seine Papiere zur Hand und begann den Vortrag ueber die laufenden Geschaeftssachen, welche der Koenig hier im Bade mit derselben Puenktlichkeit und Regelmaessigkeit erledigte, als in Berlin. * * * * * Um drei Uhr Nachmittags erschien im Badehause der franzoesische Botschafter Graf Benedetti. Er war bereits zum Diner angekleidet und trug unter dem schwarzen Frack das breite Orangeband des Ordens vom schwarzen Adler, den Stern dieses hoechsten preussischen Ordens und das Grosskreuz der Ehrenlegion auf der Brust. Sein blasses, glattes und bartloses Gesicht, dessen runde Stirn von duennem ergrauendem Haar umgeben war, zeigte die vollkommenste gleichgueltige Ruhe. Ein heiteres, freundlich hoefliches Laecheln lag auf seinen Lippen, und seine klaren grauen Augen, welche selten einen bestimmten Ausdruck zeigten, blickten so voellig unbefangen umher, dass Niemand, der den Botschafter in die Wohnung des Koenigs eintreten sah, an das Vorhandensein irgend einer, auch nur einigermassen ernsten politischen Frage haette glauben koennen. Der Fluegeladjutant vom Dienst meldete den Botschafter sofort Seiner Majestaet und fuehrte ihn unmittelbar darauf in das koenigliche Arbeitscabinet. Koenig Wilhelm hatte sich erhoben, trat dem Grafen Benedetti einen Schritt entgegen und reichte ihm mit freundlicher Bewegung die Hand, welche dieser, sich tief verneigend, ehrerbietig ergriff. "Ich glaube zu wissen, wesswegen Sie kommen," sagte der Koenig,--"wir werden uns leicht darueber verstaendigen und aus dieser Sache wird kein Conflikt entstehen." Er deutete, waehrend er sich vor seinen Schreibtisch setzte, auf einen Sessel, welcher neben demselben stand. "Eure Majestaet," sagte Benedetti, indem er sich niederliess, "haben die Gnade, dieselbe Ueberzeugung auszusprechen, in welcher ich hierher gekommen bin,--ich bin gewiss, dass es unendlich leicht sein wird, den Gegenstand der Beunruhigung verschwinden zu lassen, welcher in den letzten Tagen aufgetaucht ist, und welcher die Regierung des Kaisers, meines allergnaedigsten Herrn, sehr lebhaft beschaeftigt." Der Koenig blickte ruhig und erwartungsvoll in das unbewegliche Gesicht des Botschafters. "Die oeffentliche Meinung in Frankreich, Majestaet," fuhr dieser fort, "erblickt in der Annahme der spanischen Throncandidatur von Seiten des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern eine ernste Gefaehrdung der franzoesischen Interessen, und die Regierung des Kaisers, welche," fuegte er hinzu, "mehr als irgend eine andere Veranlassung hat, der oeffentlichen Meinung in ausgedehnter Weise Rechnung zu tragen, kann sich, wenn sie auch weit entfernt von der allgemeinen Aufregung ist, dennoch diesem Einfluss nicht verschliessen. Eure Majestaet wissen, wie hohen Werth der Kaiser persoenlich und alle Mitglieder seiner Regierung darauf legen, dass in den Beziehungen zwischen Preussen und Frankreich keine Truebung entstehe, und dass kein Missverstaendniss die aufrichtige Freundschaft und das Vertrauen stoeren, welches zum Wohl beider Nationen besteht und zu dessen Erhaltung ich nach meinen Kraeften mitzuwirken seit Jahren den ehrenvollen und erfreulichen Beruf habe." Der Koenig nickte wie die letzten Worte betaetigend leicht mit dem Kopf, ohne etwas zu erwidern. "Die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern," sprach Benedetti weiter, "muss abgesehen von der Irritation in Frankreich, wie die Regierung des Kaisers glaubt und wie auch Eure Majestaet gewiss nicht verkennen werden, auch in Spanien selbst eine grosse Aufregung hervorrufen und wird unausbleiblich dort die Ursache oder wenigstens der Vorwand grosser Unruhen und Unordnungen werden. Auch in anderen Laendern, Majestaet," fuhr er mit fast unmerklich erhoehter Betonung fort, "hat die Sache eine lebhafte Beunruhigung erzeugt,--wenn man den uebereinstimmenden Aeusserungen der englischen Presse Glauben schenken darf, so ist auch die oeffentliche Meinung in England einig darin, eine Combination zu beklagen, welche die Ruhe Spaniens ebenso sehr zu bedrohen scheint, als die guten Beziehungen, die in diesem Augenblick die grossen europaeischen Maechte miteinander verbinden. Die Regierung des Kaisers hat keinen andern Wunsch, als allen diesen Beunruhigungen so schnell als moeglich ein Ziel zu setzen, und in den Haenden Eurer Majestaet liegt es, diese Wuensche, diese lebhaften und innigen Wuensche zu erfuellen. Eure Majestaet koennen mit einem Wort alle diese Gefahren beschwoeren und den Ausbruch eines Buergerkrieges in der pyrenaeischen Halbinsel verhueten, fuer welche ein Mitglied Ihres Hauses die Verantwortung tragen wuerde. Der Prinz von Hohenzollern kann die spanische Koenigskrone nicht annehmen, ohne dazu von Eurer Majestaet autorisirt zu werden. Sobald Eure Majestaet ihn von diesem auch fuer ihn selbst gefaehrlichen Unternehmen, abzuhalten die Gnade haben, so werden die Beunruhigungen, welche jetzt alle Welt erfuellen, in einem Augenblick aufhoeren. Die hohe Weisheit Eurer Majestaet und die grossherzigen Gefuehle, welche Sie erfuellen, werden Ihren Entschluss bestimmen. Ich beschwoere Eure Majestaet, Europa diesen neuen Beweis von den edlen Gesinnungen zu geben, in welchen Allerhoechstdieselben bei jeder Gelegenheit beigetragen haben, den allgemeinen Frieden zu erhalten und zu befestigen. Die Regierung des Kaisers," fuegte er hinzu, "wird in einem solchen Entschluss Eurer Majestaet eine neue und innige Befestigung der guten Beziehungen zwischen Frankreich und Preussen erblicken und wird einen solchen Entschluss, wie ich versichern darf, mit hoher Freude und dankbarer Anerkennung entgegennehmen, ebenso wie sie ueberzeugt ist, dass derselbe in ganz Europa allgemeine Befriedigung erregen wird." Der Koenig hatte vollkommen ruhig und ohne ein aeusseres Zeichen seiner Gedanken die Worte des Botschafters angehoert, er sah einen Augenblick schweigend zu Boden und richtete dann den klaren Blick seines offenen, freien Auges fest auf Benedetti. "Mein lieber Graf," sagte er, "es ist vor allen Dingen nothwendig, jedes Missverstaendniss und jede falsche Auslegung ueber die Art meiner Intervention in dieser ganzen Angelegenheit auszuschliessen. Alle Verhandlungen, welche ueber den Gegenstand gefuehrt wurden, haben sich ganz ausschliesslich zwischen der spanischen Regierung und dem Prinzen von Hohenzollern bewegt. Die preussische Regierung ist allen diesen Verhandlungen nicht nur vollkommen fern geblieben, dieselbe war ihr sogar gaenzlich unbekannt, auch ich persoenlich habe in keiner Weise in dieselbe eingegriffen. Ich habe es sogar entschieden verweigert, einen Agenten des Marschall Prim zu empfangen, welcher in dieser Sache nach Berlin geschickt wurde und habe mich zum ersten Male ueber die ganze Frage ueberhaupt geaeussert, als der Prinz Leopold bereits ganz entschieden war, die ihm gemachten Vorschlaege anzunehmen und meine Erklaerung darueber erbat. Dies fand bei meiner Ankunft in Ems statt, und ich habe mich einfach darauf beschraenkt, dem Prinzen zu erklaeren, dass ich nicht glaubte, seinen Absichten ein Hinderniss in den Weg legen zu sollen. Die ganze, an sich schon sehr unbedeutende Einwirkung, welche ich meinerseits auf die Sache habe ueben koennen, ist also rein passiver Natur gewesen und hat sich ganz ausschliesslich auf meine Stellung als Chef des Gesammthauses Hohenzollern bezogen. Lediglich in dieser Eigenschaft und nicht in derjenigen als Koenig von Preussen bin ich von dem Entschluss des Prinzen unterrichtet worden, auch habe ich meinem Ministerrath in keiner Weise die Frage vorgelegt, und die preussische Regierung als solche, ist ausser Stande eine Interpellation ueber die Sache zu beantworten, die ihr vollkommen unbekannt geblieben ist, und fuer welche sie ebenso wenig verantwortlich sein kann, als irgend ein europaeisches Cabinet." Der Koenig schwieg. Benedetti, welcher mit schaerfster, ehrerbietigster Aufmerksamkeit seinen Worten gefolgt war, verneigte sich, wie um anzudeuten, dass er den Sinn derselben vollkommen erfasst habe. "Eure Majestaet wollen mir erlauben," sprach er mit seiner sanften, geschmeidigen Stimme, "ehrfurchtsvoll zu bemerken, dass die oeffentliche Meinung, namentlich diejenige in Frankreich den Sinn und die Bedeutung des scharfen Unterschiedes in der Stellung Eurer Majestaet, welche Allerhoechstdieselben so eben hervorzuheben die Gnade hatten, nach meiner Ueberzeugung nicht zu erfassen im Stande sein wird. Die oeffentliche Meinung sieht in dem Erbprinzen von Hohenzollern nichts anderes als ein Mitglied der in Preussen regierenden Familie und kann sich, wie ich glaube, von der Auffassung nicht los machen, dass der Prinz, indem er die spanische Koenigskrone annimmt, in einer und derselben Dynastie zwei Throne vereinigt. Man wird sich vergebens bemuehen, diese Auffassung zu zerstoeren, das Nationalgefuehl Frankreichs ist vollkommen einig in dieser Auffassung, und Eure Majestaet werden die Gnade haben, anzuerkennen, dass es der Regierung des Kaisers unmoeglich ist, dieser Auffassung gegenueber gleichgueltig zu bleiben. Die Regierung des Kaisers befindet sich in der Nothwendigkeit--und ist entschlossen, jener Auffassung der oeffentlichen Meinung mit vollem Ernst Rechnung zu tragen." "Wenn man die Sache," sagte der Koenig, "von einer andern Seite auffasst, so wird doch aber die Regierung des Kaisers nicht verkennen wollen, dass die gegenwaertige Regierung in Spanien von allen Maechten anerkannt und in ihren Entschliessungen vollkommen souverain ist. Ich vermag nicht einzusehen," fuhr er fort, "mit welchem Recht eine europaeische Macht sich der Thronbesteigung eines Koenigs widersetzen koennte, welcher durch die Vertreter des spanischen Volkes frei gewaehlt werden wuerde. Wie der spanische Gesandte in Berlin mitgetheilt hat," fuhr er fort,--"und dies ist," fuegte er mit Betonung hinzu, "die erste und einzige Mittheilung, welche die preussische Regierung ueberhaupt in der ganzen Angelegenheit erhalten hat,--werden die spanischen Cortes auf den zwanzigsten dieses Monats zusammen berufen werden. Wenn wirklich fuer die innere Ruhe Spaniens aus der Candidatur des Prinzen Leopold diejenigen Gefahren zu besorgen sein sollten, auf welche Sie, mein lieber Graf, vorhin aufmerksam gemacht haben, so wird es Sache der Cortes sein, jede Candidatur zurueckzuweisen und damit die ganze Sache zu beendigen." "Ich bitte um die Erlaubniss, Eurer Majestaet bemerken zu duerfen," erwiderte Graf Benedetti, "dass die Regierung des Kaisers weit entfernt ist, das freie Selbstbestimmungsrecht des spanischen Volkes beschraenken zu wollen. Die kaiserliche Regierung hat nur die Ueberzeugung, dass die Combination, welche eigentlich persoenlich von dem Marschall Prim ausgegangen ist, die Quelle grosser und trauriger Verwickelungen sein wuerde. Solchen Verwickelungen gegenueber werden Eure Majestaet gewiss selbst ein Mitglied Ihrer hohen Familie nicht zur Annahme der Krone autorisiren wollen. Eure Majestaet halten allein das Mittel in Haenden, um einer so gefahrvollen Lage ein Ende zu machen; und ich bin beauftragt, mich mit der dringenden Bitte an die Weisheit Eurer Majestaet zu wenden, von diesem Mittel Gebrauch zu machen." "Die Parteien in Spanien," sagte der Koenig "sind so zahlreich und so viel gespalten, dass auch die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern kaum im Stande sein wuerde, dort einen Buergerkrieg zu vermeiden. Die Parteien sind es dort gewohnt, sich dem Beschluss der Majoritaet nicht zu fuegen und mit den Waffen in der Hand, ihre Rechte oder ihre Ansichten zu vertreten." "Ich erkenne vollkommen die Wahrheit der Bemerkung Eurer koeniglichen Majestaet an," erwiderte Benedetti, indem seine schlanke Gestalt sich etwas zusammenbog--"indessen wuerde jedenfalls, wenn es trotz der Verzichtleistung des Prinzen Leopold in Spanien zu Unruhe und Kaempfen kommen sollte ein Mitglied Ihres Hauses nicht die Verantwortung fuer vergossenes Blut zu tragen haben." Der Koenig senkte einen Augenblick nachdenklich den Blick zu Boden. "Mein lieber Graf," sagte er dann, "Sie koennen ueberzeugt sein, dass ich den aufrichtigen Wunsch hege, eine Situation verschwinden zu lassen, welche zu Verwickelungen und Missverstaendnissen Veranlassung giebt. Ich muss indess noch einmal darauf zurueckkommen, dass meine ganze persoenliche Stellung zu der Frage eine rein negative, wenigstens vollkommen passive ist. Ich habe wahrlich in keiner Weise den Prinzen Leopold irgend wie zur Annahme der ihm angetragenen Candidatur ermuntert, ich habe mich lediglich darauf beschraenkt, seinen Entschluessen kein Hinderniss in den Weg zu legen. Von diesem Standpunkt wuerde ich mich auch jetzt nur sehr schwer entfernen koennen, ich kann den Prinzen eben so wenig, wie ich ihn zu seinem Entschluss ermuthigt habe, auch jetzt nicht zwingen, von demselben zurueckzukommen. Mir scheint, dass die Regierung des Kaisers, wenn sie wirklich in dieser Sache so grosse Gefahren erblickt, die ich noch nicht zu sehen im Stande bin, allen ihren Einfluss in Madrid aufwenden sollte, um die dortige Regierung zu bestimmen, dass sie auf das Projekt verzichte." "Ich habe bereits die Ehre gehabt, Eurer Majestaet zu bemerken, dass die Regierung des Kaisers in keiner Weise in das freie Selbstbestimmungsrecht der spanischen Nation eingreifen moechte. Sie wuerde die Schwierigkeit der ganzen Lage nur unendlich vergroessern, die kaiserliche Regierung hat vielmehr geglaubt, dass der leichteste und einfachste Weg zur Erledigung der ganzen Angelegenheit der sei, wenn Eure Majestaet Allerhoechst Ihre maechtige Autoritaet gebrauchen, um durch die Verzichtleistung des Prinzen diese Candidatur verschwinden zu lassen. Ich darf mir erlauben, Eure Majestaet auf die Praecedenzfaelle in Betreff Griechenlands und Neapels aufmerksam zu machen, in welchen ebenfalls das Prinzip festgestellt wurde, dass Prinzen, welche der Dynastie einer Grossmacht angehoeren, nicht zu gleicher Zeit Souveraine eines anderen Landes sein sollen, und auch der Kaiser, mein allergnaedigster Herr, hat persoenlich dies Prinzip anerkannt, indem er dem Prinzen Murat die Bewerbung um den neapolitanischen Thron untersagte. Eure Majestaet werden sich um so mehr in diesem Sinne entscheiden koennen, als ja Preussen und Deutschland keinen Antheil an den bisherigen Versammlungen genommen haben, also auch keine Concessionen zu machen haben wuerden, waehrend fuer Frankreich sehr ernste Interessen auf dem Spiel stehen und waehrend dort, wie ich mir zu wiederholen erlauben muss, die oeffentliche Meinung sich in einer sehr bedenklichen Aufregung befindet, einer Aufregung, welche auch der Baron Werther vor seiner Abreise hat wahrnehmen koennen, und ueber welche er, wie ich nicht zweifle, Eurer Majestaet Bericht erstattet haben wird." "Diese Aufregung der oeffentlichen Meinung in Frankreich ist mir bekannt," sagte der Koenig, "die Thatsache ihrer Existenz beweist aber noch nichts fuer ihre Berechtigung und dann muss ich Ihnen aufrichtig sagen, dass die Erklaerung, welche der Herzog von Gramont im Corps legislatif abgegeben hat, mir weit eher dazu geneigt scheint, die oeffentliche Meinung noch mehr zu echauffiren, als sie zu beruhigen. Der erste Theil der Erklaerung des Herzogs," fuhr der Koenig fort, "ist sehr richtig und sehr correct. Indessen muss ich Ihnen gestehen, dass der Schlusssatz derselben mich allerdings sehr peinlich beruehrt hat. Die Worte, welche der Herzog ueber die Absichten einer fremden Macht gesprochen hat, koennen doch nur auf Preussen bezogen werden. Wie ich Ihnen gesagt, hat die preussische Regierung an der ganzen Sache nicht den geringsten Antheil gehabt. Jene Worte machen daher fast den Eindruck einer Provokation, und wenn ich auch eine solche in denselben nicht finden will, so wird doch dieser Eindruck in Deutschland vorhanden sein, und er kann dazu beitragen, dass auch in Deutschland die oeffentliche Meinung sich aufzuregen beginnt, wodurch dann allerdings die ganze Situation sehr erheblich verschlimmert werden wuerde." Der Koenig hatte die letzten Worte mit etwas erhoehtem Tone gesprochen, ohne dass indess von seinem Gesicht der Ausdruck ruhiger und freundlicher Hoeflichkeit verschwunden war. "Ich moechte Eure Majestaet bitten, zu beruecksichtigen," erwiderte Benedetti, "dass der Herzog von Gramont sich in einer auf's hoechste aufgeregten Versammlung befand und dass es ihm vor allen Dingen darauf ankommen musste, jede aufreizende und gefaehrliche Discussion abzuschneiden und deshalb eine Erklaerung abzugeben, welche dieser Versammlung versicherte, dass fuer den Fall einer Gefaehrdung der Ehre und der Interessen Frankreichs die Haltung der kaiserlichen Regierung eine feste und entschiedene sein werde. Eure Majestaet werden anerkennen, dass die Erklaerung des Herzogs von Gramont ihm nur durch den dringenden Wunsch dictirt sein kann, die ganze Frage offen zu halten und alle Eroerterungen auszuschliessen, welche den guten Beziehungen zu Preussen, auf welche der Kaiser und seine Regierung einen so hohen Werth legen, haetten gefaehrlich werden koennen." Der Koenig schuettelte langsam den Kopf, als verstehe er diese Argumentationen des Botschafters nicht. "Ich begreife nicht," sagte er, "wie die Ehre und die Interessen Frankreichs durch den Entschluss des Prinzen von Hohenzollern beruehrt werden koennen. Die Verhandlungen, welche zu diesem Entschluss gefuehrt haben, sind ja durch die Regierung in Madrid aus freiem Antriebe begonnen. Keine Regierung hat an denselben irgend welchen Antheil genommen, ich begreife nicht, wie daraus irgend ein Conflikt entstehen kann. Und ich will nicht annehmen," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu, indem er voll Wuerde und Hoheit den Kopf emporhob, "dass der Krieg aus einem Fall sich entwickeln koenne, bei welchem gar keine europaeische Macht betheiligt ist." Ein leichtes Zucken zeigte sich in den Augenwinkeln Benedetti's, wie abwehrend hob er ein wenig die Hand empor und rief: "An eine solche Eventualitaet, Majestaet, auch nur zu denken, kann mir nicht in den Sinn kommen. Meine Anwesenheit hier in Ems allein beweist schon, wie dringend die Regierung des Kaisers eine versoehnliche und allgemein befriedigende Loesung der so ploetzlich entstandenen Schwierigkeiten ersehnt, gerade um zu einer solchen Loesung zu gelangen, bin ich beauftragt worden, Eurer Majestaet alle diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, welche uns zwingen, die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern dringend zu wuenschen." "Ich kann Ihnen nur nochmal wiederholen," sagte der Koenig, "dass es mir unendlich fern liegt, den Prinzen Leopold zur Annahme der spanischen Koenigskrone zu ermuthigen oder auch eine solche Annahme seinerseits nur zu wuenschen, indess muss ich ihm schon desshalb, weil er nicht unmittelbar zu meinem koeniglichen Hause gehoert und kein preussischer Prinz ist, die volle Freiheit seines Entschlusses lassen, seine Annahme zurueckzuziehen. Indess," fuegte er hinzu, "um Ihnen zu beweisen, wie sehr auch ich eine allseitig befriedigende Loesung wuensche, kann ich Ihnen mittheilen, dass ich sogleich, als ich von der grossen Aufregung in Frankreich unterrichtet worden bin, mich mit dem Fuersten Anton, der sich in Sigmaringen befindet, in Verbindung gesetzt habe, um ihn ueber seine und des Prinzen Leopold Ansichten zu befragen und zu erfahren, wie sie ueber die in Frankreich durch den Entschluss des Prinzen Leopold hervorgerufenen Aufregung daechten. Wenn der Prinz Leopold und sein Vater die ganze Eroerterung ueber den Gegenstand zu beseitigen geneigt waeren, so wuerden ja dadurch alle Schwierigkeiten gehoben,--einen Einfluss auf ihre Entschluesse auszuueben, aber halte ich mich nicht fuer berechtigt, und Sie begreifen, mein lieber Graf, dass ich erst dann in der Lage sein werde, unsere heutige Unterredung fortzusetzen, wenn ich genaue Mittheilungen ueber die Beschluesse des Fuersten Anton und seines Sohnes haben werde." Der Koenig sagte die letzten Worte in einem Ton, welcher andeutete, dass er die Unterredung fuer beendet halte. Benedetti verneigte sich tief, ohne indess aufzustehen und sagte: "Ich muss mir erlauben Eurer Majestaet ehrerbietigst zu bemerken, dass die Regierung des Kaisers sich der stets wachsenden Aufregung der Kammer und der Presse gegenueber, in grosser Verlegenheit befindet und dringend wuenschen muss, so bald als irgend moeglich bestimmte Erklaerungen ueber die endgueltige Erledigung dieses Incidenzfalles abgeben zu koennen. Eure Majestaet wuerden mir daher eine besondere Gnade erweisen, wenn Sie mir ungefaehr den Zeitpunkt bezeichnen koennten, bis zu welchem Sie im Besitz der zu erwartenden Nachricht sein koennen." Der Koenig sann einen Augenblick nach. "Ich kann den Telegraphen nicht benutzen," sagte er dann, "ich habe hier in Ems keinen Chiffre, durch den ich mit dem Prinzen Anton correspondiren kann. Ich weiss auch nicht ganz genau, wo der Prinz Leopold sich in diesem Augenblick befindet,--indess kann es unmoeglich lange dauern. Ich hoffe, sehr bald genau unterrichtet zu sein und werde Sie dann sofort benachrichtigen." Benedetti erhob sich. "Ich stehe zu Eurer Majestaet Befehl," sagte er, "und habe nur noch den dringenden Wunsch auszusprechen, dass Allerhoechstdieselben mich bald in die Lage setzen moechten, meiner Regierung die glueckliche und befriedigende Beseitigung der ganzen Angelegenheit mittheilen zu koennen." "Ich sehe Sie noch bei der Tafel, mein lieber Graf," sagte der Kaiser, indem er Benedetti die Hand reichte, "und hoffe, dass Ihr Aufenthalt hier in Ems, so gern ich Sie hier auch sehe, sich nicht zu sehr verlaengere, und dass Sie bald Ihre unterbrochene Kur in Wildbad wieder aufnehmen koennen." Mit tiefer Verneigung verliess Benedetti das Cabinet, begab sich durch das Vorzimmer in den laenglichen einfenstrigen Raum, in welchem bereits die zum Diner befohlenen Personen sich versammelten. Der Koenig klingelte. Sein Kammerdiener Engel erschien und in kurzer Zeit hatte Seine Majestaet die Toilette fuer das Diner beendet. "Rufen Sie mir Abeken noch einmal," sagte der Koenig. Wenige Minuten darauf trat der Geheime Legationsrath Abeken ebenfalls zum Diner angekleidet in das Zimmer. Ernst und sinnend sagte der Koenig: "Sie verlangen von mir die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern, sie wollen sich nicht nach Spanien wenden,--es ist in dem Allen ein Hintergedanke, ich fuehle das an dem ganzen Wesen Benedetti's, er macht mir den Eindruck, dass er schaerfere Instructionen hat, als seine Worte erkennen lassen. Diese fast absichtliche Muehe, die man sich giebt, um die Sache zu einer Frage zwischen Deutschland und Frankreich zu machen, was sie doch nicht ist, kommt mir ein wenig bedenklich vor--und je mehr man sie zu einer deutschen Frage macht, um so weniger bin ich meinerseits im Stande, irgend eine Concession zu gewaehren. Jedenfalls telegraphiren Sie nach Berlin, dass Bismarck hierher kommen moege; wenn die Sache irgend eine ernstere Dimension annimmt, muss ich ihn doch bei mir haben. Auch waere es gut," fuegte er hinzu, "wenn Moltke von seinem Urlaub zurueckkaeme, es ist immer besser, fuer alle Faelle vorbereitet zu sein, als ueberrascht zu werden. Nach dem Diner theilen Sie mir sogleich alle Nachrichten mit, die weiter von Berlin gekommen sind." Der Geheime Legationsrath ging hinaus. "Sollte es moeglich sein," sprach der Koenig mit tiefem Sinnen an das Fenster tretend, "dass auch dieser Kampf mir noch beschieden waere? Die Mahnung an das Standbild meines Vaters--an das eiserne Kreuz liessen so lebhaft in mir die Bilder jener alten vergangenen Zeiten heraufsteigen,--nun," sagte er den Blick ueber die gruenen Baeume hin zum Himmel richtend, "in dieser Mahnung liegt auch die Buergschaft fuer die Zukunft Preussens und Deutschlands,--wenn Gott den Kampf beschlossen, so wird auch Gott mit uns sein in diesem Kampf!" Die Thuer des Cabinets wurde geoeffnet, der Hofmarschall Graf Perponcher trat ein, meldete Seiner Majestaet, dass das Diner servirt sei und schritt dann dem Koenige voran in den kleinen Versammlungssaal, in welchem das Gefolge und die zur Tafel befohlenen etwa vierzehn Personen versammelt waren. Der Koenig gruesste die Anwesenden huldvoll und heiter und schritt in den Speisesaal voran, in welchem die koeniglichen Jaeger in ihrer geschmackvollen gruenen und silbernen Livree zum Service bereit standen. Graf Benedetti nahm neben Seiner Majestaet Platz, der Koenig unterhielt sich mit ihm waehrend des ganzen Diners in so liebenswuerdig, freundlicher und unbefangener Weise, dass alle Anwesenden die Ueberzeugung gewannen, es koennten keine ernsthaften drohenden Wolken am politischen Horizont bestehen, und dass diese Ueberzeugung in schnell sich fortpflanzender Mittheilung am Abend die ganze Badegesellschaft von Ems durchdrungen hatte. Siebentes Capitel. Die Sonne sank bereits unter den Horizont und der alte Park von St. Cloud mit fernen gewaltigen Riesenbaeumen huellte sich in dunkle Schatten, als der Wagen des Herzogs von Gramont in das kaiserliche Schloss einfuhr. Der Herzog stieg aus und schritt eiligst die Treppe zu den Appartements des Kaisers hinauf, in welche er nach der Meldung des Dienst thuenden Adjutanten unmittelbar eingefuehrt wurde. Auf dem Tisch des Kaisers brannte bereits eine hohe Lampe mit grossem flachem Schirm von blaeulichem Glas, waehrend durch das geoeffnete Fenster mit den Dueften der bluehenden Rosenbeete die letzten Strahlen des sinkenden Tages hineindrangen. Der Kaiser, welcher sich nach dem Familiendiner so eben zurueckgezogen und den Frack mit einem leichten weiten Sommerrock vertauscht hatte, lag halb in einem jener grossen amerikanischen Schaukelstuehle von feinen elastischen Holzstreifen, den Kopf auf eine an der Lehne des Stuhls haengende Schlummerrolle gestuetzt und in ruhiger Traeumerei seine Cigarre rauchend. Mit einem leisen Seufzer ueber die Stoerung seines Dolce far niente erhob er sich mit einiger Muehe und ging dem Minister einige Schritte entgegen, welcher sich in einer gewissen Erregung zu befinden schien. "Ich habe Eurer Majestaet eine guenstige und wichtige Nachricht mitzutheilen," sagte der Herzog von Gramont, "und Ihre Befehle zu erbitten, wie die durch dieselbe geschaffene neue Situation behandelt werden soll." Der Kaiser athmete wie erleichtert auf. "Hat der Koenig Wilhelm die Forderung Benedetti's erfuellt," fragte er. "Ist dieser unangenehme und peinliche Fall erledigt?" "Der Prinz von Hohenzollern, Sire," sagte der Herzog von Gramont, "hat seine Candidatur zurueckgezogen. Olozaga ist so eben bei mir gewesen, um mir dies mitzutheilen und nach einem Telegramm von Benedetti hat der Koenig Wilhelm ihm ebenfalls die Verzichtleistung des Prinzen durch einen Adjutanten mittheilen und erklaeren lassen, dass er diese Verzichtleistung autorisire." "Ah," sagte der Kaiser mit zufriedenem Laecheln, "unser energisches Auftreten hat also schnell seine Fruechte getragen." "Wie immer, Sire," sagte der Herzog mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung, "fuer eine Macht wie Frankreich ist Energie und Festigkeit immer die beste Politik, und ich freue mich von ganzem Herzen, dass durch unser Auftreten in dieser Sache nicht nur vor der Nation, sondern vor ganz Europa der Beweis geliefert worden ist, dass das Wort Frankreichs noch nicht ungehoert verhalle, und dass die Zeit beendet sei, in welcher man glaubte, ohne unsere Zustimmung die grossen und wichtigen europaeischen Fragen entscheiden zu koennen. Das einfache Wort Eurer Majestaet hat genuegt, um diese Combination des Grafen von Bismarck scheitern zu lassen. Die Situation hat sich ungemein guenstig fuer uns veraendert, denn wir haben alle europaeischen Cabinette fuer uns, welche saemmtlich in der Thronbesteigung eines Hohenzollerschen Prinzen in Spanien eine bedenkliche Gefahr fuer die Ruhe und das Gleichgewicht Europas erblickten. Es kommt nun nur darauf an, den Erfolg, den wir errungen haben, vor den Kammern und der oeffentlichen Meinung in das richtige Licht zu stellen, damit alle die Feinde der Regierung sich ueberzeugen, dass das Kaiserthum noch gross und glaenzend da steht, und dass Frankreich nach der langen Zurueckhaltung, welche auf die Schlacht von Sadowa folgte, wieder entschlossen ist, mit entscheidender Hand in die Politik einzugreifen." "Sehr gut, sehr gut," sagte der Kaiser, "das wird einen vortrefflichen Eindruck machen. Wir haben da einen grossen Schlag gethan, und zwar ohne alle heftigen Verwickelungen und ohne dass selbst unsere Beziehungen zu Preussen irgend wie getruebt werden, denn Benedetti berichtet ja, dass er mit der groessten Auszeichnung vom Koenige Wilhelm behandelt worden sei. Ich gratulire Ihnen, mein lieber Herzog, zu diesem ersten Debut als Minister der auswaertigen Angelegenheiten. Es ist ein Triumph ohne Opfer, und ich bin ueberzeugt, dass einem solchen vortrefflichen Anfang immer glaenzendere Resultate folgen werden." Er reichte dem Herzog die Hand, welche dieser, sich verbeugend, mit strahlendem Laecheln ergriff. "Es kommt nun darauf an," fuhr der Kaiser fort, "die Fassung der Mittheilungen dieses so erfreulichen Ereignisses fuer die Kammer und die Journale fest zu stellen. Es thut mir leid, Sie wieder fort zu schicken, aber ich glaube, Sie muessen sogleich nach Paris zurueckkehren, sich mit Ollivier darueber zu verstaendigen. Er ist ja Meister in der Redewendung, setzen Sie mit ihm eine Erklaerung auf, welche in solenner Weise die ganze Angelegenheit beendet und ohne Preussen zu verletzen, im Gegentheil mit anerkennendem Ausdruck fuer die Weisheit und das Entgegenkommen des Koenigs Wilhelm, dennoch unsern Sieg in helles Licht stellt." "Ollivier," erwiderte der Herzog, "hat die Nachricht bereits privatim im Corps legislatif verschiedenen Deputirten mitgetheilt, die Befriedigung darueber war allgemein." "Um so besser," sagte der Kaiser, "wird morgen die feierliche Erklaerung aufgenommen werden. Ich bitte Sie also, dieselbe aufzusetzen und sie mir, so bald Sie sie redigirt haben, mittheilen zu lassen--auf Wiedersehen, lieber Herzog. Nachdem wir diesen Sturm beschworen haben," fuegte er laechelnd hinzu, "hoffe ich, Sie auf einige Tage hier zu sehen, um sich in laendlicher Ruhe von den Aufregungen der letzten Tage etwas zu erholen." Der Herzog empfahl sich Seiner Majestaet und verliess immer das stolze zufriedene Laecheln auf den Lippen das Cabinet. Der Kaiser athmete erleichtert auf, blickte einen Augenblick schweigend nach dem in immer tiefere Schatten versinkenden Park hinaus und ergriff dann eine neue Cigarre, um sie anzuzuenden und sich abermals der durch den Besuch seines Ministers unterbrochenen Traeumerei zu ueberlassen. Da oeffnete sich schnell die Thuer, General Fave erschien und sagte: "Der oesterreichische Botschafter bittet Eure Majestaet, ihn empfangen zu wollen." Verwundert blickte der Kaiser auf. "Metternich," sagte er, "zu dieser Stunde? Was kann er bringen?--bitten Sie ihn, einzutreten." Indem er seufzend seine Cigarre wieder fortlegte, ging er einige Schritte dem Fuersten Richard Metternich entgegen, den der General in das Cabinet fuehrte. Der Sohn des grossen Staatsmannes, welcher einst so lange die Geschicke der oesterreichischen Monarchie und ein wenig diejenigen von ganz Europa in seinen Haenden gehalten hatte, war damals ungefaehr zwei und vierzig Jahre alt. Er war eine angenehme, sympathisch anmuthende Erscheinung, die Fuelle seiner Gestalt that der elastischen Eleganz seiner Bewegungen keinen Eintrag, sein etwas bleiches Gesicht, auf dessen hohe Stirn die leicht gelockten, duenn gewordenen Haare herabfielen, war von einem starken, lang hinab haengenden Backenbart umrahmt; seine edel geschnittenen Zuege zeigten den Ausdruck ruhiger und sorgloser Heiterkeit, waehrend seine geistvollen Augen zugleich scharf beobachtend umher blickten. Heute aber lag auf diesem Gesicht eine gewisse unruhige Aufregung--ernst erwiderte er die Begruessung des Kaisers und sprach, indem er sich auf den Wink desselben ihm gegenueber setzte, mit leicht erregter Stimme: "Ich bitte Eure Majestaet um Verzeihung, dass ich es wage, noch in so vorgerueckter Abendstunde um Gehoer zu bitten; aber die beunruhigenden Nachrichten, welche die ganze politische Welt erfuellen, machen es mir zur Pflicht, mich unverzueglich des Auftrages zu entledigen, welchen der Graf Beust, der seine Badekur in Gastein verschoben hat, mir so eben ertheilte." Der Kaiser laechelte ein wenig, neigte leicht das Haupt und sprach: "Sie wissen, lieber Fuerst, dass Ihr Besuch mir zu jeder Zeit angenehm und erfreulich ist, auch wenn Sie mir keine Mittheilung des Grafen Beust zu machen haetten. Der Besuch eines Freundes ist immer willkommen, und zu meinen Freunden gehoert der Fuerst Metternich ebenso sehr als der Botschafter des Kaisers von Oesterreich." Der Fuerst dankte durch eine ehrerbietige Verneigung fuer die freundlichen Worte des Kaisers und fuhr dann in demselben ernsten Ton wie vorher fort: "Das guetige Wohlwollen Eurer Majestaet, von welchem ich schon so viele Beweise erhalten habe, und welches Sie so eben von Neuem auszusprechen die Gnade haben, giebt mir die Hoffnung, dass Sie auch dem, was ich Ihnen zu sagen habe, ein gnaediges und aufmerksames Ohr schenken werden. Sire," sprach er weiter, "die Regierung meines allergnaedigsten Herrn kann sich der Besorgniss nicht erwehren, dass die Eroerterungen, welche zwischen Frankreich und Preussen in diesem Augenblick ueber die Hohenzollersche Candidatur Statt finden, bei der hoch gehenden Aufregung der Volksstimmung in Frankreich und bei dem Beginn einer aehnlichen Aufregung in Deutschland zu ernsten Conflicten und gefaehrlichen Catastrophen fuehren moechte. Ich habe zu verschiedenen Zeiten zu meiner grossen Genugthuung Gelegenheit gehabt, Eurer Majestaet gegenueber zu constatiren, dass die politischen Interessen Frankreichs und Oesterreichs in allen grossen Fragen die gleichen seien, und dass eine gleichmaessige Behandlung aller dieser Fragen im Interesse beider Staaten liege. Die gleiche Versicherung hat auch der Herzog von Gramont waehrend seines Aufenthalts in Wien bei jeder Gelegenheit von dem Reichskanzler selbst erhalten." Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf. "Graf Beust hat aber bei allen solchen Gelegenheiten," fuhr der Fuerst Metternich fort, "dem Herzog gegenueber auch ganz bestimmt betont, dass Oesterreich noch auf lange hinaus nicht in der Lage sei, an irgend einer militairischen Action, selbst wenn dieselbe in seinem Interesse liegen koennte, Theil zu nehmen, ohne dadurch die ruhige Entwickelung und damit die Zukunft der oesterreichischen Monarchie auf das Hoechste zu gefaehrden, und dass es desshalb fuer die oesterreichische Politik geboten sei, ueberall und zu jeder Zeit zur Vermeidung von Conflicten beizutragen, welche geeignet waeren, kriegerische Consequenzen herbeizufuehren. Der _gegenwaertige_ Augenblick und die zwischen Frankreich und Preussen schwebende Frage scheinen nun, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, die Befuerchtung solcher Consequenzen sehr nahe zu legen, und ich bin desshalb beauftragt, Eurer Majestaet bestimmt zu erklaeren, dass Oesterreich, wenn aus dieser Hohenzollerschen Candidatur kriegerische Entwickelungen entstehen sollten, nicht im Stande sei, in denselben irgend eine active Rolle zu spielen und sich auf die Seite Frankreichs zu stellen." Der Kaiser blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder, dann sagte er. "Mein lieber Fuerst, die Erklaerung, welche Herr von Beust mir da durch Sie abgeben laesst, ueberrascht mich in ihrem allgemeinen Inhalt nicht, dennoch scheint mir ihre bestimmte Wiederholung gerade in diesem Augenblick nicht vollkommen mit der auch vom Grafen Beust anerkannten Identitaet der politischen Interessen Oesterreichs und Frankreichs uebereinzustimmen. Sollte ich jemals in einen ernsten Conflict mit Preussen gerathen, so wuerde, scheint es mir, der Augenblick gekommen sein, in welchem jene Identitaet der Interessen sich practisch zu bethaetigen haette,--wenn sie ueberhaupt irgend eine Bedeutung haben soll,--und Oesterreich muesste doch in der That mit Freuden eine solche Gelegenheit begruessen, welche ihm die Moeglichkeit bietet, ohne grosse eigene Gefahr das im Jahre 1866 Verlorene wieder zu gewinnen; von vorn herein eine solche Gelegenheit ausschliessen zu wollen, scheint mir nicht im Interesse Oesterreichs zu liegen, und wenn eine solche Erklaerung oeffentlich abgegeben wird,--wenn sie auch andern Cabinetten bekannt wird," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu, "so wird das sehr wenig dazu beitragen koennen, die nachdrueckliche Vertretung der Interessen Frankreichs zu unterstuetzen." "Sire," erwiderte der Fuerst Metternich, "nach meiner Ueberzeugung, welche wie ich glaube auch diejenige des Grafen Beust ist, wuerde es allerdings Eventualitaeten geben, unter denen es fuer Oesterreich vortheilhaft, ja geboten erscheinen koennte, im Verein mit Frankreich Preussen von der 1866 eroberten Stellung zurueckzuwerfen,--eine solche Eventualitaet koennte aber nur dann eintreten, wenn einmal der _Grund_ des Conflicts Oesterreich das Recht und die Moeglichkeit gebe, in demselben Stellung zu nehmen und wenn sodann die Aussichten des Erfolges einigermassen sicher sind. In diesem Augenblick ist aber beides nicht der Fall. Der einzige Kriegsgrund fuer Oesterreich koennte in einem Eingriff Preussens in die unabhaengige Selbststaendigkeit der Sueddeutschen Staaten liegen; bei einem solchen Kriegsgrund wuerde ein grosser Theil der deutschen Nation auf Oesterreichs Seite stehen, und der Kampf wuerde die grossen Fragen von 1866 wieder aufnehmen unter der Mitwirkung Frankreichs, welche damals die Verhaeltnisse Eurer Majestaet unmoeglich machten. Gegenwaertig ist aber von einem solchen Kriegsgrunde nicht die Rede, der Erbprinz von Hohenzollern ist ein deutscher Fuerst, und wenn Preussen einen Krieg annehmen sollte, weil Frankreich sich der Thronbesteigung eines deutschen Prinzen in Spanien widersetzt, so wuerde das Nationalgefuehl sich auf die Seite Preussens stellen, und eine Alliance Oesterreichs mit Frankreich wuerde in diesem Falle nur dazu beitragen, Oesterreich als den Nationalfeind Deutschlands vor dem Volk erscheinen zu lassen, das heisst, uns jede moralische Unterstuetzung zu rauben, welche in einem solchen Kampf unumgaenglich nothwendig ist. Ausserdem aber, Sire," fuhr er fort, "sind die Chancen des Erfolges, wie es mir scheint, aeusserst unsicher. Unsere militairischen Vorbereitungen sind nicht beendet, unsere Finanzen sind noch nicht geordnet, schon aus diesem Grunde wuerde Oesterreich zu einer nachdruecklichen Kriegfuehrung kaum im Stande sein--" "Man wuerde aber doch," fiel der Kaiser ein, "lediglich durch eine drohende Haltung grosse preussische Truppenmassen absorbiren." "Auch das ist nicht moeglich, Sire," sagte Fuerst Metternich seufzend, "denn leider muss ich Eurer Majestaet mittheilen, dass von Seiten Russlands uns deutlich zu verstehen gegeben worden, jede feindliche Bewegung gegen Preussen werde sofort gleiche Schritte Russlands gegen unsere Grenzen zur Folge haben. Damit wuerde also unsere Drohung wirkungslos gemacht und wir gezwungen werden, unsere disponiblen Truppen zur Selbstvertheidigung an die russische Grenze zu schicken." "Der Kaiser Alexander," fiel Napoleon ein, "hat sich aber doch entschieden gegen die Hohenzollersche Kandidatur erklaert und versichert ausserdem den General Fleury unausgesetzt seiner Freundschaft und seiner Sympathien gegen Frankreich." "Das Alles wird nicht hindern, Sire," sagte der Fuerst Metternich, "dass wenn es wirklich zum Conflict kommt, Russland sehr entschieden auf die Seite Preussens treten und wenigstens ganz bestimmt Oesterreich verhindern wird, irgend etwas zu unternehmen. Ich beschwoere also Eure Majestaet," fiel er lebhafter sprechend fort, "glauben zu wollen, dass Oesterreich sich von der Liga der Neutralen nicht wird trennen koennen--ich bitte Eure Majestaet instaendigst, in dieser ganzen Sache keinen Schritt zu thun, der zu unheilbaren Conflicten fuehren kann, denn Eure Majestaet wuerden ganz isolirt sein und sich dem hoch aufgeregten deutschen Nationalgefuehl gegenueber befinden, welches, von Preussen organisirt, ein furchtbar gefaehrlicher Gegner sein wird." "Glauben Sie," sagte der Kaiser, den Blick scharf und forschend auf Metternich richtend, "dass das deutsche Nationalgefuehl in Baiern und Wuertemberg sich jemals fuer Preussen wird erheben koennen, da man dort doch einsehen muss, dass wenn man unter preussischer Fuehrung gegen Frankreich zu Felde zieht, man fuer immer die eigene Selbststaendigkeit aufgiebt. Man hat mir berichtet," sagte er, "dass die Stimmung in jenen Staaten sehr preussenfeindlich ist und Sie selbst, lieber Fuerst, haben mir frueher Aehnliches mitgetheilt. Sollte das Alles sich schnell aendern koennen?" "Es wird sich aendern, Sire," sagte der Fuerst, "und hat sich zum Theil schon geaendert, und von Berlin aus wird mit grosser Geschicklichkeit gearbeitet, um der oeffentlichen Meinung die Haltung Frankreichs gegenueber der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern als eine der ganzen Nation angethane Beleidigung darzustellen. Glauben mir Eure Majestaet, die Sueddeutschen Staaten werden in dieser Frage mit Preussen gehen--die Sueddeutschen Fuersten zunaechst, sie haben im Jahre 1866 gesehen, wie unerbittlich Preussen mit seinen Feinden verfaehrt, und um sich von Neuem in einen Kampf einzulassen, muessten sie eine grosse Coalition auf ihrer Seite sehen, welche ihnen Gewissheit des Sieges oder wenigstens des Schutzes ihrer Throne gewaehrt." Der Kaiser versank in schweigendes Nachdenken. Fuerst Metternich sah ihn in tiefer Bewegung an. Seine grossen, klaren und ausdrucksvollen Augen verschleierten sich mit einem leichten Thraenenschimmer und mit dem Ausdruck inniger Ueberzeugung sprach er: "Eure Majestaet haben die Gnade gehabt, die Gefuehle der tiefen persoenlichen Ergebenheit, welche ich fuer Allerhoechstdieselben hege, anzuerkennen und mich Ihren Freund zu nennen. Erlauben Sie mir, Sire, jetzt nachdem der Botschafter von Oesterreich gesprochen, auch als treuer und ergebener Freund zu sprechen. Ich weiss sehr gut," fuhr er fort, "dass die Stroemung der oeffentlichen Meinung Frankreichs in diesem Augenblick zum Kriege treibt, und ich weiss ebenso gut, Sire, dass viele Personen in Ihrer Umgebung--in Ihrer naechsten und unmittelbaren Umgebung," fuegte er mit Betonung hinzu, "sich die angelegentlichste Muehe geben, jene Richtung der oeffentlichen Meinung zu unterstuetzen und Eure Majestaet in gefaehrliche Unternehmungen hineinzudraengen, welche nach meiner innigsten Ueberzeugung in diesem Augenblick nur zum Unglueck Frankreichs und zum Unglueck Eurer Majestaet ausschlagen koennen. Preussen ist furchtbar geruestet, Deutschland wird in dieser Hohenzollernschen Frage hinter Preussen stehen und die Eurer Majestaet feindlichen Parteien in Frankreich, welche sich augenblicklich vor dem Plebiscit zurueckgezogen haben, warten nur auf den Augenblick eines Misserfolges im Kriege, um sich von Neuem zu erheben und einen entscheidenden Schlag gegen das Kaiserreich zu fuehren. Ebenso wie man in Italien nur darauf wartet, sich Roms zu bemaechtigen. Allen diesen Gefahren gegenueber werden Eure Majestaet isolirt da stehen, keine der europaeischen Maechte wird sich Frankreich in dieser Frage zur Seite stellen, und ich bitte Eure Majestaet, zu glauben, dass die Erklaerung, die ich Ihnen als Botschafter gegeben, unbedingte Wahrheit ist. Der Fuerst Metternich giebt Ihnen sein Wort darauf. Oesterreich wird nicht fuer Eure Majestaet Partei nehmen, weil es das nicht thun kann, in dieser Frage am allerwenigsten thun kann, und selbst wenn der Graf Beust, selbst wenn der Kaiser dazu geneigt sein sollten, wie der Herzog von Gramont vorauszusetzen scheint, so wird diese Neigung vor dem Widerstande des Grafen Andrassy erfolglos bleiben. Der Graf Andrassy vertritt Ungarn, und Ungarn will keinen Krieg mit Deutschland, da auch der guenstige Ausgang desselben nur dahin fuehren koennte, die dominirende Stellung des deutschen Elements im Kaiserstaate wieder zu befestigen, ohne Ungarn aber, ohne diese wichtigste militairische Huelfsquelle Oesterreichs ist jede Action fuer uns unmoeglich--ich bitte Eure Majestaet," fuhr er fort, "dies als ganz gewiss anzunehmen,--Graf Andrassy hat hohe Verehrung vor Eurer Majestaet und tiefe Sympathie fuer Frankreich. Taeuschen sich aber Eure Majestaet nicht ueber die Bedeutung von Aeusserungen, welche diese seine Gefuehle ihm eingegeben haben koennen. Unter andern Umstaenden, wenn Frankreich vielleicht mit Italien in Conflikt geriethe, wuerde Oesterreich bei einer franzoesischen Alliance auf die Unterstuetzung Ungarns rechnen koennen,--gegen Deutschland niemals,--am allerwenigsten in einer Frage, in welcher kein Vertragsrecht Oesterreichs Intervention zur Seite steht. Eure Majestaet," fuhr er mit tief, eindringendem Tone fort, "kennen meine aufrichtige und liebevolle Ergebenheit fuer Ihre Person, Eure Majestaet haben mir Gelegenheit gegeben, die edlen Eigenschaften Ihres Herzens ebenso sehr zu erkennen und zu bewundern, als die Klarheit und die ueberlegene Schaerfe Ihres Geistes--es ist die tiefe Ergebenheit, die aufrichtige Liebe fuer Eure Majestaet, welche mir die Worte in den Mund legt, die ich Ihnen jetzt zu sagen mir erlaube. Hoeren Eure Majestaet die Bitte eines Freundes, welche ich ohne Ruecksicht auf meine Eigenschaft als Botschafter Oesterreichs aus treu besorgtem Herzen an Sie richte. Treiben Sie, Sire, diese Sache nicht weiter, betreten Sie den gefahrvollen Weg nicht, auf welchen man Sie draengen moechte und an dessen Ende kaum ein gluecklicher Ausgang zu erwarten ist." Der Fuerst schwieg. Der Kaiser beugte sich vor, reichte ihm mit einem liebenswuerdigen Laecheln die Hand, indem zugleich ein warmer Strahl seinen freien Blick erleuchtete. "Ich danke Ihnen, mein lieber Fuerst," sagte er, "fuer die Aufrichtigkeit und den Eifer, mit welchem Sie mir Ihre Ueberzeugung ausgesprochen und Ihren Rath ertheilt haben. Ihre Gesinnungen fuer mich machen mich stolz,--doch," sagte er dann, "Sie beunruhigen sich ohne Noth, die Besorgnisse, welche gestern noch bestehen konnten, existiren heute nicht mehr, der Prinz von Hohenzollern hat seine Candidatur zurueckgezogen." Fuerst Metternich athmete erleichtert auf. "Ich hoerte davon im Augenblick meiner Abfahrt in Paris," sagte er. "Ist die Nachricht bereits offiziell angekommen?" "Olozaga," sagte der Kaiser, "hat die Mittheilung im Auftrage der spanischen Regierung an den Herzog von Gramont gemacht, und somit scheint mir die Angelegenheit erledigt. Die Verzichtleistung des Prinzen wird morgen in den Kammern mitgetheilt werden, und die europaeische Diplomatie," fuegte er laechelnd hinzu, "kann wieder ruhig baden und Brunnen trinken." Der Fuerst Metternich schwieg einen Augenblick, als zoegerte er, einen Gedanken auszusprechen, der ihn beschaeftigte. "Sire," sagte er dann, "die extreme Kriegspartei wird vielleicht nach Andeutungen, die ich hier und da gehoert habe, mit der Loesung der Frage noch nicht zufrieden sein, da sie gehofft hat, jetzt endlich mit ihren Ideen durchzudringen. Man wird von Neuem die Stimmung zu reizen und aufzuregen suchen, und da, wie ich weiss, auch in Deutschland bereits die Geister sich zu entflammen beginnen, so koennte leicht irgend ein Incidenzfall eintreten, der die Beruhigung Europa's von Neuem in Frage stellt. Ich bitte, Eure Majestaet, aus der Erklaerung, welche den Kammern gegeben werden soll, jede provocirende und verletzende Aeusserung gegen Preussen fern halten zu lassen, damit ein fuer allemal alle Auseinandersetzungen ueber den Gegenstand aufhoeren. Graf Bismarck," fuhr er fort, "hat bis jetzt alle Conflikte zu vermeiden gesucht, einen guenstigeren Kriegsfall als in diesem Augenblick koennte er aber kaum finden, und man muss ihn nicht in die Versuchung fuehren, durch einen grossen Aufschwung des Nationalgefuehls aus der Waffenbruederschaft aller deutschen Staaten ein neues deutsches Reich zusammen zu schmieden." Der Kaiser laechelte. "Seien Sie ganz ruhig, mein lieber Fuerst," sagte er, "ich habe Gramont den Auftrag ertheilt, mit Ollivier eine definitive Erklaerung ueber die Beendigung der ganzen Sache an die Kammer zu redigiren, und morgen um diese Stunde wird jede Besorgniss fuer die Stoerung des Friedens verschwunden sein." Fuerst Metternich stand auf. "Ich verlasse Eure Majestaet mit erleichtertem Herzen und bitte um die Erlaubniss, sogleich nach Paris zurueckkehren zu duerfen, um das so erfreuliche Resultat dieser Unterredung nach Wien melden zu koennen." "Meine herzlichsten Empfehlungen der Fuerstin," sagte der Kaiser, "ich hoffe, Sie Beide in den naechsten Tagen hier zu sehen." Er drueckte dem Fuersten die Hand und begleitete ihn einige Schritte nach der Thuer hin. "Durch die Beseitigung der Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern," sprach er leise, als er allein war "soll das Prestige Frankreichs wieder hergestellt sein, sagt man mir,--sehr gut, wenn die oeffentliche Meinung dies glaubt. Leider," fuhr er seufzend fort, "ist es nicht der Fall, jenes Prestige besteht in Wahrheit nicht mehr. Denn wenn es bestaende, so wuerde Oesterreich nicht zoegern, in diesem Augenblick frei und offen auf die Seite Frankreichs zu treten und die Suprematie des Hauses Habsburg in Deutschland wieder zu erringen. Man glaubt nicht mehr an die Macht Frankreichs, und auch meine besten Freunde nicht,--auch Metternich nicht, der wirklich mein Freund ist. Das Ansehen Frankreichs, so wie es frueher war, wieder herzustellen, gaebe es nur ein Mittel, und dies Mittel waere der Sieg--aber," sagte er duester vor sich hin starrend, "wo ist die Hand, welche den Sieg mit Sicherheit erkaempfen koennte,----wenn er mir entginge----" Er versank, die Augenbrauen finster zusammengezogen, in tiefes Sinnen. "Meine Gemahlin wird nicht zufrieden sein," sagte er dann, "ueber die so friedliche Loesung--sie glaubt an den Sieg--ich will ihr selbst die Sache sogleich mitteilen, damit sie vorsichtig in ihren Aeusserungen ist und die Kriegspartei nicht durch hingeworfene Worte ermuthigt." Er verliess sein Cabinet und begab sich nach den Gemaechern der Kaiserin. Der Huissier oeffnete die Thuer. Der Kaiser durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon, an dessen Schwelle ihn die Kaiserin empfing. Napoleon blieb einen Augenblick erstaunt stehen, denn hinter seiner Gemahlin, deren Gesichtszuege eine lebhafte Erregung ausdrueckten, sah er neben dem, von grossen Fauteuils umgebenen, mit Albums aller Art bedeckten Tisch in der Mitte des Salons den Baron Jerome David und den Herzog von Gramont. Der Baron Jerome David, der Fuehrer der entschiedensten Anhaenger des Kaiserreichs im Corps legislatif, war ein Mann von etwa fuenfzig Jahren von kraeftiger, schlanker Gestalt; sein auf einem kurzen Halse sich erhebender Kopf hatte scharf markirte, von energischer Willenskraft und etwas colerischem Temperament zeugende Gesichtszuege; das dunkle volle Haar war ueber der niedrigen Stirn leicht gekraeuselt; unter hochgeschwungenen Augenbrauen blickten grosse, etwas hervorstehende Augen hervor, deren etwas stechender Blick fast immer den Ausdruck zorniger und unruhiger Erregung hatte; die etwas abgestumpfte starke Nase, die hoch aufgedrehten Spitzen des dunklen Schnurrbarts und das maechtig hervorspringende Kinn liessen seinen Gesichtsausdruck in der Erregung einer lebhaften Conversation fast herausfordernd erscheinen. Der Kaiser trat langsam in den Salon und wandte sich mit einer Miene, in welcher eben so viel Erstaunen, als Unzufriedenheit lag, an den Herzog von Gramont. "Ich haette nicht erwartet, Sie noch hier zu finden, Herr Herzog," sagte er, ohne die Hoeflichkeit und den verbindlichen Ton, die ihm sonst eigen war. "Ich glaubte Sie schon in Paris, um mit Ollivier jene Erklaerung zu verabreden, ueber welche wir vorher gesprochen haben." "Der Herzog," fiel die Kaiserin schnell ein, "wollte vor seiner Rueckkehr mich begruessen, und mir zugleich die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern bringen. Ich habe ihn noch zurueckgehalten, um ihm Gelegenheit zu geben, die Mittheilungen anzuhoeren, welche der Baron Jerome David mir so eben ueber die Stimmung in Paris und in den Kreisen der Deputirten gemacht hat, und welche vielleicht von einigem Einfluss auf die Entschliessungen sein koennten, die man in diesem Augenblick zu fassen hat." Der Kaiser verneigte sich leicht gegen den Baron Jerome David und sagte immer noch in demselben strengen Ton seiner Stimme. "Und welche Mittheilungen haben Sie der Kaiserin gemacht, Baron?" Er reichte seiner Gemahlin die Hand, fuehrte sie zu einem der neben dem Tisch stehenden Sessel und setzte sich an ihre Seite, den Blick mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Baron richtend. "Sire," sagte dieser, "ich habe mir erlaubt, der Kaiserin mitzutheilen,--und wuerde im naechsten Augenblick mich bei Eurer Majestaet haben melden lassen, um auch Ihnen mitzutheilen,--dass die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern auf seine Candidatur in Spanien, welche heute Abend in Paris bekannt wurde, unter den Deputirten und in den journalistischen Kreisen durchaus nicht den befriedigenden und beruhigenden Eindruck gemacht hat, welchen ich bei dem Herzog von Gramont gefunden, also auch bei Eurer Majestaet voraussetzen muss." "Nun," sagte der Kaiser, den Baron fragend und erstaunt anblickend, "die Sache ist doch erledigt, jene Candidatur ist verschwunden,----vor der Intervention Frankreichs verschwunden,--ich begreife nicht,----" "Niemand in Frankreich, Sire," fiel der Baron Jerome David rasch und lebhaft ein, "hat jemals dem jungen Prinzen von Hohenzollern es verdacht, dass er ein Abenteuer unternehmen wollte, bei welchem der Ehrgeiz eines thatkraeftigen Mannes seine Rechnung finden koennte.--Niemandem ist es eingefallen, die spanische Nation in der freien Wahl ihres Koenigs zu beschraenken, die Besorgniss und die Entruestung Frankreichs ueber diese Combination hatte nur darin ihren Grund, dass die Hohenzollernsche Candidatur ein Werk der preussischen Politik war, dass diese Combination in Berlin vorbereitet und vom Koenige von Preussen feierlich genehmigt wurde, ohne dass man sich mit Frankreich, das doch so nahe und so unmittelbar dabei interessirt ist, auch nur darueber in Vernehmen gesetzt haette. Das ist eine Nichtachtung der franzoesischen Wuerde und ausserdem eine Bedrohung unserer Interessen durch die offen kund gegebene Absicht an unserer Suedgrenze eine Macht aufzurichten, welche bei jeder Gelegenheit die preussische Politik gegen uns zu unterstuetzen bestimmt sein sollte. Wenn nun der Prinz von Hohenzollern einfach seine Candidatur zurueckzieht, so ist Frankreich dadurch keine Genugtuung gegeben, vor allen Dingen aber auch keine Sicherheit, dass die Combination, welche heute gescheitert ist, nicht jeden Augenblick wieder aufgenommen werden koenne, wenn die europaeische Constellation derselben vielleicht guenstiger sein moechte und Preussen die Aussicht haette, Alliirte in einem Conflikt mit uns zu finden.--Ohne eine Genugthuung fuer unsere Wuerde, ohne eine Sicherstellung unserer Interessen fuer die Zukunft aber,"--fuhr er laut mit entschiedenem Tone fort, "wird die oeffentliche Meinung sich nicht beruhigen die blosse einfache Anzeige der Zurueckziehung der Candidatur des Prinzen Leopold wird im Corps legislatif eine sehr unguenstige Aufnahme finden, und wenn die Regierung sich damit begnuegt, so wird man das allgemein als ein Zeichen grosser Schwaeche ansehen, und das so lebhaft erregte Nationalgefuehl wird sich auf das Entschiedenste gegen Eure Majestaet wenden, zum grossen Schaden fuer den Nimbus des Kaiserreichs, welcher erst so eben durch das Plebiscit wieder hergestellt worden ist." "Aber welche Genugthuung, welche Garantien," fragte der Kaiser, "koennten denn gegeben werden?" Die Kaiserin unterdrueckte muehsam ihre innere Erregung, waehrend sie ihr Spitzentaschentuch in der Hand zusammenpresste. "Sire," antwortete Jerome David, "die Beleidigung Frankreichs bestand darin, dass ueber die Hohenzollernsche Combination von Preussen keine Mittheilung an Frankreich gemacht wurde. Die Frage fuer die Zukunft besteht darin, dass jene heut zurueckgezogene Candidatur jeden Augenblick wieder aufgenommen werden kann,--dem entsprechend muss die Genugtuung und diese Garantie gefordert werden. Die Genugthuung muss meiner Ueberzeugung darin bestehen, dass der Koenig von Preussen Eurer Majestaet anzeigt, er habe dem Prinzen befohlen und--zwar mit Ruecksicht auf die Intervention Frankreichs--von seiner Bewerbung um den spanischen Koenigsthron Abstand zu nehmen. Die Garantie muss darin bestehen, dass der Koenig weiter erklaert, er werde auch in der Zukunft niemals erlauben, dass der Prinz auf jene Candidatur zurueckkomme. Wenn der Kammer eine solche Erklaerung vorgelegt wird, so wird der Eindruck ein tiefer und befriedigender sein, jeder andere Abschluss der Sache wird dem Nationalgefuehl nicht genuegen und dasselbe, wie ich wiederholen muss, gegen Eure Majestaet und die kaiserliche Regierung richten." Der Kaiser strich langsam mit der Hand ueber seinen Bart, dann richtete er den Blick fragend auf den Herzog von Gramont. "Sire," sagte dieser, "ich kann den Bemerkungen des Herrn Baron David die innere Berechtigung nicht absprechen, vor Allem aber muss derselbe die Stimmung im Corps legislatif am allerbesten und genauer kennen, als ich; und das Ziel, nach welchem bei der Behandlung dieser ganzen Angelegenheit gestrebt werden muss, ist ja doch jedenfalls die Bestaerkung des Ansehens der kaiserlichen Regierung. Nachdem die Sache so weit gediehen ist, duerfen wir nach meiner Ansicht mit keiner Halbheit abschliessen, sondern muessen wirklich den als vollgueltig anerkannten Beweis liefern, dass man die Wuerde Frankreichs nicht ungestraft beleidigen, seine Interessen nicht ungestraft gefaehrden koenne." "Nur ein solcher Beweis, ueber alle Zweifel und Missdeutungen erhaben," fiel der Baron Jerome David lebhaft ein, "wird das Corps legislatif und die oeffentliche Meinung von ganz Frankreich beruhigen." Der Kaiser sank seufzend in sich zusammen. "Ich war so zufrieden, diese Angelegenheit endlich beendet zu wissen," sagte er leise. Die Kaiserin zuckte fast unmerklich die Achseln, ein Blitz spruehte aus ihren Augen. "Glauben Sie denn," sagte Napoleon sich zum Herzog von Gramont wendend, "dass eine solche Erklaerung, wie sie der Baron fuer noethig haelt, zu erreichen und schnell zu erreichen moeglich sei, damit diese Sache nicht noch mehr in die Laenge gezogen werde und die oeffentliche Meinung sich immer mehr echauffire." "Ich bin ueberzeugt, Sire," sagte der Herzog, "dass nichts leichter sein wird, als eine solche definitive Erklaerung zu erlangen, um so mehr, wenn man die Form waehlt, welche der Baron David so eben schon angedeutet hat, die Form eines persoenlichen Briefes des Koenigs Wilhelm an Eure Majestaet und sich damit gewissermassen auf den vom Koenige selbst eingenommenen Standpunkt stellt, dass diese ganze Angelegenheit ihn nur persoenlich als Chef seines Hauses beruehre und die preussische Regierung als solche nichts angehe. Wenn Benedetti, der ja dem Koenige eine angenehme und sympathische Person ist, in der ihm eigenen geschickten Weise die Sache dort darstellt, so bin ich ueberzeugt, dass der Koenig keinen Augenblick zoegern wird, einen Brief an Eure Majestaet zu schreiben, der die geforderte Erklaerung enthaelt und den man ja dann nachher der oeffentlichen Meinung in Frankreich dennoch als einen Act der preussischen Regierung wird darstellen koennen. Denn," fuegte er laechelnd hinzu, "diese oeffentliche Meinung kann sich nicht zu dem subtilen Unterschied erheben, welchen Seine preussische Majestaet zwischen seinen beiden Eigenschaften als Familienchef und Staatsoberhaupt zu machen sich gefaellt." "Die Sache muesste aber durchaus," sagte der Kaiser, "in aller vorsichtigster und versoehnlichster Weise behandelt werden, damit ja kein ernster Conflict daraus entsteht." "Und wenn ein solcher Conflict daraus entstuende," rief die Kaiserin, welche ihre innere Erregung nicht laenger bemeistern konnte, "wollen wir davor zurueckschrecken? Soll Frankreich, welches in der Krim und in Italien gesiegt hat, welches die Adler des grossen Kaisers auf seinen Fahnen traegt, sich von einem Wege abschrecken lassen, welchen das Recht und die Ehre, die Klugheit, ja die politische Nothwendigkeit vorschreibt, aus Besorgniss, dass der Widerstand der Gegner auf diesem Wege kriegerische Verwickelungen entstehen lassen koennte? Unsere Armee ist im herrlichsten Zustand, sie brennt vor Ungeduld, zu zeigen, dass sie noch immer die erste in Europa ist." "Was sagt der Marschall Leboeuf," fragte der Kaiser den sinnenden, sorgenvollen, nachdenklichen Blick auf den Herzog von Gramont gerichtet. "Der Marschall erklaert, so bereit zu sein, als nur immer moeglich," erwiderte der Herzog, "er wird Eurer Majestaet ohne Zweifel den Beweis darueber liefern--" "Auch sind wir der thaetigen Mitwirkung Oesterreichs sicher," rief die Kaiserin, "um dieses uebermuethige Preussen von zwei Seiten zu fassen und ihm zu zeigen, was es heisst, Frankreich zu beleidigen." "Oesterreich," sagte der Kaiser, abermals fragend den Blick auf den Herzog von Gramont richtend, "glauben Sie, dass wir auf Oesterreich rechnen koennen--Fuerst Metternich sagt das Gegentheil wie Sie wissen werden," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu. "Sire," sagte der Herzog laechelnd, "Fuerst Metternich sagt, was er sagen soll, und was man fuer die offizielle Constatirung der Haltung Oesterreichs noethig zu haben glaubt. Wenn wirklich, was ich in keiner Weise glaube, aus der Behandlung der schwebenden Angelegenheit ein ernster Conflict erwachsen sollte, so wird allerdings Oesterreich im ersten Augenblick eine neutrale abwartende Stellung einnehmen, schon weil der russische Einfluss laehmend auf seinen Entschluessen lastet. Nach den ersten Niederlagen der preussischen Armee aber"-- "Die sehr schnell kommen werden," rief die Kaiserin. "Nach diesen ersten Niederlagen, Sire," fuhr der Herzog fort, "wird Oesterreich aus seiner Reserve hervortreten. Dann wird auch in Russland die ganze franzoesisch gesinnte Partei maechtig werden, und der vorsichtige Fuerst Gortschakoff wird nicht wagen, sich diese Partei und das siegreich vorschreitende Frankreich zu gleicher Zeit zu Feinden zu machen. Dann, Sire, wird der Augenblick gekommen sein, in welchem Preussen isolirt von zwei Seiten gefasst, von seiner Hoehe herabgestuerzt werden wird. Das Werk von 1866 wird in Truemmer sinken, und wir werden es in unserer Hand haben, Deutschlands politische Organisation so zu construiren, wie es fuer unsere Interessen genehm ist, und zugleich fuer Frankreich diejenigen Gebiete zurueck zu nehmen, welche man uns in der Zeit des grossen nationalen Ungluecks entrissen hat." Die Augen des Kaisers leuchteten einen Augenblick in freudigem Stolz auf. Er erhob sein Haupt, als saehe er die Bilder der Zukunft, welche der Herzog andeutete, vor seinem Blick aufzeigen. Dann aber liess er den Kopf wieder matt herabsinken und sprach: "Dazu gehoeren zwei gewonnene Schlachten--und wer giebt mir die Buergschaft, dass sie gewonnen werden? Gewonnen ueber eine Armee, von welcher mir der Oberst Stoffel schreibt, dass keine andere in Europa ihr gleich kommt an innerer moralischer Kraft, an Intelligenz und an einheitlicher Organisation." "Der Oberst Stoffel," sagte der Herzog von Gramont, waehrend die Kaiserin zornig mit den schoenen Zaehnen auf die Lippen biss, "ist ein wenig geblendet durch die persoenlichen Eigenschaften des Grafen Bismarck, durch die Liebenswuerdigkeit, mit welcher man ihn dort behandelt--er sieht ausserdem nur die Garde und nicht die Linien und die Milizen in den Provinzen, welche nur zoegernd und widerwillig in den Krieg ziehen--" "Das hat das Jahr 1866 nicht bewiesen," sagte Napoleon,--"auch beweisen die Berichte des Oberst Stoffel, dass er sehr genau ueber die ganze militairische Organisation in Preussen unterrichtet ist, dass er namentlich auch die Landwehrorganisation und die ausgezeichneten Eigenschaften des preussischen Generalstabs sehr genau kennt--" "Vielleicht aber hat er vergessen," sagte die Kaiserin heftig, "dass dem Allen gegenueber die feurige und unwiderstehliche Tapferkeit der franzoesischen Armee steht--" "Und das," fiel der Baron Jerome David ein, "in einem solchen Kriege der gewaltig aufflammende Nationalgeist Frankreichs hinter seiner Armee stehen wuerde, ebenso wie dies in den grossen Kriegen Napoleon's I der Fall war. Dieser Geist des Volks ist unbeweglich und," fuegte er hinzu, "wenn er richtig geleitet wird, so wird bei dieser Gelegenheit eine neue gewaltige Macht zur Alliirten des Kaiserthums gemacht werden koennen." Der Kaiser sah ihn fragend an. "Diese Macht, Sire," sagte der Baron Jerome David, "ist die Marseillaise, die Marseillaise, Sire, welche man verboten hat, weil sie ein Gesang des Aufruhrs geworden, die man aber darum nicht aus dem Herzen der Franzosen hat reissen koennen. Wuerde man bewirken koennen, dass die Marseillaise aufhoerte, ein Gesang der Revolution zu sein, dass sie das Kriegslied der franzoesischen Nation wuerde, dass unter ihren Klaengen die kaiserlichen Adler den Feinden entgegen getragen wuerden, so wuerde das Kaiserreich und Eurer Majestaet Dynastie von dem zauberisch gewaltigen Hauch dieses grossen Nationalhymnus auf eine vorher nie geahnte Hoehe empor getragen werden. Eine franzoesische Armee, Sire, welche unter den Klaengen der Marseillaise ins Feld rueckte, wuerde alle Combinationen des preussischen Generalstabs zertruemmern und die preussischen Landwehren in unaufhaltsamer Flucht vor sich her fegen." Die Kaiserin blickte gespannt auf ihren Gemahl. Napoleon schuettelte langsam und schweigend das Haupt. "Und wenn dann, Sire," fuhr der Baron David fort, "die franzoesische Armee siegreich zurueckkehrte, so waere der Revolution ihre Zauberformel genommen, und die Marseillaise wuerde aus einem wilden Revolutionsgesang ein kaiserlicher Siegeshymnus geworden sein." Abermals leuchteten die Augen des Kaisers auf, seine Brust dehnte sich mit einem tiefen Athemzug aus, und er sprach nach einem Augenblick: "Wir debattiren da ueber den Krieg, zu dem es nicht kommen wird--zu dem es nicht kommen soll," fuegte er mit fester Stimme hinzu. "Doch in Ihrer Bemerkung, mein lieber Baron, liegt eine tiefe Wahrheit, und ich danke Ihnen fuer die Idee, welche Sie mir gegeben. Je mehr man in Frankreich an die Moeglichkeit eines Krieges glaubt, um so hoeher wird der Triumph sein, wenn man ohne denselben dem Nationalgefuehl volle Genugtuung schafft. Die Gelegenheit ist guenstig, um die Zaubermacht der Marseillaise ueber die Franzosen, welche ich kenne und nach ihrem vollen Werth schaetze, zu einer maechtigen Waffe des Kaiserreichs zu machen. Ich werde den Befehl geben, dass man die Marseillaise erlaubt, bewirken Sie, dass man sie singt, dass man sie in den Theatern verlangt--das Plebiscit, die Marseillaise und ein diplomatischer Erfolg gegen Preussen--das wird ein festes Fundament fuer den Thron Napoleon's IV--das wird die Kroenung meines Gebaeudes sein. Senden Sie also sogleich," sagte er zum Herzog von Gramont gewendet, "den Befehl an Benedetti, die besprochene Erklaerung vom Koenige von Preussen zu erbitten, aber in der geschmeidigsten und sanftesten Form; er muss sie zu erreichen suchen, ohne dass man dort der Sache eine zu grosse Bedeutung beilegt. Er wird das koennen, wenn er den Schritt, den wir vom Koenige von Preussen verlangen, demselben als eine Unterstuetzung darstellt, die er mir zur Beruhigung der oeffentlichen Meinung gewaehrt--dann wird sich Alles leicht erledigen." Die Kaiserin trat leicht mit dem Fuss auf den Boden, ein Zug fast hoehnischen Unmuths erschien auf ihrem Gesicht, dann aber laechelte sie wieder und lehnte sich schweigend in ihren Fauteuil zurueck. "Der Baron Werther kommt heute von Ems zurueck, Sire," sagte der Herzog von Gramont, "ich werde ihm, nachdem ich die Instructionen an Benedetti abgesendet, die Sache ganz in dem von Eurer Majestaet gegebenen Sinn darstellen, und er wird gewiss dazu beitragen, die so wuenschenswerthe, baldige und befriedigende Erledigung der Sache zu erreichen." "Thun Sie das, Herr Herzog," sagte der Kaiser, "und vergessen Sie nicht, Benedetti die aeusserste Vorsicht und die hoeflichste Geschmeidigkeit anzuempfehlen." "Und ich, Sire," sagte der Baron Jerome David, "werde dafuer sorgen, dass morgen in Paris die Marseillaise erklingt,--man wird sich in Berlin erinnern, dass es gefaehrlich ist, Frankreich entgegenzutreten, wenn dieses Lied ueber seinen Heeren schwebt, und wenn die Tricolore und die kaiserlichen Adler seinen Regimentern vorangetragen werden." Beide Herren verliessen nach ehrerbietigem Gruss gegen die Majestaeten das Cabinet. "Nun," sagte der Kaiser, indem er aufstand und sich laechelnd zur Kaiserin wandte, "Sie werden jetzt zufrieden sein, Eugenie, wir werden einen grossen Triumph erleben, ohne uns der Gefahr eines Krieges auszusetzen, und Sie werden endlich die Genugthuung haben, die Politik dieses Grafen Bismarck ein wenig gedemuethigt zu sehen. Werden Sie heute Abend noch empfangen?" "Nur meinen kleinen Cirkel," antwortete die Kaiserin leicht hin und etwas zerstreut, als folge sie Gedanken, die unausgesprochen ihr Inneres erfuellten. "Ich bin ermuedet," sagte der Kaiser, "und bitte Sie, mich zu entschuldigen, ich moechte ein wenig meine Privatcorrespondenz ordnen, die ich in den letzten Tagen etwas vernachlaessigt habe." Er kuesste seiner Gemahlin die Hand und kehrte langsam in seine Gemaecher zurueck. "Welche Schwaeche, welche Unschluessigkeit!" rief die Kaiserin, als sie allein war. "Er moechte die Fruechte des Sieges geniessen und will doch den Kampf nicht wagen. Nun," fuhr sie mit flammendem Blick und einem stolzen, fast hoehnischen Laecheln fort, "die Verhaeltnisse werden maechtiger sein, als er; sie werden ihn ueber den Rubicon draengen, den er nicht wie Caesar zu ueberschreiten wagt. So sehr der Koenig von Preussen auch den Frieden zu erhalten wuenschen mag, seine Geduld wird sich endlich erschoepfen, wenn Forderung auf Forderung an ihn gestellt wird, und wenn man in Paris erst die Marseillaise singt, wenn die Presse und die Tribuene in immer steigendem Mass das Nationalgefuehl erhitzen, so wird trotz aller Unschluessigkeit der Krieg kommen--dieser Krieg, der mein Krieg ist, den man mir einst danken wird, der mich in den Augen von ganz Frankreich zur wahren Franzoesin machen wird, der nothwendig ist, um meinem Sohn den Thron zu sichern, meinem Sohn, den ich hinaus senden werde, um auf den Schlachtfeldern gegenwaertig zu sein,--wo man ihn niemals gesehen hat, diesen anmassenden Prinzen Napoleon, welcher es zu behaupten wagt, dass in den Adern seiner Nachkommenschaft allein das Blut des grossen Kaisers fliesse, und welcher so stolz darauf ist, dass seine Mutter und die Mutter seiner Kinder purpurgeborne Prinzessinnen waren.--Die Stunde der Entscheidung naht--sie wird den Sieg bringen--und dieser Sieg wird Mein sein!" Sie stand noch einige Augenblicke schweigend, den strahlenden Blick auswaerts gerichtet, die schoenen Zuege verklaert von stolzer Zuversicht. Dann bewegte sie die Glocke. "Man soll den Thee serviren," befahl sie dem Kammerdiener, "ich lasse meine Damen und die Herren vom Dienst bitten, einzutreten." Achtes Capitel. Die Morgenpromenade in Ems war beendet. Langsam und nachdenklich kehrte Graf Benedetti nach seiner Wohnung in der Stadt Bruessel zurueck. Sein Kammerdiener uebergab ihm zwei fuer ihn eingegangene Depeschen. Benedetti trat in sein Zimmer, und reichte seinem Secretair, welcher ihn erwartete die beiden Telegramme. Dieser zerriss hastig die Umschlaege und oeffnete den grossen Folioband, der den Chiffre des Botschafters enthielt, um die Depeschen zu dechiffriren. Hier in seinem Zimmer verschwand von dem Gesicht Benedetti's jene gleichgueltige, hoefliche, freundliche und undurchdringliche Ruhe, welche sonst Alles verhuellte, was in seinen Gedanken vorging. Heftig bewegt schritt er auf und nieder, sein blasses Gesicht zuckte in nervoeser Aufregung und seine sonst so klaren, unzerstoerbar, heiteren Augen blickten truebe und sorgenvoll vor sich hin. "Welch eine furchtbare Verantwortung liegt auf meinem Haupt," sagte er, "ich fuehle, dass der Faden der Unterhandlungen mir entschluepft, weil man ihn in Paris so scharf anzieht, dass es in der That kaum mehr moeglich ist ein anderes Ende, als den Bruch vorherzusehen--den Bruch--das heisst einen Krieg, wie er seit Generationen Europa nicht erschuettert hat; das heisst ein Meer von Blut, das heisst, die Zerstoerung so vieler Gueter, welche der Fleiss und die Arbeit langer Jahre geschaffen haben. Was will man in Paris?" fuhr er fort, indem er die Hand vor die Stirn legte und unruhig nachdenkend schnell auf und nieder ging. "Will man den Krieg? Das ist ja beinahe unmoeglich, so wie ich den Kaiser kenne,--er hat viele bessere Gelegenheiten voruebergehen lassen, wie sollte er jetzt die Dinge auf's Aeusserste treiben wollen. Sollte man aber wirklich den Krieg wollen--warum es mir verheimlichen? Warum mich diese traurige und undankbare Rolle eines Ueberlaestigen spielen lassen? Warum diese unklare Verworrenheit, welche nur dahin fuehren kann, dass der Bruch, wenn er erfolgt, uns vor den Augen von ganz Europa als die absichtlichen Friedensstoerer hinstellt? Warum ist man da nicht gleich mit einer klaren bestimmten Forderung hervorgetreten, die wenigstens zu einem wuerdigen Abbruch der Verhandlungen haette fuehren koennen? Ich habe," sprach er weiter, indem er an das Fenster trat und auf die Strasse hinabblickte, "ich habe auf die coulanteste und freundlichste Weise das erste Ziel meiner Mission erreicht--die Zuruecknahme der Hohenzollerschen Candidatur unter Autorisation des Koenigs. Nun steigert man successive die Forderungen--giebt es einen Diplomaten in der Welt, der im Stande waere, eine solche Negotiation zu einem guenstigen und wuerdevollen Ende zu fuehren? Man verlangt die Erklaerung des Koenigs, dass er fuer alle Zukunft eine Wiederaufnahme der jetzt gescheiterten Combination nicht erlauben werde. Eine solche Erklaerung haette sich erreichen lassen, wenn man nicht zugleich die Aufregung in Frankreich beguenstigt haette, wenn man sich groessere Reserve bei den Erklaerungen im Corps legislatif auferlegt haette, wenn man das persoenliche Gefuehl des Koenigs und den nationalen Stolz in Deutschland nicht verletzt haette, jetzt aber nach der kurzen Unterredung, die ich so eben mit dem Koenige auf der Brunnenpromenade gehabt, ist an Erfuellung dieser Forderung garnicht zu denken. Und wenn sie nicht erfuellt wird," sagte er seufzend, "nachdem man einen so starken Anlauf genommen, nachdem man so hohe Worte gebraucht hat, so ist der Krieg unvermeidlich--die Welt wird diesen Grund desselben kaum verstehen, mag man nun den Bruch gewollt haben, oder mag man ohne Willen und Plan zu demselben hingetrieben werden. Was telegraphirt der Herzog?" Der Secretair hatte die beiden Depeschen dechiffrirt und reichte sie dem Botschafter. Dieser durchflog raschen Blickes die Telegramme, seufzend warf er sie auf den Tisch. "Die Festigkeit meiner Sprache," sagte er bitter laechelnd, "soll nicht dem Ernst der Situation entsprechen. Aber, mein Gott, vergisst man denn in Paris ganz, dass es sich hier um keine Unterhandlungen mit dem Minister der auswaertigen Angelegenheiten handelt, sondern dass ich in unmittelbarem persoenlichem Verkehr mit dem Souverain stehe? Man kann doch unmoeglich von mir verlangen, dass ich die Formen verletzen sollte, welche fuer diesen Verkehr massgebend sind. Ich muss noch einen Versuch machen,--vielleicht hat die Bitte, welche ich dem Koenige durch den Prinzen Radziwill aussprechen liess, irgend einen Erfolg, vielleicht entschliesst sich der Koenig, irgend ein Wort zu sagen, welches man in Paris als genuegend annehmen moechte, wenn der Grundgedanke des Kaisers wirklich ist, den Frieden zu erhalten." Der Kammerdiener meldete den Fluegeladjutanten Seiner Majestaet des Koenigs von Preussen, und einen Augenblick darauf trat der Oberstlieutenant Prinz Radziwill, ein noch junger, schlanker Mann mit militairisch geschnittenem vollem Bart in Civilmorgenanzug in das Zimmer. Das Gesicht des Grafen Benedetti hatte seine glatte und undurchdringliche Ruhe wieder angenommen, er trat dem Prinzen mit verbindlicher Hoeflichkeit entgegen. "Seine Majestaet der Koenig," sagte dieser im artigen Ton, "hat mich beauftragt, Eurer Excellenz mitzutheilen, dass er sich nicht in der Lage befinde, von einer neuen Unterredung ein Resultat voraussehen zu koennen, da seine Entschliessungen vollkommen fest staenden. Der Koenig hat mir zugleich befohlen, Eurer Excellenz in seinem Namen zu erklaeren, dass Seine Majestaet die Verzichtleistung des Prinzen Leopold approbirte und zwar in demselben Sinne und demselben Geist, wie er seine Zustimmung zu der Annahme dieser Candidatur ertheilt habe. Was den zweiten Punkt betrifft, eine Verpachtung fuer die Zukunft zu uebernehmen, so koenne sich Seine Majestaet nur auf diejenige ablehnende Erklaerung zurueck beziehen, welche er heute Morgen Eurer Excellenz persoenlich gegeben habe." Keine Muskel bewegte sich im Gesicht Benedetti's, und mit ruhiger, klarer Stimme sprach er: "Ich bin dem Koenige unendlich dankbar, dass er die Gnade gehabt hat, mir diese Erklaerung durch Eure Durchlaucht zugehen zu lassen, und ich werde dieselbe sogleich meiner Regierung mittheilen. Doch muss ich," fuhr er in demselben ruhigen Ton fort, "Eurer Durchlaucht sagen, dass ich betreffs des zweiten Punktes soeben noch sehr bestimmte Instructionen vom Herzog von Gramont erhalten habe. Ich muss daher meine Bitte um eine neue Unterredung mit Seiner Majestaet nochmals wiederholen, um so mehr, als ich dem Koenige vielleicht einige neue, noch nicht erwogene Gesichtspunkte mittheilen koennte. Ich muss nach den Instructionen, die ich erhalten, den groessten Werth auf die gnaedige Gewaehrung meiner Bitte um eine nochmalige Audienz legen, sei es auch nur, um nochmal von Seiner Majestaet die Erklaerung wiederholen zu hoeren, welche er mir heute Morgen gegeben hat. Ich bitte Eure Durchlaucht deshalb, den Wunsch, welchen ich aussprechen muss, nochmal Seiner Majestaet mittheilen zu wollen." "Ich werde nicht unterlassen, Eurer Excellenz Auftrag sogleich Seiner Majestaet auszurichten," erwiderte der Fuerst Radziwill, "und werde nicht verfehlen, Eurer Excellenz die Allerhoechste Antwort mitzuteilen." Mit ausgesuchter Hoeflichkeit, in welcher jedoch eine gewisse, kalte und stolze Zurueckhaltung lag, verneigte er sich und verliess von dem Botschafter bis zur Thuer geleitet, das Zimmer. "Der Krieg liegt in der Luft," sagte er dann, indem er sich seufzend an seinen Secretair wandte. "Ich kenne die Hoefe, ich fuehle,--ich weiss, was geschehen wird. Der Koenig wird mich nicht mehr empfangen--er hat sein letztes Wort gesprochen." "Wenn der Koenig den Botschafter Frankreichs zu empfangen verweigert," rief der Secretair mit blitzenden Augen, "so ist das allein ein Grund des Krieges, dessen Gerechtigkeit das Gefuehl der ganzen Nation anerkennen wird." "Sollte es das sein?" sagte Benedetti leise, indem er nachdenklich den Kopf schuettelte, "das wuerde freilich die nationale Entruestung entflammen. Aber," fuhr er fort, "wuerde darum der Kriegsgrund besser werden, der Erfolg gesicherter sein? Doch ich bin erschoepft," sagte er dann, "und Sie werden es auch sein, koennen wir auch die Entbehrung des Schlafs ertragen, so fordert doch die koerperliche Natur ihr Recht auf Ergaenzung der Substanz, lassen Sie uns fruehstuecken."--Er liess das Fruehstueck in seinem Zimmer serviren und beide Herren setzten sich schweigend und gedankenvoll zu Tisch.-- * * * * * Mehrere Stunden waren verstrichen voll unruhiger Erwartung fuer den Grafen Benedetti, welcher sich in seinem Zimmer auf ein Canape niedergelegt hatte, um nach all der Aufregung der letzten Tage wenn nicht Schlaf, so doch wenigstens Ruhe fuer seine erschoepften und abgespannten Nerven zu finden. Endlich, es war bereits Abend--die Zeit des Diners des Koenigs war vorueber--wurde dem Botschafter abermals der Fuerst Radziwill gemeldet. Rasch sprang Benedetti empor und kaum gelang es ihm, den Ausdruck unruhiger Spannung von seinem Gesicht verschwinden zu lassen, als er dem Adjutanten des Koenigs entgegentrat. Noch kaelter, noch zurueckhaltender als vorher war der Ton, in welchem dieser dem Botschafter sagte: "Der Koenig hat mir befohlen, Eurer Excellenz mitzutheilen, dass er sich verpflichtet saehe, eine neue Discussion ueber den zweiten, von Ihnen angeregten Punkt--betreffend die Verpflichtungen und Garantien fuer die Zukunft ganz bestimmt und kategorisch abzulehnen. Was Seine Majestaet Eurer Excellenz heute Morgen zugesagt hat, ist des Koenigs letztes Wort in dieser Angelegenheit, und der Koenig bittet Eure Excellenz sich lediglich und ausschliesslich an jenes Wort zu halten." Das Gesicht des Grafen Benedetti wurde bei diesen mit aeusserster Artigkeit, aber auch mit entschiedenster Festigkeit gesprochenen Worten des Fuersten Radziwill noch um eine Nueance bleicher. Er liess einen Augenblick die Augenlider herabfallen, wie um den Ausdruck seines Blickes zu verhuellen, und ein leichtes Nervenzucken zeigte sich eine Secunde um seinen Mund. Schweigend neigte er den Kopf und sprach dann mit ruhiger Stimme, in deren Ton keine Aufregung bemerkbar war. "Ich danke Eurer Durchlaucht fuer diese Mittheilung und moechte Sie nur noch bitten, mir zu sagen, ob die Ankunft des Grafen Bismarck hier, von welcher in diesen Tagen gesprochen wurde, heute oder morgen zu erwarten ist." "Soviel mir bekannt geworden," erwiderte der Fuerst Radziwill, "hat der Graf Bismarck seine Reise hierher aufgeschoben und morgen jedenfalls wird seine Ankunft hier nicht zu erwarten sein." "Dann bitte ich Eure Durchlaucht," sagte Benedetti, "Seiner Majestaet zu sagen, dass ich nicht weiter auf meiner Bitte bestehe und mich bei den Erklaerungen des Koenigs beruhigen wolle." Der Fuerst verabschiedete sich. Graf Benedetti begleitete ihn zur Thuer und blieb dann einige Augenblicke schweigend in tiefen Gedanken stehen. "Der Wuerfel ist gefallen," sagte er mit duesterem Ton, "das Verderben ist entfesselt! Wen wird der Blitz treffen, der noch verborgen im Schoss der Wolken ruht, welche den Himmel des europaeischen Friedens ueberziehen." Er oeffnete die Thuer des Nebenzimmers und rief seinen Secretair. "Bereiten Sie Alles zur Abreise vor," sagte er im ernsten Ton, "meine Mission hier ist zu Ende. Doch," fuhr er fort, "ich will bis zum letzten Augenblick alle Pflichten der Hoeflichkeit erfuellen. Wenn es das Schicksal will, kann sich vielleicht doch noch eine Gelegenheit bieten, das Verhaengniss zu beschwoeren. Gehen Sie zum Hause des Koenigs und sagen Sie dem Adjutanten vom Dienst, dass ich um die Erlaubniss baete, mich von Seiner Majestaet verabschieden zu duerfen. Damit verletze ich keine Form und kann zugleich meinen persoenlichen Wunsch erfuellen, von dem Monarchen, der mir soviel Gnade und Wohlwollen bewiesen hat, und von dem ich in so verhaengnissvollem Augenblick scheiden muss, einen freundlichen Abschied zu nehmen." * * * * * Die Aufregung unter den Badegaesten in Ems, welche die ersten Nachrichten von den Differenzen ueber die Hohenzollersche Candidatur erregt hatten, war fast vollstaendig wieder verschwunden. Man hatte zwar die heftigen Artikel der franzoesischen Journale gelesen, die nationale Entruestung, welche ganz Deutschland bei diesen Provocationen erfasste, war auch dorthin in die stillen Kreise des Badelebens gedrungen, aber man hatte auch wieder Gelegenheit gehabt, hier in unmittelbarer Naehe den so freundlichen Verkehr des Koenige mit dem franzoesischen Botschafter zu sehen. Man hatte gesehen, wie Seine Majestaet den Grafen Benedetti taeglich auf der Promenade auf das huldvollste anredete und einige Zeit in lebhafter Conversation mit ihm auf- und niederging. Das Laecheln verschwand keinen Augenblick von dem glatten Gesicht des Botschafters und der Koenig war ruhig und heiter wie immer. Baron Werther war wieder nach Paris zurueckgereist; der Minister des Innern, welchen der Graf Bismarck, der von Barzin kommend, in Berlin leicht erkrankt war, zum Koenige nach Ems entsendet hatte, war wieder nach Berlin zurueckgekehrt; der Finanzminister war angekommen, um wie man erzaehlte, Seiner Majestaet ueber Angelegenheiten seines Ressorts Vortrag zu halten, und Alles schien wieder in das gewohnte Geleis zurueckzukehren. Als nun gar der Telegraph die Nachricht brachte, dass der Prinz Leopold von Hohenzollern auf seine Candidatur Verzicht geleistet, und dass Graf Bismarck, darin die vollstaendige Erledigung der ganzen Angelegenheit erblickend, seine Reise nach Ems aufgegeben habe, da verschwanden vollends die letzten Besorgnisse, und man sah auf der Brunnenpromenade nur heitere und laechelnde Gesichter, man verabredete Partien in die Berge, und die Unterhaltung, welche so lange von den ernsten Gegenstaenden der Politik in Anspruch genommen war, wandte sich wieder den kleinen Ereignissen des Tages zu. Man sprach von den Toiletten der Herzogin von Ossuna, welche soeben mit ihrem Gemahl angekommen war und Alles durch ihren Geschmack und ihre Eleganz in den Schatten stellte. Man wiederholte die maerchenhaften Erzaehlungen ueber den Reichthum dieses spanischen Granden, welcher die Koenigin Isabella am Hofe von St. Petersburg vertreten und an diesem prachtvollsten Hof Europas einen Glanz entwickelt hatte, der selbst dort noch nicht gesehen worden war. Da ploetzlich drang am Nachmittag des 14. Juli in diese wieder zu sorgloser, heiterer Geselligkeit sich zusammenschliessenden Kreise wie ein unvorbereiteter Wetterschlag die Nachricht, dass der Koenig, den man, wie er oefter that, nach Coblenz zu seiner Gemahlin hatte fahren sehen, der am Abend zurueckerwartet wurde, schon in der Fruehe des naechsten Morgens nach Berlin abreisen werde, dass alle Verhandlungen abgebrochen seien, dass Seine Majestaet sogar jede weitere Unterredung mit dem Botschafter abgelehnt habe, und dass der Krieg unvermeidlich scheine. Die tiefste Bestuerzung verbreitete sich ueberall. Diejenigen, welche mit dem einen oder dem andern Herrn aus der Umgebung des Koenigs bekannt waren, suchten sich demselben zu naehern, um Ausfuehrliches zu erfahren--die Umgebung des Koenigs vermied es zwar, sich in lange Gespraeche ueber die Situation einzulassen, doch der ernste, fast feierliche Eindruck, welcher auf den Gesichtern aller dieser Herren lag, einzelne hingeworfene Bemerkungen und die Bestaetigung der fuer den naechsten Morgen feststehenden Abreise des Koenigs zeigten deutlich genug, dass die Befuerchtungen, welche ueberall erregt waren, vollkommen begruendet seien. Der franzoesische Botschafter war noch nicht abgereist, aber er hielt sich in seiner Wohnung und erschien nicht auf der Abendpromenade. Bis spaet in die Nacht hinein waren alle Strassen mit Menschen gefuellt, und die ganze Nacht ueber dauerte die Unruhe in allen Haeusern, denn fast alle fremden Badegaeste trafen Anstalten zur schnellen Abreise, und die Bewohner von Ems sahen mit Bekuemmerniss dem ploetzlichen Ende einer so glaenzend begonnenen Saison entgegen. Schon lange vor acht Uhr am naechsten Morgen, zu welcher Stunde die Abreise des Koenigs befohlen war, hatte der Bahnhof sich dicht gefuellt mit einem zahlreichen Publikum, unter welchem die Damen und Herren aus dem Kreise der Badegaeste, die dem Koenig persoenlich bekannt waren, die ersten Reihen am Perron einnahmen, der in der Nacht mit Blumenguirlanden geschmueckt worden war. Allmaelig erschien die Umgebung des Koenigs, welche den Monarchen nach Berlin begleitete. Die Waggons fuhren heran und das zahlreiche Gepaeck wurde in den bereits vorgefahrenen Zug, in dessen Mitte man den grossen koeniglichen Salonwagen erblickte, eingeladen. Zum Erstaunen aller Anwesenden erschien auch der franzoesische Botschafter Graf Benedetti am Bahnhof und begab sich mit unbefangen heiterer Miene, Einen oder den Andern aus der Badegesellschaft begruessend auf den Perron, wo er seinen Ueberrock ablegte und im schwarzen Anzug, das Band des schwarzen Adlerordens ueber der Brust, ruhig dastand, mit den Andern den Koenig erwartend, ohne die erstaunten und wenig freundlichen Blicke zu beachten, mit welchen man ihn von allen Seiten ansah. Die Wagen waren bepackt; die Locomotive war schnaubend herangefahren und hatte sich an die Spitze des Zuges gestellt; die Lakaien in Reiselivreen standen an den Thuerschlaegen. Da ertoenten vom Badehause einzelne, sich schnell fortpflanzende Hochrufe. Wenige Augenblicke darauf fuhr der Koenig an den Perron heran, er trug Militair-Rock und Muetze. Der Fluegel-Adjutant Fuerst Radziwill begleitete ihn, der Hofmarschall Graf Perponcher ging dem Koenige entgegen und meldete, dass Alles bereit sei. Der Koenig sah frisch und kraeftig aus, seine Haltung war stolz und fest, und trotz des tiefen Ernstes, der auf seinen Zuegen lag, blickten seine Augen doch in milder Heiterkeit auf die zu seiner Begruessung Versammelten hin. Er richtete, schnell die Reihe herabschreitend, mit freundlichem Kopfnicken alle diese ehrerbietigen Gruesse erwidernd, an einzelne Bekannte einige Worte. Bei dem Polizei-Praesidenten von Wurmb, welcher im Reiseanzug gegenwaertig war, blieb der Koenig einen Augenblick stehen. "Ich habe Sie gebeten mit mir abzureisen," sagte er. "Sie werden viel zu thun finden,--unsere Vorbereitungen fuer die Enthuellung des Denkmals des hochseligen Koenigs," fuegte er mit wehmuethigem Laecheln hinzu, "werden nun wohl fuer laengere Zeit vertagt bleiben." "Moege die Errichtung des ehernen Denkmals auch noch hinausgeschoben werden, Majestaet," erwiderte Herr von Wurmb mit bewegter Stimme, "das lebendige Denkmal an die grosse Zeit des hochseligen Herrn, welches in jedem Preussenherzen fest begruendet ist, wird in diesen Tagen mit lebendigen Kraenzen der Erinnerung und neuer Hoffnung geschmueckt. Wieder durchdringt das ganze Volk wie damals der heilige Ruf aus der Zeit des eisernen Kreuzes "Mit Gott fuer Koenig und Vaterland." Der Koenig neigte das Haupt, sein Blick fiel auf das schwarz-weisse Band des eisernen Kreuzes, das er trug, und indem er dasselbe leicht mit der Hand beruehrte, sagte er halb laut: "In diesem Zeichen werden wir siegen." Er ging weiter. Raschen und festen Schrittes trat er zu dem sich tief verneigenden Grafen Benedetti. "Sie haben gewuenscht, Herr Graf," sagte der Koenig mit freundlicher Hoeflichkeit, "sich von mir zu verabschieden--leben Sie wohl." Trotz der Gewalt, mit welcher der franzoesische Diplomat den Ausdruck seiner Zuege beherrschte, zeigte sich doch einen Augenblick eine maechtige Bewegung auf seinem Gesicht. "Ich danke Eurer Majestaet," sagte er mit leicht zitternder Stimme, "dass Sie mir Gelegenheit geben, von Ihnen Abschied zu nehmen, und ich danke Ihnen auch in diesem Augenblick noch einmal fuer die Gnade und das Wohlwollen, welches Sie mir waehrend der Zeit meiner Beglaubigung an Ihrem Hofe bewiesen haben. Moechte die Zukunft Alles zum Guten wenden." "Die Zukunft liegt in Gottes Hand," sagte der Koenig mit fester Stimme, und indem er freundlich den Kopf neigte, wandte er sich zur Thuer des Salonwagens, an welcher der Hofmarschall und die uebrigen Herren des Gefolges ihn erwarteten. "Kommen Sie zu mir, lieber Abeken," sagte der Koenig, "wir haben unterwegs viel zu arbeiten und nehmen Sie St. Blanquart mit, damit alle ankommenden Depeschen sogleich dechiffrirt werden koennen." Der Geheime Legationsrath nahm aus der Hand eines Dieners die grosse Mappe, welche seine Papiere enthielt, winkte den Hofrath St. Blanquart, welcher in einiger Entfernung von dem koeniglichen Gefolge stand, heran, und beide folgten dem Koenige, welcher bereits eingestiegen war, in den Salonwagen, waehrend die uebrigen Herren ihre Plaetze in den Coupes vor und hinter demselben einnahmen. Die Locomotive pfiff, der Koenig trat noch einmal an das Fenster und winkte gruessend mit der Hand. Ein brausender Hochruf ertoente als Antwort auf den koeniglichen Abschiedsgruss und wiederholte sich mit wachsender Begeisterung, waehrend der immer schneller dahin rollende Zug den Monarchen aus dem stillen, friedlichen Badeort nach seiner Residenz zurueckfuehrte, von wo er bald hinausziehen sollte an der Spitze des waffengeruesteten Deutschlands, um von Neuem den Kampf aufzunehmen gegen den alten Feind seines Hauses und seines Landes. Der Koenig hatte an dem Fenster des Salonwagens Platz genommen und blickte durch die hellen Glasscheiben in die lachende Gegend hinaus, waehrend der Geheimrath Abeken ihm gegenueber Platz genommen hatte, um ihm die verschiedenen eingegangenen Depeschen vorzutragen. Der Hofrath St. Blanquart sass am Ende des Salons, den Chiffre vor sich, eine nach der andern die Depeschen dechiffrirend, welche unmittelbar vor der Abreise eingegangen waren und bereit, diejenigen in Empfang zu nehmen, welche man auf den einzelnen Stationen erwarten musste. "Ich habe Eurer Majestaet," sagte der Geheimrath Abeken, "sogleich zu Anfang eine wichtige und erfreuliche Nachricht mitzutheilen. Aus Muenchen ist gemeldet, dass der Koenig auf den Vorschlag des Ministeriums erklaert hat den Casus foederis fuer gegeben zu erachten, auch hat seine Majestaet die vorgelegte Mobilisirungsordre genehmigt." Der Blick des Koenigs leuchtete freudig auf. "Das deutsche Blut der Wittelsbacher verlaeugnet sich nicht," sagte er, "sie haben gegen uns gestanden im Kriege von 1866, und sie lieben dort vielleicht Preussen nicht zu sehr--aber jetzt wo Deutschland in den Kampf tritt, zweifelt dieser junge Koenig nicht, wo sein Platz ist. Nun Deutschland wird ihm das nicht vergessen und ich auch nicht, denn von nun an, wenn Gott uns in diesem Kampfe beisteht, wird ja die Geschichte Preussens und Deutschlands fuer immer die gleiche sein. Kuenftig wird die deutsche Armee ins Feld ziehen--" "Wie Brandenburg Preussen wurde, Majestaet," sagte der Geheime Legationsrath, "so wird Preussen Deutschland werden und damit seine grosse Mission vollenden." Der Koenig blickte schweigend weit hinaus nach dem Horizont, an welchem die an der Bahn liegenden Baeume schnell vorueberflogen. "Der feste und patriotische Entschluss des Koenigs Ludwig," sagte er nach einigen Augenblicken, "ist um so hoeher anzuerkennen, als es in Baiern in allen Kreisen nicht an eifrigen Bemuehungen gefehlt hat, die Gelegenheit zu benutzen, um eine Sonderpolitik zu machen. Nun ist Deutschland einig, und jede Hoffnung Napoleons, die Suedstaaten zu sich herueber zu ziehen, gescheitert. Von Wuertemberg sind noch keine Nachrichten da?" "Noch nicht," sagte der Geheime Legationsrath Abeken, "doch hat Herr von Rosenberg berichtet, dass an der patriotischen Haltung Wuertembergs nicht zu zweifeln sei." "So ist denn Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich einig," sagte der Koenig, "die Zeit ist gekommen, in welcher jener alte Spottname der Reichsarmee verschwinden wird, und in welcher die deutschen Heere, von Preussen gefuehrt, den alten Kriegsruhm der Nation zu neuem Glanz erheben sollen." "Alles vereinigt sich," sagte der Geheime Legationsrath, "um die Zuversicht auf den Sieg, welche ich fest in dem Herzen trage, zu bestaerken. Auch die Besorgnisse, welche die Haltung Oesterreichs einfloessen koennte, sind beseitigt durch die Gewissheit von der freundlichen Haltung Russlands, welche Graf Bismarck meldet. Der Ministerpraesident wird Eurer Majestaet darueber persoenlich ausfuehrlicher berichten, doch ist als gesichert zu betrachten, dass jeder feindlichen Bewegung Oesterreichs energisch entgegengetreten werden wird, dass der Handel der Ostsee keiner Gefahr ausgesetzt werden soll, alle frueheren Besprechungen ueber diese Eventualitaet sind von Neuem bestaetigt worden und es ist die volle Sicherheit vorhanden, die ganze ungeschwaechte und ungetheilte Militairkraft nach der franzoesischen Grenze hin verwenden zu koennen." "Der Kaiser Alexander ist ein treuer Freund," sagte der Koenig. "Er erkennt wie ich auch die politische Notwendigkeit, dass Deutschland und Russland fest zusammenhalten, um gegenseitig ihre Aufgabe zu erfuellen und ihre Zielpunkte zu erreichen. Moechten diese beiden Maechte immer einig bleiben, dann wird Frankreich die uebermuethige Praetension aufgeben muessen, die dominirende Rolle in Europa zu spielen." Der Zug hielt in Coblenz. Der Koenig trat an das Fenster, nahm die Meldung der Generalitaet entgegen und begruesste freundlich die zahlreiche Menge, welche ihm ihr jubelndes Hurrah entgegen rief. Nach wenigen Minuten fuhr man weiter. Depeschen auf Depeschen kamen an. Der Hofrath St. Blanquart entzifferte unermuedlich mit lang geuebter Sicherheit deren Inhalt aus den langen Zahlenreihen und der Geheime Legationsrath Abeken trug dem Koenige immer neue Nachrichten vor, welche Kunde brachten von der immer maechtiger aufflammenden Begeisterung des deutschen Volkes in allen Gebieten des weiten Vaterlandes. Nach einigen Stunden wurde im Salonwagen das einfache Fruehstueck des Koenigs servirt, der Leibjaeger brachte Koerbe mit kalter Kueche und das einfache Reiseservice. Und einen Augenblick den Vortrag unterbrechend, ass Seine Majestaet etwas kalten Hummer und trank ein Glas Wein, waehrend er zugleich den Geheimen Legationsrath Abeken aufforderte, die ermatteten Kraefte nach so langer Arbeit wieder zu ergaenzen. Dann winkte der Koenig noch einmal dem Leibjaeger und liess sich den Korb reichen. Er nahm ein Butterbrod und etwas kaltes Fleisch und legte es auf einen kleinen Teller. "Ein Glas Wein," befahl er dann. Der Leibjaeger servirte ein Glas Bordeaux. Der Koenig nahm es in die Hand, den kleinen Teller in die andere und so ging er durch den Salon zum Hofrath St. Blanquart hin, der noch immer eifrig und unermuedlich eine Zahlenreihe nach der andern dechiffrirte. "Halten Sie einen Augenblick ein," sagte der Koenig mit freundlichem Laecheln, "mein lieber St. Blanquart, von Chiffrezahlen kann kein Mensch leben. Nehmen Sie hier, was ich Ihnen bringe, wir muessen uns schon ein wenig an das Campagneleben gewoehnen." St. Blanquart stand ganz erschrocken auf. "Majestaet," sagte er, "welche Gnade--Eure Majestaet denken selbst an mich--" "Soll ich denn nicht an meine Diener denken," sagte der Koenig, "die Tag und Nacht fuer mich arbeiten--nehmen Sie schnell, wir haben nicht viel Zeit zur Ruhe." Er stellte den Teller vor den Hofrath hin, gab ihm das Glas Wein in die Hand und kehrte dann wieder zu seinem Sitz am Fenster zurueck, wo er gedankenvoll hinaus in die Ebene schaute, wartend, bis die beiden Herren ihr Fruehstueck vollendet hatten, dann erst liess er den Korb und das Service hinaustragen und die Arbeiten wieder aufnehmen. Weiter und weiter brauste der Zug. An allen Bahnhoefen wurde der Koenig von dichten Menschenmassen begruesst, deren jubelnde Zurufe immer lebhafter und begeisterter wurden. "Krieg! Krieg gegen Frankreich!" hoerte man fast ueberall. Dazwischen ertoenten einzelne Stimmen: "Nach Paris! Nieder mit Napoleon!" Auf jede Weise documentirte sich die patriotische Begeisterung des Volkes. Bei allen solchen Rufen blickte der Koenig tief ernst ueber die Menschenmenge hin. "Sie rufen nach Krieg," sprach er leise, "sie bewegt die patriotische Begeisterung und hebt sie ueber alle Sorgen der Zukunft hinweg. Aber Niemand kennt so genau wie ich die Opfer, welche die naechste Zeit dem gesammten Vaterlande auflegen wird, und ich muss ja doch das entscheidende Wort sprechen. Nun, Gott weiss, dass dies entscheidende Wort mir abgerungen ist, und dass nicht Ehrgeiz und Uebermuth mich zum Kampfe treibt, darum wird mir Gott seinen Segen geben, an dem Alles gelegen ist. Eine solche Hingebung, eine solche Begeisterung des Volkes ist ja der beste Segen Gottes!" Nachdem in Cassel ein schnelles Diner eingenommen war, nachdem in Magdeburg auf dem geschmueckten Bahnhof der Koenig mit hohem Enthusiasmus begruesst worden, hielt der Zug in Burg. Auch hier war eine Kopf an Kopf gedraengte Menschenmenge versammelt, und ein donnerndes Hurrahrufen begruesste die Abfahrt des koeniglichen Salonwagens. Der Koenig trat abermals an das Fenster und winkte mit der Hand ueber den Platz hin. Da mit einem Mal verstummten die jubelnden Stimmen, eine tiefe Stille trat ein, und ein an der Seite des Perrons aufgestelltes Musikcorps begann eine voll anklingende ergreifende Melodie zu spielen. Der Koenig lauschte den Toenen, welche hier an Stelle des "Heil Dir im Sieger-Kranz", das ihn sonst ueberall begruesst hatte, ertoenten. Er schien in seiner Erinnerung zu suchen nach diesen Toenen und blickte wie fragend auf den Legationsrath Abeken hin, welcher rueckwaerts vom Fenster neben seinem Sessel stand. "Es ist die Wacht am Rhein, Majestaet," sagte der Geheime Legationsrath. Still schweigend blickte der Koenig vor sich hin. "Die Wacht am Rhein,--die Wacht am Rhein," sagte er tief sinnend, waehrend die Melodie draussen weiter klang, und erst einzelne Stimmen, dann ein immer vollerer Chor die Musik zu begleiten begann.-- "Die Wacht am Rhein,--ja, ja, das ist es, das ist schoen--das ist sehr schoen, das ist das wahre Wort, welches einfach, herrlich und gross den tiefen Gedanken ausdrueckt, der diese Tage bewegt, und der das ganze Volk zusammenfuehrt zur Abwehr des verwegenen Angriffs." Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Kein Hurrahrufen erscholl, aber die ganze grosse Menschenmenge war in den Gesang eingefallen, der voll und gewaltig dem Koenige nachklang, welcher am Fenster stand und auf alle diese entbloessten Haeupter, auf alle diese von Begeisterung flammenden Gesichter hinblickend, mit leisen Bewegungen des Hauptes den Rhythmus der Melodie begleitete, bis dieselbe unter dem Rollen der Raeder und dem Schnauben der Maschine in der Ferne verklang. So kam man naeher und naeher nach Brandenburg, wo, wie dem Koenige durch den Telegraphen gemeldet war, der Kronprinz, Graf Bismarck, der Kriegsminister von Roon und der General von Moltke den Koenig erwarteten. Endlich, der Abend dunkelte bereits herein, fuhr der Zug in den Bahnhof der alten maerkischen Stadt ein. Fast die ganze Bevoelkerung war dort versammelt, die Spitzen der Behoerden, und die Officiercorps standen auf dem Perron hinter den Ministern; Allen voran der Kronprinz, welcher, als kaum der Zug zum Stehen gebracht war, selbst die Thuer oeffnete, in den Salonwagen hineinsprang und in tiefer Bewegung die Hand des Koenigs an seine Lippen fuehrte. Der Koenig breitete seine Arme aus und drueckte seinen Sohn einen Augenblick schweigend an die Brust. "Ich hatte gehofft," sagte er dann ruhig und milde, "dass der Abend meines Lebens in Frieden enden wuerde, und dass die Kaempfe der Zukunft Deinem juengeren und kraeftigeren Arm ueberlassen bleiben sollten,--Gott hat es anders gewollt, Du wirst mir zur Seite stehen, um unser Volk nochmals zum Siege zu fuehren." Dann trat er auf den Perron hinaus und unter den immer von Neuem sich wiederholenden Zurufen, die sich weithin in der Umgebung des Bahnhofs fortpflanzten, begruesste er mit herzlichem Haendedruck den Grafen Bismarck und die Generale von Moltke und von Roon, welche ihm ernst und tief bewegt entgegentraten. "Der Augenblick ist da," sagte Graf Bismarck, "den wir so lange mit aller Anstrengung hinauszuschieben versucht haben. Die letzte Entscheidung naht, und fast moechte ich frei aufathmen, nun da die Nebel zerreissen, da die frische Luft uns umweht und in reiner Klarheit unser grosses Ziel vor uns liegt, die heiligsten Gueter des Vaterlandes zu vertheidigen, Deutschland heraufzuheben auf den ersten Platz unter den europaeischen Nationen. Der Morgen einer grossen Zeit bricht an, einer so grossen Zeit, wie sie kaum je die Geschichte gekannt hat; und Gott sei Dank, das Schwert Deutschlands liegt in Haenden, die es nicht niederlegen werden, bevor der Sieg nicht erkaempft ist." Der Koenig neigte nur langsam das Haupt, ohne etwas zu erwidern, dann wandte er sich auf den Perron zu den Officieren und Civilbeamten, sprach mit den obersten Vertretern derselben einige Worte und befahl bald die Weiterreise, indem er den Geheimen Legationsrath Abeken und den Hofrath St. Blanquart entliess und die Minister aufforderte, mit ihm und dem Kronprinzen in den Salonwagen zu steigen. "Nun, meine Herren," sagte der Koenig, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, "wir werden von Neuem zu Felde ziehen muessen, denn ich glaube nicht, dass jetzt noch eine friedliche Wendung moeglich ist und Jeder von uns wird mit Aufbietung aller Kraefte auf dem Posten stehen muessen, denn diesmal handelt es sich um noch schwerere Kaempfe als im Jahre 1866, schwerer vielleicht an Anstrengung und Arbeit," fuegte er hinzu. "Aber," sagte er dann, den hellen, klaren Blick auf den Kronprinzen richtend, "ich ziehe mit leichterem, froherem Herzen ins Feld gegen den alten Feind Deutschlands, als damals, da ich gegen den alten Verbuendeten, da ich gegen einen Fuersten aus deutschem Stamme kaempfen musste." "Und Alles ist vorbereitet, Majestaet," sagte Graf Bismarck fast im heiteren Ton, "um uns nach allen Richtungen den Erfolg zu sichern. Frankreich hat sich durch diesen mit so unglaublichem Unverstand ausgewaehlten Kriegsfall vollkommen isolirt, so dass auch diejenigen Maechte, welche ihm vielleicht innerlich guenstiger gesinnt sind, als uns, sich ausser Stande befinden, ihm irgend welche Sympathie zu beweisen, und vor allen Dingen sind wir nach einer vielleicht bedenklichen Seite hin vollkommen gesichert. Ich habe ausfuehrlich mit dem Fuersten Gortschakoff ueber die Situation verhandelt, die russische Politik ist vollkommen durchdrungen von der Notwendigkeit, den unvermeidlichen Krieg zwischen uns und Frankreich zu localisiren und wird die strenge Neutralitaet Oesterreichs ueberwachen." Der Koenig nickte mit dem Kopf. "Wir werden weiter darueber sprechen," sagte er.--"Sueddeutschland steht ohne Rueckhalt und ohne Schwanken zu uns?" "Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Graf Bismarck, "trotz aller Agitationen der feindlichen Parteien werden die Koenige von Baiern und Wuertemberg fest an ihren Vertraegen halten, und die Stimmung der Bevoelkerung hebt sich nach Allem, was mir berichtet wird, immer mehr zu einmuethiger nationaler Begeisterung. Ich denke meinerseits noch ein wenig dazu beizutragen, die ganze oeffentliche Meinung in Deutschland und in den uebrigen Laendern von der Gerechtigkeit unserer Sache zu ueberzeugen und den eigentlichen Kernpunkt des franzoesischen Angriffs klar zu legen." Der Koenig blickte den Minister fragend an. "Eure Majestaet erinnern sich," sagte Graf Bismarck, "der schmaehlichen Propositionen, welche von Frankreich uns bei wiederholten Gelegenheiten gemacht worden sind, und welche uns einen unwuerdigen Handel um die nationale Entwickelung Deutschlands anboten, indem wir durch Raub an Dritten das erkaufen sollten, was das selbststaendige Recht Deutschlands ist. Eure Majestaet erinnern sich des Vertragsentwurfs, welchen mir Benedetti einst gegeben hat, und in welchem fuer die Eroberung Belgiens die Sueddeutschen Staaten, ueber deren Selbstaendigkeit und Unabhaengigkeit man in Paris so viel gesprochen hat, uns von Frankreich ueberliefert werden sollten." "Ich erinnere mich," sagte der Koenig. "Nun, nun, Majestaet," fuhr Graf Bismarck fort, "der innere, der wahre Grund dieses jetzt so vermessen heraufbeschworenen Krieges liegt darin, dass wir jenen Handel alle Zeit fest und entschieden zurueckgewiesen haben. Man will jetzt versuchen mit Gewalt zu nehmen, was wir nicht verkaufen wollten. Ich habe ueber alle jene Vorschlaege bisher das tiefste Stillschweigen beobachtet, damit von unserer Seite nichts geschehe, um einen so verhaengnissvollen Bruch herbeizufuehren. Nun aber, Majestaet, ist wie ich glaube der Augenblick gekommen, um die wahren Absichten und Plaene Frankreichs vor aller Welt zu enthuellen, und wenn Eure Majestaet es erlauben, werde ich jenen Vertragsentwurf, den Benedetti und der Kaiser Napoleon nicht ableugnen koennen, den Vertretern der Maechte und der oeffentlichen Meinung Europas mittheilen. Die Sueddeutschen werden sehen, wohin sie mit der hier und da gehegten Hoffnung auf Frankreich gekommen waeren. England wird sehen, was die Vertraege ueber Belgien in Frankreichs Augen zu bedeuten haben und abgesehen von der aeusseren Form dieser unerhoerten Provocation wird auch die innere Gerechtigkeit unserer Sache vor den Augen aller Welt klar werden. Damit wird eine grosse moralische Macht uns zugefuehrt werden." Der Koenig nickte zustimmend mit dem Kopfe. "Ja, ja, darin liegt der wahre Grund dieses so lang zurueckgehaltenen Krieges, und es kann nur nuetzlich sein, wenn alle Welt das klar erkennt.--Ich habe auch," sagte er nach einigen Augenblicken, waehrend eine tiefe Bewegung aus seinen Augen leuchtete, "ich habe auch daran gedacht, unsere Waffenmacht durch eine moralische Kraft zu verstaerken und der Begeisterung des Volkes einen idealen Halt, ein heiliges Zeichen zu geben, zu dessen siegreichem Einfluss ich ein glaeubiges Vertrauen habe." Der Kronprinz und die andern Herren blickten erwartungsvoll in das bewegte Gesicht des Koenigs. "Ich will das eiserne Kreuz wieder herstellen," sagte der Koenig, indem er wie unwillkuerlich die Haende faltete und einen Augenblick die Augen niederschlug, um den feuchten Schimmer zu verbergen, der an seinen Wimpern erglaenzte--"das wird die grossen, frommen Erinnerungen wach rufen und die Begeisterung jener vergangenen Zeit auch der Gegenwart wieder erwecken. Die Ritter des eisernen Kreuzes sterben aus, ich will das edle Zeichen auch fuer Dich und Deine Generation," sagte er zum Kronprinzen gewendet, "erhalten als ein Vermaechtniss der Erinnerung an mich und meinen Vater." "Und ich verspreche Dir," rief der Kronprinz in maechtiger Erregung, "dass ich nicht ruhen und rasten will, bis ich dies heilige Zeichen mir erkaempft habe." Schweigend, voll Liebe und Bewunderung blickten die Minister auf den Koenig, der noch einige Augenblicke in stillem Sinnen da sass. Ein langer Pfiff der Lokomotive ertoente. Man fuhr in den provisorischen Potsdamer Bahnhof ein. Bereits war die Dunkelheit des spaeten Abends herabgesunken, der mit Blumenguirlanden geschmueckte Bahnhof war erleuchtet, ein einfacher Kronleuchter hing an der Decke des provisorisch hergestellten koeniglichen Wartezimmers. Auf dem Perron erwarteten den Koenig die Spitzen der Behoerden, der Magistrat, die Generalitaet, die Hofchargen und zahlreiche Damen mit prachtvollen Blumenbouquets in der Hand. Ein maechtiger Hurrahruf erschallte ueber den ganzen Bahnhofsplatz hin als der koenigliche Zug am Perron vorfuhr. Auf dem Perron entbloessten sich alle Haeupter, die Huete wurden in die Luft erhoben, die Damen wehten mit den Tuechern. Der Koenig und der Kronprinz stiegen aus. In der vordersten Reihe stand der greise Feldmarschall Wrangel. Rasch schritt der Koenig zu demselben hin und reichte ihm die Hand, in tiefer Bewegung beugte sich der Feldmarschall nieder und drueckte seine Lippen auf die koenigliche Rechte. "Ich begruesse in Ihnen, mein lieber General-Feldmarschall, meine Armee, die von Neuem zeigen wird, dass sie ihrer Veteranen wuerdig ist." Der Feldmarschall wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm einige Augenblicke. "Oh warum, Majestaet," sagte er endlich in abgebrochenen Worten, "warum gehoere ich heute zu diesen Veteranen, warum wollen die alten Glieder heute nicht so vorwaerts wie das Herz, das noch immer nicht alt wird." "Nun," sagte der Koenig, die Hand leicht auf die Schulter des Feldmarschalls legend, "wenn Sie auch heute nicht mehr ins Feld ziehen koennen, Ihr Geist und Alles, was Sie fuer meine Armee gethan, das zieht doch mit hinaus und das wird ebenso schwer bei der Entscheidung wiegen, ja schwerer, als die Kraft der jungen Arme, denn der ruhmvolle Geist der Vergangenheit, der in meiner Armee weht, ist es, der sie zum Siege fuehren wird. Ich werde," fuegte er freundlich zu dem Feldmarschall gewendet, hinzu, "das eiserne Kreuz wieder herstellen, damit die Veteranen der kuenftigen Generation auch dasselbe schoene Zeichen tragen koennen, das wir Alten uns in den grossen Tagen der Vergangenheit erworben haben." "Das freut mir von ganzem Herzen," sagte der Feldmarschall, indem sein altes, treuherziges Gesicht von Glueck und Freude strahlte. "Das haben Eure Majestaet recht gemacht, das wird unseren Jungens wieder den Geist von 1813 einhauchen. Dieser Geist faengt schon an zu wehen, ich habe da gestern ein Witzblatt gesehen, worueber ich mir sonst geaergert habe, die Berliner Wespen, die haben einen preussischen Soldaten gemalt, der dem Napoleon die Faust unter die Nase haelt und ihm sagt: "Dir hat wohl lange nicht die Nase geblutet." Das ist richtiger preussischer Geist, Majestaet, und ich habe mir auch gleich hingesetzt und dem Schreiber von diesem Wespenblatt ueber sein Bild meinen Glueckwunsch gesagt." Der Koenig laechelte. "Sie haben Recht, lieber Feldmarschall, je ernster die Zeit, um so weniger darf dem Soldaten der Humor ausgehen, und damit hat es bei uns Berlinern noch gute Wege." Er wandte sich um und begruesste freundlich die Damen, deren dargereichte Bouquets er entgegennahm, sich entschuldigend, dass er sie nicht alle halten koenne und sie dem Adjutanten zur Aufbewahrung uebergeben muesse. Dann trat er in das Wartezimmer, wohin ihm die Deputationen der staedtischen Behoerden, die Generale und die Hofchargen folgten. Der Unterstaatssecretair von Thiele war unterdessen an den Grafen Bismarck herangetreten und hatte ihm ein fuer ihn angekommenes Telegramm uebergeben. Graf Bismarck durchflog es, dann trat er mit blitzenden Augen in das Wartezimmer zum Koenig, der so eben die Begruessung des Magistrats entgegennahm. "Majestaet," rief der Graf, "ich habe so eben ein Telegramm des Wolf'schen Bureaus erhalten. Die Entscheidung ist da." "Ist der Krieg erklaert?" fragte der Koenig. "Die Kriegserklaerung ist hier noch nicht uebergeben," erwiderte Graf Bismarck, "aber die Erklaerung, welche Ollivier im Corps legislatif abgegeben hat, ist so gut, wie die formelle Erklaerung. "Ich bitte Sie, zu lesen." Graf Bismarck trat, die Depesche in der Hand in den Lichtkreis des Kronleuchters und begann mit lauter Stimme zu lesen. Das Telegramm enthielt die Darstellung, welche der Grosssiegelbewahrer im Gesetzgebenden Koerper ueber die Verhandlungen in Ems gegeben hat. "Der Koenig weigert sich," las Graf Bismarck in erhoehtem Ton, "die von uns geforderten Verpflichtungen einzugehen und erklaerte Benedetti, er wolle sich fuer diesen, wie fuer jeden andern Fall vorbehalten, die Verhaeltnisse zu Rathe zu ziehen." "Richtig," sagte der Koenig leise vor sich hin. "Trotzdem," fuhr Graf Bismarck zu lesen fort, "brachen wir aus Friedensliebe die Verhandlungen nicht ab, um so groesser war unsere Ueberraschung, als wir erfuhren, der Koenig von Preussen habe sich geweigert, Benedetti zu empfangen, und die preussische Regierung habe das amtlich mitgeteilt." "Ist das geschehen," fragte der Koenig. "Nein, Majestaet," erwiderte Graf Bismarck, "ein Telegramm darueber ist in den Zeitungen erschienen. Darueber werden die Vertreter Eurer Majestaet an den Hoefen, bei denen sie beglaubigt sind, gesprochen haben. Es ist eine der Verdrehungen der Wahrheit, welche den Zweck haben, uns die Schuld des Friedensbruchs aufzuladen und die oeffentliche Meinung in Frankreich zu erhitzen, vielleicht den Kaiser zum Aeussersten zu reizen." Finster blickte der Koenig vor sich nieder, und biss die Zaehne auf einander, ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund. "Unter diesen Umstaenden," las Graf Bismarck weiter, "waere es ein Vergessen unserer Wuerde und eine Unklugheit gewesen, keine Vorbereitungen zu treffen. Wir haben uns bereitet den Krieg, den man uns anbietet, anzunehmen, indem wir Jedem seinen Antheil an der Verantwortlichkeit hierfuer ueberlassen." Zornig trat der Koenig mit dem Fuss auf den Boden, mit dem etwas verkuerzten Finger seiner rechten Hand fuhr er mehrfach von oben herab ueber den Schnurrbart, wie es in Augenblicken heftiger Erregung seine Gewohnheit war. "General von Roon," rief er dann, als Graf Bismarck die Depesche zusammenfaltete, zum Zeichen, dass er zu Ende gelesen. Der Kriegsminister trat heran. "Ich befehle die Mobilmachung der ganzen Armee," sagte der Koenig im festen Ton, "sorgen Sie fuer die unmittelbare Ausfuehrung meiner Befehle." "Hurrah!" rief der General-Feldmarschall von Wrangel. "Es lebe der Koenig!" Die Umstehenden wiederholten diesen Ruf, brausend setzte sich derselbe weithin ueber den Platz und durch die Menschen gefuellten Strassen fort. "Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir, Graf Bismarck und auch Sie, General von Moltke, um alles weiter Erforderliche zu beschliessen," sagte der Koenig. Dann gruesste er mit freundlichem Ernst die Anwesenden und bestieg mit dem Kronprinzen seinen Wagen, in welchen bereits in dichter Menge die ihm ueberreichten Blumenbouquets gelegt waren. Langsam fuhr er durch die jubelnden Menschenmassen nach seinem Palais, von neuen, immer lauter anschwellenden Hurrahrufen begruesst, stieg er hier aus, trat noch einmal auf die Rampe vor und winkte mit der Hand ueber den Platz hin. "Bei einer solchen Begeisterung meines Volkes ist uns der Sieg sicher, wir koennen der Zukunft ohne Furcht entgegen gehen," sagte er dann mit bewegter Stimme, indem er sich langsam abwandte und in sein Palais eintrat. Lange noch blieb die Menge dicht gedraengt auf dem Platz versammelt, immer nach dem Fenster hinblickend und jedesmal, so oft die Gestalt des Koenigs oder auch nur ein voruebergehender Schatten dort sichtbar wurde, in erneute Rufe ausbrechend. Endlich trat ein Leibjaeger des Koenigs auf die Rampe hinaus, winkte einen der dort aufgestellten Schutzmaenner heran und sprach einige Worte mit ihm. Der Schutzmann naeherte sich den Ersten in seiner Naehe. "Meine Herren," sagte er, "Seine Majestaet laesst bitten, nach Hause zu gehen, der Koenig hat diese Nacht noch viel zu arbeiten." "Der Koenig will Ruhe," ertoente es unmittelbar durch die Massen hin. "Nach Hause! Nach Hause!" Einen Augenblick legte sich eine tiefe Stille ueber den ganzen Platz. Dann begannen einige Stimmen die feierliche, allbekannte Melodie des "Heil Dir im Siegerkranz" zu intoniren. Mit gewaltigem Klang stieg dies Lied, das in so einfach grosser Weise den Geist der unvergesslichsten Zeit der preussischen Geschichte ausdrueckte, zum naechtlichen Himmel auf,--dann wurde wieder Alles still. Leise und ruhig nur in fluesternden Gespraechen sich unterhaltend, zerstreute sich diese ganze unabsehbare Menschenmenge, um dem Koenige Ruhe zu lassen fuer seine Arbeit, welche dem deutschen Volk in den grossen nationalen Entscheidungskaempfen den Sieg sichern sollte. Bald lag der ganze weite Platz im schweigenden naechtlichen Dunkel, nur in den Zimmern des Koenigs brannte bis zum Morgen hin das Licht, welches die Arbeit beleuchtete, in die der unermuedliche Monarch sich mit seinem Minister und seinem Heerfuehrer vertiefte, und durch die Scheiben des Fensters fiel der Strahl dieses Lichts in die Nacht hinaus, auf das aus der Dunkelheit in riesigen Umrissen hervortretende Denkmal des grossen Koenigs hin,--die Sterne des Himmels blickten in ewiger lichter Ruhe herab auf die schlummernde Residenzstadt, welche im taeuschenden Schein friedlicher Stille da lag, waehrend sie schon in den naechsten Tagen Tausende ihre Soehne hinaussenden sollte, um auf blutigen Schlachtfeldern von Neuem ihre opferfreudige Treue fuer den Koenig und das Vaterland zu beweisen. Neuntes Capitel. Ernst und still sass Fraeulein Luise Challier in dem Wohnzimmer des alten Hauses in St. Dizier. Traurige Wochen und Monate waren verflossen, seit ihr Geliebter sie voll freudiger Hoffnung und Zuversicht verlassen hatte. So schwer auch der Abschied von ihm sie erschuettert hatte, so hatte sie doch in den ersten Tagen gluecklich und froh seiner gedacht; sie hatte die Tage gezaehlt, welche er zu seiner Reise bedurfte, sie hatte ausgerechnet, wie lange ein Brief von Hannover gehen muesse, um zu ihr zu gelangen und hatte nach Verlauf dieser Zeit mit zweifelloser Gewissheit, ungeduldig die Augenblicke zaehlend, einer Nachricht von ihrem Geliebten entgegengesehen. Als ein Tag nach dem andern vergangen war, ohne dass eine solche Nachricht eintraf, hatte sie dann alle Moeglichkeiten der Verzoegerung sich klar gemacht, sie hatte auch wohl mit einem leichten Gefuehl von Traurigkeit sich oft gesagt, dass der junge Mann unter dem Eindruck der Rueckkehr in seine alte Heimath erfuellt von den lebhaften Gefuehlen des Wiedersehens seiner Mutter gezoegert habe, ihr zu schreiben. Ja sie hatte sich sogar in eine freudige Stimmung hinein gedacht, indem sie sich sagte, dass ihm die Ordnung seiner Verhaeltnisse und die Erlangung der Einwilligung seiner Mutter und seines Oheims zu der neuen Wendung seines Schicksals vielleicht schneller gelungen waere, als er selbst es gehofft, und dass er ihr mit der ersten Nachricht vielleicht zugleicht seine Wiederkehr nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten anzeigen wolle--damit war wieder eine Reihe von Tagen vergangen, bis endlich auch dieser Grund nicht mehr zur Beruhigung ihrer immer banger werdenden Unruhe genuegen wollte. Dann war jene entsetzliche, das ganze innere Wesen des Menschen zerstoerende Zeit des Wartens gekommen, welche in ihrer dumpfen, bleiernen Schwere auf die Seele und den Geist vernichtender wirkt, als der haerteste, aber bestimmt und klar eintretende Ungluecksfall. Wie die Blume vor dem maechtig niederrauschenden Wetter ihr Haupt senkt, um es spaeter wieder frisch und duftig erheben, wie sie, wenn die Bluethe gebrochen wird, neue Bluethen treibt, so kann ein maechtiger Wetterschlag des Schicksals das menschliche Herz und den menschlichen Geist schwer und gewaltig erschuettern; aber nach dieser Erschuetterung richtet sich der Muth wieder empor, die Kraft kehrt zurueck, und neues Glueck, neue Freude koennen unter wiederkehrendem Sonnenschein freundlicher Schicksalswendungen erwachsen. Aber wie die Pflanze, der in duerrer Erde das Wasser entzogen wird, langsam erstirbt, vergeblich lechzend nach frischer erquickender Lebenskraft, und wie die vertrockneten Bluethen die verdorrten Blaetter, langsam erstarrt und gestorben, sich niemals wieder zu neuem Leben aufrichten koennen, so toedtet und erstarrt das langsame erbarmungslose Verschwinden der Hoffnung den Glauben des menschlichen Herzens, und wenn es auch mechanisch in regelmaessigem Pulsschlag das Blut durch die Adern treibt, sein inneres Leben, der Duft und die Farben kehren ihm nie wieder zurueck, und es ist todt, lange, lange, bevor es aufhoert, zu schlagen. So erstarb langsam und qualvoll die Freude und das Glueck und endlich die Hoffnung und der Glaube in dem Herzen des jungen Maedchens, und wenn auch die Liebe, diese Tochter des Himmels, welche in dem geschaffenen Menschen Alles ueberlebt, weil sie unsterblich ist, wie der Schoepfer, der sie in sein Geschoepf legte,--wenn auch diese Liebe nicht aus ihrem Herzen verschwand, so erfuellte sie doch das Herz nicht mehr mit Licht und Waerme. Es war nur noch eine traurige Flamme frommer Erinnerung wie die ewige Lampe in einem Grabgewoelbe. Luise hatte sich zuerst in ihrer feurigen und kraeftigen Natur lebhaft aufgebaeumt gegen den Gedanken, dass der, den sie so sehr liebte und an dem ihr Herz mit so vollem und hingebendem Vertrauen hing, sie so schnell habe vergessen koennen. Qualvolle Unruhe, Zorn, Erbitterung hatten sie erfuellt, immer und immer wieder hatte sie Gruende fuer sein Verstummen gesucht, und von Neuem hatte sie ihre Hoffnungen wieder aufgerichtet, um sie immer wieder von Neuem zusammen sinken zu sehen. Und alle diese Kaempfe, alle diese Qualen und Leiden hatte sie tief in sich selbst verschlossen. Mit laechelnder Miene hatte sie, als ihr Vater anfing, seine Verwunderung ueber das Schweigen des jungen Mannes auszusprechen, Gruende aufgesucht, an welche sie selbst nicht glaubte. Mit Anstrengung aller Willenskraft hatte sie sich den Tag ueber aufrecht erhalten, um vor den Augen ihres Vaters und ihrer Hausgenossen ruhig und heiter zu erscheinen; sorgfaeltig hatte sie am Morgen ihre von Thraenen und Nachtwachen geroetheten Augen gekuehlt, um die Spuren ihres innern Leidens zu verbergen, und stolz und kalt hatte sie Herrn Vergier, wenn derselbe sie zuweilen mit dem Anschein freundlicher Theilnahme nach dem jungen Cappei fragte, geantwortet, dass derselbe sich vortrefflich befinde, und dass sie hoffe, er werde bald zurueckkehren. Endlich aber war das Alles ueber ihre Kraefte gegangen, alle Gruende, die sie fuer sich selbst und ihren Vater aufsuchen mochte, konnten nicht mehr ausreichen, um dies wochenlange Schweigen des jungen Hannoveraners zu erklaeren, und als endlich eines Tages der alte Challier deutlicher und bestimmter seine Besorgnisse und seine Unruhe ueber das Benehmen des jungen Mannes, zu dem er so grosses Vertrauen gehabt, aussprach, da war sie wie gebrochen in sich zusammen gesunken, zu schwach, den Kampf laenger auszuhalten und ihre inneren Qualen unter laechelnder Miene zu verbergen. Ein Strom heisser Thraenen stuerzte aus ihren Augen und laut schluchzend warf sie sich in die Arme ihres Vaters. "Oh, er hat mich verlassen!" rief sie. "Er hat mich vergessen! Er hat sein Spiel mir getrieben hier in der Verbannung,--nun er zurueckgekehrt ist zu den Seinen in sein Vaterland und in seine alte Heimath, da gedenkt er meiner nicht mehr. Und," fuhr sie heftiger weinend fort, "da haelt er es nicht einmal fuer noethig, einen Vorwand zu suchen--mir ein Wort des Abschieds zu sagen! Nein, er laesst mich langsam vergehen in vergeblicher Erwartung! Oh, das ist schlecht," rief sie, den Kopf emporhebend und mit fast verwirrtem Blick im Zimmer umher starrend--"das ist schlecht, das habe ich nicht um ihn verdient! Ich habe ihn doch so sehr geliebt, und auch jetzt noch liebe ich ihn," rief sie. "Ich zuerne, mir selbst, fast moechte ich mich verachten, dass ich ihn noch lieben kann. Aber dann wieder, wenn sein Bild vor mich hintritt, wenn ich an seine Augen denke, die so gut und treu blicken, an alle seine Worte so voll Wahrheit und tiefen Gefuehls--dann kann ich es nicht glauben, kann ich es nicht fuer moeglich halten, dass er mich so vergessen, so unwuerdig bei Seite werfen sollte, dann erfasst mich eine namenlose Angst, dass ihm ein Unglueck widerfahren sei, dass er todt sein moechte. Oh, mein Gott, mein Gott," rief sie laut aufschreiend, "gieb mir ein Ende dieser Qualen, ein Ende dieser Angst, nur einen Lichtblick der Gewissheit, und waere es die traurigste, die schmerzlichste, sie waere ein Glueck gegen diesen Zustand." Ernst und traurig hatte der alte Herr Challier diesen so ploetzlichen Ausbruch des Jammers seiner Tochter mit angehoert. Voll tiefen, liebevollen Mitgefuehls sah er auf das junge Maedchen herab, welches zitternd in sich zusammen geschmiegt vor ihm stand, die Haende gefaltet und den brennenden Blick fragend auf ihn gerichtet, als erwarte sie von ihm das Licht und die Aufklaerung nach denen ihre Seele duerstete. "Meine Tochter," sagte er, "gieb Dich nicht der Verzweiflung hin. Das Leben bietet harte und schwere Schicksalsschlaege genug, es muss immer in unserm Herzen etwas leben, das uns ueber das Unglueck erhebt, und waere es nur der Stolz und das muthige Selbstgefuehl, welches eine Tochter der Bragars niemals verlassen soll." "Oh, mein Vater," rief sie, "ich wuerde Muth und Kraft haben, Alles zu ertragen, wenn er mir gestorben waere, wenn die Hand der Vorsehung mit unwiderstehlicher uebermaechtiger Gewalt in meine Hoffnungen und in die Traeume meines Gluecks eingegriffen haette; aber dass es so enden soll, dass er mich vergisst, dass er aus dem Kreise meines Lebens verschwindet, ohne dass ich weiss wodurch und warum. Das, mein Vater, zerstoert meinen Geist, das zerbricht meinen Willen und meine Kraft, das untergraebt mein Vertrauen an die Gerechtigkeit Gottes." "Wenn er sich unwuerdig gegen Dich betragen hat, mein Kind, wenn er Dich so leicht vergessen konnte, so sollte Dein Stolz sich um so hoeher erheben und Dir den Willen und die Kraft Deiner Seele wiedergeben," sagte Herr Challier mit ernstem, fast vorwurfsvollem Ton. "Aber," fuhr er fort, "noch ist es so weit nicht, noch kann irgend ein Missverstaendniss vorliegen. Er kann krank geworden sein,--wenn ich an den jungen Mann zurueckdenke, wie ich ihn gekannt habe, als er unter uns lebte, wenn ich mir sein ganzes Wesen, seinen Charakter vergegenwaertige, so kann ich es kaum glauben, dass er Dich so leicht vergessen und verlassen hat; und ich muss fast an irgend ein aeusseres Hinderniss glauben, das diesem unerklaerlichen Schweigen zu Grunde liegt." "Das sagt auch mir mein Herz," rief Luise, indem sie mit einem dankbaren und hoffnungsvollen Ausdruck zugleich ihren Vater ansah, "eine Stimme in meinem Innern ruft mir zu, er kann nicht so niedrig, so schlecht und undankbar sein, um, selbst wenn das Schicksal unserer Verbindung unuebersteigliche Hindernisse in den Weg entgegenstellte, sich so von mir zu trennen." "Wenn Du das glaubst," sagte der alte Challier, "so musst Du an ihn schreiben und Erklaerung von ihm verlangen. Ist er krank, was ja moeglich ist, so wird der Brief in die Haende der Seinigen kommen, und Alles wird klar werden." "Ich soll ihm zuerst schreiben," rief Luise, indem eine dunkle Roethe ihr Gesicht ueberflog, "ich soll ihn mit meiner Liebe verfolgen--wenn er mich vergessen haette." "Wenn Du ihn liebst," sagte Herr Challier, "wenn Du Vertrauen zu ihm hast, so bist Du ihm und Dir selber schuldig, jenen Schritt zu thun, der Dir Aufklaerung ueber ein Missverstaendniss oder die unleugbare Gewissheit seiner Unwuerdigkeit giebt. Es mag ihm widerfahren sein, was da wolle, so wird Dein Brief in die Haende seiner Angehoerigen kommen und Du wirst irgend eine Nachricht erhalten. Und nur wenn er Dich wirklich verlassen will, oder wenn er uns eine falsche Adresse gegeben haette, um seine Spur verschwinden zu lassen, wirst Du ohne Antwort bleiben." "Du hast Recht, mein Vater," sagte Luise, "ich will den Glauben und das Vertrauen nicht so leicht aufgeben. Ich will ihm schreiben." Sie ging sogleich in ihr Zimmer und schrieb in fliegender Eile Alles, was ihr Herz ihr eingab, und als sie geendet hatte und den Brief nochmal ueberlas, sprach sie hoch aufathmend zu sich selbst: "Wenn dieser Brief in die Haende seiner Mutter gelangt, wenn er nur von einem Menschen gelesen wird, der ein fuehlendes Herz hat, so werde ich erfahren, was ihm begegnet ist, und warum ich keine Nachricht von ihm erhalten habe." Ihr Vater las den Brief, den sie geschrieben, mit wehmuethigem Blick, voll inniger Theilnahme sah er sein Kind an. Die ganze Qual ihres Herzens lag zwischen den Zeilen. Er siegelte den Brief und versah ihn mit der Adresse, welche Cappei zurueckgelassen hatte und brachte ihn selbst zur Post. Abermals begann nun jene Zeit der unruhigen Erwartung, des bangen Zweifelns zwischen Furcht und Hoffen. Abermals zaehlte das junge Maedchen die Tage, welche ihr eine Antwort bringen konnten. Abermals aber verflossen diese Tage, ohne dass die ersehnte Nachricht kam, abermals arbeitete sich ihr gemartertes Herz durch alle Fasern dieses entsetzlichen Wartens hindurch, dessen Pein keine Ruhe und Rast, keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht kennt. Bleicher und bleicher wurden die Zuege dieses sonst so lebensfrischen Gesichts, aber es war diesmal nicht die zitternde, sehnsuchtsvolle Unruhe, nicht die schmerzvoll ringende Verzweiflung, welche sich in diesen Zuegen malte. Kalt, finster und stolz wurde der Blick des jungen Maedchens, oft laechelten ihre Lippen bitter oder pressten sich mit dem Ausdruck duesterer Resignation auf einander. Kalt und ruhig ging sie einher, verrichtete genau und puenktlich ihre haeuslichen Besorgungen, und sorgfaeltig wich sie jedem Gespraech mit ihrem Vater aus, welcher mit kummervollen Blicken ihr Treiben beobachtete. Es waren fast drei Wochen vergangen, seit sie ihren Brief abgesendet, da trat sie eines Tages ernst und ruhig vor ihren Vater hin, als derselbe nach dem Diner in seinem Lehnstuhl sass und mit klarem Blick und mit fester Stimme sprach sie zu ihm: "Es ist jetzt vorbei, mein Vater, der Traum, welcher eine Zeit lang mein Leben erfuellte, ist ausgetraeumt. Die Liebe, welche mein ganzes Wesen durchdrang, ist in meinem Herzen gestorben, ich habe sie ausgerissen mit den letzten Wurzeln, ich habe sie verachten gelernt und will sie nun auch vergessen koennen. Du hast Recht gehabt, mein Vater, der Stolz giebt die Kraft, sich aus dem Bann leidenden Jammers zu erheben und im Gefuehl der eigenen Wuerde die Niedrigkeit und Schlechtigkeit derer zu vergessen, die unser Herz mit Fuessen traten. Ich habe ein Jahr meines Lebens verloren--das ist Alles," sagte sie bitter und hart, "vielleicht habe ich dabei gewonnen, denn ich habe die Menschen verachten und die eigene Kraft schaetzen gelernt. Nimm mich hin, mein Vater, es ist Alles, wie es frueher war, Deine Tochter gehoert wieder Dir und Dir ganz allein." Sie schlang ihre Arme um die Schultern ihres Vaters und liess ihren Kopf an seine Brust sinken. Ein leises Zittern flog durch ihre Gestalt wie eine letzte Regung des tief schneidenden Schmerzes, der so lange ihr innerstes Wesen erschuettert hatte. Dann aber hob sie den Kopf empor und blickte ihren Vater fest an, wie um zu zeigen, dass ihre Kraft groesser sei, als ihr Schmerz. Ihre Gesichtszuege waren ruhig und unbeweglich, ihre Augen klar und trocken. Ihr Vater schuettelte langsam und schmerzlich den Kopf. "Ich freue mich," sagte er, "dass Du die eigene Kraft kennen und schaetzen gelernt hast, aber nicht so darfst Du in Dein kuenftiges Leben gehen, Du darfst die Menschen nicht verachten, weil Einer sich Dir niedrig gezeigt hat, weil Einer unwuerdig gegen Dich gehandelt. Auch diese Wunde wird heilen, mein Kind, wie so Vieles heilt in der geschaffenen Natur--Du wirst auch das Vertrauen zu den Menschen wieder finden, Du wirst Dich dem Leben und seinen reichen Gaben nicht verschliessen. Du bist noch so jung und es wird die Zeit kommen, wo Alles, was Du jetzt gelitten, wie ein ferner Traum verklungen sein wird. Vergiss auch nicht," fuegte er hinzu, "dass Derjenige, der Dich unwuerdig verlassen, kein Sohn Deines edlen Vaterlandes war. Vielleicht ist es ein Glueck, dass es so kam, fuer das Leid, das der Fremde Dir zugefuegt, wird, so Gott will, Frankreich Dir Ersatz bieten." Luise trat einen Schritt von ihrem Vater zurueck, hoch richtete sie sich empor und sprach stolzen, flammenden Blickes. "Glaube nicht, mein Vater, dass ich mit dem Leben abschliessen will, glaube nicht, dass ich etwa daran denke, in kloesterlicher Einsamkeit den Unwuerdigen zu beweinen, der mein liebevolles Vertrauen getaeuscht hat. Nein, ich werde frei und muthig, aber auch klar und kalt in das Leben treten, ich werde alle seine Pflichten erfuellen,--aber mein Herz werde ich fuer mich allein behalten und--fuer Dich, mein Vater," fuegte sie mit einem innigen Blick hinzu. "Es soll nicht wieder der Spielball unwuerdiger Laune werden." "Das ist brav und recht, mein Kind," sagte Herr Challier, "das ist tapfer und meiner Tochter wuerdig. Und Gott, der die Zukunft der Menschen lenkt," fuegte er die Haende faltend hinzu, "er wird auch nicht zulassen, dass Dein Herz in kalte Einsamkeit verschlossen bleibt, auch Dir wird noch Glueck, Wonne und Freude zu Theil werden." Schweigend, mit schmerzlichem Laecheln schuettelte Luise den Kopf und ging hinaus, um die Geschaefte der haeuslichen Wirthschaft zu ordnen. Von diesem Augenblick an war zwischen Vater und Tochter von der Sache nie mehr die Rede, und ruhig ging das einfache Leben in dem alten Hause seinen Weg. Herr Vergier, welcher sich eine Zeit lang wenig im Hause hatte sehen lassen, kam wieder oefter dorthin. Er leistete dem Alten Gesellschaft, sprach mit ihm ueber die Geschichte und ueber die Fragen der Politik, welche die oeffentliche Meinung bewegten. Sein frueher so heftiges und aufgeregtes Wesen war augenscheinlich ruhiger und sanfter geworden; er schien sich allmaehlig von den Ansichten des alten Herrn ueberzeugen zu lassen und hielt sich von allen heftigen Ausfaellen gegen das Kaiserthum, von allen scharfen Urtheilen ueber die Regierung zurueck--er hatte waehrend des Plebiscits sich von jeder Agitation der democratischen Partei, mit welcher er frueher innig verbunden gewesen war, fern gehalten,--der alte Herr Challier war darueber sehr erfreut und erblickte darin eine Wirkung des Einflusses, den er auf die Ansichten des Herrn Vergier ausuebte. Das Verhaeltniss zwischen Beiden war in Folge dessen ein immer freundschaftlicheres und herzlicheres geworden. Auch Fraeulein Luise trat Herrn Vergier immer naeher, er unterhielt sich freundlich und ruhig mit ihr; er sprach mit ihr ueber viele Dinge, welche den regen Geist des jungen Maedchens interessirten, und niemals kam ein Wort ueber seine Lippen, das an die Vergangenheit erinnerte oder die Hoffnungen und die Wuensche beruehrte, die er frueher gehegt, und die er frueher in so heftiger und leidenschaftlicher Weise gegen sie ausgesprochen hatte. Das junge Maedchen, das anfaenglich verschlossen, kalt und zurueckhaltend gegen ihn gewesen war, begann in seiner Unterhaltung Zerstreuung und Beruhigung zu finden, und so kam es, dass nach Verlauf einiger Zeit Herr Vergier wieder der taegliche und gern gesehene Gast im Hause des Herrn Challier war, der in den kleinen Kreis freundliches und heiteres Leben brachte. Die verhaengnissvollen Tage des Juli waren gekommen, die gewaltige Aufregung, welche Paris bewegte, und welche bereits ganz Europa zu ergreifen begann, schlug ihr helles Feuer auch hier in diesem ruhig abgeschlossenen Leben der alten Stadt St. Dizier, und das Gefuehl aller dieser Nachkommen der Soldaten Franz I. wallte hoch auf bei den Berichten ueber die Vorgaenge im Corps legislatif, und als die Rede des Herzogs von Gramont in den Journalen erschien, in welcher dieser Traeger eines edlen, alt franzoesischen Namens das Nationalgefuehl Frankreichs aufrief gegen die Wiederherstellung des Reiches Karl V., dieses deutschen Kaisers, der einst in seinen Kaempfen gegen den ritterlichen Koenig Franz I. die Stadt St. Dizier belagert und vor deren Mauern den entscheidenden Widerstand gegen sein siegreiches Vordringen gefunden hatte, da war in dieser kleinen Stadt nur eine Stimme der Entruestung und der Begeisterung, und jeder Buerger von St. Dizier waere bereit gewesen, die Waffen zu ergreifen, um unter den Fahnen Frankreichs hinaus zu ziehen zum Kampf gegen die Nachkommen der Soldaten Karl V. Die vollste Uebereinstimmung zwischen ihren Anschauungen und Gefuehlen herrschte zwischen Herrn Challier und Herrn Vergier, und wenn die Abendzeitungen die neuesten Nachrichten ueber die Vorgaenge in Paris und in Ems brachten, so ergingen sich Beide in gleichen und einander ergaenzenden Ausdruecken der Entruestung gegen die deutsche Anmassung und der begeisterten Hoffnung auf einen siegreichen Krieg Frankreichs; und mit leuchtenden Blicken hoerte Luise diesem Gespraech zu,--jedes Wort fand einen Wiederhall in ihrem Herzen. Zum ersten Mal nach langer Zeit schlug dies Herz wieder in hoeherer Wallung auf, die Erinnerung an ihre verlorene Liebe verschwand fast vor dem Gefuehl des nationalen Stolzes, der sie erfuellte. Eines Abends trat Herr Vergier hastig und von heftiger Aufregung zitternd in das Wohnzimmer, in welchem der alte Challier mit seiner Tochter sass. "Die Entscheidung ist da," rief er, dem alten Herrn ein Zeitungsblatt hinreichend, "alle diplomatischen Kuenste koennen diesmal den Krieg, nach welchem Frankreich duerstet, nicht aufhalten. Unsere Ehre ist engagirt, und wenn die Regierung jetzt nicht unmittelbar handelt, so wird das Nationalgefuehl dies nicht laenger ertragen. Der Koenig von Preussen," sagte er, zu Luise gewendet, waehrend Herr Challier das Zeitungsblatt durchlas, "hat es verweigert, den Botschafter Frankreichs anzuhoeren, ja nur zu empfangen. Das ist eine Beleidigung, wie sie im Verkehr der Nationen noch nicht vorgekommen ist, und zum Ueberfluss hat die preussische Regierung diese unerhoerte Thatsache noch in der schroffsten und verletzendsten Form allen uebrigen Cabinetten Europa's mitgetheilt. Die unmittelbare Kriegserklaerung ist die einzige moegliche Antwort auf diese Provocation. Bereits sind Eisenbahnzuege angemeldet," fuhr er fort, "welche die Truppen nach den Grenzen fuehren, die Commando's sind vertheilt, und in vierzehn Tagen vielleicht schon koennen wir die Nachricht von den ersten Siegen unserer Armeen erhalten." Einen Augenblick zuckte es schmerzlich ueber das Gesicht Luisens, dann aber leuchteten ihre Augen in hoher Begeisterung auf, fragend richtete sie den Blick auf ihren Vater. Dieser hatte das Zeitungsblatt langsam durchgelesen. "Ja," sagte er ernst, "das ist der Krieg. Ein Krieg, der die Welt erschuettern wird, und der hoffentlich alles Unrecht wieder gut machen wird, welches das coalirte Europa uns einst gethan. Gott segne Frankreich!" fuegte er hinzu, die Haende gefaltet. "Ja, Gott segne Frankreich," fluesterte Luise leise, indem ihr Blick sich mit dem Ausdruck innigsten Gebets auswaerts richtete. Herr Vergier schlug einen Moment die Augen zu Boden, dann trat er zu Luise hin und sprach nach einem leichten Zoegern: "Fraeulein Luise, ich habe nie wieder dessen erwaehnt, was frueher zwischen uns vorgegangen, obgleich die schmerzliche Erinnerung daran mich keinen Augenblick verlassen hat. Verzeihen Sie, wenn ich Sie heute daran erinnere, aber in einem Augenblick wie dieser, in welchem alle Kinder Frankreichs in gemeinsamen Wuenschen und Hoffnungen sich begegnen, soll es auch zwischen uns klar werden. Sie haben mir einst schwer gezuernt, als ich dem bitteren Schmerz Worte verlieh, den mein Herz darueber empfand, dass Sie Ihre Liebe einem Fremden, einem Feinde Frankreichs, zugewendet. Fraeulein Luise, mein treues und tiefes Gefuehl fuer Sie hat in seinem Instinct das Richtige erkannt, jener Fremde hat Sie verlassen, Ihre Liebe verachtet,--ich habe das nie erwaehnt, aber ich habe es wohl gesehen, und ich habe auch gesehen, was Sie gelitten haben. Ich will heute nicht noch einmal den Verdacht aussprechen, den ich gegen jenen Fremden gehegt; die Ereignisse haben jenen Verdacht nicht entkraeftet, und vielleicht werden auch Sie heute meine damaligen Besorgnisse anders beurtheilen, als Sie es zu jener Zeit gethan. Ich kann mir," fuhr er fort, "nicht denken, dass heute noch in Ihrem Herzen ein Rest von Liebe gegen Denjenigen bestehen soll, der vielleicht in diesem Augenblick schon mit der Waffe in der Hand gegen die Grenzen unseres heiligen Vaterlandes heranzieht--" Mit stolz blitzenden Augen schuettelte Luise schweigend den Kopf. "Ich will mir auch nicht anmassen," fuhr Herr Vergier fort, indem bei der Bewegung des jungen Maedchens ein freudiger Strahl in seinen dunklen Augen aufleuchtete, "ich will mir auch nicht anmassen, dass es mir moeglich sei, so schnell in Ihrem Herzen die Gefuehle erwecken zu koennen, welche Sie mir frueher versagten, aber Freundschaft und Vertrauen werden Sie mir heute hoffentlich nicht mehr verweigern koennen, heute, wo alle Franzosen nur eine grosse Familie bilden." Luise reichte ihm mit einer Bewegung voll aufrichtiger Herzlichkeit die Hand. "In Zeiten wie die heutigen, in denen wir grossen und vielleicht langwierigen Entscheidungskaempfen entgegengehen, bedarf eine Frau mehr als je des Schutzes und der Gewissheit einer sichern und ruhigen Zukunft. Sie wissen, Fraeulein Luise, dass ich mein Glueck nur an Ihrer Seite finden kann, Sie wissen auch, dass Sie in mir eine treue und feste Stuetze fuer das ganze Leben finden werden, Sie wissen, dass Ihr Vater unsere Verbindung einst wuenschte, und dass er sie vielleicht jetzt wieder wuenscht. Erlauben Sie mir in diesem grossen Augenblick die Frage an Sie zu richten, ob Sie in Erwiderung meiner tiefen und gluehenden Liebe mir Vertrauen und Freundschaft schenken, mir Ihr Leben anvertrauen wollen." Luise sah ihn klar und frei an. "Ich danke Ihnen, Herr Vergier," sagte sie, "dafuer, dass Sie all des Schmerzlichen, das zwischen uns liegt, bisher niemals erwaehnt haben,--ob in meinem Herzen Dasjenige jemals wieder erwachen kann, was man die Liebe nennt," fuhr sie mit traurigem Ton, durch welchen eine gewisse Bitterkeit hindurchklang, fort, "weiss ich nicht. Freundschaft und Vertrauen glaube ich Ihnen geben zu koennen, und in dieser Freundschaft und in diesem Vertrauen antworte ich Ihnen frei und offen. Ja, ich will Ihren Antrag annehmen und ich will versuchen, Ihrem Leben soviel Freude und Glueck zu geben, als aus meinem Herzen noch erbluehen kann." Mit ruhigem, freundlichem Laecheln reichte sie ihm die Hand, welche er, seine leidenschaftliche Bewegung bemeisternd, ehrerbietig an die Lippen drueckte. "Aber," fuhr Luise fort, "Sie muessen mir versprechen, dass ueber diesen Gegenstand jetzt nicht weiter gesprochen wird. In diesem Augenblick, in welchem das Vaterland in Gefahr ist, in welchem Frankreich sich zu einem gewaltigen Kampf ruestet, schickt es sich nicht, an etwas Anderes zu denken, als an die Zukunft unseres Landes. An dem Tage, an welchem unsere Heere wieder siegreich in Paris einziehen, will ich Ihnen meine Hand reichen, an jenem Tage soll unsere Verbindung vor dem Altar den Segen des Himmels erhalten." "Das ist brav gesprochen," rief der alte Challier, "gesprochen wie eine Franzoesin, wie eine Tochter der alten Bragars." "Und damit bin ich von Herzen einverstanden," rief Herr Vergier, "und wenn es moeglich ist, werden nun meine Wuensche noch gluehender die Waffen Frankreichs begleiten, denn der stolze Tag des grossen Nationalsieges wird zugleich mit der erneuten herrlichen Groesse des Vaterlandes das Glueck meines Lebens begruenden." Luise stand langsam auf und trat an ein Pianino, welches zur Seite des Fensters stand, sie oeffnete dasselbe, setzte sich auf den davorstehenden Sessel und schlug in einfachen kraeftigen Accorden die ergreifende Melodie des Chant du depart an, welche so maechtig und gewaltig alle franzoesischen Herzen erfasst und die Erinnerung an jene von Begeisterung gluehenden Freiwilligen aufsteigen laesst, die voll Muth und Todesverachtung nach den Grenzen hinauszogen, um dort Zeugniss abzulegen fuer die edlen und grossen Gedanken, welche in der Revolution lebten und welche in dem blutigen Schlamme von Paris untergingen. Leise bewegte Herr Challier die Lippen, die Melodie begleitend,--Herr Vergier wandte sich ab und trat an das Fenster, nach dem dunkel gluehenden Abendhimmel hinausblickend. "Ich habe gesiegt," fluesterte er vor sich hin,--"moechte nun," fuhr er fort, indem ein duesterer Grimm in seinen Augen brannte, "die erste franzoesische Kugel jenen verhassten Feind meines Landes treffen, der fast das Glueck meines Lebens zerstoert haette." Zehntes Capitel. Eine unruhige, lebhaft bewegte Menge wogte in den Strassen von Paris auf und nieder. Die Boulevards, die Champs Elysees, der Tuileriengarten, Alles war mit Menschen gefuellt und ueberall sah man laut sprechende und lebhaft gesticulirende Gruppen. Die Zeitungen vom Abend vorher hatten die Nachricht verkuendet, dass der Koenig von Preussen es verweigert habe, den Botschafter Frankreichs zu empfangen und dass dieses die Wuerde Frankreichs beleidigende Factum durch eine Depesche von Berlin den europaeischen Hoefen mitgetheilt sei. Ungeheuer war die Aufregung, welche diese Mittheilung in ganz Paris hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde fortwaehrend gesteigert durch alle die Mittel, ueber welche die Polizei des Kaiserreichs in so reichem Masse verfuegen konnte. Man sprach nicht mehr von der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron, eine Sache, die man niemals so recht eigentlich begriffen und verstanden hatte. Man sprach nicht mehr von dieser oder jener politischen Frage, man sprach nur noch von der Beleidigung Frankreichs. Die ganze Entruestung der Bevoelkerung richtete sich gegen diesen preussischen Minister, den die Erfolge von Sadowa so weit verblendet hatten, dass er es wagen koenne, Frankreich, das unbesiegliche Frankreich, die erste Macht Europa's zu beleidigen. Im Corps legislatif hatten zwar die Tage vorher die Mitglieder der Linken die Vorlegung der Depesche verlangt, durch welche jene Thatsache von Preussen den uebrigen Maechten mitgetheilt worden waere und sie hatten den ausweichenden Antworten der Minister gegenueber die schaerfsten Reden gegen dieselben gefuehrt. Alle diese Reden hatten die Pariser nicht gehoert und gelesen, denn man las zu jener Zeit keine Journale, sie hatten sie auch nicht lesen wollen, denn wenn die Pariser einmal bis zu einem gewissen Grade der Erregung gelangt sind, so weisen sie jede Beruhigung zurueck und steigern in immer wachsendem Masse ihre Gefuehle bis zur hoechsten Siedehitze. Die Nachricht hatte sich verbreitet, dass der Kaiser von St. Cloud kommen werde, um in den Tuilerien einen Ministerrath abzuhalten. Die gluehende Mittagssonne, welche schon so oft die Pariser bis zum politischen Wahnsinn exaltirt hatte, hielt sie auch diesmal nicht ab, in dicht gedraengten Massen auf den Champs Elysees, der Place la Concorde und auf dem Carousselplatz die Ankunft des Kaisers zu erwarten. Endlich hoerte man vom Arc de Triomphe her laute Hochrufe erschallen und bald sah man die beiden Piqueurs in den gruen goldenen Livreen, welche der vierspaennigen Kalesche des Kaisers voranritten an dem Eingang der Champs Elysees nach dem Place la Concorde zu. Der Kaiser hatte keine militairische Escorte, er sass in Civil gekleidet, mit dem General Fave allein im Wagen, der langsam ueber den Eintrachtsplatz fuhr, der so von Menschen angefuellt war, dass nur mit Muehe ein Weg fuer die kaiserliche Equipage frei gemacht werden konnte. Der Kaiser sah wohler und heiterer aus, als man ihn in den letzten Tagen zu sehen gewohnt gewesen war. Er sass gerade aufgerichtet da, ein heiteres stolzes Laecheln lag auf seinem Gesicht und mit offenen klaren Blicken sah er ueber diese Menschenmassen hin, welche ihn mit einem Enthusiasmus, den er in solchem Masse lange nicht mehr gewohnt war, mit unausgesetzten Hurrahrufen begruessten. Napoleon dankte wiederholt mit der Hand winkend und wendete sich zuweilen mit heiterer Miene zu dem General, um demselben einige Worte zu sagen. Als der Wagen dem alten Hotel Talleyrands gegenueber in die Rue Rivoli bog, stimmte eine dort stehende Gruppe junger Leute, die Huete dem Kaiser entgegen schwenkend mit lauter Stimme die Marseillaise an. Napoleon wandte schnell den Kopf nach der Seite hin, woher diese so lange in Frankreich verpoenten Toene erklangen,--er haette auf alle Gruesse bisher nur mit freundlichen Handbewegungen gedankt. Jetzt nahm er den Hut ab und hielt denselben, den Kopf nach jener Gruppe hinneigend, so lange in der Hand, bis der Wagen sich der Eingangsthuer des innern Hofes der Tuilerien naeherte. Ein betaeubender Jubelruf, welcher sich bis auf den Carousselplatz fortsetzte, dankte dem Kaiser fuer diese dem wieder erwachten Nationalhymnus dargebrachte Huldigung, und immer heiterer und stolzer wurde das Gesicht des Kaisers, der nun im schnellen Trabe durch den innern Hof am grossen Portal des Pavillon de l'Horloge vorfuhr; indem er sich nur ganz leicht auf den Arm des General Fave stuetzte, stieg er mit elastischen Schritten die Treppe hinauf und trat in sein Cabinet. "Sind die Minister hier," fragte er den Huissier, der ihm die Thuer oeffnete. "Zu Befehl, Sire." "Ich lasse Sie bitten sogleich einzutreten." Wenige Augenblicke darauf traten der Herzog von Gramont, Herr Emil Ollivier und der Marschall Le Boeuf in das Cabinet des Kaisers. Trotz seiner vornehmen, ruhigen Sicherheit zeigte der Herzog von Gramont eine gewisse Praeoccupation, ein wenig unruhig und leicht befangen blickte er auf den Kaiser, der stolz aufgerichtet, die Hand auf die Lehne seines Sessels gestuetzt, neben dem runden Tisch in der Mitte des Cabinets stand und mit freundlichem Kopfneigen die drei Minister begruesste. Herr Ollivier befand sich in zitternder, nervoeser Erregung. Sein Gesicht war bleicher als sonst, seine Lippen zuckten und sein unsicheres Auge blickte fast fieberhaft brennend unter der schmalen Brille hervor. Die schwere markige Gestalt des Marschall Le Boeuf stand fest und ruhig da wie immer, sein martialisches Gesicht mit den etwas starr blickenden Augen und dem maechtigen Schnurrbart zeigte keinen anderen Ausdruck als den einer ruhigen, sorglosen Sicherheit. Auf einen Wink des Kaisers nahmen die drei Herren um den Tisch Platz, an dessen Mitte Napoleon sich niederliess. "Die Lage ist ernst, meine Herren," sagte der Kaiser mit fester voll klingender Stimme und ohne jenen Ausdruck unschluessigen Zoegerns, der sonst auf seinem Gesicht zu liegen pflegte. "Preussen hat die Verhandlungen, welche ich in dem versoehnlichsten Sinne begonnen, abgebrochen, und wir werden demgemaess unsere Entschluesse zu fassen haben. Sie haben mir mitgetheilt, Herr Herzog, dass der Koenig von Preussen in beleidigender Weise Benedetti zu empfangen, verweigert habe." Der Herzog hustete leicht. "Die Beleidigung, welche Preussen gegen uns begangen, Sire," sagte er, "liegt nicht so sehr in der Weigerung des Koenigs mit Benedetti ueber diesen Gegenstand nicht mehr sprechen zu wollen, da er ihm bereits seine Meinung bestimmt und endgueltig mitgetheilt hatte, als in der Thatsache, dass die Weigerung von Berlin aus den uebrigen europaeischen Maechten mitgetheilt wurde." Ein spruehendes Feuer blitzte in den gross geoeffneten Augen des Kaisers auf. "Das hat man gethan?" rief er. "Ich habe heute morgen von allen Seiten," erwiderte der Herzog von Gramont, "die Mittheilung darueber durch unsere Vertreter erhalten, ueberall ist das Factum durch die preussischen Diplomaten mitgetheilt worden, und hierin, Sire, erblicke ich das letzte Glied in jener Kette von Nichtachtung, Provokationen und Beleidigungen gegen uns, welche Preussen seit langer Zeit an einander gefuegt hat. Mein franzoesisches Gefuehl, Sire, empoert sich, das Mass der Geduld und Langmuth ist voll. War es schon sachlich, nachdem der Koenig von Preussen die verlangte Genugthuung und Garantie fuer die Zukunft verweigert, sehr schwer, eine friedliche Loesung fuer die vorliegende Differenz zu finden, so ist dies nach meiner Ueberzeugung, welche von meinen Collegen getheilt wird, nunmehr ganz unmoeglich. Die oeffentliche Meinung ist in einer Weise aufgeregt, dass wenn nicht die energischste und festeste Antwort auf diese preussische Beleidigung erfolgt, der ganze Zorn des empoerten Nationalgefuehls sich gegen die Regierung wenden wird. Nach meiner Ueberzeugung kann diese Antwort nur eine einzige sein. Der Wuerfel ist gefallen, Sire! Wir muessen den Krieg erklaeren!" Der Kaiser blickte auf Ollivier und den Marschall Leboeuf. Auf ihren Zuegen lag deutlich die Zustimmung zu den Worten des Collegen. Napoleon erhob das Haupt und sagte ruhig und fest: "Ihre Ansicht, Herzog, ist die meinige. Ich habe soeben selbst die maechtige Erregung der Bevoelkerung wahrgenommen, und eine Regierung, die wie die meinige auf dem Willen des Volkes beruht, muss einer so gewaltigen und einmuethigen Stroemung des Nationalgefuehls folgen. Ich konnte in den diplomatischen Fragen der Erhaltung des Friedens Zugestaendnisse machen, und ich habe dies gethan seit einer Reihe von Jahren, ich habe die Ansprueche, welche Frankreich machen konnte und vielleicht noch entschiedener haette machen sollen, um das gestoerte Gleichgewicht in Europa wieder herzustellen, vertagt, bis dieselben vielleicht durch guenstige diplomatische Constellationen ohne kriegerische Conflicte haetten durchgefuehrt werden koennen. Ich habe Vorschlaege auf Vorschlaege nach Berlin gehen lassen, um durch Erlangung von Compensationen die Freundschaft mit Preussen zu erhalten und vielleicht auch zu einer Allianz mit demselben zu kommen. Man hat das Alles zurueckgewiesen und ich habe geschwiegen,--immer wartend, immer noch hoffend, endlich doch ein Arrangement zu erreichen. Jetzt aber handelt es sich nicht mehr um das europaeische Gleichgewicht, es handelt sich nicht mehr um diese oder jene politischen Arrangements,--Frankreich ist beleidigt! Die Ehre Frankreichs ist engagirt!--Es giebt fuer mich nur einen Weg, und diesen Weg bin ich um so fester und um so ruhiger zu gehen entschlossen, als die hohe nationale Begeisterung mir die Buergschaft giebt, dass selbst im Falle ungluecklicher Zwischenfaelle das ganze Volk um so einmuethiger und fester hinter mir stehen wird." Der Herzog von Gramont athmete auf, seine anfaengliche Befangenheit schwand bei den Worten des Kaisers, stolze Freude lag auf seinem Gesicht. "Ich glaube an den Sieg, Sire," rief Ollivier mit einer gewissen, ungeduldigen Hast das Wort ergreifend, als der Kaiser schwieg. "Denn wir sind stark und geruestet nach allen Seiten. Aber sollte auch ein augenblicklicher Misserfolg uns treffen, so wird dies die nationale Begeisterung noch mehr und mehr entflammen, und das Kaiserreich wird sich in diesem heiligen Feuer immer fester und unaufloeslicher mit dem Blut und Leben der Nation verbinden. Eure Majestaet wissen, wie ich den Frieden gewuenscht habe, wie die Erhaltung des Friedens meine Bedingung bei Uebernahme des Portefeuilles war, wenn ich jetzt sage: Der Krieg ist nothwendig, sofortige Kriegserklaerung ist eine nationale Pflicht fuer Eure Majestaet, dann werden Sie ueberzeugt sein, dass kaum Jemand in Frankreich in diesem Augenblick den Frieden wuenschen kann, wenn er nicht zu gleicher Zeit der Feind Eurer Majestaet und des Kaiserreichs ist, wenn er nicht wuenscht, dass das Kaiserreich sich von dem nationalen Aufschwung trennen und damit den ersten Schritt zu seinem Untergang thun soll." "Herr Thiers wuenscht den Frieden," sagte der Kaiser leicht laechelnd, "er hat sich im Corps legislatif und auch sonst so oeffentlich als moeglich dafuer ausgesprochen." "Die oeffentliche Meinung, Sire," erwiderte Herr Ollivier, "hat ihm sogleich darauf die Antwort gegeben, man hat vor seinem Hotel sehr lebhafte Demonstrationen gemacht und ihm zugerufen. "Nieder mit dem kleinen Preussen!" "Herr Thiers sollte nicht vergessen," sagte der Kaiser, "dass sein Koenig Louis Philippe gefallen ist, weil er einen Krieg nicht fuehren wollte, den das Nationalgefuehl verlangte, und weil er die Demuethigung Frankreichs weiter trieb, als der franzoesische Stolz es ertragen kann. Vielleicht moechte Herr Thiers wuenschen dass ich denselben Fehler begehe, um demselben Schicksal zu verfallen,--sein Wunsch soll nicht erfuellt werden. Wollen Sie, mein lieber Herzog, mit Herrn Ollivier die Kriegserklaerung entwerfen? Ich werde morgen wieder hereinkommen, da ich Sie in dieser viel bewegten Zeit, nicht durch eine Fahrt nach St. Cloud ihren Geschaeften entziehen darf, um dann im gesammten Ministerrath die Erklaerung fest zu stellen. Bereiten Sie die Paesse fuer den Baron Werther vor." "Der Baron, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "ist heute bereits bei mir gewesen, um mir anzuzeigen, dass er sich auf Urlaub begebe. Es sind," fuhr er fort, "vor seinem Hotel einige unangenehme Demonstrationen vorgekommen." "Man soll dort sogleich starke Polizeimacht,--wenn es noethig ist, Truppen aufstellen," rief der Kaiser, "und den Botschafter gegen jede feindliche Kundgebung auf das Entschiedenste schuetzen. Die nationale Entruestung darf die Grenzen der voelkerrechtlichen Pflichten und des Anstandes, den die civilisirten Nationen unter allen Umstaenden einander schuldig sind, nicht ueberschreiten. Nun aber, meine Herren," sagte er dann, "nachdem der entscheidende Entschluss gefasst ist, haben wir nicht mehr rueckwaerts, sondern vorwaerts zu blicken. Wir muessen uns klar machen, auf welche Weise wir alle Chancen des Erfolges auf unserer Seite vereinigen. Wie stehen unsere Beziehungen zu den Maechten? Haben wir Aussichten auf Allianzen und directe Unterstuetzungen?" fragte er, zum Herzog von Gramont gewendet,--"unsere ganze Diplomatie muss die hoechste Anstrengung entwickeln, um der militairischen Action zur Seite zu stehen." "Alle Maechte, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "haben die Gerechtigkeit unserer Forderung auf Beseitigung der Hohenzollernschen Candidatur anerkannt, und es liegt in der Natur der Sache, dass Oesterreich, Schweden und Daenemark schon zu Anfang eine uns freundliche Neutralitaet beobachten werden. Auch rechne ich auf die Preussen so aeusserst feindliche Stimmung in Sueddeutschland, so wie auf die unterwuehlten Zustaende in den annectirten Provinzen." "Alles das ist gut," sagte der Kaiser mit einer leichten Nueance von Ungeduld im Ton, "aber wir haben keine bestimmten Thatsachen, keine bestimmten Erklaerungen." "Ich kann die vielfachen Versicherungen des Herrn von Beust ueber die Identitaet der Interessen Frankreichs und Oesterreichs," erwiderte der Herzog, "nur als die Grundlage der bestimmten Erwartung ansehen, dass Oesterreich mindestens bei den ersten guenstigen Erfolgen unserer Waffen activ auf unsere Seite treten werde. Noch gestern habe ich eine Depesche des Herrn von Beust erhalten, in welcher jene Versicherungen wiederholt werden und zugleich ausgesprochen ist, dass Oesterreich fuer den Erfolg unserer Waffen Alles in den Grenzen der Moeglichkeit Liegende thun werde,--ich habe Eurer Majestaet diese Depeschen sofort zugehen lassen--" "Ich habe sie gelesen," sagte Napoleon die Achseln zuckend, "die Grenzen der oesterreichischen Moeglichkeiten sind sehr weit gezogen,--Fuerst Metternich hat mich beschworen, den Conflict zu vermeiden." "Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "ich gebe auf die officiellen Schritte Oesterreichs wenig, sie werden gethan, um nach allen Seiten hin sich zu decken und die neutrale Haltung constatiren zu koennen. Ich lege das Hauptgewicht auf meine Kenntnisse der dortigen Verhaeltnisse und auf den natuerlichen und nothwendigen Wunsch, von dem sowohl der Kaiser als Herr von Beust beseelt sein muessen, jede Gelegenheit zu benutzen, um die Niederlage von 1866 wieder gut zu machen." "Ich rechne nicht auf Oesterreich," sagte der Kaiser, "seit Jahren habe ich dort nichts gefunden, als ohnmaechtige Wuensche und schwankendes Zoegern, das sich nach keiner Seite compromittiren moechte. Etwas Anderes ist es mit den Sympathien, die wir in Deutschland selbst finden koennten. Baiern und Wuertemberg sind durch Frankreich auf ihre heutige Stellung erhoben, sie werden sich hoffentlich daran erinnern, und in Baiern hat ja die ultramontane Partei eifrig in diesem Sinne gearbeitet. Auf die annectirten Provinzen rechne ich weniger,--hoechstens bei einem Rueckzug der preussischen Armee koennte uns dort ein Aufstand unterstuetzen." "Ich muss Eurer Majestaet mittheilen," sagte der Herzog von Gramont, "dass sich ein Graf Breda auf dem auswaertigen Ministerium gemeldet hat, welcher Propositionen zu einem Buendniss mit dem Koenig von Hannover zu machen beauftragt sein will." "Graf Breda?" fragte der Kaiser, "derselbe, der frueher bei unserer Gesandtschaft in Stockholm war und dort--" "Derselbe, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "er scheint jetzt im Dienste der Depossedirten seine unterbrochene diplomatische Carriere fortsetzen zu wollen." Der Kaiser zuckte die Achseln. "Was proponirt er," fragte er. "Ein hannoeversches Corps von zwanzigtausend Mann, wogegen im Fall des Sieges die frueheren Besitzungen des Welfenhauses zu einem Niedersaechsischen Koenigreich wieder vereinigt werden sollen." Napoleon laechelte mitleidig. "Ein Corps von zwanzigtausend Mann," sagte er,--"nachdem der Koenig seine Legion, die ihm vielleicht die Moeglichkeit haette geben koennen, in die Entwickelung der Action einzugreifen, nach allen vier Winden zerstreut hat. Der arme Koenig," fuhr er fort, "welch ein trauriges Schicksal,--in welche Haende ist dieser arme Fuerst gefallen,--ich bitte Sie, mein lieber Herzog, diesen Grafen Breda nicht zu empfangen. Der beste Dienst, den ich dem ungluecklichen Koenig von Hannover leisten kann, ist der, dass ich solche Propositionen von Personen, die sich fuer seine Agenten ausgeben, vollstaendig ignorire. Wollen die Hannoveraner sich zu seinen Gunsten erheben, so moegen sie es thun, ich kann mich mit dieser Sache nicht weiter befassen und ohne jeden Nutzen und Beistand den Kampf mit Preussen nicht auf das Aeusserste verbittern,--uebrigens bin ich ueberzeugt, dass der arme Koenig von solchen abenteuerlichen Propositionen selbst garnichts weiss und dass er mir dankbar sein wird, wenn ich dieselben der Vergessenheit uebergebe. "Ich habe ein Programm an die deutschen Voelker entworfen," sagte er nach einer kurzen Pause, "in welchem ich ihnen sage, dass ich nicht die Grenzen ueberschreite, um Deutschland den Krieg zu erklaeren, dass ich im Gegentheil Deutschland befreien will von einer uebermaechtigen und uebermuethigen Gewalt, welche die freie Autonomie und Selbstbestimmung der deutschen Staemme vernichtet, und dass ich vor allen Dingen keine Eroberung auf deutschem Boden machen will--" "Eine solche Proclamation, Sire," fiel Herr Ollivier lebhaft ein, "ist vortrefflich und wird unendlich dazu beitragen, dass Preussen in Deutschland selbst jede moralische Unterstuetzung verliert. Wenn ich in demselben Sinne eine Rede im Corps legislatif hielte--" "Das franzoesische Nationalgefuehl, Sire," sagte der Marschall Leboeuf, indem er seinen grossen starken Schnurrbart an beiden Enden heraufdrehte, "wird einen solchen platonischen Krieg nicht verstehen. Der oeffentlichen Meinung in Frankreich im Allgemeinen," fuhr er fort, "ist es sehr gleichgueltig, wie Deutschland sich constituirt, ob es unter preussischer Suprematie steht oder nicht, wenn nur Frankreich den Rhein besitzt, so mag dann auf der andern Seite desselben geschehen, was da will." Der Kaiser blickte fragend auf den Herzog von Gramont. "Was der Herr Marschall so eben bemerkt, Sire," sagte dieser, "scheint mir nicht unbegruendet, auf der andern Seite aber erkenne ich die Wirkung einer Proclamation, wie Eure Majestaet die Gnade hatten, sie anzudeuten im hohen Grade an, sowohl in Betreff ihrer Wirkung auf die sueddeutsche Bevoelkerung, als auch auf die uebrigen europaeischen Cabinette. Denn durch eine solche Proclamation wuerde der Vorwurf eines Eroberungskrieges von Frankreich zurueckgewiesen werden. Es kaeme nur darauf an, durch eine geschickte Fassung der Worte beiden Gesichtspunkten gerecht zu werden, und die Proclamation so zu redigiren, dass sie sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland eine guenstige Wirkung erzielt." "Eine solche Redaction wird sich finden lassen," rief Herr Ollivier, "wenn Eure Majestaet--" "So ganz platonisch," sagte der Kaiser laechelnd, "wuerde uebrigens der Krieg nicht sein. Zunaechst wird Jedermann erkennen, dass wenn wir siegen und wenn dadurch die Constituirung eines politisch und militairisch geeinigten Deutschlands unter preussischer Fuehrung definitiv verhindert wird, die Erwerbung von Compensationen auf deutschem oder anderem Gebiet weit weniger nothwendig wird, als sie es waere, wenn wir uns mit dem preussischen Deutschland in Guete verstaendigen wollten,--sodann aber wird wohl Niemand in ganz Europa dem siegreichen Frankreich das Recht streitig machen wollen, diejenigen Grenzen zurueckzufordern, welche man ihm im Jahre 1814 zugestand, als es von der europaeischen Coalition besiegt darniederlag, und Niemand wird in der Wiederherstellung dieser damals von ganz Europa sanctionirten Grenzen eine Eroberung erblicken koennen." Der Geheimsecretair Pietri trat durch den besondern, fuer ihn bestimmten Eingang in das Cabinet. "Sire," sagte er, "es sind zwei Depeschen vom auswaertigen Amt so eben gebracht worden, um dieselben dem Herrn Herzog von Gramont zu uebergeben--" "Ich habe die Anweisung hinterlassen, Sire," fiel der Herzog ein, "alle ankommenden Depeschen sofort hierherzubringen, da sie fuer die von Eurer Majestaet zu fassenden Entschluesse von Einfluss sein koennten." Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf und auf seinen Wink reichte Pietri die beiden Depeschen, welche er in der Hand hielt, dem Herzog von Gramont, der sie schnell eroeffnete und ihren Inhalt ueberflog. Er erbleichte und eine unruhige, zornige Erregung trat an die Stelle der heitern, sorglosen Zuversicht, welche bisher auf seinen Zuegen gelegen hatte. "Nun," fragte der Kaiser, forschend in das so schnell veraenderte Gesicht des Herzogs blickend. "Sire," sagte der Herzog von Gramont, indem die Depeschen in seinen Haenden leise zitterten, "eine ebenso unerwartete als unangenehme Nachricht! Aus Muenchen und Stuttgart wird gemeldet, dass man dort an dem Buendniss mit Preussen festhaelt, die Armee mobil gemacht und unter den Befehl des Koenigs von Preussen gestellt hat,--unsere Gesandten sehen jeden Augenblick der Zustellung ihrer Paesse entgegen." Ollivier blickte ganz erstaunt und unruhig umher. Der Marschall Leboeuf strich laechelnd ueber seinen dichten, maechtig hervorspringenden Kinnbart,--der Kaiser blickte einen Augenblick in duesterm Schweigen vor sich nieder, dann hob er mit klarem, stolzem Blick das Haupt wieder empor und sagte. "So weit wie die Dinge jetzt gekommen sind, darf uns keine fehlgeschlagene Erwartung erschuettern. Das Schicksal will den Entscheidungskampf, und wir muessen mit festem und ungebeugtem Muth in denselben eintreten. Die Geschichte unseres Landes lehrt uns, dass die eigene Kraft Frankreichs die beste und kraeftigste Buergschaft fuer unseren Erfolg ist. Wir haben," fuegte er mit erhobener Stimme hinzu, "oefter durch unsere Siege Bundesgenossen gefunden, als durch unsere Bundesgenossen Siege erfochten. Der Gegenstand, ueber den wir soeben sprachen, ist durch diese Mittheilung erledigt," fuhr er fort, indem er einen vor ihm liegenden, ganz mit seiner kleinen zierlichen Handschrift beschriebenen Bogen zusammenfaltete. "Da ganz Deutschland es fuer gut findet, sich unter die Fuehrung und Botmaessigkeit Preussens zu stellen, so haben wir nicht noethig, uns fuer die Ausnutzung unseres Sieges Schranken aufzulegen. Die Proclamation, von der wir sprachen, ist ueberfluessig geworden. Frankreich wird sich die volle Freiheit erhalten, Alles das zu nehmen und zu behalten, was seine Interessen ihm nothwendig und wuenschenswerth machen. Finden wir aber keine Alliirte in Deutschland selbst," sagte er dann, "so muessen wir uns um so mehr Diejenigen zu sichern suchen, welche ausserhalb Deutschlands durch ihre eigenen Interessen auf uns angewiesen sind. Daenemark hat seine Neutralitaet erklaert,--das mag gut sein fuer den Beginn des Krieges; aber ich lege einen grossen Werth darauf, dass nach den ersten Erfolgen dort eine fuer uns freundschaftliche Action eintrete, welche preussische Kraefte absorbirt und uns die Moeglichkeit einer Landung erleichtert. Ich will den Herzog von Cadorn in ausserordentlicher Mission nach Kopenhagen schicken, damit er den dortigen Hof veranlasse, bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit, aus seiner Neutralitaet herauszutreten,--ich hoffe, das wird nicht schwer sein, und das Vorgehen Daenemarks wird dasjenige Schwedens auf der Stelle nach sich ziehen,--wuerde damit auch nichts weiter erreicht, als dass Russlands Kraefte nach dem Norden gezogen und von einer Pression auf Oesterreich abgezogen werden, so wird das schon von grosser Bedeutung sein. Wollen Sie, mein lieber Herzog die Instructionen und Creditive fuer Cadorn so schnell als moeglich bereit stellen lassen." "Zu Befehl, Sire," sagte der Herzog sich verneigend, "ich bewundre den Gedanken Eurer Majestaet und die vortreffliche Wahl der Person--" "Zugleich aber," fuhr der Kaiser fort, "ist es nothwendig, eine energische, diplomatische Action in Wien eintreten zu lassen, um auch dort den ersten guenstigen Augenblick zu benutzen und Alles aufzubieten, einen schnellen Entschluss hervorzurufen. Der Fuerst Latour d'Auvergne muss sogleich seine Thaetigkeit beginnen, und ich bitte Sie, auch in dieser Beziehung das Noethige zu veranlassen, mein lieber Herzog. Man muss auf der Basis derjenigen Unterhandlungen wieder beginnen, welche der General Tuerr eingeleitet hatte und deren Ziel die im Princip bereits approbirte Vertragsskizze sein wird, nach welcher gegen Abtretung von Welsch-Tyrol Italien im Fall einer russischen Intercession sich zur activen Unterstuetzung Oesterreichs und zum Anmarsch gegen die Sueddeutschen Grenzen verpflichtet. Herr von Beust hat dem Abschluss dieses Vertrages einst Schwierigkeiten entgegen gestellt, der erste Erfolg unserer Waffen muss benutzt werden, um unter dem dadurch hervorgebrachten Eindruck den unmittelbaren Abschluss jenes Vertrages kategorisch zu fordern." Der Herzog von Gramont hatte sich mit einem Crayon einige Notizen auf einem vor ihm liegenden Blatt Papier gemacht und verneigte sich zum Zeichen seines Einverstaendnisses mit den Anordnungen des Kaisers. "Nun, mein Herr Marschall," sagte Napoleon, sich zum Kriegsminister wendend,--"Sie sehen, dass die Vorbereitungen der Diplomatie getroffen sind, wie steht es mit den Ihrigen?" "Alles ist bereit, Sire," erwiderte der Marschall Leboeuf mit seiner starken rauhen Stimme, "es fehlt nicht ein Knopf an der Ausruestung der Armee, nicht eine Bajonettspitze an ihrer Bewaffnung. Unsere Magazine sind gefuellt, in Toulon liegen sieben Transportschiffe bereit, um die Armee von Algier herueberzuschaffen. Alle Vorbereitungen sind getroffen, um die Truppen von Chalons in sechszehn Stunden an die Grenze zu bringen. Heute sind zwoelftausend Eisenbahnwagen mit Mehl und Zwieback nach den Ostgrenzen abgegangen, und in wenigen Tagen wird Eurer Majestaet Armee bereit sein, in Deutschland einzuruecken." Der Kaiser nickte bei den Mittheilungen des Marschalls mit dem Kopfe. "Und der Generalstab," fragte er dann. "Der Generalstab, Sire, wie Eurer Majestaet Hauptquartier," erwiderte der Marschall, "fuer welches Sie mich zu Ihrem Major-General zu bestimmen die Gnade gehabt haben, ist formirt aus den besten Officieren, die ich habe finden koennen, und in kuerzester Frist werden auch die Generalstaebe der einzelnen Corps mit tuechtigen Kraeften besetzt sein." "Und hat man genuegend Karten von Deutschland," fragte der Kaiser, "nicht nur fuer den Generalstab, sondern auch fuer die uebrigen Officiere?" "Sire," erwiderte der Marschall, sich martialisch aufrichtend, "jeder Officier Ihrer Armee hat eine Karte, welche ihm den sichersten und geradesten Weg nach Berlin zeigen wird, und ich habe die Meinige bei mir." Er schlug schallend an seinen Degen, indem er zugleich mit der andern Hand die Spitzen seines Schnurrbarts emporkraeuselte. Der Kaiser sah ihn einen Augenblick ganz betroffen an, waehrend Herr Ollivier sich ebenfalls mit kriegerisch stolzer Miene aufrichtete, und der Herzog von Gramont noch einige Notizen niederschrieb. "Die Vortrefflichkeit Ihrer Karten," sagte Napoleon laechelnd, "hat sich in den verschiedenen Feldzuegen Frankreichs mehrfach bewaehrt, indessen waere es doch gut, wenn die Officiere daneben auch noch andere Karten zur Verfuegung haetten und nicht bloss auf die magnetische Anziehungskraft angewiesen blieben, welche die feindliche Hauptstadt auf die Spitze ihres Degens ausuebt, ich hoffe dass Sie dafuer Sorge tragen werden," fuegte er mit festem und bestimmtem Ton hinzu. Der Marschall verneigte sich, jedoch zeigte seine Miene dabei deutlich, dass er auf die Huelfsmittel der geographischen Wissenschaft von seinem soldatischen Gesichtspunkt aus einen nicht eben allzugrossen Werth zu legen geneigt sei. "Ich erwarte Sie morgen in St. Cloud, Herr Marschall," fuhr Napoleon fort, "um mir die Bestimmungen ueber die einzelnen Corps der Armee zur definitiven Entscheidung vorzulegen,--eine Anweisung darueber habe ich Ihnen schon zugehen lassen. Und nun bleibt Ihnen noch ueberlassen, mein lieber Herr Ollivier," fuhr er dann fort, "das grosse Agens aller Kriege herbeizuschaffen, naemlich das Geld. Wir beduerfen nach den angestellten Berechnungen einen Credit von dreissig Millionen fuer die Armee und einen weitern Credit von sechzig Millionen fuer die Marine. Die Vorlage muss so schnell als moeglich im Corps legislatif gemacht werden." "Und sie wird mit jubelnder Acclamation aufgenommen werden, Sire," rief Herr Ollivier, "und wenn Eure Majestaet das Doppelte und Dreifache fordern wuerden,--in diesem Augenblick wuerde Frankreich Ihnen nichts verweigern." "Also, meine Herren," sagte Napoleon aufstehend, "ich erwarte die Vorlage der Kriegserklaerung, sowie die schnelle und puenktliche Ausfuehrung aller eben besprochenen Massregeln. "So treten wir denn nun," fuegte er ernst hinzu, "der grossen Entscheidung entgegen, welche so lange wie ein schwueles Wetter ueber unsern Haeuptern geschwebt hat, und es bleibt uns nur noch die Bitte uebrig: Gott schuetze Frankreich!" Er sprach diese Worte tief aus der Brust heraus, waehrend er die Augen wie fragend emporschlug. "Gott schuetze Frankreich!" wiederholten die drei Minister-- Vom Carousselplatz herauf ertoente in diesem Augenblick die Melodie der Marseillaise, welche ein vorueberziehendes Musikkorps intonirte, und in welche die versammelte Menge sogleich laut und kraeftig einfiel. Der Marschall Leboeuf blickte ganz erstaunt auf, Herr Ollivier hob die Hand empor und rief mit pathetischem Ton: "Der Geist Frankreichs, Sire, spricht aus diesen Toenen zu Euer Majestaet, der Geist der Freiheit und der Civilisation, vor welchem diese preussischen Armeen schnell werden zersprengt werden." Der Kaiser lauschte einen Augenblick schweigend den immer maechtiger anschwellenden Klaengen. "Moechten sie," sprach er leise, "die Daemonen der Revolution hinausfuehren auf die Schlachtfelder des nationalen Ruhms, damit ihre gewaltige Kraft sich zu immer festerer Erstarkung des Kaiserthums entwickele." Er schwieg noch einige Augenblicke--sein brennender Blick schien den Schleier der Zukunft durchdringen zu wollen. Dann sprach er mit liebenswuerdiger Artigkeit. "Nun, meine Herren Minister, schicke ich Sie fort--Jeder von uns muss an seine Arbeit, und die naechste Zeit wird uns deren viele bringen." Er reichte den Herren die Hand. Dieselben verliessen ernst und schweigend das Cabinet. Unmittelbar darauf meldete der Kammerdiener Herrn Rouher, den frueheren Staatsminister und gegenwaertigen Senatspraesidenten. Auf den zustimmenden Wink Napoleons trat dieser langjaehrige Leiter der kaiserlichen Regierung langsam und in fast feierlicher Haltung ein. Der Kaiser ging ihm heiter laechelnd entgegen und reichte ihm die Hand, welche Herr Rouher ehrerbietig ergriff und einen Augenblick in der Seinen hielt, waehrend er mit einem traurigen Ausdruck den Kaiser ansah. "Nun, mein lieber Rouher," sagte Napoleon, "wir stehen an der grossen Entscheidung, und ich hoffe, dass es nunmehr gelingen wird, die Kroenung des Gebaeudes zu vollenden, dessen Grundmauern Sie mit so viel Eifer und Beharrlichkeit aufgefuehrt haben." Das volle Gesicht des Herrn Rouher mit dem feinen beredten Munde und den klaren, scharf blickenden Augen zeigte eine Bewegung, welche diesem scharf berechnenden Meister der Dialektik und der parlamentarischen Debatte sonst nicht eigentuemlich war. "Sire," sagte er, "Eure Majestaet wissen, mit welcher Muehe ich Jahre lang daran gearbeitet habe, die Kroenung des kaiserlichen Gebaeudes auf andere Weise und ohne eine kriegerische Catastrophe abzuschliessen. Eure Majestaet haben die Fuehrung Ihrer Regierung andern Haenden anzuvertrauen fuer gut befunden, und mir bleibt nur zu hoffen uebrig, dass der Erfolg den Erwartungen Eurer Majestaet und den heissen Wuenschen entsprechen moege, welche ich fuer denselben im Herzen trage." Der Kaiser blickte seinen langjaehrigen Rathgeber einen Augenblick nachdenklich an. "Sie sind nicht einverstanden, mein lieber Rouher," sagte er dann mit einer gewissen unsichern Befangenheit in der Stimme, "mit dem Gange der Ereignisse und doch muessen Sie zugeben, dass es jetzt unmoeglich ist, die Dinge auf einen andern Weg zu lenken." "Majestaet," erwiderte Herr Rouher, "ich wuerde niemals das Verfahren desjenigen billigen koennen, der durch sichere und ruhige Unternehmungen ein grosses Vermoegen zu gruenden und zu erhalten im Stande ist und der, statt diese Unternehmungen mit Consequenz zu verfolgen, sich auf ein Hazardspiel einlaesst, das ihn in einem Augenblick zum Millionair machen,--aber verzeihen Eure Majestaet--auch den Verlust vieler erworbenen Gueter herbei fuehren kann. Ebenso--" "Ebenso," fiel der Kaiser ein, "finden Sie, dass der Krieg in der Politik ein Hazardspiel sei, das man nicht unternehmen muesse und das vieles bereits Erreichte in Frage stellen koenne. Aber mein Gott," fuhr er lebhafter fort, "wenn die ganze Nation den Krieg will,--ich bin der Erwaehlte der Nation,--ich muss dem Nationalwillen mehr Rechnung tragen, als irgend ein andrer Regent, Sie muessen zugeben, dass ganz Frankreich zum Kriege draengt, dass Ollivier, dieser Mann des Friedens, und die ganze hinter ihm stehende liberale Partei von der Notwendigkeit des Krieges durchdrungen sind und denselben mit Enthusiasmus aufnehmen." Herr Rouher schuettelte langsam den Kopf. "Ollivier, Sire," sagte er dann achselzuckend, "wird Alles wollen, was ihm Gelegenheit giebt, eine jener pathetischen Reden zu halten, in denen er sich so sehr gefaellt. Wenn Ollivier Eurer Majestaet uebrigens," fuhr er fort, "von der liberalen Partei spricht, welche hinter ihm steht, so moechte ich mir eine abweichende Ansicht auszusprechen erlauben--hinter Ollivier steht Niemand. Eure Majestaet haben mit ihm nicht seine frueheren Gesinnungsgenossen gewonnen, Eure Majestaet haben ihn isolirt und nur einen einzelnen Mann auf Ihre Seite gebracht. Den Werth dieses Gewinns," sagte er mit einem leisen Anklang von Ironie, "wird die Zukunft zeigen. Eure Majestaet haben ferner," sprach er dann weiter, "von der oeffentlichen Meinung Frankreichs gesprochen, welche den Krieg verlangt, Eure Majestaet haben Recht, die oeffentliche Meinung verlangt den Krieg. Aber hat man sie denn nicht dahin gebracht, ihn zu verlangen?--und dann, Sire, die oeffentliche Meinung ist ein wunderbares Ding. Sollte dieser Krieg, was Gott verhueten wolle, ungluecklich fuer Frankreich ausfallen, so wird jeder Einzelne aus dieser Menge, deren zusammen toenender Ruf jetzt die oeffentliche Meinung bildet, seine Urheberschaft an dem Krieg verleugnen, auf Eure Majestaet und Ihre Regierung allein wird man die Schuld desselben werfen." "Aber halten Sie es denn fuer moeglich," fragte der Kaiser, "jetzt noch den Krieg zu vermeiden?" "Nein, Majestaet," erwiderte Herr Rouher, "jetzt nicht mehr. Vor wenigen Tagen vielleicht waere das noch moeglich gewesen. Man konnte die Zuruecknahme der Hohenzollernschen Candidatur als einen grossen Triumph der franzoesischen Intercession darstellen, und wenn dies von allen Organen der Regierung und der ihr zu Gebote stehenden Presse geschehen waere, so wuerde ganz Frankreich in diesem Augenblick ebenso befriedigt sein und ebenso stolz auf das wieder hergestellte Prestige des Kaiserreichs blicken, als es nun nach der Entscheidung durch die Waffen ruft. Wenn diese unglueckliche Frage der Garantie fuer die Zukunft, welche ja doch practisch kaum eine Bedeutung gehabt haette, nicht gestellt waere, wenn man der Kammer und der ganzen franzoesischen Nation die Zurueckweisung einer fernern Discussion von Seiten des Koenigs von Preussen nicht als eine Beleidigung des Vertreters Frankreichs dargestellt haette, dann, Sire, waere es noch moeglich gewesen, dieses gefahrvolle Spiel mit den eisernen Wuerfeln des Krieges zu vermeiden--jetzt, Sire, ist es nicht mehr moeglich! Unter den Umstaenden, welche jetzt geschaffen sind, koennen wir nur noch von Gott und unserm Muthe den Triumph des franzoesischen Degens erwarten. Und meine Aufgabe wird es sein, Sire, mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, durch den Einfluss der Koerperschaft, an deren Spitze Eure Majestaet mich gestellt haben, ganz Frankreich mit dem Muthe und der Begeisterung zu erfuellen, deren wir in dieser Katastrophe beduerfen. Ich bitte Eure Majestaet um die Erlaubniss, morgen mit einer Deputation des Senats vor Ihnen erscheinen zu duerfen, um die Gefuehle auszusprechen, welche in diesem Augenblick ganz Frankreich beseelen muessen. Ich bitte Gott, dass die Befuerchtungen, welche ich nicht ganz unterdruecken kann, welche ich aber in die verborgensten Tiefen meines Herzens zu verschliessen fuer heilige Pflicht halte, niemals Wirklichkeiten werden moegen." Der Kaiser hatte ernst und sinnend den im Ton tiefer Ueberzeugung gesprochenen Worten des Herrn Rouher zugehoert. Mit einer Bewegung voll herzlicher Freundlichkeit reichte er ihm die Hand und sprach. "Der Wuerfel rollt, so bleibt nichts anderes uebrig, als muthig zu erwarten, auf welche Seite er fallen wird. Das Unglueck nicht zu fuerchten, ist das beste Mittel, uns das Glueck dienstbar zu machen." Herr Rouher verneigte sich schweigend und ging hinaus. Napoleon blickte ihm lange sinnend nach. "Vielleicht hat er Recht," sagte er, traeumerisch vor sich hinblickend, "vielleicht haette ich versuchen sollen, das Verhaengniss aufzuhalten,--nun," sagte er tiefaufathmend, "vielleicht findet sich dazu noch der guenstige Augenblick, vielleicht ist diese kalte Zurueckweisung aller meiner Anerbietungen nur hervorgegangen aus der Voraussetzung, dass ich den letzten und entscheidenden Schritt zu thun nicht wagen wuerde. Wenn meine Armee schlagfertig an den Grenzen steht, wenn man sieht, dass ich zum vollen Ernst entschlossen bin, dann wird sich vielleicht noch einmal der Augenblick finden, um auf die Frage der Compensationen zurueckzukommen, und ich werde dann in der guenstigen Lage sein, dass nicht ich es bin, der Vorschlaege macht und Antraege stellt." Er ging noch einige Augenblicke schweigend und tief nachdenkend auf und nieder; dann klingelte er und befahl seinen Wagen, um nach St. Cloud zurueckzufahren. Langsam fuhr er aus dem Hof der Tuilerien heraus und ueber den Place la Concorde nach den Champs Elysees hin. Ueberall wogten dichte Menschenmassen, und bis nach dem Bois de Boulogne hin wurde der Kaiser mit enthusiastischen Hochrufen begruesst. "Nieder mit Preussen!" rief man ihm aus allen Gruppen entgegen. "Nach Berlin!" Am Arc de Triomphe begegnete der Kaiser einem Bataillon der Voltigeurs der Garde, welches von einer Felduebung zurueckkehrte und bestimmt war, in den naechsten Tagen nach Metz abzugehen. Der Kaiser fuhr langsam im Schritt an den Soldaten vorbei, welche bei seinem Anblick ihre Kaeppis auf die Spitze der Bajonette steckten und laut sangen: "Ca ira, ca ira, ca ira--Bismarc a la lanterne, Ca ira, ca ira, ca ira--Bismarc on le pendra." Napoleon legte laechelnd die Hand an den Hut und lange noch klang seinem Wagen diese alte Melodie aus der Schreckenszeit der Revolution nach, welche der Soldatenwitz mit diesem neuen Text versehen hatte. Der Arc de Triomphe glaenzte im Licht der Abendsonne, ruhig blickte das steinerne Antlitz des grossen Kaisers von dem stolzen Bau herab. Die jubelnde Menge begleitete die Soldaten, in ihren Gesang einfallend, waehrend der Kaiser in den frischen, zierlich gepflegten Park einfuhr, in welchem die elegante Welt von Paris ihre Abendpromenade machte, und ueber welchem am Horizont die gewaltigen Umrisse des Mont Valerien emporragten. Alles war Freude, Jubel und stolze Siegeszuversicht, und kein Auge durchdrang den Schleier der Zukunft, hinter welchem unmittelbar das furchtbare Bild sich erhob, das die siegreichen deutschen Truppen zeigte, wie sie in geschlossenen Reihen durch diesen Triumphbogen des franzoesischen Ruhmes einzogen, waehrend aus den Tiefen von Paris jene finstern Maechte heraufstiegen, um die Denkmaeler der Jahrhunderte in Schutt und Asche zu verwandeln. * * * * * Um dieselbe Zeit, waehrend ganz Paris in jubelnder Aufregung sich befand, waren in einem bescheidenen Restaurant der Passage Jeouffroi die Officiere der frueheren hannoeverschen Legion versammelt. Sie sassen finster um den Tisch, auf welchem der Kellner mit der grossen weissen Schuerze soeben ihr Diner zu serviren begann. Auf allen diesen jugendlichen kraeftigen Gesichtern war keine Spur von der Heiterkeit ihres Alters zu entdecken, und Sorge und Kummer blickten aus Aller Augen. Der Lieutenant von Tschirschnitz strich den vollen blonden Schnurrbart zur Seite und sprach, finster die Zaehne zusammenbeissend, indem er sich zu dem neben ihm sitzenden Kriegscommissair Ebers, dem einzigen aelteren Manne von der Gesellschaft wandte. "Wie lange kann unsere Kasse noch reichen?" "Vierzehn Tage vielleicht," erwiderte der Commissair Ebers achselzuckend, "wenn wir uns auf das Aeusserste einschraenken, und wenn wir alle unsere nothwendigsten Kleidungsstuecke verkaufen, so koennen wir vielleicht noch weitere vierzehn Tage gewinnen, dann aber ist es jedenfalls aus." "Wer uns das gesagt haette," rief der Lieutenant Goetz von Ohlenhusen, indem er einen tiefen Zug aus einem vor ihm stehenden Seidel Dreherschen Bieres that, "als wir von Hannover auszogen und Alles im Stich liessen, um uns dem Dienst des Koenigs zu erhalten--" "Der haette uns jedenfalls einen grossen Dienst geleistet," sagte Herr von Tschirschnitz, "ich haette jetzt meine Kompagnie in Sachsen, eine ehrenvolle Stellung und eine schoene Carriere vor mir, waehrend wir uns jetzt hier in einer Lage befinden, die in Wahrheit geeignet ist, selbst unserem bisher unzerstoerbaren Humor den Todesstoss zu geben. Hier im fremden Lande ohne Mittel, ohne Stuetze, ohne Anhalt--in Deutschland als Hochverraether verurtheilt!--Wir werden bald in der Lage sein, dass kein Fuss breit Erde, kein Athemzug Luft mehr in dieser Welt fuer uns uebrig ist." "Was bleibt uns uebrig," sagte Herr von Goetz finster, "als uns irgendwo anwerben zu lassen. Man denkt ja daran, eine Fremdenlegion zu bilden." "Ein Glueck fuer uns waere es gewesen, wenn uns bei Langensalza eine Kugel getroffen haette," rief der Lieutenant von Dinklage, indem er ein grosses Glas Rothwein herunterstuerzte und das leere Glas dann heftig auf den Tisch stiess, "dann waeren wir doch in Ehren aus der Welt gekommen, in welcher wir doch keinen Raum mehr fuer ein anstaendiges Leben finden." Durch die Reihen der hier zahlreich versammelten Gaeste trat schnell der Major von Duering an den Tisch der Offiziere heran. Ihm folgte der Regierungsrath Meding im Reiseanzug. Die Offiziere erhoben sich. "Mein Gott, Sie hier," rief Herr von Tschirschnitz, indem er dem Regierungsrath Meding die Hand reichte, "was fuehrt Sie aus der Schweiz hierher? Will der Koenig uns rufen? Will er irgend etwas unternehmen--in diesem Augenblick?" "Nein, meine Herren," sagte der Regierungsrath, indem er die uebrigen Offiziere herzlich begruesste und mit Herrn von Duering an deren Tisch Platz nahm. "Ich komme nicht vom Koenige, ich habe keine Verbindung mit Hietzing und erfahre nur zufaellig und auf Umwegen, was dort vorgeht. Ich bin nur hergekommen, weil unser Schicksal uns so lange Zeit mit einander verbunden hat, und weil ich dringend wuenschte, in diesem Augenblick der schwersten Krisis, die die Welt seit lange erlebt hat, als Ihr alter Freund und Ihr Genosse der Verbannung, Sie zu warnen und Sie auf das dringendste zu bitten, sich um Gottes Willen in keine gefaehrlichen und bedenklichen Unternehmungen einzulassen und allen Lockungen und Anforderungen zu widerstehen, sie moegen kommen, woher sie wollen." "Wir haben eben darueber gesprochen, was aus uns werden soll," erwiderte Herr von Tschirschnitz, "unsere Bezuege von Hietzing sind uns, wie Sie wissen, seit lange entzogen. Wir haben Alle unsere Baarschaft zusammengeschossen und damit diese Zeit her unter den aeusserten Einschraenkungen gelebt--der Augenblick ist sehr nahe, in welchem wir saemmtlich nichts mehr besitzen werden--" "und in welchem uns nichts mehr uebrig bleiben wird," rief Herr von Goetz, "als uns, wenn es sein muss, als gemeine Soldaten anwerben zu lassen." "Um Gottes Willen, meine Herren," rief der Regierungsrath Meding,--"bedenken Sie, was Sie thun. Bedenken Sie, dass es sich in diesem Augenblick nicht um eine erneute Aufnahme des Kampfes von 1866 handelt. Bedenken Sie, dass in diesem Krieg das ganze Deutschland vereint gegen Frankreich steht. Bedenken Sie, dass jeder Deutsche, der in diesem Augenblick in irgend einer Weise auf der Seite der Feinde unseres gesammten Vaterlandes stuende, ewiger Schande verfallen muesste; dass die Verachtung der Franzosen selbst ihn treffen wuerde, und dass selbst im Falle eines franzoesischen Sieges die deutsche Erde niemals wieder Raum fuer ihn haben wuerde. Deshalb bin ich hierher gekommen, um Sie auf das dringendste vor allen uebereilten und verzweiflungsvollen Entschluessen zu warnen. Ich bitte und beschwoere Sie, verlassen Sie Frankreich, gehen Sie nach der Schweiz und warten Sie dort die Ereignisse ab. Ich habe gehoert, dass hier durch den Grafen Breda Versuche gemacht werden, die Truemmer der auseinander gesprengten Legion wieder zu vereinigen." Herr von Tschirschnitz lachte laut und hoehnisch auf. "Dieser Graf Breda," rief er, "ist ein Franzose, ein Agent des dunkelsten Ultramontanismus--dass er sich als Vertreter des Koenigs von Hannover gerirt und eine hannoeversche Legion formiren will, das ist allerdings die Krone von allem, was bis jetzt geschehen." "Aber," fiel Herr von Duering ein, indem er sich zu dem Regierungsrath Meding wendete, "Sie kennen unsere Lage und ich kann Ihnen nur wiederholen, was ich Ihnen schon sagte, als ich Sie vom Bahnhof hierherbrachte, was bleibt uns denn anders uebrig, als uns irgendwo auf die moeglichst anstaendige Weise todtschiessen zu lassen. Wir haben keine andere Rettung aus unserer Lage." Der Regierungsrath Meding blickte sinnend vor sich nieder. "Jedes Schicksal ist besser," sagte er, "als in den Reihen der Feinde des vereinigten Deutschlands zu fallen, und noch ist ja nicht jede Moeglichkeit der Rettung ausgeschlossen. Lassen Sie mich handeln. Ich kann Ihnen nichts versprechen--aber es giebt vielleicht noch einen Weg, der Sie alle mit Ehren vom Rande des Abgrundes zurueckfuehrt und Ihnen eine freundliche Zukunft oeffnen kann--lassen Sie mich meinen Weg gehen, ich habe ein Gefuehl, das mir sagt, er werde zum guten Ende fuehren. Versprechen Sie mir nur das Eine, dass Sie sich in keine Unternehmungen gegen Deutschland hineinziehen lassen, und dass Sie auch in der verzweiflungsvollsten Lage des Augenblicks nicht den Muth verlieren--den Sie sich ja so lange erhalten haben--versprechen Sie mir das, meine Herren, und wenn es sein kann, verlassen Sie Frankreich so schnell als moeglich und geben Sie mir Nachricht, wo Sie zu finden sind--ich hoffe, dass Sie von mir hoeren sollen. Ich muss Sie wieder verlassen," fuhr er fort, "ich muss noch mit dem naechsten Zug wieder abreisen. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen gesagt habe und bitte Sie nochmals um Ihr Versprechen, nichts gegen Deutschland zu unternehmen." Er reichte Herrn von Tschirschnitz die Hand. Dieser schlug kraeftig ein und sagte mit bewegter Stimme: "Ich verspreche es, moege kommen, was da wolle." Die uebrigen Herren wiederholten die Worte. "Und ich, meine Herren," rief der Regierungsrath Meding, "verspreche Ihnen, dass ich nicht ruhen und rasten will, bis es mir gelungen ist, einen Weg der Rettung zu finden. Leben Sie wohl, und so Gott will, auf baldiges Wiedersehen." Er wandte sich tief ergriffen ab, verliess mit Herrn von Duering das Local und stieg mit demselben an der Ecke der Passage in einen dort bereit stehenden Fiaker, in welchem sich bereits sein Diener mit dem kleinen Reisegepaeck befand. Sie kamen auf dem Ostbahnhof eine Viertelstunde vor Abgang nach Basel an. Ernst und schmerzlich bewegt, ging der Regierungsrath Meding mit dem Major von Duering in der grossen Vorhalle auf und nieder, von welchem man den grossen Platz vor dem Bahnhof und die weite Reihe der neuen Boulevards ueberblickte, welche bereits im Schein der Gaslaternen schimmerten und auf denen sich eine zahlreiche jubelnde und laermende Menschenmenge hin und her bewegte. "Der Anblick dieses Paris," sagte der Regierungsrath Meding, "in seinem trunkenen Rausch ist mir tief schmerzlich. Ich liebe Frankreich, und diese Stadt Paris ist mir fast zu einer lieben Heimath geworden. Und ich sehe eine furchtbare Zeit ueber dies Land und diese schoene Stadt mit ihrem wunderbar reichen Leben heraufziehen, eine Zeit, welche alle diese Jubelklaenge, die da jetzt zu uns heruebertoenen, in Jammer und Wehklage verwandeln wird." "Sie glauben an die Niederlage Frankreich," fragte Herr von Duering, "an eine so schwere Niederlage?" "Ich bin von derselben ueberzeugt," erwiderte der Regierungsrath. "Ich bin gestern von Basel herauf bis hierher durch die nach der Grenze hin sich bewegenden Truppen gefahren, aber was ich gesehen habe, laesst mich nur das Traurigste fuer Frankreich erwarten. Ueberall habe ich Truppen der verschiedensten Waffen ohne Officiere, Cavallerie ohne Pferde, Geschuetze auf den Eisenbahnwagen ohne Bespannung gesehen. Alle diese Leute waren im Zustande der unnatuerlichen Aufregung, die meisten berauscht, und wenn ich sie fragte, wohin sie gingen, zu welchem Corps sie gehoerten, so konnten sie mir keine genuegende Antwort geben, die Meisten antworteten mit dem fanatisch stereotypen Ruf "nach Berlin". Mit solchen Truppen schlaegt man die preussische Armee nicht und der Elan, von dem man so viel spricht, wird wie ein voruebergehender Rausch schnell vor der ruhigen und sichern Taktik der deutschen Heeresleitung verfliegen. Glauben Sie mir," fuhr er fort, indem er noch einmal wehmuethig ueber die glaenzenden Reihen der Boulevards hinblickte, "Frankreich wird einen furchtbaren Schlag zu erleiden haben, und das Kaiserreich mit allem seinem Glanz wird vielleicht unter diesem Schlage zusammenbrechen--ich habe hier lange die Elemente beobachtet, welche in der Tiefe der Gesellschaft sich organisirt haben und sie werden nicht zoegern, heraufzusteigen, um von unten her das Gebaeude zu zersprengen, wenn dessen Zinnen unter den Schlaegen der deutschen Waffen fallen werden." Das Signal zur Abfahrt des Zuges ertoente. "Noch einmal, lieber Duering," sagte der Regierungsrath Meding, indem er sich am Eingang des Wartezimmers von dem Major verabschiedete, "halten Sie den Muth unserer Freunde aufrecht und sorgen Sie dafuer, dass auf unsere, so lange mit Ehren vertheidigte Sache kein Flecken falle." Mit Thraenen in den Augen trennten sich die beiden mehrjaehrigen Genossen der Verbannung. Der Regierungsrath Meding stieg in das Coupe und fuhr unter dem gellenden Pfeifen der Locomotive in die Nacht hinaus, waehrend der Major von Duering ernst und traurig ueber die hellen Boulevards hin zu seinen Kameraden zurueckkehrte, um in den Herzen dieser tapfern und treuen Diener einer untergegangenen Sache, welche Heimath und Vaterland, Vergangenheit und Zukunft verloren hatten, die letzten Funken der Hoffnung und des Muthes wieder anzufachen. Elftes Capitel. Die Verlobung der Tochter des Commerzienrath Cohnheim mit dem jungen Baron von Rantow war wenige Tage nach der Erledigung der zwischen ihm und dem Lieutenant von Buechenfeld entstandenen Differenz proclamirt worden. Der Commerzienrath hatte es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit ein grosses Fest zu veranstalten, bei welchem die zahlreichen Bekannten des Barons zu seiner und seiner Gemahlin hoechsten Befriedigung eine Menge hoch aristokratischer Namen und Erscheinungen in seine Salons fuehrten. Der kleine Commerzienrath schwamm in Entzuecken. Noch behaglicher als sonst eilte er hin und her, indem er in gelegentlichen Gespraechen seinem alten Freunde aus der Finanzwelt auf alle diese Elemente der ersten Gesellschaft aufmerksam machte, die sich jetzt bei ihm vereinigten. Die Commerzienraethin war noch steifer, noch wuerdevoller, noch unnahbarer als sonst, und Fraeulein Anna ueberstrahlte Alle durch ihre Schoenheit und die ausgesuchte Eleganz ihrer Toilette. Aber jener Ausdruck kindlich freier Heiterkeit, welcher frueher in ihren Augen gelegen hatte, war verschwunden. Kalt und stolz wie eine Koenigin blickte sie umher, mit ruhig und sicher gewaehlten Worten beantwortete sie die Gluckwuensche, welche man an sie richtete, und wenn sie laechelte, so schien es fast, als ob hoehnischer Spott mehr Antheil an ihrem Laecheln habe, als die glueckliche Freude der Braut. Der junge Herr von Rantow war dann taeglich im Hause des Commerzienraths erschienen, hatte fuer seine Braut alle Hoeflichkeit und Aufmerksamkeit, welche dieselbe irgend erwarten konnte und welche sie ebenso hoeflich und freundlich entgegennahm. Doch war keine innere Annaeherung zwischen den beiden jungen Leuten eingetreten. Herr von Rantow blieb mit vollkommenem Takt in einer gewissen Zurueckhaltung und Fraeulein Anna war ihm dafuer von Herzen dankbar und nahm mit um so groesserer Aufmerksamkeit alle aeusseren Ruecksichten, welche ihr Verhaeltniss erforderte, entgegen; so dass die Commerzienraethin aeusserst befriedigt war und ihrer Tochter haeufig anerkennende Worte ueber ihr Verhalten sagte, das so vollkommen dem Brautstand zwischen vornehmen und distinguirten Personen entsprach. Herr von Rantow hatte sein Staatsexamen ueberstanden, und die Hochzeit war fuer den September festgesetzt, bis zu welcher Zeit der fuer die Aufnahme des jungen Paares bestimmte Fluegel des Schlosses auf dem Rantow'schen Familiensitz hergestellt sein sollte, zu dessen Ausschmueckung der Commerzienrath nicht muede wurde, von ueberall her das Schoenste und Kostbarste an Mobilien und Stoffen kommen zu lassen. Da brach mitten in diese Vorbereitungen die grosse Catastrophe herein, welche ganz Europa bewegte. Und wie diese Catastrophe die Fuersten und Diplomaten aus ihren Villeggiaturen und Badekuren aufschreckte und in den furchtbaren Ernst des Lebens zuruecktrieb, so unterbrach sie auch die Vorbereitungen zu der Verbindung des Barons von Rantow mit Fraeulein Anna Cohnheim. Sorgenvoll ging der Commerzienrath einher. Es war nicht nur der Aufschub des von ihm so sehnlichst gewuenschten Familienereignisses, welcher ihn bewegte und bekuemmerte--der ploetzlich hereinbrechende Krieg griff auch zerstoerend in alle seine finanziellen Operationen ein. Die Unternehmungen, welche er mit dem Baron verabredet hatte, mussten natuerlich vorlaeufig bis zur Wiederkehr ruhiger Verhaeltnisse aufgeschoben werden. Der junge Baron von Rantow war zur Zeit seines Eintritts in das militairpflichtige Alter wegen der Anlage zu einem Brustleiden, die ohne unmittelbar gefaehrlich zu werden, ihm grosse koerperliche Anstrengungen unmoeglich machte, fuer dienstunfaehig erklaert. Von dieser Seite haette daher der Verbindung der beiden jungen Leute nichts entgegen gestanden. Indess Fraeulein Anna erklaerte mit grosser Bestimmtheit, dass sie vor dem Ende des Krieges, welcher das ganze Vaterland in so grosse Gefahr stuerzte und so viel Trauer in zahlreiche Familien bringen muesste, an die Hochzeit nicht denken wolle. So war denn die Hochzeit wieder in unbestimmte Fernen hinausgeschoben. Am Vormittage des verhaengnissvollen einunddreissigsten Juli, an welchem der Koenig Berlin verlassen sollte, um zur Armee sich zu begeben, befand sich die Commerzienraethin Cohnheim bei dem Baron von Rantow und seiner Gemahlin. Die Koenigin Augusta hatte wenige Tage zuvor einen Aufruf an alle Frauen des Vaterlandes erlassen, um Huelfsmittel fuer die Verpflegung der Verwundeten an den Rhein zu senden. Und die Commerzienraethin hatte mit Eifer diese Gelegenheit ergriffen, um sich der Baronin von Rantow anzuschliessen bei der Bildung eines kleinen Damenvereins zur Erfuellung dieser patriotischen Aufgabe. Sie war mit ihrer Tochter gekommen, um das Naehere ueber die Organisation der Thaetigkeit dieses Vereins zu verabreden, und Frau von Rantow hatte mit einer gewissen, kalten Zurueckhaltung den sehr betraechtlichen Beitrag in Empfang genommen, welchen die Commerzienraethin fuer die Zwecke des Vereins ihr ueberreichte. Die beiden Damen sprachen eifrig ueber die zweckmaessigste Herstellung von Charpie und Verbandzeug, waehrend der Baron sich mit Fraeulein Anna unterhielt, fuer welche er eine besonders sympathische Zuneigung gefasst hatte, und welcher er stets mit um so groesserer Herzlichkeit begegnete, je weniger es ihm moeglich war sich dem Commerzienrath und seiner Gemahlin, deren ganzes Wesen von seinen Lebensanschauungen so tief verschieden war, zu naehern. "Wir sind gluecklicher," sagte er, "als so viele andere Familien, deren Soehne zu den Gefahren des Krieges hinausziehen muessen, und doch macht es mich fast traurig, dass in einem Augenblick, wo die ganze Jugend des Landes unter den Fahnen des Koenigs ins Feld zieht, der Name der Rantows in den Reihen der Armee nicht vertreten ist. Das Gefuehl des Vaters und des Patrioten streiten in mir mit einander, und oft moechte ich fast wuenschen, dass auch mein Sohn berufen waere zu dem grossen nationalen Kampf." "Es bleibt ja auch hier noch genug zu thun," erwiderte Fraeulein Anna in einem ziemlich kalten und gleichgueltigen Ton. "Der Staat braucht ja auch waehrend des Krieges Beamte, vielleicht waere es gut, wenn Ihr Sohn wenigstens bis zur Beendigung des Krieges seine Carriere wieder aufnehmen wuerde. Fuer uns Frauen," fuhr sie lebhafter fort, "bildet ja die Zeit ein reiches Feld der Thaetigkeit, und ich fuehle den lebhaftesten Wunsch, hinauszugehen, um als Pflegerin der Kranken in dieser grossen Zeit meine Pflicht zu erfuellen." "Sie, mein Kind," rief der Baron erstaunt, "Sie, gewoehnt an alle Bequemlichkeiten des Lebens, fast ein wenig verwoehnt, Sie wollten sich einer so muehevollen angreifenden Thaetigkeit widmen, welche Ihre zarten Kraefte vielleicht bald aufreiben moechte." "Meine zarten Kraefte?"--sagte Fraeulein Anna, die Achseln zuckend, "und waeren sie es,--der feste Wille und die Begeisterung fuer eine grosse Sache sind im Stande, auch die schwaechste Kraft stark zu machen. Und wofuer koennte ein Frauenherz sich hoeher begeistern, als dafuer, die Leiden Derjenigen zu erleichtern, welche heldenmuethig ihr Blut und Leben zum Schutz des Vaterlandes, zu unserm Schutz dahin geben. Glauben Sie mir, Herr Baron, ich wuerde nicht ermatten in einem so hohen und heiligen Beruf. Und wenn der Krieg fortschreitet," fuhr sie ernst mit dem Ausdruck eines festen Entschlusses fort, "wenn die Lazarethe sich fuellen werden und das Beduerfniss nach weiblicher Pflege immer groesser und groesser werden wird, dann werde ich doch noch die Erlaubniss meiner Eltern erhalten, dem Zuge meines Gefuehls zu folgen, und ich bin ueberzeugt, dass viele Frauen denken und handeln werden, wie ich." Der junge Herr von Rantow trat ein. Er war ernster als sonst, der gleichgueltige, oberflaechliche Ausdruck, welcher gewoehnlich auf seinem Gesicht lag, war verschwunden. Eine gewisse stolze Befriedigung blickte aus seinen Augen. "Ich habe einen Entschluss gefasst," sagte er, nachdem er die Damen begruesst hatte, "einen Entschluss, den meine theure Anna gewiss billigen wird und mit dem auch Du, mein Vater, zufrieden sein wirst." Fragend blickte Fraeulein Cohnheim auf ihren Verlobten. "Ich habe," fuhr dieser fort, "mich zur Aufnahme in den Johanniterorden gemeldet. Du wuenschtest das frueher, mein Vater, um mir eine ehrenvolle Decoration zu verschaffen, in dieser Zeit gewinnt das Zeichen des Johanniterordens, zu welchem meine Geburt mich berechtigte, eine hoehere und ernstere Bedeutung. Ich habe so eben die Mittheilung erhalten, dass meine Bewerbung angenommen werden wird und habe zugleich die Bitte gestellt, wenn eine Annahme erfolgen sollte, mich einer der Deputationen beizuordnen, welche die Armee zur Leitung der Krankenpflege begleiten werden. So werde auch ich im Stande sein, das Meinige in dem Kampf zu thun und die Pflicht zu erfuellen, welche mein Name mir auflegt und zu welcher mein Gefuehl mich treibt." Der Baron neigte zustimmend den Kopf. Fraeulein Anna erhob sich schnell und reichte ihrem Verlobten die Hand, indem aus ihrem Blick ein warmes Gefuehl leuchtete, wie sie es bisher noch nie dem jungen Manne gegenueber gezeigt hatte. "Ich danke Ihnen von Herzen fuer diesen Entschluss," sagte sie mit herzlichem Ton, "und da Sie ihn gefasst haben, darf ich Ihnen sagen, dass mich der Gedanke betruebt hat, Sie in dieser Zeit hier zurueckbleiben zu sehen--Sie werden das nicht missverstehen," fuegte sie hinzu, "meine treuesten und aufrichtigen Wuensche werden Sie begleiten." Herr von Rantow kuesste die Hand seiner Braut, seine Mutter blickte liebevoll zu ihm hinueber, und die Commerzienraethin richtete sich hoch auf, indem sie mit feierlicher Stimme sagte: "Das ist ein sehr edler Entschluss, ganz meines vortrefflichen Schwiegersohns wuerdig." Der Diener trat ein, meldete den Oberstlieutenant und den Lieutenant von Buechenfeld. Schnell erhob sich der Baron, um den Herren entgegen zu gehen. Die Commerzienraethin warf einen scharfen und strengen Blick auf ihre Tochter. Fraeulein Anna zuckte zusammen und machte eine Bewegung, als wolle sie das Zimmer verlassen, dann aber fasste sie sich, tief erbleichend stuetzte sie die Hand auf die Lehne eines neben ihr stehenden Sessels. Kalte und stolze Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht. Der Oberstlieutenant und sein Sohn traten ein. Der alte Herr trug Uniform, sein Gesicht strahlte vor freudiger Aufregung. Der Lieutenant folgte ihm ernst und still, als er Fraeulein Anna und den jungen Herrn von Rantow erblickte, flog eine dunkle Roethe ueber sein Gesicht. Dann naeherte er sich Frau von Rantow, begruesste dieselbe ehrerbietig und verneigte sich mit kalter Hoeflichkeit gegen die Uebrigen. Die Commerzienraethin sass gerade und steif da und erwiderte den Gruss der eintretenden Herren mit einer kaum bemerkbaren Neigung des Kopfes. "Ich bringe Ihnen noch einmal meinen Sohn, gnaedige Frau," sagte der Oberstlieutenant, "er muss noch heute zu seinem Regiment abgehen, um in die beste Kriegsschule hinauszuziehen,--draussen im Felde, wo man in einem Monat mehr lernt, als in Jahren hinter den Buechern. Er wollte in der Eile gar keine Besuche machen, aber hier von den alten Freunden seines Vaters muss er sich doch verschieden, bevor er auszieht, um sich den Feldmarschallstab zu erkaempfen," fuegte er laechelnd hinzu. "Er hat es gluecklich getroffen, mir wurde es in meiner Jugend nicht so gut, ich habe mich waehrend meiner besten Jahre durch den ewigen Garnisonsdienst hindurch schleppen muessen, in welchem Koerper und Geist muede werden." "Unsere herzlichsten Wuensche werden Sie begleiten," sagte Frau von Rantow zu dem jungen Officier. "Aber Sie, lieber Buechenfeld," fuhr sie laechelnd fort, "tragen ja auch wieder Uniform, Sie wollen doch nicht etwa auch mit hinausziehen--" "Wollte Gott, ich koennte es," sagte der Oberstlieutenant traurig, "doch mein Podagra sorgt schon dafuer, dass ich hier bleiben muss. Aber," fuhr er, sich militairisch aufrichtend, fort, "ich habe mich um ein Etappencommando beworben und es erhalten und so habe ich doch wenigstens das Herzeleid nicht, dass ich in dieser Zeit unthaetig im Civilrock einhergehen muss. Ich kann wenigstens die alte Uniform tragen und dem Koenige dienen, so gut es mir noch moeglich ist." Der Oberstlieutenant und sein Sohn blieben etwa eine Viertelstunde lang, waehrend welcher die Unterhaltung fast ausschliesslich von dem alten Herrn und dem Baron gefuehrt wurde. Der Oberstlieutenant war in sprudelnd heiterer Laune, im Herzen des alten Soldaten fand der Gedanke an die Gefahren, denen sein Sohn entgegen ging, keinen Platz, fuer ihn war der Krieg der Beruf des Officiers, er dachte nur an die Hoffnung auf Ruhm und Ehre, welche dieser Krieg in sich schloss und fuehlte sich neu geboren in dem Gedanken, dass auch er in dieser grossen Zeit noch einmal in der Lage sei, Dienst zu thun und den Rock des Koenigs zu tragen. "Wir muessen aufbrechen," sagte er endlich, "ich weiss noch nicht, wo meine Bestimmung sein wird und erwarte dieselbe stuendlich,--mein Sohn hat nur noch kurze Zeit bis zu seiner Abreise." Er kuesste mit ritterlicher, etwas altmodischer Galanterie der Frau von Rantow die Hand und drueckte lange und herzlich die Rechte des Barons. Der Lieutenant, welcher waehrend der ganzen Zeit ernst und stumm mit niedergeschlagenem Blick da gesessen hatte, erhob sich, in rascher Bewegung trat der junge Herr von Rantow auf ihn zu. "Lebe wohl, Buechenfeld," sprach er,--"in einer Zeit, wie die jetzige, muss jeder vergangene Groll vergessen werden. Gott schuetze Dich! Ich werde mit den Johannitern der Armee folgen und sollte Dir ein Unglueck begegnen, so hoffe ich, dass ein guetiges Schicksal mich zu Dir fuehren wird, um Dir beizustehen." Der Lieutenant hatte bei den Worten des Barons eine unwillkuerliche Bewegung gemacht, als wolle er von demselben zuruecktreten. Abermals faerbte sich sein Gesicht mit dunklem Roth, er schlug die Augen auf und richtete seine Blicke an dem Baron vorbei, mit bitterem, feindlichem Ausdruck auf Fraeulein Anna. Das junge Maedchen sah ihn mit grossen Augen an. Aus diesen Augen strahlte es wunderbar und eigenthuemlich zu ihm hin, es lag darin wie eine Bitte, wie eine Frage, ihre Lippen oeffneten sich, als wolle sie sprechen, aber nur ein leiser Hauch drang aus denselben hervor und wie unwillkuerlich streckte sie zitternd die Hand nach ihm aus. Ein tiefer Athemzug hob die Brust des Lieutenants, sein kalter, harter Blick wurde weicher und weicher. Kraeftig drueckte er die Hand des Herrn von Rantow und sagte mit fast erstickter Stimme: "Vergessen und vergeben!" Dann trat er rasch, wie einem uebermaechtigen Zuge folgend, zu Fraeulein Anna hin, deren Hand noch immer leicht erhoben, sich gegen ihn ausstreckte und deren Augen mit immer tieferer Innigkeit auf ihm ruhten. Er ergriff die Hand des jungen Maedchens, drueckte seine Lippen auf dieselbe und fast unhoerbar, nur ihr verstaendlich, hauchten seine Lippen nochmal die Worte: "Vergessen und vergeben!" Dann wandte er sich schnell um und mit kurzer rascher Verbeugung eilte er seinem Vater nach, welcher, von dem Baron geleitet, bereits das Zimmer verlassen hatte, waehrend Fraeulein Anna, die Haende faltend, auf einen Stuhl niedersank und ihm mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer nachsah. * * * * * Koenig Wilhelm stand an seinem Schreibtisch neben dem Fenster seines Arbeitszimmers. Der Koenig trug den Militairueberrock und blickte mit tiefem Ernst auf den Ministerpraesidenten Grafen Bismarck, welcher in der Uniform des Magdeburgischen Cuerassierregiments No. 7 vor Seiner Majestaet stand und die letzten noch vor der Abreise zu erledigenden Vortragssachen beendet hatte. "So ist denn," sagte der Koenig, "Alles vorbereitet, was menschliche Berechnung vermag, um nach allen Seiten hin in ungehemmter Spannung unsere Kraefte entfalten zu koennen,--unser Haus ist bestellt, die Armee ist in ordnungsmaessiger Bewegung und es ist nun an unserem Alliirten da oben, mit uns hinauszuziehen in den Kampf, an dem wir wahrlich unschuldig sind und uns den Sieg zu verleihen, wie er ihn uns schon einmal gab gegen den Uebermuth desselben Feindes." "Und dieser Sieg wird nicht fehlen, Majestaet," rief Graf Bismarck, indem seine linke Hand sich fest um den Griff seines Pallaschs spannte,--"er wird schneller und entscheidender kommen, als die Welt ihn erwartet und er wird Alles, was sich im deutschen Nationalleben in diesen Jahren vorbereitet hat, zu herrlicher Erfuellung bringen. Meine Zuversicht steht fest--in diesem Kampfe wird Deutschlands glaenzende Zukunft entschieden werden!" Auch ueber das Gesicht des Koenigs zog der lichte Schimmer freudiger Siegeszuversicht,--aber er sprach sie nicht aus und nachdem er einige Augenblicke schweigend vor sich niedergeblickt hatte, wendete er sich zu seinem Schreibtisch und ergriff einen dort liegenden Bogen Papier. "Wir haben Alles geordnet," sagte er, die wenigen Zeilen ueberlesend, welche dieser Bogen enthielt,--"wir haben die diplomatischen Faeden gezogen,--um unsere wohlwollenden Freunde" fuhr er mit eigenthuemlichem Laecheln fort, "in ihrer neutralen Haltung zu befestigen,--wir haben fuer die Regierung waehrend meiner Abwesenheit gesorgt. Unsere Pflichten liegen jetzt draussen bei der Armee,--ich habe jetzt nur noch ein Beduerfniss meines Herzens zu erfuellen, das ist ein letztes Wort des Abschieds an mein Volk zu richten,--wenn mich auch die Hoffnung erfuellt, dass wir mit Gott den Sieg erringen werden, so gehen wir doch einer schweren Zeit entgegen, und Niemand vermag zu berechnen, wie bald ich wieder nach der Heimath werde zurueckkehren koennen. Auch kann," sprach er mit tiefem Ernst, "eine feindliche Kugel da draussen mein Leben enden. In diesem Augenblick fuehle ich mehr wie je den innerlich tiefen Zusammenhang, ich moechte sagen, die Blutsverwandtschaft, welche mich, wie alle Koenige meines Hauses mit dem preussischen Volk verbindet, und ich moechte all den Meinen ein so recht herzliches Abschiedswort sagen und ihnen auch eine Gabe des Abschieds geben, die beste Gabe, welche mir zu geben mein koenigliches Recht vergoennt,--ich moechte in dem Augenblick, in welchem ich hinausziehe zu schwerem Entscheidungskampf, hinter mir den Frieden zuruecklassen,--den Frieden und die Versoehnung!" Erwartungsvoll blickte Graf Bismarck mit seinen hellen, klaren Augen den Koenig an, welcher wie zoegernd, als suche er die Worte fuer seine Gedanken, sagte: "Die letzten Jahre haben viel Verwirrung in Deutschland hervorgerufen, manches an sich edle Gefuehl hat viele meiner Unterthanen, namentlich meiner neuen Unterthanen auf Irrwege gefuehrt und mit der nothwendigen Strenge der Gesetze in Conflict gebracht--jetzt, wo ganz Deutschland einmuethig in den Kampf hinauszieht, moechte ich dazu beitragen, jenen Verwirrungen Loesung zu bringen im edelsten und besten Sinne, jetzt, wo ich Gott um Beistand anrufe in dem mir aufgedrungenen Krieg, moechte ich auch die herrliche Lehre des Christenthums befolgen,--die Lehre der Vergebung und nach den Worten handeln. Richtet nicht, auf dass Ihr nicht gerichtet werdet.--Der letzte Abschiedsgruss an mein Volk soll deshalb zugleich eine Amnestie enthalten fuer alle politischen Verbrechen und Vergehen. Liebe und Versoehnung soll die Vergangenheit abschliessen, damit wir freien und leichten Herzens der Zukunft entgegengehen koennen." Er hob den Bogen Papier empor und las langsam, mit tief bewegter Stimme: "An mein Volk! Indem ich heute zur Armee gehe, um mit ihr fuer Deutschlands Ehre und fuer Erhaltung ihrer hoechsten Gueter zu kaempfen, will ich im Hinblick auf die einmuethige Erhebung meines Volkes eine Amnestie fuer politische Verbrechen und Vergehen ertheilen." "Ich habe das Staatsministerium beauftragt, mir einen Erlass in diesem Sinne zu unterbreiten. "Mein Volk weiss mit mir, dass Friedensbruch und Feindschaft wahrhaftig nicht auf unserer Seite waren. "Aber herausgefordert, sind wir entschlossen, gleich unsern Vaetern und in fester Zuversicht auf Gott, den Kampf zu bestehen zur Errettung des Vaterlandes." Er hielt inne und blickte wie fragend auf den Ministerpraesidenten, dessen Zuege in maechtiger Ruehrung zuckten. "Majestaet," sagte er, auf die stumme Frage des Koenigs antwortend, "an diesem Erlass darf kein Titelchen geaendert werden. Es ist das koeniglichste Wort, das ein christlicher Fuerst zu seinen Unterthanen sprechen kann, einfach und gross, wie die Zeit. Und dies koenigliche Wort wird einen maechtigen Wiederhall finden in allen Herzen." Der Koenig neigte den Kopf, wandte sich dann zu seinem Schreibtisch, ergriff eine Feder und setzte mit kraeftigen Zuegen seinen Namen unter das Papier, das er dem Ministerpraesidenten reichte. "Sorgen Sie fuer die Veroeffentlichung und fuer die schleunige Vorlegung des Amnestieerlasses. Nun sind die Geschaefte hier beendet," sprach er mit tiefem Athemzug, "ich habe fuer die Meinigen das Werk des Friedens und der Liebe gethan. Jetzt soll die Spitze unseres Schwertes sich gegen die Feinde richten." "Noch moechte ich," sagte der Ministerpraesident, "eine Bitte an Eure Majestaet richten, eine Bitte, deren Erfuellung ein schoener Nachklang zu dem grossen Wort ist, das Eure Majestaet soeben gesprochen. Eure Majestaet wissen," fuhr er fort, als der Koenig ihn fragend ansah, "dass wir von der frueher so weit verbreiteten Agitation in Hannover nichts mehr zu befuerchten haben, die frueheren Fuehrer derselben sind vom Koenige Georg getrennt und entschlossen, in diesem Nationalkampf nichts gegen Deutschland zu thun. Einzelne Personen in Hannover, welche vielleicht zu gefaehrlichen Unternehmungen irre geleitet werden koennten, sind in Sicherheit gebracht, um sie vor sich selbst zu schuetzen, und um sie durch eine kurze Haft der Moeglichkeit zu entziehen, Dinge zu unternehmen, fuer welche sie in der gegenwaertigen Zeit mit der ganzen Schwere des Gesetzes gestraft werden muessten." "Ich weiss, ich weiss," sagte der Koenig--"auch der Verdacht gegen den Grafen Wedell hat sich nicht betaetigt?--" "Nein, Majestaet," sagte der Ministerpraesident, "Graf Wedell steht mit der Agitation in keiner Verbindung mehr, und es freut mich das um so mehr, da seine ganze Familie ohnehin durch die Ereignisse schwer getroffen ist--doch," fuhr er dann fort, "wovon ich Eurer Majestaet sprechen wollte, das ist das Schicksal aller hannoeverschen Officiere, welche mit der Emigration nach Frankreich gegangen waren und dort die sogenannte Welfenlegion commandirten." "Nun?" fragte der Koenig. "Diese Officiere, Majestaet," sprach Graf Bismarck weiter, "befinden sich, wie ich hoere, in einer verzweiflungsvollen Lage. Sie waren in Deutschland geaechtet,--das ist durch Eurer Majestaet grossmuethige Amnestie beseitigt--aber sie sind ohne Subsistenzmittel, sie sind sogar der franzoesischen Regierung verdaechtigt, und ihre Lage ist derartig, dass nach den Aeusserungen Einzelner, die mir mitgetheilt sind--ihnen nichts uebrig bliebe, als sich irgendwo mit Anstand todtschiessen zu lassen." "Die armen, jungen Leute," sagte der Koenig--"sie haben sich schwer vergangen, aber es sind doch brave junge Maenner und ihre Handlungsweise ist doch nur hervorgegangen aus einem irre gefuehrten, aber innerlich edlen und richtigen Gefuehl der Anhaenglichkeit an ihren fruehern Herrn--was kann ich fuer sie thun?" fragte er mit weicher, milder Stimme. "Majestaet," sagte Graf Bismarck, "politisch liegt kein Grund vor, ihnen zu Huelfe zu kommen, sie koennen nicht gefaehrlich werden, und wenn sie wirklich, durch die Noth gedraengt, sich zu irgend einer strafbaren Handlung hinreissen liessen, so wuerde dadurch in den Augen von ganz Deutschland die welfische Agitation und alle etwa fuer dieselbe noch begehende Sympathie vollkommen und fuer immer vernichtet werden. Aber ich glaube nicht, Majestaet," fuhr er im waermeren Ton fort, "dass jenen armen jungen Leuten gegenueber politische Betrachtungen in diesem Augenblick massgebend sein koennen. Jene Ungluecklichen sind von aller Welt verlassen, sie sind die Opfer ihrer irregeleiteten, aber doch immerhin edlen Treue geworden, und ich moechte Eure Majestaet bitten, ihnen zu helfen und ihnen eine Grundlage fuer ein neues Leben zu gewaehren." "Mit Freuden," rief Koenig Wilhelm lebhaft, "schlagen Sie mir vor, was ich thun soll." "Majestaet," erwiderte Bismarck, "es befinden sich unter diesen Emigranten fruehere Offiziere verschiedener Grade, darnach aber zwischen ihnen einen Unterschied zu machen, ist nicht moeglich,--der Koenig Georg hat im Exil noch Ernennungen vorgenommen, die doch nicht in Betracht gezogen werden koennen. Ich wuerde daher Eurer Majestaet unterthaenigst vorschlagen, sie Alle gleich zu behandeln und Jedem von ihnen eine lebenslaengliche Pension von zwoelfhundert Thalern zu geben, damit haben sie eine Basis fuer ihre Existenz und einen Ersatz fuer ihre zerbrochene Carriere." "Genehmigt," rief der Koenig, "genehmigt, mein lieber Graf, es thut mir unendlich wohl, diesen armen jungen Leuten helfen zu koennen, und ich danke Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht und mir Gelegenheit gegeben, noch vor meiner Abreise dies gute Werk zu thun." Und leise die Lippen bewegend, fluesterte er vor sich hin: "Thut wohl denen, die Euch verfolgen."---- "Es muesste dann," sagte Graf Bismarck, "eine Garantie von ihnen gegeben werden, dass sie nicht etwa abermals missleitet werden--" "Sie sollen ihr Ehrenwort geben, nichts gegen mich zu unternehmen, das genuegt," sagte der Koenig, "sie haben die Gesetze verletzt, aber ihre Ehre trifft kein Vorwurf und ihrem Ehrenwort will ich glauben." "Eure Majestaet haben durch diesen Entschluss," sagte Graf Bismarck, "einer Anzahl junger und hoffnungsvoller Herzen Leben und Zukunft wieder gegeben, und auch das wird zum Segen unserer Waffen werden. So ist denn auch diese letzte schmerzliche Dissonanz des Jahres 1866 im schoenen und wohlthuenden Accord geendet und nun, Majestaet,-- Vorwaerts mit Gott fuer Koenig und Vaterland." "Auf Wiedersehen am Bahnhof, mein lieber Graf," sagte der Koenig, "wir werden hier wohl lange nicht wieder zusammen arbeiten--" "Dann aber, Majestaet," rief Graf Bismarck mit leuchtendem Blick, "wird der preussische Adler seinen hoechsten Siegesflug vollendet haben, und eine neue, strahlende Krone wird ueber seinem Haupte glaenzen." Er ergriff seinen Stahlhelm, der neben ihm auf einem Stuhl lag, richtete sich hoch empor und verliess mit militairischem Gruss das Cabinet. Der Koenig trat an's Fenster und richtete den sinnenden Blick auf das Standbild Friedrich des Grossen. Er bewegte leise die Lippen, ohne dass hoerbare Worte aus denselben hervordrangen. War es ein Gebet, das er sprach,--oder verkehrten seine Gedanken mit dem Geiste seines grossen Ahnherrn, der zuerst das alte Brandenburg in Wahrheit zu einer Grossmacht Preussens erhoben, der der Koenigskrone Friedrich I. das schneidige siegreiche Schwert hinzugefuegt hatte und der wieder seinen Nachkommen die hohe Aufgabe hinterlassen hatte, durch preussischen Geist und preussische Kraft einst das zerbroeckelte Deutschland zu einiger Macht und Herrlichkeit wieder aufzurichten? Die auf dem Platz vor dem koeniglichen Palais versammelte Menge erhob beim Anblick des Koenigs die Huete und laute Rufe gruessten den Monarchen. Der Koenig dankte freundlich mit dem Kopfe nickend. Ein Ausdruck heiterer, ruhiger Zuversicht erschien auf seinem Gesicht. Langsam wandte er sich ab, um zur Koenigin zu gehen und mit seiner Gemahlin das letzte Diner vor seiner Abreise zur Armee einzunehmen. * * * * * Es war halb sechs Uhr Abends. Dicht gedraengt standen die Menschenmassen die Linden entlang, vom Thiergarten her bis zum Anhalter Bahnhof. Die sonst so lauten und unruhigen Berliner hatten diesmal ihre gewoehnliche Natur verleugnet, und eine fast lautlose Stille herrschte auf den dicht belebten Strassen. Da kam vom koeniglichen Palais her ein einfacher zweispaenniger Wagen mit offenem Verdeck dahergefahren. Der Koenig, im Ueberrock und Helm, fuhr, von seiner Gemahlin begleitet, nach dem Bahnhof und blickte zum letzten Mal ernst und gedankenvoll auf diese Strasse seiner Residenz hin, welche bereits so viele Herrscher seines Hauses gesehen hatte in den Tagen des Gluecks und des Ungluecks, in den Tagen des Leidens und der Demuethigung, wie in den stolzen Triumphzuegen nach gewaltigen Siegen--immer aber in gegenseitiger Liebe und Treue innig vereint mit ihrem Volk, welches das Unglueck mit ihnen getragen und opferfreudig sein Blut vergossen hatte zur Erringung der Triumphe und Siege. Kein lauter Ruf ertoente, still und schweigend entbloessten sich alle Haeupter und durch diese schweigenden, feierlichen Gruesse hin fuhr der koenigliche Wagen hinaus, waehrend der Koenig freundlich ernst mit der Hand winkte und die Koenigin, von Bewegung ueberwaeltigt, ihr Taschentuch vor die Augen drueckte. Im Wartesaal des Bahnhofes erwarteten den Koenig der Generalfeldzeugmeister Prinz Carl und der jugendliche Erbgrossherzog von Mecklenburg-Schwerin, die Prinzen Alexander und Georg, der Admiral Prinz Adalbert, der Herzog Wilhelm von Mecklenburg mit der Grossherzogin Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, der Prinzessin Karl und der jungen Herzogin Alexandrine. Daneben sah man alle in Berlin noch anwesenden Generale, die Minister, den Geheimrath Abeken, den Legationsrath von Kendell und neben den koeniglichen Prinzen den Grafen Bismarck, die Generale von Roon und von Moltke und den alten Feldmarschall Wrangel; die Angehoerigen der Herren, welche den Koenig begleiten sollten, waren mit anwesend. Neben dem Grafen Bismarck standen seine Gemahlin und seine Tochter, in letzter wehmuethiger Unterhaltung mit dem Scheidenden. Neben dem General von Roon, in seiner ernsten strengen Haltung, sah man seinen Sohn, der Adjutantendienste bei ihm that--auch viele Damen der uebrigen Minister und der Hofchargen waren anwesend. Auch diese ganze Gesellschaft war ernst und still, wie ueber der Bevoelkerung von Berlin, so lag auch ueber diesen hoechsten Spitzen des preussischen Staats der tiefe Ernst des Augenblicks. Der koenigliche Wagen fuhr an die Rampe, der Koenig stieg aus und reichte dann der Koenigin die Hand, ihr ebenfalls aus dem Wagen zu helfen. Dann blickte er hin ueber den mit Menschen dicht besetzten Platz und erhob zum letzten Gruss die Hand. Jetzt zum ersten Mal wurde das ernste, feierliche Schweigen gebrochen, wie ein einziger Ruf, weithin brausend in gewaltigen Klaengen die Luft erschuetternd, erhob sich ein dreimal wiederholtes Hurrah. Es war als ob wie aus einem Munde, vom gleichen Pulsschlag bewegt, das Volk den scheidenden Koenig begruesste. Dann trat abermals tiefe Stille ein. Der Koenig winkte noch einmal mit der Hand, gab der Koenigin den Arm und wandte sich nach dem Wartesaal hin. Da fiel sein Auge auf einen jungen Officier mit blassem Gesicht, welcher in einem kleinen Rollwagen auf die Rampe gefahren war und mit leuchtenden Blicken den koeniglichen Kriegsherrn ansah, waehrend er die in unwillkuerlicher Bewegung erhobenen Haende gegen ihn ausstreckte. Der Koenig blieb einen Augenblick stehen, dann schritt er rasch auf den jungen Mann zu und reichte ihm die Hand, dieser aber fasste sie mit seinen beiden Haenden und fuehrte sie an die Lippen, indem Thraenen aus seinen Augen stuerzten. Dann fasste er sich, richtete sich in seinem Wagen empor und sprach im Ton dienstlicher Meldung: "Lieutenant von Sierrakowsky, Majestaet--" "Ich weiss, ich weiss," sagte der Koenig freundlich, durch einen Wink die Meldung unterbrechend, "ich vergesse die Tapfern nicht, die fuer mich und das Vaterland geblutet haben--Gott hat Ihnen nicht vergoennt, auch in diesem Kampf mit mir hinaus zu ziehen--aber troesten Sie sich, Sie haben dem Vaterland Ihre Schuld reichlich bezahlt und Beispiele, wie das Ihre, werden neue Helden schaffen." "Gott segne Eure Majestaet!" sagte der junge Officier, mit erstickter Stimme; "Gott segne unsere preussischen Fahnen!" Der Koenig drueckte dem armen Invaliden noch einmal herzlich die Hand und trat dann in den Wartesaal. Nur wenige Worte sprach er mit den dort Versammelten. Alle Damen reichten ihm Blumenstraeusse entgegen. "Ich kann sie nicht alle mitnehmen," sagte der Koenig freundlich laechelnd, indem er einen schoenen Strauss aus den Haenden der Graefin Itzenplitz entgegennahm. "Diese Blumen sollen mir eine Erinnerung an Sie Alle und an Ihre guten Wuensche sein." Kein Auge blieb trocken, Alle draengten dem scheidenden Koenig nach, der an der Thuer des Wartesaals die Koenigin umarmte und dann mit den Herren des Gefolges schnell in das Coupe stieg. Dahin brauste der Zug nach dem Westen, nach dem Schauplatz des noch von den dunklen Wolken der Zukunft verhuellten Krieges. Zwoelftes Capitel. Der junge Cappei hatte in einem fast bewusstlosen Zustand stumpfer Resignation die ersten Tage nach seiner Verhaftung in dem Amtsgefaengniss zu Bodenfeld zugebracht. Vergebens strengte er sich an, um die Faeden des Netzes zu entdecken, das ihn so geheimnissvoll und unerklaerlich umsponnen hatte. Seine Gedanken verwirrten sich, das fortwaehrende Schweigen seiner Geliebten, dieser so ploetzliche und unerwartet gegen ihn erhobene Vorwurf staatsgefaehrlicher Verbindungen, das Alles vermochte er in keinen klaren Zusammenhang zu bringen, und nur wenn er auf den Verdacht zurueckkam, welchen die Handschrift des ihm vorgelegten Schreibens in ihm erweckte, so erfasste ihn ein heftiger Paroxismus des Zornes und der Verzweiflung. Oft war er nahe daran nach Mitteln zu suchen, seinem so ploetzlich von der Hoehe der gluecklichsten Hoffnungen in die Tiefe eines vernichtenden Schmerzes herabgestuerzten Leben ein gewaltsames Ende zu machen, und nur die von frueher Jugend in ihm gepflegte glaeubige Froemmigkeit gab ihm die Kraft, diese traurige Existenz zu ertragen und liess ihn die Hoffnung nicht verlieren, dass die Vorsehung Wege finden wuerde, das Dunkel zu erhellen, welches ihn umgab und seine Unschuld dem wider ihn erhobenen Verdacht gegenueber an das Licht zu bringen. In dieser qualvollen Ungewissheit, allein mit seinen in demselben Kreise sich stets bewegenden Gedanken brachte er drei furchtbare Tage zu, ohne das Geringste von der Aussenwelt zu hoeren oder zu sehen, als ein kleines Stueck des Himmels, das ueber eine hohe Mauer durch das vergitterte Fenster seines Gefaengnisses hereinsah. Dann wurde er zum ersten Verhoer vorgefuehrt. Ein Untersuchungsrichter aus der naechsten Stadt war in Bodenfeld erschienen, um in Gegenwart des Amtmanns die Vernehmung des jungen Menschen vorzunehmen. Cappei antwortete auf alle an ihn gestellten Fragen im vollen Bewusstsein seiner Schuldlosigkeit, und der guenstige Eindruck, den seine klaren und bestimmten Angaben, die sich in keinem Punkt widersprachen, auf den Richter und den Amtsverwalter machten, war unverkennbar. Schon begann die Hoffnung in ihm aufzuleben, dass das Alles sich als ein Missverstaendniss herausstellen werde, da legte der Untersuchungsrichter ihm aus den beim Amte gefuehrten Acten eine Reihe von Briefen vor mit der Frage, ob er die Handschrift kenne, und ob diese an ihn adressirten Briefe unter ihren scheinbar unverfaenglichen Worten einen andern Sinn verbaergen. Der Richter sprach dabei zugleich nochmal die Ermahnung aus, durch ein offenes Gestaendniss eine mildere Beurtheilung seiner Handlungen zu ermoeglichen, zu denen eine irre geleitete Anhaenglichkeit an die fruehere Regierung seines Landes ihn bestimmt haben moechte. Der junge Cappei trat ruhig und unbefangen an den Tisch heran, um die ihm vorgelegten Papiere naeher zu betrachten und vielleicht durch dieselben einen Anhalt zur Aufklaerung des Missverstaendnisses zu gewinnen. Kaum hatte er indess einen Blick auf die Briefe geworfen, als eine schnelle fliegende Roethe auf seinem Gesicht erschien. Seine kraeftige Gestalt zitterte und bebte, und wie zusammenbrechend stuetzte er sich mit beiden Haenden auf den Tisch, waehrend seine gross geoeffneten Augen mit dem starren Ausdruck des Schreckens und des Entsetzens auf den Papieren hafteten. Er erkannte Luisens Handschrift, und als er sich so weit gesammelt hatte, um die im ersten Augenblick vor seinen Augen hin und her schwirrenden Buchstaben festhalten zu koennen, las er, in fliegender Hast die Blaetter umwendend, immer dringendere, immer sehnsuchtsvollere Bitten um Nachricht, Besorgnisse, dass er krank sein moege, und voll Schmerz und Verzweiflung sah er zwischen den Zeilen dieses Briefes das Bild seiner Geliebten erscheinen, welche in gleicher Ungewissheit und Bangigkeit wie er, gewartet und immer wieder gewartet und vergebens um Antwort und Nachricht gefleht hatte. Ein daemonischer Einfluss hatte hier die Hand im Spiele gehabt, ein wohl durchdachter Plan voll Hinterlist und Bosheit hatte sich zwischen diese beiden liebenden Herzen gestellt, um nicht nur ihre aeussere Verbindung zu unterbrechen, sondern sie auch mit Misstrauen gegen einander zu erfuellen und ihre Liebe zu zerstoeren. Als er die Briefe saemmtlich durchflogen hatte, wurde ihm Alles klar;--wie er schon beim ersten Verhoer geglaubt hatte in dem ihm damals vorgelegten an ihn gerichteten compromittirenden Brief die Hand des Herrn Vergier zu erkennen, so wurde ihm jetzt vollkommen deutlich, dass dieser und kein anderer der Urheber dieses Werkes finsterer Heimtuecke sei. Und eine wilde, wuethende Verzweiflung, ein brennender Durst nach Rache bemaechtigte sich seines ganzen Wesens. Schweigend starrte er fortwaehrend auf die vor ihm liegenden Briefe, als sei ploetzlich ein drohendes Gespenst vor ihm aufgestiegen, dessen kalte Hand sich todtbringend nach seinem Herzen ausstreckte. Betroffen blickte ihn der Untersuchungsrichter an. Der ganze bisherige Verlauf des Verhoers hatte einen guenstigen Eindruck fuer den jungen Mann in ihm hervorgebracht, dessen ploetzliche, so sichtbar tiefe Bestuerzung jedoch schien jenen Eindruck wieder zu verwischen. "Kennen Sie diese Briefe?" fragte er mit strengem Ton. Der junge Cappei fuhr bei dieser Frage, die ihn aus seiner Betaeubung aufschreckte, empor und erwiderte, indem seine Stimme vor maechtiger innerer Erregung zitterte: "Ja, ich kenne sie, sie sind an mich gerichtet,--es sind Briefe meiner Braut, sie haben mir die Augen geoeffnet ueber den ganzen heillosen Plan, welchen eifersuechtiger Hass gesponnen, um uns von einander zu reissen. Diese Briefe haben keinen verborgenen Sinn, sie bedeuten nur das, was mit klaren Worten in ihnen geschrieben steht. Oh, mein Gott," rief er, den brennenden Blick aufwaerts richtend, "wie ist es moeglich, dass so viel Schlechtigkeit auf Erden wohnen kann." "Sie behaupten also," fuhr der Untersuchungsrichter fort, "dass dies wirklich Briefe eines jungen Maedchens sind, und dass dieselben keine Bedeutung haben?--Ich muss Ihnen sagen," fuegte er hinzu, "dass Ihre so heftige und sichtbare Bestuerzung beim Anblick dieser Papiere nicht zu Ihren Gunsten spricht, um so weniger als unmittelbar nach Ihrer Ankunft ein Schreiben an Sie hierher gekommen ist, in welchem Ihnen die muendliche Verabredung in's Gedaechtniss zurueckgerufen wird, die Nachrichten, welche man von Ihnen erwartet und die Fragen, welche man an Sie stellen wuerde, in die Form von einfachen Liebesbriefen zu kleiden." "Welch ein Abgrund,--welch ein Abgrund," rief der junge Cappei verzweiflungsvoll. "Und kann ich jenen Brief sehen?" fragte er dann. Der Untersuchungsrichter nahm ein Papier und legte es ihm vor. "Ja, ja," rief Cappei heftig auffahrend, "es ist dieselbe Handschrift. Es ist die Handschrift jenes Elenden, der mich um mein Glueck betruegen will, der es gewagt hat, mich in Frankreich als preussischen Spion zu verdaechtigen, und der nun durch seine teuflischen Kuenste mich hier als Verschwoerer verfolgen laesst. Ich schwoere Ihnen, meine Herren, das Alles ist schaendlicher Betrug, ich bin das Opfer der Hinterlist eines Todfeindes, der mich verderben will. Ich bitte Sie um Gottes Willen, lassen Sie mich einmal hier in Ihrer Gegenwart einen Brief an meine Braut schreiben. Sie werden die Antwort sehen, Sie werden sehen, dass nichts Geheimnissvolles, nichts Verfaengliches dahinter steckt--" "Die Antwort wuerde vielleicht ebenso unverfaenglich sein, als diese Briefe es saemmtlich zu sein scheinen," sagte der Untersuchungsrichter den Kopf schuettelnd. "Ich will zu Ihrem Besten hoffen, junger Mann, dass Ihre Angaben die Wahrheit seien, indessen kann ich Ihnen nicht verbergen, dass das Alles sehr unwahrscheinlich scheint,--ich will fuer heute das Verhoer schliessen, um Ihnen Zeit zu lassen, wenn Sie etwas auszusagen haben, durch ein umfassendes und aufrichtiges Gestaendniss Ihre Lage zu erleichtern." "Darf ich nicht," fragte der junge Mann im Ton dringendster Bitte, "darf ich nicht zwei Worte nur an meine Braut schreiben?" "Es wuerde zu nichts fuehren," sagte der Untersuchungsrichter, "denn eine gleichgueltige Antwort wuerde noch nichts zu Ihren Gunsten beweisen,--wenn diese Briefe wirklich nur der Deckmantel einer geheimen Correspondenz sind, so wuerde ohne den Schluessel derselben, ohne Kenntniss der chemischen Mittel," fuhr er fort, den Blick scharf auf den jungen Mann richtend, "durch welche etwa andere geheime Schriftzeichen auf dem Papier sichtbar werden, noch immer keine Klarheit in die Sache kommen. Ich wuensche nochmals," sprach er dann, "dass Ihre Schuldlosigkeit an den Tag kommen moege, denn ich habe hier ueber Sie und Ihre Familie nur Gutes gehoert. Wenn Sie jetzt unter dem auf Ihren Schultern ruhenden Verdacht bleiben muessen, so trifft die Schuld zunaechst davon Diejenigen, welche nicht aufhoeren durch fortwaehrende Agitationen das Land zu beunruhigen, und welche uns dadurch zwingen, mit den schaerfsten Mitteln den verborgenen Faeden nachzuspueren, durch die jene Agitation geleitet wird." In dumpfem Schweigen liess sich der junge Mann nach seiner Gefaengnisszelle zurueckfuehren. Es war eine Art von Ermattung ueber ihn gekommen, der vernichtende Erfolg, welchen die vor seinen Augen jetzt klar liegende, gegen ihn gespielte Intrigue gehabt, beraubte ihn fast des Glaubens an die ewige Gerechtigkeit, und in stumpfer Resignation brachte er die dem Verhoer folgenden Tage zu, ohne sich von seinem Lager zu erheben, nur die nothwendigsten Nahrungsmittel zu sich nehmend. Im Schmerz um sein zerstoertes Liebesglueck, um alle seine gebrochenen Lebenshoffnungen, versank er in eine Art von dumpfer Lethargie, aus welcher nur die brennende Sehnsucht emporflammte, sich an demjenigen zu raechen, dessen Hand aus feiger Verborgenheit heraus ihn so toedtlich getroffen hatte. * * * * * Kaum hatte er die Tage gezaehlt, welche in diesem Zustande an ihm voruebergegangen waren, seine ewig auf ein und denselben Punkt gerichteten Gedanken erfuellten sein Gehirn und sein Blut mit Fieber, seine Kraefte begannen sich zu erschoepfen,--zuweilen dachte er fast mit Wonne daran, dass eine toedliche Krankheit ihn ergreifen und seinen Leiden ein Ende machen koennte. Dann wieder versuchte er mit aller Willenskraft, sich aufrecht zu erhalten, um das Ziel seines Lebens, die Rache, nicht zu verlieren. Da trat eines Morgens der Amtsdiener in sein Zimmer und forderte ihn auf, ihn zum Amtsverwalter zu begleiten. Cappei sprang auf, ein leiser Hoffnungsschimmer erfuellte ihn, vielleicht war es doch moeglich, dass man von seiner Unschuld sich ueberzeugt, jedenfalls konnte ihm ein neues Verhoer Gelegenheit geben, die gegen ihn erhobenen Anklagen zu entkraeften, und muehsam zwang er sich, seinen schwankenden Schritten Festigkeit zu geben, als er dem Diener in das Bureauzimmer folgte. Der Amtmann blickte erschrocken auf den jungen Mann, welcher sich in kurzer Zeit in entsetzlicher Weise veraendert hatte. Seine Augen blickten hohl und truebe, seine Wangen waren eingefallen, sein Mund zuckte fast convulsivisch, sein Haar hing wirr und ungeordnet ueber die Stirn herab, kaum konnte er sich aufrecht halten und unwillkuerlich griff seine Hand nach der Lehne des Sessels. "Setzen Sie sich," sagte der Amtmann freundlich. "Sie sind angegriffen. Ich hoffe, Ihnen Ihre Kraft und Ihren Muth wiedergeben zu koennen, denn ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu geben." Wie erstaunt blickte Cappei auf den Beamten. Die Leiden, welche er ausgehalten, hatten ihn fast unfaehig gemacht, das Gefuehl der Hoffnung zu empfinden. "Der Krieg mit Frankreich ist ausgebrochen," sagte der Beamte ernst, "in wenigen Tagen wird das ganze deutsche Volk in Waffen den frevelhaften Uebermuth seiner Erbfeinde zurueckweisen. Beim Beginn dieses grossen nationalen Kampfes hat Seine Majestaet der Koenig eine allgemeine Amnestie fuer politische Vergehen erlassen, welche vor der Kriegserklaerung gegen Frankreich begangen sind. Auch Sie fallen unter diese Amnestie, die Untersuchung gegen Sie ist daher beendet. Sie sind frei." Cappei sprang auf. Seine Muskeln spannten sich, seine Gestalt richtete sich kraeftig und elastisch empor und mit leuchtenden Blicken rief er: "Frei! Frei! Oh! mein Gott, vergieb mir, dass ich an Deiner Gerechtigkeit gezweifelt habe. Es war ja unmoeglich, dass das Werk finsterer Bosheit triumphiren konnte. Ich darf also zu meiner Mutter zurueckkehren, ich darf--" "Sie sind frei und ausser aller Verfolgung," sagte der Beamte, "aber Sie stehen in der allgemeinen Landwehrpflicht, hier ist eine Einberufungsordre fuer Sie, welche Ihnen befiehlt, sich sogleich in Hannover zu stellen, um dem Regiment, fuer welches Sie bestimmt sind, zugetheilt zu werden. Sind Sie bereit," fuhr er mit einem forschenden Blick auf den jungen Mann fort, "diese Pflicht zu erfuellen?" "Bereit?" rief Cappei, indem ein Blitz aus seinen Augen zuckte, "bereit? Oh, Herr Amtmann," fuhr er fort, den Arm erhebend, "geben Sie mir eine Waffe in die Hand, um hinaus zu ziehen in den Kampf gegen jenes Land, dessen Erde den Elenden traegt, der mich verderben wollte, und der das Glueck und die Hoffnung meines Lebens zerstoert hat--er wird auch dort nicht muessig gewesen sein," fuegte er mit bitterm Lachen hinzu, "und nachdem er meiner Luise den Glauben an mich geraubt hat, wird er ihrem leidenden Herzen sich als troestender Freund genaehert haben--aber die raechende Gerechtigkeit wird mich fuehren, dass ich auf den Wegen dieses Krieges ihm begegne, um ihn zu vernichten und, wenn es Gott will, vielleicht noch seine Plaene zu durchkreuzen." "Sie sind also bereit, sich sofort Ihrer Ordre gemaess zu stellen und den Fahneneid zu leisten, den man natuerlich nochmals von Ihnen verlangen wird, da Sie frueher dem Koenige von Hannover geschworen haben." "Ich bin bereit," sagte Cappei. "Sie duerfen nicht vergessen," fuhr der Beamte ernst fort, "dass wenn Sie den Versuch machen sollten, Ihre Freiheit zu benutzen, um sich Ihrer Landwehrpflicht zu entziehen, Sie damit das Verbrechen der Desertion begehen wuerden, welches im gegenwaertigen Kriegszustande unfehlbar die Todesstrafe nach sich zieht." "Seien Sie unbesorgt, Herr Amtmann," rief Cappei, "ich werde mich puenktlich stellen, und ich wuensche nur, dass mein Regiment das erste sei, welches die franzoesischen Grenzen ueberschreitet. Darf ich vorher meine Mutter und meinen Oheim besuchen?" fragte er dann. "Sie sind vollkommen frei zu thun, was Sie wollen," sagte der Beamte, "vorausgesetzt, dass Sie sich puenktlich zur rechten Zeit zur Einstellung melden. Leben Sie wohl. Ich freue mich, dass Ihre Angelegenheit dies Ende genommen hat, und ich wuensche, dass Sie gesund und wohl behalten aus dem Kriege zurueckkehren moegen." Er neigte freundlich den Kopf. Cappei gruesste in militairischer Haltung und verliess kraeftigen und festen Schrittes das Zimmer. Gross war die Freude bei seinem Erscheinen in dem Hause seines Oheims, wo seit seiner Verhaftung tiefe Trauer und Bekuemmerniss geherrscht hatte. Gross aber auch war der Schmerz der alten Frau, als sie vernahm, dass sie ihren Sohn nur wiedersehen sollte, um ihn sogleich wieder zu verlieren und ihn hinausziehen zu sehen in die Todesgefahr eines furchtbaren Krieges. Ernst und feierlich sassen die drei Menschen bei dem letzten Wahl zusammen, welches nach alter Bauernsitte reichlich fuer den Scheidenden aufgetragen wurde, und welches fast Keiner von ihnen beruehrte. Mit thraenenden Augen blickte die alte Frau auf den Sohn, der ihr so schnell wieder entrissen werden sollte, nachdem Verbannung und Gefangenschaft ihn getroffen, um noch groesseren Gefahren entgegenzugehen--finster sass der alte Niemeyer da. Er sah zwar lieber den jungen Menschen mit der Waffe in der Hand nach Frankreich hinausziehen, als dass dieser sich eine Heimath gesucht haette in dem Lande, das er den alten Traditionen nach, doch immer als den Feind Deutschlands ansah, aber die drohende Todesgefahr des Sohnes seiner Schwester, den er wie sein Kind liebte, bewegte ihn tief. Doch endlich troestete ihn das glaubensstarke Vertrauen auf die Alles zum Besten kehrende Vorsehung, dies Vertrauen, das in all' den alten markigen Niedersachsen so fest und unerschuetterlich lebt und auch in den schwersten Pruefungen ihren Muth aufrecht erhaelt. "Gott erhalte Dich, mein Junge," sagte er einfach, indem er kraeftig die Hand des Scheidenden schuettelte und obwohl seine Stimme leicht zitterte, so klang doch die ruhig vertrauensvolle Ergebung in den goettlichen Willen in diesen Worten wieder. Die Mutter hatte den Raenzel ihres Sohnes mit Brod, kaltem Fleisch und Branntwein gefuellt, der Oheim fuegte eine mit harten Thalern wohlgespickte Boerse hinzu und dann beugte sich der junge Mann tief vor der alten Frau nieder. "Segne mich, meine Mutter," sagte er leise. Die Alte legte ihre zitternden Haende auf das Haupt des Sohnes und bewegte ihre Lippen, ohne dass laute Worte aus denselben hervordrangen, aber die Thraenen, welche voll und heiss in diesem letzten Augenblick des Scheidens aus ihren Augen stroemten, fielen ueber das Haar des jungen Mannes herab. Er fuehlte, wie diese Tropfen seine Stirne benetzten, und heilige Ruehrung durchzitterte sein Herz,--er empfand all' den reichen Segen, all' die heissen Gebete, all' die frommen Wuensche, welche die Abschiedsthraene aus dem Mutterauge in sich schliesst. Dann wandte er sich rasch ab und schritt fest und kraeftig ueber den Hof hinaus, vom Thor her sich noch einmal umblickend nach dem alten niedersaechsischen Glauben, der an einen letzten Rueckblick auf das heimathliche Haus eine frohe und glueckliche Heimkehr knuepft. Bald hatte er die naechste Eisenbahnstation erreicht, wo schon eine Anzahl anderer Einberufener wartete, und nach wenig Augenblicken fuehrte ihn der dahinrollende Zug fort, einer dunklen Zukunft voll Kampf und Gefahr entgegen, waehrend in seinem Herzen alle anderen Gefuehle zuruecktraten vor der gluehenden Sehnsucht, Rache zu nehmen fuer die Frevelthat an seiner Liebe. Dreizehntes Capitel. Ein buntes und laermendes Treiben herrschte in den Strassen und der Umgebung von Metz. Die Waelle der alten Festungsstadt waren von den weissen Zelten des Lagers der franzoesischen Armee umgeben und Truppen aller Waffengattungen durchzogen die Strassen der Stadt und des Lagers. Man sah die riesigen Cuerassiere ernst und ruhig einherschreiten,--man sah die bunten afrikanischen Truppen,--die leichtfuessigen Voltigeurs und Jaeger und all' dies Leben war von froehlicher Heiterkeit und Siegeszuversicht getragen,--die Truppen im Lager sangen, tranken und spielten, Polichinelbuden waren vorhanden und Alles erwartete mit Ungeduld den Aufbruch gegen den Feind, ueberzeugt, dass es nur eines Vorstosses dieser beruehmten franzoesischen Armee beduerfe, um siegreich und unueberwindlich bis zum Herzen Deutschlands vorzudringen. Der Kaiser war seit einigen Tagen von St. Cloud angekommen und hatte mit dem kaiserlichen Prinzen in der Praefectur Wohnung genommen. Vor dem Praefecturgebaeude schilderten die Cavallerie-Doppelposten, und die glaenzende Generalitaet mit ihrem Gefolge, die Adjutanten und Ordonnanzofficiere des Kaisers, welcher den ganzen Pomp seines militairischen Hofes entfaltete, gingen aus und ein. Inmitten all' dieses Laerms und all' dieses Glanzes sass der Kaiser in der Generalscampagneuniform truebe und niederschlagen in seinem Zimmer, dessen Fenster durch dichte Vorhaenge beschattet waren, um die heissen Strahlen der Sonne abzuhalten und der Imperator, welcher hier in der Mitte seiner siegesgewissen Truppen sich befand, blickte finster mit einem gramvollen, resignirten Ausdruck vor sich nieder. Er hielt einige Depeschen in der Hand, welche er eben durchlesen hatte, und die Nachrichten, welche dieselben brachten, schienen nicht erfreulicher Natur zu sein, denn mit einem unwillkuerlichen Griff hatten die Haende des Kaisers das Papier zerknittert. "Welch ein entsetzlicher Zustand in dieser Armee," sagte er, "welch ein Chaos unter dieser glaenzenden Aussenseite--oh, warum habe ich nicht vorher das Alles klar gesehen, was sich jetzt so furchtbar und unerbittlich vor meinem Blick oeffnet,--jetzt wo keine Umkehr, kein Einhalt des Verhaengnisses mehr moeglich ist. Ich habe eine Verstaendigung im letzten Augenblick noch gehofft, ich habe irgend ein Entgegenkommen von Berlin aus erwartet, um noch an der Spitze der gegenueberstehenden Armeen das drohende Unheil beschwoeren zu koennen und die Concessionen zu erreichen, nach denen ich so lange gestrebt. Alles ist vergebens, man ist dort entschlossen, das Aeusserste zu wagen. Diese Veroeffentlichung des Benedettischen Vertragsentwurfs, diese Depesche des Grafen Bismarck an die Maechte, das Alles beweist mir, dass alle Bruecken abgebrochen sind, und dass das furchtbare Verhaengniss des Krieges seinen Weg gehen muss. Und welche Hoffnungen bleiben mir," sprach er mit dumpfer Stimme, "mir, der ich schon vor dem Beginn des Kampfes ein zerbrochenes Schwert in der Hand halte." Er starrte im finstern Schweigen vor sich hin. Die dienstthuende Ordonnanz trat ein und meldete den Prinzen Napoleon, welcher unmittelbar der Meldung folgend, in das Zimmer trat. Der Prinz trug die Uniform eines Divisionsgenerals und in dieser militairischen Tenue trat seine Aehnlichkeit mit dem grossen Kaiser noch mehr als sonst hervor, wenn dieselbe auch immerhin jetzt noch einen gewissen Anflug von Carricatur hatte durch die weit staerkere Corpulenz des Prinzen, durch seine unruhige Haltung und durch die nervoesen zuckenden Bewegungen seines Gesichts. Die Augen des Prinzen flammten, eine dunkle Zornesroethe bedeckte seine Stirn, mit hastigen Schritten trat er bis dicht vor den Kaiser hin und die dunklen Augen gross auf seinen wie gebrochen da sitzenden Vetter richtend, rief er, hastig die Worte hervorstossend: "Weisst Du, mein Vetter, in welchem Zustande die Armee ist?" Der Kaiser senkte schweigend das Haupt auf die Brust. "Ich habe," fuhr der Prinz fort, "schon als ich von den Haiden Norwegens nach Paris zurueckkehrte, um die erste Entwickelung dieses unseligen Krieges mit anzusehen, Dir gesagt, was ich ueber dieses Abenteuer denke--das gefaehrlichste und verhaengnissvollste, welches Du seit Deiner Regierung unternommen,--was ich jetzt aber hier taeglich, stuendlich sehe und erfahre, das uebersteigt die Grenzen alles dessen, was ich mir als moeglich gedacht habe. Ich sehe einen ungeordneten Haufen Soldaten ohne Organisation, ohne Fuehrung, ohne gesicherte Verpflegung, und wenn jeder dieser Soldaten fuer sich den alten Paladinen Karl's des Grossen an Tapferkeit gleichkaeme, so ist es unmoeglich, dass sie etwas ausrichten koennen gegen die Tactik und die Ordnung des preussischen Generalstabes. Wahrlich, mein Vetter, der Marschall Leboeuf muss ein Interesse haben, Dich und uns Alle zu verderben. Selbst die gewaltigste menschliche Dummheit kann ein Verfahren, wie das Seinige, nicht erklaeren." Der Kaiser schwieg noch immer. "Was denkst Du zu thun? Kannst Du noch Frieden machen?" "Der Frieden jetzt," sagte der Kaiser, "kaeme der Streichung des franzoesischen Namens aus der Reihe der Grossmaechte, kaeme der Abdankung unserer Dynastie gleich," fuegte er mit leiser, tonloser Stimme hinzu. "Was aber denkst Du zu thun," rief der Prinz, "willst Du Dich, willst Du uns Alle zu den Todten werfen lassen? Willst Du Dich nicht entschliessen, an Rigault de Genouilly den Befehl einer unmittelbaren Expedition in der Ostsee zu uebergeben. Ich bitte Dich, uebertrage mir das Commando der Landungstruppen, wir werden dort die Gegner zwingen, zahlreiche Streitkraefte hinzusenden, um wenigstens uns hier vor einem ueberwaeltigenden Angriff zu schuetzen." "Ich darf Russland nicht verletzen," sagte der Kaiser, wie zoegernd, "auch England hat sich sehr entschieden gegen eine Bedrohung des preussischen Handels ausgesprochen--" "Willst Du nach Russland fragen," rief der Prinz, zornig mit dem Fuss auf den Boden stossend, "nach England, in dem Augenblick, wo es sich um die Ehre, um die Existenz Frankreichs handelt und um die Existenz unseres Hauses?" "Der Marschall Leboeuf," meldete die dienstthuende Ordonnanz. "Dein boeser Genius," sagte Prinz Napoleon und wandte sich zum Fenster hin, ohne den Gruss des eintretenden Marschalls zu erwidern, welcher mit ruhig heiterer Miene in das Zimmer trat und mit seiner vollen, langsamen Stimme sagte: "Die Regimenter, welche Eure Majestaet heute zu mustern befahl, stehen an dem Eingang der Strasse nach Thionville bereit, wenn Eure Majestaet die Gnade haben wollen, hinauszureiten." "Der Kaiser sollte lieber die Commandos, die Arsenale und die Feldzugsplaene besichtigen, als diese armen ungluecklichen Truppen, die verlorenen Schlachtopfer einer entsetzlichen Vernachlaessigung, in Augenschein zu nehmen," rief der Prinz Napoleon, sich schnell umwendend. Der Marschall Leboeuf richtete sich hoch auf und blickte mit seinen grossen, etwas vorstehenden Augen den Prinzen starr an. "Das Alles ist von mir geordnet," sprach er, "und der Kriegsplan sichert, wie ich glaube, so gut als das moeglich ist, den Erfolg." "Der Kriegsplan," rief der Prinz, "das nennen Sie einen Kriegsplan, Herr Marschall, einen Plan, der darin besteht, auf dieser ganzen weiten Linie von Strassburg bis Thionville die Armeecorps wie einen Zoll-Cordon auszustreuen, so dass sie sich weder einzeln behaupten, noch gegenseitig unterstuetzen koennen. Der Vorstoss der preussischen Armee wird das Alles aufrollen und zerbroeckeln, ehe man ueberhaupt noch zum Nachdenken gekommen ist, und all' die Tapferkeit dieser braven Soldaten wird vergebens sein. Wenn der Krieg," fuhr er immer heftiger fort, "in dem Gehirn einzelner Menschen seit Monaten beschlossen war, wenn er seit vierzehn Tagen erklaert ist, so verstehe ich nicht, dass waehrend die deutsche Armee in erdrueckenden Massen auf uns losrueckt, man da nicht ein einziges Corps mit dem Noethigen versehen, vollstaendig hat hinstellen koennen." Bevor der Marschall antworten konnte, erhob sich der Kaiser, faltete die zerknitterten Depeschen in seiner Hand auseinander, richte sie dem Marschall und sprach mit kaltem, strengem Ton: "Ich bitte Sie, Herr Marschall, diese Depeschen zu lesen, welche ich so eben aus Paris erhalten habe." Der Marschall nahm die Depeschen eine nach der andern und las: "General Ducrot an das Kriegsministerium in Paris. Morgen werden wir kaum fuenfzig Mann haben, um den Platz Neu-Breisach zu halten und Mortier, Schlettstadt, Lichtenberg sind in gleicher Weise entbloesst. Die Preussen sind Herren aller Defileen des Schwarzwaldes." "Lesen Sie weiter," sprach der Kaiser, waehrend der Prinz Napoleon die Haende zusammenschlug. Der Marschall Leboeuf las: "Der General-Commandant des vierten Corps an das Kriegs-Ministerium in Paris. Das vierte Corps hat weder Cantinen, Ambulancen noch Ausruestungsgegenstaende. Alles ist vollstaendig entbloesst." "Weiter," sprach der Kaiser kalt und kurz. Der Marschall las die folgende Depesche: "Der Intendant des sechsten Corps an das Kriegs-Ministerium in Paris. Ich erhalte von dem Chef der Rheinarmee das Verlangen nach vierhundert tausend Rationen Zwieback. Ich habe nicht eine einzige Ration." "Immer weiter," sagte der Kaiser. Der Marschall fuhr fort, die naechste Depesche ergreifend. "Marschall Canrobert an das Kriegs-Ministerium in Paris. Ich habe weder Kochtoepfe, noch Naepfe, die Kranken sind von Allem entbloesst. Wir haben weder Betten, noch Hemden, noch Schuhe." "Endlich die letzte," sagte der Kaiser, indem er dem Marschall eine Depesche reichte, die er noch zurueckbehalten hatte. Marschall Leboeuf las immer in demselben ruhigen, gleichmaessigen Ton: "General Michel an das Kriegs-Ministerium in Paris. Angekommen zu Belfort, meine Brigade nicht gefunden, Divisionsgeneral nicht gefunden. Was soll ich machen? Ich weiss nicht, wo meine Regimenter sind." Mit einem Satz sprang der Prinz zu dem Kaiser heran. "Dieser General," rief er, "welcher im Angesicht des Feindes seine Armee sucht, das ist das Schlusswort aller dieser Laecherlichkeit, einer Laecherlichkeit, welche aber zugleich die furchtbarste Tragoedie in sich schliesst, da sie der Untergang Frankreichs und des Kaiserreichs sein wird. Ich will hier nichts mehr sehen und hoeren, ich verlasse die Stadt und beziehe mein Zelt im Lager; wenn ich laenger in diesem Hauptquartier bleibe, so wird der Wahnsinn mein Gehirn erfassen." Und ohne ein Wort zu sagen, stuermte er hinaus. "Sire," sagte der Marschall Leboeuf im ruhigen Tone, "solche kleine Unordnungen kommen jedesmal vor, wenn eine grosse Armee sich zusammenzieht. In wenigen Tagen wird sich das Alles von selbst ordnen." "Ich glaube nicht, Herr Marschall," sagte der Kaiser kalt, "dass aehnliche Unordnungen auf der Seite unserer Feinde vorkommen, und ich wuensche, dass dieselben in der That in wenigen Tagen geordnet sein moegen. Sie werden Ihre ganze Thaetigkeit und Energie entwickeln, damit das geschehe,--denn, Herr Marschall, die Verantwortung fuer die Folgen solcher Unordnungen wird eine grosse und schwere sein und in voller Wucht auf Ihrem Haupte lasten. Jetzt will ich hinaus, um die Truppen zu sehen." Und mit einer stolzen Neigung des Hauptes, welche andeutete, dass er kein Wort weiter zu hoeren wuensche, wandte er sich von dem ganz erstaunt dastehenden Marschall ab. Indem er sich der Thuer naeherte, oeffnete sich dieselbe schnell und mit Freude strahlendem Gesicht trat der kaiserliche Prinz in seiner kleinen, zierlichen Lieutenantsuniform herein. Er hielt einen Brief in der Hand, kuesste schnell seines Vaters Hand und rief mit froehlichem Tone: "Ein Brief von Mama, den man mir so eben gebracht. Alles ist wohl und voll Siegeshoffnungen in Paris. Die kleine Malakoff hat zwei Stueck vierblaettrigen Klee gefunden, welche Mama mir sendet und welche mir Glueck bringen werden. Ich werde die Blaetter in ein Medaillon fassen lassen und stets bei mir tragen." Er zog den Brief der Kaiserin aus der Enveloppe und hielt die beiden vierblaettrigen Kleeblaetter ganz stolz dem Kaiser entgegen. Napoleon antwortete nicht. Mit einem wunderbaren Ausdruck aus Liebe und schmerzlicher Wehmuth gemischt, sah er einige Augenblicke seinen Sohn an, dann beugte er sich zu demselben nieder, drueckte seine Lippen auf die reine Stirn und sagte: "Ich will zu den Truppen hinausreiten, Du sollst mich begleiten." Der Prinz steckte die Enveloppe mit den Kleeblaettern, ganz ueberrascht, dass sein Vater dieselben so wenig beachtete, in seine Uniform und ging mit dem Kaiser hinaus. Der Marschall Leboeuf folgte ihnen. Man stieg zu Pferde. An der Spitze seines glaenzenden Generalstabes ritt der Kaiser hinaus durch die belebten Strassen der Stadt nach dem Felde. Auf der Strasse von Thionville, wo zwei Brigaden der Garde aufgestellt waren, begruessten diese praechtigen Elitetruppen in ihrer musterhaften Haltung den Kaiser mit jubelnden Hochrufen, in welche die in dichten Massen umherstehenden einzelnen Soldaten laut und begeistert mit einstimmten. Aber das Gesicht Napoleons erhellte sich nicht beim Anblick dieser herrlichen Regimenter. Schweigend ritt er die Front ab, schweigend liess er die Truppen an sich vorbei defiliren und immer schweigend wandte er nach kurzem Gruss, den Hut erhebend, sein Pferd, um nach der Stadt zurueckzureiten. Noch einmal brauste das vive l'empereur donnernd durch das Lager hin, die Strahlen der Sonne funkelten auf allen diesen Waffenspitzen, auf allen diesen Gold schimmernden Uniformen des Generalstabes, an dessen Spitze der Kaiser gebeugt auf seinem Pferde sitzend, im langsamen Schritt nach der Stadt zurueckritt, waehrend der kaiserliche Prinz ungeduldig sein Pferd zuegelte, um an der Seite seines Vaters zu bleiben. Ueberall gruessten erneute Hochrufe und die Klaenge der Musikkorps, welche partant pour la Syrie und die Marseillaise spielten. Der Kaiser schien von Allem dem nichts zu hoeren und zu sehen. Ausdruckslos starrten seine Augen in's Leere und leise die Lippen bewegend, sprach er: "Ave, Caesar, morituri te salutant!" Ende des dritten Bandes. End of the Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Dritter Band, by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, *** ***** This file should be named 13659.txt or 13659.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/3/6/5/13659/ Produced by PG Distributed Proofreaders. Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. *** START: FULL LICENSE *** THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase "Project Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg-tm License (available with this file or online at https://gutenberg.org/license). Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.